Der japanische Pilot ließ sich auf einen der bequemen Sessel auf der Veranda nieder und zog seine Beine an. Seufzend richtete er seinen Blick in die Ferne, auf nichts Genaues, er starrte einfach nur auf die vorüberziehenden, schweren Wolken am Himmel, die sich zu monströsen Türmen aufwallten, skurrile Formen annahmen und ihm vorgaukelten, so stabil und konstant zu sein, dass man auf ihnen laufen könnte, sich in ihnen fallen lassen könnte.
Wie oft habe ich als kleiner Junge an meinem Fenster gesessen und habe mir gewünscht, auf einem unsichtbaren Weg zu eben diesen Wolken, diesen Luftschlössern einer anderen Welt zu gehen? Wie oft habe ich diese unerträgliche Sehnsucht in mir verspürt und sie unterdrückt? Und nicht nur sie habe ich unterdrückt, auch alles andere, was mich hätte verletzen können, was mich hätte schwach wirken lassen können. Ich habe Angst vor dem Spott der Anderen, ja. Das kann ich heute ehrlich zugeben. Durch Duo. Durch dieses Energiebündel an Leben, das sich selbst den Gott des Todes nennt. Durch den Jungen, den ich mit aller Kraft lieben und beschützen möchte. Doch ich kann es nicht. Es ist unmöglich, ihn vor allen Übeln dieser Welt zu beschützen. Ich konnte ihn nicht davor retten, vergewaltigt zu werden und genauso wenig kann ich es verhindern, wenn ihm auf dieser Mission etwas passiert. Ich frage mich, ob ich etwas ändern könnte. Wahrscheinlich nicht. So ist der Kreislauf, unser Leben. Wir sind Gundampiloten, wir müssen damit rechnen zu sterben, das hat mir Dr. J eingetrichtert, bis ich an nichts anderes mehr geglaubt habe. Und nun....nun ist diese Schutzmauer aus Gleichgültigkeit um mich herum verschwunden. Ich leide, sehe Leid, füge anderen Leid zu. Und es tut weh. So weh. Mein Herz zieht sich zusammen, wenn ich Duo leiden sehe, wenn ich sehe, wie er sich mit den Erinnerungen quält. Und dennoch....wenn ich die Wahl hätte, ein Leben ohne Gefühle zu leben oder ein erfülltes, dann würde ich mich jetzt für das Letztere entscheiden. Kompromisslos, ohne Einschränkungen.
Die ersten Regentropfen benetzen die Glasscheiben der Veranda, vermehrten sich dann zahlreich, bis der kristallene Schutz vor den Naturgewalten nur noch ein einziger, fließender Strom war. Der ganze Himmel verdunkelte sich in Sekundenschnelle und bald schossen grell zuckende Blitze den Horizont hinab auf die Erde, Donner folgte ihnen in regelmäßigen Abständen.
Wahrscheinlich mag ich Schottland deshalb so sehr. Es erinnert mich an die Luftschlösser, an die Träume, die ich hatte, an die Gefühle, die so lange in mir unterdrückt waren. Und nun sind sie frei. Frei wie die Blitze, die sich ihren Weg durch die Wolken gebahnt haben und nun mit voller Wucht in der Erde einschlagen.
Er legte sein Kinn auf ein angezogenes Knie, kurz die Augen schließend und tief durchatmend.
Was wäre, wenn ich jetzt einfach hinausginge, mich dem Regen stellen, mich von ihm läutern lassen würde? Was wäre dann? Ich weiß es nicht. Also sollte ich es herausfinden, oder? Das ist doch der Instinkt des Menschen, die Neugier zu befriedigen, das zu erleben, was Erleuchtung, was Vergeben bringt.
Die stahlblauen Seen wieder der Welt enthüllend, stand Heero langsam auf, öffnete dann die Veranda, begrüßte den frischen, kalten und nassen Wind, der ihm entgegenwehte und tat dann einen Schritt vor. Zuerst einen, dann einen zweiten, dann noch einen. Bis er schließlich ganz in den tobenden Naturgewalten des schottischen Herbstes stand, sich ihnen begrüßend und willkommen entgegenstellte, ihre unzähligen Boten seinen Körper benetzen ließ.
Heero lächelte und schauderte unmerklich bei dem kalten Regen, der seine Haut reizte. Nach einem kurzen Zögern breitete er leicht wie eine Feder seine Arme aus, reckte sie zum Himmel empor, nach mehr flehend, nach Erlösung suchend. Er öffnete seine Lippen, ließ die willkommene Flüssigkeit hinein. Er drehte sich langsam um sich, spielerisch, schwebend. Das Nass mit der einen Hand auf seinem anderen Arm verwischend reckte er seine Arme zum Himmel empor, streckte seine Finger, ließ sie in einem spielerischen Tanz einander verknoten und wieder lösen, ließ sie Figuren formen, Figuren aus Luft, nur beschrieben durch die Bewegung seiner Hände, seiner Arme. Und das alles mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Mit einem fremden, doch nun wieder ebenso vertrauten Lächeln. Ein Lächeln, das Duo ihn gelehrt hatte.
Das einzige Geräusch, was er vernahm, war das stetige Hinabfallen der Tropfen auf den getränkten Erdboden, das Donnern und das Rauschen der wilden Brandung unter ihm. Das Einzige, was er spürte, war die sanfte, jedoch beharrliche Berührung der Natur und ein Seufzen auf seiner Haut.
Heero öffnete leicht die Augen und glaubte nicht, was er dort sah.
Duo stand vor ihm, ein ebenso kleines Lächeln auf dem Gesicht, ein neuer Glanz in den rotgeränderten Augen. Eine Hoffnung in dem vertrauensvollen Blick. Heero wollte seine Arme sinken lassen, doch im gleichen Moment hob der langhaarige Junge die Seinen, ebenso so federleicht wie grazil. Seine Hände berührten Heeros, hinterließen brennende Spuren des Wohlbehagens, verwoben sich dann mit seinen Fingern, zart, weich, vertrauensvoll. So passend. Und zwischen ihnen die Erlösung der Naturgewalten, der läuternden Reinheit.
Heero schloss die Augen und ließ sich mit Duo im sanften Rhythmus davon treiben, die einzige Verbindung zwischen ihnen ihre Hände, so warm ineinander, so vertraut. Und dennoch genug um sich der Präsenz des Anderen bewusst zu sein. Um sich der Geborgenheit bewusst zu sein.
Immer noch fest ineinander verwoben, beschrieben die Arme sanfte Wellen, als sie hinabsanken, sich um die Beiden rankten. In stiller Übereinkunft wussten sie, wohin sie den Anderen führten, welche Bewegung der Andere gerade vornahm.
Heero spürte, wie das Symbol ihre Verbundenheit an seine Brust gelegt wurde, wie sich warme Finger aus seiner Umarmung lösten, seine Handrücken entlang strichen, die Regentropfen verwischten, die sich an seiner Haut abperlten.
"Heero....", seufzte eine federleichte, zarte Stimme, die Hände wanderten weiter zu seinem Gesicht, fuhren jede Linie nach, das Kinn, die Wangenknochen, die geschlossenen Lider, die Nase, den Haaransatz.
Innerlich erschauernd vor dieser Sinnlichkeit, bewegte er seine Hände fast unmerklich, ließ sie über den zarten Brustkorb des Anderen nach oben gleiten, spürte das Kinn, die weiche Haut, die Lippen, benetzt vom Regen, die spitzen Wangenknochen, das durchtränkte, schwere Haar.
Heero lächelte mit geschlossenen Augen und murmelte leicht Duos Namen. Immer wieder, nicht fordernd, nicht verlangend, wie eine Litanei, ein Gebet, eine Glaubensbekundung seiner Gefühle, seiner Liebe.
Und dann fehlten die zarten Finger, die sein Gesicht abtasteten, wurden durch etwas viel engelsgleicheres ersetzt. Heero seufzte leise, als er die federleichten Lippen Duos auf den Seinen spürte, ein Schauer des Wohlbehagens durch seinen Körper rinnend. Und auch die Lippen bewegten sich, hinterließen brennende Manifeste auf seiner sensiblen Haut, wanderten von seinen Lippen zu seinen geschlossenen Lidern, zu seinem Nasenrücken, deren Spitze, seinen Wangenknochen, und kehrten schließlich wieder zurück, um seine Lippen zu versiegeln, zu beschützen, in ihnen Zuflucht zu suchen.
Das Schutzbedürfnis mit seinem ganzen Körper aufnehmend, hob Heero seine Arme und schlang sie Duo federleicht um die Schultern, nichts fordernd, nichts verlangend, nur Schutz darbietend. Schutz, den Duo bereit war anzunehmen.
Und so standen sie da, nur sie selbst, die Welt für einen Moment vergessend, nur sich und den Regen habend, die Wärme des Anderen genießend. Eine Ewigkeit, Äonen.
Der Himmel lichtete sich, wurde müde, seine Gabe auszuschütten und ließ die Naturgewalten sich wieder beruhigen. Langsam aber sicher versiegten die Tränen der Wolken, verschwanden schließlich ganz, ließen vereinzelte Sonnenstrahlen durch die verhangenen Wolken entkommen, die wie ein Weg auf die Erde fielen, wie ein Strahl auf einen bestimmten Punkt zeigten, das Meer unter ihnen erhellten.
Und Duos Lippen ruhten immer noch auf Heeros, ein stiller Kuss, sanft, scheu, ein Vertrauensbeweis, eine Liebeserklärung. Das einzig Gültige in diesem Moment.
"Duo?" Sanft, ein Flüstern, sich nicht sicher, die Magie des Augenblickes nicht zerstören wollend.
Vertrauensvolle, amethystfarbene, schier endlose Seen der Natur sahen auf, hielten Heeros Blick fest.
So viele Fragen standen in den stahlblauen, an die Moderne erinnernden Augen.
"Ich habe dich gesehen, Heero. Ich saß an meinem Fenster und habe dich gesehen, wie du im Regen standest und da.....da....."
Der langhaarige Junge stockte, wusste nicht, wie er seien Entscheidung hinunterzukommen begründen sollte. Wie er das plötzliche Vertrauen, die plötzliche Zärtlichkeit in die durchnässte Figur am Fuße seines Fensters erklären sollte. Duo war sich nicht sicher, was er überhaupt in diesem Moment gefühlt hatte, als er die Naturgewalten beobachtet hatte, dann die sanften Bewegungen seines Freundes, diese Erlösung, diese Erleichterung gespürt hatte.
Die Magie dieses Augenblickes, seine Finger verwoben mit denen seines Partners, wie zwei Teile des gleichen Puzzles, perfekt ineinander passend, sich in jeder Weise ergänzend. Harmonie in vollster Linie, das war es, was Duo gespürt hatte. Das war es, wonach er sich so lange gesehnt hatte. Und es war ihm geschenkt worden. Gerade, dieser kleine, wertvolle Augenblick hatte ihm seine innere Zerrissenheit genommen, seine Persönlichkeit zusammengefügt, sie mit Heeros zusammengefügt.
So, als ob wir uns schon ein Leben lang kennen, schoss es dem langhaarigen Jungen durch den Kopf. Als würden wir füreinander bestimmt sein.
Er strich mit seinen Fingern sanft über Heeros Wange, spürte dessen Hände beschützend, nicht fordernd auf seinem Rücken. Er schreckte nicht vor der Zärtlichkeit in Heeros Augen zurück, sah darin keine Bedrohung. Zum ersten Mal seit langer Zeit sah er in der Nähe anderer Menschen keine Bedrohung mehr.
Heeros Hände wanderten nach oben, glitten unbemerkt, hauchzart zu seinen Wangen, umfassten sie, strichen regenschwere Strähnen aus dem ebenmäßigen, schmalen Gesicht, erkundeten jeden Fleck, bis sie schließlich nur noch die Lippen unberührt ließen.
Die Frage, die in Heeros Augen schwebte, bejahte Duo mit einem einzigen Seufzen, erteilte seinem Partner die Erlaubnis. Gab ihm sein Einverständnis, seine Lippen engelsgleich in Besitz zu nehmen, sie vor der Luft zu schützen.
Und dieses Mal waren es Duos Hände, die sich auf Heeros Rücken legten, ihn sanft hinauffuhren, schließlich am Nacken stehen blieben, über den Haaransatz strichen. Duos Hände waren es, die Heero beschützend umschlossen, Halt gaben.
"Ist....ist das okay für dich?"
Duo lächelte ob der Zweifel, der Angst, die in der Frage lagen.
"Ja....", hauchte er gegen die Lippen seines Partners, lehnte sich an den nassen Körper des japanischen Jungen.
Ja...es ist okay....im Moment ist es okay. Ich brauche dich, ich brauche deine Umarmung wie mein tägliches Brot.
"Duo...."
Einen Moment Stille, dann:
"Ich liebe dich."
Duo spürte, wie ihn ein Schauer des Glücks überrann. Es stimmte, dass er es schon einmal von Heero gehört hatte, Heero hatte ihm diesen Schwur schon einmal gegeben. Und dennoch war er noch nie so real, so von Bedeutung wie in diesem Augenblick. In diesem Moment ohne Angst, ohne Alpträume, ohne Erinnerungsfetzen, ohne Stimmen, die ihn verfolgten. Das alles war ausgesperrt, verbannt für einen Augenblick. Einen Augenblick der Ewigkeit.
"Ich liebe dich auch."
Stahlblaue Saphire sahen auf, trafen auf Amethyste, versanken darin, ertranken, wurden gerettet durch das Funkeln des Lebens in ihnen, durch die Freude, die ihnen zuteil war. Ein seltener Funke in der letzten Zeit und dennoch unleugbar da, präsent.
Dann ruhte Duos Kopf wieder still an Heeros Brust, die Lippen zu einem Lächeln verzogen. Der langhaarige Junge summte leicht, wiegte sich mit seinem Partner dazu im Takt.
Frieden. Das Versprechen auf Frieden, das wir einlösen werden. Die Hoffnung vieler Menschen auf eine Zukunft ohne Krieg. Sie werden nicht betrogen, denn wir haben die Möglichkeit, ihnen diese Hoffnung zu geben. In unseren Händen liegt es und wir werden es schaffen. Wir sind eine Einheit, ein Kosmos, wir sind stark. In unseren Händen liegt das Schicksal des Universums....
*
"Hier...sonst wirst du wieder krank!"
Duo nahm immer noch lächelnd das ihm dargebotene Handtuch an und rubbelte damit seine Kopfhaut ordentlich ab.
Nachdem sie noch einige Zeit friedlich aneinander gelehnt draußen gestanden hatten, hatte Heero die vollkommen durchnässten Sachen Duos bemerkt und erschrocken gesagt, dass sie hineingehen müssten um sich etwas Trockenes anzuziehen.
Was sie dann schließlich auch getan hatten und Duo nun in seiner schwarzen Trainingshose und einem weiten, weinroten Cashmeerepulli auf Heeros Bett saß, sich die Haare trocken rubbelte.
Heero, der sich ebenfalls umgezogen hatte nun in dunkelblauer Jeans und cremefarbenen Rollkragenpullover vor ihm saß, erwiderte dieses Lächeln freundlich und offen, während er sich an Duos Seite niederließ, seine wirren Strähnen versuchte zu glätten und dabei leise Schmerzeslaute von sich gab.
Au, verdammt, das tut weh!, fluchte er nun schon zum zehnten Mal stumm, als seine Hand auf ein ganzes Nest von Knoten traf und den Kampf gegen sie verlor. Wie es erst wohl Duo gehen mag?
Heero fiel sogleich die Unbeschwertheit auf, mit der er an seinen Freund, an den amerikanischen Piloten gedacht hatte.
Wenn es doch nur immer so wäre..., seufzte er stumm und ein wohliger Schauer rann über seinen Rücken, als er sich an die vergangenen Momente erinnerte.
Duos Vertrauen, sein Glück, diese intime Berührung, hauchzart.....
"...., nicht wahr Heero?"
Der japanische Pilot blinzelte erschrocken, als er merkte, dass er soweit in Gedanken war, dass er alles um sich herum vergessen hatte. Mal wieder.
"Was hast du gesagt, Duo?", fragte er irritiert und der amerikanische Junge lächelte leicht, als er seine Bemerkung wiederholte:
"Du liebst den Regen, hatte ich dich gefragt. Den Regen und die Wolken."
Heero nickte erstaunt. Ja natürlich stimmte das.
"Weißt du, früher hätte ich es dir nicht geglaubt, hättest du es mir gesagt. Ich habe zwar schon immer vermutet, dass da mehr hinter der ach so kalten und gefühllosen Fassade steckt, doch solche irrationalen Gefühle...."
"Ist...ist das schlimm, Duo?", fragte Heero plötzlich unsicher und schlug ein Bein unter, das andere zur Stütze seines Kinns umfunktionierend, während Duo den Kopf schüttelte.
"Nein...nein, es hätte mich nur mehr als andere erstaunt. Doch nun...", er warf einen kurzen Blick in Heeros Augen. "...erstaunt mich gar nichts mehr."
Eine Augenbraue hob sich erstaunt, während Duo ernst den Kopf schüttelte.
"Nein....nichts mehr", wiederholte er und starrte auf seine Hände, die das Handtuch in seinem Schoß hielten. "Seit du mich gerettet hast....die Tage, die wir in diesem Apartment verbracht haben....Als wir spazieren gegangen sind.....Deine Sorge um mich....Weißt du, das alles habe ich erst nachher so richtig realisiert, ich war zu sehr mit meinem Schmerz beschäftigt, ich habe nicht gesehen, wie sehr du zu einem Menschen geworden bist. Doch jetzt, jetzt weiß ich es und es macht mich glücklich zu sehen, dass du nicht der eiskalte Killer bist, für den ich dich bei unserem ersten Zusammentreffen gehalten habe.
"Eiskalter Killer....?", wiederholte Heero nachdenklich und Duo lächelte ein wenig.
"Naja...", gab er schließlich zu. "Als ich dich sah, wie du Relena bedroht hast und dann noch nach meinen Kugeln in deinem Körper so handeln konntest....ich habe geglaubt, du wärest der Teufel persönlich...."
"Der Teufel persönlich....?", wiederholte Heero erneut und sah seinen Partner beinahe flehend an. "Aber...aber jetzt doch nicht mehr, oder?"
Duo brachte ein offenes Lächeln zustande.
"Nein....jetzt bist du viel mehr für mich, Heero, viel mehr", erwiderte er sanft und senkte kurz seine Augen, das Handtuch zwischen seinen Fingern knetend.
"Viel....mehr...."
Heero lächelte und fuhr mit seiner Hand sanft über Duos Oberarm.
"Weißt du, Duo, dass ich dich am Anfang regelrecht gehasst habe. Gehasst dafür, dass du so alles warst, was ich nie sein konnte, nie sein durfte...du warst die Freundlichkeit und Güte in Person, ein Engel unter uns Soldaten. Du warst in der Lage, deine Fröhlichkeit beizubehalten, auch wenn es wirklich nicht mehr amüsant war...."
"Heero....", wollte der langhaarige Junge seinen Partner unterbrechen, doch Heero kam ihm zuvor.
"Und ich weiß, dass das alles nur eine Fassade war, Duo. Habe es gemerkt, als wir beide die Zeit in dem Apartment verbracht haben. Duo....wenn dir nicht zum Lachen ist, brauchst du es auch nicht. Es ist kein Zeichen von Schwäche, seine wahren Gefühle zu zeigen."
Und das sagt gerade Mr. High-frozen-perfect-Soldier Heero Yuy? Alle Achtung!
Ach, halt den Mund! Du weißt wohl besser als ich, dass ich gelernt habe, Gefühle zu zeigen! Du hast mich ja immer und immer wieder darauf aufmerksam gemacht.
"Du hast aber auch nicht gerade viele Gefühle gezeigt!", durchfuhr Duos Stimme da auch schon mit einem humorvollen Unterton seine Gedanken und der japanische Soldat seufzte.
"Alles Vergangenheit", brummte er und wandte sich wieder direkt zu Duo, die verfilzten Strähnen bemerkend, die seinem Partner wirr um das Gesicht hingen.
"Nun....ich weiß, was wir jetzt machen!", sagte er mit einem hinterhältigen Grinsen und Duo wich leicht zurück angesichts dieses ungewohnten Ausdrucks.
"Ich werde dir jetzt erst mal deine Haare auskämmen!", bemerkte Heero schon fast hämisch und knackte erwartungsvoll mit seinen Fingerknöcheln, was Duo einen Schauer über den Rücken schickte.
Heero triumphierend mit einem Kamm in den Händen sehend, schluckte Duo schwer und brachte unsicher hervor:
"Hee.....Heero....."
Doch da war es schon zu spät. Der perfekte Soldat hatte sich an sein Opfer herangepirscht und war nun dabei, seine Mission zu seiner vollsten Zufriedenheit zu erfüllen.
*
"So, fertig!", sagte Heero stolz und betrachtete sein Werk voller Zufriedenheit.
Duo, der bisher misstrauisch auf dem Bettrand gesessen und die Prozedur über sich ergehen lassen hatte, sah nun mit leicht verschwommenem Blick auf. Zu sehr hatte er sich von Heeros sanften Strichen und Massagen seiner Kopfhaut in ein Stadium leichter Schläfrigkeit versetzen lassen. Er räusperte sich kurz und streckte dann seine ebenfalls eingeschlafenen Glieder, um den kleinen Spiegel zu ergreifen, den Heero ihm hinhielt.
Der amerikanische Pilot blinzelte, als er das Gebilde sah. Einmal, zweimal. Als es beim dritten Mal immer noch nicht verschwunden war und somit relativ sicher zur Realität gehörte, wagte er einen genauen Blick auf das prachtvolle Kunstwerk, das Heero aus seinen Haaren gemacht hatte.
Eigentlich war es ja nur ein normaler Zopf. Wären da nicht die einzelnen Strähnen gewesen, die der japanische Junge am Anfang ausgelassen und dann mit eingeflochten hatte, was dem ganzen eine wahrhaft edle Note gab. Und so perfekt.....
Duo lächelte leicht und anerkennend, während er sich zu seinem Partner umdrehte und die Stirn runzelte.
"Ich bin wirklich davon überzeugt, dass du mit Puppen gespielt hast, Heero! Komm schon, du kannst es nicht verleugnen!"
Stahlblaue Kugeln funkelten ihn spielerisch erbost an, während der Wingpilot leicht knurrte.
"Das ist nicht wahr!", behauptete er fest, wurde aber durch Duos überzeugtes Kopfschütteln unterbrochen.
"Ach komm schon, Heero.....ich weiß es doch...du kannst es mir doch sagen!"
Wieder ein Seufzen, dieses Mal noch hilfloser.
"Aber ich habe doch nicht....."
"Natürlich hast du! Ich sehe es in deinen Augen! Dafür braucht man sich doch nicht zu schämen!"
Heero senkte besiegt seinen Kopf. Nein, er hatte nicht mit Puppen gespielt, nein, das ganz bestimmt nicht. Es war....nur Zufall gewesen, dass er einmal ein Buch darüber gefunden hatte und es gelesen hatte.....weil ihm langweilig war! Nichts weiter!
"....Buch drüber gelesen...", murmelte der japanische Junge fast unhörbar und Duo beugte sich vor, um wenigstens den letzten Teil des Satzes zu verstehen. Es dauerte einen Moment, bis die Information in seinem Hirn verarbeitet worden war, doch dann weiteten sich seine Augen überrascht und er fragte ungläubig nach:
"Du hast das aus einem BUCH?!"
Heero nickte kaum merklich und Duo strich ihm plötzlich sanft über den Arm. Eine Geste voller Zuneigung und Scheu.
"Ist doch nicht schlimm", murmelte er.
Heero sah angesichts dieser Zärtlichkeit auf und verzog leicht die Lippen.
"Okay", hauchte er und sackte wieder zu Duo auf die Bettkante, schwieg dann für einen Moment, bevor er seinen Partner fragte:
"Was möchtest du denn heute machen, Duo? Ich meine, wir haben ja noch ein wenig Zeit, um uns auf die Mission vorzubereiten..."
Für einen Moment erwiderten blauviolette Seen seinen Blick überrascht, doch dann gewannen sie ihre Ruhe zurück und Duo erwiderte zögernd:
"Ich habe noch nicht so richtig darüber nachgedacht, wenn ich ehrlich bin. In....in der letzten Zeit plane ich nie soweit voraus....."
Heero wurde still. Er wusste ganz genau, was Duo ihm gerade nicht sagte, was er ihm verschwieg. Heero kannte genau die Schmerzen, die Duo plagten, die Angst vor der Erinnerung, die Unsicherheit im Umgang mit Anderen. Und davon musste er den amerikanischen Piloten abbringen.
"Nun....", begann der japanische Junge mit einem freundlichen Lächeln, einer Geste, die ihm in den letzten Tagen wirklich leicht gefallen war. "Dann sag, auf was du gerade in diesem Moment Lust hast."
Violette Augen weiteten sich überrascht und wurden dann wieder weich, als sie kurz überlegten und schließlich zu stahlblauen zurückkehrten.
"Bummeln."
Heero hob erstaunt die Augenbrauen und erwiderte dann halbwegs verständnislos.
"Bummeln?"
Duo nickte, ließ somit die Ponyfransen auf seiner Stirn sanft hin und herschwenken.
"In der Stadt. Der alte Markt, der jeden Freitag stattfindet. Heute ist doch Freitag, oder?", wandte er sich zu seinem Partner, nicht mehr ganz so sicher. "Ich habe irgendwie das Zeitgefühl verloren....Es scheint mit wie eine Ewigkeit her, seitdem......"
Duo stockte. Ja, was hatte er eigentlich gerade sagen wollen? Seitdem er Kushrenada getötet hatte? Seitdem er sich Heero anvertraut hatte? Seitdem Heero ihn vor Selbstmord bewahrt hatte?
Alles. Alles trifft zu.....Seit er mir hilft, scheint Zeit keine Bedeutung mehr zu haben.....
Eine Hand auf seiner Wange ließ Duo in die reale Welt zurückkehren und er begegnete Heeros zärtlichem Blick.
"Also gehen wir bummeln!", meinte sein Partner und Duo zauberte ein kleines Lächeln auf seine Lippen. So stand Heero auf, reichte dem amerikanischen Piloten die Hand und sagte gespielt höflich:
"Darf ich den Gnädigsten bitten, mir unauffällig zu folgen."
Auf das kleine Spiel gerne eingehend, neigte Duo hoheitsvoll seinen Kopf und erwiderte ebenso förmlich:
"Ihr dürft, mein Ritter. Ich werde Euch gerne folgen!"
Somit verließen die Beiden das Zimmer und gingen über die große Marmortreppe nach unten, nur um dort Zechs zu begegnen, der gerade aus dem Trainingsraum kam und nach oben in Wufeis Zimmer wollte.
Heero spürte, wie Duo sich unmerklich versteifte und wandte den Blick besorgt zur Seite, worauf der amerikanische Pilot ihn kurz ansah, sich dann aber entspannte.
Er kann sich immer noch nicht an Zechs´ Präsenz gewöhnen, dachte Heero und erntete dafür wieder ein inneres Schnauben.
Natürlich nicht! Zechs war ja auch der Vertraute von Treize, falls Mr. Perfect Soldier das schon vergessen haben.
Heero fauchte in Gedanken und erwiderte schon beinahe schnippisch:
Das weiß ich! Außerdem hör auf, dich in meine Angelegenheiten einzumischen!
DEINE Angelegenheiten? Vergiss nicht, mein Lieber, ich bin ein Teil von dir.
Ein Teil, den ich am Liebsten zur Hölle schicken würde!
Nana.....jetzt werden wir aber gemein.....und undankbar! Muss ich dir denn erst all die Situationen aufzählen, in denen du ohne mich niemals zurechtgekommen wärst?
Heero knurrte wütend, erwiderte aber nichts. Er wusste, diese....Stimme...hatte recht. Zumindest in diesem Punkt. Besonders als es Duo noch so abgrundtief schlecht ging, hatte ihn sein "ES" wirklich unterstützt.
"Geht es dir nicht gut, Heero?", durchbrach da eine besorgte Stimme seine Gedanken und der japanische Pilot fuhr irritiert hoch.
"Was...?", begann er stirnrunzelnd, merkte aber dann, dass Zechs vor ihm stand, ihn mit dem gleichen Gesichtsausdruck ansah und sich nun leicht zu Duo drehte, der den blonden Mann immer noch vorsichtig und angespannt beäugte.
"Ich...ich war nur in Gedanken....", gestand Heero mehr sich als seinem Gegenüber ein und wandte sich dann ebenfalls an den langhaarigen Amerikaner.
"Wollen wir, Duo?", fragte er lächelnd und sah, wie die Spannung in den Schultern seines Partners abnahm und dieser erleichtert nickte.
"Entschuldige uns", wandte Heero sich schließlich knapp an seinen ehemaligen Rivalen und verließ mit Duo das große, prächtige Gebäude.
*
"Sie haben WAS?!"
Zechs nickte leicht, als Wufei ihn fassungslos anstarrte und schluckte.
"Das kann dieser....Mann....nicht tun!", fluchte der chinesische Pilot wütend und schlug mit der Faust auf die Tischkante. "Wie soll Duo das denn überstehen?! Er...er ist doch noch so...DAVON....traumatisiert, wie soll er da eine solche Mission bestreiten? Und dazu noch so eine schwierige?"
Zechs betrachtete das zornesrote Gesicht seines Partners und seufzte leicht. Noch nie, selbst am Anfang ihrer weiß Gott nicht leichten Beziehung, hatte er Wufei so wütend gesehen, so außer sich.
"Wufei....", wollte er den aufgebrachten Jungen beruhigen, doch dieser nahm überhaupt keine Notiz von ihm, sondern fuhr weiter fort, wie ein Tiger- ein sehr wütender Tiger- im Käfig auf und ab zu laufen, Flüche auf den impertinenten Wissenschaftler auszustoßen und sich selbst in Rage zu reden.
"Sieht er denn nicht, wie schlecht es Maxwell geht? Wie sehr er darunter leidet?", unterbrach er Zechs ungehalten. "Wie kann er ihm so eine Mission aufhalsen? Wie nur? Das ist ungerecht!!"
Auch wenn Zechs ein Mann von Geduld war, so war diese doch nach einer gewissen Zeit ausgeschöpft, besonders, wenn er konstant ignoriert wurde.
"Wuffie Mäuschen", flötete er daher ungeniert und erntete dafür einen mehr als tödlichen Blick und konnte sich jetzt sicher sein, dass sich Wufeis gesamte Wut nun zum größten Teil auch auf ihn richtete.
"Wie kannst du es wagen...", kam es da auch schon gepresst von seinem Gegenüber, dessen Gesicht eine gefährliche Rotfärbung angenommen hatte und dessen Augen Blitze verschossen, die, wären sie in der Lage gewesen, Zechs ins Jenseits zu befördern, dies auf eine möglichst grausame und langsame Weise getan hätten. "....bei so einem ernsten Thema WITZE zu machen? Dich über Maxwell lustig zu machen! Geht es dir denn so wenig nahe, was ihm geschehen ist?"
Zechs blaue Augen verengten sich plötzlich angesichts dieses Vorwurfs und er knurrte wütend.
"Ob es mir nicht nahe geht? OB ES MIR NICHT NAHE GEHT? ICH habe meinen langjährigen Freund und Vertrauten getötet, um das Leben des Gundampiloten zu retten! Und ICH habe nachher erfahren, dass er eben diesen Piloten brutal misshandelt und vergewaltigt hat, eine Tat, die ich für äußerst verabscheuungswürdig und niederträchtig halte und bei der ich mich frage, wie sehr man sich in einem Menschen irren kann! Ich muss mit meinem Gewissen umgehen. Einem Gewissen, das mir sagt, ich hätte einem Verbrecher gedient, der auch MEINE Familie ermordet hat, hätte meinen eigenen Ideale in den Staub getreten, sie verraten! Und bei Gott, ich hasse Treize dafür, dass er Duo so etwas angetan hat! Ich kann nicht verstehen, wie ein so scheinbar ehrenhafter Mann so etwas tun konnte! Ich kann es nicht! Und das geht mir nahe, glaub mir, Wufei, das geht es!", warf er seinem Partner wütend an den Kopf, der ihn nun schweigend anstarrte.
Natürlich hatte Wufei von der engen Verbindung zwischen Treize und Zechs gewusst, doch nie war es ihm in den Sinn gekommen, dass der blonde Mann so unter dem Verrat seines Vertrauten leiden würde. Dass er ihn hasste....das war natürlich, aber dass er darunter litt....
Wufei schüttelte in Gedanken stumm den Kopf. Nein, das war ihm noch nicht in den Sinn gekommen.
"Milliardo....es tut mir leid....."
Zechs sah auf und begegnete schweigend dem Blick seines Gegenübers. Er wusste, Wufei nannte ihn nur äußerst selten Milliardo, eine Art Kosename, ein Vertrauensbeweis, ein Stück Intimität. Er wusste, was Wufei mit dem Gebrauch seines Namens beabsichtigte und es war ihm recht. Der chinesische Pilot wollte sich für sein Unverständnis entschuldigen und Zechs nahm diese Entschuldigung gerne an.
Der blonde Mann nickte daraufhin leicht und schwieg eine Weile, bevor er plötzlich bemerkte:
"Ich habe das Tape gesehen."
Wufei verstand nicht, was sein Partner damit sagen wollte und zog fragend die Brauen zusammen.
"In Duos Zelle war eine Überwachungskamera", fuhr er fort und der chinesische Junge verstand plötzlich.
"Sie....sie haben es aufgenommen.....?", fragte er bestürzte und schlug eine Hand vor den Mund, während er versuchte, nicht auf die Übelkeit zu achten, die in ihm aufstieg.
Zechs nickte leicht und fuhr dann leise fort:
"Dr. J hat es mir gezeigt....ich weiß nicht wieso....Gott, Wufei, es war so grausam...."
Der chinesische Junge war mit einem Schritt bei seinem Partner und umarmte ihn stark und beschützend, denn auch wenn Zechs nach außen hin immer so stark und unnachgiebig wirkte, so war es doch nur eine Fassade, hinter der ein verletzter, durch den Mord an seiner Familie gekennzeichneter junger Mann steckte, der Zeit seines Lebens um Stärke und Rache gekämpft hatte.
"Shhhh.....Zechs...ist ja gut......", versuchte er den Kronprinzen des Sanc Kingdom zu beruhigen und wiegte ihn sanft hin und her. "Du kannst nichts dafür, gib dir nicht die Schuld!"
Mit der Stirn auf der Schulter seines Freundes ruhend, murmelte Zechs leise und kaum hörbar:
"Doch.....ich hätte sie aufhalten müssen.....ich hätte es verhindern müssen...."
"Wie denn? Wie um alles in der Welt hättest du verhindern können, dass das passiert?"
Wufei merkte, wie Zechs´ Körper sich anspannte, bevor er stockend antwortete:
"Ich war kurz zuvor noch bei Treize, habe mit ihm gesprochen.....habe mit ihm über die Gundampiloten gesprochen...."
Wufei erstarrte gleichermaßen und fragte kaum hörbar, seine Stimme getränkt in Unglauben:
"Du....hast...mit ihm gesprochen....über uns...?"
Der chinesische Pilot spürte ein Nicken an seiner Schulter.
"Und....und Treize wollte immerzu über Duo sprechen....alles über ihn wissen.....er hat gefragt, was ich über ihn wüsste....."
"Und du hast ihm geantwortet...."
"Ja....". Es war nicht mehr, als ein verzweifeltes Hauchen, ein Flüstern, was Zechs zustande brachte. "Ich habe ihm alles erzählt....alles, was ich wusste....."
Für einen Moment beherrschte Stille den luxuriösen Raum, bevor Wufei leise und sanft murmelte:
"Du kannst nichts dafür, wirklich nicht! Du wusstest nicht, was er Maxwell antun wollte! Mach dir deswegen keine Vorwürfe!"
"Aber....."
"Shhhhh....nichts aber.....du bist nicht Schuld!"
*
"Es ist eindeutig zu kalt!"
Heero wandte seinen Blick nach rechts und begegnete der dick vermummten Gestalt des Deathscythepiloten, der fröstelnd die Schultern hochzog und seine Nase noch tiefer in dem anderthalb Meter langen und nun um seinen Hals geschlungenen Schal verbarg, sodass nur noch die Augen zu sehen waren, die eine ruhige Präsenz ausstrahlten, jedoch nichts mehr von ihrer alten Überschwänglichkeit und Heiterkeit innehatten.
Erst als ein Frösteln seine Wirbelsäule hinunter wanderte und Heero die Gänsehaut auf seinen Armen spürte, war er sich bewusst, was Duo gerade gesagt hatte und er nickte bestätigend. Auch er hatte sich in einen dicken Wintermantel gehüllt, trug jedoch keinen Schal, da er Duo eben diesen gegeben hatte.
Heero spürte, dass die ruhige Präsenz des langhaarigen Jungen ehrlich gemeint war, dass er ihn nicht belog oder seine Maske aufbehalten hatte. Und auch wenn Heero froh über diese Wendung war, wenn er sich freute, dass Duo mit seinen Erinnerungen fertig wurde, so wusste er auch, dass es nicht von Dauer war. Es war ein Gewitter an Emotionen, die auf den amerikanischen Piloten einströmten. Einmal war er ruhig und ausgeglichen, nicht an das Vergangene denkend und dann überrannte es ihn förmlich, ließ ihn unter den Wellen der Verzweiflung und des Schmerzes zusammenbrechen. Heero wusste nicht, ob es jemals aufhören würde, ob Duo jemals in der Lage war, darüber hinwegzukommen und ein normales Leben zu führen.
Normal?, tönte es da aus seinem Hinterkopf. Er wird so oder so nie normal sein, mein Lieber! Er ist ein Gundampilot, er hat von klein auf gelernt zu töten. Er ist genauso traumatisiert von seiner Erziehung wie ihr anderen auch.
Ich bin nicht traumatisiert!, protestierte Heero empört, doch die Stimme schüttelte mental ihren Kopf und lächelte traurig.
Du warst bis vor kurzem noch nicht einmal in der Lage, zwischenmenschliche Beziehungen zu führen geschweige denn zu lieben. Du WUSSTEST einfach nicht, was es bedeutet, weil es dir dieser Bastard von Wissenschaftler nie beigebracht hat. Wie auch? Du warst für ihn nur eine gewissenlose Killermaschine, die für ihn die Drecksarbeit erledigt hat. Nichts weiter. Doch nun lebst du, liebst du, bist menschlich geworden. Dein Trauma wirst du jedoch immer mit dir herumtragen.
Heero schwieg gedanklich. Natürlich stimmte das.
Ich habe Angst, dass ich nicht damit zurechtkomme.
Du wirst. Davon bin ich überzeugt.
Und wie?
Ich bin ja noch da.
Heero zog überrascht eine Augenbraue nach oben. Das war jetzt eine Antwort, die er beim besten Willen nicht erwartete hatte.
Und du willst mir helfen, ja?, erwiderte er nun doch leicht amüsiert. Kannst du das denn mit deinem Gewissen vereinbaren, da du mich doch sonst immer nur niedermachst.
Ein imaginäres Schnauben antwortete ihm.
Erstens, mein Liebchen, BIN ich dein Gewissen und werde demzufolge selbst keins haben. Zweitens, Mr. Perfect Soldier, mache ich dich nicht nieder, wie du dich so gewählt auszudrücken vermagst, sondern HELFE dir. Aber anscheinend bist du zu engstirnig, das zu erkennen.
"Na klaaaar!", schnaubte Heero und merkte erst nach einiger Zeit, dass er es laut gesagt hatte.
Ups....das war dumm!
Ach halt doch den Mund!
"Heero, führst du immer Selbstgespräche?"
Der japanische Pilot zuckte bei diesen Worten unbewusst zusammen und seine blassen Wangen nahmen eine leicht rötliche Färbung an. Jetzt hatte er den Salat. Wie sollte er denn Duo erklären, dass er mit seinem "Es" stumme Zwiegespräche führte, sich jedoch im Moment mit seiner inneren Stimme darüber stritt, ob er Hilfe bräuchte oder nicht. So entschied er sich für die Wahrheit und erwiderte lächelnd:
"Manchmal schon, ja."
Violette Augen sahen ihn ungläubig an und wurden dann von feinen Lachfältchen umschlossen, als der langhaarige Junge lächelte und sagte:
"Du bist menschlich geworden, Heero."
Wahaaa......da haben wir es! Siehst du! Er denkt es auch!
Ja, brummte Heero verstimmt. Aber bei ihm verspüre ich nicht das Verlangen, ihn umzubringen, wenn er mir so etwas sagt.
Der japanische Pilot seufzte leise und richtete seine Aufmerksamkeit dann dem kleinen Dorf vor sich zu. Duo und er hatten beschlossen, das Stück bis zur nächstgelegenen Siedlung zu laufen und waren jetzt einigermaßen durchgefroren am Ziel angekommen, vor ihnen der Dorfeingang und die alten, kleinen aber hübschen Häuser, die so gar nichts von der modernen Welt zu wissen schienen. Noch mit Backsteinen gebaut, die Wege noch nicht zubetoniert sondern einfach naturbelassen, so stellte sich Heero die Vergangenheit vor, und so war sie hier auch.
Und zwischen den Häusern überall kleine Gässchen, die zu den Hinterhöfen oder in eine andere Straße führten, wovon es wahrlich nicht viele gab.
Als der japanische Pilot seinen Blick zu Duo schweifen ließ, bemerkte er erstaunt, dass dieser mit der gleichen Faszination um sich sah und hier und da an kleinen Lädchen oder anderen Reliquien längst vergangener Zeiten hängen blieb, sie bestaunte und sich dann zum nächsten wandte.
"Schön hier, nicht wahr?", fragte Heero lächelnd, worauf Duo stumm und mit leuchtenden Augen nickte.
"Sieh mal, da vorne ist der Markt!", bemerkte er und deutete nach rechts, worauf hin Heero seinem Blick folgte. "Wollen wir?"
Der japanische Junge nickte und gemeinsam gingen sie auf der feuchten und lehmigen Dorfstraße zu dem großen Platz, an dem an verschiedensten Ständen sowohl Nahrungsmittel als auch Werkzeuge und Tiere verkauft wurden.
"Das ist ja....", sagte Duo mit leuchtenden Augen, als sie schließlich durch die Stände gingen, hier und da kleine Naschsachen probierten oder sich Antiquitäten ansahen.
"Toll?", fragte Heero lächelnd, als er den glücklichen Ausdruck in Duos Augen sah.
Wann war Duo das letzte Mal so gelassen gewesen? So offensichtlich glücklich? So ehrlich?
Noch nie, du hast ihn noch nie so gesehen.
Heero seufzte. Wenn er sich genau überlegte, stimmte es sogar. Er hatte Duo nur als den psychopathischen Jungen kennengelernt, der sich über alles lustig machte und, wenn er dazu Lust hatte, auch mal die Gundams künstlerisch verschönerte.
Der japanische Pilot hob leicht indigniert eine Augenbraue, als er sich an das blökende Kuhgesicht erinnerte, das ihm die Zunge herausstreckte, als er eines Morgens seinen Gundam reparieren wollte. Oh...er hätte Duo dafür umbringen können. Nein....nicht umbringen, das wäre zu gnädig gewesen....
Heero knurrte unbewusst, als er an die Gesichter der anderen Piloten und dann noch den Spott von Zechs angesichts dieser "Verschönerung" dachte, da es leider Gottes keine abwaschbare Farbe gewesen war, mit der Duo seinen Gundam angemalt hatte. Wie hatte ihn Zechs damals verspottet......
Plötzlich stieg ihm ein weihnachtlicher Duft in die Nase und Heero tauchte ruckartig aus seinen Gedanken wieder auf, um sich direkt mit einer Tüte gebrannter Mandeln konfrontiert zu sehen, die der amerikanische Junge vor seiner Nase schwenkte und dabei fragte:
"Na, möchtest du?"
Heero sparte sich die Antwort und entwand seinem Partner in einer schnellen und gewohnt präzisen Bewegung die kostbaren Mandeln, bewusst dessen protestierenden Aufschrei ignorierend und sie vor Duo in Sicherheit bringend.
"Yuy, das nennt man unfaire Kriegsführung!", beschwerte Duo sich und stemmte die Hände locker in die Hüften, alles in allem ein sehr erotisches Bild, mit den geröteten Wangen, der geröteten Nase und dem übergroßen Schal, befand Heero und schüttelte schon beinahe boshaft den Kopf.
"Das ist die Rache dafür, dass du mir eine Kuh auf meinen Gundam gemalt hast!", erwiderte Heero und pickte genüsslich eine der Mandeln heraus.
"HEERO!"
Doch der japanische Pilot reagierte nicht darauf, sondern drehte sich um und ignorierte scheinbar seinen Freund. Was ein großer Fehler war.
"AUA!", rief Heero entsetzt, als ihn etwas mustriges, hartes am Allerwertesten traf und er fuhr ruckartig herum, um dieses Objekt zu identifizieren.
Und sah Duo, der mit einem riesigen Teppichklopfer vor ihm stand, die Augen boshaft leuchtend und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.
"Wenn du mir die Tüte nicht gibst, jage ich dich durch den ganzen Markt mit diesem netten...Accessoire...und wenn ich dich zu fassen bekomme....."
Heero schluckte und überlegte. Wenn er seine Rache gegen Duos Drohung aufwog....die Aussicht, vor allen Leuten mit einem Teppichklopfer gejagt zu werden, ließ ihn erschauern, und schon alleine das Versprechen, ihn mit diesem Monstrum zu bearbeiten, ließ Heero seine Gedanken an Rache verschwinden und misstrauisch die Augenbrauen zusammenziehend wies er auf den bastenen Gegenstand in Duos Hand.
"Erst wenn du das weglegst!"
Die violetten Augen sprühten Feuer, als der amerikanische Pilot langsam auf ihn zukam und dabei drohend sagte:
"Erst die Mandeln, dann den Teppichklopfer....Yuy...."
Heero schluckte und beschloss dann, dass er Duo vertrauen konnte, so reichte er seinem Freund das Objekt seiner Begierde und beobachtete genau, wie der bezopfte Junge seine Waffe wieder dorthin stellte, wo er sie aufgegabelt hatte.
Dann kam er wieder zu seinem Partner zurück und lächelte kurz.
"Wollen wir weiter?"
Heero nickte fasziniert und so marschierten sie Seite an Seite durch das kleine, schon fast verschlafene Dörfchen, um hier und da in einem alten Laden zu stöbern oder einfach nur die herrliche Aussicht der schottischen Küste genießend. Es war ein ruhiger Tag.
*
"Trowa! Hör auf, das kitzelt! TROWA!"
Quatre quiekte fröhlich, als sein Partner ihn spielerisch umarmte und seine Nase prustend in dessen Halsbeuge versenkte. Der arabische Pilot versuchte verzweifelt, dieser Folter zu entkommen, scheiterte jedoch, als Trowa auch noch seine Hände in den Seiten seines Freundes vergrub und sich auch hier an seine Mission machte.
"Nein...nein.....bitte.....", brachte der blonde Junge atemlos vor Lachen hervor und versuchte zum wiederholten Male, seine empfindliche Haut aus dem Einzugsbereich seines Partners zu bringen, jedoch wiederum vergeblich, der grünäugige Junge war einfach zu stark!
"Menno.....das ist gemein....!"
"Ich BIN gemein!", erwiderte der Heavyarmspilot dunkel und lächelte grausam, während er seinen Partner mit einer eleganten Bewegung auf das Sofa beförderte, sich über ihn beugte und ihn nun gnadenlos auskitzelte, dem gequälten Quieken und Schreien einfach keine Beachtung schenkend.
"Du....Sadist.....!", keuchte Quatre mit einem eindeutig roten Gesicht und versuchte sich mit Mühe daran zu erinnern, was diese Folter eigentlich ausgelöst hatte, was ihm jedoch angesichts diverser hindernder Umstände sichtlich schwer fiel.
Das Fernsehprogramm....das war es, reimte er sich zusammen und kicherte haltlos, als sein Bauchnabel mit Trowas neckendem Atem in Verbindung kam.
Dieser lachte leicht und leise, als ein plötzliches Räuspern die Beiden in die Realität zurückbrachte. Sie fuhren ruckartig hoch und sahen Heero, der mit ausdruckslosem Blick im Türrahmen stand und Duo, der sich im Hintergrund hielt, dessen Blick aber keinesfalls als ausdruckslos zu bezeichnen war, sondern eher als geschockt und verängstigt.
Trowa rappelte sich schnell hoch und räusperte sich ebenfalls, ein gezwungenes Lächeln auf den Lippen.
"Wo wart ihr?", fragte er ausdruckslos und Heero zuckte kurz mit den Schultern.
"Auf dem Markt im Dorf", war die kurze Antwort, bevor Heero einen Blick in die Richtung seines Partners warf und fortfuhr:
"Wir...wollten fragen....ob ihr heute Abend schon etwas vorhabt, oder ob wir etwas zusammen machen wollen..."
Quatre, der sich inzwischen ebenfalls aufgerappelt hatte, schluckte den Kloß, den er bei Duos Anblick in seinem Hals hatte, mühsam hinunter und entgegnete leise:
"Wenn ihr möchtet, machen wir gerne etwas zusammen....."
Heero nickte darauf kurz und drehte sich dann entgültig um, mit Duo nach oben gehend.
"Trowa?"
Der braunhaarige Pilot drehte sich abrupt zu seinem Partner um und begegnete dessen sorgenvollem, smaragdgrünem Blick.
"Hast du gesehen, wie Duo geguckt hat? Hast du diese Angst in seinem Blick gesehen?"
Trowa nickte leicht. Auch ihm war wie in den letzten Tagen die beschützende Rolle Heeros Duo gegenüber aufgefallen, auch schon lange bevor er wusste, was dem amerikanischen Piloten angetan worden war. Doch nun wurde es ihm mit aller Macht bewusst. Duo hatte gesehen, wie sie getobt hatten und hatte für sich Rückschlüsse auf seine traumatische Vergangenheit bezogen. Hatte es auf die Vergewaltigung bezogen.
"Trowa...ich möchte ihm so gerne helfen....so gerne....aber ich weiß nicht, wie! Ich bin so hilflos....."
Der Heavyarmspilot nahm seinen Freund liebevoll in den Arm und wiegte ihn sanft hin und her, während er ihm beruhigende Phrasen ins Ohr flüsterte. Auch er wollte dem amerikanischen Jungen helfen, auch er wusste nicht wie, doch es belastete ihn nicht so wie Quatre, denn auch wenn der blonde Araber immer vorgab, so stark zu sein, so war es im Endeffekt nicht. Natürlich war er mental stabil, das konnte man ihm nicht abschreiben, er war nur an diese Grausamkeit keinesfalls gewöhnt, kannte sie vielleicht nicht einmal.
"Wir werden sehen, Quatre. Vielleicht renkt sich alles mit der Zeit ein", beruhigte er sanft sein Gegenüber.
Vielleicht, vielleicht auch nicht.
Wie oft habe ich als kleiner Junge an meinem Fenster gesessen und habe mir gewünscht, auf einem unsichtbaren Weg zu eben diesen Wolken, diesen Luftschlössern einer anderen Welt zu gehen? Wie oft habe ich diese unerträgliche Sehnsucht in mir verspürt und sie unterdrückt? Und nicht nur sie habe ich unterdrückt, auch alles andere, was mich hätte verletzen können, was mich hätte schwach wirken lassen können. Ich habe Angst vor dem Spott der Anderen, ja. Das kann ich heute ehrlich zugeben. Durch Duo. Durch dieses Energiebündel an Leben, das sich selbst den Gott des Todes nennt. Durch den Jungen, den ich mit aller Kraft lieben und beschützen möchte. Doch ich kann es nicht. Es ist unmöglich, ihn vor allen Übeln dieser Welt zu beschützen. Ich konnte ihn nicht davor retten, vergewaltigt zu werden und genauso wenig kann ich es verhindern, wenn ihm auf dieser Mission etwas passiert. Ich frage mich, ob ich etwas ändern könnte. Wahrscheinlich nicht. So ist der Kreislauf, unser Leben. Wir sind Gundampiloten, wir müssen damit rechnen zu sterben, das hat mir Dr. J eingetrichtert, bis ich an nichts anderes mehr geglaubt habe. Und nun....nun ist diese Schutzmauer aus Gleichgültigkeit um mich herum verschwunden. Ich leide, sehe Leid, füge anderen Leid zu. Und es tut weh. So weh. Mein Herz zieht sich zusammen, wenn ich Duo leiden sehe, wenn ich sehe, wie er sich mit den Erinnerungen quält. Und dennoch....wenn ich die Wahl hätte, ein Leben ohne Gefühle zu leben oder ein erfülltes, dann würde ich mich jetzt für das Letztere entscheiden. Kompromisslos, ohne Einschränkungen.
Die ersten Regentropfen benetzen die Glasscheiben der Veranda, vermehrten sich dann zahlreich, bis der kristallene Schutz vor den Naturgewalten nur noch ein einziger, fließender Strom war. Der ganze Himmel verdunkelte sich in Sekundenschnelle und bald schossen grell zuckende Blitze den Horizont hinab auf die Erde, Donner folgte ihnen in regelmäßigen Abständen.
Wahrscheinlich mag ich Schottland deshalb so sehr. Es erinnert mich an die Luftschlösser, an die Träume, die ich hatte, an die Gefühle, die so lange in mir unterdrückt waren. Und nun sind sie frei. Frei wie die Blitze, die sich ihren Weg durch die Wolken gebahnt haben und nun mit voller Wucht in der Erde einschlagen.
Er legte sein Kinn auf ein angezogenes Knie, kurz die Augen schließend und tief durchatmend.
Was wäre, wenn ich jetzt einfach hinausginge, mich dem Regen stellen, mich von ihm läutern lassen würde? Was wäre dann? Ich weiß es nicht. Also sollte ich es herausfinden, oder? Das ist doch der Instinkt des Menschen, die Neugier zu befriedigen, das zu erleben, was Erleuchtung, was Vergeben bringt.
Die stahlblauen Seen wieder der Welt enthüllend, stand Heero langsam auf, öffnete dann die Veranda, begrüßte den frischen, kalten und nassen Wind, der ihm entgegenwehte und tat dann einen Schritt vor. Zuerst einen, dann einen zweiten, dann noch einen. Bis er schließlich ganz in den tobenden Naturgewalten des schottischen Herbstes stand, sich ihnen begrüßend und willkommen entgegenstellte, ihre unzähligen Boten seinen Körper benetzen ließ.
Heero lächelte und schauderte unmerklich bei dem kalten Regen, der seine Haut reizte. Nach einem kurzen Zögern breitete er leicht wie eine Feder seine Arme aus, reckte sie zum Himmel empor, nach mehr flehend, nach Erlösung suchend. Er öffnete seine Lippen, ließ die willkommene Flüssigkeit hinein. Er drehte sich langsam um sich, spielerisch, schwebend. Das Nass mit der einen Hand auf seinem anderen Arm verwischend reckte er seine Arme zum Himmel empor, streckte seine Finger, ließ sie in einem spielerischen Tanz einander verknoten und wieder lösen, ließ sie Figuren formen, Figuren aus Luft, nur beschrieben durch die Bewegung seiner Hände, seiner Arme. Und das alles mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Mit einem fremden, doch nun wieder ebenso vertrauten Lächeln. Ein Lächeln, das Duo ihn gelehrt hatte.
Das einzige Geräusch, was er vernahm, war das stetige Hinabfallen der Tropfen auf den getränkten Erdboden, das Donnern und das Rauschen der wilden Brandung unter ihm. Das Einzige, was er spürte, war die sanfte, jedoch beharrliche Berührung der Natur und ein Seufzen auf seiner Haut.
Heero öffnete leicht die Augen und glaubte nicht, was er dort sah.
Duo stand vor ihm, ein ebenso kleines Lächeln auf dem Gesicht, ein neuer Glanz in den rotgeränderten Augen. Eine Hoffnung in dem vertrauensvollen Blick. Heero wollte seine Arme sinken lassen, doch im gleichen Moment hob der langhaarige Junge die Seinen, ebenso so federleicht wie grazil. Seine Hände berührten Heeros, hinterließen brennende Spuren des Wohlbehagens, verwoben sich dann mit seinen Fingern, zart, weich, vertrauensvoll. So passend. Und zwischen ihnen die Erlösung der Naturgewalten, der läuternden Reinheit.
Heero schloss die Augen und ließ sich mit Duo im sanften Rhythmus davon treiben, die einzige Verbindung zwischen ihnen ihre Hände, so warm ineinander, so vertraut. Und dennoch genug um sich der Präsenz des Anderen bewusst zu sein. Um sich der Geborgenheit bewusst zu sein.
Immer noch fest ineinander verwoben, beschrieben die Arme sanfte Wellen, als sie hinabsanken, sich um die Beiden rankten. In stiller Übereinkunft wussten sie, wohin sie den Anderen führten, welche Bewegung der Andere gerade vornahm.
Heero spürte, wie das Symbol ihre Verbundenheit an seine Brust gelegt wurde, wie sich warme Finger aus seiner Umarmung lösten, seine Handrücken entlang strichen, die Regentropfen verwischten, die sich an seiner Haut abperlten.
"Heero....", seufzte eine federleichte, zarte Stimme, die Hände wanderten weiter zu seinem Gesicht, fuhren jede Linie nach, das Kinn, die Wangenknochen, die geschlossenen Lider, die Nase, den Haaransatz.
Innerlich erschauernd vor dieser Sinnlichkeit, bewegte er seine Hände fast unmerklich, ließ sie über den zarten Brustkorb des Anderen nach oben gleiten, spürte das Kinn, die weiche Haut, die Lippen, benetzt vom Regen, die spitzen Wangenknochen, das durchtränkte, schwere Haar.
Heero lächelte mit geschlossenen Augen und murmelte leicht Duos Namen. Immer wieder, nicht fordernd, nicht verlangend, wie eine Litanei, ein Gebet, eine Glaubensbekundung seiner Gefühle, seiner Liebe.
Und dann fehlten die zarten Finger, die sein Gesicht abtasteten, wurden durch etwas viel engelsgleicheres ersetzt. Heero seufzte leise, als er die federleichten Lippen Duos auf den Seinen spürte, ein Schauer des Wohlbehagens durch seinen Körper rinnend. Und auch die Lippen bewegten sich, hinterließen brennende Manifeste auf seiner sensiblen Haut, wanderten von seinen Lippen zu seinen geschlossenen Lidern, zu seinem Nasenrücken, deren Spitze, seinen Wangenknochen, und kehrten schließlich wieder zurück, um seine Lippen zu versiegeln, zu beschützen, in ihnen Zuflucht zu suchen.
Das Schutzbedürfnis mit seinem ganzen Körper aufnehmend, hob Heero seine Arme und schlang sie Duo federleicht um die Schultern, nichts fordernd, nichts verlangend, nur Schutz darbietend. Schutz, den Duo bereit war anzunehmen.
Und so standen sie da, nur sie selbst, die Welt für einen Moment vergessend, nur sich und den Regen habend, die Wärme des Anderen genießend. Eine Ewigkeit, Äonen.
Der Himmel lichtete sich, wurde müde, seine Gabe auszuschütten und ließ die Naturgewalten sich wieder beruhigen. Langsam aber sicher versiegten die Tränen der Wolken, verschwanden schließlich ganz, ließen vereinzelte Sonnenstrahlen durch die verhangenen Wolken entkommen, die wie ein Weg auf die Erde fielen, wie ein Strahl auf einen bestimmten Punkt zeigten, das Meer unter ihnen erhellten.
Und Duos Lippen ruhten immer noch auf Heeros, ein stiller Kuss, sanft, scheu, ein Vertrauensbeweis, eine Liebeserklärung. Das einzig Gültige in diesem Moment.
"Duo?" Sanft, ein Flüstern, sich nicht sicher, die Magie des Augenblickes nicht zerstören wollend.
Vertrauensvolle, amethystfarbene, schier endlose Seen der Natur sahen auf, hielten Heeros Blick fest.
So viele Fragen standen in den stahlblauen, an die Moderne erinnernden Augen.
"Ich habe dich gesehen, Heero. Ich saß an meinem Fenster und habe dich gesehen, wie du im Regen standest und da.....da....."
Der langhaarige Junge stockte, wusste nicht, wie er seien Entscheidung hinunterzukommen begründen sollte. Wie er das plötzliche Vertrauen, die plötzliche Zärtlichkeit in die durchnässte Figur am Fuße seines Fensters erklären sollte. Duo war sich nicht sicher, was er überhaupt in diesem Moment gefühlt hatte, als er die Naturgewalten beobachtet hatte, dann die sanften Bewegungen seines Freundes, diese Erlösung, diese Erleichterung gespürt hatte.
Die Magie dieses Augenblickes, seine Finger verwoben mit denen seines Partners, wie zwei Teile des gleichen Puzzles, perfekt ineinander passend, sich in jeder Weise ergänzend. Harmonie in vollster Linie, das war es, was Duo gespürt hatte. Das war es, wonach er sich so lange gesehnt hatte. Und es war ihm geschenkt worden. Gerade, dieser kleine, wertvolle Augenblick hatte ihm seine innere Zerrissenheit genommen, seine Persönlichkeit zusammengefügt, sie mit Heeros zusammengefügt.
So, als ob wir uns schon ein Leben lang kennen, schoss es dem langhaarigen Jungen durch den Kopf. Als würden wir füreinander bestimmt sein.
Er strich mit seinen Fingern sanft über Heeros Wange, spürte dessen Hände beschützend, nicht fordernd auf seinem Rücken. Er schreckte nicht vor der Zärtlichkeit in Heeros Augen zurück, sah darin keine Bedrohung. Zum ersten Mal seit langer Zeit sah er in der Nähe anderer Menschen keine Bedrohung mehr.
Heeros Hände wanderten nach oben, glitten unbemerkt, hauchzart zu seinen Wangen, umfassten sie, strichen regenschwere Strähnen aus dem ebenmäßigen, schmalen Gesicht, erkundeten jeden Fleck, bis sie schließlich nur noch die Lippen unberührt ließen.
Die Frage, die in Heeros Augen schwebte, bejahte Duo mit einem einzigen Seufzen, erteilte seinem Partner die Erlaubnis. Gab ihm sein Einverständnis, seine Lippen engelsgleich in Besitz zu nehmen, sie vor der Luft zu schützen.
Und dieses Mal waren es Duos Hände, die sich auf Heeros Rücken legten, ihn sanft hinauffuhren, schließlich am Nacken stehen blieben, über den Haaransatz strichen. Duos Hände waren es, die Heero beschützend umschlossen, Halt gaben.
"Ist....ist das okay für dich?"
Duo lächelte ob der Zweifel, der Angst, die in der Frage lagen.
"Ja....", hauchte er gegen die Lippen seines Partners, lehnte sich an den nassen Körper des japanischen Jungen.
Ja...es ist okay....im Moment ist es okay. Ich brauche dich, ich brauche deine Umarmung wie mein tägliches Brot.
"Duo...."
Einen Moment Stille, dann:
"Ich liebe dich."
Duo spürte, wie ihn ein Schauer des Glücks überrann. Es stimmte, dass er es schon einmal von Heero gehört hatte, Heero hatte ihm diesen Schwur schon einmal gegeben. Und dennoch war er noch nie so real, so von Bedeutung wie in diesem Augenblick. In diesem Moment ohne Angst, ohne Alpträume, ohne Erinnerungsfetzen, ohne Stimmen, die ihn verfolgten. Das alles war ausgesperrt, verbannt für einen Augenblick. Einen Augenblick der Ewigkeit.
"Ich liebe dich auch."
Stahlblaue Saphire sahen auf, trafen auf Amethyste, versanken darin, ertranken, wurden gerettet durch das Funkeln des Lebens in ihnen, durch die Freude, die ihnen zuteil war. Ein seltener Funke in der letzten Zeit und dennoch unleugbar da, präsent.
Dann ruhte Duos Kopf wieder still an Heeros Brust, die Lippen zu einem Lächeln verzogen. Der langhaarige Junge summte leicht, wiegte sich mit seinem Partner dazu im Takt.
Frieden. Das Versprechen auf Frieden, das wir einlösen werden. Die Hoffnung vieler Menschen auf eine Zukunft ohne Krieg. Sie werden nicht betrogen, denn wir haben die Möglichkeit, ihnen diese Hoffnung zu geben. In unseren Händen liegt es und wir werden es schaffen. Wir sind eine Einheit, ein Kosmos, wir sind stark. In unseren Händen liegt das Schicksal des Universums....
*
"Hier...sonst wirst du wieder krank!"
Duo nahm immer noch lächelnd das ihm dargebotene Handtuch an und rubbelte damit seine Kopfhaut ordentlich ab.
Nachdem sie noch einige Zeit friedlich aneinander gelehnt draußen gestanden hatten, hatte Heero die vollkommen durchnässten Sachen Duos bemerkt und erschrocken gesagt, dass sie hineingehen müssten um sich etwas Trockenes anzuziehen.
Was sie dann schließlich auch getan hatten und Duo nun in seiner schwarzen Trainingshose und einem weiten, weinroten Cashmeerepulli auf Heeros Bett saß, sich die Haare trocken rubbelte.
Heero, der sich ebenfalls umgezogen hatte nun in dunkelblauer Jeans und cremefarbenen Rollkragenpullover vor ihm saß, erwiderte dieses Lächeln freundlich und offen, während er sich an Duos Seite niederließ, seine wirren Strähnen versuchte zu glätten und dabei leise Schmerzeslaute von sich gab.
Au, verdammt, das tut weh!, fluchte er nun schon zum zehnten Mal stumm, als seine Hand auf ein ganzes Nest von Knoten traf und den Kampf gegen sie verlor. Wie es erst wohl Duo gehen mag?
Heero fiel sogleich die Unbeschwertheit auf, mit der er an seinen Freund, an den amerikanischen Piloten gedacht hatte.
Wenn es doch nur immer so wäre..., seufzte er stumm und ein wohliger Schauer rann über seinen Rücken, als er sich an die vergangenen Momente erinnerte.
Duos Vertrauen, sein Glück, diese intime Berührung, hauchzart.....
"...., nicht wahr Heero?"
Der japanische Pilot blinzelte erschrocken, als er merkte, dass er soweit in Gedanken war, dass er alles um sich herum vergessen hatte. Mal wieder.
"Was hast du gesagt, Duo?", fragte er irritiert und der amerikanische Junge lächelte leicht, als er seine Bemerkung wiederholte:
"Du liebst den Regen, hatte ich dich gefragt. Den Regen und die Wolken."
Heero nickte erstaunt. Ja natürlich stimmte das.
"Weißt du, früher hätte ich es dir nicht geglaubt, hättest du es mir gesagt. Ich habe zwar schon immer vermutet, dass da mehr hinter der ach so kalten und gefühllosen Fassade steckt, doch solche irrationalen Gefühle...."
"Ist...ist das schlimm, Duo?", fragte Heero plötzlich unsicher und schlug ein Bein unter, das andere zur Stütze seines Kinns umfunktionierend, während Duo den Kopf schüttelte.
"Nein...nein, es hätte mich nur mehr als andere erstaunt. Doch nun...", er warf einen kurzen Blick in Heeros Augen. "...erstaunt mich gar nichts mehr."
Eine Augenbraue hob sich erstaunt, während Duo ernst den Kopf schüttelte.
"Nein....nichts mehr", wiederholte er und starrte auf seine Hände, die das Handtuch in seinem Schoß hielten. "Seit du mich gerettet hast....die Tage, die wir in diesem Apartment verbracht haben....Als wir spazieren gegangen sind.....Deine Sorge um mich....Weißt du, das alles habe ich erst nachher so richtig realisiert, ich war zu sehr mit meinem Schmerz beschäftigt, ich habe nicht gesehen, wie sehr du zu einem Menschen geworden bist. Doch jetzt, jetzt weiß ich es und es macht mich glücklich zu sehen, dass du nicht der eiskalte Killer bist, für den ich dich bei unserem ersten Zusammentreffen gehalten habe.
"Eiskalter Killer....?", wiederholte Heero nachdenklich und Duo lächelte ein wenig.
"Naja...", gab er schließlich zu. "Als ich dich sah, wie du Relena bedroht hast und dann noch nach meinen Kugeln in deinem Körper so handeln konntest....ich habe geglaubt, du wärest der Teufel persönlich...."
"Der Teufel persönlich....?", wiederholte Heero erneut und sah seinen Partner beinahe flehend an. "Aber...aber jetzt doch nicht mehr, oder?"
Duo brachte ein offenes Lächeln zustande.
"Nein....jetzt bist du viel mehr für mich, Heero, viel mehr", erwiderte er sanft und senkte kurz seine Augen, das Handtuch zwischen seinen Fingern knetend.
"Viel....mehr...."
Heero lächelte und fuhr mit seiner Hand sanft über Duos Oberarm.
"Weißt du, Duo, dass ich dich am Anfang regelrecht gehasst habe. Gehasst dafür, dass du so alles warst, was ich nie sein konnte, nie sein durfte...du warst die Freundlichkeit und Güte in Person, ein Engel unter uns Soldaten. Du warst in der Lage, deine Fröhlichkeit beizubehalten, auch wenn es wirklich nicht mehr amüsant war...."
"Heero....", wollte der langhaarige Junge seinen Partner unterbrechen, doch Heero kam ihm zuvor.
"Und ich weiß, dass das alles nur eine Fassade war, Duo. Habe es gemerkt, als wir beide die Zeit in dem Apartment verbracht haben. Duo....wenn dir nicht zum Lachen ist, brauchst du es auch nicht. Es ist kein Zeichen von Schwäche, seine wahren Gefühle zu zeigen."
Und das sagt gerade Mr. High-frozen-perfect-Soldier Heero Yuy? Alle Achtung!
Ach, halt den Mund! Du weißt wohl besser als ich, dass ich gelernt habe, Gefühle zu zeigen! Du hast mich ja immer und immer wieder darauf aufmerksam gemacht.
"Du hast aber auch nicht gerade viele Gefühle gezeigt!", durchfuhr Duos Stimme da auch schon mit einem humorvollen Unterton seine Gedanken und der japanische Soldat seufzte.
"Alles Vergangenheit", brummte er und wandte sich wieder direkt zu Duo, die verfilzten Strähnen bemerkend, die seinem Partner wirr um das Gesicht hingen.
"Nun....ich weiß, was wir jetzt machen!", sagte er mit einem hinterhältigen Grinsen und Duo wich leicht zurück angesichts dieses ungewohnten Ausdrucks.
"Ich werde dir jetzt erst mal deine Haare auskämmen!", bemerkte Heero schon fast hämisch und knackte erwartungsvoll mit seinen Fingerknöcheln, was Duo einen Schauer über den Rücken schickte.
Heero triumphierend mit einem Kamm in den Händen sehend, schluckte Duo schwer und brachte unsicher hervor:
"Hee.....Heero....."
Doch da war es schon zu spät. Der perfekte Soldat hatte sich an sein Opfer herangepirscht und war nun dabei, seine Mission zu seiner vollsten Zufriedenheit zu erfüllen.
*
"So, fertig!", sagte Heero stolz und betrachtete sein Werk voller Zufriedenheit.
Duo, der bisher misstrauisch auf dem Bettrand gesessen und die Prozedur über sich ergehen lassen hatte, sah nun mit leicht verschwommenem Blick auf. Zu sehr hatte er sich von Heeros sanften Strichen und Massagen seiner Kopfhaut in ein Stadium leichter Schläfrigkeit versetzen lassen. Er räusperte sich kurz und streckte dann seine ebenfalls eingeschlafenen Glieder, um den kleinen Spiegel zu ergreifen, den Heero ihm hinhielt.
Der amerikanische Pilot blinzelte, als er das Gebilde sah. Einmal, zweimal. Als es beim dritten Mal immer noch nicht verschwunden war und somit relativ sicher zur Realität gehörte, wagte er einen genauen Blick auf das prachtvolle Kunstwerk, das Heero aus seinen Haaren gemacht hatte.
Eigentlich war es ja nur ein normaler Zopf. Wären da nicht die einzelnen Strähnen gewesen, die der japanische Junge am Anfang ausgelassen und dann mit eingeflochten hatte, was dem ganzen eine wahrhaft edle Note gab. Und so perfekt.....
Duo lächelte leicht und anerkennend, während er sich zu seinem Partner umdrehte und die Stirn runzelte.
"Ich bin wirklich davon überzeugt, dass du mit Puppen gespielt hast, Heero! Komm schon, du kannst es nicht verleugnen!"
Stahlblaue Kugeln funkelten ihn spielerisch erbost an, während der Wingpilot leicht knurrte.
"Das ist nicht wahr!", behauptete er fest, wurde aber durch Duos überzeugtes Kopfschütteln unterbrochen.
"Ach komm schon, Heero.....ich weiß es doch...du kannst es mir doch sagen!"
Wieder ein Seufzen, dieses Mal noch hilfloser.
"Aber ich habe doch nicht....."
"Natürlich hast du! Ich sehe es in deinen Augen! Dafür braucht man sich doch nicht zu schämen!"
Heero senkte besiegt seinen Kopf. Nein, er hatte nicht mit Puppen gespielt, nein, das ganz bestimmt nicht. Es war....nur Zufall gewesen, dass er einmal ein Buch darüber gefunden hatte und es gelesen hatte.....weil ihm langweilig war! Nichts weiter!
"....Buch drüber gelesen...", murmelte der japanische Junge fast unhörbar und Duo beugte sich vor, um wenigstens den letzten Teil des Satzes zu verstehen. Es dauerte einen Moment, bis die Information in seinem Hirn verarbeitet worden war, doch dann weiteten sich seine Augen überrascht und er fragte ungläubig nach:
"Du hast das aus einem BUCH?!"
Heero nickte kaum merklich und Duo strich ihm plötzlich sanft über den Arm. Eine Geste voller Zuneigung und Scheu.
"Ist doch nicht schlimm", murmelte er.
Heero sah angesichts dieser Zärtlichkeit auf und verzog leicht die Lippen.
"Okay", hauchte er und sackte wieder zu Duo auf die Bettkante, schwieg dann für einen Moment, bevor er seinen Partner fragte:
"Was möchtest du denn heute machen, Duo? Ich meine, wir haben ja noch ein wenig Zeit, um uns auf die Mission vorzubereiten..."
Für einen Moment erwiderten blauviolette Seen seinen Blick überrascht, doch dann gewannen sie ihre Ruhe zurück und Duo erwiderte zögernd:
"Ich habe noch nicht so richtig darüber nachgedacht, wenn ich ehrlich bin. In....in der letzten Zeit plane ich nie soweit voraus....."
Heero wurde still. Er wusste ganz genau, was Duo ihm gerade nicht sagte, was er ihm verschwieg. Heero kannte genau die Schmerzen, die Duo plagten, die Angst vor der Erinnerung, die Unsicherheit im Umgang mit Anderen. Und davon musste er den amerikanischen Piloten abbringen.
"Nun....", begann der japanische Junge mit einem freundlichen Lächeln, einer Geste, die ihm in den letzten Tagen wirklich leicht gefallen war. "Dann sag, auf was du gerade in diesem Moment Lust hast."
Violette Augen weiteten sich überrascht und wurden dann wieder weich, als sie kurz überlegten und schließlich zu stahlblauen zurückkehrten.
"Bummeln."
Heero hob erstaunt die Augenbrauen und erwiderte dann halbwegs verständnislos.
"Bummeln?"
Duo nickte, ließ somit die Ponyfransen auf seiner Stirn sanft hin und herschwenken.
"In der Stadt. Der alte Markt, der jeden Freitag stattfindet. Heute ist doch Freitag, oder?", wandte er sich zu seinem Partner, nicht mehr ganz so sicher. "Ich habe irgendwie das Zeitgefühl verloren....Es scheint mit wie eine Ewigkeit her, seitdem......"
Duo stockte. Ja, was hatte er eigentlich gerade sagen wollen? Seitdem er Kushrenada getötet hatte? Seitdem er sich Heero anvertraut hatte? Seitdem Heero ihn vor Selbstmord bewahrt hatte?
Alles. Alles trifft zu.....Seit er mir hilft, scheint Zeit keine Bedeutung mehr zu haben.....
Eine Hand auf seiner Wange ließ Duo in die reale Welt zurückkehren und er begegnete Heeros zärtlichem Blick.
"Also gehen wir bummeln!", meinte sein Partner und Duo zauberte ein kleines Lächeln auf seine Lippen. So stand Heero auf, reichte dem amerikanischen Piloten die Hand und sagte gespielt höflich:
"Darf ich den Gnädigsten bitten, mir unauffällig zu folgen."
Auf das kleine Spiel gerne eingehend, neigte Duo hoheitsvoll seinen Kopf und erwiderte ebenso förmlich:
"Ihr dürft, mein Ritter. Ich werde Euch gerne folgen!"
Somit verließen die Beiden das Zimmer und gingen über die große Marmortreppe nach unten, nur um dort Zechs zu begegnen, der gerade aus dem Trainingsraum kam und nach oben in Wufeis Zimmer wollte.
Heero spürte, wie Duo sich unmerklich versteifte und wandte den Blick besorgt zur Seite, worauf der amerikanische Pilot ihn kurz ansah, sich dann aber entspannte.
Er kann sich immer noch nicht an Zechs´ Präsenz gewöhnen, dachte Heero und erntete dafür wieder ein inneres Schnauben.
Natürlich nicht! Zechs war ja auch der Vertraute von Treize, falls Mr. Perfect Soldier das schon vergessen haben.
Heero fauchte in Gedanken und erwiderte schon beinahe schnippisch:
Das weiß ich! Außerdem hör auf, dich in meine Angelegenheiten einzumischen!
DEINE Angelegenheiten? Vergiss nicht, mein Lieber, ich bin ein Teil von dir.
Ein Teil, den ich am Liebsten zur Hölle schicken würde!
Nana.....jetzt werden wir aber gemein.....und undankbar! Muss ich dir denn erst all die Situationen aufzählen, in denen du ohne mich niemals zurechtgekommen wärst?
Heero knurrte wütend, erwiderte aber nichts. Er wusste, diese....Stimme...hatte recht. Zumindest in diesem Punkt. Besonders als es Duo noch so abgrundtief schlecht ging, hatte ihn sein "ES" wirklich unterstützt.
"Geht es dir nicht gut, Heero?", durchbrach da eine besorgte Stimme seine Gedanken und der japanische Pilot fuhr irritiert hoch.
"Was...?", begann er stirnrunzelnd, merkte aber dann, dass Zechs vor ihm stand, ihn mit dem gleichen Gesichtsausdruck ansah und sich nun leicht zu Duo drehte, der den blonden Mann immer noch vorsichtig und angespannt beäugte.
"Ich...ich war nur in Gedanken....", gestand Heero mehr sich als seinem Gegenüber ein und wandte sich dann ebenfalls an den langhaarigen Amerikaner.
"Wollen wir, Duo?", fragte er lächelnd und sah, wie die Spannung in den Schultern seines Partners abnahm und dieser erleichtert nickte.
"Entschuldige uns", wandte Heero sich schließlich knapp an seinen ehemaligen Rivalen und verließ mit Duo das große, prächtige Gebäude.
*
"Sie haben WAS?!"
Zechs nickte leicht, als Wufei ihn fassungslos anstarrte und schluckte.
"Das kann dieser....Mann....nicht tun!", fluchte der chinesische Pilot wütend und schlug mit der Faust auf die Tischkante. "Wie soll Duo das denn überstehen?! Er...er ist doch noch so...DAVON....traumatisiert, wie soll er da eine solche Mission bestreiten? Und dazu noch so eine schwierige?"
Zechs betrachtete das zornesrote Gesicht seines Partners und seufzte leicht. Noch nie, selbst am Anfang ihrer weiß Gott nicht leichten Beziehung, hatte er Wufei so wütend gesehen, so außer sich.
"Wufei....", wollte er den aufgebrachten Jungen beruhigen, doch dieser nahm überhaupt keine Notiz von ihm, sondern fuhr weiter fort, wie ein Tiger- ein sehr wütender Tiger- im Käfig auf und ab zu laufen, Flüche auf den impertinenten Wissenschaftler auszustoßen und sich selbst in Rage zu reden.
"Sieht er denn nicht, wie schlecht es Maxwell geht? Wie sehr er darunter leidet?", unterbrach er Zechs ungehalten. "Wie kann er ihm so eine Mission aufhalsen? Wie nur? Das ist ungerecht!!"
Auch wenn Zechs ein Mann von Geduld war, so war diese doch nach einer gewissen Zeit ausgeschöpft, besonders, wenn er konstant ignoriert wurde.
"Wuffie Mäuschen", flötete er daher ungeniert und erntete dafür einen mehr als tödlichen Blick und konnte sich jetzt sicher sein, dass sich Wufeis gesamte Wut nun zum größten Teil auch auf ihn richtete.
"Wie kannst du es wagen...", kam es da auch schon gepresst von seinem Gegenüber, dessen Gesicht eine gefährliche Rotfärbung angenommen hatte und dessen Augen Blitze verschossen, die, wären sie in der Lage gewesen, Zechs ins Jenseits zu befördern, dies auf eine möglichst grausame und langsame Weise getan hätten. "....bei so einem ernsten Thema WITZE zu machen? Dich über Maxwell lustig zu machen! Geht es dir denn so wenig nahe, was ihm geschehen ist?"
Zechs blaue Augen verengten sich plötzlich angesichts dieses Vorwurfs und er knurrte wütend.
"Ob es mir nicht nahe geht? OB ES MIR NICHT NAHE GEHT? ICH habe meinen langjährigen Freund und Vertrauten getötet, um das Leben des Gundampiloten zu retten! Und ICH habe nachher erfahren, dass er eben diesen Piloten brutal misshandelt und vergewaltigt hat, eine Tat, die ich für äußerst verabscheuungswürdig und niederträchtig halte und bei der ich mich frage, wie sehr man sich in einem Menschen irren kann! Ich muss mit meinem Gewissen umgehen. Einem Gewissen, das mir sagt, ich hätte einem Verbrecher gedient, der auch MEINE Familie ermordet hat, hätte meinen eigenen Ideale in den Staub getreten, sie verraten! Und bei Gott, ich hasse Treize dafür, dass er Duo so etwas angetan hat! Ich kann nicht verstehen, wie ein so scheinbar ehrenhafter Mann so etwas tun konnte! Ich kann es nicht! Und das geht mir nahe, glaub mir, Wufei, das geht es!", warf er seinem Partner wütend an den Kopf, der ihn nun schweigend anstarrte.
Natürlich hatte Wufei von der engen Verbindung zwischen Treize und Zechs gewusst, doch nie war es ihm in den Sinn gekommen, dass der blonde Mann so unter dem Verrat seines Vertrauten leiden würde. Dass er ihn hasste....das war natürlich, aber dass er darunter litt....
Wufei schüttelte in Gedanken stumm den Kopf. Nein, das war ihm noch nicht in den Sinn gekommen.
"Milliardo....es tut mir leid....."
Zechs sah auf und begegnete schweigend dem Blick seines Gegenübers. Er wusste, Wufei nannte ihn nur äußerst selten Milliardo, eine Art Kosename, ein Vertrauensbeweis, ein Stück Intimität. Er wusste, was Wufei mit dem Gebrauch seines Namens beabsichtigte und es war ihm recht. Der chinesische Pilot wollte sich für sein Unverständnis entschuldigen und Zechs nahm diese Entschuldigung gerne an.
Der blonde Mann nickte daraufhin leicht und schwieg eine Weile, bevor er plötzlich bemerkte:
"Ich habe das Tape gesehen."
Wufei verstand nicht, was sein Partner damit sagen wollte und zog fragend die Brauen zusammen.
"In Duos Zelle war eine Überwachungskamera", fuhr er fort und der chinesische Junge verstand plötzlich.
"Sie....sie haben es aufgenommen.....?", fragte er bestürzte und schlug eine Hand vor den Mund, während er versuchte, nicht auf die Übelkeit zu achten, die in ihm aufstieg.
Zechs nickte leicht und fuhr dann leise fort:
"Dr. J hat es mir gezeigt....ich weiß nicht wieso....Gott, Wufei, es war so grausam...."
Der chinesische Junge war mit einem Schritt bei seinem Partner und umarmte ihn stark und beschützend, denn auch wenn Zechs nach außen hin immer so stark und unnachgiebig wirkte, so war es doch nur eine Fassade, hinter der ein verletzter, durch den Mord an seiner Familie gekennzeichneter junger Mann steckte, der Zeit seines Lebens um Stärke und Rache gekämpft hatte.
"Shhhh.....Zechs...ist ja gut......", versuchte er den Kronprinzen des Sanc Kingdom zu beruhigen und wiegte ihn sanft hin und her. "Du kannst nichts dafür, gib dir nicht die Schuld!"
Mit der Stirn auf der Schulter seines Freundes ruhend, murmelte Zechs leise und kaum hörbar:
"Doch.....ich hätte sie aufhalten müssen.....ich hätte es verhindern müssen...."
"Wie denn? Wie um alles in der Welt hättest du verhindern können, dass das passiert?"
Wufei merkte, wie Zechs´ Körper sich anspannte, bevor er stockend antwortete:
"Ich war kurz zuvor noch bei Treize, habe mit ihm gesprochen.....habe mit ihm über die Gundampiloten gesprochen...."
Wufei erstarrte gleichermaßen und fragte kaum hörbar, seine Stimme getränkt in Unglauben:
"Du....hast...mit ihm gesprochen....über uns...?"
Der chinesische Pilot spürte ein Nicken an seiner Schulter.
"Und....und Treize wollte immerzu über Duo sprechen....alles über ihn wissen.....er hat gefragt, was ich über ihn wüsste....."
"Und du hast ihm geantwortet...."
"Ja....". Es war nicht mehr, als ein verzweifeltes Hauchen, ein Flüstern, was Zechs zustande brachte. "Ich habe ihm alles erzählt....alles, was ich wusste....."
Für einen Moment beherrschte Stille den luxuriösen Raum, bevor Wufei leise und sanft murmelte:
"Du kannst nichts dafür, wirklich nicht! Du wusstest nicht, was er Maxwell antun wollte! Mach dir deswegen keine Vorwürfe!"
"Aber....."
"Shhhhh....nichts aber.....du bist nicht Schuld!"
*
"Es ist eindeutig zu kalt!"
Heero wandte seinen Blick nach rechts und begegnete der dick vermummten Gestalt des Deathscythepiloten, der fröstelnd die Schultern hochzog und seine Nase noch tiefer in dem anderthalb Meter langen und nun um seinen Hals geschlungenen Schal verbarg, sodass nur noch die Augen zu sehen waren, die eine ruhige Präsenz ausstrahlten, jedoch nichts mehr von ihrer alten Überschwänglichkeit und Heiterkeit innehatten.
Erst als ein Frösteln seine Wirbelsäule hinunter wanderte und Heero die Gänsehaut auf seinen Armen spürte, war er sich bewusst, was Duo gerade gesagt hatte und er nickte bestätigend. Auch er hatte sich in einen dicken Wintermantel gehüllt, trug jedoch keinen Schal, da er Duo eben diesen gegeben hatte.
Heero spürte, dass die ruhige Präsenz des langhaarigen Jungen ehrlich gemeint war, dass er ihn nicht belog oder seine Maske aufbehalten hatte. Und auch wenn Heero froh über diese Wendung war, wenn er sich freute, dass Duo mit seinen Erinnerungen fertig wurde, so wusste er auch, dass es nicht von Dauer war. Es war ein Gewitter an Emotionen, die auf den amerikanischen Piloten einströmten. Einmal war er ruhig und ausgeglichen, nicht an das Vergangene denkend und dann überrannte es ihn förmlich, ließ ihn unter den Wellen der Verzweiflung und des Schmerzes zusammenbrechen. Heero wusste nicht, ob es jemals aufhören würde, ob Duo jemals in der Lage war, darüber hinwegzukommen und ein normales Leben zu führen.
Normal?, tönte es da aus seinem Hinterkopf. Er wird so oder so nie normal sein, mein Lieber! Er ist ein Gundampilot, er hat von klein auf gelernt zu töten. Er ist genauso traumatisiert von seiner Erziehung wie ihr anderen auch.
Ich bin nicht traumatisiert!, protestierte Heero empört, doch die Stimme schüttelte mental ihren Kopf und lächelte traurig.
Du warst bis vor kurzem noch nicht einmal in der Lage, zwischenmenschliche Beziehungen zu führen geschweige denn zu lieben. Du WUSSTEST einfach nicht, was es bedeutet, weil es dir dieser Bastard von Wissenschaftler nie beigebracht hat. Wie auch? Du warst für ihn nur eine gewissenlose Killermaschine, die für ihn die Drecksarbeit erledigt hat. Nichts weiter. Doch nun lebst du, liebst du, bist menschlich geworden. Dein Trauma wirst du jedoch immer mit dir herumtragen.
Heero schwieg gedanklich. Natürlich stimmte das.
Ich habe Angst, dass ich nicht damit zurechtkomme.
Du wirst. Davon bin ich überzeugt.
Und wie?
Ich bin ja noch da.
Heero zog überrascht eine Augenbraue nach oben. Das war jetzt eine Antwort, die er beim besten Willen nicht erwartete hatte.
Und du willst mir helfen, ja?, erwiderte er nun doch leicht amüsiert. Kannst du das denn mit deinem Gewissen vereinbaren, da du mich doch sonst immer nur niedermachst.
Ein imaginäres Schnauben antwortete ihm.
Erstens, mein Liebchen, BIN ich dein Gewissen und werde demzufolge selbst keins haben. Zweitens, Mr. Perfect Soldier, mache ich dich nicht nieder, wie du dich so gewählt auszudrücken vermagst, sondern HELFE dir. Aber anscheinend bist du zu engstirnig, das zu erkennen.
"Na klaaaar!", schnaubte Heero und merkte erst nach einiger Zeit, dass er es laut gesagt hatte.
Ups....das war dumm!
Ach halt doch den Mund!
"Heero, führst du immer Selbstgespräche?"
Der japanische Pilot zuckte bei diesen Worten unbewusst zusammen und seine blassen Wangen nahmen eine leicht rötliche Färbung an. Jetzt hatte er den Salat. Wie sollte er denn Duo erklären, dass er mit seinem "Es" stumme Zwiegespräche führte, sich jedoch im Moment mit seiner inneren Stimme darüber stritt, ob er Hilfe bräuchte oder nicht. So entschied er sich für die Wahrheit und erwiderte lächelnd:
"Manchmal schon, ja."
Violette Augen sahen ihn ungläubig an und wurden dann von feinen Lachfältchen umschlossen, als der langhaarige Junge lächelte und sagte:
"Du bist menschlich geworden, Heero."
Wahaaa......da haben wir es! Siehst du! Er denkt es auch!
Ja, brummte Heero verstimmt. Aber bei ihm verspüre ich nicht das Verlangen, ihn umzubringen, wenn er mir so etwas sagt.
Der japanische Pilot seufzte leise und richtete seine Aufmerksamkeit dann dem kleinen Dorf vor sich zu. Duo und er hatten beschlossen, das Stück bis zur nächstgelegenen Siedlung zu laufen und waren jetzt einigermaßen durchgefroren am Ziel angekommen, vor ihnen der Dorfeingang und die alten, kleinen aber hübschen Häuser, die so gar nichts von der modernen Welt zu wissen schienen. Noch mit Backsteinen gebaut, die Wege noch nicht zubetoniert sondern einfach naturbelassen, so stellte sich Heero die Vergangenheit vor, und so war sie hier auch.
Und zwischen den Häusern überall kleine Gässchen, die zu den Hinterhöfen oder in eine andere Straße führten, wovon es wahrlich nicht viele gab.
Als der japanische Pilot seinen Blick zu Duo schweifen ließ, bemerkte er erstaunt, dass dieser mit der gleichen Faszination um sich sah und hier und da an kleinen Lädchen oder anderen Reliquien längst vergangener Zeiten hängen blieb, sie bestaunte und sich dann zum nächsten wandte.
"Schön hier, nicht wahr?", fragte Heero lächelnd, worauf Duo stumm und mit leuchtenden Augen nickte.
"Sieh mal, da vorne ist der Markt!", bemerkte er und deutete nach rechts, worauf hin Heero seinem Blick folgte. "Wollen wir?"
Der japanische Junge nickte und gemeinsam gingen sie auf der feuchten und lehmigen Dorfstraße zu dem großen Platz, an dem an verschiedensten Ständen sowohl Nahrungsmittel als auch Werkzeuge und Tiere verkauft wurden.
"Das ist ja....", sagte Duo mit leuchtenden Augen, als sie schließlich durch die Stände gingen, hier und da kleine Naschsachen probierten oder sich Antiquitäten ansahen.
"Toll?", fragte Heero lächelnd, als er den glücklichen Ausdruck in Duos Augen sah.
Wann war Duo das letzte Mal so gelassen gewesen? So offensichtlich glücklich? So ehrlich?
Noch nie, du hast ihn noch nie so gesehen.
Heero seufzte. Wenn er sich genau überlegte, stimmte es sogar. Er hatte Duo nur als den psychopathischen Jungen kennengelernt, der sich über alles lustig machte und, wenn er dazu Lust hatte, auch mal die Gundams künstlerisch verschönerte.
Der japanische Pilot hob leicht indigniert eine Augenbraue, als er sich an das blökende Kuhgesicht erinnerte, das ihm die Zunge herausstreckte, als er eines Morgens seinen Gundam reparieren wollte. Oh...er hätte Duo dafür umbringen können. Nein....nicht umbringen, das wäre zu gnädig gewesen....
Heero knurrte unbewusst, als er an die Gesichter der anderen Piloten und dann noch den Spott von Zechs angesichts dieser "Verschönerung" dachte, da es leider Gottes keine abwaschbare Farbe gewesen war, mit der Duo seinen Gundam angemalt hatte. Wie hatte ihn Zechs damals verspottet......
Plötzlich stieg ihm ein weihnachtlicher Duft in die Nase und Heero tauchte ruckartig aus seinen Gedanken wieder auf, um sich direkt mit einer Tüte gebrannter Mandeln konfrontiert zu sehen, die der amerikanische Junge vor seiner Nase schwenkte und dabei fragte:
"Na, möchtest du?"
Heero sparte sich die Antwort und entwand seinem Partner in einer schnellen und gewohnt präzisen Bewegung die kostbaren Mandeln, bewusst dessen protestierenden Aufschrei ignorierend und sie vor Duo in Sicherheit bringend.
"Yuy, das nennt man unfaire Kriegsführung!", beschwerte Duo sich und stemmte die Hände locker in die Hüften, alles in allem ein sehr erotisches Bild, mit den geröteten Wangen, der geröteten Nase und dem übergroßen Schal, befand Heero und schüttelte schon beinahe boshaft den Kopf.
"Das ist die Rache dafür, dass du mir eine Kuh auf meinen Gundam gemalt hast!", erwiderte Heero und pickte genüsslich eine der Mandeln heraus.
"HEERO!"
Doch der japanische Pilot reagierte nicht darauf, sondern drehte sich um und ignorierte scheinbar seinen Freund. Was ein großer Fehler war.
"AUA!", rief Heero entsetzt, als ihn etwas mustriges, hartes am Allerwertesten traf und er fuhr ruckartig herum, um dieses Objekt zu identifizieren.
Und sah Duo, der mit einem riesigen Teppichklopfer vor ihm stand, die Augen boshaft leuchtend und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.
"Wenn du mir die Tüte nicht gibst, jage ich dich durch den ganzen Markt mit diesem netten...Accessoire...und wenn ich dich zu fassen bekomme....."
Heero schluckte und überlegte. Wenn er seine Rache gegen Duos Drohung aufwog....die Aussicht, vor allen Leuten mit einem Teppichklopfer gejagt zu werden, ließ ihn erschauern, und schon alleine das Versprechen, ihn mit diesem Monstrum zu bearbeiten, ließ Heero seine Gedanken an Rache verschwinden und misstrauisch die Augenbrauen zusammenziehend wies er auf den bastenen Gegenstand in Duos Hand.
"Erst wenn du das weglegst!"
Die violetten Augen sprühten Feuer, als der amerikanische Pilot langsam auf ihn zukam und dabei drohend sagte:
"Erst die Mandeln, dann den Teppichklopfer....Yuy...."
Heero schluckte und beschloss dann, dass er Duo vertrauen konnte, so reichte er seinem Freund das Objekt seiner Begierde und beobachtete genau, wie der bezopfte Junge seine Waffe wieder dorthin stellte, wo er sie aufgegabelt hatte.
Dann kam er wieder zu seinem Partner zurück und lächelte kurz.
"Wollen wir weiter?"
Heero nickte fasziniert und so marschierten sie Seite an Seite durch das kleine, schon fast verschlafene Dörfchen, um hier und da in einem alten Laden zu stöbern oder einfach nur die herrliche Aussicht der schottischen Küste genießend. Es war ein ruhiger Tag.
*
"Trowa! Hör auf, das kitzelt! TROWA!"
Quatre quiekte fröhlich, als sein Partner ihn spielerisch umarmte und seine Nase prustend in dessen Halsbeuge versenkte. Der arabische Pilot versuchte verzweifelt, dieser Folter zu entkommen, scheiterte jedoch, als Trowa auch noch seine Hände in den Seiten seines Freundes vergrub und sich auch hier an seine Mission machte.
"Nein...nein.....bitte.....", brachte der blonde Junge atemlos vor Lachen hervor und versuchte zum wiederholten Male, seine empfindliche Haut aus dem Einzugsbereich seines Partners zu bringen, jedoch wiederum vergeblich, der grünäugige Junge war einfach zu stark!
"Menno.....das ist gemein....!"
"Ich BIN gemein!", erwiderte der Heavyarmspilot dunkel und lächelte grausam, während er seinen Partner mit einer eleganten Bewegung auf das Sofa beförderte, sich über ihn beugte und ihn nun gnadenlos auskitzelte, dem gequälten Quieken und Schreien einfach keine Beachtung schenkend.
"Du....Sadist.....!", keuchte Quatre mit einem eindeutig roten Gesicht und versuchte sich mit Mühe daran zu erinnern, was diese Folter eigentlich ausgelöst hatte, was ihm jedoch angesichts diverser hindernder Umstände sichtlich schwer fiel.
Das Fernsehprogramm....das war es, reimte er sich zusammen und kicherte haltlos, als sein Bauchnabel mit Trowas neckendem Atem in Verbindung kam.
Dieser lachte leicht und leise, als ein plötzliches Räuspern die Beiden in die Realität zurückbrachte. Sie fuhren ruckartig hoch und sahen Heero, der mit ausdruckslosem Blick im Türrahmen stand und Duo, der sich im Hintergrund hielt, dessen Blick aber keinesfalls als ausdruckslos zu bezeichnen war, sondern eher als geschockt und verängstigt.
Trowa rappelte sich schnell hoch und räusperte sich ebenfalls, ein gezwungenes Lächeln auf den Lippen.
"Wo wart ihr?", fragte er ausdruckslos und Heero zuckte kurz mit den Schultern.
"Auf dem Markt im Dorf", war die kurze Antwort, bevor Heero einen Blick in die Richtung seines Partners warf und fortfuhr:
"Wir...wollten fragen....ob ihr heute Abend schon etwas vorhabt, oder ob wir etwas zusammen machen wollen..."
Quatre, der sich inzwischen ebenfalls aufgerappelt hatte, schluckte den Kloß, den er bei Duos Anblick in seinem Hals hatte, mühsam hinunter und entgegnete leise:
"Wenn ihr möchtet, machen wir gerne etwas zusammen....."
Heero nickte darauf kurz und drehte sich dann entgültig um, mit Duo nach oben gehend.
"Trowa?"
Der braunhaarige Pilot drehte sich abrupt zu seinem Partner um und begegnete dessen sorgenvollem, smaragdgrünem Blick.
"Hast du gesehen, wie Duo geguckt hat? Hast du diese Angst in seinem Blick gesehen?"
Trowa nickte leicht. Auch ihm war wie in den letzten Tagen die beschützende Rolle Heeros Duo gegenüber aufgefallen, auch schon lange bevor er wusste, was dem amerikanischen Piloten angetan worden war. Doch nun wurde es ihm mit aller Macht bewusst. Duo hatte gesehen, wie sie getobt hatten und hatte für sich Rückschlüsse auf seine traumatische Vergangenheit bezogen. Hatte es auf die Vergewaltigung bezogen.
"Trowa...ich möchte ihm so gerne helfen....so gerne....aber ich weiß nicht, wie! Ich bin so hilflos....."
Der Heavyarmspilot nahm seinen Freund liebevoll in den Arm und wiegte ihn sanft hin und her, während er ihm beruhigende Phrasen ins Ohr flüsterte. Auch er wollte dem amerikanischen Jungen helfen, auch er wusste nicht wie, doch es belastete ihn nicht so wie Quatre, denn auch wenn der blonde Araber immer vorgab, so stark zu sein, so war es im Endeffekt nicht. Natürlich war er mental stabil, das konnte man ihm nicht abschreiben, er war nur an diese Grausamkeit keinesfalls gewöhnt, kannte sie vielleicht nicht einmal.
"Wir werden sehen, Quatre. Vielleicht renkt sich alles mit der Zeit ein", beruhigte er sanft sein Gegenüber.
Vielleicht, vielleicht auch nicht.
