Das Erste, was Heero spürte, als er aufwachte, war Schmerz in seinem Oberkörper. Nicht stechend, sondern dumpf, pulsiv. Das Zweite, dessen er sich gewahr wurde, war ein merkwürdiges Kitzeln an seinen Unterarmen und seiner Brust.
Er schlug die Augen auf. Und stutzte gleichermaßen überrascht und fasziniert.
Duo hatte sich während des Schlafes halb auf ihn gerollt, die langen weichen kastanienbraunen Strähnen lose über sie beide gebreitet, die Beine mit seinen verwoben und gab nun kleine schnuckende Schlafgeräusche von sich.
Heero blickte in das friedliche Gesicht seines Freundes und eine Welle der Erleichterung und des Glücksgefühls durchfuhr ihn. Er hob vorsichtig eine Hand, um dem amerikanischen Jungen eine der widerspenstigen Fransen aus dem Gesicht zu streichen, immer darauf bedacht, diesen Engel nicht aufzuwecken, ihn weiter so sanft und friedlich schlafen zu lassen.
Könnte es doch immer so sein, seufzte Heero in sich hinein. Das Paradies...ja, so stelle ich mir das Paradies vor...
Die kleinen, wohligen Schlafgeräusche nahmen zu und Heero warf einen Blick hinunter. Er hob erstaunt eine Augenbraue, als er feststellte, WAS diese Laute ausgelöst hatte.
Er nuckelt an meinem Daumen?!, fragte der japanische Pilot sich schon beinahe geschockt. An MEINEM Daumen?!
Dann lachte Heero, zuerst unterdrückt, kaum merklich, nach einiger Zeit jedoch immer deutlicher. Nicht laut, eigentlich nur als Beben seines Brustkorbes erkennbar, doch er lachte, so frei wie seit langem nicht mehr. Dennoch schien Duo diese unwillkommene Störung nicht zu gefallen, denn Heeros Finger rutschte zwischen die Backenzähne, wo Duo seine Kiefer kräftig aufeinander trieb, was dem Wingpiloten noch zusätzlich zu seinem Lachanfall vor Schmerzen die Tränen in die Augen trieb.
"Duo....", flüsterte er sanft und strich dem Deathscythepiloten sanft über die Wange, worauf der Finger wieder ein Stück freigegeben wurde und der langhaarige Junge leise schmatzte.
Heero wischte sich mit einem immer noch breitem Lächeln die Tränen aus den Augen und verlagerte unmerklich sein Gewicht, damit Duo jetzt nicht mehr so sehr auf ihm lastete.
Oh Gott, wenn er hier so liegt, so unschuldig, so rein.....wenn er wüsste, wie erotisch er aussieht....., dachte Heero benommen und betrachtete die kastanienbraunen Haarsträhnen, die sanft das einfallende Sonnenlicht wiederspiegelten.
Zeit für die Hormooooone!!!!
Heero fluchte stumm ob der gehässigen Stimme in seinem Hinterkopf und bemerkte den Bruchteil einer Sekunde später, wie diese "Hormone" sich auch schon bemerkbar machten.
Nein!, rief er wütend seinem ES zu. Nicht jetzt, nicht bei Duo! Wenn er jetzt aufwacht, wenn er das sieht, dann......
Das soll er auch! Was meinst du, was der ganze Sinn der Sache ist, mein Lieber?, war die hämische Antwort und Heero kämpfte mit aller Macht darum, seine Selbstkontrolle zu behalten und möglichst unschöne Gedanken zu denken.
Worauf er schließlich bei Relena und ihren Annäherungsversuchen landete.
Gute Wahl, bestätigte der japanische Pilot sich selbst, als er merkte, dass langsam aber sicher alle unerwünschten Gefühle zurückkehrten und einem beruhigenden friedlichen warmen Pulsieren Platz machten.
So es ist schon besser, seufzte Heero zufrieden auf und schloss seine Arme hauchzart um seinen schlanken Partner.
"Duo, ich liebe dich, werde es immer tun. Und egal wie lange es dauert, ich werde auf dich warten, werde dich zu nichts zwingen, nie, Duo. Das schwöre ich dir!"
"Ich danke dir, Heero."
Heeros Herz setzte für einen Moment aus und er sah seinen Partner ruckartig an.
"Du bist WACH?", fragte er beinahe entgeistert und der amerikanische Pilot lächelte leicht.
"Ja, schon seitdem du gelacht hast."
Heero spürte, wie sich eine Schicht leichter Röte über sein Gesicht legte und er verlegen hustete.
"Duo....ich...."
"Ich weiß Heero", unterbrach der langhaarige Junge seinen Partner und legte das Kinn auf Heeros Brust. "Aber du brauchst dich für nichts zu entschuldigen. Ich weiß, dass du mich liebst, habe es zwar zuerst nur gehofft, doch jetzt weiß ich es. Und das..." Duo ließ seinen Kopf zur Seite fallen, sodass Heero das zarte Fleisch seiner Wange an seiner nackten Haut spüren konnte. "...gibt mir Kraft, lässt mich vergessen, was geschehen ist....lässt es langsam verschwinden...."
Heero durchrann ein Schauer des Wohlbehagens. Wie sehr hatte er sich darum bemüht, den anderen Jungen dazu zu bringen, diese schrecklichen Ereignisse hinter sich zu lassen und zu überwinden. Und wie schön war es jetzt, die ersten Früchte dieses Bemühens sehen zu können. Sehen zu können, dass der amerikanische Pilot keine Angst davor hatte, ihn zu berühren, seine Wange auf seine Brust zu legen. Und genau wie dieses würde auch langsam das Vertrauen des Deathscythepiloten stärker werden.
Der japanische Pilot strich sanft mit seiner Hand über die Wange seines Partners und lächelte dann leicht.
"Das ist schön, Duo....das ist schön....."
Auch der langhaarige Junge lächelte darauf und schloss seine Augen um schließlich friedlich zu murmeln:
"Irgendwann, Heero....irgendwann....."
*
Quatre seufzte leise und machte sich dann auf den Weg nach oben. Wenn er es sich ehrlich eingestand, machte er sich große Sorgen um Heero und Duo, besonders um Duo. Was der amerikanische Pilot hatte ertragen müssen, war ihm immer noch ein Greul. Wie bei Gott konnten Menschen anderen so etwas antun? Wie nur?
Ich habe Angst, dass Duo sich etwas antut, seufzte Quatre lautlos und resümierte damit seine Gedanken. Er hat sich so verändert in der letzten Zeit, dass es mir Angst macht. Ich hoffe, Heero passt auf ihn auf.
Der arabische Pilot blieb stehen und legte sein Ohr an die hölzerne Tür. Da war nichts, keine Geräusche. Was Quatre erhebliche Sorgen machte, so klopfte er leise und öffnete dann die Tür, nur um gleich darauf zu erstarren.
Heero lag auf dem Bett, Duo auf ihm, vertrauensvoll die Wange auf seine Brust gelegt, beide schienen ihren Frieden gefunden zu haben, so entspannt sahen sie aus. Doch jetzt, wo Quatre eintrat, fuhren zwei Köpfe ruckartig in seine Richtung und sahen den Sandrockpiloten milde geschockt an. Schließlich war es Heero, der zuerst seine Sprache wiederfand und fragte:
"Was willst du hier, Quatre?"
Der blonde Junge schluckte hörbar und erwiderte heiser:
"Ich...habe mir Sorgen um euch gemacht und wollte sehen, wie es euch geht."
Ein kurzes Nicken war das Einzige, was er von Heero als Reaktion bekam, während Duo leicht lächelte und sagte:
"Danke Quatre, es geht. Wir kommen gleich runter!"
Der blonde Pilot nickte darauf kurz und verschwand mit einer hastig gemurmelten Entschuldigung aus dem Zimmer.
*
Duo seufzte kurz als Quatre das Zimmer verlassen hatte.
"Es sieht so aus, als ob wir wirklich aufstehen sollten", murmelte er und glitt von Heero herunter um aufzustehen, wurde dann jedoch von seinem Partner festgehalten.
"Duo....du bist noch zu schwach, du solltest noch liegen bleiben!", sagte dieser ernst und sah ihn mit einem undurchdringlichen Blick an.
"Es geht schon, Heero. Mir geht es bestens, ich bin wieder gesund und nicht so schwach wie du denkst", erwiderte Duo plötzlich verstimmt darüber, wie ein kleines Kind behandelt zu werden und Heero atmete geräuschvoll aus.
"Duo, du warst zwei Tage lang bewusstlos, du musst dich wirklich ausruhen!"
Der amerikanische Pilot sah seinen Partner einfach nur an, dann bemerkte er den eisernen Willen, ihn nicht aus dieser Tür gehen zu lassen und nickte schließlich.
"Gut, wie du willst, Heero."
Der kurzhaarige Junge nickte knapp und stand dann auf, um sich anzuziehen und über seine Schulter zu rufen:
"Ich hole etwas zu essen", bevor er das Zimmer verließ und einen nachdenklichen Duo Maxwell zurückließ.
Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, verschwand auch der letzte Rest eines Lächelns von Duos Gesicht.
Während des kurzen Gespräches mit Heero vorhin hatte er sich an alles erinnert. An alles, was vor seinem Zusammenbruch passiert war.
Sie alle wissen, was sie....was sie mit mir gemacht haben...., dachte er abwesend und fröstelte. Ich kann sie schon spüren, die Blicke voller Mitleid, voller Sorge, kann die Fragen hören, die sie mir stellen werden. ´Geht es dir gut, Duo?´, ´Ist alles in Ordnung, Duo?´, ´Kann ich dir irgendwie helfen, Duo?´. Aber ich will das alles nicht. Genauso wenig wie ich weiter kämpfen will. Ich habe Angst davor, panische Angst und ich weiß nicht, was ich dagegen machen soll. Ich habe ehrlich Angst davor, dass Dr. J sagt, wir hätten eine neue Mission. Infiltration, Beobachtung, dann das Zuschlagen, der Kampf gegen die Soldaten.
Ohne dass Duo es sich weiter bewusst war, sank er immer tiefer in seine Erinnerungen zu dem Tag, an dem er von Soldaten gefangengenommen und in diese dunkle, kalte Zelle gesperrt wurde, an dem Tag, als....als er....
Tränen der Verzweiflung rannen über Duos Wangen, erzeugten kleine Geräusche als sie auf die Decke auftrafen. Kleine nasse Kreise auf madeirablauem Satin.
Und Duo hörte wieder die Stimmen, die ihn fast jede Nacht verfolgten, verhöhnten, seine Demütigung noch mehr vorantrieben.
Wie hat es meinem Spielzeug gefallen?
Nein, NEIN!, keuchte der amerikanische Junge entsetzt. Es hat mir nicht gefallen! Nie!
Hure! Nichts weiter! Das ist es, was du bist!
Oh Gott.....das ist nicht wahr!
Du solltest deine Haare offen tragen, offen und in Locken, meine kleine Hure!
Duo stöhnte verzweifelt auf und hielt sich seinen Kopf.
Immer mein, das ist es, was du bist!
Duo schrie wütend auf.
Nie, NIEMALS! Du bist tot und ich lebe! Ich habe dich umgebracht, ich bin nicht mehr dein! Ich gehöre dir nicht, niemandem, ich gehöre MIR!, fuhr er seinen imaginären Feind an und knurrte böse. Niemand wird mich je besitzen!
Er bemerkte plötzlich, wie rasend sein Herz und sein Atem ging und bemühte sich, sich langsam zu beruhigen, die Gedanken zu verdrängen, die ihm soviel Schmerz bereiteten.
Heero hat gesagt, dass ich es überwinden soll. Und genau das werde ich auch versuchen. Sie sind tot, sie können mir nichts mehr tun!, versuchte er sich selbst Mut zu machen, worauf ihm jedoch prompt eine hämische Stimme antwortete:
Aber andere Soldaten nicht, die genauso böse sind.
Duo erstarrte und versuchte, das Zittern, das seinen Körper durchlief, zu unterdrücken.
Ich werde sie nicht an mich heranlassen! Ich werde den Kampf vermeiden!
Kannst du das denn?
Duo wimmerte auf. Er wusste, er konnte es nicht, würde es nicht verhindern können, wenn sie ihn erneut gefangennehmen würden. Er würde genauso wehrlos sein, wie....wie beim ersten Mal.
Ich will nicht mehr! Nicht mehr kämpfen, nicht mehr mit aller Kraft versuchen, den Krieg zu beenden, ich will keine Menschen mehr töten, nicht mehr selbst leiden! Ist das denn zuviel verlangt?
Du bist ein Gundampilot. Du weißt, was deine Pflichten sind und dass du dich ihnen nicht entziehen kannst. Du musst durchhalten, bis es vorbei ist!
Und wenn ich nicht mehr den Willen dazu habe?
Dann lass dich von ihnen töten, beende dein ach so jämmerliches Dasein doch! Ich denke, du bist eine Kämpfernatur! Was ist aus dir geworden? Willst du denen wirklich den Sieg überlassen? Nachdem du sie getötet hast? Bist du so bemitleidenswert?
Duo schüttelte blind den Kopf.
Nein, nein, ich bin nicht schwach! Ich kann kämpfen....werde kämpfen....aber wenn sie....
Verhindere es! Lass sie nicht an dich herankommen!
Die Stimme schwieg eine Weile, ließ die Worte auf Duo wirken, bevor sie fortfuhr:
Und du hast Hilfe. Du musst sie nur akzeptieren. Du hast Yuy.
Duo nickte und lächelte leicht. Warum war ihm erst gerade aufgefallen, was der japanische Pilot alles in den letzten Tagen für ihn getan hatte? Hatte er nicht sogar seine stoische Maske aufgegeben, seinen Schutz, damit er Duo helfen konnte? Hatte er nicht alles getan, um Duo vor den Dämonen zu schützen? Hatte er das alles nicht aus LIEBE getan?
Gott, wie oft habe ich mich danach gesehnt, dass er meine Gefühle erwidern würde? Wie oft habe ich ihn bis zum Äußersten gereizt, nur um IRGENDEINE Reaktion zu bekommen? Doch nun, wo er tatsächlich die gleichen Gefühle für mich hegt, wie ich für ihn, kann ich sie nicht erwidern. Aus Angst, aus Verzweiflung, aus was weiß ich auch immer. Und er hat mir gesagt, dass er warten wird. Solange es auch dauern mag. Er hat mir ein Versprechen gegeben. Ein Versprechen, das er auch einlösen wird.
Duo seufzte leicht und sah dann auf, um stirnrunzelnd festzustellen, dass Heero schon über zehn Minuten weg war. Erstaunt über diese Ungewohntheit, machte Duo sich daran, Heeros Rat nun doch nicht zu befolgen und aufzustehen, sich anzuziehen und langsam und unsicher nach unten zu schleichen.
*
"Maxwell!"
Der amerikanische Pilot zuckte zusammen und drehte sich zu der strengen Stimme um, Wufei erblickend, der mit zusammengezogenen Augenbrauen vor ihm stand und gerade die Arme verschränkte.
"Was machst du hier unten? Ich denke, du solltest im Bett bleiben!"
Duo grinste schief und erwiderte spöttisch:
"Seid wann bist du so eine Glucke, Wuffie? Ist das alles Zechs´ Einfluss?"
Der chinesische Junge zog verärgert über Duos Worte die Augenbrauen zusammen und kam dann ein Stück auf ihn zu, bis er kurz vor ihm stehenblieb und sich zu seiner vollen Größe aufrichtete, wobei er noch einige Zentimeter größer als der langhaarige Pilot war.
"Das ist niemandes Einfluss, mein lieber Duo. Das nennt man Sorge!"
Duos Gesichtszüge verdunkelten sich plötzlich und er sah das bestätigt, was er gerade befürchtet hatte. Sie alle begannen, sich anders ihm gegenüber zu benehmen, ihn wie ein rohes Ei zu behandeln. Sie versuchten das Leid, das ihm widerfahren war, zu kompensieren, indem sie ihn bemutterten.
"Danke, Wufei, aber mit geht es bestens. Und wage es nicht", fuhr er energisch fort, als er merkte, dass der schwarzhaarige Junge Einspruch erheben wollte. "mir irgendetwas aufzwingen zu wollen. Ich sagte schon, mir geht es gut und damit basta. Ihr braucht euch keine Sorgen um mich zu machen!"
Eine Weile herrschte Stille, bevor der Shenlongpilot sich leise räusperte und ebenso gedämpft erwiderte:
"Duo, du brauchst damit nicht alleine fertig zu werden. Wir können dir helfen, wenn du diese Hilfe nur annehmen würdest."
Der amerikanische Pilot gab ein wütendes Zischen von sich und wich einen Schritt zurück.
"Ich WILL aber keine Hilfe, ich will nicht, dass ihr mich behandelt, als wäre ich ein rohes Ei, dass ihr mich verhätschelt und bemuttert nur um eure Schuldgefühle zu befriedigen! Das brauche ich nicht und will es auch nicht! Außerdem habe ich Hilfe...ich werde damit fertig, okay?"
Das sonst so ernste Gesicht seines Mitpiloten glättete sich auf einmal, während Wufei leicht lächelte und den Kopf beugte.
"Yuy ist diese Hilfe, nicht wahr? Er ist es, dem du dich anvertraust, habe ich recht?"
"Und wenn es so wäre?", gab Duo schnippisch zurück, immer noch wütend über diese unerwartete Aufmerksamkeit, die ihm seitens des anderen Piloten zuteil geworden war.
"Dann ist es gut", fuhr Wufei unbeirrt fort, immer noch mit diesen so seltenen Lächeln auf den Lippen. "Er ist in der Lage, dir zu helfen, da bin ich mir sicher. Gemeinsam werdet ihr beiden es schaffen!"
So kitschig und verklärt romantisch sich dieser Satz auch anhörte, Duo wusste, was für eine Bedeutung dahinter steckte. Der amerikanische Pilot war sich bewusst, was Wufei damit meinte und es brachte ein Lächeln auf seine Lippen.
"Danke, Wufei", flüsterte er leise und fuhr dann etwas fester fort:
"Wo ist eigentlich Heero? Er wollte nur kurz etwas holen und dann wieder nach oben kommen, doch nun ist er schon seit fünfzehn Minuten verschwunden und ich beginne mir langsam Sorgen zu machen."
Die Stirn des chinesischen Jungen legte sich erneut in Falten und er deutete auf den kleinen Empfangsraum.
"Dr. J hat ihn abgefangen und ist mit ihm da rein gegangen. Ich weiß nicht, was die Beiden machen, aber im Moment ist es erstaunlich still."
Duos Herz machte bei diesen Worten einen schmerzhaften Hüpfer aus Angst. Was, wenn Heero sich erneut dem Wissenschaftler widersetzen würde? Was hatte Dr. J ihm schon angetan?
Der amerikanische Pilot nickte seinem Partner kurz zu und ging dann auf den kleinen Raum zu, verharrte einen Moment vor der Tür um dann einen Moment zu lauschen, bevor er lautlos die Tür öffnete und ins Zimmer schlich.
"Das ist nicht wahr!!", hörte er Heero wutentbrannt sagen und drückte sich noch enger gegen die Wand um möglichst unsichtbar zu bleiben.
"Natürlich!", donnerte der Professor mit seiner hohen Stimme, die Duo eine Gänsehaut über den ganzen Körper trieb. "Du bist unprofessionell geworden, du vernachlässigst deine Pflichten! Das ist eine Tatsache! Und alles nur wegen Maxwell! Er ist an allem Schuld! Er hat dich soweit gebracht!"
Duo schluckte schwer. Da war es wieder, dieses hämische Gefühl, an allem Schuld zu sein, nichts richtig gemacht zu haben, die Quelle des ganzen Ärgers zu sein.
"Das ist nicht wahr! Duo hat damit überhaupt nichts zu tun!", erwiderte der japanische Pilot ebenso aufgebracht und funkelte seinen Mentor bösartig an, so wie Duo es aus seinem Versteck erkennen konnte.
"Ach ja? Dann kannst du es ja auf der neuen Mission beweisen!", bemerkte Dr. J nun knurrend und Duos Herz blieb stehen.
Eine neue Mission? Für wen? Nur für Heero? Oder auch für die anderen Piloten, für ihn?
Nein, nein, das darf nicht sein, ich kann das nicht, flehte Duo stumm und hielt sich eine Hand vor den Mund, um den Entsetzenslaut, der sich seinen Weg nach draußen bahnen wollte, aufzuhalten. Doch zu spät, Heero hatte dieses winzige Geräusch bereits gehört und fuhr ruckartig um, entdeckte Duo kurz darauf in einer verborgenen Ecke an der Tür und erstarrte.
"Duo?!", fragte er schließlich ungläubig und der amerikanische Pilot merkte, wie eine Träne seine Wange hinunterfloss.
"Eine neue Mission?", flüsterte er benommen und kam auf die Beiden zu. "Jetzt? So plötzlich?"
Dr. J, der die ganze Zeit nur unbewegt dastand, nickte nun kurz und fuhr unbeirrt fort:
"Ja, und zwar für euch Beide."
Duos Herz hörte erneut auf zu schlagen und er spürte, wie ihm alle Farbe aus dem Gesicht wich. Nein, nein, das durfte nicht sein, das war nicht möglich. Er wollte es nicht mehr, konnte es nicht mehr, und nun sollte er wieder auf eine Mission? Schreckliche Bilder kamen ihm ins Gedächtnis, Bilder der vorletzten Mission, des OZ-Gefängnisses, der...
Duo keuchte entsetzt auf und schüttelte panisch den Kopf.
"Nein...nein....das kann ich nicht...nie mehr....", flüsterte er bestürzt und sah zu Heero, der besorgt auf ihn zustürzte und ihn in seine Arme nahm.
"Du wirst!", erwiderte der Wissenschaftler hart und unnachgiebig. "Ihr Beiden werdet euch nicht noch einmal meinem Befehl widersetzen!"
Doch Duo schüttelte wieder und wieder panisch den Kopf und verbarg zitternd seinen Kopf in Heeros Armen.
"Ich kann das nicht...ich kann das nicht...", flüsterte er wie eine Litanei, ein Gebet um Frieden, um Heilung seiner eigenen, geschändeten Seele und schluchzte dann verzweifelt auf.
Oh Gott, genau das hatte ich befürchtet!, dachte Heero, als er seinen weinenden Partner fest in seinen Armen wiegte und ihm beruhigende Phrasen zusprach, ganz die Anwesenheit des Doktors vergessend. Er wird das nicht überleben, dazu ist er noch nicht stark genug. Aber was soll ich tun? Wenn wir uns ihm verweigern, wird er alle Hebel in Bewegung setzen und sich an uns rächen. Doch ist das den Preis wert, den Duo bezahlen müsste, wenn er sich jetzt wieder dieser Gewalt aussetzt? Nein, eigentlich nicht!
Und uneigentlich?, mischte sich da eine wohlbekannte Stimme ein und Heero zog verärgert die Brauen zusammen.
Was willst du? Über mich spotten? Mich auch noch verhöhnen?, erwiderte er aufgebracht, doch nur ein leises Lachen antwortete ihm.
Nein, dieses Mal nicht.
Ach, und was dann?
Du musst deine Prioritäten festlegen, musst entscheiden, was wichtiger für dich ist. Der Gehorsam Dr. J gegenüber oder deine Liebe zu Duo? Danach musst du entscheiden, was du jetzt gedenkst zu tun.
Meine Liebe zu Duo, antwortete Heero fast augenblicklich und straffte unbewusst seine Schultern. Er...er hat mir so vieles gegeben, mir so vieles gezeigt. Er hat mich zu einem anderen Menschen gemacht und nun möchte ich ihm helfen.
"Wir werden nicht auf diese Mission gehen", erwiderte Heero plötzlich ruhig und bestimmt, während er Duo beruhigend über den Hinterkopf strich, als er spürte, wie dieser sich versteifte und schließlich ungläubig aufsah.
"Heero?", fragte Duo mit bebenden Lippen und löste sich von seinem Freund. "Meinst...meinst...du das ernst?"
Der japanische Pilot nickte und sah dann mit einem wütenden Funkeln in den Augen zu seinem Mentor hinüber.
"Es geht nicht, Duo schafft das noch nicht. Suchen Sie sich jemand anderen für diese Mission, wir beide werden nicht gehen."
Die Augen des Doktors verengten sich ruckartig und er zischte unkontrolliert, während er auf Heero zuging und drohend bemerkte:
"Du willst mir also wieder den Gehorsam verweigern, ja? Bist du dir auch der Konsequenzen, die das für euch beide haben wird, bewusst? Glaubst du nicht, ich wüsste, wie man mit einem rebellischem Soldaten umgeht?"
Heero lächelte verächtlich.
"Natürlich weiß ich das, Sie haben es mir oft genug gezeigt. Aber glauben Sie mir, dieses Mal werde ich mich nicht Ihrem Willen beugen! Ich werde das tun, was für Duo am Besten ist, und das wäre garantiert nicht diese Mission."
Das Funkeln in den Augen des Wissenschaftlers nahm gefährlich zu, als er scheinbar ruhig erwiderte:
"Was glaubst du, zerstörst du mit deiner Verweigerung? Glaubst du, das ist einfach so eine normale Mission? Nur so zum Spaß? Verdammt, das ist unsere beste Chance, Quinze zu vernichten, bevor er zuviel Macht bekommt und OZ zu noch mehr Kontrolle über die Erde UND den Kolonien gelangt. Du zerstörst mit deiner Weigerung die Chance auf einen Frieden, den du niemals gekannt hast! Soll ich dir sagen, woran die anderen Wissenschaftler und ich über zwei Jahrzehnte gearbeitet haben? Wir wollen keine Kämpfe mehr, kein Sterben unschuldiger Menschen! Und das zerstörst du ALLES mit deiner Weigerung! Ist es das, was du willst? Weiter Krieg führen? Weiterhin in Angst leben, jeden Moment verhaftet oder getötet zu werden? Ist es das, ja? Willst du das auch um Duos Willen?"
Die Stille, die nach Dr. Js verzweifelt ausgesprochenen Worten auf dem Raum lastete, war beinahe erdrückend. Keiner von ihnen wagte es ein Wort zu sagen, nur das heftige Atmen des Wissenschaftlers war zu vernehmen. Doch schließlich war Duo der Erste, der sich leise räusperte und fragte:
"Gibt es denn keine andere Lösung? Keinen Plan B? Müssen wir denn unbedingt jetzt gehen?"
Der Doktor sah ihn undeutbar an, dann schüttelte er den Kopf und erwiderte beinahe niedergeschlagen:
"Nein, es gibt keine. Wir haben alles Szenarios durchgespielt und sind darauf gekommen, dass ein Zögern unserer Seite uns Zeit kosten würde, wertvolle Zeit. Wir würden Monate, Jahre warten müssen, bis uns die Gelegenheit erneut in den Schoß fällt. Jetzt hat sich Quinze noch nicht vollständig als Führer von OZ bewiesen, noch nicht das ganze Vertrauen der Streitkräfte. Darum wird er jetzt auch verschiedene OZ-Basen bereisen, mit deren Kommandanten sprechen, sich Alliierte schaffen. Alles, was ihr tun müsst, wäre, ihn zu töten, um den Rest kümmern Zechs und ich uns schon."
"Basisinfiltration...", murmelte Duo fast unhörbar und schluckte schwer.
"Für Heero; für dich sähe die Mission anders aus."
Die beiden Piloten sahen überrascht hoch und Dr. J fuhr nun allmählich wieder sicherer fort:
"Du würdest an eine Universität versetzt werden und dort Daten ausspionieren. Nichts weiter. Nichts, das dich unnötig in Gefahr bringt."
Zunächst herrschte wieder Stille in dem kleinen Raum, als jeder der beiden Piloten seinen eigenen Gedanken nachhing.
Nichts, was mich unnötig in Gefahr bringt. Diese Mission ist die einzige Chance auf einen vorzeitigen Frieden, reflektierte Duo nochmal die Worte des Wissenschaftlers und seufzte lautlos. Gott, alles in mir sträubt sich, seinem Befehl Folge zu leisten und erneut gegen OZ-Soldaten zu kämpfen. Aber was soll ich tun? War es nicht immer mein Traum, frei und in Frieden zu leben? Die Kolonien in Sicherheit zu wissen? Kann ich um meines privaten Glückes Willen das alles hinwerfen und mich abwenden? Heero, den perfekten Soldaten davon abhalten, seine Mission zu erfüllen? Kann ich das, darf ich das?
Du weißt, dass bei Schulinfiltrationen normalerweise nichts schief geht, flüsterte ihm da eine Stimme aus seinem Hinterkopf zu und ließ ihn unbewusst zusammenzucken. Du weißt, dass du es schaffen kannst. Du kannst dieses Trauma überwinden, doch dazu musst du stark sein. Bist du es? Ich frage dich, bist du stark genug dafür?
Ich weiß es nicht, gab Duo kläglich zu. Ich will es nicht, aber die Aussicht auf einen Frieden, ohne Angst getötet, inhaftiert oder gefoltert zu werden....das würde es für mich wert machen, es zumindest zu versuchen.
"Kann einer der anderen Piloten nicht Duos Part übernehmen?", fragte Heero plötzlich mitten in die gespannte Stille hinein und zog damit zwei erstaunte Augenpaare auf sich.
"Nun, theoretisch wäre es möglich, doch praktisch ist Duo die effektivste Wahl. Er hat nun mal ungelogen Fähigkeiten, welche die anderen Piloten nicht haben."
"Und die wären?", hakte der japanische Pilot stirnrunzelnd nach.
"Spionage, Aufklärung, Einbruch. Alles Dinge, in denen sich Duo besser als jeder Andere von euch auskennt und die wirklich wichtig für die Missionen sind."
Heero seufzte leise und wandte sich dann zu seinem Partner.
"Duo, du musst das nicht machen, wenn du nicht willst. Du kannst dich weigern, lasse dich zu nichts zwingen!"
Blauviolette Augen sahen emotionslos auf, trafen stahlblaue, hielten sie in einem unnachgiebigem Griff fest. Heero konnte praktisch die Zweifel in diesen ausdruckslosen Tiefen sehen und wusste, dass Duo ablehnen würde. Es konnte einfach gar nicht anders sein, nachdem er so etwas erlebt hatte. Duo war zwar stark, das stimmte auf jeden Fall, doch er war noch zu traumatisiert, um erneut die Kaltblütigkeit und Souveränität aufzubringen so eine Mission hinter sich zu bringen.
Und dennoch...
"Ich...werde es versuchen...."
Diese so leise geflüsterten Worte waren für beide, sowohl Dr. J als auch Heero eine vollkommene Überraschung. Ungläubig zog der japanische Pilot seine Augenbrauen zusammen, bevor er zögernd erwiderte:
"Duo...willst du das wirklich? Wie gesagt, du musst nicht...."
Der amerikanische Junge sah plötzlich entschlossen auf und lächelte kurz, bevor er fest sagte:
"Doch, Heero, ich muss. Um der Kolonien und des Friedens Willen muss ich dieses Opfer bringen! Außerdem...außerdem.....werde ich es schaffen....ich brauche ja nicht eine Basis infiltrieren....."
Stille beherrschte für einen Moment den Raum, bevor Dr. J leise ausatmete und leicht lächelte.
"Ich wusste, dass du dich richtig entscheiden würdest, Duo, und ich bin dir sehr dankbar dafür", bemerkte er schon beinahe erleichtert und wandte sich dann zum Tisch, um in seinen Unterlagen nach einem Dokument zu suchen.
"Nun, da Duo sich entschlossen hat, an dieser Mission teilzunehmen, denke ich, dass du es auch machen wirst, habe ich recht?", fragte er Heero, ohne seinen Blick von dem Blatt Papier zu nehmen, das er gerade gefunden hatte.
Der japanische Pilot brummte nur kaum merklich zustimmend als Antwort, er war noch zu sehr in seinen eigenen, düsteren Gedanken versunken.
Ich glaube nie und nimmer, dass er das heil übersteht, dachte er grimmig. Duo ist so traumatisiert von der vorletzten Mission, dass er nicht in der Lage sein wird, mit einem klaren Kopf und wirklich rational zu handeln. Und ich kann es ihm auch nicht verdenken. Er wurde von diesen Männern, von OZ-Offizieren auf brutalste Weise misshandelt. Dass das Narben auf seiner Seele hinterlässt, ist nur zu verständlich. Gott, ich habe solche Angst um ihn, er ist so zerbrechlich. Im Moment mag es ihm zwar wieder einigermaßen gut gehen, doch ich glaube diesem Frieden nicht. Er hat doch immer noch jede Nacht Alpträume, er verletzt sich doch immer noch selber....Das sind doch deutliche Anzeichen dafür, dass ich ihn nicht alleine lassen darf, dass ich ihm helfen muss! Was, wenn wir morgen auf diese Mission müssen? Was dann?
Heero tauchte mit einem großen Unbehagen aus seinen Gedanken wieder auf und fragte Dr. J dann bestimmt:
"Wann beginnt die Mission?"
Der Wissenschaftler sah einen Moment lang verwirrt auf, dann fing er sich jedoch und antwortete:
"In zwei Wochen, auf den Tag genau."
Heero nickte kurz und versank dann wieder in seine Gedanken.
Zwei Wochen....viel zu wenig Zeit, fand er. Viel zu wenig Zeit, um dem amerikanischen Jungen sein Vertrauen in seine Mitmenschen und sein Selbstbewusstsein wiederzugeben, ihm dabei zu helfen, über das Erlebte hinwegzukommen. Heero schnaubte verächtlich. Nein, zwei Wochen würden bei weitem nicht ausreichen. Aber es war immerhin schon mehr Zeit als ein oder zwei Tage.
Ich sollte mich eigentlich glücklich schätzen, bemerkte der japanische Pilot ironisch und zog kritisch die Augenbrauen zusammen. Es ist Duos Wahl, seine alleinige. Er hat gesagt, dass er an dieser Mission teilnehmen will.
Und ich kann ihn nicht davon abhalten.
*
"Duo, alles okay?", fragte Heero besorgt, als sie schließlich den kleinen Empfangsraum verließen und er bemerkt hatte, dass der amerikanische Pilot außergewöhnlich blass schien. Kein Wunder jedoch nach den neuen Wendungen der Ereignisse.
Duo nickte kaum merklich und erwiderte dann leise:
"Ist schon okay, ich fühle mich nur noch ein bisschen schwach, das ist alles."
Heero hätte sich ohrfeigen können, als er die schwachen Worte seins Partners hörte. Natürlich musste der langhaarige Junge sich unwohl fühlen, er hatte schließlich zwei Tage lang hohes Fieber gehabt und war nun schon mit so einer Nachricht konfrontiert worden.
"Komm Duo, ich bringe dich ins Bett", erwiderte er sanft und berührte den amerikanischen Jungen leicht am Arm, worauf dieser zusammenfuhr und seinen Partner mit großen Augen ansah. Heero schluckte hörbar, während er plötzlich unsicher fragte:
"Duo....alles in Ordnung? Ich...ich wollte dir nichts tun...."
Der langhaarige Pilot sah ihn für einen Augenblick lang undeutbar an, dann versuchte er sich in einem kleinen Lächeln und erwiderte scheinbar unbeschwert:
"Geht schon, Heero. Ich war nur in Gedanken."
Und ich weiß auch ganz genau, in was für welchen, antwortete Heero ihm traurig in Gedanken. Traurig darüber, dass der amerikanische Pilot ihm nicht vertraute, sich ihm nicht anvertraute.
"Duo...wenn es dich bedrückt, kannst du es mir erzählen", bemerkte er sanft und sah in die violetten Tiefen vor sich, die sich bei seinen Worten verdächtig verdunkelten.
"Ich....ich möchte dich nicht damit belasten, Heero.....", brachte Duo schließlich flüsternd hervor. "Du hast genug Schwierigkeiten und dann komme ich und belaste dich auch noch mit meinen Sachen. Es tut mir leid, Heero, es tut mir so leid!"
"Duo, nein!", erwiderte Heero entsetzt und sah sein Gegenüber eindringlich an, während er leicht eine Hand auf Duos Schulter legte. "Es braucht dir nicht leid zu tun, weil du nichts gemacht hast! Du belastest mich doch nicht damit, oh Gott, Duo! Bitte hör auf, dir die Schuld zu geben!"
Heero sah, wie klare Tränen die Wangen seines Partners hinunterliefen und er wollte Duo gerade in eine tröstende Umarmung ziehen, als dieser leise murmelte:
"Bitte.....fass mich nicht an......"
Geschockt gehorchte der japanische Pilot der verzweifelten Bitte und rückte ein Stück von der nun zitternden Gestalt ab.
Es ist das Schlimmste auf der Welt, wenn man sieht, wie der wichtigste Mensch in seinem Leben leidet. Und das kann ich nicht ertragen! Es ist mir egal, wie sehr ich leide, doch den leiden zu sehen, den ich liebe.......nein, das kann ich nicht!
"Duo...bitte sprich mit mir! Sag mir, was dich bedrückt, rede darüber! Lass mich dir doch helfen!", bat Heero verzweifelt und war nicht gewillt, die Tränen, die sich jetzt in seinen Augen ansammelten, gehen zu lassen.
"Wieso....wieso denke ich....dass deine Berührung mir Schmerzen zufügt? Wieso....wieso habe ich Angst vor dir? Wieso liebe ich dich und bin doch nicht in der Lage es zu zeigen? Wieso....Heero?", schluchzte Duo verzweifelt, den Blick starr auf den Boden gerichtet und die Hände zu krampfhaften Fäusten geballt.
Heero schlug eine Hand vor den Mund, nicht länger fähig, seine eigenen Tränen zurückzuhalten und schluckte hart.
"Duo....ich weiß es nicht.....", flüsterte er lautlos. "Ich weiß nur, dass ich dir helfen möchte, es zu überwinden....."
"Wird....wird es denn aufhören......?"
Heero schluckte. Gott, wie konnte er Duo diese Frage beantworten, wo er doch selbst die ganze Zeit nach der Antwort suchte? Würde Duo je aufhören, sich Vorwürfe deswegen zu machen? Sich deswegen zu quälen? Würden je die Alpträume aufhören, die ihn fast jede Nacht heimsuchten?
Und dennoch....
"Ja, Duo, das wird es!", brachte Heero leise hervor. "Vertrau mir, ich werde dir helfen!"
Wie kannst du das?, schrie eine Stimme in ihm verzweifelt. Wie kannst du ihm Hoffnung machen? Nur um sie danach zu zerstören? Wie kannst du das tun??
Heero wimmerte innerlich. Ich werde ihm diese Hoffnung nicht zerstören! Das darf ich nicht und werde ich auch nicht tun!
Und wie willst du das machen?
"Duo!"
Beide, sowohl Heero als auch Duo fuhren aufgrund der fürsorglichen Stimme hoch und erkannten Quatre, der besorgt in dem großen Hausflur stand und jetzt auf sie zukam.
"Oh Duo....", flüsterte der arabische Pilot bedrückt und nahm den zitternden Jungen in seine Arme, worauf dieser ein leises Wimmern von sich ließ.
"Duo, es tut mir so leid! Shhh....", flüsterte er immer noch beruhigend und wiegte seinen Mitpiloten vorsichtig hin und her, immer wieder über sein kastanienbraunes Haar streichend.
Heero sah, wie es der blonde Junge mehr und mehr schaffte, Duo zu beruhigen und er fragte sich plötzlich, ob er etwas falsch gemacht hatte. Oder war es einfach nur Duos so tiefe Verbundenheit zu dem arabischen Jungen, die zuließ, dass er ihn berührte, ihn wiegte und ihn schließlich auch beruhigte.
"Duo...es wird alles gut......"
Der amerikanische Pilot sah mit tränennassen Wangen hoch und verzog die Lippen zu einem Lächeln, das jedoch mehr Ähnlichkeit mit einer Grimasse hatte.
"Wird es das, Quatre?", fragte er und rückte ein Stück von seinem Mitpiloten ab, um dann die Schultern zu straffen.
Beide, sowohl Heero als auch Quatre waren über den plötzlichen Stimmungsumschwung des langhaarigen Jungen nicht minder überrascht und bedachten ihn mit misstrauischen Blicken, als er fortfuhr:
"Es geht schon wieder. Macht euch keine Gedanken."
Natürliche mache ich mir die!, schrie Heero in Gedanken seinem Freund entgegen. Wie sollte ich auch nicht? Gott, Duo, merkst du denn nicht, dass du uns nicht täuschen kannst? Warum willst du unsere Hilfe nicht?
"Duo?", ertönte da Quatres fragende Stimme neben ihm und Heero konnte gerade noch sehen, wie der amerikanische Pilot die marmorne Treppe nach oben ging, und schließlich die Tür zu seinem Zimmer schloss.
Nicht auf den entsetzten Blick Quatres achtend, folgte Heero seinem Freund nach oben, blieb jedoch vor der geschlossen Tür stehen, bevor er nach einigen Augenblicken anklopfte und leise fragte:
"Duo? Darf ich hineinkommen?"
Einen Moment lang herrschte Stille, bevor Heero dann vorsichtig die Tür öffnete und Duo zusammengekauert am Fenster sitzen sah.
Bei dem Geräusch der sich öffnenden Tür hatte der amerikanische Junge den Kopf zu Heero gewandt um ihn nun aus ausdruckslosen Augen anzuschauen.
"Würdest...würdest du mich wohl bitte alleine lassen, Heero", brachte er leise hervor, die Arme noch enger um seine Knie schlingend und den Kopf darauf bettend.
"Duo...bist du sicher...."
"Ja, bin ich", unterbrach der langhaarige Junge seinen Partner. "Ich möchte jetzt einfach nur alleine sein. Bitte, Heero....."
Es dauerte einen Augenblick, bevor der japanische Pilot nickte und sanft erwiderte:
"Wenn etwas ist...ich bin unten...."
Damit drehte er sich um und verließ niedergeschlagen den Raum um sich auf die Terrasse zu setzen, die direkt an den Salon angeschlossen war.
Das wird in einer Katastrophe enden, dachte Heero abwesend. Duo ist noch nicht fähig, diese Mission zu bestreiten, egal, was er behauptet. Er wird dem psychischen Druck nicht standhalten können.
Er ist ein Gundampilot. Er kann das.
Nein, davon bin ich nicht überzeugt. Das, was er erlebt hat, ist zu tiefgreifend, als dass es ein überlegtes und kaltes Handeln möglich macht.
Dann muss er es wieder lernen.
Ach, wie denn?, fragte Heero aufgebracht zurück. Hast du irgendwelche Lösungen? Vorschläge? Ich nicht!
Glaube mir, er wird es schaffen.
Natürlich....
Habe Vertrauen in ihn. Helfe ihm dabei.
Heero seufzte und richtete seinen Blick auf die bunten Herbstblätter der Bäume, die sich sanft ihm Wind wiegten.
Ich versuche es mit allem, was ich habe. Doch wird es genug sein?
Er schlug die Augen auf. Und stutzte gleichermaßen überrascht und fasziniert.
Duo hatte sich während des Schlafes halb auf ihn gerollt, die langen weichen kastanienbraunen Strähnen lose über sie beide gebreitet, die Beine mit seinen verwoben und gab nun kleine schnuckende Schlafgeräusche von sich.
Heero blickte in das friedliche Gesicht seines Freundes und eine Welle der Erleichterung und des Glücksgefühls durchfuhr ihn. Er hob vorsichtig eine Hand, um dem amerikanischen Jungen eine der widerspenstigen Fransen aus dem Gesicht zu streichen, immer darauf bedacht, diesen Engel nicht aufzuwecken, ihn weiter so sanft und friedlich schlafen zu lassen.
Könnte es doch immer so sein, seufzte Heero in sich hinein. Das Paradies...ja, so stelle ich mir das Paradies vor...
Die kleinen, wohligen Schlafgeräusche nahmen zu und Heero warf einen Blick hinunter. Er hob erstaunt eine Augenbraue, als er feststellte, WAS diese Laute ausgelöst hatte.
Er nuckelt an meinem Daumen?!, fragte der japanische Pilot sich schon beinahe geschockt. An MEINEM Daumen?!
Dann lachte Heero, zuerst unterdrückt, kaum merklich, nach einiger Zeit jedoch immer deutlicher. Nicht laut, eigentlich nur als Beben seines Brustkorbes erkennbar, doch er lachte, so frei wie seit langem nicht mehr. Dennoch schien Duo diese unwillkommene Störung nicht zu gefallen, denn Heeros Finger rutschte zwischen die Backenzähne, wo Duo seine Kiefer kräftig aufeinander trieb, was dem Wingpiloten noch zusätzlich zu seinem Lachanfall vor Schmerzen die Tränen in die Augen trieb.
"Duo....", flüsterte er sanft und strich dem Deathscythepiloten sanft über die Wange, worauf der Finger wieder ein Stück freigegeben wurde und der langhaarige Junge leise schmatzte.
Heero wischte sich mit einem immer noch breitem Lächeln die Tränen aus den Augen und verlagerte unmerklich sein Gewicht, damit Duo jetzt nicht mehr so sehr auf ihm lastete.
Oh Gott, wenn er hier so liegt, so unschuldig, so rein.....wenn er wüsste, wie erotisch er aussieht....., dachte Heero benommen und betrachtete die kastanienbraunen Haarsträhnen, die sanft das einfallende Sonnenlicht wiederspiegelten.
Zeit für die Hormooooone!!!!
Heero fluchte stumm ob der gehässigen Stimme in seinem Hinterkopf und bemerkte den Bruchteil einer Sekunde später, wie diese "Hormone" sich auch schon bemerkbar machten.
Nein!, rief er wütend seinem ES zu. Nicht jetzt, nicht bei Duo! Wenn er jetzt aufwacht, wenn er das sieht, dann......
Das soll er auch! Was meinst du, was der ganze Sinn der Sache ist, mein Lieber?, war die hämische Antwort und Heero kämpfte mit aller Macht darum, seine Selbstkontrolle zu behalten und möglichst unschöne Gedanken zu denken.
Worauf er schließlich bei Relena und ihren Annäherungsversuchen landete.
Gute Wahl, bestätigte der japanische Pilot sich selbst, als er merkte, dass langsam aber sicher alle unerwünschten Gefühle zurückkehrten und einem beruhigenden friedlichen warmen Pulsieren Platz machten.
So es ist schon besser, seufzte Heero zufrieden auf und schloss seine Arme hauchzart um seinen schlanken Partner.
"Duo, ich liebe dich, werde es immer tun. Und egal wie lange es dauert, ich werde auf dich warten, werde dich zu nichts zwingen, nie, Duo. Das schwöre ich dir!"
"Ich danke dir, Heero."
Heeros Herz setzte für einen Moment aus und er sah seinen Partner ruckartig an.
"Du bist WACH?", fragte er beinahe entgeistert und der amerikanische Pilot lächelte leicht.
"Ja, schon seitdem du gelacht hast."
Heero spürte, wie sich eine Schicht leichter Röte über sein Gesicht legte und er verlegen hustete.
"Duo....ich...."
"Ich weiß Heero", unterbrach der langhaarige Junge seinen Partner und legte das Kinn auf Heeros Brust. "Aber du brauchst dich für nichts zu entschuldigen. Ich weiß, dass du mich liebst, habe es zwar zuerst nur gehofft, doch jetzt weiß ich es. Und das..." Duo ließ seinen Kopf zur Seite fallen, sodass Heero das zarte Fleisch seiner Wange an seiner nackten Haut spüren konnte. "...gibt mir Kraft, lässt mich vergessen, was geschehen ist....lässt es langsam verschwinden...."
Heero durchrann ein Schauer des Wohlbehagens. Wie sehr hatte er sich darum bemüht, den anderen Jungen dazu zu bringen, diese schrecklichen Ereignisse hinter sich zu lassen und zu überwinden. Und wie schön war es jetzt, die ersten Früchte dieses Bemühens sehen zu können. Sehen zu können, dass der amerikanische Pilot keine Angst davor hatte, ihn zu berühren, seine Wange auf seine Brust zu legen. Und genau wie dieses würde auch langsam das Vertrauen des Deathscythepiloten stärker werden.
Der japanische Pilot strich sanft mit seiner Hand über die Wange seines Partners und lächelte dann leicht.
"Das ist schön, Duo....das ist schön....."
Auch der langhaarige Junge lächelte darauf und schloss seine Augen um schließlich friedlich zu murmeln:
"Irgendwann, Heero....irgendwann....."
*
Quatre seufzte leise und machte sich dann auf den Weg nach oben. Wenn er es sich ehrlich eingestand, machte er sich große Sorgen um Heero und Duo, besonders um Duo. Was der amerikanische Pilot hatte ertragen müssen, war ihm immer noch ein Greul. Wie bei Gott konnten Menschen anderen so etwas antun? Wie nur?
Ich habe Angst, dass Duo sich etwas antut, seufzte Quatre lautlos und resümierte damit seine Gedanken. Er hat sich so verändert in der letzten Zeit, dass es mir Angst macht. Ich hoffe, Heero passt auf ihn auf.
Der arabische Pilot blieb stehen und legte sein Ohr an die hölzerne Tür. Da war nichts, keine Geräusche. Was Quatre erhebliche Sorgen machte, so klopfte er leise und öffnete dann die Tür, nur um gleich darauf zu erstarren.
Heero lag auf dem Bett, Duo auf ihm, vertrauensvoll die Wange auf seine Brust gelegt, beide schienen ihren Frieden gefunden zu haben, so entspannt sahen sie aus. Doch jetzt, wo Quatre eintrat, fuhren zwei Köpfe ruckartig in seine Richtung und sahen den Sandrockpiloten milde geschockt an. Schließlich war es Heero, der zuerst seine Sprache wiederfand und fragte:
"Was willst du hier, Quatre?"
Der blonde Junge schluckte hörbar und erwiderte heiser:
"Ich...habe mir Sorgen um euch gemacht und wollte sehen, wie es euch geht."
Ein kurzes Nicken war das Einzige, was er von Heero als Reaktion bekam, während Duo leicht lächelte und sagte:
"Danke Quatre, es geht. Wir kommen gleich runter!"
Der blonde Pilot nickte darauf kurz und verschwand mit einer hastig gemurmelten Entschuldigung aus dem Zimmer.
*
Duo seufzte kurz als Quatre das Zimmer verlassen hatte.
"Es sieht so aus, als ob wir wirklich aufstehen sollten", murmelte er und glitt von Heero herunter um aufzustehen, wurde dann jedoch von seinem Partner festgehalten.
"Duo....du bist noch zu schwach, du solltest noch liegen bleiben!", sagte dieser ernst und sah ihn mit einem undurchdringlichen Blick an.
"Es geht schon, Heero. Mir geht es bestens, ich bin wieder gesund und nicht so schwach wie du denkst", erwiderte Duo plötzlich verstimmt darüber, wie ein kleines Kind behandelt zu werden und Heero atmete geräuschvoll aus.
"Duo, du warst zwei Tage lang bewusstlos, du musst dich wirklich ausruhen!"
Der amerikanische Pilot sah seinen Partner einfach nur an, dann bemerkte er den eisernen Willen, ihn nicht aus dieser Tür gehen zu lassen und nickte schließlich.
"Gut, wie du willst, Heero."
Der kurzhaarige Junge nickte knapp und stand dann auf, um sich anzuziehen und über seine Schulter zu rufen:
"Ich hole etwas zu essen", bevor er das Zimmer verließ und einen nachdenklichen Duo Maxwell zurückließ.
Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, verschwand auch der letzte Rest eines Lächelns von Duos Gesicht.
Während des kurzen Gespräches mit Heero vorhin hatte er sich an alles erinnert. An alles, was vor seinem Zusammenbruch passiert war.
Sie alle wissen, was sie....was sie mit mir gemacht haben...., dachte er abwesend und fröstelte. Ich kann sie schon spüren, die Blicke voller Mitleid, voller Sorge, kann die Fragen hören, die sie mir stellen werden. ´Geht es dir gut, Duo?´, ´Ist alles in Ordnung, Duo?´, ´Kann ich dir irgendwie helfen, Duo?´. Aber ich will das alles nicht. Genauso wenig wie ich weiter kämpfen will. Ich habe Angst davor, panische Angst und ich weiß nicht, was ich dagegen machen soll. Ich habe ehrlich Angst davor, dass Dr. J sagt, wir hätten eine neue Mission. Infiltration, Beobachtung, dann das Zuschlagen, der Kampf gegen die Soldaten.
Ohne dass Duo es sich weiter bewusst war, sank er immer tiefer in seine Erinnerungen zu dem Tag, an dem er von Soldaten gefangengenommen und in diese dunkle, kalte Zelle gesperrt wurde, an dem Tag, als....als er....
Tränen der Verzweiflung rannen über Duos Wangen, erzeugten kleine Geräusche als sie auf die Decke auftrafen. Kleine nasse Kreise auf madeirablauem Satin.
Und Duo hörte wieder die Stimmen, die ihn fast jede Nacht verfolgten, verhöhnten, seine Demütigung noch mehr vorantrieben.
Wie hat es meinem Spielzeug gefallen?
Nein, NEIN!, keuchte der amerikanische Junge entsetzt. Es hat mir nicht gefallen! Nie!
Hure! Nichts weiter! Das ist es, was du bist!
Oh Gott.....das ist nicht wahr!
Du solltest deine Haare offen tragen, offen und in Locken, meine kleine Hure!
Duo stöhnte verzweifelt auf und hielt sich seinen Kopf.
Immer mein, das ist es, was du bist!
Duo schrie wütend auf.
Nie, NIEMALS! Du bist tot und ich lebe! Ich habe dich umgebracht, ich bin nicht mehr dein! Ich gehöre dir nicht, niemandem, ich gehöre MIR!, fuhr er seinen imaginären Feind an und knurrte böse. Niemand wird mich je besitzen!
Er bemerkte plötzlich, wie rasend sein Herz und sein Atem ging und bemühte sich, sich langsam zu beruhigen, die Gedanken zu verdrängen, die ihm soviel Schmerz bereiteten.
Heero hat gesagt, dass ich es überwinden soll. Und genau das werde ich auch versuchen. Sie sind tot, sie können mir nichts mehr tun!, versuchte er sich selbst Mut zu machen, worauf ihm jedoch prompt eine hämische Stimme antwortete:
Aber andere Soldaten nicht, die genauso böse sind.
Duo erstarrte und versuchte, das Zittern, das seinen Körper durchlief, zu unterdrücken.
Ich werde sie nicht an mich heranlassen! Ich werde den Kampf vermeiden!
Kannst du das denn?
Duo wimmerte auf. Er wusste, er konnte es nicht, würde es nicht verhindern können, wenn sie ihn erneut gefangennehmen würden. Er würde genauso wehrlos sein, wie....wie beim ersten Mal.
Ich will nicht mehr! Nicht mehr kämpfen, nicht mehr mit aller Kraft versuchen, den Krieg zu beenden, ich will keine Menschen mehr töten, nicht mehr selbst leiden! Ist das denn zuviel verlangt?
Du bist ein Gundampilot. Du weißt, was deine Pflichten sind und dass du dich ihnen nicht entziehen kannst. Du musst durchhalten, bis es vorbei ist!
Und wenn ich nicht mehr den Willen dazu habe?
Dann lass dich von ihnen töten, beende dein ach so jämmerliches Dasein doch! Ich denke, du bist eine Kämpfernatur! Was ist aus dir geworden? Willst du denen wirklich den Sieg überlassen? Nachdem du sie getötet hast? Bist du so bemitleidenswert?
Duo schüttelte blind den Kopf.
Nein, nein, ich bin nicht schwach! Ich kann kämpfen....werde kämpfen....aber wenn sie....
Verhindere es! Lass sie nicht an dich herankommen!
Die Stimme schwieg eine Weile, ließ die Worte auf Duo wirken, bevor sie fortfuhr:
Und du hast Hilfe. Du musst sie nur akzeptieren. Du hast Yuy.
Duo nickte und lächelte leicht. Warum war ihm erst gerade aufgefallen, was der japanische Pilot alles in den letzten Tagen für ihn getan hatte? Hatte er nicht sogar seine stoische Maske aufgegeben, seinen Schutz, damit er Duo helfen konnte? Hatte er nicht alles getan, um Duo vor den Dämonen zu schützen? Hatte er das alles nicht aus LIEBE getan?
Gott, wie oft habe ich mich danach gesehnt, dass er meine Gefühle erwidern würde? Wie oft habe ich ihn bis zum Äußersten gereizt, nur um IRGENDEINE Reaktion zu bekommen? Doch nun, wo er tatsächlich die gleichen Gefühle für mich hegt, wie ich für ihn, kann ich sie nicht erwidern. Aus Angst, aus Verzweiflung, aus was weiß ich auch immer. Und er hat mir gesagt, dass er warten wird. Solange es auch dauern mag. Er hat mir ein Versprechen gegeben. Ein Versprechen, das er auch einlösen wird.
Duo seufzte leicht und sah dann auf, um stirnrunzelnd festzustellen, dass Heero schon über zehn Minuten weg war. Erstaunt über diese Ungewohntheit, machte Duo sich daran, Heeros Rat nun doch nicht zu befolgen und aufzustehen, sich anzuziehen und langsam und unsicher nach unten zu schleichen.
*
"Maxwell!"
Der amerikanische Pilot zuckte zusammen und drehte sich zu der strengen Stimme um, Wufei erblickend, der mit zusammengezogenen Augenbrauen vor ihm stand und gerade die Arme verschränkte.
"Was machst du hier unten? Ich denke, du solltest im Bett bleiben!"
Duo grinste schief und erwiderte spöttisch:
"Seid wann bist du so eine Glucke, Wuffie? Ist das alles Zechs´ Einfluss?"
Der chinesische Junge zog verärgert über Duos Worte die Augenbrauen zusammen und kam dann ein Stück auf ihn zu, bis er kurz vor ihm stehenblieb und sich zu seiner vollen Größe aufrichtete, wobei er noch einige Zentimeter größer als der langhaarige Pilot war.
"Das ist niemandes Einfluss, mein lieber Duo. Das nennt man Sorge!"
Duos Gesichtszüge verdunkelten sich plötzlich und er sah das bestätigt, was er gerade befürchtet hatte. Sie alle begannen, sich anders ihm gegenüber zu benehmen, ihn wie ein rohes Ei zu behandeln. Sie versuchten das Leid, das ihm widerfahren war, zu kompensieren, indem sie ihn bemutterten.
"Danke, Wufei, aber mit geht es bestens. Und wage es nicht", fuhr er energisch fort, als er merkte, dass der schwarzhaarige Junge Einspruch erheben wollte. "mir irgendetwas aufzwingen zu wollen. Ich sagte schon, mir geht es gut und damit basta. Ihr braucht euch keine Sorgen um mich zu machen!"
Eine Weile herrschte Stille, bevor der Shenlongpilot sich leise räusperte und ebenso gedämpft erwiderte:
"Duo, du brauchst damit nicht alleine fertig zu werden. Wir können dir helfen, wenn du diese Hilfe nur annehmen würdest."
Der amerikanische Pilot gab ein wütendes Zischen von sich und wich einen Schritt zurück.
"Ich WILL aber keine Hilfe, ich will nicht, dass ihr mich behandelt, als wäre ich ein rohes Ei, dass ihr mich verhätschelt und bemuttert nur um eure Schuldgefühle zu befriedigen! Das brauche ich nicht und will es auch nicht! Außerdem habe ich Hilfe...ich werde damit fertig, okay?"
Das sonst so ernste Gesicht seines Mitpiloten glättete sich auf einmal, während Wufei leicht lächelte und den Kopf beugte.
"Yuy ist diese Hilfe, nicht wahr? Er ist es, dem du dich anvertraust, habe ich recht?"
"Und wenn es so wäre?", gab Duo schnippisch zurück, immer noch wütend über diese unerwartete Aufmerksamkeit, die ihm seitens des anderen Piloten zuteil geworden war.
"Dann ist es gut", fuhr Wufei unbeirrt fort, immer noch mit diesen so seltenen Lächeln auf den Lippen. "Er ist in der Lage, dir zu helfen, da bin ich mir sicher. Gemeinsam werdet ihr beiden es schaffen!"
So kitschig und verklärt romantisch sich dieser Satz auch anhörte, Duo wusste, was für eine Bedeutung dahinter steckte. Der amerikanische Pilot war sich bewusst, was Wufei damit meinte und es brachte ein Lächeln auf seine Lippen.
"Danke, Wufei", flüsterte er leise und fuhr dann etwas fester fort:
"Wo ist eigentlich Heero? Er wollte nur kurz etwas holen und dann wieder nach oben kommen, doch nun ist er schon seit fünfzehn Minuten verschwunden und ich beginne mir langsam Sorgen zu machen."
Die Stirn des chinesischen Jungen legte sich erneut in Falten und er deutete auf den kleinen Empfangsraum.
"Dr. J hat ihn abgefangen und ist mit ihm da rein gegangen. Ich weiß nicht, was die Beiden machen, aber im Moment ist es erstaunlich still."
Duos Herz machte bei diesen Worten einen schmerzhaften Hüpfer aus Angst. Was, wenn Heero sich erneut dem Wissenschaftler widersetzen würde? Was hatte Dr. J ihm schon angetan?
Der amerikanische Pilot nickte seinem Partner kurz zu und ging dann auf den kleinen Raum zu, verharrte einen Moment vor der Tür um dann einen Moment zu lauschen, bevor er lautlos die Tür öffnete und ins Zimmer schlich.
"Das ist nicht wahr!!", hörte er Heero wutentbrannt sagen und drückte sich noch enger gegen die Wand um möglichst unsichtbar zu bleiben.
"Natürlich!", donnerte der Professor mit seiner hohen Stimme, die Duo eine Gänsehaut über den ganzen Körper trieb. "Du bist unprofessionell geworden, du vernachlässigst deine Pflichten! Das ist eine Tatsache! Und alles nur wegen Maxwell! Er ist an allem Schuld! Er hat dich soweit gebracht!"
Duo schluckte schwer. Da war es wieder, dieses hämische Gefühl, an allem Schuld zu sein, nichts richtig gemacht zu haben, die Quelle des ganzen Ärgers zu sein.
"Das ist nicht wahr! Duo hat damit überhaupt nichts zu tun!", erwiderte der japanische Pilot ebenso aufgebracht und funkelte seinen Mentor bösartig an, so wie Duo es aus seinem Versteck erkennen konnte.
"Ach ja? Dann kannst du es ja auf der neuen Mission beweisen!", bemerkte Dr. J nun knurrend und Duos Herz blieb stehen.
Eine neue Mission? Für wen? Nur für Heero? Oder auch für die anderen Piloten, für ihn?
Nein, nein, das darf nicht sein, ich kann das nicht, flehte Duo stumm und hielt sich eine Hand vor den Mund, um den Entsetzenslaut, der sich seinen Weg nach draußen bahnen wollte, aufzuhalten. Doch zu spät, Heero hatte dieses winzige Geräusch bereits gehört und fuhr ruckartig um, entdeckte Duo kurz darauf in einer verborgenen Ecke an der Tür und erstarrte.
"Duo?!", fragte er schließlich ungläubig und der amerikanische Pilot merkte, wie eine Träne seine Wange hinunterfloss.
"Eine neue Mission?", flüsterte er benommen und kam auf die Beiden zu. "Jetzt? So plötzlich?"
Dr. J, der die ganze Zeit nur unbewegt dastand, nickte nun kurz und fuhr unbeirrt fort:
"Ja, und zwar für euch Beide."
Duos Herz hörte erneut auf zu schlagen und er spürte, wie ihm alle Farbe aus dem Gesicht wich. Nein, nein, das durfte nicht sein, das war nicht möglich. Er wollte es nicht mehr, konnte es nicht mehr, und nun sollte er wieder auf eine Mission? Schreckliche Bilder kamen ihm ins Gedächtnis, Bilder der vorletzten Mission, des OZ-Gefängnisses, der...
Duo keuchte entsetzt auf und schüttelte panisch den Kopf.
"Nein...nein....das kann ich nicht...nie mehr....", flüsterte er bestürzt und sah zu Heero, der besorgt auf ihn zustürzte und ihn in seine Arme nahm.
"Du wirst!", erwiderte der Wissenschaftler hart und unnachgiebig. "Ihr Beiden werdet euch nicht noch einmal meinem Befehl widersetzen!"
Doch Duo schüttelte wieder und wieder panisch den Kopf und verbarg zitternd seinen Kopf in Heeros Armen.
"Ich kann das nicht...ich kann das nicht...", flüsterte er wie eine Litanei, ein Gebet um Frieden, um Heilung seiner eigenen, geschändeten Seele und schluchzte dann verzweifelt auf.
Oh Gott, genau das hatte ich befürchtet!, dachte Heero, als er seinen weinenden Partner fest in seinen Armen wiegte und ihm beruhigende Phrasen zusprach, ganz die Anwesenheit des Doktors vergessend. Er wird das nicht überleben, dazu ist er noch nicht stark genug. Aber was soll ich tun? Wenn wir uns ihm verweigern, wird er alle Hebel in Bewegung setzen und sich an uns rächen. Doch ist das den Preis wert, den Duo bezahlen müsste, wenn er sich jetzt wieder dieser Gewalt aussetzt? Nein, eigentlich nicht!
Und uneigentlich?, mischte sich da eine wohlbekannte Stimme ein und Heero zog verärgert die Brauen zusammen.
Was willst du? Über mich spotten? Mich auch noch verhöhnen?, erwiderte er aufgebracht, doch nur ein leises Lachen antwortete ihm.
Nein, dieses Mal nicht.
Ach, und was dann?
Du musst deine Prioritäten festlegen, musst entscheiden, was wichtiger für dich ist. Der Gehorsam Dr. J gegenüber oder deine Liebe zu Duo? Danach musst du entscheiden, was du jetzt gedenkst zu tun.
Meine Liebe zu Duo, antwortete Heero fast augenblicklich und straffte unbewusst seine Schultern. Er...er hat mir so vieles gegeben, mir so vieles gezeigt. Er hat mich zu einem anderen Menschen gemacht und nun möchte ich ihm helfen.
"Wir werden nicht auf diese Mission gehen", erwiderte Heero plötzlich ruhig und bestimmt, während er Duo beruhigend über den Hinterkopf strich, als er spürte, wie dieser sich versteifte und schließlich ungläubig aufsah.
"Heero?", fragte Duo mit bebenden Lippen und löste sich von seinem Freund. "Meinst...meinst...du das ernst?"
Der japanische Pilot nickte und sah dann mit einem wütenden Funkeln in den Augen zu seinem Mentor hinüber.
"Es geht nicht, Duo schafft das noch nicht. Suchen Sie sich jemand anderen für diese Mission, wir beide werden nicht gehen."
Die Augen des Doktors verengten sich ruckartig und er zischte unkontrolliert, während er auf Heero zuging und drohend bemerkte:
"Du willst mir also wieder den Gehorsam verweigern, ja? Bist du dir auch der Konsequenzen, die das für euch beide haben wird, bewusst? Glaubst du nicht, ich wüsste, wie man mit einem rebellischem Soldaten umgeht?"
Heero lächelte verächtlich.
"Natürlich weiß ich das, Sie haben es mir oft genug gezeigt. Aber glauben Sie mir, dieses Mal werde ich mich nicht Ihrem Willen beugen! Ich werde das tun, was für Duo am Besten ist, und das wäre garantiert nicht diese Mission."
Das Funkeln in den Augen des Wissenschaftlers nahm gefährlich zu, als er scheinbar ruhig erwiderte:
"Was glaubst du, zerstörst du mit deiner Verweigerung? Glaubst du, das ist einfach so eine normale Mission? Nur so zum Spaß? Verdammt, das ist unsere beste Chance, Quinze zu vernichten, bevor er zuviel Macht bekommt und OZ zu noch mehr Kontrolle über die Erde UND den Kolonien gelangt. Du zerstörst mit deiner Weigerung die Chance auf einen Frieden, den du niemals gekannt hast! Soll ich dir sagen, woran die anderen Wissenschaftler und ich über zwei Jahrzehnte gearbeitet haben? Wir wollen keine Kämpfe mehr, kein Sterben unschuldiger Menschen! Und das zerstörst du ALLES mit deiner Weigerung! Ist es das, was du willst? Weiter Krieg führen? Weiterhin in Angst leben, jeden Moment verhaftet oder getötet zu werden? Ist es das, ja? Willst du das auch um Duos Willen?"
Die Stille, die nach Dr. Js verzweifelt ausgesprochenen Worten auf dem Raum lastete, war beinahe erdrückend. Keiner von ihnen wagte es ein Wort zu sagen, nur das heftige Atmen des Wissenschaftlers war zu vernehmen. Doch schließlich war Duo der Erste, der sich leise räusperte und fragte:
"Gibt es denn keine andere Lösung? Keinen Plan B? Müssen wir denn unbedingt jetzt gehen?"
Der Doktor sah ihn undeutbar an, dann schüttelte er den Kopf und erwiderte beinahe niedergeschlagen:
"Nein, es gibt keine. Wir haben alles Szenarios durchgespielt und sind darauf gekommen, dass ein Zögern unserer Seite uns Zeit kosten würde, wertvolle Zeit. Wir würden Monate, Jahre warten müssen, bis uns die Gelegenheit erneut in den Schoß fällt. Jetzt hat sich Quinze noch nicht vollständig als Führer von OZ bewiesen, noch nicht das ganze Vertrauen der Streitkräfte. Darum wird er jetzt auch verschiedene OZ-Basen bereisen, mit deren Kommandanten sprechen, sich Alliierte schaffen. Alles, was ihr tun müsst, wäre, ihn zu töten, um den Rest kümmern Zechs und ich uns schon."
"Basisinfiltration...", murmelte Duo fast unhörbar und schluckte schwer.
"Für Heero; für dich sähe die Mission anders aus."
Die beiden Piloten sahen überrascht hoch und Dr. J fuhr nun allmählich wieder sicherer fort:
"Du würdest an eine Universität versetzt werden und dort Daten ausspionieren. Nichts weiter. Nichts, das dich unnötig in Gefahr bringt."
Zunächst herrschte wieder Stille in dem kleinen Raum, als jeder der beiden Piloten seinen eigenen Gedanken nachhing.
Nichts, was mich unnötig in Gefahr bringt. Diese Mission ist die einzige Chance auf einen vorzeitigen Frieden, reflektierte Duo nochmal die Worte des Wissenschaftlers und seufzte lautlos. Gott, alles in mir sträubt sich, seinem Befehl Folge zu leisten und erneut gegen OZ-Soldaten zu kämpfen. Aber was soll ich tun? War es nicht immer mein Traum, frei und in Frieden zu leben? Die Kolonien in Sicherheit zu wissen? Kann ich um meines privaten Glückes Willen das alles hinwerfen und mich abwenden? Heero, den perfekten Soldaten davon abhalten, seine Mission zu erfüllen? Kann ich das, darf ich das?
Du weißt, dass bei Schulinfiltrationen normalerweise nichts schief geht, flüsterte ihm da eine Stimme aus seinem Hinterkopf zu und ließ ihn unbewusst zusammenzucken. Du weißt, dass du es schaffen kannst. Du kannst dieses Trauma überwinden, doch dazu musst du stark sein. Bist du es? Ich frage dich, bist du stark genug dafür?
Ich weiß es nicht, gab Duo kläglich zu. Ich will es nicht, aber die Aussicht auf einen Frieden, ohne Angst getötet, inhaftiert oder gefoltert zu werden....das würde es für mich wert machen, es zumindest zu versuchen.
"Kann einer der anderen Piloten nicht Duos Part übernehmen?", fragte Heero plötzlich mitten in die gespannte Stille hinein und zog damit zwei erstaunte Augenpaare auf sich.
"Nun, theoretisch wäre es möglich, doch praktisch ist Duo die effektivste Wahl. Er hat nun mal ungelogen Fähigkeiten, welche die anderen Piloten nicht haben."
"Und die wären?", hakte der japanische Pilot stirnrunzelnd nach.
"Spionage, Aufklärung, Einbruch. Alles Dinge, in denen sich Duo besser als jeder Andere von euch auskennt und die wirklich wichtig für die Missionen sind."
Heero seufzte leise und wandte sich dann zu seinem Partner.
"Duo, du musst das nicht machen, wenn du nicht willst. Du kannst dich weigern, lasse dich zu nichts zwingen!"
Blauviolette Augen sahen emotionslos auf, trafen stahlblaue, hielten sie in einem unnachgiebigem Griff fest. Heero konnte praktisch die Zweifel in diesen ausdruckslosen Tiefen sehen und wusste, dass Duo ablehnen würde. Es konnte einfach gar nicht anders sein, nachdem er so etwas erlebt hatte. Duo war zwar stark, das stimmte auf jeden Fall, doch er war noch zu traumatisiert, um erneut die Kaltblütigkeit und Souveränität aufzubringen so eine Mission hinter sich zu bringen.
Und dennoch...
"Ich...werde es versuchen...."
Diese so leise geflüsterten Worte waren für beide, sowohl Dr. J als auch Heero eine vollkommene Überraschung. Ungläubig zog der japanische Pilot seine Augenbrauen zusammen, bevor er zögernd erwiderte:
"Duo...willst du das wirklich? Wie gesagt, du musst nicht...."
Der amerikanische Junge sah plötzlich entschlossen auf und lächelte kurz, bevor er fest sagte:
"Doch, Heero, ich muss. Um der Kolonien und des Friedens Willen muss ich dieses Opfer bringen! Außerdem...außerdem.....werde ich es schaffen....ich brauche ja nicht eine Basis infiltrieren....."
Stille beherrschte für einen Moment den Raum, bevor Dr. J leise ausatmete und leicht lächelte.
"Ich wusste, dass du dich richtig entscheiden würdest, Duo, und ich bin dir sehr dankbar dafür", bemerkte er schon beinahe erleichtert und wandte sich dann zum Tisch, um in seinen Unterlagen nach einem Dokument zu suchen.
"Nun, da Duo sich entschlossen hat, an dieser Mission teilzunehmen, denke ich, dass du es auch machen wirst, habe ich recht?", fragte er Heero, ohne seinen Blick von dem Blatt Papier zu nehmen, das er gerade gefunden hatte.
Der japanische Pilot brummte nur kaum merklich zustimmend als Antwort, er war noch zu sehr in seinen eigenen, düsteren Gedanken versunken.
Ich glaube nie und nimmer, dass er das heil übersteht, dachte er grimmig. Duo ist so traumatisiert von der vorletzten Mission, dass er nicht in der Lage sein wird, mit einem klaren Kopf und wirklich rational zu handeln. Und ich kann es ihm auch nicht verdenken. Er wurde von diesen Männern, von OZ-Offizieren auf brutalste Weise misshandelt. Dass das Narben auf seiner Seele hinterlässt, ist nur zu verständlich. Gott, ich habe solche Angst um ihn, er ist so zerbrechlich. Im Moment mag es ihm zwar wieder einigermaßen gut gehen, doch ich glaube diesem Frieden nicht. Er hat doch immer noch jede Nacht Alpträume, er verletzt sich doch immer noch selber....Das sind doch deutliche Anzeichen dafür, dass ich ihn nicht alleine lassen darf, dass ich ihm helfen muss! Was, wenn wir morgen auf diese Mission müssen? Was dann?
Heero tauchte mit einem großen Unbehagen aus seinen Gedanken wieder auf und fragte Dr. J dann bestimmt:
"Wann beginnt die Mission?"
Der Wissenschaftler sah einen Moment lang verwirrt auf, dann fing er sich jedoch und antwortete:
"In zwei Wochen, auf den Tag genau."
Heero nickte kurz und versank dann wieder in seine Gedanken.
Zwei Wochen....viel zu wenig Zeit, fand er. Viel zu wenig Zeit, um dem amerikanischen Jungen sein Vertrauen in seine Mitmenschen und sein Selbstbewusstsein wiederzugeben, ihm dabei zu helfen, über das Erlebte hinwegzukommen. Heero schnaubte verächtlich. Nein, zwei Wochen würden bei weitem nicht ausreichen. Aber es war immerhin schon mehr Zeit als ein oder zwei Tage.
Ich sollte mich eigentlich glücklich schätzen, bemerkte der japanische Pilot ironisch und zog kritisch die Augenbrauen zusammen. Es ist Duos Wahl, seine alleinige. Er hat gesagt, dass er an dieser Mission teilnehmen will.
Und ich kann ihn nicht davon abhalten.
*
"Duo, alles okay?", fragte Heero besorgt, als sie schließlich den kleinen Empfangsraum verließen und er bemerkt hatte, dass der amerikanische Pilot außergewöhnlich blass schien. Kein Wunder jedoch nach den neuen Wendungen der Ereignisse.
Duo nickte kaum merklich und erwiderte dann leise:
"Ist schon okay, ich fühle mich nur noch ein bisschen schwach, das ist alles."
Heero hätte sich ohrfeigen können, als er die schwachen Worte seins Partners hörte. Natürlich musste der langhaarige Junge sich unwohl fühlen, er hatte schließlich zwei Tage lang hohes Fieber gehabt und war nun schon mit so einer Nachricht konfrontiert worden.
"Komm Duo, ich bringe dich ins Bett", erwiderte er sanft und berührte den amerikanischen Jungen leicht am Arm, worauf dieser zusammenfuhr und seinen Partner mit großen Augen ansah. Heero schluckte hörbar, während er plötzlich unsicher fragte:
"Duo....alles in Ordnung? Ich...ich wollte dir nichts tun...."
Der langhaarige Pilot sah ihn für einen Augenblick lang undeutbar an, dann versuchte er sich in einem kleinen Lächeln und erwiderte scheinbar unbeschwert:
"Geht schon, Heero. Ich war nur in Gedanken."
Und ich weiß auch ganz genau, in was für welchen, antwortete Heero ihm traurig in Gedanken. Traurig darüber, dass der amerikanische Pilot ihm nicht vertraute, sich ihm nicht anvertraute.
"Duo...wenn es dich bedrückt, kannst du es mir erzählen", bemerkte er sanft und sah in die violetten Tiefen vor sich, die sich bei seinen Worten verdächtig verdunkelten.
"Ich....ich möchte dich nicht damit belasten, Heero.....", brachte Duo schließlich flüsternd hervor. "Du hast genug Schwierigkeiten und dann komme ich und belaste dich auch noch mit meinen Sachen. Es tut mir leid, Heero, es tut mir so leid!"
"Duo, nein!", erwiderte Heero entsetzt und sah sein Gegenüber eindringlich an, während er leicht eine Hand auf Duos Schulter legte. "Es braucht dir nicht leid zu tun, weil du nichts gemacht hast! Du belastest mich doch nicht damit, oh Gott, Duo! Bitte hör auf, dir die Schuld zu geben!"
Heero sah, wie klare Tränen die Wangen seines Partners hinunterliefen und er wollte Duo gerade in eine tröstende Umarmung ziehen, als dieser leise murmelte:
"Bitte.....fass mich nicht an......"
Geschockt gehorchte der japanische Pilot der verzweifelten Bitte und rückte ein Stück von der nun zitternden Gestalt ab.
Es ist das Schlimmste auf der Welt, wenn man sieht, wie der wichtigste Mensch in seinem Leben leidet. Und das kann ich nicht ertragen! Es ist mir egal, wie sehr ich leide, doch den leiden zu sehen, den ich liebe.......nein, das kann ich nicht!
"Duo...bitte sprich mit mir! Sag mir, was dich bedrückt, rede darüber! Lass mich dir doch helfen!", bat Heero verzweifelt und war nicht gewillt, die Tränen, die sich jetzt in seinen Augen ansammelten, gehen zu lassen.
"Wieso....wieso denke ich....dass deine Berührung mir Schmerzen zufügt? Wieso....wieso habe ich Angst vor dir? Wieso liebe ich dich und bin doch nicht in der Lage es zu zeigen? Wieso....Heero?", schluchzte Duo verzweifelt, den Blick starr auf den Boden gerichtet und die Hände zu krampfhaften Fäusten geballt.
Heero schlug eine Hand vor den Mund, nicht länger fähig, seine eigenen Tränen zurückzuhalten und schluckte hart.
"Duo....ich weiß es nicht.....", flüsterte er lautlos. "Ich weiß nur, dass ich dir helfen möchte, es zu überwinden....."
"Wird....wird es denn aufhören......?"
Heero schluckte. Gott, wie konnte er Duo diese Frage beantworten, wo er doch selbst die ganze Zeit nach der Antwort suchte? Würde Duo je aufhören, sich Vorwürfe deswegen zu machen? Sich deswegen zu quälen? Würden je die Alpträume aufhören, die ihn fast jede Nacht heimsuchten?
Und dennoch....
"Ja, Duo, das wird es!", brachte Heero leise hervor. "Vertrau mir, ich werde dir helfen!"
Wie kannst du das?, schrie eine Stimme in ihm verzweifelt. Wie kannst du ihm Hoffnung machen? Nur um sie danach zu zerstören? Wie kannst du das tun??
Heero wimmerte innerlich. Ich werde ihm diese Hoffnung nicht zerstören! Das darf ich nicht und werde ich auch nicht tun!
Und wie willst du das machen?
"Duo!"
Beide, sowohl Heero als auch Duo fuhren aufgrund der fürsorglichen Stimme hoch und erkannten Quatre, der besorgt in dem großen Hausflur stand und jetzt auf sie zukam.
"Oh Duo....", flüsterte der arabische Pilot bedrückt und nahm den zitternden Jungen in seine Arme, worauf dieser ein leises Wimmern von sich ließ.
"Duo, es tut mir so leid! Shhh....", flüsterte er immer noch beruhigend und wiegte seinen Mitpiloten vorsichtig hin und her, immer wieder über sein kastanienbraunes Haar streichend.
Heero sah, wie es der blonde Junge mehr und mehr schaffte, Duo zu beruhigen und er fragte sich plötzlich, ob er etwas falsch gemacht hatte. Oder war es einfach nur Duos so tiefe Verbundenheit zu dem arabischen Jungen, die zuließ, dass er ihn berührte, ihn wiegte und ihn schließlich auch beruhigte.
"Duo...es wird alles gut......"
Der amerikanische Pilot sah mit tränennassen Wangen hoch und verzog die Lippen zu einem Lächeln, das jedoch mehr Ähnlichkeit mit einer Grimasse hatte.
"Wird es das, Quatre?", fragte er und rückte ein Stück von seinem Mitpiloten ab, um dann die Schultern zu straffen.
Beide, sowohl Heero als auch Quatre waren über den plötzlichen Stimmungsumschwung des langhaarigen Jungen nicht minder überrascht und bedachten ihn mit misstrauischen Blicken, als er fortfuhr:
"Es geht schon wieder. Macht euch keine Gedanken."
Natürliche mache ich mir die!, schrie Heero in Gedanken seinem Freund entgegen. Wie sollte ich auch nicht? Gott, Duo, merkst du denn nicht, dass du uns nicht täuschen kannst? Warum willst du unsere Hilfe nicht?
"Duo?", ertönte da Quatres fragende Stimme neben ihm und Heero konnte gerade noch sehen, wie der amerikanische Pilot die marmorne Treppe nach oben ging, und schließlich die Tür zu seinem Zimmer schloss.
Nicht auf den entsetzten Blick Quatres achtend, folgte Heero seinem Freund nach oben, blieb jedoch vor der geschlossen Tür stehen, bevor er nach einigen Augenblicken anklopfte und leise fragte:
"Duo? Darf ich hineinkommen?"
Einen Moment lang herrschte Stille, bevor Heero dann vorsichtig die Tür öffnete und Duo zusammengekauert am Fenster sitzen sah.
Bei dem Geräusch der sich öffnenden Tür hatte der amerikanische Junge den Kopf zu Heero gewandt um ihn nun aus ausdruckslosen Augen anzuschauen.
"Würdest...würdest du mich wohl bitte alleine lassen, Heero", brachte er leise hervor, die Arme noch enger um seine Knie schlingend und den Kopf darauf bettend.
"Duo...bist du sicher...."
"Ja, bin ich", unterbrach der langhaarige Junge seinen Partner. "Ich möchte jetzt einfach nur alleine sein. Bitte, Heero....."
Es dauerte einen Augenblick, bevor der japanische Pilot nickte und sanft erwiderte:
"Wenn etwas ist...ich bin unten...."
Damit drehte er sich um und verließ niedergeschlagen den Raum um sich auf die Terrasse zu setzen, die direkt an den Salon angeschlossen war.
Das wird in einer Katastrophe enden, dachte Heero abwesend. Duo ist noch nicht fähig, diese Mission zu bestreiten, egal, was er behauptet. Er wird dem psychischen Druck nicht standhalten können.
Er ist ein Gundampilot. Er kann das.
Nein, davon bin ich nicht überzeugt. Das, was er erlebt hat, ist zu tiefgreifend, als dass es ein überlegtes und kaltes Handeln möglich macht.
Dann muss er es wieder lernen.
Ach, wie denn?, fragte Heero aufgebracht zurück. Hast du irgendwelche Lösungen? Vorschläge? Ich nicht!
Glaube mir, er wird es schaffen.
Natürlich....
Habe Vertrauen in ihn. Helfe ihm dabei.
Heero seufzte und richtete seinen Blick auf die bunten Herbstblätter der Bäume, die sich sanft ihm Wind wiegten.
Ich versuche es mit allem, was ich habe. Doch wird es genug sein?
