15b
"...uo.....Duo......"
Der amerikanische Pilot erwachte aus seinem unruhigen, aber dennoch alptraumfreien Schlaf und hielt sich seinen Kopf. Die letzte Nacht war nicht spurlos an ihm vorbeigezogen, nein, vielmehr hatte sie tiefe Furchen in seiner Psyche hinterlassen, die ihn auch nun nicht loslassen wollten.
Die Augen gepeinigt schließend, stützte er den Kopf auf seine Hände, vergrub seine Hände krampfhaft in seinen Haaren. Das, was die Stimmen zu ihm gesagt hatten, das, was er geträumt hatte, ließ ihn nicht los, auch jetzt nicht, nicht bei Tag, nicht im Schutze des Sonnenlichts, das ihn doch sonst so unheimlich beruhigt hatte.
Ein Klopfen an der Tür ließ ihn ruckartig zusammenfahren.
"Duo...darf ich hereinkommen?"
Heero.....
Heero?!
Nein, nein! Das durfte nicht, das konnte er nicht! Er durfte ihn in diesem Zustand nicht sehen, durfte seine Verzweiflung nicht sehen. Duo hatte versprochen stark zu sein, es alleine zu schaffen und war gescheitert! Was in aller Welt würde Heero von ihm denken, wenn er ihn so am Ende seiner Kraft sah?
"Duo?", kam es zum dritten Mal von der Tür, nun jedoch ernstlich besorgt und sanft.
Heero....er hat mir die Handschellen angelegt, fuhr es Duo plötzlich durch den Kopf und er zuckte wie unter einem Schlag zusammen. Er hat mir nicht geholfen, als ich ihn brauchte.
Duos Augen wollten sich mit Tränen füllen, als er sie verbissen zurückkämpfte. Nein, solch eine Schwäche würde er sich nicht geben! Außerdem war das ein Traum gewesen, nichts weiter! Schließlich war es doch Heero, der ihn nun unterstützte, wo er konnte, der ihm half, darüber hinwegzukommen. Oder es zumindest versuchte. Duo selbst glaubte nicht daran, nein, vielmehr verzweifelte er immer mehr, sank immer tiefer in diesen unendlich scheinenden Kreislauf aus schlaflosen Nächten, Wahnvorstellungen und der Angst, diese Erinnerungen für immer in sich tragen zu müssen.
"Lass mich bitte alleine...Heero", brachte Duo mit eiserner Kraft fest hervor und schloss die Augen, stählte sich gegen den Kampf, der jetzt kommen würde.
"Duo...nein...das kann ich nicht! Ich weiß doch, dass es dir nicht gut geht! Lass mich dir doch helfen!", hörte er auch schon den besorgten Ton Heeros und spürte, wie nun auch seine letzte Kraft aus ihm wich.
Duo kämpfte verzweifelt gegen das übermenschliche Bedürfnis an, sich in Heeros Arme zu werfen, ihm die Schlacht gegen die Dunkelheit zu überlassen, sich einfach helfen zu lassen. Doch Duo wollte es nicht, jetzt nicht mehr. Er wollte alleine damit fertig werden, wollte niemandes Hilfe annehmen. Er konnte schließlich auch nicht auf Heeros Hilfe vertrauen, wenn er die Mission bestreiten musste- alleine. Nein, er musste jetzt lernen, damit umzugehen. Ohne Heero.
"Bitte geh weg, Heero. Ich werde alleine damit fertig. Nur dieses eine Mal, ich bitte dich!"
Für einen Moment herrschte Stille, dann hörte er ein simples, entschlossenes:
"Nein. Ich kann dich nicht alleine lassen, nicht, wenn du meine Hilfe so dringend brauchst."
Duos Augenbrauen zogen sich in plötzlichem Ärger zusammen. Gestand Heero ihm denn nicht zu, dass er es alleine schaffte? Dass er in der Lage dazu war, sich selbst zu heilen? Selbst damit fertig zu werden?
Der amerikanische Pilot stand auf, bewegte sich auf unsicheren Beinen in Richtung Tür und schloss sie auf, um mit einem letzten, zitternden Atemzug seinem Partner und Freund gegenüberzustehen und ihm fest in die Augen zu schauen.
"Ich will das alleine schaffen, Heero. Also lass es mich versuchen!", erwiderte er und starrte den japanischen Jungen ausdruckslos an. Der jedoch erwiderte seinen Blick mit einer Sanftheit und Güte, dass es Duo fast ein Schwert durch das Herz trieb, ihn so behandeln zu müssen. Doch er hatte keine andere Wahl, er konnte die ihm dargebotene Hilfe nicht annehmen.
"Bist du dir wirklich sicher...?", begann der Wingpilot fragend, wurde jedoch durch eine ruckartige Handbewegung Duos abgeschnitten.
"Lass mich allein, Heero!"
Für einen Moment verhakten sich stahlblaue Augen in violette, hielten dem eisernen und undurchdringlichem Blick stand, dann jedoch senkte Heero den seinen. Während er mit einer Hand zart und ohne Nachdruck über Duos Arm strich, erwiderte er leise:
"Alles, was du willst, Duo. Alles, was du willst."
Damit ging er aus dem Zimmer, schloss die schwere Eichenholztür hinter sich und seufzte leise und verzweifelt. Den Kloß, der in seinem Hals saß, nur mit Mühe hinunterschluckend, machte der japanische Pilot sich auf dem Weg in sein Zimmer.
Nein, die anderen Piloten konnte und wollte er noch nicht sehen. Zu sehr waren seine Gedanken mit seinem langhaarigen Partner beschäftigt, als dass er Kommunikationsversuche mit den Anderen betreiben wollte.
*
Und Duo....Duo atmete zitternd ein, ließ seinen Tränen freien Lauf und wandte sich wieder zum Fenster, wo sein Blick auf das Messer fiel, dass er letzte Nacht so achtlos auf das Fensterbrett hatte fallen lassen.
Warum nur siehst du so harmlos aus, fragte er in Gedanken und hob den scharfen Gegenstand auf, um ihn sich vor sein Gesicht zu halten. Duo sah, wie sich Ausschnitte seines Gesichtes in dem blanken Metall wiederspiegelten, ein Zeugnis davon abgaben, wie schlecht und abgemagert er doch geworden war. Die runde Form seines Gesichtes schien nun endgültig den schmalen Zügen eines gepeinigten Menschen gewichen zu sein, das Leid schien nur zu sichtbar in seinen violetten Augen zu stehen.
Wie erbärmlich.....
Duo schloss die Augen und ließ sich plötzlich auf den Teppich fallen.
Ja, ich bin erbärmlich.....
Seine Hände verkrampften sich um die dicken Fasern des Teppichs und dem Griff des Messers.
Lasse mich hier zerstören von Bastarden, die schon längst tot sind, die durch MEINE Hand gestorben sind.
Die Finger waren weiß vor Anspannung.
Und kämpfe nicht dagegen an. In keinster Weise.
Tränen flossen ihm die Wangen hinab.
Was bin ich doch für eine erbärmliche Gestalt.
Den großen Kloß der Verzweiflung in sich spürend, presste Duo fest die Lider zusammen, und rief seinem eigenem Ich schließlich in Gedanken zu:
NEIN! Das darf nicht sein! Ich darf nicht so über mich denken! Dann kann ich nicht normal werden, wenn ich so von mir denke. Ich muss positiv denken!
Doch leichter gesagt als getan.
Und dennoch.....
Duo stand auf, mühsam, unter Schmerzen und Erschöpfung leidend und ging ins Bad, stolperte dabei über Handtücher und Duschgels, die auf dem Boden verstreut lagen.
Wenn Heero und ich mal zusammenleben, sollte ich das wegräumen, sagte er sich selbst und stockte dann.
WAS hatte er gerade gedacht? Oder vielmehr....worüber hatte er sinniert? Über die Zukunft mit Heero? Über eine glückliche Zukunft? Für sie beide? War das denn möglich?
Heiße Tränen schossen aus seinen Augen, als Duo lächelte. Kaum zu glauben, aber es war ein glückliches Lächeln. Die Zukunftsvision von Heero und ihm gefiel dem amerikanischen Piloten. Es war das, was er sich so sehnlichst gewünscht hatte, noch bevor.....
Und jetzt?
Jetzt wollte er es wieder. Wollte ein normales Leben führen, insofern das überhaupt möglich war.
Mit eben diesem Lächeln begann er, die Sachen, die so unordentlich auf dem Boden verstreut lagen, aufzuheben, einzuordnen oder aufzuhängen, die Bewegungen zuerst mechanisch und mit starrem Blick, dann immer elanvoller und überzeugter. Schließlich richtete Duo sich auf und besah sich sein Werk.
Ja....das würde er können. Er würde dieses Leben leben, dieses einfache, normale Leben, was all die anderen Zivilisten führten. Er würde kochen, lachen, putzen, vergessen, ausgehen.
Und lieben?
Duo stockte kurz.
Lieben.....er war sich nicht sicher, ob er das jemals wieder konnte. Das, was die Männer ihm angetan hatten, hatte sich so tief in seine Seele eingebrannt, dass ein Vergessen, eine Übertünchung dieser Erlebnisse unmöglich war. Zu groß war die Angst, noch einmal so verletzt zu werden, diese Agonie spüren zu müssen, diese Hilflosigkeit einem anderen Mann gegenüber.
Denn obwohl er Heero liebte, würde er niemals mit seiner anfänglichen Unbedarftheit an diese Beziehung herangehen.
Nein, zu stark war die Angst vor Verletzungen und Schmerzen, zu groß das Misstrauen.
Und dennoch spürte Duo, dass der klägliche Rest, der ihm von seinem alten Ich noch geblieben war, dass dieses Fleckchen Vertrauen und Zuneigung Heero liebte und das um alles auf der Welt.
Ja, er liebte den japanischen Piloten.
Duo blieb stehen und betrachtete noch einmal sein Werk. Ja, alles hing an seinem Platz, jeder Gegenstand, jedes Handtuch. So sollte es sein, das war es, was er wollte.
Kein Chaos, kein Spiegelbild seiner Seele, sondern eine Ruhe, eine Ordnung, in der er sich zurechtfand, in der er sich selbst finden wollte.
Die Ordnung war Heero, der perfekte Soldat.
Duo lächelte und wischte sich mit der flachen Hand über die Wangen.
Er wusste nicht, ob er es schaffen würde, ob er jemals wieder in der Lage wäre, jemandem zu vertrauen oder diesen Schmerz zu vergessen, doch er würde dafür kämpfen und wenn er verlöre, dann wenigstens mit erhobenem Kopf. Nein, niemand durfte ihn bezwingen, das, was geschehen war, durfte sich nicht noch einmal wiederholen.
Und wenn es geschieht, werde ich daran sterben.
Das weiß ich.
Der langhaarige Junge raffte sich auf und straffte seine Schultern, um aus dem Bad heraus in sein Zimmer zu gehen.
Das Messer lag auf dem weichen Teppich, in der Morgensonne glänzend, Duos Blick einfangend. Für einen kurzen Moment starrte der Deathscythepilot auf den scharfen Gegenstand, dann beugte er sich hinab, hob es auf und hielt es sich vor Augen, nur um eine winzige Blutspur der vergangenen Nacht auf der Klinge zu erkennen.
Nie wieder, schwor Duo in Gedanken.
"Nie wieder wird DAS meine Erlösung sein."
Damit ging er aus seinem Zimmer hinaus auf den Gang, stieg die breite, schon fast erschlagende Treppe hinunter in den Salon, wo er auf die anderen Piloten traf. Nun, eigentlich nur auf Trowa und Quatre, die ihm nun bei seinem eintreten besorgte Blicke zuwarfen, die Augen dann jedoch vorsichtig neutral hielten.
"Duo...wie geht es dir?", fragte der blonde Junge sanft, als er einen Blick auf das Messer in der Hand des amerikanischen Piloten warf, dabei leicht zusammenzuckte.
Duo bemerkte es, sagte aber weiter nichts, während er dem Araber erwiderte:
"Besser, Quatre, danke der Nachfrage. Wo ist Heero?"
"Er ist heute noch nicht zu uns gestoßen. Vielleicht ist er noch oben, in seinem Zimmer."
Duo nickte kurz und ging dann ohne einen weiteren Kommentar wieder nach oben. Er musste mit Heero sprechen! Unbedingt!
Schritt für Schritt seinem Partner näherkommend, verlangsamte Duo seine Bewegungen.
Wie würde Heero reagieren, wenn er jetzt einfach so zu ihm kam, nachdem er ihn vor einiger Zeit weggeschickt hatte. War der japanische Pilot wütend, dass Duo seine Hilfe abgelehnt hatte, war er enttäuscht? So sehr Duo auch versuchte, die Situation einzuschätzen, so wenig konnte er es.
Der langhaarige Junge stand vor Heeros Tür, zögerte, legte dann eine Hand unsicher auf die Klinke, nur um sie einen Augenblick später wieder zurückzuziehen.
Wieso bin ich so unsicher? Warum gehe ich nicht einfach hinein und sehe, was dann passiert?
Duo streckte noch einmal seine Hand aus, bemerkte, dass sie zitterte.
Was...?, begann er verwirrt und schaute dann ruckartig auf, als sich die besagte Tür vor ihm öffnete und eben jener japanische Pilot herauskam.
"Duo?", begann Heero überrascht und der langhaarige Amerikaner gab einen erstickten Laut von sich, unfähig zu antworten, sich plötzlich einem wie wild schlagendem Herzen ausgesetzt gesehen.
"Heero...ich....", krächzte er, brachte aber nichts anderes zustande.
Der Wingpilot betrachtete seinen Partner für einen Augenblick stumm, dann fiel sein Blick auf das Messer, welches Duo in seinen Händen hielt.
Er...er wird doch nicht....?, fragte sich Heero plötzlich geschockt und seine Augen weiteten sich entsetzt.
"Duo...hast du dich verletzt? Hast du wieder....?"
Es sollte nicht wie ein Vorwurf klingen, doch in Duos Ohren war es einer.
"Warum...sagst du das so, Heero?", flüsterte er und spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen.
Und Heero dämmerte es langsam, was er falsch gemacht hatte, so fasste er den amerikanischen Piloten plötzlich aber sanft am Handgelenk und zog ihn ohne ein weiteres Wort mit in sein Zimmer um dann hinter sich und Duo die Tür zu schließen und den Deathscythepiloten zärtlich anzuschauen.
"Duo...es war nicht als Vorwurf gemeint. Ich sorge mich um dich, das ist alles!"
Duo schluckte den schweren Kloß in seinem Hals hinunter, als er spürte, wie ein gewaltiges Gewicht von seinen Schultern genommen wurde. Heero wollte ihn also nicht kritisieren, er war nicht wütend auf ihn.
Der amerikanische Junge lächelte leicht und senkte dann seinen Kopf um flüsternd hervorzubringen:
"Ich habe es geschafft, Heero...Ich...."
Damit legte er das Messer beiseite und entblößte seine unverletzten Arme, nur um dann mit unsicherem Blick wieder in die stahlblauen Saphire vor sich zu schauen, in denen jetzt jedoch nichts Hartes vorzufinden war, sondern einfach nur Liebe und Wärme.
"Duo, das ist wundervoll!", flüsterte Heero.
Duo nickte leicht und ging dann zu einem der großen, bequemen Sessel, um darin zu versinken und mit aus dem Fenster gerichtetem Blick leise fortzufahren:
"Ich hatte einen Alptraum, Heero. Ich habe geträumt, wie ER mich wieder....", Duo stockte kurz, schloss für einen Moment die Augen und fuhr dann mit einer etwas zitternden Stimme fort " Und ihr habt ihm geholfen. Ihr habt gesagt, wir wären verheiratet....er hätte jedes Recht dazu, mich zu benutzen, mit mir...."
Für einen Moment herrschte Stille im Raum, in der Heero Duo nur geschockt anstarrte, dann fragte er heiser:
"Wer ist "ihr"?
Den Blick immer noch auf die mächtigen, mit plötzlich rasender Geschwindigkeit vorbeiziehenden Wolken gerichtet, antwortete Duo mechanisch:
"Wufei...Zechs...Trowa.....Quatre....und du."
Heero reagierte zu spät und konnte das Keuchen, das ihm nun entfuhr, nicht unterdrücken.
"Duo...du weißt, dass wir so etwas nie tun würden, dass ICH dir so etwas nie antun würde!", erwiderte er heftig und trat einen Schritt auf seinen Partner zu, der ihn plötzlich aus starren, geweiteten Augen ansah, ihn alleine damit auf der Stelle hielt.
"Ich...habe die ganze Nacht gekämpft...habe versucht, mit ihnen fertig zu werden, Heero. Und ich habe es geschafft, ich höre sie nicht mehr, die Stimmen, die Dämonen, die mich so quälen...wenn ich nicht daran denke, dann....dann...."
Duo verstummte und schloss seine Augen, nur für einen Moment, für einen Bruchteil einer Sekunde. Doch das reichte Heero, um zu seinen Partner zu gehen, sich neben ihm zu knien und eine Hand vorsichtig auf Duos Wange zu legen.
"Duo...du hast wundervolle Fortschritte gemacht! Du hast jedes Recht, stolz darauf zu sein, hörst du?", fragte er eindringlich und der stille Junge vor ihm nickte zaghaft. "Du kannst es schaffen, kannst gegen diese Dämonen ankommen! Du bist ein Kämpfer!"
Der langhaarige Junge lächelte leicht und öffnete dann wieder seine Augen, um den Wingpiloten ruhig und fragend anzusehen.
"Ich danke dir, Heero."
Der japanische Junge spürte ganz genau, welche Dankbarkeit in diesen leisen Worten lag und es schmerzte ihn. Vor ein paar Monaten wäre es dem amerikanischen Jungen nicht im Traum eingefallen, ihm für so etwas zu danken, nein, er hätte nur einen Kommentar dazu abgegeben und wäre dann an seine tägliche Arbeit gegangen. Doch nun....
Nun war alles anders.
Sowohl ihre ganze Lebensart als auch Duos Charakter. Von der ursprünglichen Fröhlichkeit war nichts mehr übriggeblieben. Gar nichts! Nur Verzweiflung, Angst, das war es, was dem lebenslustigen Deathscythepiloten geblieben war.
Doch Heero würde alles auf der Welt tun, um seinem Partner Glück und Freude zu schenken.
Die Hand auf Duos Wange bewegte sich leicht, Finger strichen hauchzart über die weiche Haut, beruhigten Duo.
Duo, der nun voll Vertrauen aufschaute, der zum ersten Mal seit Tagen keine Angst vor einer jeglichen Art von Berührung verspürte, der wusste, dass - obwohl so ganz entgegen seines Traumes - er Heero vertrauen konnte, dass sein Partner ihm niemals etwas antun würde.
Der langhaarige Junge legte seinen Kopf leicht schräg, zum Zeichen, dass er die Berührung seines Partners mehr als billigte. Heero bemerkte diese Geste der Zuneigung und lächelte leise. Dann beugte er sich herunter und hauchte Duo einen engelszarten Kuss auf die Lippen.
Schließlich gewann er wieder ein wenig Abstand zu seinem Partner und wartete geduldig auf Zeichen seines Gegenübers, sei es Abneigung oder Zustimmung.
Und die bekam er schließlich auch.
"Heero?", fragte Duo fast flüsternd, kaum hörbar.
Heero lächelte und strich mit einer letzten, zärtlichen Bewegung über die Wange seines Partners.
"Ich liebe dich, Duo. Egal, wie schwer es auch sein mag, ich liebe dich. Ich werde dich nie zu etwas zwingen, dich nie bedrängen. Das ist mein Versprechen, Duo."
Die Lippen des Deathscythepiloten schwangen sich unmerklich nach oben, als er nur mit seiner Mimik erwiderte, wie wichtig ihm diese Worte waren, wie sehr er sie brauchte.
*
Gemeinsam gingen sie die Treppe hinab.
Duo hatte den Kopf leicht gesenkt und schien vollkommen in seiner eigenen Gedankenwelt zu sein, wie Heero mit einem schnellen Blick zur Seite feststellte.
Woran denkt er?, fragte sich der japanische Pilot, bekam aber ein ironisches Schnauben zur Antwort.
Na, an was wohl? Woran denkt er denn schon die ganze Zeit?, erwiderte seine innere Stimme spöttelnd und Heero zuckte wie unter einem Schlag zusammen.
Natürlich...warum kam er nicht selbst darauf? Warum musste ihn immer sein imaginärer Gegenspieler darauf bringen?
Imaginärer Gegenspieler?, äffte eben dieser den Wingpiloten gehässig nach. Wenn ich dein Gegenspieler wäre, Schätzchen, dann würde ich dir nicht helfen, sondern alles daran setzen, dass du wieder und wieder ins Fettnäpfchen trittst!
Ach nein....was tust du denn, bitteschön? Wann hast du mir geholfen?
Ein lautloses Lachen ertönte. Das Zeichen, dass die imaginäre Stimme sich gerade köstlich über das Gedachte amüsierte.
Du glaubst, ich hätte dir nicht geholfen? Dann frage ich dich, WIE oft hast du Duo durch MEINE Hilfe helfen können, hm?
Für einen kurzen Moment war Heero sprachlos...mental sowohl wie auch physisch.
Ja, sein zweites Ich hatte Recht. Vielleicht sogar mehr als das.
Wenn diese ewig präsente innere Stimme nicht da gewesen wäre, dann hätte Heero Duo nicht vor dessem Selbstmord bewahren können, dann hätte er nicht verhindern können, dass sich der amerikanische Junge die Arme aufschlitzte.
Na siehst du, ich habe also Recht.
Der japanische Pilot seufzte und nickte leicht, worauf er sich einen fragenden Blick von Duo einfing, den er aber keinesfalls wahrnahm.
"Du führst Selbstgespräche, Heero", versuchte es der langhaarige Junge daraufhin und merkte, wie sein Partner aus seinen Gedanken hervorzuckte.
"Was hast du gesagt, Duo?"
Violette Augen schienen für einen Augenblick ruhig über die Gesichtszüge Heeros zu streichen, bevor sich ein leichtes Lächeln auf die schmalen Lippen legte und Duo den Kopf schüttelte.
"Nichts Wichtiges", erwiderte er.
"Alles, was du sagst, ist wichtig", entgegnete Heero leise und berührte sacht den Oberarm seines Partners, was seinem Gegenüber ein leises Glucksen entlockte.
"Schön gesagt, Hee-chan!"
Der japanische Pilot stutzte. WIE hatte Duo ihn gerade genannt? Innerlich schlug er bei der nun folgenden Erkenntnis die Hand vor den Mund um den Schrei der Freude, der in ihm aufsteigen wollte, zu unterdrücken.
Hee-chan....der Name, mit dem Duo ihn zum Wahnsinn getrieben hatte, bevor.... Der Kosename für den japanischen Jungen, den Duo, wie Heero in der vergangenen Zeit festgestellt hatte, nicht nur dazu benutzt hatte, um ihn zu ärgern, sonder um seine Zuneigung zu ihm auszudrücken.
Er ist auf dem Wege der Besserung, schoss es Heero durch den Kopf und er spürte förmlich, wie
die Freude über ihn hinwegwusch. Ja...es wird besser, auch wenn es noch lange nicht gut ist.
Die Beiden kamen vor dem Salon zum Stehen und Heero sah Duo fragend an.
War der amerikanische Pilot wirklich schon bereit, den anderen Jungen gegenüberzutreten? Auch entgegen seiner zaghaft keimenden, neu gewonnenen, körperlichen Stärke? Auch wenn Heero es sich nicht eingestand, machte er sich große Sorgen deswegen. Alles, was er wollte, war, den amerikanischen Piloten glücklich und ohne Angst zu sehen. Es schmerzte ihn, dass Duo vor seinen Freunden, die ihm vor den schrecklichen Ereignissen so viel bedeutet hatten, nun fürchtete.
So auch ihn bis zu einem gewissen Punkt fürchtete.
Wenn nicht sogar mehr als alle anderen, denn Heero war der, der ihn liebte, der ihn verletzten konnte, wenn er sich ihm hingab.
Auch wenn Duo das nicht sagte, so war es doch deutlich durch seine gesamte Körpersprache präsent, durch das minimale Zurückzucken am Anfang bis hin zum vorsichtigen Abstand, den der amerikanische Junge immer noch hielt, wenn sie alleine waren.
Nein....ganz stimmte das auch nicht. Duo schwankte zwischen zwei Extremen. Zum Einen suchte er die Nähe, den Schutz und zum Anderen brauchte er den Abstand, der ihn davor bewahrte, verletzt und missbraucht zu werden.
Und obwohl Heero sich und Duo geschworen hatte, dem amerikanischen Jungen niemals weh zu tun, so verstand er auch Duos Einstellung ihm gegenüber. Und er respektierte sie. Die Zeit würde die Wunden heilen, welche die beiden Männer in Duos Seele hinterlassen hatten.
"Sollen wir hinein, Heero?"
Der Wingpilot nickte nach einem kurzen Zögern und öffnete dann die Tür, nur um ein volles Bild auf Quatre und Trowa zu haben, die gerade in einen innigen Kuss vertieft waren, sich nun jedoch abrupt voneinander lösten, als sie sahen, wer gerade eingetreten war. Und genauso wie Heeros Blick richteten sie ihre auf Duo, der die Beiden schweigend anstarrte, sich schließlich räusperte und fragte:
"Wenn wir euch alleine lassen sollen, müsst ihr es nur sagen. Wir wollen euch nicht stören."
Selbst erstaunt über die Kraft, mit der er das Gesagte hervorgebracht hatte, bemerkte er, wie die beiden Mitpiloten ihn erst überrascht, dann jedoch ruhig ansahen. Schließlich schüttelte Quatre den Kopf und erwiderte zart:
"Entschuldige, Duo. Nein, und ihr braucht uns nicht alleine zu lassen."
Der langhaarige Junge bewegte sich daraufhin in einem leicht schwebenden Gang auf das Paar zu und ließ sich dann ihnen gegenüber nieder. Dann wandte er sich zu Heero um und bedeutete ihm, dass er sich neben ihn setzen sollte.
Sobald sein Partner neben ihm Platz genommen hatte, griff der langhaarige Junge nach der Kaffeekanne und schenkte sich eine große Tasse ein, die er schwarz und ohne einmal abzusetzen hinunterschluckte.
"Wie steht es mit der Mission, Heero?", fragte Trowa über die Stille hinweg, plötzlich unsicher, wie er das Verhalten des Deathscythepiloten deuten sollte.
"Ich habe noch nichts geplant", erwidert der auch wahrheitsgemäß und ließ seinen Blick unauffällig zu Duo gleiten, der sich nun seine zweite Tasse einschenkte und auch diese mehr als hastig hinunterstürzte.
"Duo...möchtest du etwas essen?", fragte Quatre, der ebenfalls gesehen hatte, was der langhaarige Junge gerade tat.
Für einen Moment herrschte vollkommene, wenn nicht gespannte Stille, dann schüttelte Duo den Kopf und sagte leise:
"Ich...habe keinen Hunger, aber trotzdem danke, Quatre..."
Wieder beherrschte peinliches Schweigen den Raum, schien in einer paradoxen Weise von den Wänden reflektiert zu werden. Jeder der vier anwesenden Piloten wagte es nicht, irgendetwas zu sagen, die Stille zu lösen. Jeder von ihnen war aufgrund des gestrigen Abends so sehr gehemmt, dass sie es nicht wagten, eine normale Konversation anzufangen.
Und dennoch waren es dann Quatre und Duo, die das Schweigen brachen und gleichzeitig begannen:
"Wegen gestern Abend...."
Violette Augen trafen auf grün-blaue, sahen sie unsicher und schüchtern an, dann senkte Duo seinen Blick und murmelte leise:
"Ich...ich habe gestern überreagiert. Es...tut mir leid....."
"Nein...nein", erwiderte der blonde Junge sanft und langte über den Tisch, um eine Hand federleicht auf Duos zu platzieren. "Du hast schon recht, Duo....wir sorgen uns um dich, machen uns große Sorgen...weil du uns am Herzen liegst, weil du unser Freund bist. Wir wollen damit nicht unseren Mutterinstinkt befriedigen! Wir wollen dir helfen, weil wir dich lieben...wie einen Bruder lieben!"
Violette Seen sahen langsam auf, suchten nach Wahrheit in den Auge seines Gegenübers, fanden sie, fanden Bestätigung der Worte, die gerade ausgesprochen worden waren.
"Danke....ich danke euch, Quatre...aber...aber genau damit lasst ihr es mich nicht vergessen, haltet mir immer wieder vor Augen, was passiert ist, was sie mir angetan haben... Und alles, was ich möchte, ist vergessen. Ich möchte vergessen, dass das jemals passiert ist. Kannst du das verstehen?"
Der blonde Pilot nickte und strich mit einer sanften Bewegung über die blasse Hand seines Gegenübers.
"Natürlich kann ich das. Und jeder der anderen auch. Wir respektieren deinen Wunsch, das versprechen wir dir."
Duo atmete erleichtert ein und wagte zum ersten Mal, den Blick von Quatre zu Trowa gleiten zu lassen, der ihn ruhig und doch ohne jede Emotion ansah. Er wusste, auch der Heavyarmspilot würde seinen Wunsch respektieren, er wusste, dass er ihm vertrauen konnte.
Er wusste, dass sein Traum nichts weiter als eine leere Hülle gewesen war.
Ein Hirngespinst, von seinem Gehirn ausgespuckt.
Nicht die Realität.
Nur Illusion.
Duo verzog die Lippen zu einem minimalen, ehrlichen Lächeln und wandte sich dann seinem Partner zu, dessen Gesicht voller Liebe und Zuneigung zu sein schien.
Ich kann es schaffen, sprach Duo sich selbst Mut zu.
Nein...
Ich werde es schaffen!
*
"Gute Nacht, Duo!", lächelte Heero sanft und strich seinem Partner leicht über den Arm, was dieser mit einem hauchdünnen Kuss auf die rechte Wange seines Gegenübers quittierte und leise murmelte:
"Dir auch, Heero."
Damit wandte er sich ab, ging in sein Zimmer und machte sich daran, die zweite Nacht alleine in seinem Raum zu verbringen. Wie gerne würde er Heero in seiner Nähe wissen, wie gerne die Anwesenheit des Wingpiloten spüren, doch er musste das durchstehen.
Sie hatten geredet. Den ganzen Tag. Nach dem Frühstück hatte Heero vorgeschlagen, am Strand spazieren zu gehen und Duo hatte bereitwillig zugestimmt. So waren die beiden Jungen zum größten Teil in ruhigem Schweigen nebeneinander hergegangen, hatten der Melodie des Windes, dem Rauschen der Wellen zugehört, dem Spiel der Wolken zugesehen, die in eigenartigen Gebilden an ihnen vorbeizogen.
Ein paar Mal hatte Duo gelächelt und auf einen der Wolkenberge gedeutet, dabei erwähnt, was sie für ihn darstellten und Heero jedes Mal ein überraschtes "Ja?" abgerungen.
Der amerikanische Pilot hatte dabei jedes Mal stumm in sich hinein gelächelt und sich eingestanden, dass es eine Sache gab, die der perfekte Soldat nicht beherrschte: Fantasie, Imagination.
Aber das war auch schließlich kein Wunder, bei der Erziehung, die J ihm hatte zukommen lassen. Wie auch schon etliche Male zuvor überkam ihn ein schier unmöglicher Hass auf den Wissenschaftler, wenn er daran dachte, was der Mann einem dreijährigen Kind angetan hatte.
Einen Jungen, der sich nichts sehnlicher wünschte, als Eltern zu haben, die ihn liebten, die ihn in den Arm nahmen und trösteten, wenn er einmal traurig war, wenn er weinte.
Und das alles hatte der Bastard ihm versagt. Hatte ihm vielmehr zu einer perfekten Killermaschine dressiert, die nichts anderes tat, als seinen Befehlen zu gehorchen, und wenn er das nicht zu seiner Zufriedenheit erledigte, ihn zu bestrafen.
Damit er den Fehler nicht noch einmal machte.
Duo schüttelte es vor Wut, wenn er daran dachte, dass ein erwachsener Mann einen kleinen Jungen zusammenschlagen ließ, sodass er ein paar Tage lang nicht mehr sitzen geschweige denn laufen konnte.
Und dennoch hatte der Wissenschaftler seinen kindlichen Soldaten dazu gezwungen, hatte ungeachtet der körperlichen Schmerzen den Jungen auf eine Mission nach der anderen geschickt, bis er aus lauter Angst vor den Schmerzen alles richtig gemacht hatte.
Duo hatte es damals nur durch Zufall herausgefunden, was J Heero angetan hatte.
Zu dieser Zeit schon in den Wingpiloten verliebt, hatte er in dessen Akten gestöbert um etwas mehr über ihn herauszufinden. Um seine Vergangenheit und seine Lebensumstände kennenzulernen. Er hatte wissen wollen, was für ein Mensch wirklich hinter dem kalten, unnahbaren Soldaten stand und feststellen müssen, dass Heero dieser Soldat war. Dass das Kind, das so verängstigt gewesen war, nicht mehr existierte.
Und Duo hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, dem Wingpiloten zu zeigen, dass es auch noch etwas Anderes als Hass und Gewalt gab.
Bis....
Bis die Männer in der Basis ihn vergewaltigt hatten.
Duo hatte es verstecken wollen, hatte Heero vorspielen wollen, dass er stark genug war, doch dann hatte der Wingpilot seine Schale geknackt. Hatte sich unerwartet große Sorgen um ihn gemacht. Hatte Gefühle gezeigt.
Und schenkte damit Duo etwas, was dieser nie vermutet hatte.
Seine Liebe.
Das, was Duo so dringend wollte, brauchte, benötigte.
Doch der langhaarige Junge war nicht in der Lage, das zu erwidern. Jetzt nicht. Nicht nach den schrecklichen Erfahrungen, die er hatte durchmachen müssen. Und dennoch schwor er sich, dass es eine Zukunft für den japanischen Jungen und ihn geben würde. Auch wenn es ewig dauern würde. Er würde es schaffen. Und wenn die Dämonen zurückkommen würden, würde er sie bekämpfen.
Um Heeros Willen.
Duos Mundwinkel bogen sich leicht nach oben, als er den Wingpiloten dabei beobachtete, wie dieser angestrengt versuchte, aus der unförmigen Masse über sich seinen Gundam zu erkennen.
Heero ist mein Ein und Alles. Ich kann nicht ohne ihn leben, schoss es Duo durch den Kopf und er richtete den Blick ebenfalls zum Himmel, deutlich Zero Wing in der Wolkenansammlung erkennend.
Die kleine Stimme, die ihn fragte, was wäre, wenn der Wingpilot nicht mehr da war, wenn er durch einen Unfall sterben würde, hörte er nicht, zu sehr war er mit dem kurzen Glücksgefühl beschäftigt, dass sich seiner bemächtigt hatte, das er nach so langer Zeit wirklich frei von Sorgen genießen konnte.
Sie waren weit gewandert, über Stunden hinweg, hatten über ihre Kindheiten gesprochen, über Träume, Wünsche, Zukunftspläne, über das, was sie nach dem Krieg machen wollten.
"Ich möchte ein Haus am Strand...fernab von jeglicher Zivilisation, mit einem herrlichen Blick auf den Horizont und den Sonnenuntergang...", hatte Heero gesagt und dabei gelächelt, ein kleines, verzauberndes Lächeln, das Duo erst so fremd erschien, das ihm jetzt jedoch zu einer vertrauten Geste geworden war, die ihn selbst glücklich machte. "...in schönen hellen Pastellfarben...hellblau...violett...gelb...."
Duo rann bei dieser Beschreibung unwillkürlich ein Schauer über den Rücken. Bei Gott, wie oft hatte er davon geträumt? Wie oft hatte er sich genau das vorgestellt?
"Möchtest du das Haus mit mir?", hatte Duo plötzlich unsicher gefragt und hatte nicht gewagt, den Blick zu heben, bis ihm ein leises Lachen antwortete.
"Natürlich Duo!", hatte Heero daraufhin mit seiner unverwechselbaren, ruhigen und wohlklingenden Stimme geantwortet und gelächelt. "Wenn du willst, werde ich alles für dich tun!"
Und Duo war stehen geblieben, seine kastanienbraunen Haare strahlend in der Sonne, seine langen Strähnen wild im Wind umherfliegend. Er atmete tief den salzigen Geruch des Meeres ein, lauschte dem Schreien der Möwen und sah seinem Partner direkt in die Augen. Das Einzige, was er darin erkannte, war Liebe und Zuneigung.
Und das galt ihm.
Heero liebte ihn.
Wie niemand zuvor.
Duo hatte das Gefühl, dass zum ersten Mal in seinem verkorksten Leben etwas richtig lief. Dass er es schaffen würde, dem ewigen Teufelskreis aus Rache, Mord und Gewalt entkommen zu können.
Mit Hilfe eines Jungen, der nichts anderes gelernt hatte, als zu töten und zu gehorchen.
Nun aber auf eigenen Beinen stand. Gelernt hatte, sich seinem Mentor zu widersetzen.
Gelernt hatte, Gefühle zu zeigen.
Gelernt hatte, zu lieben.
So waren sie in ruhigem Schweigen weitergewandert, bis in die späten Abendstunden hinein, um dann schließlich erschöpft zum großen Gutshaus zurückzukommen.
Und nun stand Duo in seinem Zimmer, das helle Mondlicht einen leuchtenden Schein hineinwerfend und alles, inklusive dem langhaarigen Jungen in einen fast schon überirdischen Schein tauchend.
Zum ersten Mal keine Angst vor der Dunkelheit habend, die ihn umgab, seufzte er leise und wollte sich in sein nun aufgeräumtes Bad begeben, als er ein Grollen vernahm.
Überrascht die Augenbrauen zusammenziehend, hielt Duo für einen Moment inne und wartete, ob es noch einmal kam.
Kam es.
In der doppelten Lautstärke.
Und Duo wusste plötzlich, was genau dieses Rumpeln war und woher es kam.
Nämlich direkt von ihm, beziehungsweise seinem Magen, der sich scheinbar mit aller Macht bemerkbar machen wollte.
Er hatte Hunger?
Duo zog die Augenbrauen hoch.
Warum ausgerechnet jetzt?, fragte er sich stumm und bekam ein wütendes Brummen als Antwort, von dem er schon beinahe glaubte, dass Heero im Nebenzimmer es hören müsste.
Kann ich es wagen? Kann ich dem Drang, etwas zu essen, nachgeben? SOLL ich ihm nachgeben?
Und zum ersten Mal seit einer langen Zeit konnte er diese Frage mit "ja" beantworten. Zum ersten Mal seit....verspürte er wieder Hunger. Nein...nicht nur Hunger, sondern vielmehr Appetit. Appetit auf Nahrungsmittel, die ihm als Luxusgüter dienten, nicht bloß dazu da waren, ihn am Leben zu halten.
Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wandte sich Duo von seiner Badezimmertür ab und verließ mit einer lautlosen Bewegung sein Zimmer. Gut, eine nicht ganz so lautlose Bewegung, da sein Magen sich nun wieder lautstark zu Wort meldete und ihn protestierend daran erinnerte, dass er in der letzten Zeit fast gar nichts gegessen hatte.
Eine Hand auf seinen flachen Bauch gepresst, begab sich der langhaarige Junge in die Küche und ging schließlich langsam auf den schon fast überdimensionalen Kühlschrank zu, der direkt neben dem Fenster stand.
Auch nun wieder durch das Mondlicht gelenkt, öffnete der Deathscythepilot vorsichtig das Nahrungsmitteldepot und besah sich all die Köstlichkeiten, die darin aufbewahrt wurden.
Ja, er hatte Hunger!
Sich in einer eleganten Bewegung davor niederlassend, pickte er sich eine Schale mit Erdbeeren und Weintrauben hinaus, dazu etwas Sprühsahne und Schokolade. Er wusste, dass er das alles nicht aufbekommen würde und dennoch...es war ein Anfang, wenn er schon einen Teil schaffte.
Und so machte sich Duo daran, die solange vergessenen Köstlichkeiten erneut für sich zu entdecken, sie zu kosten und zu schmecken, als wenn er sie zum ersten Male essen würde.
*
Heero gähnte laut und streckte seine strapazierten Muskeln vorsichtig. Sie waren den ganzen Tag gewandert, Duo und er. Sie hatten geredet, geschwiegen, gelächelt. Und Heero hatte die Hoffnung, dass Duo von seinem Trauma geheilt werden könnte, neu entdeckt. Er wusste, wie stark sein Partner war, Duo hatte es ihm heute gezeigt. Duo hatte ihm gezeigt, dass sie sehr wohl eine gemeinsame Zukunft haben könnten.
Und das löste in Heero ein Glücksgefühl sondergleichen aus.
Über dieses neuartige Wohlbefinden lächelnd, drehte sich der Wingpilot vom Badezimmerspiegel weg und ging in sein Zimmer um schlafen zu gehen, bis ihn ein leichtes Knurren von diesem Vorhaben abbrachte.
Er hatte...Hunger?
Jetzt? Um diese Uhrzeit?
Zunächst runzelte Heero verwirrt die Stirn, doch dann fiel ihm ein, dass er den ganzen Tag lang nichts gegessen hatte.
Ich werde jetzt nichts mehr essen, sagte er sich selbst und wandte sich strikt zum Bett, wurde dann jedoch von einer amüsierten Stimme davon abgehalten.
Tatsächlich?, fragte sie und Heero hätte schwören können, dass das da ein schadenfrohes Lächeln war, was er innerlich zu sehen glaubte.
Ja, tatsächlich, erwiderte er böse und wollte sich schon hinlegen, als sein Magen mit aller Gewalt dagegen protestierte und sich lautstark beschwerte.
Schau mal, da hat jemand Hunger...
Nein, habe ich nicht!
Ach...wirklich nicht?
Ja!
Dein Magen schon.
Heero seufzte und wägte schließlich die Möglichkeiten ab. Gab er klein bei und besorgte sich noch kurz etwas zu essen oder ließ er es bis morgen bleiben und hatte damit keine ruhige Minute mehr?
Heero entschied sich wohlweißlich für die erste Möglichkeit.
Gut so, lobte ihn seine innere Stimme und Heero knurrte unwillig, sagte jedoch weiter nichts dazu.
Er verließ sein Zimmer und schlich sich leise die große, marmorne Treppe hinunter, immer darauf bedacht, niemanden aufzuwecken und auf sich aufmerksam zu machen. Was ihm jedoch angesichts eines dauerknurrenden Magens sichtlich schwer fiel.
Vor der Küche angekommen, seufzte er leise und öffnete geräuschlos die Tür, nur um sie eine Sekunde später wieder in der gleichen Lautstärke zu schließen.
Da war jemand in der Küche und dieser jemand befand sich genau vor dem Kühlschrank.
Still in sich hineinfluchend, überlegte Heero, welcher der Bediensteten oder gar Piloten um diese Uhrzeit noch Hunger hatte. Wenn es sich um einen seiner Freunde handelte, war es vermutlich Quatre, da Wufei niemals um diese Uhrzeit aß, Trowa einfach nicht auf sein Hungergefühl achten würde und Zechs....
Es könnte Zechs sein.
Stumm abwiegend, was schlimmer wäre - einer der Angestellten, der ihn dann vermutlich überrascht anschaute oder Zechs, der ihn charmant anlächeln und eine dumme Bemerkung über die Willenkraft des perfekten Soldaten verlieren würde -, nickte er schließlich entschlossen und öffnete erneut die Tür, mit der Absicht, ohne irgendein Geräusch einzutreten, was jedoch wirkungsvoll durch seinen Magen vereitelt wurde, der sich nun in voller Lautstärke präsentierte.
Die Person, die bisher vor dem Kühlschrank gesessen hatte, wie Heero jetzt bemerkte, drehte sich ruckartig um und fragte überrascht:
"Heero?!"
"Duo?", erwiderte er dümmlich und stand erst einmal für einen Augenblick in der Tür, das Bild seines vor dem Kühlschrank sitzenden Partners in sich aufnehmend.
Er isst, erklärte ihm eine Stimme in seinem Inneren unnötiger Weise und Heero nickte abwesend.
Er isst?
Dann dämmerte es ihm. Die Erkenntnis wusch über ihn hinweg, als er zum ersten Mal richtig realisierte, was das eigentlich zu bedeuten hatte.
Duo aß...seit einer langen Zeit nahm der Deathscythepilot freiwillig Nahrung zu sich. Und wie es schien, tat er das mit vollstem Vergnügen.
Heero lächelte ob dieser Erkenntnis immer stärker, bis seine Mundwinkel die verdächtige Form eines Grinsens angenommen hatten. Sich nicht zurückhalten könnend, fragte er leise:
"Darf ich dir Gesellschaft leisten, Duo?"
Für einen Moment herrschte angenehmes Schweigen zwischen den Beiden, dann nickte der langhaarige Junge und berührte mit der linken flachen Hand leicht den warmen Boden, das Zeichen, das Heero sich neben ihn setzen sollte. Und Heero folgte der Aufforderung sofort, ließ sich neben Duo nieder und besah sich die köstliche Mischung aus Früchten, Sahne und Schokolade vor ihnen.
"Das sieht köstlich aus", sprach Heero sanft seine Gedanken aus und langte nach einer Erdbeere, um sie genauer unter die Lupe zu nehmen.
Eine köstliche, rote, vollreife Frucht, saftig und fest, einen leichten, herben Geruch ausstrahlend. So notierte sein Gehirn die Beere und Heero wandte seinen Blick wieder Duo zu, der ihn von der Seite schweigend ansah.
Und Heero....Heero schaltete all seine logischen Denkweisen aus, überließ allein seinem Gefühl die Oberhand und streckte die Hand aus, beförderte die Erdbeere in einer sanften Bewegung zu Duos halbgeöffneten Lippen, berührte sie unmerklich, strich an ihnen entlang, bis der langhaarige Junge seinen Mund plötzlich öffnete und gezielt in die Frucht hineinbiss, ohne dabei jedoch Heeros Finger zu berühren.
Leise lächelnd fragte Heero:
"Noch eine?"
Nichts als ein verzauberndes Lächeln antwortete ihm, so nahm er die nächste Frucht, legte sie an Duos Lippen und ließ seinen Partner Stück für Stück abbeißen. Und dieses Mal berührten die zarten, eleganten Lippen seines Freundes seine Fingerspitzen, ließen Heero innerlich erzittern ob der Erotik, die in dieser einfachen Geste lag.
"Jetzt bin ich dran", unterbrach die feenhafte Stimme Duos seine Gedanken und er sah, wie nun auch vor seiner Nase eine rote Frucht schwebte, begleitet vom neckischen Lächeln des langhaarigen Jungen, der sie nun vor Heeros Lippen kreisen ließ, sie zwischendurch anstupste, berührte, die Erdbeere in einer vollkommen verzaubernden Bewegung über sie gleiten ließ.
Ganz der perfekte Soldat, der er einmal gewesen war, schnappte Heero sich die köstliche Frucht, saugte kurz am verführerischen Fruchtsaft, bevor er sie zerbiss und langsam kaute.
Duo beobachtete die Geste lächelnd und Heero griff unsichtbar für seinen Partner nach der Sprühsahne, die er nun dazu benutzte, Duo rasch einen Klecks auf die Nase zu sprühen, was dieser mit einem leicht erschrockenen Fiepen quittierte.
"Ich glaube, du hast da etwas auf der Nase", murmelte Heero nun schelmisch lächelnd und strich mit seinem Finger leicht und ohne Nachdruck über die Wange Duos, wanderte dann von den Augenbrauen zur Nase, wo er schließlich langsam und reizend dem Nasenbein in seiner eleganten Form folgte, schließlich bei der leichten Spitze ankam, die nun mit einem Sahneklecks dekoriert war und mit besagtem Finger ein wenig von dieser Sahne aufnahm, um sie selbst zu kosten.
"Wunderbar...", hauchte Heero und lächelte sanft und Duo streckte ihm in einer Geste vollen Vertrauens eben dieses Körperteil entgegen, genau deutlich machend, was er wollte.
Und der japanische Junge tat ihm den Gefallen.
Er reckte sich leicht vor, berührte Duos Nasenspitze hauchzart mit seinen Lippen und saugte leicht an der süßen Substanz darauf.
"Köstlich."
Der langhaarige Pilot gluckste leise und griff zu der Schokoladenglasur, die er eben entdeckt hatte und nun sich revanchierend auf Heeros Nasenspitze verteilte.
Leichte Küsse über das ganze Gesicht seines Partners verteilend, kam er schließlich dort an, hielt kurz ein und presste seine Lippen weich auf die süße Speise, sie mit all seinen Sinnen aufnehmend.
Der süße Geruch und fast schon herbe Geschmack, die flüssige Substanz, das leichte Kleben an den Lippen. All das registrierte der amerikanische Junge mit einem verzückten Seufzen und wollte mehr.
Er wollte, dass dieser vertrauliche Moment, dieser Stillstand der Zeit nie wieder aufhörte. Dass Heero und er sich so vertrauen könnten, dass kein Schmerz, keine Verzweiflung mehr existieren würden. Nur die vollkommene Harmonie, der Zauber einer monderhellten Nacht.
So sollte das Leben sein.
So vertrauensvoll sollte ihre Beziehung sein, ihr Leben.
Heero schien genau das Gleiche zu denken, denn auch er sah seinen Partner mit diesem wissenden Ausdruck an, mit dieser Zufriedenheit, der Sehnsucht, dem Glück, welches sich im Moment in seinem Inneren ausbreitete.
Duo schien dem Drang, den er nun in sich spürte, nicht widerstehen zu können. So sehr reizten ihn die feucht im Mondlicht scheinenden Lippen seines Gegenübers, so sehr luden sie ihn zu einem sanften Kuss ein.
Und Duo folgte der Aufforderung. Ohne Angst, ohne Schmerz, ohne Verzweiflung.
Nein, es war nur Glück, was er verspürte.
Sanft die Lippen seines Partners mit den Seinen streichelnd, schloss er die Augen, ergab sich dem beinahe überwältigendem Gefühl dieser Nähe, spürte, wie Heero auf ihn reagierte, sich seine Lippen gegen die des amerikanischen Jungen bewegten, sich mit ihnen im Takt wiegten und doch in einer verrückten Weise zu bekämpfen schienen.
Es war kein enger Kuss, nein, dafür waren sie sich noch zu fremd. Doch es war der Anfang, der Beginn eines neu aufbauenden Vertrauensverhältnisses, der zaghafte Versuch, sich aneinander zu gewöhnen, sich an eine intime Art miteinander umzugehen zu gewöhnen.
Es war der schüchterne Versuch, wieder ein Stück Frieden und Glück zu finden.
*
"Master Quatre, Sie sollten sich das einmal ansehen!"
Besagter Junge stöhnte leise gequält auf. Trowa und er hatten letzte Nacht sehr wenig Schlaf bekommen und dachten daher, dass sie wenigstens den Morgen durchschlafen könnten, was jedoch äußerst wirkungsvoll durch einen unabweisbaren, energischen Rashid vereitelt wurde, der nun in das Zimmer gestürzt kam und die beiden Jungen mit ausdrucksloser Miene musterte, sich dann jedoch ehrenvoll entschuldigte:
"Oh...wenn ich Sie gestört habe, dann...."
"Nein, nein, Rashid, haben Sie nicht. Wir...wollten gerade aufstehen", log Quatre in seiner typisch gutmütigen und absolut auffälligen Art, die der ältere Mann sofort durchschaute.
"Verzeihen Sie mir vielmals, doch Sie sollten sich das einmal ansehen!"
Quatre nickte schließlich und stieg mit einem Seufzen aus dem Bett, nachdem er den großen Mann hinausgeschickt hatte. Sich anziehend murmelte er zu Trowa, der mit einem zufriedenen Lächeln in den pastellvioletten Seidenlaken lag:
"Immer ich...wieso können sie dich nicht mal so früh aus dem Bett scheuchen?"
"Master Trowa sollte auch mitkommen!", tönte es da laut von der Außenseite der Tür und der blonde Junge stockte für einen Moment, kicherte dann aber fröhlich und grinste seinen Partner schon beinahe schadenfroh an.
"Also...wenn ich bitten darf?", lachte er und streckte dem grünäugigen Jungen die Zunge heraus, sich nur knapp vor einem Kissen, das exakt in seine Richtung zielte, retten könnend.
"Du kannst so gemein sein!", schmollte der Heavyarmspilot hinreißend und verschränkte spielerisch die Arme vor Brust, was seinem Freund ein weiteres, sprudelndes Lachen entlockte.
"Master Quatre!"
Seufzend ob dieser Ungeduld beschleunigten die beiden Jungen nun ihr Tempo und standen schließlich halbwegs bekleidet vor dem großen Mann, der sie nun breit angrinste und sie hinunter in die Küche führte, wo sie erst einmal verdutzt stehen blieben.
Quatre wusste nicht, ob er lachen oder einfach nur verzückt auf das friedliche, schlafende Pärchen vor sich sehen sollte. Duo und Heero...am Küchenschrank gelehnt, beide noch tief schlafend, Duo mit seinem Kopf an Heeros Brust und Heero seine Arme fest um seinen Partner geschlungen, so als wollte er ihm noch im Schlaf Schutz und Wärme spenden.
Und neben den Beiden ein ganzes Bataillon an Nahrungsmitteln, angefangen von Erdbeeren über Schokoladensauce bis hin zu Sahne, Kirschen, geschmolzenem Bananeneis und Honig.
Was nur eine vage Vermutung darüber zuließ, was die beiden Jungen letzte Nacht getan hatten.
Aber was es auch war, es schien Duo gefallen zu haben, denn der langhaarige Junge lächelte im Schlaf und gab kleine, zufriedene Geräusche von sich.
Immer noch herzhaft über diesen Anblick lächelnd, sah Quatre zu seinem Partner und bemerkte, dass es ihm genauso ging.
"Nun denn", bemerkte der arabische Pilot. "Dann müssen wir entweder warten, bis die Beiden aufwachen oder wir verschieben das Frühstück und begeben uns heute Mittag an das warme Essen."
Damit fasste er Trowa lächelnd bei der Hand und zog ihn wieder mit sich hoch in ihr Gemach, den Schlaf ihrer gestrigen Nacht nachholend.
~~~~~
by Coco
"...uo.....Duo......"
Der amerikanische Pilot erwachte aus seinem unruhigen, aber dennoch alptraumfreien Schlaf und hielt sich seinen Kopf. Die letzte Nacht war nicht spurlos an ihm vorbeigezogen, nein, vielmehr hatte sie tiefe Furchen in seiner Psyche hinterlassen, die ihn auch nun nicht loslassen wollten.
Die Augen gepeinigt schließend, stützte er den Kopf auf seine Hände, vergrub seine Hände krampfhaft in seinen Haaren. Das, was die Stimmen zu ihm gesagt hatten, das, was er geträumt hatte, ließ ihn nicht los, auch jetzt nicht, nicht bei Tag, nicht im Schutze des Sonnenlichts, das ihn doch sonst so unheimlich beruhigt hatte.
Ein Klopfen an der Tür ließ ihn ruckartig zusammenfahren.
"Duo...darf ich hereinkommen?"
Heero.....
Heero?!
Nein, nein! Das durfte nicht, das konnte er nicht! Er durfte ihn in diesem Zustand nicht sehen, durfte seine Verzweiflung nicht sehen. Duo hatte versprochen stark zu sein, es alleine zu schaffen und war gescheitert! Was in aller Welt würde Heero von ihm denken, wenn er ihn so am Ende seiner Kraft sah?
"Duo?", kam es zum dritten Mal von der Tür, nun jedoch ernstlich besorgt und sanft.
Heero....er hat mir die Handschellen angelegt, fuhr es Duo plötzlich durch den Kopf und er zuckte wie unter einem Schlag zusammen. Er hat mir nicht geholfen, als ich ihn brauchte.
Duos Augen wollten sich mit Tränen füllen, als er sie verbissen zurückkämpfte. Nein, solch eine Schwäche würde er sich nicht geben! Außerdem war das ein Traum gewesen, nichts weiter! Schließlich war es doch Heero, der ihn nun unterstützte, wo er konnte, der ihm half, darüber hinwegzukommen. Oder es zumindest versuchte. Duo selbst glaubte nicht daran, nein, vielmehr verzweifelte er immer mehr, sank immer tiefer in diesen unendlich scheinenden Kreislauf aus schlaflosen Nächten, Wahnvorstellungen und der Angst, diese Erinnerungen für immer in sich tragen zu müssen.
"Lass mich bitte alleine...Heero", brachte Duo mit eiserner Kraft fest hervor und schloss die Augen, stählte sich gegen den Kampf, der jetzt kommen würde.
"Duo...nein...das kann ich nicht! Ich weiß doch, dass es dir nicht gut geht! Lass mich dir doch helfen!", hörte er auch schon den besorgten Ton Heeros und spürte, wie nun auch seine letzte Kraft aus ihm wich.
Duo kämpfte verzweifelt gegen das übermenschliche Bedürfnis an, sich in Heeros Arme zu werfen, ihm die Schlacht gegen die Dunkelheit zu überlassen, sich einfach helfen zu lassen. Doch Duo wollte es nicht, jetzt nicht mehr. Er wollte alleine damit fertig werden, wollte niemandes Hilfe annehmen. Er konnte schließlich auch nicht auf Heeros Hilfe vertrauen, wenn er die Mission bestreiten musste- alleine. Nein, er musste jetzt lernen, damit umzugehen. Ohne Heero.
"Bitte geh weg, Heero. Ich werde alleine damit fertig. Nur dieses eine Mal, ich bitte dich!"
Für einen Moment herrschte Stille, dann hörte er ein simples, entschlossenes:
"Nein. Ich kann dich nicht alleine lassen, nicht, wenn du meine Hilfe so dringend brauchst."
Duos Augenbrauen zogen sich in plötzlichem Ärger zusammen. Gestand Heero ihm denn nicht zu, dass er es alleine schaffte? Dass er in der Lage dazu war, sich selbst zu heilen? Selbst damit fertig zu werden?
Der amerikanische Pilot stand auf, bewegte sich auf unsicheren Beinen in Richtung Tür und schloss sie auf, um mit einem letzten, zitternden Atemzug seinem Partner und Freund gegenüberzustehen und ihm fest in die Augen zu schauen.
"Ich will das alleine schaffen, Heero. Also lass es mich versuchen!", erwiderte er und starrte den japanischen Jungen ausdruckslos an. Der jedoch erwiderte seinen Blick mit einer Sanftheit und Güte, dass es Duo fast ein Schwert durch das Herz trieb, ihn so behandeln zu müssen. Doch er hatte keine andere Wahl, er konnte die ihm dargebotene Hilfe nicht annehmen.
"Bist du dir wirklich sicher...?", begann der Wingpilot fragend, wurde jedoch durch eine ruckartige Handbewegung Duos abgeschnitten.
"Lass mich allein, Heero!"
Für einen Moment verhakten sich stahlblaue Augen in violette, hielten dem eisernen und undurchdringlichem Blick stand, dann jedoch senkte Heero den seinen. Während er mit einer Hand zart und ohne Nachdruck über Duos Arm strich, erwiderte er leise:
"Alles, was du willst, Duo. Alles, was du willst."
Damit ging er aus dem Zimmer, schloss die schwere Eichenholztür hinter sich und seufzte leise und verzweifelt. Den Kloß, der in seinem Hals saß, nur mit Mühe hinunterschluckend, machte der japanische Pilot sich auf dem Weg in sein Zimmer.
Nein, die anderen Piloten konnte und wollte er noch nicht sehen. Zu sehr waren seine Gedanken mit seinem langhaarigen Partner beschäftigt, als dass er Kommunikationsversuche mit den Anderen betreiben wollte.
*
Und Duo....Duo atmete zitternd ein, ließ seinen Tränen freien Lauf und wandte sich wieder zum Fenster, wo sein Blick auf das Messer fiel, dass er letzte Nacht so achtlos auf das Fensterbrett hatte fallen lassen.
Warum nur siehst du so harmlos aus, fragte er in Gedanken und hob den scharfen Gegenstand auf, um ihn sich vor sein Gesicht zu halten. Duo sah, wie sich Ausschnitte seines Gesichtes in dem blanken Metall wiederspiegelten, ein Zeugnis davon abgaben, wie schlecht und abgemagert er doch geworden war. Die runde Form seines Gesichtes schien nun endgültig den schmalen Zügen eines gepeinigten Menschen gewichen zu sein, das Leid schien nur zu sichtbar in seinen violetten Augen zu stehen.
Wie erbärmlich.....
Duo schloss die Augen und ließ sich plötzlich auf den Teppich fallen.
Ja, ich bin erbärmlich.....
Seine Hände verkrampften sich um die dicken Fasern des Teppichs und dem Griff des Messers.
Lasse mich hier zerstören von Bastarden, die schon längst tot sind, die durch MEINE Hand gestorben sind.
Die Finger waren weiß vor Anspannung.
Und kämpfe nicht dagegen an. In keinster Weise.
Tränen flossen ihm die Wangen hinab.
Was bin ich doch für eine erbärmliche Gestalt.
Den großen Kloß der Verzweiflung in sich spürend, presste Duo fest die Lider zusammen, und rief seinem eigenem Ich schließlich in Gedanken zu:
NEIN! Das darf nicht sein! Ich darf nicht so über mich denken! Dann kann ich nicht normal werden, wenn ich so von mir denke. Ich muss positiv denken!
Doch leichter gesagt als getan.
Und dennoch.....
Duo stand auf, mühsam, unter Schmerzen und Erschöpfung leidend und ging ins Bad, stolperte dabei über Handtücher und Duschgels, die auf dem Boden verstreut lagen.
Wenn Heero und ich mal zusammenleben, sollte ich das wegräumen, sagte er sich selbst und stockte dann.
WAS hatte er gerade gedacht? Oder vielmehr....worüber hatte er sinniert? Über die Zukunft mit Heero? Über eine glückliche Zukunft? Für sie beide? War das denn möglich?
Heiße Tränen schossen aus seinen Augen, als Duo lächelte. Kaum zu glauben, aber es war ein glückliches Lächeln. Die Zukunftsvision von Heero und ihm gefiel dem amerikanischen Piloten. Es war das, was er sich so sehnlichst gewünscht hatte, noch bevor.....
Und jetzt?
Jetzt wollte er es wieder. Wollte ein normales Leben führen, insofern das überhaupt möglich war.
Mit eben diesem Lächeln begann er, die Sachen, die so unordentlich auf dem Boden verstreut lagen, aufzuheben, einzuordnen oder aufzuhängen, die Bewegungen zuerst mechanisch und mit starrem Blick, dann immer elanvoller und überzeugter. Schließlich richtete Duo sich auf und besah sich sein Werk.
Ja....das würde er können. Er würde dieses Leben leben, dieses einfache, normale Leben, was all die anderen Zivilisten führten. Er würde kochen, lachen, putzen, vergessen, ausgehen.
Und lieben?
Duo stockte kurz.
Lieben.....er war sich nicht sicher, ob er das jemals wieder konnte. Das, was die Männer ihm angetan hatten, hatte sich so tief in seine Seele eingebrannt, dass ein Vergessen, eine Übertünchung dieser Erlebnisse unmöglich war. Zu groß war die Angst, noch einmal so verletzt zu werden, diese Agonie spüren zu müssen, diese Hilflosigkeit einem anderen Mann gegenüber.
Denn obwohl er Heero liebte, würde er niemals mit seiner anfänglichen Unbedarftheit an diese Beziehung herangehen.
Nein, zu stark war die Angst vor Verletzungen und Schmerzen, zu groß das Misstrauen.
Und dennoch spürte Duo, dass der klägliche Rest, der ihm von seinem alten Ich noch geblieben war, dass dieses Fleckchen Vertrauen und Zuneigung Heero liebte und das um alles auf der Welt.
Ja, er liebte den japanischen Piloten.
Duo blieb stehen und betrachtete noch einmal sein Werk. Ja, alles hing an seinem Platz, jeder Gegenstand, jedes Handtuch. So sollte es sein, das war es, was er wollte.
Kein Chaos, kein Spiegelbild seiner Seele, sondern eine Ruhe, eine Ordnung, in der er sich zurechtfand, in der er sich selbst finden wollte.
Die Ordnung war Heero, der perfekte Soldat.
Duo lächelte und wischte sich mit der flachen Hand über die Wangen.
Er wusste nicht, ob er es schaffen würde, ob er jemals wieder in der Lage wäre, jemandem zu vertrauen oder diesen Schmerz zu vergessen, doch er würde dafür kämpfen und wenn er verlöre, dann wenigstens mit erhobenem Kopf. Nein, niemand durfte ihn bezwingen, das, was geschehen war, durfte sich nicht noch einmal wiederholen.
Und wenn es geschieht, werde ich daran sterben.
Das weiß ich.
Der langhaarige Junge raffte sich auf und straffte seine Schultern, um aus dem Bad heraus in sein Zimmer zu gehen.
Das Messer lag auf dem weichen Teppich, in der Morgensonne glänzend, Duos Blick einfangend. Für einen kurzen Moment starrte der Deathscythepilot auf den scharfen Gegenstand, dann beugte er sich hinab, hob es auf und hielt es sich vor Augen, nur um eine winzige Blutspur der vergangenen Nacht auf der Klinge zu erkennen.
Nie wieder, schwor Duo in Gedanken.
"Nie wieder wird DAS meine Erlösung sein."
Damit ging er aus seinem Zimmer hinaus auf den Gang, stieg die breite, schon fast erschlagende Treppe hinunter in den Salon, wo er auf die anderen Piloten traf. Nun, eigentlich nur auf Trowa und Quatre, die ihm nun bei seinem eintreten besorgte Blicke zuwarfen, die Augen dann jedoch vorsichtig neutral hielten.
"Duo...wie geht es dir?", fragte der blonde Junge sanft, als er einen Blick auf das Messer in der Hand des amerikanischen Piloten warf, dabei leicht zusammenzuckte.
Duo bemerkte es, sagte aber weiter nichts, während er dem Araber erwiderte:
"Besser, Quatre, danke der Nachfrage. Wo ist Heero?"
"Er ist heute noch nicht zu uns gestoßen. Vielleicht ist er noch oben, in seinem Zimmer."
Duo nickte kurz und ging dann ohne einen weiteren Kommentar wieder nach oben. Er musste mit Heero sprechen! Unbedingt!
Schritt für Schritt seinem Partner näherkommend, verlangsamte Duo seine Bewegungen.
Wie würde Heero reagieren, wenn er jetzt einfach so zu ihm kam, nachdem er ihn vor einiger Zeit weggeschickt hatte. War der japanische Pilot wütend, dass Duo seine Hilfe abgelehnt hatte, war er enttäuscht? So sehr Duo auch versuchte, die Situation einzuschätzen, so wenig konnte er es.
Der langhaarige Junge stand vor Heeros Tür, zögerte, legte dann eine Hand unsicher auf die Klinke, nur um sie einen Augenblick später wieder zurückzuziehen.
Wieso bin ich so unsicher? Warum gehe ich nicht einfach hinein und sehe, was dann passiert?
Duo streckte noch einmal seine Hand aus, bemerkte, dass sie zitterte.
Was...?, begann er verwirrt und schaute dann ruckartig auf, als sich die besagte Tür vor ihm öffnete und eben jener japanische Pilot herauskam.
"Duo?", begann Heero überrascht und der langhaarige Amerikaner gab einen erstickten Laut von sich, unfähig zu antworten, sich plötzlich einem wie wild schlagendem Herzen ausgesetzt gesehen.
"Heero...ich....", krächzte er, brachte aber nichts anderes zustande.
Der Wingpilot betrachtete seinen Partner für einen Augenblick stumm, dann fiel sein Blick auf das Messer, welches Duo in seinen Händen hielt.
Er...er wird doch nicht....?, fragte sich Heero plötzlich geschockt und seine Augen weiteten sich entsetzt.
"Duo...hast du dich verletzt? Hast du wieder....?"
Es sollte nicht wie ein Vorwurf klingen, doch in Duos Ohren war es einer.
"Warum...sagst du das so, Heero?", flüsterte er und spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen.
Und Heero dämmerte es langsam, was er falsch gemacht hatte, so fasste er den amerikanischen Piloten plötzlich aber sanft am Handgelenk und zog ihn ohne ein weiteres Wort mit in sein Zimmer um dann hinter sich und Duo die Tür zu schließen und den Deathscythepiloten zärtlich anzuschauen.
"Duo...es war nicht als Vorwurf gemeint. Ich sorge mich um dich, das ist alles!"
Duo schluckte den schweren Kloß in seinem Hals hinunter, als er spürte, wie ein gewaltiges Gewicht von seinen Schultern genommen wurde. Heero wollte ihn also nicht kritisieren, er war nicht wütend auf ihn.
Der amerikanische Junge lächelte leicht und senkte dann seinen Kopf um flüsternd hervorzubringen:
"Ich habe es geschafft, Heero...Ich...."
Damit legte er das Messer beiseite und entblößte seine unverletzten Arme, nur um dann mit unsicherem Blick wieder in die stahlblauen Saphire vor sich zu schauen, in denen jetzt jedoch nichts Hartes vorzufinden war, sondern einfach nur Liebe und Wärme.
"Duo, das ist wundervoll!", flüsterte Heero.
Duo nickte leicht und ging dann zu einem der großen, bequemen Sessel, um darin zu versinken und mit aus dem Fenster gerichtetem Blick leise fortzufahren:
"Ich hatte einen Alptraum, Heero. Ich habe geträumt, wie ER mich wieder....", Duo stockte kurz, schloss für einen Moment die Augen und fuhr dann mit einer etwas zitternden Stimme fort " Und ihr habt ihm geholfen. Ihr habt gesagt, wir wären verheiratet....er hätte jedes Recht dazu, mich zu benutzen, mit mir...."
Für einen Moment herrschte Stille im Raum, in der Heero Duo nur geschockt anstarrte, dann fragte er heiser:
"Wer ist "ihr"?
Den Blick immer noch auf die mächtigen, mit plötzlich rasender Geschwindigkeit vorbeiziehenden Wolken gerichtet, antwortete Duo mechanisch:
"Wufei...Zechs...Trowa.....Quatre....und du."
Heero reagierte zu spät und konnte das Keuchen, das ihm nun entfuhr, nicht unterdrücken.
"Duo...du weißt, dass wir so etwas nie tun würden, dass ICH dir so etwas nie antun würde!", erwiderte er heftig und trat einen Schritt auf seinen Partner zu, der ihn plötzlich aus starren, geweiteten Augen ansah, ihn alleine damit auf der Stelle hielt.
"Ich...habe die ganze Nacht gekämpft...habe versucht, mit ihnen fertig zu werden, Heero. Und ich habe es geschafft, ich höre sie nicht mehr, die Stimmen, die Dämonen, die mich so quälen...wenn ich nicht daran denke, dann....dann...."
Duo verstummte und schloss seine Augen, nur für einen Moment, für einen Bruchteil einer Sekunde. Doch das reichte Heero, um zu seinen Partner zu gehen, sich neben ihm zu knien und eine Hand vorsichtig auf Duos Wange zu legen.
"Duo...du hast wundervolle Fortschritte gemacht! Du hast jedes Recht, stolz darauf zu sein, hörst du?", fragte er eindringlich und der stille Junge vor ihm nickte zaghaft. "Du kannst es schaffen, kannst gegen diese Dämonen ankommen! Du bist ein Kämpfer!"
Der langhaarige Junge lächelte leicht und öffnete dann wieder seine Augen, um den Wingpiloten ruhig und fragend anzusehen.
"Ich danke dir, Heero."
Der japanische Junge spürte ganz genau, welche Dankbarkeit in diesen leisen Worten lag und es schmerzte ihn. Vor ein paar Monaten wäre es dem amerikanischen Jungen nicht im Traum eingefallen, ihm für so etwas zu danken, nein, er hätte nur einen Kommentar dazu abgegeben und wäre dann an seine tägliche Arbeit gegangen. Doch nun....
Nun war alles anders.
Sowohl ihre ganze Lebensart als auch Duos Charakter. Von der ursprünglichen Fröhlichkeit war nichts mehr übriggeblieben. Gar nichts! Nur Verzweiflung, Angst, das war es, was dem lebenslustigen Deathscythepiloten geblieben war.
Doch Heero würde alles auf der Welt tun, um seinem Partner Glück und Freude zu schenken.
Die Hand auf Duos Wange bewegte sich leicht, Finger strichen hauchzart über die weiche Haut, beruhigten Duo.
Duo, der nun voll Vertrauen aufschaute, der zum ersten Mal seit Tagen keine Angst vor einer jeglichen Art von Berührung verspürte, der wusste, dass - obwohl so ganz entgegen seines Traumes - er Heero vertrauen konnte, dass sein Partner ihm niemals etwas antun würde.
Der langhaarige Junge legte seinen Kopf leicht schräg, zum Zeichen, dass er die Berührung seines Partners mehr als billigte. Heero bemerkte diese Geste der Zuneigung und lächelte leise. Dann beugte er sich herunter und hauchte Duo einen engelszarten Kuss auf die Lippen.
Schließlich gewann er wieder ein wenig Abstand zu seinem Partner und wartete geduldig auf Zeichen seines Gegenübers, sei es Abneigung oder Zustimmung.
Und die bekam er schließlich auch.
"Heero?", fragte Duo fast flüsternd, kaum hörbar.
Heero lächelte und strich mit einer letzten, zärtlichen Bewegung über die Wange seines Partners.
"Ich liebe dich, Duo. Egal, wie schwer es auch sein mag, ich liebe dich. Ich werde dich nie zu etwas zwingen, dich nie bedrängen. Das ist mein Versprechen, Duo."
Die Lippen des Deathscythepiloten schwangen sich unmerklich nach oben, als er nur mit seiner Mimik erwiderte, wie wichtig ihm diese Worte waren, wie sehr er sie brauchte.
*
Gemeinsam gingen sie die Treppe hinab.
Duo hatte den Kopf leicht gesenkt und schien vollkommen in seiner eigenen Gedankenwelt zu sein, wie Heero mit einem schnellen Blick zur Seite feststellte.
Woran denkt er?, fragte sich der japanische Pilot, bekam aber ein ironisches Schnauben zur Antwort.
Na, an was wohl? Woran denkt er denn schon die ganze Zeit?, erwiderte seine innere Stimme spöttelnd und Heero zuckte wie unter einem Schlag zusammen.
Natürlich...warum kam er nicht selbst darauf? Warum musste ihn immer sein imaginärer Gegenspieler darauf bringen?
Imaginärer Gegenspieler?, äffte eben dieser den Wingpiloten gehässig nach. Wenn ich dein Gegenspieler wäre, Schätzchen, dann würde ich dir nicht helfen, sondern alles daran setzen, dass du wieder und wieder ins Fettnäpfchen trittst!
Ach nein....was tust du denn, bitteschön? Wann hast du mir geholfen?
Ein lautloses Lachen ertönte. Das Zeichen, dass die imaginäre Stimme sich gerade köstlich über das Gedachte amüsierte.
Du glaubst, ich hätte dir nicht geholfen? Dann frage ich dich, WIE oft hast du Duo durch MEINE Hilfe helfen können, hm?
Für einen kurzen Moment war Heero sprachlos...mental sowohl wie auch physisch.
Ja, sein zweites Ich hatte Recht. Vielleicht sogar mehr als das.
Wenn diese ewig präsente innere Stimme nicht da gewesen wäre, dann hätte Heero Duo nicht vor dessem Selbstmord bewahren können, dann hätte er nicht verhindern können, dass sich der amerikanische Junge die Arme aufschlitzte.
Na siehst du, ich habe also Recht.
Der japanische Pilot seufzte und nickte leicht, worauf er sich einen fragenden Blick von Duo einfing, den er aber keinesfalls wahrnahm.
"Du führst Selbstgespräche, Heero", versuchte es der langhaarige Junge daraufhin und merkte, wie sein Partner aus seinen Gedanken hervorzuckte.
"Was hast du gesagt, Duo?"
Violette Augen schienen für einen Augenblick ruhig über die Gesichtszüge Heeros zu streichen, bevor sich ein leichtes Lächeln auf die schmalen Lippen legte und Duo den Kopf schüttelte.
"Nichts Wichtiges", erwiderte er.
"Alles, was du sagst, ist wichtig", entgegnete Heero leise und berührte sacht den Oberarm seines Partners, was seinem Gegenüber ein leises Glucksen entlockte.
"Schön gesagt, Hee-chan!"
Der japanische Pilot stutzte. WIE hatte Duo ihn gerade genannt? Innerlich schlug er bei der nun folgenden Erkenntnis die Hand vor den Mund um den Schrei der Freude, der in ihm aufsteigen wollte, zu unterdrücken.
Hee-chan....der Name, mit dem Duo ihn zum Wahnsinn getrieben hatte, bevor.... Der Kosename für den japanischen Jungen, den Duo, wie Heero in der vergangenen Zeit festgestellt hatte, nicht nur dazu benutzt hatte, um ihn zu ärgern, sonder um seine Zuneigung zu ihm auszudrücken.
Er ist auf dem Wege der Besserung, schoss es Heero durch den Kopf und er spürte förmlich, wie
die Freude über ihn hinwegwusch. Ja...es wird besser, auch wenn es noch lange nicht gut ist.
Die Beiden kamen vor dem Salon zum Stehen und Heero sah Duo fragend an.
War der amerikanische Pilot wirklich schon bereit, den anderen Jungen gegenüberzutreten? Auch entgegen seiner zaghaft keimenden, neu gewonnenen, körperlichen Stärke? Auch wenn Heero es sich nicht eingestand, machte er sich große Sorgen deswegen. Alles, was er wollte, war, den amerikanischen Piloten glücklich und ohne Angst zu sehen. Es schmerzte ihn, dass Duo vor seinen Freunden, die ihm vor den schrecklichen Ereignissen so viel bedeutet hatten, nun fürchtete.
So auch ihn bis zu einem gewissen Punkt fürchtete.
Wenn nicht sogar mehr als alle anderen, denn Heero war der, der ihn liebte, der ihn verletzten konnte, wenn er sich ihm hingab.
Auch wenn Duo das nicht sagte, so war es doch deutlich durch seine gesamte Körpersprache präsent, durch das minimale Zurückzucken am Anfang bis hin zum vorsichtigen Abstand, den der amerikanische Junge immer noch hielt, wenn sie alleine waren.
Nein....ganz stimmte das auch nicht. Duo schwankte zwischen zwei Extremen. Zum Einen suchte er die Nähe, den Schutz und zum Anderen brauchte er den Abstand, der ihn davor bewahrte, verletzt und missbraucht zu werden.
Und obwohl Heero sich und Duo geschworen hatte, dem amerikanischen Jungen niemals weh zu tun, so verstand er auch Duos Einstellung ihm gegenüber. Und er respektierte sie. Die Zeit würde die Wunden heilen, welche die beiden Männer in Duos Seele hinterlassen hatten.
"Sollen wir hinein, Heero?"
Der Wingpilot nickte nach einem kurzen Zögern und öffnete dann die Tür, nur um ein volles Bild auf Quatre und Trowa zu haben, die gerade in einen innigen Kuss vertieft waren, sich nun jedoch abrupt voneinander lösten, als sie sahen, wer gerade eingetreten war. Und genauso wie Heeros Blick richteten sie ihre auf Duo, der die Beiden schweigend anstarrte, sich schließlich räusperte und fragte:
"Wenn wir euch alleine lassen sollen, müsst ihr es nur sagen. Wir wollen euch nicht stören."
Selbst erstaunt über die Kraft, mit der er das Gesagte hervorgebracht hatte, bemerkte er, wie die beiden Mitpiloten ihn erst überrascht, dann jedoch ruhig ansahen. Schließlich schüttelte Quatre den Kopf und erwiderte zart:
"Entschuldige, Duo. Nein, und ihr braucht uns nicht alleine zu lassen."
Der langhaarige Junge bewegte sich daraufhin in einem leicht schwebenden Gang auf das Paar zu und ließ sich dann ihnen gegenüber nieder. Dann wandte er sich zu Heero um und bedeutete ihm, dass er sich neben ihn setzen sollte.
Sobald sein Partner neben ihm Platz genommen hatte, griff der langhaarige Junge nach der Kaffeekanne und schenkte sich eine große Tasse ein, die er schwarz und ohne einmal abzusetzen hinunterschluckte.
"Wie steht es mit der Mission, Heero?", fragte Trowa über die Stille hinweg, plötzlich unsicher, wie er das Verhalten des Deathscythepiloten deuten sollte.
"Ich habe noch nichts geplant", erwidert der auch wahrheitsgemäß und ließ seinen Blick unauffällig zu Duo gleiten, der sich nun seine zweite Tasse einschenkte und auch diese mehr als hastig hinunterstürzte.
"Duo...möchtest du etwas essen?", fragte Quatre, der ebenfalls gesehen hatte, was der langhaarige Junge gerade tat.
Für einen Moment herrschte vollkommene, wenn nicht gespannte Stille, dann schüttelte Duo den Kopf und sagte leise:
"Ich...habe keinen Hunger, aber trotzdem danke, Quatre..."
Wieder beherrschte peinliches Schweigen den Raum, schien in einer paradoxen Weise von den Wänden reflektiert zu werden. Jeder der vier anwesenden Piloten wagte es nicht, irgendetwas zu sagen, die Stille zu lösen. Jeder von ihnen war aufgrund des gestrigen Abends so sehr gehemmt, dass sie es nicht wagten, eine normale Konversation anzufangen.
Und dennoch waren es dann Quatre und Duo, die das Schweigen brachen und gleichzeitig begannen:
"Wegen gestern Abend...."
Violette Augen trafen auf grün-blaue, sahen sie unsicher und schüchtern an, dann senkte Duo seinen Blick und murmelte leise:
"Ich...ich habe gestern überreagiert. Es...tut mir leid....."
"Nein...nein", erwiderte der blonde Junge sanft und langte über den Tisch, um eine Hand federleicht auf Duos zu platzieren. "Du hast schon recht, Duo....wir sorgen uns um dich, machen uns große Sorgen...weil du uns am Herzen liegst, weil du unser Freund bist. Wir wollen damit nicht unseren Mutterinstinkt befriedigen! Wir wollen dir helfen, weil wir dich lieben...wie einen Bruder lieben!"
Violette Seen sahen langsam auf, suchten nach Wahrheit in den Auge seines Gegenübers, fanden sie, fanden Bestätigung der Worte, die gerade ausgesprochen worden waren.
"Danke....ich danke euch, Quatre...aber...aber genau damit lasst ihr es mich nicht vergessen, haltet mir immer wieder vor Augen, was passiert ist, was sie mir angetan haben... Und alles, was ich möchte, ist vergessen. Ich möchte vergessen, dass das jemals passiert ist. Kannst du das verstehen?"
Der blonde Pilot nickte und strich mit einer sanften Bewegung über die blasse Hand seines Gegenübers.
"Natürlich kann ich das. Und jeder der anderen auch. Wir respektieren deinen Wunsch, das versprechen wir dir."
Duo atmete erleichtert ein und wagte zum ersten Mal, den Blick von Quatre zu Trowa gleiten zu lassen, der ihn ruhig und doch ohne jede Emotion ansah. Er wusste, auch der Heavyarmspilot würde seinen Wunsch respektieren, er wusste, dass er ihm vertrauen konnte.
Er wusste, dass sein Traum nichts weiter als eine leere Hülle gewesen war.
Ein Hirngespinst, von seinem Gehirn ausgespuckt.
Nicht die Realität.
Nur Illusion.
Duo verzog die Lippen zu einem minimalen, ehrlichen Lächeln und wandte sich dann seinem Partner zu, dessen Gesicht voller Liebe und Zuneigung zu sein schien.
Ich kann es schaffen, sprach Duo sich selbst Mut zu.
Nein...
Ich werde es schaffen!
*
"Gute Nacht, Duo!", lächelte Heero sanft und strich seinem Partner leicht über den Arm, was dieser mit einem hauchdünnen Kuss auf die rechte Wange seines Gegenübers quittierte und leise murmelte:
"Dir auch, Heero."
Damit wandte er sich ab, ging in sein Zimmer und machte sich daran, die zweite Nacht alleine in seinem Raum zu verbringen. Wie gerne würde er Heero in seiner Nähe wissen, wie gerne die Anwesenheit des Wingpiloten spüren, doch er musste das durchstehen.
Sie hatten geredet. Den ganzen Tag. Nach dem Frühstück hatte Heero vorgeschlagen, am Strand spazieren zu gehen und Duo hatte bereitwillig zugestimmt. So waren die beiden Jungen zum größten Teil in ruhigem Schweigen nebeneinander hergegangen, hatten der Melodie des Windes, dem Rauschen der Wellen zugehört, dem Spiel der Wolken zugesehen, die in eigenartigen Gebilden an ihnen vorbeizogen.
Ein paar Mal hatte Duo gelächelt und auf einen der Wolkenberge gedeutet, dabei erwähnt, was sie für ihn darstellten und Heero jedes Mal ein überraschtes "Ja?" abgerungen.
Der amerikanische Pilot hatte dabei jedes Mal stumm in sich hinein gelächelt und sich eingestanden, dass es eine Sache gab, die der perfekte Soldat nicht beherrschte: Fantasie, Imagination.
Aber das war auch schließlich kein Wunder, bei der Erziehung, die J ihm hatte zukommen lassen. Wie auch schon etliche Male zuvor überkam ihn ein schier unmöglicher Hass auf den Wissenschaftler, wenn er daran dachte, was der Mann einem dreijährigen Kind angetan hatte.
Einen Jungen, der sich nichts sehnlicher wünschte, als Eltern zu haben, die ihn liebten, die ihn in den Arm nahmen und trösteten, wenn er einmal traurig war, wenn er weinte.
Und das alles hatte der Bastard ihm versagt. Hatte ihm vielmehr zu einer perfekten Killermaschine dressiert, die nichts anderes tat, als seinen Befehlen zu gehorchen, und wenn er das nicht zu seiner Zufriedenheit erledigte, ihn zu bestrafen.
Damit er den Fehler nicht noch einmal machte.
Duo schüttelte es vor Wut, wenn er daran dachte, dass ein erwachsener Mann einen kleinen Jungen zusammenschlagen ließ, sodass er ein paar Tage lang nicht mehr sitzen geschweige denn laufen konnte.
Und dennoch hatte der Wissenschaftler seinen kindlichen Soldaten dazu gezwungen, hatte ungeachtet der körperlichen Schmerzen den Jungen auf eine Mission nach der anderen geschickt, bis er aus lauter Angst vor den Schmerzen alles richtig gemacht hatte.
Duo hatte es damals nur durch Zufall herausgefunden, was J Heero angetan hatte.
Zu dieser Zeit schon in den Wingpiloten verliebt, hatte er in dessen Akten gestöbert um etwas mehr über ihn herauszufinden. Um seine Vergangenheit und seine Lebensumstände kennenzulernen. Er hatte wissen wollen, was für ein Mensch wirklich hinter dem kalten, unnahbaren Soldaten stand und feststellen müssen, dass Heero dieser Soldat war. Dass das Kind, das so verängstigt gewesen war, nicht mehr existierte.
Und Duo hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, dem Wingpiloten zu zeigen, dass es auch noch etwas Anderes als Hass und Gewalt gab.
Bis....
Bis die Männer in der Basis ihn vergewaltigt hatten.
Duo hatte es verstecken wollen, hatte Heero vorspielen wollen, dass er stark genug war, doch dann hatte der Wingpilot seine Schale geknackt. Hatte sich unerwartet große Sorgen um ihn gemacht. Hatte Gefühle gezeigt.
Und schenkte damit Duo etwas, was dieser nie vermutet hatte.
Seine Liebe.
Das, was Duo so dringend wollte, brauchte, benötigte.
Doch der langhaarige Junge war nicht in der Lage, das zu erwidern. Jetzt nicht. Nicht nach den schrecklichen Erfahrungen, die er hatte durchmachen müssen. Und dennoch schwor er sich, dass es eine Zukunft für den japanischen Jungen und ihn geben würde. Auch wenn es ewig dauern würde. Er würde es schaffen. Und wenn die Dämonen zurückkommen würden, würde er sie bekämpfen.
Um Heeros Willen.
Duos Mundwinkel bogen sich leicht nach oben, als er den Wingpiloten dabei beobachtete, wie dieser angestrengt versuchte, aus der unförmigen Masse über sich seinen Gundam zu erkennen.
Heero ist mein Ein und Alles. Ich kann nicht ohne ihn leben, schoss es Duo durch den Kopf und er richtete den Blick ebenfalls zum Himmel, deutlich Zero Wing in der Wolkenansammlung erkennend.
Die kleine Stimme, die ihn fragte, was wäre, wenn der Wingpilot nicht mehr da war, wenn er durch einen Unfall sterben würde, hörte er nicht, zu sehr war er mit dem kurzen Glücksgefühl beschäftigt, dass sich seiner bemächtigt hatte, das er nach so langer Zeit wirklich frei von Sorgen genießen konnte.
Sie waren weit gewandert, über Stunden hinweg, hatten über ihre Kindheiten gesprochen, über Träume, Wünsche, Zukunftspläne, über das, was sie nach dem Krieg machen wollten.
"Ich möchte ein Haus am Strand...fernab von jeglicher Zivilisation, mit einem herrlichen Blick auf den Horizont und den Sonnenuntergang...", hatte Heero gesagt und dabei gelächelt, ein kleines, verzauberndes Lächeln, das Duo erst so fremd erschien, das ihm jetzt jedoch zu einer vertrauten Geste geworden war, die ihn selbst glücklich machte. "...in schönen hellen Pastellfarben...hellblau...violett...gelb...."
Duo rann bei dieser Beschreibung unwillkürlich ein Schauer über den Rücken. Bei Gott, wie oft hatte er davon geträumt? Wie oft hatte er sich genau das vorgestellt?
"Möchtest du das Haus mit mir?", hatte Duo plötzlich unsicher gefragt und hatte nicht gewagt, den Blick zu heben, bis ihm ein leises Lachen antwortete.
"Natürlich Duo!", hatte Heero daraufhin mit seiner unverwechselbaren, ruhigen und wohlklingenden Stimme geantwortet und gelächelt. "Wenn du willst, werde ich alles für dich tun!"
Und Duo war stehen geblieben, seine kastanienbraunen Haare strahlend in der Sonne, seine langen Strähnen wild im Wind umherfliegend. Er atmete tief den salzigen Geruch des Meeres ein, lauschte dem Schreien der Möwen und sah seinem Partner direkt in die Augen. Das Einzige, was er darin erkannte, war Liebe und Zuneigung.
Und das galt ihm.
Heero liebte ihn.
Wie niemand zuvor.
Duo hatte das Gefühl, dass zum ersten Mal in seinem verkorksten Leben etwas richtig lief. Dass er es schaffen würde, dem ewigen Teufelskreis aus Rache, Mord und Gewalt entkommen zu können.
Mit Hilfe eines Jungen, der nichts anderes gelernt hatte, als zu töten und zu gehorchen.
Nun aber auf eigenen Beinen stand. Gelernt hatte, sich seinem Mentor zu widersetzen.
Gelernt hatte, Gefühle zu zeigen.
Gelernt hatte, zu lieben.
So waren sie in ruhigem Schweigen weitergewandert, bis in die späten Abendstunden hinein, um dann schließlich erschöpft zum großen Gutshaus zurückzukommen.
Und nun stand Duo in seinem Zimmer, das helle Mondlicht einen leuchtenden Schein hineinwerfend und alles, inklusive dem langhaarigen Jungen in einen fast schon überirdischen Schein tauchend.
Zum ersten Mal keine Angst vor der Dunkelheit habend, die ihn umgab, seufzte er leise und wollte sich in sein nun aufgeräumtes Bad begeben, als er ein Grollen vernahm.
Überrascht die Augenbrauen zusammenziehend, hielt Duo für einen Moment inne und wartete, ob es noch einmal kam.
Kam es.
In der doppelten Lautstärke.
Und Duo wusste plötzlich, was genau dieses Rumpeln war und woher es kam.
Nämlich direkt von ihm, beziehungsweise seinem Magen, der sich scheinbar mit aller Macht bemerkbar machen wollte.
Er hatte Hunger?
Duo zog die Augenbrauen hoch.
Warum ausgerechnet jetzt?, fragte er sich stumm und bekam ein wütendes Brummen als Antwort, von dem er schon beinahe glaubte, dass Heero im Nebenzimmer es hören müsste.
Kann ich es wagen? Kann ich dem Drang, etwas zu essen, nachgeben? SOLL ich ihm nachgeben?
Und zum ersten Mal seit einer langen Zeit konnte er diese Frage mit "ja" beantworten. Zum ersten Mal seit....verspürte er wieder Hunger. Nein...nicht nur Hunger, sondern vielmehr Appetit. Appetit auf Nahrungsmittel, die ihm als Luxusgüter dienten, nicht bloß dazu da waren, ihn am Leben zu halten.
Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wandte sich Duo von seiner Badezimmertür ab und verließ mit einer lautlosen Bewegung sein Zimmer. Gut, eine nicht ganz so lautlose Bewegung, da sein Magen sich nun wieder lautstark zu Wort meldete und ihn protestierend daran erinnerte, dass er in der letzten Zeit fast gar nichts gegessen hatte.
Eine Hand auf seinen flachen Bauch gepresst, begab sich der langhaarige Junge in die Küche und ging schließlich langsam auf den schon fast überdimensionalen Kühlschrank zu, der direkt neben dem Fenster stand.
Auch nun wieder durch das Mondlicht gelenkt, öffnete der Deathscythepilot vorsichtig das Nahrungsmitteldepot und besah sich all die Köstlichkeiten, die darin aufbewahrt wurden.
Ja, er hatte Hunger!
Sich in einer eleganten Bewegung davor niederlassend, pickte er sich eine Schale mit Erdbeeren und Weintrauben hinaus, dazu etwas Sprühsahne und Schokolade. Er wusste, dass er das alles nicht aufbekommen würde und dennoch...es war ein Anfang, wenn er schon einen Teil schaffte.
Und so machte sich Duo daran, die solange vergessenen Köstlichkeiten erneut für sich zu entdecken, sie zu kosten und zu schmecken, als wenn er sie zum ersten Male essen würde.
*
Heero gähnte laut und streckte seine strapazierten Muskeln vorsichtig. Sie waren den ganzen Tag gewandert, Duo und er. Sie hatten geredet, geschwiegen, gelächelt. Und Heero hatte die Hoffnung, dass Duo von seinem Trauma geheilt werden könnte, neu entdeckt. Er wusste, wie stark sein Partner war, Duo hatte es ihm heute gezeigt. Duo hatte ihm gezeigt, dass sie sehr wohl eine gemeinsame Zukunft haben könnten.
Und das löste in Heero ein Glücksgefühl sondergleichen aus.
Über dieses neuartige Wohlbefinden lächelnd, drehte sich der Wingpilot vom Badezimmerspiegel weg und ging in sein Zimmer um schlafen zu gehen, bis ihn ein leichtes Knurren von diesem Vorhaben abbrachte.
Er hatte...Hunger?
Jetzt? Um diese Uhrzeit?
Zunächst runzelte Heero verwirrt die Stirn, doch dann fiel ihm ein, dass er den ganzen Tag lang nichts gegessen hatte.
Ich werde jetzt nichts mehr essen, sagte er sich selbst und wandte sich strikt zum Bett, wurde dann jedoch von einer amüsierten Stimme davon abgehalten.
Tatsächlich?, fragte sie und Heero hätte schwören können, dass das da ein schadenfrohes Lächeln war, was er innerlich zu sehen glaubte.
Ja, tatsächlich, erwiderte er böse und wollte sich schon hinlegen, als sein Magen mit aller Gewalt dagegen protestierte und sich lautstark beschwerte.
Schau mal, da hat jemand Hunger...
Nein, habe ich nicht!
Ach...wirklich nicht?
Ja!
Dein Magen schon.
Heero seufzte und wägte schließlich die Möglichkeiten ab. Gab er klein bei und besorgte sich noch kurz etwas zu essen oder ließ er es bis morgen bleiben und hatte damit keine ruhige Minute mehr?
Heero entschied sich wohlweißlich für die erste Möglichkeit.
Gut so, lobte ihn seine innere Stimme und Heero knurrte unwillig, sagte jedoch weiter nichts dazu.
Er verließ sein Zimmer und schlich sich leise die große, marmorne Treppe hinunter, immer darauf bedacht, niemanden aufzuwecken und auf sich aufmerksam zu machen. Was ihm jedoch angesichts eines dauerknurrenden Magens sichtlich schwer fiel.
Vor der Küche angekommen, seufzte er leise und öffnete geräuschlos die Tür, nur um sie eine Sekunde später wieder in der gleichen Lautstärke zu schließen.
Da war jemand in der Küche und dieser jemand befand sich genau vor dem Kühlschrank.
Still in sich hineinfluchend, überlegte Heero, welcher der Bediensteten oder gar Piloten um diese Uhrzeit noch Hunger hatte. Wenn es sich um einen seiner Freunde handelte, war es vermutlich Quatre, da Wufei niemals um diese Uhrzeit aß, Trowa einfach nicht auf sein Hungergefühl achten würde und Zechs....
Es könnte Zechs sein.
Stumm abwiegend, was schlimmer wäre - einer der Angestellten, der ihn dann vermutlich überrascht anschaute oder Zechs, der ihn charmant anlächeln und eine dumme Bemerkung über die Willenkraft des perfekten Soldaten verlieren würde -, nickte er schließlich entschlossen und öffnete erneut die Tür, mit der Absicht, ohne irgendein Geräusch einzutreten, was jedoch wirkungsvoll durch seinen Magen vereitelt wurde, der sich nun in voller Lautstärke präsentierte.
Die Person, die bisher vor dem Kühlschrank gesessen hatte, wie Heero jetzt bemerkte, drehte sich ruckartig um und fragte überrascht:
"Heero?!"
"Duo?", erwiderte er dümmlich und stand erst einmal für einen Augenblick in der Tür, das Bild seines vor dem Kühlschrank sitzenden Partners in sich aufnehmend.
Er isst, erklärte ihm eine Stimme in seinem Inneren unnötiger Weise und Heero nickte abwesend.
Er isst?
Dann dämmerte es ihm. Die Erkenntnis wusch über ihn hinweg, als er zum ersten Mal richtig realisierte, was das eigentlich zu bedeuten hatte.
Duo aß...seit einer langen Zeit nahm der Deathscythepilot freiwillig Nahrung zu sich. Und wie es schien, tat er das mit vollstem Vergnügen.
Heero lächelte ob dieser Erkenntnis immer stärker, bis seine Mundwinkel die verdächtige Form eines Grinsens angenommen hatten. Sich nicht zurückhalten könnend, fragte er leise:
"Darf ich dir Gesellschaft leisten, Duo?"
Für einen Moment herrschte angenehmes Schweigen zwischen den Beiden, dann nickte der langhaarige Junge und berührte mit der linken flachen Hand leicht den warmen Boden, das Zeichen, das Heero sich neben ihn setzen sollte. Und Heero folgte der Aufforderung sofort, ließ sich neben Duo nieder und besah sich die köstliche Mischung aus Früchten, Sahne und Schokolade vor ihnen.
"Das sieht köstlich aus", sprach Heero sanft seine Gedanken aus und langte nach einer Erdbeere, um sie genauer unter die Lupe zu nehmen.
Eine köstliche, rote, vollreife Frucht, saftig und fest, einen leichten, herben Geruch ausstrahlend. So notierte sein Gehirn die Beere und Heero wandte seinen Blick wieder Duo zu, der ihn von der Seite schweigend ansah.
Und Heero....Heero schaltete all seine logischen Denkweisen aus, überließ allein seinem Gefühl die Oberhand und streckte die Hand aus, beförderte die Erdbeere in einer sanften Bewegung zu Duos halbgeöffneten Lippen, berührte sie unmerklich, strich an ihnen entlang, bis der langhaarige Junge seinen Mund plötzlich öffnete und gezielt in die Frucht hineinbiss, ohne dabei jedoch Heeros Finger zu berühren.
Leise lächelnd fragte Heero:
"Noch eine?"
Nichts als ein verzauberndes Lächeln antwortete ihm, so nahm er die nächste Frucht, legte sie an Duos Lippen und ließ seinen Partner Stück für Stück abbeißen. Und dieses Mal berührten die zarten, eleganten Lippen seines Freundes seine Fingerspitzen, ließen Heero innerlich erzittern ob der Erotik, die in dieser einfachen Geste lag.
"Jetzt bin ich dran", unterbrach die feenhafte Stimme Duos seine Gedanken und er sah, wie nun auch vor seiner Nase eine rote Frucht schwebte, begleitet vom neckischen Lächeln des langhaarigen Jungen, der sie nun vor Heeros Lippen kreisen ließ, sie zwischendurch anstupste, berührte, die Erdbeere in einer vollkommen verzaubernden Bewegung über sie gleiten ließ.
Ganz der perfekte Soldat, der er einmal gewesen war, schnappte Heero sich die köstliche Frucht, saugte kurz am verführerischen Fruchtsaft, bevor er sie zerbiss und langsam kaute.
Duo beobachtete die Geste lächelnd und Heero griff unsichtbar für seinen Partner nach der Sprühsahne, die er nun dazu benutzte, Duo rasch einen Klecks auf die Nase zu sprühen, was dieser mit einem leicht erschrockenen Fiepen quittierte.
"Ich glaube, du hast da etwas auf der Nase", murmelte Heero nun schelmisch lächelnd und strich mit seinem Finger leicht und ohne Nachdruck über die Wange Duos, wanderte dann von den Augenbrauen zur Nase, wo er schließlich langsam und reizend dem Nasenbein in seiner eleganten Form folgte, schließlich bei der leichten Spitze ankam, die nun mit einem Sahneklecks dekoriert war und mit besagtem Finger ein wenig von dieser Sahne aufnahm, um sie selbst zu kosten.
"Wunderbar...", hauchte Heero und lächelte sanft und Duo streckte ihm in einer Geste vollen Vertrauens eben dieses Körperteil entgegen, genau deutlich machend, was er wollte.
Und der japanische Junge tat ihm den Gefallen.
Er reckte sich leicht vor, berührte Duos Nasenspitze hauchzart mit seinen Lippen und saugte leicht an der süßen Substanz darauf.
"Köstlich."
Der langhaarige Pilot gluckste leise und griff zu der Schokoladenglasur, die er eben entdeckt hatte und nun sich revanchierend auf Heeros Nasenspitze verteilte.
Leichte Küsse über das ganze Gesicht seines Partners verteilend, kam er schließlich dort an, hielt kurz ein und presste seine Lippen weich auf die süße Speise, sie mit all seinen Sinnen aufnehmend.
Der süße Geruch und fast schon herbe Geschmack, die flüssige Substanz, das leichte Kleben an den Lippen. All das registrierte der amerikanische Junge mit einem verzückten Seufzen und wollte mehr.
Er wollte, dass dieser vertrauliche Moment, dieser Stillstand der Zeit nie wieder aufhörte. Dass Heero und er sich so vertrauen könnten, dass kein Schmerz, keine Verzweiflung mehr existieren würden. Nur die vollkommene Harmonie, der Zauber einer monderhellten Nacht.
So sollte das Leben sein.
So vertrauensvoll sollte ihre Beziehung sein, ihr Leben.
Heero schien genau das Gleiche zu denken, denn auch er sah seinen Partner mit diesem wissenden Ausdruck an, mit dieser Zufriedenheit, der Sehnsucht, dem Glück, welches sich im Moment in seinem Inneren ausbreitete.
Duo schien dem Drang, den er nun in sich spürte, nicht widerstehen zu können. So sehr reizten ihn die feucht im Mondlicht scheinenden Lippen seines Gegenübers, so sehr luden sie ihn zu einem sanften Kuss ein.
Und Duo folgte der Aufforderung. Ohne Angst, ohne Schmerz, ohne Verzweiflung.
Nein, es war nur Glück, was er verspürte.
Sanft die Lippen seines Partners mit den Seinen streichelnd, schloss er die Augen, ergab sich dem beinahe überwältigendem Gefühl dieser Nähe, spürte, wie Heero auf ihn reagierte, sich seine Lippen gegen die des amerikanischen Jungen bewegten, sich mit ihnen im Takt wiegten und doch in einer verrückten Weise zu bekämpfen schienen.
Es war kein enger Kuss, nein, dafür waren sie sich noch zu fremd. Doch es war der Anfang, der Beginn eines neu aufbauenden Vertrauensverhältnisses, der zaghafte Versuch, sich aneinander zu gewöhnen, sich an eine intime Art miteinander umzugehen zu gewöhnen.
Es war der schüchterne Versuch, wieder ein Stück Frieden und Glück zu finden.
*
"Master Quatre, Sie sollten sich das einmal ansehen!"
Besagter Junge stöhnte leise gequält auf. Trowa und er hatten letzte Nacht sehr wenig Schlaf bekommen und dachten daher, dass sie wenigstens den Morgen durchschlafen könnten, was jedoch äußerst wirkungsvoll durch einen unabweisbaren, energischen Rashid vereitelt wurde, der nun in das Zimmer gestürzt kam und die beiden Jungen mit ausdrucksloser Miene musterte, sich dann jedoch ehrenvoll entschuldigte:
"Oh...wenn ich Sie gestört habe, dann...."
"Nein, nein, Rashid, haben Sie nicht. Wir...wollten gerade aufstehen", log Quatre in seiner typisch gutmütigen und absolut auffälligen Art, die der ältere Mann sofort durchschaute.
"Verzeihen Sie mir vielmals, doch Sie sollten sich das einmal ansehen!"
Quatre nickte schließlich und stieg mit einem Seufzen aus dem Bett, nachdem er den großen Mann hinausgeschickt hatte. Sich anziehend murmelte er zu Trowa, der mit einem zufriedenen Lächeln in den pastellvioletten Seidenlaken lag:
"Immer ich...wieso können sie dich nicht mal so früh aus dem Bett scheuchen?"
"Master Trowa sollte auch mitkommen!", tönte es da laut von der Außenseite der Tür und der blonde Junge stockte für einen Moment, kicherte dann aber fröhlich und grinste seinen Partner schon beinahe schadenfroh an.
"Also...wenn ich bitten darf?", lachte er und streckte dem grünäugigen Jungen die Zunge heraus, sich nur knapp vor einem Kissen, das exakt in seine Richtung zielte, retten könnend.
"Du kannst so gemein sein!", schmollte der Heavyarmspilot hinreißend und verschränkte spielerisch die Arme vor Brust, was seinem Freund ein weiteres, sprudelndes Lachen entlockte.
"Master Quatre!"
Seufzend ob dieser Ungeduld beschleunigten die beiden Jungen nun ihr Tempo und standen schließlich halbwegs bekleidet vor dem großen Mann, der sie nun breit angrinste und sie hinunter in die Küche führte, wo sie erst einmal verdutzt stehen blieben.
Quatre wusste nicht, ob er lachen oder einfach nur verzückt auf das friedliche, schlafende Pärchen vor sich sehen sollte. Duo und Heero...am Küchenschrank gelehnt, beide noch tief schlafend, Duo mit seinem Kopf an Heeros Brust und Heero seine Arme fest um seinen Partner geschlungen, so als wollte er ihm noch im Schlaf Schutz und Wärme spenden.
Und neben den Beiden ein ganzes Bataillon an Nahrungsmitteln, angefangen von Erdbeeren über Schokoladensauce bis hin zu Sahne, Kirschen, geschmolzenem Bananeneis und Honig.
Was nur eine vage Vermutung darüber zuließ, was die beiden Jungen letzte Nacht getan hatten.
Aber was es auch war, es schien Duo gefallen zu haben, denn der langhaarige Junge lächelte im Schlaf und gab kleine, zufriedene Geräusche von sich.
Immer noch herzhaft über diesen Anblick lächelnd, sah Quatre zu seinem Partner und bemerkte, dass es ihm genauso ging.
"Nun denn", bemerkte der arabische Pilot. "Dann müssen wir entweder warten, bis die Beiden aufwachen oder wir verschieben das Frühstück und begeben uns heute Mittag an das warme Essen."
Damit fasste er Trowa lächelnd bei der Hand und zog ihn wieder mit sich hoch in ihr Gemach, den Schlaf ihrer gestrigen Nacht nachholend.
~~~~~
by Coco
