Duo lächelte.
Ja, einfach würde es sein. Ein Unfall. Der Wind dafür verantwortlich. Nicht er. Niemand würde
ihn dafür verantwortlich machen.
"Duo?", durchbrach eine weiche, warme Stimme seine Gedanken und violett-blaue Augen sahen blind auf, nur den Feind vor sich sehend und bitter zusammenzuckend, als dessen Hand sich auf seine Schulter legte.
Fass mich nicht an!, wollte er fauchen, wollte den Mann zurückstoßen, tat jedoch nichts von dem, mit einem Male abrupt wieder zu sich kommend.
Vollkommen.
Duo erstarrte und sah in eisblaue Augen, die ihn besorgt ansahen. Es sah das blonde, lange Haar, das den Tallgeesepiloten wie tausende Schlangen umgab, die sich um seinen Kopf wanden.
Wie eine Medusa.....
Ich....ich hätte ihn die Klippen hinuntergestoßen....
IHN.....
"Zechs?", fragte Duo, gleichzeitig den allzu großen Kloß in seinem Hals hinunterschluckend.
Mein GOTT! Was hätte ich beinahe getan? Ich...ich...hätte ihn beinahe getötet!! Wie...wie IHN. Was hätte ich ANGERICHTET? Und Wufei angetan? Bei Gott......
"Ist etwas nicht in Ordnung, Duo? Du scheinst etwas geschockt zu sein?", fragte Zechs und verstärkte leicht den Druck auf der Schulter des langhaarigen Jungen. Dieses Mal störte es den Deathscythepiloten nicht, nein, im Gegenteil. Es bot ihm die einzige Verbindung zur Realität dar, die sich vor ein paar Sekunden wieder eingestellt hatte, ihn aus seinem kurzfristigen Irrsinn herausgeholt hatte.
Zechs fragte, ob er geschockt wäre. Worüber? Über sich selbst, über die Kaltblütigkeit, mit der er gerade noch in der Lage gewesen war, den älteren Mann zu töten, ihn kaltblütig zu ermorden.
"Sollen wir doch nicht hinuntergehen?", fragte eben dieser Soldat weiter, doch Duo schüttelte stumm den Kopf und erwiderte mit einer Stimme, die er sich in diesem Moment selbst nicht zugetraut hatte:
"Nein...nein, lass uns gehen. Ich...ich habe nichts dagegen. Aber...", fügte er an, als Zechs nickte und sich umdrehte, um wieder voranzugehen. "...lass mich vorgehen."
Es ist sicherer...für dich, ergänzte er in Gedanken und trat vor sein Gegenüber, um die weiteren, noch verbleibenden Stufen hinunterzusteigen. Auch dieses Mal zerrte und riss der Wind an seinen Sachen, doch es blieb der eisige Schauer aus, der sich vor ein paar Augenblicken seiner bemächtigt hatte.
So erreichten sie schließlich den Strand, die durch den zuvor gefallenen Regen dunkle Landzunge, welche direkt an die stürmische See grenzte, die sich in einiger Entfernung in hohen Wellen auftürmte und immer mehr abnahm, bis sie schließlich klein und unruhig an den Strand gespült wurde.
Duo atmete auf und versuchte gleichzeitig seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen, der scheinbar versuchte, seine Brust zu sprengen. Nicht alleine die Tatsache, dass er gerade versucht hatte, den blonden Mann umzubringen, dass er alleine schon mit dem Gedanken gespielt hatte, sondern auch die Einsamkeit des Strandes machten ihm zu schaffen.
Er war sich vollstens bewusst, dass er mit Zechs alleine war.
Und das schien auch sein Gegenüber zu bemerken, denn der Erbe des Peacecraft-Königreiches sah ihn nun fragend und besorgt an.
"Duo...wenn es dir unangenehm ist, können wir auch umkehren. Du brauchst dir das nicht anzutun!", bemerkte er und legte den Kopf leicht schief. Eine Geste, die - so hatte es Duo in der kurzen Zeit bemerkt - typisch für den Mann war, wenn er seinen Gesprächspartner nicht einschüchtern wollte.
Doch der langhaarige Junge schüttelte stumm den Kopf.
Nein, er musste es hinter sich bringen. Er war nicht das verängstigte Opfer.
Nicht mehr.
Zumindest versuchte er, von eben dieser Angst wegzukommen. Und dazu gehörte jetzt, dass er Zechs soviel Vertrauen schenkte, um mit ihm alleine den Strand entlang zu gehen, um sich ihm in einem guten Teil zu offenbaren, ihm seinen Schmerz darzulegen.
"Zechs....", begann Duo, schluckte schwer, den großen Kloß in seinem Hals verfluchend. Er wusste, ein Teil in ihm akzeptierte diese Schwäche ganz einfach nicht. Und eben dieser Abschnitt unterlag wieder und wieder dem, der sich vor jeglichem, menschlichem Kontakt fürchtete, der davor Angst hatte, wieder verletzt zu werden, der zu traumatisiert für eine zwischenmenschliche Beziehung war.
"Es tut mir leid", brachte Duo ruckartig hervor, diese Entschuldigung jedoch nicht nur an den Tallgeesepiloten gerichtet, sondern an alle diejenigen, die er mit seinem Benehmen verletzt hatte. Heero...Quatre....Trowa...Wufei...ja, und Zechs, sie alle hatten unter ihm leiden müssen, nicht nur heute. Sie alle hatten sich seine ungerechten Vorwürfe angehört, hatten sich nicht abgewandt, hatten ihn nicht im Stich gelassen.
"Manchmal kann ich es einfach nicht anders", sprudelte es weiter aus Duo heraus, bevor Zechs ihn unterbrechen konnte. "Ich weiß nicht, was mit mir los ist, ich weiß nicht, warum ich so wütend reagiere. Ich weiß nicht, warum ich Heero heute so angefahren habe und ich weiß verdammt noch mal auch nicht, wieso ich plötzlich das Bedürfnis verspürt habe, dich....!"
Er sprach nicht weiter, konnte es auch gar nicht. Konnte nicht die Abscheulichkeit aussprechen, die er beinahe begangen hätte. Und auch wenn Duo Terrorist war, auch wenn er schon mehr als ein Menschenleben genommen hatte, so widerte sein Verhalten ihn an. Wie konnte er nur daran DENKEN, einen Freund zu töten?
Duo stutzte für einen Moment.
Freund?
Hatte er das gerade wirklich gedacht?
Erst jetzt fiel ihm auf, dass er seinem Gegenüber vollkommen vertraute, dass er KEINE Angst davor hatte, mit ihm alleine zu sein. Vor ein paar Augenblicken hatte er noch gehofft, dass er die Kraft hatte, daran zu glauben und darauf zu hoffen, doch nun war es wirklich eingetreten.
"Was ist mit mir?", hakte der blonde Mann ruhig und beinahe zärtlich nach. Aber nur beinahe. Alles, was Duo aus dieser simplen Frage erkennen konnte, war Zuneigung und Besorgnis.
"Nichts!"
Die Antwort kam viel zu hastig und gepresst um glaubwürdig zu wirken, doch Zechs fragte nicht weiter nach. Er würde den langhaarigen Jungen nicht unter Druck setzen, nie.
"Ich wollte mit dir reden...", stimmte Zechs erneut an und Duo nickte langsam. Auch er wusste, dass das nun folgende Gespräch Stärke forderte. Von ihnen beiden. Es gab auch niemanden, der in diesem Fall mehr belastet war, nein. Sowohl für Duo als auch für Zechs war die Tat, die ein Feind und Freund verübt hatte, erschreckend, unbegreiflich, grausam und ekelerregend.
"Duo...ich wusste nichts von dem, was passiert ist....wusste nicht, was er vorhatte, was er mit dir gemacht hat, bis....bis wir es durch J erfahren haben. Was...was allerdings mein Verbrechen ist, das ist die Tatsache, dass ich keinen Verdacht geschöpft habe. Treize und ich....wir haben uns unterhalten....über dich...es war einen Tag, bevor er...."
Zechs stockte und suchte im Gesicht seines Gegenübers nach Anzeichen des Hasses und des Zorns, fand jedoch nicht die geringste Spur davon.
Da ist nur Fassungslosigkeit, stellte er geschockt fest. Geschockt und doch nicht geschockt, weil er es in einer paradoxen Art und Weise schon vermutet hatte. Warum? Weil es zu vermuten war. Natürlich konnte Duo es nicht begreifen, konnte nicht begreifen, wieso Zechs ihm nicht geholfen hatte.
Und genau das würde sich der blonde Mann auch immer vorwerfen.
Hätte er Verdacht geschöpft, hätte er Duo nur zur Flucht verholfen, wäre ihm wenigstens die Vergewaltigung durch Treize erspart geblieben.
Wenigstens das.
"Wieso...? Wieso hast du mir nicht geholfen?", flüsterte Duo und schlug eine Hand vor den Mund, die Knöchel weiß vor Anspannung.
"Weil....weil ich es nicht durfte....oder meinte, es nicht zu dürfen, da sonst meine Tarnung als euer Verbündeter aufgeflogen wäre...und außerdem...außerdem hätte ich nie gedacht, dass so etwas geschehen könnte....das musst du mir glauben, Duo. Ich habe das nicht gewollt! NIE!"
Er wollte den Deathscythepiloten an der Schulter berühren, doch dieser zuckte unwirsch vor ihm zurück und ging ein paar Schritte auf das Wasser zu, steif und beinahe torkelnd, so als ob er im nächsten Moment vor Schock zusammenbrechen würde.
Zechs wusste, dass er auch allen Grund dazu hatte.
Wie musste sich jemand fühlen, dem nach solch einer schrecklichen Tat gesagt wurde, dass zumindest eine Tortur dessen hätte verhindert werden können?
"Treize....er rief mich in sein Büro...", fuhr Zechs fort, konnte nicht sagen, ob Duo ihm zuhörte oder nicht. "Er fragte mich, ob ich mehr über die Gundampiloten wüsste als er. Ob ich ihm Informationen liefern könnte. Ich habe verneint, weil ich es Wufei versprochen hatte. Da...da hat er mir gesagt, dass du in seinem Gewahrsam wärst und dass er dich am nächsten Tag verhören wolle. Ich...ich hab zu ihm gesagt, dass du ein ehrenvoller Gegner wärst und dass er dich nicht schlecht behandeln sollte...."
Zechs musste den mittlerweile viel zu großen Kloß in seinem Hals hinunterwürgen, um überhaupt weitersprechen zu können.
"Und...und er meinte, dass ich mir keine Sorgen machen brauche. Dass ich wüsste, was für ein Ehrenmann er sei....ich...ich habe ihm geglaubt, Duo....ich hatte es dabei belassen, in der Hoffnung, dass Yuy dich rettet. Ich dachte, dir wäre nichts geschehen...."
Duo, der in dem Moment noch zum Meer gewand stand, dessen Schultern sich in einer verkrampften Linie zusammengezogen hatten, drehte sich nun um, ruckartig, ohne Vorwarnung und sah dem älteren Mann mit tränenüberströmten Wangen an.
"Er...hat gesagt, dass er mich nicht schlecht behandeln würde....?", flüsterten dunkle, violette Augen, ein bitter zusammengezogener Mund.
Und damit zog Duo seinen Mantel aus, zeigte Zechs etwas, was noch nie jemand außer ihm und Heero zuteil geworden war. Er zeigte ihm die Spuren von Treizes´ ´Sanftheit´, zeigte ihm die deutlichen Male der Misshandlung, die er in den Händen des Generals erlitten hatte.
"DAS hat er mir angetan, Zechs, und noch einiges mehr!", brachte Duo abrupt hervor. "Er war nicht sanft, er hat mich nicht mit Respekt behandelt! Nie!"
"Das ist mir bewusst", entgegnete Zechs leise, nicht fähig, weiter in die tiefen, violetten Seen zu schauen.
Stille beherrschte für einen langen Zeitraum die beiden Piloten, bis Duo sich schließlich leise räusperte und sagte:
"Ich...ich verstehe, dass du mir nicht helfen konntest."
Alleine dieser Satz ließ eisblaue Augen aufschrecken, ließ sie einen Augenblick tief in die gemarterte Seele des Jungen blicken, als dieser sich ihm wieder verschloss und ein trauriges Lächeln zu Tage förderte.
"Ich...verzeihe dir, wenn du so willst. Ich verurteile dich nicht für das, was du getan hast. Oder nicht getan hast. Die Schuld....die Schuld trifft einzig und allein die Männer, die das getan haben....."
Duo wandte sich erneut ab. Er hatte keine Kraft mehr. Für rein gar nichts. Es stimmte, er machte Zechs jetzt keinen Vorwurf mehr daraus. Er hinterfragte auch nicht, ob der blonde Mann die Wahrheit sagte. Warum? Weil er viel zu viel Angst vor der falschen Antwort hatte. Weil er sich davor fürchtete, erfahren zu müssen, dass Zechs alles gewusst und geplant hatte. Duo hoffte ganz einfach, dass dem nicht so war.
Nur so war es ihm möglich, mit dem blonden OZ-Offizier zusammenzuleben, ihm gegenüber zu treten.
Nur so war es möglich, sein eigenes, zerstörerisches Ich unter Kontrolle zu halten, es nie wieder an die Oberfläche zu lassen.
Sie gingen schweigend nebeneinander her, lauschten dem Rauschen der an den Strand gespülten Brandung, den Möwen, die sich weit über ihnen durch ihre archetypischen Rufe verständigten, nahmen den salzigen Geruch des Wassers wahr.
Duo hatte seinen Blick von Zechs abgewandt, starrte nun hinaus auf das Meer. Starrte und dachte nichts, gab sich einfach der vollkommenen Zufriedenheit des Augenblickes hin. Ein Sonnenstrahl, der aus dem dichten Wolkengehänge auf das Wasser traf und es wie durch ein Wunder zum Leuchten brachte, wie tausend kleine Diamanten, so funkelte das auf den Ocean treffende Licht, ließ ihn blinzeln.
Ein Hoffnungsschimmer am Horizont, dachte Duo zufrieden und musste ob des kitschigen Gedankens lächeln. Dafür ist es noch viel zu früh. Und dennoch...der Anfang ist getan.
Duo wusste nicht wieso, doch das Gespräch mit Zechs hatte ihm eine innere Ruhe gegeben, die ihn selbst erstaunte. Vielleicht war es auch ganz einfach das Gefühl, dem blonden Mann verziehen zu haben, dass er Treizes´ Freund gewesen war, die Gewissheit, dass der Lightning Count auf seiner Seite und nicht sein Feind war.
Dass er ihm vertrauen konnte.
Duo brauchte Vertrauen, ja. Er brauchte Sicherheit, um seinen qualvollen Erinnerungen zu entkommen, er brauchte Geborgenheit um all dem zu entkommen.
Seiner gesamten Vergangenheit.
Er wollte ein neues Leben ohne Tod, Krieg und Folter. Ohne die ständigen Gedanken an Flucht, an die immer präsente Angst davor, dass OZ-Soldaten ihr Versteck entdeckten und sie verhafteten.
Die ewige Angst, dass so eine Abscheulichkeit noch einmal geschah.
Nur eine Mission noch. Dann war es vorbei. Wenn sie es schafften, den entgültigen, vernichtenden Schlag gegen OZ zu platzieren. Sie mussten siegen, denn nur so konnte dem Krieg ein Ende gesetzt werden.
Konnten die Menschen der Kolonien und der Erde frei sein.
Und obwohl Duo panische Angst davor hatte, was passieren könnte, wenn OZ ihnen zuvor kam, es schaffte, sie in Gewahrsam zu nehmen, so war er doch bereit, es zu versuchen. Für den ewigen Frieden zu versuchen.
Ewig oder temporär....
...die Frage stellte er sich in diesem Moment nicht.
Wohl wissend, dass der Glaube an einen immer währenden Frieden mehr als utopisch war, nichts als Schall und Rauch, als flüchtige Fäden eines Hirngespinstes.
Vollkommener Friede war irreal, es schon immer gewesen, solange Menschen die Erde und auch das All beherrschten. Zu verschieden waren ihre Interessen, ihre eigenes Streben nach Vorteilen, als dass sie keine Kriege führen würden.
"Du liebst Wufei, nicht wahr?", fragte Duo aus heiterem Himmel, die schon so lang anhaltende Stille nicht mehr aushaltend.
Und der blonde Mann nickte. Sich seine langen Haare zurückstreichend, lächelte er kurz und erwiderte:
"Seitdem ich ihn das erste Mal gesehen habe, spüre ich, dass er etwas Besonderes ist, was für ein wundervoller Mensch er ist. Obwohl er mich.....", Zechs schüttelte nun deutlich lachend den Kopf. "...verflucht hat. Und das nicht nur einmal. Und bei dem Verfluchen ist es auch nicht geblieben."
Der Erbe des Peacecraftkönigreiches war genau wie Duo dankbar ob des abrupten Themenwechsels. Zu groß waren seine eigenen Vorwürfe, dass er das Unglück nicht hatte verhindern können, dass er dem General geglaubt hatte. Auch wenn der langhaarige Junge ihm gesagt hatte, dass es nicht seine Schuld war, wenn er ihm eingestanden hatte, dass er ihm nichts, aber auch wirklich gar nichts vorwarf, so galt es doch nicht für Zechs selbst. Er würde sich immer Vorwürfe machen.
"Wieso? Was hat er denn gemacht?", fragte Duo nun interessiert und erwiderte Zechs´ Blick mit einer Neugier, die dessen Herz erwärmte. Es war schön, dass der Deathscythepilot neuen Lebensmut fand, sei es auch nur dadurch deutlich, dass er Interesse an seinem Umfeld zeigte.
Der blonde Pilot musste unwillkürlich ob der Erinnerung lächeln, die Duos Frage in ihm geweckt hatte. Er befühlte unbewusst seine Wange, heute von alabastener Farbe, damals jedoch farbenfroh in grün, blau und violett, als Wufei sein Liebesgeständnis unwirsch abgelehnt und aus seinem Quartier gestürmt war, nur um Sekunden später von Soldaten aus Zechs´ Leibwache aufgehalten zu werden, die zu dem Zeitpunkt für seine Bewachung zuständig gewesen waren.
Und genau das hatte Zechs dann büßen müssen.
Wufei war damals Zechs´ ´Gast´ gewesen. Offiziell sein Gefangener, den er zum Verhör in seine Residenz geholt hatte, inoffiziell jedoch als Gesellschafter, den Zechs näher kennen lernen wollte. Und so hatte Wufei nach und nach seine vollkommen steife Haltung dem OZ-Piloten gegenüber aufgegeben und Vertrauen zu ihm gefasst. Für einen kurzen Zeitraum hatte er vergessen, was sie waren: nämlich Feinde, durch den Krieg dazu bestimmt, einander zu bekämpfen und - wenn es der Kampf erforderte - einander zu töten.
Sie hatten sich angefreundet, wenn man das so sagen konnte, hatten viele Stunden damit verbracht, einfach nur zu reden, oder - was Zechs wie nichts auf der Welt bevorzugte - eine gute Partie Schach zu spielen.
Obwohl das Spiel fast immer zu Gunsten Wufeis ausgegangen war.
"Schachmatt", murmelte Zechs leise, jedoch nicht ungehört und Duo sah ihn fragend an.
Sich auf Duos Frage besinnend, fuhr der blonde Mann lächelnd fort:
"Als ich ihm gestand, was ich für ihn empfinde, hat er mich geohrfeigt und einen unehrenhaften Bastard genannt. Dann ist er aus dem Zimmer gestürmt und wurde prompt von meinen Soldaten aufgehalten, was ihn in seinem Zustand so aufgebracht hat, dass wir uns die kommenden Minuten beinahe tot geschlagen haben. Als wir dann endlich vollkommen fertig auf dem Boden lagen und nicht mehr vernünftig sprechen konnten, was wir einzig und allein unseren geschwollen Kiefern zu verdanken hatten, hat er den Kopf zu mir gedreht und mich angelächelt. Gott...ich weiß bis heute nicht, wo er den Stift herhatte, mit dem er mir dann auf ein Blatt Papier, das irgendwo auf dem Boden lag, geschrieben hat: ´Du bist ein würdiger Gegner und Geliebter.´. Zu dem Zeitpunkt war ich so hinüber, dass ich es gar nicht realisiert habe, aber dann, als es mir schließlich aufgegangen ist....."
Zechs stockte und blinzelte.
Das Gefühl, welches ihn damals überschwemmt hatte, konnte man einfach nicht mit Worten beschreiben, es ging nicht. Zu überflutend war das Glück gewesen, der Rausch, der die anfängliche Enttäuschung fortgespült hatte. Dieser Moment war für Zechs einer der glücklichsten in seinem Leben gewesen, ungeachtet der Schwierigkeiten, die eben diesem Liebesgeständnis zur Folge waren.
"Ich freue mich für euch, Zechs. Ihr seid ein schönes Paar!", unterbrach der Gundampilot sanft seine Gedanken und schenkte ihm ein Lächeln, ein ehrliches, offenes Lächeln. "Anscheinend hat Wufei durch dich viel gelernt, was das Vertrauen seinen Freunden gegenüber angeht. Dafür und für noch einiges anderes danke ich dir."
Zechs wollte diesen Dank zuerst abstreiten, wollte Duo sagen, dass er nicht für die positive Entwicklung in Wufeis Charakter verantwortlich war. Doch dann besann er sich und wusste, dass der amerikanische Junge Recht hatte mit dem, was er sagte.
Wie oft hatte er Wufei zeigen müssen, dass es durchaus normal war, sich vollkommen entspannt in die Arme seines Gegenübers zu begeben. Wie oft hatte er ihm vorgelebt, dass er ihm vertraute und dass Wufei ihm auch vertrauen konnte. Ja, wenn er so wollte, war das sein Verdienst, eine Ehre, auf die Zechs sehr wohl stolz war. Stolz um Wufeis Willen.
Zechs strich dem langhaarigen Jungen vertraulich über die Schulter und dieses Mal zuckte Duo auch nicht zurück oder versteifte sich. Nein...dieses Mal akzeptierte er die Berührung als das, was sie war: eine Geste der Freundschaft, der Zuneigung.
"Danke Zechs, vielen Dank!", lächelte der Deathscythepilot und erwiderte den ihm dargebotenen Blick mit offener Freundlichkeit. Während er dem stillen Gefühl der Zufriedenheit lauschte, wanderten seine Gedanken zurück zu seinem Partner, zu Heero.
Ich muss mich bei ihm entschuldigen
Ich habe ihm heute morgen Unrecht getan. Großes Unrecht. Er kann nichts dafür, dass ich leide, er hat mich nicht....er trägt keine Schuld.
"Wir sollten zurückgehen", bemerkte Duo mit einem direkten Blick auf sein Gegenüber, in die eisblauen, ruhigen und freundlichen Augen, deren Begrenzungen sich nun in Falten legten, als der blonde Mann lächelte und nickte.
Und wieder gingen sie still schweigend nebeneinander her, die Gedanken nur auf sich oder die Natur konzentriert, die sie nun mit beinahe malerischer Schönheit umgab. Links von ihnen hohe Klippen, durch die Jahrtausende geformt und rechts die schottische See, stürmisch und gewaltig, die vereinzelten Sonnenstrahlen, die durch die opulenten Wolken traten, reflektierend. Dazu kam der salzige Geruch des Meeres, die Schreie der Möwen, das entfernte Rauschen der Bäume.
Kein einziges Geräusch von menschlicher Zivilisation.
Ein Balsam für die Seele und den Körper.
*
Ein Pferd.....
Nein...wohl eher ein Kamel, mit den zwei Auswölbungen....
Oder doch etwas ganz anderes?
Gib es auf....
Nein! Das ist nicht akzeptabel!
Auch ein perfekter Soldat hat Schwächen.....
ICH aber nicht!
Natürlich.....
Heero schwieg. Mental.
Seit einer Ewigkeit versuchte er nun - auf der Veranda in einem der großen, gemütlichen Korbsessel sitzend - in den an ihm vorbeifliegenden Wolken Gestalten zu erkennen, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen. Doch irgendwie schlug es jedes Mal fehl. Jedes Mal suchte er sich Parameter, mit denen er Umfang, Volumen oder Fläche berechnen und analysieren konnte.
Und er kam einfach nicht davon los!
Noch einmal!
Stahlblaue Augen hefteten sich an den nächst größeren Wolkenberg, nahmen ihn in sich auf und rätselten scheinbar wirr und planlos, was es denn nun sein könnte.
Ein Schloss!, fuhr es Heero durch den Kopf, als er plötzlich etwas Schweres auf seinem rechten Oberschenkel spürte und er vollkommen überrascht zusammenzuckte, im ersten Moment versucht, dieses Etwas abzuschütteln. Doch dann bemerkte er, dass es kein "Ding", sondern sein Partner war, der sich an seine Seite gekniet und den Kopf nach draußen gewandt auf seinen Oberschenkel gebettet hatte.
"Duo?!", brachte er überrascht hervor und war mehr als alles andere versucht, dem Deathscythepiloten über den haselnussbraunen Schopf zu streichen.
"Ich...es tut mir leid, Heero", murmelte dieser leise, wandte ihm jedoch nicht seinen Kopf zu, hielt seinen Blick verborgen vor den durchdringenden, stahlblauen Augen. "Ich hätte dich heute Morgen nicht so anfahren dürfen. Du kannst wie alle anderen nichts dazu, was mir passiert ist. Niemand...niemand außer IHNEN ist Schuld....Ich...ich bitte dich...verzeih mir...."
Es lag soviel Angst vor Enttäuschung in der weichen Stimme des langhaarigen Jungen, dass es Heero fast das Herz brach. Wie konnte er ihm auch nicht verzeihen? Duo sagte, dass es nicht Heeros Fehler war...doch genauso wenig war es Duos. Heero brauchte nichts zu entschuldigen. Rein gar nichts. Duo war frei von jeglicher Schuld.
"Duo...es war richtig, was du getan hast. Es war dein gutes Recht...du brauchst dafür nicht um Verzeihung zu bitten. Ich verstehe dich, ich verstehe, warum du so reagierst und ich weiß, dass es nicht falsch war."
Heero gab dem unwiderstehlichen Verlangen nach und strich seinem Partner nun doch über die seidig weichen Haare.
"Hey.....", bemerkte er sanft. "Du bist nicht Schuld. Nicht im Geringsten."
Ein leises Seufzen ertönte von der zusammengekauerten Gestalt zu seinen Füßen und Heero hob vorsichtig den Kopf seines Partners an, um sich schließlich ebenfalls auf den Boden zu begeben. Die Hände immer noch um die schmale und knochige Gesichtsform seines Gegenübers gelegt, lächelte er sanft und strich Duo mit einem Finger über die seidig weiche Haut.
Das Einzige, was ihm antwortete, war ein ebenfalls leichtes Lächeln, ein minimales Verziehen der Lippen.
"Danke, Heero....vielen Dank", flüsterte der amerikanische Junge weich und lehnte sich in die liebevolle Berührung, die Augen voller Vertrauen geschlossen.
Wie von selbst bewegten sich seine Lippen zu dem ihn sanft liebkosenden Daumen, erwiderten die zärtliche Berührung mit einem Hauch von Leichtigkeit, wanderten schließlich zu den langen, eleganten Fingern, umgarnten sie mit sanftem Hautkontakt.
Duo öffnete langsam seine Augen, enthüllte Heero violett-blaue Seen voller Zuneigung und Liebe. Liebe, die sich der japanische Pilot schon immer gewünscht hatte, auch wenn es ihm beigebracht wurde, sich eben diesem Gefühl niemals, unter keinen Umständen zu unterwerfen.
Und dennoch...
Dennoch hatte Duo es geschafft, eben diese Einstellung zu zerbrechen, Js Lehren zu untergraben und zu zerstören. Wenn auch mit anfangs sehr unorthodoxen Methoden, die ihm zu Beginn seiner Freundschaft mit dem japanischen Piloten einige Kinnhaken und Veilchen eingebracht hatten.
Doch das war vorbei.
Heero hatte es sich vor langem geschworen, seinen Mangel an Menschenkenntnis nicht so hervortreten zu lassen, dass seine Mitmenschen darunter litten. Besonders nicht Duo.
Wann er sich selbst das versprochen hatte?
Nach ihrer vorletzten Mission. Nach dem schrecklichen Anblick eines am Zellenboden und vollkommen fertigen Duo Maxwells, dessen einzige Bitte damals gewesen war, nicht noch einmal so etwas durchmachen zu müssen.
Zuerst hatte Heero nicht gewusst, was mit seinem Partner geschehen war, nein, vielmehr hatte er aufgrund seiner mangelnden Kompetenz nicht einmal geahnt, was OZ Duo angetan hatten. Und dabei waren die Anzeichen doch so deutlich gewesen!
So deutlich!
"Heero?", durchbrach nun die sanfte und dennoch unnachgiebige Stimme des amerikanischen Jungen seine düsteren und verzweifelten Gedanken, brachten ihn zurück in das Hier und Jetzt, in die Realität.
"Ist schon gut, Duo", flüsterte der japanische Junge und strich voll Bewunderung über die spitzen Wangenknochen bis hin zum Kinn.
Und als wenn er die Bestätigung bräuchte, dass sein Partner nun voll Vertrauen vor ihm saß, ihn akzeptierte und nicht mehr fürchtete, beugte er sich vor, ruhig und ohne Nachdruck und umschloss Duos Lippen mit den eigenen, sanft, engelsgleich.
Und Duo zuckte vor dieser einfachen Berührung nicht zurück, er erwiderte sie.
Vollkommen ausgehungert nach Schutz und Zärtlichkeit, nach Liebe und Zuwendung rückte er näher an seinen Partner heran, lehnte sich an dessen Brust, umklammerte den jungen, drahtig muskulösen Körper mit seinem eigenen, suchte soviel Hautkontakt wie nie.
Brauchte ihn wie nie zuvor.
Heero intensivierte vorsichtig den Kuss, darauf bedacht, seinen Partner nicht zu bedrängen oder ihn zu erschrecken. Doch genau in diesem Augenblick war die Sorge unberechtigt, denn der amerikanische Pilot wollte es. Erwiderte beinahe verzweifelt den Kuss, die intime Berührung.
Und Heero schmeckte das wunderbare Aroma seines langhaarigen Freundes, dessen unvergleichliche Mischung von Geschmackseindrücken. Er fuhr sanft mit seiner Zunge über die vollen und feuchten Lippen seines Gegenübers, reizte und erregte ihn.
"Heero....", brachte Duo heiser hervor und ein Schaudern durchlief ihn.
Besagter Partner lächelte in den Kuss und dachte nicht daran, sein schon beinahe grausames Spiel aufzugeben, was dem langhaarigen Jungen nun doch ein Grollen entlockte und ihn dazu veranlasste, die Arme um Heeros Hals zu schlingen und so seinen Kopf stillzuhalten, während er nun den Kuss seinerseits mit wilder Verzweiflung erwiderte.
Und obwohl Heero wusste, dass Duo nicht lange solch eine Leidenschaft zeigen würde, so war er für diesen flüchtigen Augenblick doch dankbar. Sogar mehr als das. Für einen oder viele dieser Momente würde er einiges geben.
Für diese Momente voller Zärtlichkeit und Zutrauen.
Für die Momente des normalen Lebens, das ihnen noch nicht gegönnt war.
Heero konzentrierte sich wieder auf das Jetzt, auf Duos neugierige Zunge, die nun ihrerseits seine Mundhöhle erforschte und seinen Geschmack in sich aufnahm.
"Köstlich...vollkommen köstlich", schnurrte Duo und löste nach ein paar Augenblicken die enge Verbindung, ein deutliches Zeichen für Heero, dass er einen weiteren Kontakt im Moment nicht ertrug.
Und dennoch war es ein ungeheurer Fortschritt gewesen, den Heero bemerkt hatte. Was ihn für den Augenblick vollkommen glücklich machte.
Sie saßen noch lange dort. Am Boden, vollends auf die Nähe des Anderen konzentriert, absolut in ihrer Welt. Heero und Duo wussten nicht, worüber sie sich die ganze Zeit unterhalten hatten, doch jeder von ihnen konnte genau sagen, dass er die Nähe des Anderen willkommen hieß, sogar mehr als das.
Besonders Duo fühlte sich in Gegenwart seines Partners sicher und geborgen, was so ganz im Gegensatz zu seiner vorherigen Stimmung stand, die nun wie vergessen schien. Heero hatte Duo vergeben, es gab nichts zu vergeben, das war es, was zählte. Alleine die Harmonie, die zwischen den beiden Piloten herrschte, war in genau diesem Moment wichtig, äquivalent.
Keine Qualen, keine Erinnerungen an vergangene Zeiten, keine Sorgen um den momentanen Krieg konnten diesen Augenblick zerstören. Sie würden wieder kommen, ja. Aber nicht jetzt, nicht hier.
"Ich wünsche mir, dass es immer so ist", flüsterte Duo sanft und lehnte seinen Kopf vertrauensvoll gegen Heeros Schulter, während er in die Wolken hinaufschaute und schließlich leise lächelnd sagte:
"Schau mal, ein Pferd! Grau, wild und diese lange Mähne! Siehst du es auch, Heero?"
Und Heero erkannte zum ersten Mal etwas in den Wolken.
Nämlich genau das, was Duo gesagt hatte.
Ein plötzliches Geräusch ließ die Beiden hochfahren und sich zu der unbekannten Quelle umdrehen, die sich nun als Trowa herausstellte und sie gewohnt ruhig ansah.
"Ich soll von Quatre fragen, ob ihr Lust habt, mitzukochen. Er meinte, alleine würde es keinen Spaß machen und Zechs und Wufei sind nirgendwo aufzufinden", erstattete eine weiche Stimme Bericht, präsentierte die Fakten.
"Alleine?", hakte Duo nach, bevor sich seine Stirn in nachdenkliche Falten zog. So elegant und freundlich Quatre auch war, so schlecht konnte er kochen. Schon alleine der Zeitfaktor war ausschlaggebend, denn - so hatte es Duo schon immer vermutet - entschuldigte sich der blonde Araber bei jedem Wesen, was irgendwann einmal unter den Lebenden im ökologischen Kreislauf geweilt hatte, dass es nun einem anderen Kreislauf übergeben wurde- nämlich dem Stoffwechsel.
"Wir sollten mitkochen, oder Duo?", erfasste Heero mit gewohnter Präzision das Problem und ließ seine Fingerspitzen über die Innenseiten von Duos Hand gleiten, eine Geste der Entschuldigung, des Bedauerns, dass ihre gemeinsame Zeit für diesen Augenblick vorbei war.
"Sollten wir!", entgegnete der amerikanische Pilot mit neu aufflammendem, wenn auch zögerlichem Elan.
Bevor wir heute Abend überhaupt nichts zu essen bekommen, fügte er noch in Gedanken hinzu, sprach es aber nicht aus. Denn sowohl Heero als auch Trowa wussten zu genau, was die Konsequenzen eines allein vor dem Herd stehenden Quatre waren.
Und dabei kochte der Arme doch so gerne!
Die Beine anziehend schaffte Duo es, sich in die Senkrechte hochzukämpfen, seinem Freund die Hand zu reichen und ihn ebenfalls hochzuziehen.
"Dann lasst uns mal das Abendessen zubereiten", murmelte Heero leise, strich dem langhaarigen, ruhigen Jungen mit einer letzten, sanften Geste über die Wange und wandte sich dann lächelnd zu Trowa, der sie nun in die Küche begleitete, wo Quatre schon vollkommen in seinem Element war.
Im Moment war er mit Passion dabei, Salat zu schneiden. Mit einem Messer, das Catherines Werkzeugen durchaus Konkurrenz machte, sowohl in der Länge als auch in der Schärfe.
Es sah gefährlich aus, das gestanden sich die drei anderen Piloten ohne zu zögern ein. Für Trowa schien es sogar zu gefährlich. Er war nämlich in einer fließenden Bewegung bei seinem Freund und legte eine Hand auf das im großen Schwung hantierende Gelenk.
"Soll ich das nicht besser machen, Quatre?", merkte er sanft an, aus seiner Stimme nicht einen Hauch von Bevormundung oder Sorge herauszuhören. Ein einfaches Angebot, das augenscheinlich - so sah es zumindest Quatre - dazu diente, ihm Arbeit abzunehmen.
"Aber gerne!", lächelte der blonde Junge nun und übergab seinem Gegenüber das Messer. "Dann kann ich mich um das Fleisch kümmern!"
Damit zückte er strahlend ein Fleischerbeil mittlerer Größe.
~~~~~~~~~~~
by Coco
Ja, einfach würde es sein. Ein Unfall. Der Wind dafür verantwortlich. Nicht er. Niemand würde
ihn dafür verantwortlich machen.
"Duo?", durchbrach eine weiche, warme Stimme seine Gedanken und violett-blaue Augen sahen blind auf, nur den Feind vor sich sehend und bitter zusammenzuckend, als dessen Hand sich auf seine Schulter legte.
Fass mich nicht an!, wollte er fauchen, wollte den Mann zurückstoßen, tat jedoch nichts von dem, mit einem Male abrupt wieder zu sich kommend.
Vollkommen.
Duo erstarrte und sah in eisblaue Augen, die ihn besorgt ansahen. Es sah das blonde, lange Haar, das den Tallgeesepiloten wie tausende Schlangen umgab, die sich um seinen Kopf wanden.
Wie eine Medusa.....
Ich....ich hätte ihn die Klippen hinuntergestoßen....
IHN.....
"Zechs?", fragte Duo, gleichzeitig den allzu großen Kloß in seinem Hals hinunterschluckend.
Mein GOTT! Was hätte ich beinahe getan? Ich...ich...hätte ihn beinahe getötet!! Wie...wie IHN. Was hätte ich ANGERICHTET? Und Wufei angetan? Bei Gott......
"Ist etwas nicht in Ordnung, Duo? Du scheinst etwas geschockt zu sein?", fragte Zechs und verstärkte leicht den Druck auf der Schulter des langhaarigen Jungen. Dieses Mal störte es den Deathscythepiloten nicht, nein, im Gegenteil. Es bot ihm die einzige Verbindung zur Realität dar, die sich vor ein paar Sekunden wieder eingestellt hatte, ihn aus seinem kurzfristigen Irrsinn herausgeholt hatte.
Zechs fragte, ob er geschockt wäre. Worüber? Über sich selbst, über die Kaltblütigkeit, mit der er gerade noch in der Lage gewesen war, den älteren Mann zu töten, ihn kaltblütig zu ermorden.
"Sollen wir doch nicht hinuntergehen?", fragte eben dieser Soldat weiter, doch Duo schüttelte stumm den Kopf und erwiderte mit einer Stimme, die er sich in diesem Moment selbst nicht zugetraut hatte:
"Nein...nein, lass uns gehen. Ich...ich habe nichts dagegen. Aber...", fügte er an, als Zechs nickte und sich umdrehte, um wieder voranzugehen. "...lass mich vorgehen."
Es ist sicherer...für dich, ergänzte er in Gedanken und trat vor sein Gegenüber, um die weiteren, noch verbleibenden Stufen hinunterzusteigen. Auch dieses Mal zerrte und riss der Wind an seinen Sachen, doch es blieb der eisige Schauer aus, der sich vor ein paar Augenblicken seiner bemächtigt hatte.
So erreichten sie schließlich den Strand, die durch den zuvor gefallenen Regen dunkle Landzunge, welche direkt an die stürmische See grenzte, die sich in einiger Entfernung in hohen Wellen auftürmte und immer mehr abnahm, bis sie schließlich klein und unruhig an den Strand gespült wurde.
Duo atmete auf und versuchte gleichzeitig seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen, der scheinbar versuchte, seine Brust zu sprengen. Nicht alleine die Tatsache, dass er gerade versucht hatte, den blonden Mann umzubringen, dass er alleine schon mit dem Gedanken gespielt hatte, sondern auch die Einsamkeit des Strandes machten ihm zu schaffen.
Er war sich vollstens bewusst, dass er mit Zechs alleine war.
Und das schien auch sein Gegenüber zu bemerken, denn der Erbe des Peacecraft-Königreiches sah ihn nun fragend und besorgt an.
"Duo...wenn es dir unangenehm ist, können wir auch umkehren. Du brauchst dir das nicht anzutun!", bemerkte er und legte den Kopf leicht schief. Eine Geste, die - so hatte es Duo in der kurzen Zeit bemerkt - typisch für den Mann war, wenn er seinen Gesprächspartner nicht einschüchtern wollte.
Doch der langhaarige Junge schüttelte stumm den Kopf.
Nein, er musste es hinter sich bringen. Er war nicht das verängstigte Opfer.
Nicht mehr.
Zumindest versuchte er, von eben dieser Angst wegzukommen. Und dazu gehörte jetzt, dass er Zechs soviel Vertrauen schenkte, um mit ihm alleine den Strand entlang zu gehen, um sich ihm in einem guten Teil zu offenbaren, ihm seinen Schmerz darzulegen.
"Zechs....", begann Duo, schluckte schwer, den großen Kloß in seinem Hals verfluchend. Er wusste, ein Teil in ihm akzeptierte diese Schwäche ganz einfach nicht. Und eben dieser Abschnitt unterlag wieder und wieder dem, der sich vor jeglichem, menschlichem Kontakt fürchtete, der davor Angst hatte, wieder verletzt zu werden, der zu traumatisiert für eine zwischenmenschliche Beziehung war.
"Es tut mir leid", brachte Duo ruckartig hervor, diese Entschuldigung jedoch nicht nur an den Tallgeesepiloten gerichtet, sondern an alle diejenigen, die er mit seinem Benehmen verletzt hatte. Heero...Quatre....Trowa...Wufei...ja, und Zechs, sie alle hatten unter ihm leiden müssen, nicht nur heute. Sie alle hatten sich seine ungerechten Vorwürfe angehört, hatten sich nicht abgewandt, hatten ihn nicht im Stich gelassen.
"Manchmal kann ich es einfach nicht anders", sprudelte es weiter aus Duo heraus, bevor Zechs ihn unterbrechen konnte. "Ich weiß nicht, was mit mir los ist, ich weiß nicht, warum ich so wütend reagiere. Ich weiß nicht, warum ich Heero heute so angefahren habe und ich weiß verdammt noch mal auch nicht, wieso ich plötzlich das Bedürfnis verspürt habe, dich....!"
Er sprach nicht weiter, konnte es auch gar nicht. Konnte nicht die Abscheulichkeit aussprechen, die er beinahe begangen hätte. Und auch wenn Duo Terrorist war, auch wenn er schon mehr als ein Menschenleben genommen hatte, so widerte sein Verhalten ihn an. Wie konnte er nur daran DENKEN, einen Freund zu töten?
Duo stutzte für einen Moment.
Freund?
Hatte er das gerade wirklich gedacht?
Erst jetzt fiel ihm auf, dass er seinem Gegenüber vollkommen vertraute, dass er KEINE Angst davor hatte, mit ihm alleine zu sein. Vor ein paar Augenblicken hatte er noch gehofft, dass er die Kraft hatte, daran zu glauben und darauf zu hoffen, doch nun war es wirklich eingetreten.
"Was ist mit mir?", hakte der blonde Mann ruhig und beinahe zärtlich nach. Aber nur beinahe. Alles, was Duo aus dieser simplen Frage erkennen konnte, war Zuneigung und Besorgnis.
"Nichts!"
Die Antwort kam viel zu hastig und gepresst um glaubwürdig zu wirken, doch Zechs fragte nicht weiter nach. Er würde den langhaarigen Jungen nicht unter Druck setzen, nie.
"Ich wollte mit dir reden...", stimmte Zechs erneut an und Duo nickte langsam. Auch er wusste, dass das nun folgende Gespräch Stärke forderte. Von ihnen beiden. Es gab auch niemanden, der in diesem Fall mehr belastet war, nein. Sowohl für Duo als auch für Zechs war die Tat, die ein Feind und Freund verübt hatte, erschreckend, unbegreiflich, grausam und ekelerregend.
"Duo...ich wusste nichts von dem, was passiert ist....wusste nicht, was er vorhatte, was er mit dir gemacht hat, bis....bis wir es durch J erfahren haben. Was...was allerdings mein Verbrechen ist, das ist die Tatsache, dass ich keinen Verdacht geschöpft habe. Treize und ich....wir haben uns unterhalten....über dich...es war einen Tag, bevor er...."
Zechs stockte und suchte im Gesicht seines Gegenübers nach Anzeichen des Hasses und des Zorns, fand jedoch nicht die geringste Spur davon.
Da ist nur Fassungslosigkeit, stellte er geschockt fest. Geschockt und doch nicht geschockt, weil er es in einer paradoxen Art und Weise schon vermutet hatte. Warum? Weil es zu vermuten war. Natürlich konnte Duo es nicht begreifen, konnte nicht begreifen, wieso Zechs ihm nicht geholfen hatte.
Und genau das würde sich der blonde Mann auch immer vorwerfen.
Hätte er Verdacht geschöpft, hätte er Duo nur zur Flucht verholfen, wäre ihm wenigstens die Vergewaltigung durch Treize erspart geblieben.
Wenigstens das.
"Wieso...? Wieso hast du mir nicht geholfen?", flüsterte Duo und schlug eine Hand vor den Mund, die Knöchel weiß vor Anspannung.
"Weil....weil ich es nicht durfte....oder meinte, es nicht zu dürfen, da sonst meine Tarnung als euer Verbündeter aufgeflogen wäre...und außerdem...außerdem hätte ich nie gedacht, dass so etwas geschehen könnte....das musst du mir glauben, Duo. Ich habe das nicht gewollt! NIE!"
Er wollte den Deathscythepiloten an der Schulter berühren, doch dieser zuckte unwirsch vor ihm zurück und ging ein paar Schritte auf das Wasser zu, steif und beinahe torkelnd, so als ob er im nächsten Moment vor Schock zusammenbrechen würde.
Zechs wusste, dass er auch allen Grund dazu hatte.
Wie musste sich jemand fühlen, dem nach solch einer schrecklichen Tat gesagt wurde, dass zumindest eine Tortur dessen hätte verhindert werden können?
"Treize....er rief mich in sein Büro...", fuhr Zechs fort, konnte nicht sagen, ob Duo ihm zuhörte oder nicht. "Er fragte mich, ob ich mehr über die Gundampiloten wüsste als er. Ob ich ihm Informationen liefern könnte. Ich habe verneint, weil ich es Wufei versprochen hatte. Da...da hat er mir gesagt, dass du in seinem Gewahrsam wärst und dass er dich am nächsten Tag verhören wolle. Ich...ich hab zu ihm gesagt, dass du ein ehrenvoller Gegner wärst und dass er dich nicht schlecht behandeln sollte...."
Zechs musste den mittlerweile viel zu großen Kloß in seinem Hals hinunterwürgen, um überhaupt weitersprechen zu können.
"Und...und er meinte, dass ich mir keine Sorgen machen brauche. Dass ich wüsste, was für ein Ehrenmann er sei....ich...ich habe ihm geglaubt, Duo....ich hatte es dabei belassen, in der Hoffnung, dass Yuy dich rettet. Ich dachte, dir wäre nichts geschehen...."
Duo, der in dem Moment noch zum Meer gewand stand, dessen Schultern sich in einer verkrampften Linie zusammengezogen hatten, drehte sich nun um, ruckartig, ohne Vorwarnung und sah dem älteren Mann mit tränenüberströmten Wangen an.
"Er...hat gesagt, dass er mich nicht schlecht behandeln würde....?", flüsterten dunkle, violette Augen, ein bitter zusammengezogener Mund.
Und damit zog Duo seinen Mantel aus, zeigte Zechs etwas, was noch nie jemand außer ihm und Heero zuteil geworden war. Er zeigte ihm die Spuren von Treizes´ ´Sanftheit´, zeigte ihm die deutlichen Male der Misshandlung, die er in den Händen des Generals erlitten hatte.
"DAS hat er mir angetan, Zechs, und noch einiges mehr!", brachte Duo abrupt hervor. "Er war nicht sanft, er hat mich nicht mit Respekt behandelt! Nie!"
"Das ist mir bewusst", entgegnete Zechs leise, nicht fähig, weiter in die tiefen, violetten Seen zu schauen.
Stille beherrschte für einen langen Zeitraum die beiden Piloten, bis Duo sich schließlich leise räusperte und sagte:
"Ich...ich verstehe, dass du mir nicht helfen konntest."
Alleine dieser Satz ließ eisblaue Augen aufschrecken, ließ sie einen Augenblick tief in die gemarterte Seele des Jungen blicken, als dieser sich ihm wieder verschloss und ein trauriges Lächeln zu Tage förderte.
"Ich...verzeihe dir, wenn du so willst. Ich verurteile dich nicht für das, was du getan hast. Oder nicht getan hast. Die Schuld....die Schuld trifft einzig und allein die Männer, die das getan haben....."
Duo wandte sich erneut ab. Er hatte keine Kraft mehr. Für rein gar nichts. Es stimmte, er machte Zechs jetzt keinen Vorwurf mehr daraus. Er hinterfragte auch nicht, ob der blonde Mann die Wahrheit sagte. Warum? Weil er viel zu viel Angst vor der falschen Antwort hatte. Weil er sich davor fürchtete, erfahren zu müssen, dass Zechs alles gewusst und geplant hatte. Duo hoffte ganz einfach, dass dem nicht so war.
Nur so war es ihm möglich, mit dem blonden OZ-Offizier zusammenzuleben, ihm gegenüber zu treten.
Nur so war es möglich, sein eigenes, zerstörerisches Ich unter Kontrolle zu halten, es nie wieder an die Oberfläche zu lassen.
Sie gingen schweigend nebeneinander her, lauschten dem Rauschen der an den Strand gespülten Brandung, den Möwen, die sich weit über ihnen durch ihre archetypischen Rufe verständigten, nahmen den salzigen Geruch des Wassers wahr.
Duo hatte seinen Blick von Zechs abgewandt, starrte nun hinaus auf das Meer. Starrte und dachte nichts, gab sich einfach der vollkommenen Zufriedenheit des Augenblickes hin. Ein Sonnenstrahl, der aus dem dichten Wolkengehänge auf das Wasser traf und es wie durch ein Wunder zum Leuchten brachte, wie tausend kleine Diamanten, so funkelte das auf den Ocean treffende Licht, ließ ihn blinzeln.
Ein Hoffnungsschimmer am Horizont, dachte Duo zufrieden und musste ob des kitschigen Gedankens lächeln. Dafür ist es noch viel zu früh. Und dennoch...der Anfang ist getan.
Duo wusste nicht wieso, doch das Gespräch mit Zechs hatte ihm eine innere Ruhe gegeben, die ihn selbst erstaunte. Vielleicht war es auch ganz einfach das Gefühl, dem blonden Mann verziehen zu haben, dass er Treizes´ Freund gewesen war, die Gewissheit, dass der Lightning Count auf seiner Seite und nicht sein Feind war.
Dass er ihm vertrauen konnte.
Duo brauchte Vertrauen, ja. Er brauchte Sicherheit, um seinen qualvollen Erinnerungen zu entkommen, er brauchte Geborgenheit um all dem zu entkommen.
Seiner gesamten Vergangenheit.
Er wollte ein neues Leben ohne Tod, Krieg und Folter. Ohne die ständigen Gedanken an Flucht, an die immer präsente Angst davor, dass OZ-Soldaten ihr Versteck entdeckten und sie verhafteten.
Die ewige Angst, dass so eine Abscheulichkeit noch einmal geschah.
Nur eine Mission noch. Dann war es vorbei. Wenn sie es schafften, den entgültigen, vernichtenden Schlag gegen OZ zu platzieren. Sie mussten siegen, denn nur so konnte dem Krieg ein Ende gesetzt werden.
Konnten die Menschen der Kolonien und der Erde frei sein.
Und obwohl Duo panische Angst davor hatte, was passieren könnte, wenn OZ ihnen zuvor kam, es schaffte, sie in Gewahrsam zu nehmen, so war er doch bereit, es zu versuchen. Für den ewigen Frieden zu versuchen.
Ewig oder temporär....
...die Frage stellte er sich in diesem Moment nicht.
Wohl wissend, dass der Glaube an einen immer währenden Frieden mehr als utopisch war, nichts als Schall und Rauch, als flüchtige Fäden eines Hirngespinstes.
Vollkommener Friede war irreal, es schon immer gewesen, solange Menschen die Erde und auch das All beherrschten. Zu verschieden waren ihre Interessen, ihre eigenes Streben nach Vorteilen, als dass sie keine Kriege führen würden.
"Du liebst Wufei, nicht wahr?", fragte Duo aus heiterem Himmel, die schon so lang anhaltende Stille nicht mehr aushaltend.
Und der blonde Mann nickte. Sich seine langen Haare zurückstreichend, lächelte er kurz und erwiderte:
"Seitdem ich ihn das erste Mal gesehen habe, spüre ich, dass er etwas Besonderes ist, was für ein wundervoller Mensch er ist. Obwohl er mich.....", Zechs schüttelte nun deutlich lachend den Kopf. "...verflucht hat. Und das nicht nur einmal. Und bei dem Verfluchen ist es auch nicht geblieben."
Der Erbe des Peacecraftkönigreiches war genau wie Duo dankbar ob des abrupten Themenwechsels. Zu groß waren seine eigenen Vorwürfe, dass er das Unglück nicht hatte verhindern können, dass er dem General geglaubt hatte. Auch wenn der langhaarige Junge ihm gesagt hatte, dass es nicht seine Schuld war, wenn er ihm eingestanden hatte, dass er ihm nichts, aber auch wirklich gar nichts vorwarf, so galt es doch nicht für Zechs selbst. Er würde sich immer Vorwürfe machen.
"Wieso? Was hat er denn gemacht?", fragte Duo nun interessiert und erwiderte Zechs´ Blick mit einer Neugier, die dessen Herz erwärmte. Es war schön, dass der Deathscythepilot neuen Lebensmut fand, sei es auch nur dadurch deutlich, dass er Interesse an seinem Umfeld zeigte.
Der blonde Pilot musste unwillkürlich ob der Erinnerung lächeln, die Duos Frage in ihm geweckt hatte. Er befühlte unbewusst seine Wange, heute von alabastener Farbe, damals jedoch farbenfroh in grün, blau und violett, als Wufei sein Liebesgeständnis unwirsch abgelehnt und aus seinem Quartier gestürmt war, nur um Sekunden später von Soldaten aus Zechs´ Leibwache aufgehalten zu werden, die zu dem Zeitpunkt für seine Bewachung zuständig gewesen waren.
Und genau das hatte Zechs dann büßen müssen.
Wufei war damals Zechs´ ´Gast´ gewesen. Offiziell sein Gefangener, den er zum Verhör in seine Residenz geholt hatte, inoffiziell jedoch als Gesellschafter, den Zechs näher kennen lernen wollte. Und so hatte Wufei nach und nach seine vollkommen steife Haltung dem OZ-Piloten gegenüber aufgegeben und Vertrauen zu ihm gefasst. Für einen kurzen Zeitraum hatte er vergessen, was sie waren: nämlich Feinde, durch den Krieg dazu bestimmt, einander zu bekämpfen und - wenn es der Kampf erforderte - einander zu töten.
Sie hatten sich angefreundet, wenn man das so sagen konnte, hatten viele Stunden damit verbracht, einfach nur zu reden, oder - was Zechs wie nichts auf der Welt bevorzugte - eine gute Partie Schach zu spielen.
Obwohl das Spiel fast immer zu Gunsten Wufeis ausgegangen war.
"Schachmatt", murmelte Zechs leise, jedoch nicht ungehört und Duo sah ihn fragend an.
Sich auf Duos Frage besinnend, fuhr der blonde Mann lächelnd fort:
"Als ich ihm gestand, was ich für ihn empfinde, hat er mich geohrfeigt und einen unehrenhaften Bastard genannt. Dann ist er aus dem Zimmer gestürmt und wurde prompt von meinen Soldaten aufgehalten, was ihn in seinem Zustand so aufgebracht hat, dass wir uns die kommenden Minuten beinahe tot geschlagen haben. Als wir dann endlich vollkommen fertig auf dem Boden lagen und nicht mehr vernünftig sprechen konnten, was wir einzig und allein unseren geschwollen Kiefern zu verdanken hatten, hat er den Kopf zu mir gedreht und mich angelächelt. Gott...ich weiß bis heute nicht, wo er den Stift herhatte, mit dem er mir dann auf ein Blatt Papier, das irgendwo auf dem Boden lag, geschrieben hat: ´Du bist ein würdiger Gegner und Geliebter.´. Zu dem Zeitpunkt war ich so hinüber, dass ich es gar nicht realisiert habe, aber dann, als es mir schließlich aufgegangen ist....."
Zechs stockte und blinzelte.
Das Gefühl, welches ihn damals überschwemmt hatte, konnte man einfach nicht mit Worten beschreiben, es ging nicht. Zu überflutend war das Glück gewesen, der Rausch, der die anfängliche Enttäuschung fortgespült hatte. Dieser Moment war für Zechs einer der glücklichsten in seinem Leben gewesen, ungeachtet der Schwierigkeiten, die eben diesem Liebesgeständnis zur Folge waren.
"Ich freue mich für euch, Zechs. Ihr seid ein schönes Paar!", unterbrach der Gundampilot sanft seine Gedanken und schenkte ihm ein Lächeln, ein ehrliches, offenes Lächeln. "Anscheinend hat Wufei durch dich viel gelernt, was das Vertrauen seinen Freunden gegenüber angeht. Dafür und für noch einiges anderes danke ich dir."
Zechs wollte diesen Dank zuerst abstreiten, wollte Duo sagen, dass er nicht für die positive Entwicklung in Wufeis Charakter verantwortlich war. Doch dann besann er sich und wusste, dass der amerikanische Junge Recht hatte mit dem, was er sagte.
Wie oft hatte er Wufei zeigen müssen, dass es durchaus normal war, sich vollkommen entspannt in die Arme seines Gegenübers zu begeben. Wie oft hatte er ihm vorgelebt, dass er ihm vertraute und dass Wufei ihm auch vertrauen konnte. Ja, wenn er so wollte, war das sein Verdienst, eine Ehre, auf die Zechs sehr wohl stolz war. Stolz um Wufeis Willen.
Zechs strich dem langhaarigen Jungen vertraulich über die Schulter und dieses Mal zuckte Duo auch nicht zurück oder versteifte sich. Nein...dieses Mal akzeptierte er die Berührung als das, was sie war: eine Geste der Freundschaft, der Zuneigung.
"Danke Zechs, vielen Dank!", lächelte der Deathscythepilot und erwiderte den ihm dargebotenen Blick mit offener Freundlichkeit. Während er dem stillen Gefühl der Zufriedenheit lauschte, wanderten seine Gedanken zurück zu seinem Partner, zu Heero.
Ich muss mich bei ihm entschuldigen
Ich habe ihm heute morgen Unrecht getan. Großes Unrecht. Er kann nichts dafür, dass ich leide, er hat mich nicht....er trägt keine Schuld.
"Wir sollten zurückgehen", bemerkte Duo mit einem direkten Blick auf sein Gegenüber, in die eisblauen, ruhigen und freundlichen Augen, deren Begrenzungen sich nun in Falten legten, als der blonde Mann lächelte und nickte.
Und wieder gingen sie still schweigend nebeneinander her, die Gedanken nur auf sich oder die Natur konzentriert, die sie nun mit beinahe malerischer Schönheit umgab. Links von ihnen hohe Klippen, durch die Jahrtausende geformt und rechts die schottische See, stürmisch und gewaltig, die vereinzelten Sonnenstrahlen, die durch die opulenten Wolken traten, reflektierend. Dazu kam der salzige Geruch des Meeres, die Schreie der Möwen, das entfernte Rauschen der Bäume.
Kein einziges Geräusch von menschlicher Zivilisation.
Ein Balsam für die Seele und den Körper.
*
Ein Pferd.....
Nein...wohl eher ein Kamel, mit den zwei Auswölbungen....
Oder doch etwas ganz anderes?
Gib es auf....
Nein! Das ist nicht akzeptabel!
Auch ein perfekter Soldat hat Schwächen.....
ICH aber nicht!
Natürlich.....
Heero schwieg. Mental.
Seit einer Ewigkeit versuchte er nun - auf der Veranda in einem der großen, gemütlichen Korbsessel sitzend - in den an ihm vorbeifliegenden Wolken Gestalten zu erkennen, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen. Doch irgendwie schlug es jedes Mal fehl. Jedes Mal suchte er sich Parameter, mit denen er Umfang, Volumen oder Fläche berechnen und analysieren konnte.
Und er kam einfach nicht davon los!
Noch einmal!
Stahlblaue Augen hefteten sich an den nächst größeren Wolkenberg, nahmen ihn in sich auf und rätselten scheinbar wirr und planlos, was es denn nun sein könnte.
Ein Schloss!, fuhr es Heero durch den Kopf, als er plötzlich etwas Schweres auf seinem rechten Oberschenkel spürte und er vollkommen überrascht zusammenzuckte, im ersten Moment versucht, dieses Etwas abzuschütteln. Doch dann bemerkte er, dass es kein "Ding", sondern sein Partner war, der sich an seine Seite gekniet und den Kopf nach draußen gewandt auf seinen Oberschenkel gebettet hatte.
"Duo?!", brachte er überrascht hervor und war mehr als alles andere versucht, dem Deathscythepiloten über den haselnussbraunen Schopf zu streichen.
"Ich...es tut mir leid, Heero", murmelte dieser leise, wandte ihm jedoch nicht seinen Kopf zu, hielt seinen Blick verborgen vor den durchdringenden, stahlblauen Augen. "Ich hätte dich heute Morgen nicht so anfahren dürfen. Du kannst wie alle anderen nichts dazu, was mir passiert ist. Niemand...niemand außer IHNEN ist Schuld....Ich...ich bitte dich...verzeih mir...."
Es lag soviel Angst vor Enttäuschung in der weichen Stimme des langhaarigen Jungen, dass es Heero fast das Herz brach. Wie konnte er ihm auch nicht verzeihen? Duo sagte, dass es nicht Heeros Fehler war...doch genauso wenig war es Duos. Heero brauchte nichts zu entschuldigen. Rein gar nichts. Duo war frei von jeglicher Schuld.
"Duo...es war richtig, was du getan hast. Es war dein gutes Recht...du brauchst dafür nicht um Verzeihung zu bitten. Ich verstehe dich, ich verstehe, warum du so reagierst und ich weiß, dass es nicht falsch war."
Heero gab dem unwiderstehlichen Verlangen nach und strich seinem Partner nun doch über die seidig weichen Haare.
"Hey.....", bemerkte er sanft. "Du bist nicht Schuld. Nicht im Geringsten."
Ein leises Seufzen ertönte von der zusammengekauerten Gestalt zu seinen Füßen und Heero hob vorsichtig den Kopf seines Partners an, um sich schließlich ebenfalls auf den Boden zu begeben. Die Hände immer noch um die schmale und knochige Gesichtsform seines Gegenübers gelegt, lächelte er sanft und strich Duo mit einem Finger über die seidig weiche Haut.
Das Einzige, was ihm antwortete, war ein ebenfalls leichtes Lächeln, ein minimales Verziehen der Lippen.
"Danke, Heero....vielen Dank", flüsterte der amerikanische Junge weich und lehnte sich in die liebevolle Berührung, die Augen voller Vertrauen geschlossen.
Wie von selbst bewegten sich seine Lippen zu dem ihn sanft liebkosenden Daumen, erwiderten die zärtliche Berührung mit einem Hauch von Leichtigkeit, wanderten schließlich zu den langen, eleganten Fingern, umgarnten sie mit sanftem Hautkontakt.
Duo öffnete langsam seine Augen, enthüllte Heero violett-blaue Seen voller Zuneigung und Liebe. Liebe, die sich der japanische Pilot schon immer gewünscht hatte, auch wenn es ihm beigebracht wurde, sich eben diesem Gefühl niemals, unter keinen Umständen zu unterwerfen.
Und dennoch...
Dennoch hatte Duo es geschafft, eben diese Einstellung zu zerbrechen, Js Lehren zu untergraben und zu zerstören. Wenn auch mit anfangs sehr unorthodoxen Methoden, die ihm zu Beginn seiner Freundschaft mit dem japanischen Piloten einige Kinnhaken und Veilchen eingebracht hatten.
Doch das war vorbei.
Heero hatte es sich vor langem geschworen, seinen Mangel an Menschenkenntnis nicht so hervortreten zu lassen, dass seine Mitmenschen darunter litten. Besonders nicht Duo.
Wann er sich selbst das versprochen hatte?
Nach ihrer vorletzten Mission. Nach dem schrecklichen Anblick eines am Zellenboden und vollkommen fertigen Duo Maxwells, dessen einzige Bitte damals gewesen war, nicht noch einmal so etwas durchmachen zu müssen.
Zuerst hatte Heero nicht gewusst, was mit seinem Partner geschehen war, nein, vielmehr hatte er aufgrund seiner mangelnden Kompetenz nicht einmal geahnt, was OZ Duo angetan hatten. Und dabei waren die Anzeichen doch so deutlich gewesen!
So deutlich!
"Heero?", durchbrach nun die sanfte und dennoch unnachgiebige Stimme des amerikanischen Jungen seine düsteren und verzweifelten Gedanken, brachten ihn zurück in das Hier und Jetzt, in die Realität.
"Ist schon gut, Duo", flüsterte der japanische Junge und strich voll Bewunderung über die spitzen Wangenknochen bis hin zum Kinn.
Und als wenn er die Bestätigung bräuchte, dass sein Partner nun voll Vertrauen vor ihm saß, ihn akzeptierte und nicht mehr fürchtete, beugte er sich vor, ruhig und ohne Nachdruck und umschloss Duos Lippen mit den eigenen, sanft, engelsgleich.
Und Duo zuckte vor dieser einfachen Berührung nicht zurück, er erwiderte sie.
Vollkommen ausgehungert nach Schutz und Zärtlichkeit, nach Liebe und Zuwendung rückte er näher an seinen Partner heran, lehnte sich an dessen Brust, umklammerte den jungen, drahtig muskulösen Körper mit seinem eigenen, suchte soviel Hautkontakt wie nie.
Brauchte ihn wie nie zuvor.
Heero intensivierte vorsichtig den Kuss, darauf bedacht, seinen Partner nicht zu bedrängen oder ihn zu erschrecken. Doch genau in diesem Augenblick war die Sorge unberechtigt, denn der amerikanische Pilot wollte es. Erwiderte beinahe verzweifelt den Kuss, die intime Berührung.
Und Heero schmeckte das wunderbare Aroma seines langhaarigen Freundes, dessen unvergleichliche Mischung von Geschmackseindrücken. Er fuhr sanft mit seiner Zunge über die vollen und feuchten Lippen seines Gegenübers, reizte und erregte ihn.
"Heero....", brachte Duo heiser hervor und ein Schaudern durchlief ihn.
Besagter Partner lächelte in den Kuss und dachte nicht daran, sein schon beinahe grausames Spiel aufzugeben, was dem langhaarigen Jungen nun doch ein Grollen entlockte und ihn dazu veranlasste, die Arme um Heeros Hals zu schlingen und so seinen Kopf stillzuhalten, während er nun den Kuss seinerseits mit wilder Verzweiflung erwiderte.
Und obwohl Heero wusste, dass Duo nicht lange solch eine Leidenschaft zeigen würde, so war er für diesen flüchtigen Augenblick doch dankbar. Sogar mehr als das. Für einen oder viele dieser Momente würde er einiges geben.
Für diese Momente voller Zärtlichkeit und Zutrauen.
Für die Momente des normalen Lebens, das ihnen noch nicht gegönnt war.
Heero konzentrierte sich wieder auf das Jetzt, auf Duos neugierige Zunge, die nun ihrerseits seine Mundhöhle erforschte und seinen Geschmack in sich aufnahm.
"Köstlich...vollkommen köstlich", schnurrte Duo und löste nach ein paar Augenblicken die enge Verbindung, ein deutliches Zeichen für Heero, dass er einen weiteren Kontakt im Moment nicht ertrug.
Und dennoch war es ein ungeheurer Fortschritt gewesen, den Heero bemerkt hatte. Was ihn für den Augenblick vollkommen glücklich machte.
Sie saßen noch lange dort. Am Boden, vollends auf die Nähe des Anderen konzentriert, absolut in ihrer Welt. Heero und Duo wussten nicht, worüber sie sich die ganze Zeit unterhalten hatten, doch jeder von ihnen konnte genau sagen, dass er die Nähe des Anderen willkommen hieß, sogar mehr als das.
Besonders Duo fühlte sich in Gegenwart seines Partners sicher und geborgen, was so ganz im Gegensatz zu seiner vorherigen Stimmung stand, die nun wie vergessen schien. Heero hatte Duo vergeben, es gab nichts zu vergeben, das war es, was zählte. Alleine die Harmonie, die zwischen den beiden Piloten herrschte, war in genau diesem Moment wichtig, äquivalent.
Keine Qualen, keine Erinnerungen an vergangene Zeiten, keine Sorgen um den momentanen Krieg konnten diesen Augenblick zerstören. Sie würden wieder kommen, ja. Aber nicht jetzt, nicht hier.
"Ich wünsche mir, dass es immer so ist", flüsterte Duo sanft und lehnte seinen Kopf vertrauensvoll gegen Heeros Schulter, während er in die Wolken hinaufschaute und schließlich leise lächelnd sagte:
"Schau mal, ein Pferd! Grau, wild und diese lange Mähne! Siehst du es auch, Heero?"
Und Heero erkannte zum ersten Mal etwas in den Wolken.
Nämlich genau das, was Duo gesagt hatte.
Ein plötzliches Geräusch ließ die Beiden hochfahren und sich zu der unbekannten Quelle umdrehen, die sich nun als Trowa herausstellte und sie gewohnt ruhig ansah.
"Ich soll von Quatre fragen, ob ihr Lust habt, mitzukochen. Er meinte, alleine würde es keinen Spaß machen und Zechs und Wufei sind nirgendwo aufzufinden", erstattete eine weiche Stimme Bericht, präsentierte die Fakten.
"Alleine?", hakte Duo nach, bevor sich seine Stirn in nachdenkliche Falten zog. So elegant und freundlich Quatre auch war, so schlecht konnte er kochen. Schon alleine der Zeitfaktor war ausschlaggebend, denn - so hatte es Duo schon immer vermutet - entschuldigte sich der blonde Araber bei jedem Wesen, was irgendwann einmal unter den Lebenden im ökologischen Kreislauf geweilt hatte, dass es nun einem anderen Kreislauf übergeben wurde- nämlich dem Stoffwechsel.
"Wir sollten mitkochen, oder Duo?", erfasste Heero mit gewohnter Präzision das Problem und ließ seine Fingerspitzen über die Innenseiten von Duos Hand gleiten, eine Geste der Entschuldigung, des Bedauerns, dass ihre gemeinsame Zeit für diesen Augenblick vorbei war.
"Sollten wir!", entgegnete der amerikanische Pilot mit neu aufflammendem, wenn auch zögerlichem Elan.
Bevor wir heute Abend überhaupt nichts zu essen bekommen, fügte er noch in Gedanken hinzu, sprach es aber nicht aus. Denn sowohl Heero als auch Trowa wussten zu genau, was die Konsequenzen eines allein vor dem Herd stehenden Quatre waren.
Und dabei kochte der Arme doch so gerne!
Die Beine anziehend schaffte Duo es, sich in die Senkrechte hochzukämpfen, seinem Freund die Hand zu reichen und ihn ebenfalls hochzuziehen.
"Dann lasst uns mal das Abendessen zubereiten", murmelte Heero leise, strich dem langhaarigen, ruhigen Jungen mit einer letzten, sanften Geste über die Wange und wandte sich dann lächelnd zu Trowa, der sie nun in die Küche begleitete, wo Quatre schon vollkommen in seinem Element war.
Im Moment war er mit Passion dabei, Salat zu schneiden. Mit einem Messer, das Catherines Werkzeugen durchaus Konkurrenz machte, sowohl in der Länge als auch in der Schärfe.
Es sah gefährlich aus, das gestanden sich die drei anderen Piloten ohne zu zögern ein. Für Trowa schien es sogar zu gefährlich. Er war nämlich in einer fließenden Bewegung bei seinem Freund und legte eine Hand auf das im großen Schwung hantierende Gelenk.
"Soll ich das nicht besser machen, Quatre?", merkte er sanft an, aus seiner Stimme nicht einen Hauch von Bevormundung oder Sorge herauszuhören. Ein einfaches Angebot, das augenscheinlich - so sah es zumindest Quatre - dazu diente, ihm Arbeit abzunehmen.
"Aber gerne!", lächelte der blonde Junge nun und übergab seinem Gegenüber das Messer. "Dann kann ich mich um das Fleisch kümmern!"
Damit zückte er strahlend ein Fleischerbeil mittlerer Größe.
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by Coco
