"Das Essen schmeckt....akzeptabel."
"Na, komm Wufei....so schlimm ist es auch nicht!", maulte Quatre, als er sich eine weitere, volle Gabel Brokkoli in den Mund schob und genüsslich kaute.
Trowa musste bei diesen Worten unwillkürlich in sich hineinlächeln. Als er Quatre das Messer weggenommen hatte, mit dem der blonde Junge Salat schneiden wollte und dieser daraufhin nach dem Fleischerbeil gegriffen hatte, hatte Trowa sich vor Entsetzen in den Finger geschnitten und das nicht nur oberflächlich.
Unbemerkt von den Anderen warf er einen Blick auf das große Pflaster inklusive Verband, das nun seinen linken Zeigefinger zierte. Ja, es tat noch verdammt weh.
Wieder seine Aufmerksamkeit auf die Runde richtend, merkte er, wie Duo ihn still lächelnd ansah und wissend seine Augen nach unten gleiten ließ.
Der grünäugige Junge wusste, was sein Gegenüber meinte und erwiderte die Mimik mit einem leichten Schulterzucken.
Catherine hat es in den vielen Jahren nicht geschafft, mich ein einziges Mal zu verletzen, geschweige denn, mir auch nur einen kleinen Kratzer zuzufügen, und dann kommt ein blonder Junge daher, nichtsahnend und schafft es, dass ich mir beinahe den Finger abschneide. Nun gut....
Obwohl die Blicke der anderen beiden Piloten Gold wert gewesen waren. Heero, sonst eher äußerlich teilnahmslos, hatte sich dazu durchgerungen, seinen Mund in einer Geste des Protestes zu öffnen, dann jedoch keinen Ton herauszubekommen und ihn dann wieder zu schließen.
Duo....Duo, der am Nächsten zu Quatre stand, hatte den blonden Jungen mit hochgezogenen Augenbrauen angestarrt, dann vorsichtig nach dem Beil gegriffen und mit einem Lächeln gesagt, dass Heero doch besser für diese brutale Aufgabe geeignet wäre, dass er außerdem sowieso der perfekte Soldat wäre.
Dass er Quatre nicht zutraute, Fleisch in portionsgerechte Stücke zu hacken, hatte er allerdings nicht gesagt.
Und Heero...Heero hatte das alles mit seiner unbewegten Miene hingenommen.
"Also ich finde das Essen sehr köstlich!", mischte sich auch nun Zechs in das Gespräch und Trowas Gedanken ein. "Wir waren leider nicht da, sonst hätten wir euch geholfen!"
Vier Augenpaare starrten den langhaarigen Mann stumm an, in den Köpfen allesamt die gleiche Vermutung. Und schließlich war es Duo, der sie aussprach.
"Leider?", lächelte er den jungen OZ-Offizier an. "Ich glaube nicht, dass ihr es bedauert, Zeit miteinander verbracht zu haben!"
"Das stimmt", erwiderte dieser und senkte seinen Blick, plötzlich ernst werdend. In anderthalb Tagen war es soweit....dann würde er seinen Dienst antreten, würde er entgültig dafür kämpfen, dass Frieden auf den Kolonien und der Erde kämpfte.
Ein Kampf, David gegen Goliath. In der Bibel hatte David gewonnen, durch Gottes Hilfe. Doch wie war es mit ihnen? Gab es für sie überhaupt einen Gott? Gab es überhaupt noch Wunder?
Zechs wusste es nicht. Und das machte ihm Angst. Er konnte nicht sagen, ob er lebend von dieser Mission zurückkommen würde. Er konnte auch genauso wenig vorhersagen, ob Wufei am Ende dieses Kampfes noch leben würde. Sie würden sich in anderthalb Tagen trennen, für einen Zeitraum, der unbegrenzt war. Sie würden ihre eigenen Wege gehen, bis diese Mission beendet war. Erst dann würden sie wieder aufeinander treffen und ihr Leben leben können, so wie sie es wollten.
Vielleicht.
Vielleicht trat auch das Schlimmste ein, was Zechs sich vorstellen konnte.
Sie verloren den Kampf.
"Daran dürfen wir nicht denken!", hatte Wufei ihm gesagt und ihn in den Arm genommen. "Wir müssen an den Sieg, an den Frieden denken, nichts weiter!"
Und genau das hatte Zechs in seinem Herzen verschlossen, als Gebet, wenn es aussichtslos schien, wenn er mit der erdrückenden Verantwortung nicht mehr fertig wurde. Als immer wieder kehrendes Mantra. Als Beschwörung. Als Versprechen.
*
"Gute Nacht, Duo", hauchte Heero sanft und strich seinem Partner leicht über die Schulter, eine Geste der puren Zuneigung. Damit drehte er sich um und wollte in sein Zimmer gehen, genau wissend, dass der amerikanische Junge auch diese Nacht alleine verbringen wollte, als ihn ein leises Räuspern aufhielt und eben diese weiche, warme Stimme fast lautlos fragte:
"Kann...kann ich wohl heute bei dir schlafen? Oder...oder...."
Mit einer fließenden Bewegung war der japanische Pilot wieder bei seinem Freund, legte seine Hände ohne Nachdruck um das schmale Gesicht des langhaarigen Jungen und sagte leicht seinen Kopf schüttelnd:
"Das brauchst du doch nicht zu fragen, Duo. Du weißt, dass ich dich gerne in meiner Nähe habe, egal wann. Und du weißt, dass ich nie nein sagen würde!"
Blasse Lippen pressten sich unnachgiebig aufeinander, als Duo nickte und den Kopf senkte, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er ganz und gar nicht wohlfühlte.
"Na komm....", fuhr Heero fort und gab den Weg zu seinem Zimmer frei, sich von seinem Freund lösend und ihm so die entgültige Entscheidung lassend.
Insgeheim war Heero vollkommen erschrocken über den plötzlichen Emotionswandel seines Freundes.
Sie hatten den ganzen Abend mit den anderen Piloten verbracht, hatten über dieses und jenes gesprochen, über die kommende Mission, über Zukunftspläne. Sie hatten gelacht, gescherzt, für einen Moment die erdrückende Verantwortung vergessen, die auf ihnen lastete. Sie hatten sich der Illusion hingegeben, ganz normale Jugendliche zu sein, nicht die Kindsoldaten, die sie von klein auf gewesen waren.
Ganz normale Jungen, die, anstatt mit Freunden wegzugehen und wilde Partys zu feiern, von einer friedlichen Zukunft träumten. Von einem Leben ohne Gewalt, ohne Flucht und Kampf.
Doch nun...nun waren sie wieder in der Realität, zurück mit all ihren Problemen und Sorgen, den Ängsten und Depressionen.
Was Duo besonders hart traf, denn auch wenn es kurze Augenblicke gab, in denen er in der Lage war zu vergessen, so kehrte spätestens am Abend die Erinnerung daran zurück. Die Angst vor nächtlichen Albträumen war zu groß, als dass Duo sie alleine überwinden konnte.
Doch Heero würde ihm dabei helfen.
Er würde ihn nicht im Stich lassen, sich nicht abwenden und Duo alleine seinen Dämonen überlassen. Heero war Duos Ritter in der goldenen Rüstung, sein Märchenprinz, der ihn vor dem Drachen rettete.
Was wäre, wenn sich eben dieser Prinz um einen anderen Drachen kümmern musste, ihn zu besiegen hatte, das scheute Duo sich vorzustellen. Er wusste nicht, wie er ohne die beruhigende Gegenwart des Wingpiloten zurechtkommen sollte, wie er die plötzlich so groß gewordenen Hürden des Lebens ohne seinen Partner meistern sollte.
Obwohl er es früher oder später lernen musste, alleine zurecht zu kommen. Er konnte sich nicht ewig auf Heero stützen, dem japanischen Jungen zur Last fallen.
Duo bewegte sich abgehackt und steif vorwärts, tat Schritt um Schritt nach vorne, kam der erlösenden Tür näher und näher.
Noch ein paar Zentimeter und er war im rettenden Hafen....
Duos plötzlich eisige Hand legte sich auf Klinke, drückte sie hinunter.
Stieß den Raum auf, während seine Beine ihn langsam hineintrugen.
An den Ort, der ihm Frieden versprach, mit dem Menschen, der ihn liebte.
Den er liebte.
Duo stand in der Mitte des prachtvoll eingeräumten Zimmers, ließ seinen Blick schweifen.
Monet, die Seerosen, weiße, sanft wallende Vorhänge, gedämpftes Licht, draußen Bäume, Wolken, Wind, Dunkelheit, Wäsche vom Vortag, Laptop, Stift, Papier, ein Bild.
Woher hatte Heero das Bild?
Duo überbrückte die Distanz mit einem Schritt, nahm den silbernen Rahmen in die klammen Hände. Violett-blaue Augen betrachteten die Szene aus vergangenen Tagen, erinnerten sich an sie, konnten aber dennoch nicht glauben, dass es tatsächlich geschehen war.
Genau wie jetzt hatten sie vor einem halben Jahr einen kleinen Zwischenraum gehabt, hatten nicht gleich zur nächsten Mission aufbrechen müssen. Und genau dann hatte der langhaarige Pilot es geschafft, den damals stoischen und verschlossenen japanischen Soldaten zu einem Bild zu überreden.
Er dachte, Heero hätte das Bild weggeworfen.
Ich möchte so glücklich sein wie damals.
Ein Strauß frischer Blumen, Tigerlilien, schwerer Duft um ihn herum, das Bett durchwühlt, nicht gemacht, hellblaue, seidig schimmernde Bettwäsche, nicht glänzend, edler, angenehmer Stoff, ohne Blutflecken.
Ich wünsche dir, dass das Leben dich zuvorkommend behandelt, denn Ich werde es nicht tun.
Duo zuckte zusammen unter dieser Last der Gedanken, Erinnerungen aus einer vergangenen und doch präsenten Zeit. Worte, die Treize gesagt, ausgesprochen hatte, bevor er sein grausames Spiel begann.
Worte, die Duo nun grimmig lächeln ließen.
Ich lebe, werde geliebt, bin in Sicherheit. Und du? Du bist tot, schmorst in der Hölle, von mir dorthin gebannt!
Von mir!
Ich habe es getan.
War es denn richtig?
`Die Freiheit ist schwer zu erringen, doch sie ist niemals die Frucht eines Mordes.´
Helen hatte es zu ihm gesagt, damals, vor zehn Jahren.
Rache schaffte nicht Glücksseligkeit.
Sondern Leid. Pein. Schmerz.
Und dennoch hatte Duo gemordet. Gemordet im Namen der Rache, gemordet im Namen seiner verlorenen Unschuld und Unbeschwertheit.
Gemordet aus Lust. Lust um des Tötens willen, Lust um des Quälens willen.
Und es war falsch.
Es milderte nicht die Alpträume, nicht die Sequenzen, die er tagsüber durchlebte, die ihn wie jetzt zusammenzucken ließen.
Doch wodurch errang er dann seine Freiheit?
Vergeben?
War es wirklich Gnade, die das bewirkte?
Konnte er durch Vergeben dieser schrecklichen Taten wirklich alles vergessen, hinter sich lassen?
Wenn es so war, dann konnte er es nicht.
Konnte nicht vergeben, was ihm angetan wurde, konnte die grausame Lust am Quälen und Vergewaltigen nicht vergeben, die ihm durch die beiden Männer zuteil geworden war.
"Duo, es ist in Ordnung", durchbrach die sanfte Stimme seines Partners die Gedanken des langhaarigen Jungen, erweckte ihn aus seinen eigenen, tiefen Abgründen.
Keine Frage, kein Befehl, eine einfache Feststellung.
Und ja, das war es. Er musste es nur schaffen. Er musste die Ordnung wieder herstellen.
Die dunkle Tür, die schmale Gestalt des Jungen vor ihm, bestechend blaue Augen, direkt auf seine Seele gerichtet, wuschelige, braune Haare in asymmetrischer Ordnung, spitzes Gesicht, hager, müde, erschöpft.
All das sah Duo, als er sich umdrehte, den Mut hatte, seinem Freund gegenüber zu stehen.
"Ja....", hauchte er. "Das wird es sein."
Irgendwann.
Heeros schmale Lippen verzogen sich zu einem sanften Lächeln, während er schnell auf seinen Partner zukam, vor ihm stehenblieb und ihm sanft über die Gesichtszüge strich. Damit wandte er sich ab und begab sich in das Bad um sich dort für die Nacht fertig zu machen, während Duo unbewegt auf ihn wartete.
Und schließlich war er wieder da, sein Partner. Zurechtgemacht, nachtfertig, aus Rücksicht auf ihn im Bad umgezogen.
Duo schenkte Heero ein schüchternes Lächeln, genau wissend, das ihm das auch noch bevorstand.
Er stahl sich an dem japanischen Jungen vorbei, huschte ins Bad und ließ die Tür hinter sich zuschnappen. Das Schloss schnappte mit einem entgültigen Klicken zu, als er abschloss, sich nun gänzlich von seinem Partner trennte.
Dies hier, genau diese Szene musste er alleine bewältigen. Ohne Heero. Ja, es stimmte. Er konnte seinen Körper nicht sehen, nicht mehr. Er erkannte die Schönheit nicht, die ihm zuteil war, konnte nur die Narben, die Hämatome und offenen Wunden sehen, die diesen schmalen, zarten Jungenkörper geziert hatten.
Die Distanz zwischen Körper und Seele war zu groß, als dass er sie überbrücken konnte.
Bin das wirklich ich?, fragte Duo sich Mal um Mal, immer dann, wenn er vor dem Spiegel stand. Ist es mein Körper, den ich sehe, oder der eines Fremden?
Fällt es mir so leichter, meinen Körper zu hassen und gleichzeitig nicht wahnsinnig zu werden? Mir nicht mein Herz herauszureißen und zu sehen, ob es auch ohne dieses räudige Stück Fleisch überleben kann?
Duo schloss die Augen und ließ seinen schwarzen Pullover über den Kopf gleiten, ebenso die schwarze Hose über seine Hüften, bis er schließlich nur noch in Boxershorts und T-Shirt dastand.
Es gab eine Zeit, da hast du nackt geschlafen, sagte er zu sich selbst und schüttelte unwillig den Kopf. Ja, die gab es, doch sie war vorbei. Für immer.
Mit einem leisen Seufzen drehte er sich wieder um, erlöste das zugeschnappte Schloss und betrat das Schlafzimmer seines Freundes, der sich schon in das überdimensionale Bett gelegt hatte und ihn stumm betrachtete.
Duo lächelte nervös, wusste nicht, wie er dem Blick begegnen sollte, wusste nicht, was dieser Ausdruck in Heeros Augen überhaupt beinhaltete. Mitleid? Kummer? Begierde? Schmerz? Liebe?
War es das, was er zu sehen vermeinte?
Der kurzhaarige Japaner schlug mit einer sanften Bewegung die Decke zurück und sagte mit hochgezogenen Mundwinkeln:
"Na komm...es ist zu kalt, um noch länger da draußen stehen zu bleiben!"
Und als ob Duo diese Einladung gebraucht hätte, folgte er ihr jetzt. Er ließ sich hastig neben seinen Partner auf die bequem-weiche Matratze gleiten, ließ für einen Moment den typischen Heero-Geruch seine Nase ausfüllen um schließlich den stahlblauen Augen zu begegnen und leise zu erwidern:
"Stimmt...hier ist es...wärmer....Soll....soll ich das Licht löschen?"
Auf Heeros Nicken hin fummelte Duo an der Nachtischlampe, die Finger immer noch klamm und zitternd, bis er den scheinbar winzigen Schalter gefunden hatte und ihn mit einem erlösten Seufzer betätigte, das Zimmer in plötzliche Dunkelheit hüllend.
"Ist dir nun wohler?", fragte eine weiche Stimme zwanglos und Duo wusste mit einem Male, dass Heero ihn sehr wohl durchschaut hatte, auch wenn er es nicht zugab.
"Ja...", hauchte der langhaarige Junge und drehte sich zu seinem Partner, in durch die sich nun lichtende Dunkelheit anlächelnd. "Wenn....wenn du mich bitte festhältst!"
Heero gehorchte ohne zu zögern und schlang seine muskulösen Arme um den schmalen Oberkörper seines Freundes, ihn sanft zu sich ziehend. Und Duo rollte sich neben ihm zusammen, die Knie an seiner Brust, zwischen ihnen, als letzte Instanz, als letztes Hindernis, als Schutz.
Schweigend schloss er seine Augen, lauschte dem ruhigen Atem seines Freundes, des Menschen, der ihm am Nächsten war. Spürte den gleichmäßigen Herzschlag Heeros, der ihn nun sanft ihn den Schlaf geleitete.
*
Warm!
....
Zu heiß!
Mit einer unwirschen Bewegung strich er sich in der beruhigenden Umgebung des Halbschlafes das T-Shirt von den Schultern, zerrte daran, als es seinem Drängen nicht nachgeben wollte, schaffte schließlich, es zu Boden gleiten zu lassen.
Erleichtertes Aufatmen.
Dann schlief er wieder, fest und sicher.
*
Einen zufriedenen Grunzlaut ausstoßend, erwachte Heero aus seinem Halbschlaf, reckte sich instinktiv und riss den Mund zu einem Gähnen auf, als er sich der Präsenz neben sich bewusst wurde und seinen Blick ruckartig auf das Wesen dort fixierte.
Duo?, fragte er sich verwirrt. Wie war denn der amerikanische Junge hierher gekommen?
Na, wie wohl?, spöttelte eine ihm mittlerweile wohlbekannte Stimme. Er ist mit seinem Gundam in dein Zimmer eingedrungen, hat dich unter Drogen gesetzt und sich neben dich gelegt.
Tatsache?, gab der japanische Pilot schnippisch zurück und erinnerte sich an den vergangenen Abend, an all das, was passiert war, einschließlich Duos Bitte, bei ihm schlafen zu dürfen.
Als wenn er dem langhaarigen Jungen so etwas abschlagen könnte!
Im Moment jedoch war er mit der äußerst reizenden Rückansicht seines Freundes konfrontiert. Oder vielmehr dem Rücken, der von überaus langen, kastanienbraunen Strähnen verdeckt wurde, die wie ein dunkler Schleier über die schmalen Schultern des Jungen flossen.
Wunderschön!, schoss es Heero durch den Kopf, als eben diese Gestalt sich zu regen begann und sich auf den Bauch drehte, um nun verschlafen zu ihm hinüberzublinzeln.
"Heero...?", brummte Duo mit verschlafener Stimme, die Tonlage noch schwer und schleppend von der nächtlichen Beinahe-Besinnungslosigkeit.
"Der einzig Wahre", lächelte der japanische Pilot und ließ seine Hand nach vorne gleiten, um seinem Gegenüber die Sicht etwas leichter zu machen, indem er ihm einige der dicken Strähnen aus den Augen strich.
"Danke....", murmelte Duo und rieb sich offensichtlich müde die Augen, mit einer Hand die kastanienbraune Masse zurückstreichend und seinen Kopf in den Nacken legend.
Was Heero dazu brachte, seinen Freund einfach nur anzustarren.
Oder nein. Nicht seinen Freund. Dessen Rücken, der ihm nun frei offenbart wurde.
Duo musste wohl im Schlaf sein T-Shirt ausgezogen haben, das, wie der japanische Junge nun bemerkte, ein paar gute Zentimeter von ihnen entfernt auf dem Boden lag.
Und mit dem Rücken die wütend-roten und dünnen Narben, die sich über die Rückansicht des langhaarigen Piloten zogen.
Durch Heeros Schweigen und Bewegungslosigkeit alarmiert, wandte Duo sich um und begriff plötzlich, was seinen Partner so stumm machte.
Er erstarrte, versteifte sich und zog mit einer unsicheren Bewegung die Decke um seine schmalen Schultern.
"Heero....?", wisperte Duo beinahe ängstlich und erwiderte einen stahlblauen Blick verzweifelt, um Verzeihung, um Milde bittend. "Es...es ist schrecklich...oder?
Hässlich...grauenvoll...abstoßend..."
"Nein!"
Der amerikanische Pilot zuckte ob dieser heftigen Antwort erschrocken zusammen, verkrampfte sich unwillkürlich noch mehr. Er hatte Heero wütend gemacht....
Die Hand, die sich nun sanft auf seine Wange legte, begrüßte er mit einem hohen, beinahe nicht mehr hörbaren Quietschen, ein erstickter, ein verängstigter Laut. Und dennoch wich sie nicht, sondern versuchte ihn zu beruhigen. Und genau das schaffte sie nach und nach auch. Im Ablauf von ein paar Sekunden, die Duo so endlos vorkamen, begriff er, dass Heero ihn nicht verletzen wollte.
"Aber was sind sie dann...?", flüsterte er und senkte seinen Blick
"Sie sind nicht schön...das stimmt", erwiderte der japanische Pilot sanft. "Aber sie sind nicht abstoßend! Außerdem sind sie schon fast verheilt!"
Duo wusste um die offensichtliche Lüge, sagte jedoch nichts. Er wollte es glauben. Musste es.
Er brauchte die Bestätigung, dass er in den Augen seines Freundes nicht abstoßend war, dass er geliebt wurde. Dass er nicht alleine war.
"Du liebst mich also...?", hauchte der langhaarige Pilot erstickt und fürchtete mit einem Male die Antwort. Was wäre, wenn sie "nein" lautete? Ganz einfach, kalt und gefühllos "nein"?
Doch konnte das sein? Nach all dem, was Heero getan hatte? Was er ihm gegenüber versichert hatte?
"Mehr als alles Andere!"
Duo registrierte die Antwort erst, als er sich ihrer vollkommen bewusst wurde.
Ja.
Das war es, was Heero gesagt hatte.
Ja.
Die Bestätigung, dass er nicht alleine war.
Ja.
Das Versprechen, welches ihn in diesem Augenblick davon abhielt, vollkommen zu verzweifeln.
Duo barg in diesem Moment den Kopf in seiner Armbeuge und schluchzte unterdrückt vor Erleichterung. All dieser enorme Druck, diese Belastung der letzen paar Augenblicke fielen von ihm ab, entluden sich nun in immer haltloseren, geheilten Lauten, die, begleitet von den seine Wangen hinunterfließenden Tränen seine Anspannung lösten.
"Duo....Duo, habe ich etwas Falsches gesagt? Duo?!", fragte Heero bestürzt, glaubend, dass sein Partner aus Verzweiflung weinte.
"Nein..."
Ein schmales Lächeln umspielte die verborgenen Lippen, als der langhaarige Junge langsam seinen Kopf hob und Augen stahlblauen Blickes standhielt. Dann zupfte er einen Zipfel der Bettdecke heran und wischte sich damit über das Gesicht.
"Es war nur...Erleichterung, nichts weiter."
Damit vervielfachte sich das Lächeln um einiges und er drehte sich nun vollkommen zu seinem Partner, der die Geste freudig und offen erwiderte. Dann wanderte jedoch ein schelmisches Lächeln über seine Lippen während er langsam nach Duos Decke griff und sie versuchte, von dem schmalen Körper des Jungen vor sich zu lösen.
"Was...was machst du da?!", schreckte Duo mit einem Male vor ihm zurück und hielt die Decke abwehrend fest, plötzlich vollkommen verstört über den Wandel in Heeros Verhalten.
"Duo...ich bitte dich, vertrau mir! Ich will dir nicht wehtun, ich möchte dir nur etwas zeigen!"
Dabei ließ er seine Hand vertraulich und beruhigend vor Duo auf die Decke gleiten, ließ ihm die Wahl, ob er nun den letzen Schritt tat oder nicht.
"O...okay....", begann dieser nun zögernd und schluckte schwer, gab aber nach und nach seine verkrampfte Haltung auf und erlaubte Heero mit zitternder Spannung das zu tun, was er vorhatte.
Er beobachtete, wie die Hand des japanischen Piloten sich wieder um den Saum der Decke legte, ihn hinunterzog, Stück für Stück seine Brust entblößte.
Er konnte das Zittern nicht unter Kontrolle halten, das sich ihm nun bemächtigte. Er hatte Angst, ja. Angst vor Heero, Angst vor dem, was kommen würde. Angst, dass sich das, was vor Wochen passiert war noch einmal wiederholte. Alleine sein Vertrauen zu Heero hielt ihn davon ab, aufzuspringen und sich in die Zuflucht seines Zimmers zu stürzen, sich dort einzuschließen und niemandem der anderen Piloten unter die Augen zu treten.
"Ganz ruhig.....es ist nichts Schlimmes!", erlöste ihn Heeros weiche, beruhigende Stimme aus seinen Gedanken, begleitete die nun vollkommen um seinen Oberkörper verschwundene Decke, ließ ihn innerlich erschauern.
Duo fühlte sich nicht wohl.
Es machte ihn unsicher und unruhig, so dermaßen entblößt vor seinem Partner zu liegen, ihm Körperteile von sich selbst zu zeigen, die er nicht ansah, nicht ansehen konnte. Und dennoch wollte er Heero nicht enttäuschen, also blieb er liegen und senkte seinen Blick, nicht weiter den stahlblaue, forschenden Augen Stand halten könnend.
Eine hauchzarte Berührung ließ ihn unbewusst zusammenzucken und er starrte schon beinahe fassungslos auf die schlanke Hand mitten auf seinem Brustkorb.
"Du bist wunderschön, Duo!"
Ich bin....
...wunderschön?
Wieso sagt er so etwas?
Es...es stimmt doch nicht!
Verabscheuungswürdig, ekelerregend, abstoßend! Das ist mein Körper.
Aber nicht...wunderschön.
Der amerikanische Junge schüttelte stumm den Kopf und zog sich noch ein Stück weiter in sich zurück.
"Das ist nicht wahr, Heero", murmelte er, das dringende Bedürfnis verspürend, sich zu verstecken, seinen verhassten Körper vor Heero zu verbergen.
"Doch...ist es!"
Und damit war der japanische Soldat mit einer Bewegung aus dem Bett, ließ einen fast schon verstörten und überraschten Duo Maxwell zurück, der ihm nun blinzelnd hinterher starrte.
Sich abrupt umdrehend, lächelte Heero seinem Partner in das erstarrte Gesicht, streckte ihm die Hand hin und sagte aufmunternd:
"Komm!"
Seine mittlerweile vor Überdehnung schmerzenden Schultermuskeln nicht beachtend, versuchte Duo, denn allzu großen Kloß hinunterzuschlucken, der sich in seinem Hals festgesetzt hatte und folgte dem Befehl, wenn auch nach einigem Zögern.
So stand er langsam auf, ließ zu, wie die bisher sicher um seinen Unterleib geschlungene Decke hinunterrutschte, seine dürren Beine entblößte, ihm selbst Blöße gab.
"Heero....bitte..!"
Er wusste, dass er seinen Freund gerade unterwürfig darum bat, ihm Gnade zu schenken. Er wusste, dass er sich selbst entwertete. Doch Duo wollte nicht weiter. Er wusste, was der japanische Junge vorhatte, doch er konnte es nicht.
"Komm zu mir", wiederholte Heero nocheinmal sanft, wie ein Mantra, ein Gebet, ein Lockruf für Duo.
Schritt für Schritt wankte Duo wie am letzen Abend zu seinem Partner, vermochte kaum, die ihm gestellte Aufgabe zu bewältigen. Letzten Endes stand er unsicher vor ihm, den Blick direkt auf stahlblaue Seen gerichtet, die in diesem Moment durch Tiefe und Ruhe bestachen.
"Und nun schau!", befahl der Wingpilot sanft, während er den Arm seines Partners fasste und ihn leicht zu sich heranzog.
Doch Duo schüttelte stumm den Kopf, genau wissend, dass er seinem Spiegelbild nicht standhalten konnte.
"Bitte!"
Nein....bitte...zwing mich nicht dazu....
"Duo...nur einmal....es ist nicht schlimm!"
Heero....ich flehe dich an....tu es nicht....
Der Griff um seine Arme wurde stärker, jedoch nicht schmerzhaft. Langsam den verängstigten Jungen zum Spiegel herumdrehend, gab Heero leise, beruhigende Geräusche von sich.
"Sieh mich an, Duo!"
Ein Befehl. Eine Bitte. Ein Wunsch. Doch Duo barg nur verzweifelt seinen Kopf an der Brust seines Freundes und presste sich hilfesuchend an ihn.
"Bitte Heero...tu mir das nicht an! Ich kann nicht hinsehen! Ich KANN nicht!", wisperte er zitternd, immer noch auf Gnade hoffend.
"Es ist okay....du brauchst nichts zu fürchten! Es ist alles in Ordnung Duo", entgegnete Heero ruhig und hasste sich für diese Antwort. Natürlich war nichts in Ordnung, sowohl bei Duo als auch bei ihm nicht, aber er musste es sagen, er musste seinen Partner dazu bringen, sich selbst in die Augen zu sehen, zu erkennen, dass sein eigener Körper nicht das abscheuliche Monster war, wofür Duo ihn hielt.
"Duo....nur einen Blick...nichts weiter. Vertraue mir, es ist nicht schlimm!"
Damit drehte er seinen Partner zum Spiegel, in langsamen, ruhigen Bewegungen, löste ihn von seinem Körper und brachte ihn dazu, auf eigenen Beinen zu stehen.
Blau-violette Augen öffneten sich langsam, zögerlich. Hielten sich an Heeros Blick fest, suchten um Beistand.
Und fanden ihn in eisernem Willen.
Dem Willen, ihn dazu zu bringen, sich selbst anzusehen.
"Komm...du schaffst das!"
Herzrasen. Das war das Einzige, was Duo in diesem Moment wahrnahm.
Er konnte es nicht!
Nein!
Ein unterdrücktes Wimmern entkam seinen Lippen.
"Duo...was kann dir passieren, wenn du in den Spiegel schaust?"
Der amerikanische Junge stockte. Durch sein wild schlagendes Herz und die nicht zu bändigenden Gedankenströme hindurch stieß diese eine Frage. Leuchtete in seinem Hirn als grellgrünes Neonschild einer billigen Reklame auf.
Was konnte ihm passieren?
Wovor hatte er Angst?
"Ich....", begann er, stockte dann, verstummte schließlich.
"Nur einen Blick, Duo", lächelte Heero und strich ihm beruhigend über seine Wange, schließlich in Richtung der glatten Spiegelfläche nickend.
Und Duo tat es.
Ließ all seine Ängste beiseite, all seine Befürchtungen, all seine Abscheu vor sich selbst und seinem Körper.
Sah sich selbst.
Verhungert. Mager. Abstoßend.
Das war es, was ihm durch den Kopf schoss, als ihm violett-blaue Augen entgegenstarrten, ihn anflehten, den Blick wieder abzuwenden.
Gerippe.
Missbraucht.
Schmutzig.
"Schau Duo....du bist nicht hässlich!", drang die penetrante Stimme seines Partners durch seine Gedankenschwaden, ließ ihn zusammenzucken, erweckte das Bedürfnis, sich zu verstecken.
Bin ich das nicht? Was sind dann die hervorstechenden Rippen? Die deformierten Gelenke, die blasse, unahnsehnliche Haut? Pure Schönheit? Nein....
Der Finger auf eben diesem dürren Brustkorb erschreckte ihn zutiefst, ließ seinen Blick wieder zum Spiegel zucken.
"Was...machst du da?", flüsterte Duo ungläubig, wurde jedoch nur durch ein Lächeln seines Gegenübers empfangen.
Die hauchzarte Berührung wanderte sanft von seinem Schlüsselbein, bis hin zu den Rippen es Brustkorbes, über das Brustbein bis zum Bauchnabel, blieb schließlich dort und wartete ab.
"Du bist nicht hässlich oder abstoßend, Duo. Für mich bist du wunderschön! Wunderschön in deiner blassen Haut, wunderschön mit all den Unebenheiten, die dein Körper darbietet. Ich finde dich nicht widerlich...ich liebe dich!"
Wunder....schön?
Bin ich das für dich?
Und für mich?
Duo wagte es, noch einen vorsichtigen Blick auf den Spiegel zu werfen, um zu überprüfen, was sein Freund ihm gesagt hatte.
Blasse Haut, ja. Spitze Knochen, ja. Dürrer Brustkorb, ja.
Abstoßend?
Es fehlen die Hämatome, die Spuren der Grausamkeit. Ich dachte, sie wären noch da.
Abstoßend?
Nein.....
Nein.
Nein!
Nicht mehr.
Mit federleichter Hand strich Duo sich über seinen Brustkorb, sein Gesicht, seine Haare.
"Siehst du?", durchbrach Heeros Stimme das Wunder, welches sich so eben ereignet hatte.
Der amerikanische Junge nickte betäubt.
Danke Heero...du weißt nicht, was du für mich getan hast. Vielen Dank.
Damit drehte er sich vom Spiegel weg, dem athletischen Piloten zu, ihm mit einem einzigen Schritt näherkommend und ihm zärtlich einen Kuss auf die Lippen hauchend.
"Ja, Heero...ich sehe es. Ich kann es sehen."
*
Gedämpftes Licht fiel durch die halb geschlossenen Jalousien des Bades, als warmer Dampf und
schwerer Tigerlilienduft den kleinen, jedoch luxuriös eingerichteten Raum erfüllten.
Zartblaue Marmorkacheln umrahmten zusammen mit einer leicht melierten Glaswand die Duschkabine, während der restliche Teil eben dieses Raumes durch das leise, morgendliche Licht erhellt wurde.
Sich den letzen Schaum vom Körper und aus den Haaren waschend, seufzte er leicht.
Ein neuer Tag war gekommen. Und damit ein neuer Abschnitt.
Duo schloss für einen kurzen Moment seine Augen.
Ein neuer Schritt. Entweder in die Freiheit, oder ins Verderben.
*
Wufei krampfte seine Hände um den schmalen Gegenstand in seiner Hand. Er saß am Rande des großen, unordentlichen Bettes und wartete darauf, dass sein Partner, der Lightning Count Zechs Marquise wieder zu ihm zurückkehrte.
Auch wenn es nur ein kurzer Ausflug ins Bad war, so hatte der chinesische Pilot doch das Gefühl, jede Minute mit dem blonden Mann verbringen zu müssen.
Vielleicht waren es die letzten Minuten.
Der Gedanke an eine mögliche Katastrophe zog Wufei das Herz zusammen. Er konnte und wollte sich nicht vorstellen, wie es sein würde, wenn Zechs nicht mehr zurückkäme. Doch so fest er sich das auch vornahm, so oft drängte sich eben diese Frage auf.
Die Frage nach dem Ausgang der vermeintlich letzten Schlacht.
Das Geräusch der sich öffnenden Tür zog ihn aus seinen Gedanken, ließ seinen Blick hochfahren.
Hochfahren zu dem sorgenvoll verzogenen Gesicht seines Freundes.
"Chang?"
Wufei lächelte automatisch, eine Geste der Beruhigung. Doch dann besann er sich anders und deutete mit seiner Hand auf die leere Fläche neben sich. Zechs gehorchte schweigend und ließ sich in einer fließenden Bewegung neben dem Jüngeren nieder.
Den Kopf an die schutzbringende Schulter des OZ-Offiziers lehnend, schloss Wufei für einen Moment seine Augen und genoss das letzte Zusammensein.
Noch zwei Stunden...dann würde Zechs in den bereitstehenden Gleiter steigen und das Versteck verlassen. Er würde seinen Dienst in der neuen Regierung antreten, versuchen, mit den Mitgliedern der unzufriedenen Militärs Kontakt aufzunehmen, sie auf die Seite der Gundampiloten zu ziehen. Gleichzeitig würden Heero und Duo verschiedene Institutionen infiltrieren und von dort aus versuchen, möglichst viele Informationen über das neue Oberhaut der Allianz, Quinze, zu gewinnen.
Um ihn, wenn der Zeitpunkt günstig war, umzubringen.
Hoffentlich der letzte Mord, den sie begehen mussten, um den Frieden zu gewähren.
"Ich möchte, dass du das hier nimmst und aufbewahrst. Ich möchte, dass du mir versprichst, es mir wiederzubringen!"
Damit legte Wufei Zechs den kleinen, schmalen Gegenstand in die Hand und umschloss sie mit der eigenen.
"Was?", begann der blonde Mann stirnrunzelnd und öffnete dann seine Faust, überrascht die Luft einziehend.
"Wufei! Das kannst du mir nicht überlassen! Nicht ihn! Er ist viel zu wertvoll, als dass du ihn hergeben könntest!"
"Nein. Du bist mir zu wertvoll, als dass ich dich jemals verlieren möchte, Milliardo! Deswegen leihe ich ihn dir. Und ich bitte dich...komm zurück...komm zurück...."
Damit entnahm er seinem Gegenüber wieder den schmalen Silberring und ließ ihn sanft auf Zechs kleinen Finger gleiten, das einzige Gelenk der Hand, auf das der zierliche Gegenstand passte.
Auf das der Ring seiner verstorbenen Frau Meiran passte.
Die letzte Erinnerung an eine vergangene, glückliche Zeit, nun ein Leihgeschenk an den Menschen, den er liebte und den er drohte, zu verlieren.
"Versprich mir, dass du ihn mir unversehrt wiederbringst!", flüsterte Wufei leise und senkte seine Lider.
Versprich mir, dass DU unversehrt zurückkommst!
Zechs nickte und schlang seine Arme um den chinesischen Piloten. Leise vor sich hinsummend wiegte er ihn, genoss die letzten Minuten, Stunden bis zu seiner Abreise. Erst jetzt wurde ihm richtig bewusst, wie kostbar sie waren, wie sehr er sich all die Zeit zurückwünschte, die er mit seinem Partner verbracht hatte.
Ich werde mein bestes tun, Chang. Das verspreche ich dir. Ich werde siegen. Ich werde dich nicht alleine lassen.
*
Ihm war schlecht.
Und das irritierte ihn, denn noch nie zuvor hatte er diese Art von Unwohlsein in sich gespürt. Wie ein Schleier der bösen Vorahnung legte sich die Angst um sein schneller als gewöhnlich schlagendes Herz, schnürte es zu.
Einen Seitenblick auf seinen Freund werfend, wusste er, dass es dem langhaarigen Jungen genauso ging. Nun...eigentlich ihnen allen, die sich an dem heutigen Morgen versammelt hatten, um Zechs Marquise zu verabschieden, der sich nun auf den Weg nach L4 machte, um dort seinen Dienst als OZ-Offizier anzutreten.
Heero räusperte sich leise, um die ungewohnte Stille zu durchbrechen und sagte dann ernst, aber dennoch mit unverhohlener Zuneigung:
"Mach es gut, Zechs! Und komm gesund wieder zurück!"
Dabei schüttelte er seinem ehemaligen ewigen Rivalen die Hand, eine für ihn ungewohnte Geste, die ihm jedoch keinesfalls unangenehm war.
Der blonde Mann erwiderte sie mit einem zuversichtlichem Lächeln und Nicken, bevor er sich zum letzten Mal an Wufei wandte, sich leicht zu ihm herunterbeugte und ihn sanft auf die Lippen küsste.
"Bete für mich, mein Chang", hauchte er unhörbar für die anderen Piloten, drehte sich schließlich um und verließ die kleine Gruppe, um in den Gleiter zu steigen, die Sequenzen hochzufahren und zu starten.
Der erste Schritt in die vielleicht letzte Schlacht der Gundampiloten.
Für einen Moment standen sie alle vollkommen reglos da, dem sich immer weiter entfernenden Gleiter hinterstarrend. Und schließlich war es Quatre, der sich als erster regte, seine Hand auf Wufeis Arm legte und ihn sanft ansprach.
Den blau-grünen Blick des Sandrockpiloten stumm erwidernd, schüttelte der chinesische Junge den Kopf und murmelte:
"Nicht jetzt...ich möchte ein wenig alleine sein."
Damit drehte er sich und verließ die Gruppe, um sich in das Hauptgebäude zu begeben.
*
"In genau einer Woche werden Duo und ich aufbrechen, jeweils zu verschiedenen Stützpunkten. Wir werden dort versuchen, möglichst viele Informationen über den neuen Befehlshaber von OZ herauszufinden. Die Basis und Universität, die wir unterlaufen, sind Dreh- und Angelpunkte eben dieser neuen Herrschaft und werden uns einige wichtige Details für den Sturz der Diktatur liefern. Wir werden für einen Zeitraum von zwei Wochen von euch getrennt sein, in denen eure Aufgabe darin besteht, unsere sonstigen, simpleren Mission zu übernehmen und die Informationen von unserer Seite zu G und J weiterzuleiten. Das heißt natürlich nicht, dass ihr euch nicht auch an die Datenverarbeitung machen werdet. Ich vertraue den Wissenschaftlern in diesem Punkt nicht, also müssen wir den entgültigen Schlag gegen Quinze in unsere eigene Hand nehmen.
Zur gleichen Zeit ist Zechs im Dienste von OZ, als Spion, der direkten Zugriff auf das Militär und die Verteidigungsanlagen hat. Er wird versuchen, so viele Generäle wie möglich auf unsere Seite zu ziehen. Wenn dies nicht möglich ist, so müssen sie sich entweder unterwerfen oder sterben. Zu eurer Aufgabe wird auch gehören, Zechs´ Nachrichten zu überprüfen und sie dann erst an unsere Mentoren weiterzuleiten."
Heero verstummte und ließ seinen Vortrag erst einmal einwirken. Es war Nachmittag, verregnet und eine Woche vor dem Beginn der alles entscheidenden Mission.
Sämtliche Gundampiloten saßen um den runden Tisch des Salons, vor ihnen Entwürfe, Lagepläne, Landkarten, Dienstpläne. Alles Notwendige für die Mission.
"Duo....das ist der Grundriss der Universität, die du besuchen wirst" fuhr Heero fort, einen Seitenblick auf seinen Partner werfend, der mit über den Plänen gesenktem Kopf am Tisch saß, beide Zahnreihen in der Unterlippe vergraben. "Die Quartiere des Direktors sind genau dort."
Er deutete auf einen - für den Laien aus nichts als unverständlichen, weißen Linien bestehenden - Block mit Zahlenkombinationen, doch der amerikanische Pilot nickte zum Zeichen des Verständnisses.
"Der Direktor ist nach Informationen unserer Verbindungsleute ein guter Bekannter und Vertrauter von Quinze, hat also dementsprechend Informationen über seine Aufenthaltsorte. Deine Aufgabe wird es daher sein, möglichst viele dieser Informationen zu erlangen und an uns weiterzugeben."
Heero beachtete den Stich in seinem Herzen nicht, der sich nun seiner bemächtigte. Er hasste es, den perfekten Soldaten ohne Gefühl und Rücksicht auf andere spielen zu müssen, diese alte, ausgediente Fassade aufrecht erhalten zu müssen. Besonders Duo gegenüber.
Seinem Freund und Partner, für den das hier nicht eine beliebige Mission war. Nein. Für den zarten, amerikanischen Jungen war der kommende Auftrag eine einzige Qual.
Und das wusste Heero.
Eben jener Pilot strich sich nun mit einer schon beinahe gelangweilten Bewegung die dichten Strähnen aus den Augen und brachte damit seine lose zusammengebundenen Haare zum Schwingen, den Blick immer noch auf die blaue Karte gerichtet. Dann fuhr er mit dem Zeigerfinger sanft die Linien des eben genanten Quartiers nach.
"Okay....", flüsterte er leise und nickte abwesend. Schließlich sahen violett-blaue Augen auf, den japanischen Piloten fixierend und lächelten.
"Du schaffst das, Duo. Da bin ich mir sicher", durchbrach die androgyne Stimme Quatres die Stille, die für ein paar Augenblicke den Raum beherrscht hatte.
Ja...aber zu welchem Preis?, entgegnete Heero seinem Mitpiloten in Gedanken. Ich zweifle nicht an Duos Fähigkeiten, nein...Woran ich zweifle, ist sein Wille, diese Mission auszuüben. Er sträubt sich, das kann jeder der hier Anwesenden sehen. Und niemand kann ihm das verdenken angesichts der Ereignisse vor zwei Monaten.
Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, dass ich ihn davon abgehalten habe, sich selbst umzubringen.
Ein leises Knirschen durchbrach wiederum die vorherrschende Stille und ließ Heero zusammenzucken.
Was? Ah...Duo hatte seinen Stuhl nach hinten geschoben und war nun aufgestanden, den Blick gen Fenster gerichtet, die Augen abgeschottet von den Blicken der anderen Piloten, nur das tosende, wilde Meer und die unbarmherzig fallenden Regentropfen bemerkend.
Er prägt sich die Karten ein, schoss es dem japanischen Jungen durch den Kopf, als er die vollkommen ruhige Gestalt seines Partners beobachtete. Wie er es vor jeder Mission macht. Das ist seine Art der Konzentration.
Schließlich drehte sich der langhaarige Pilot wieder zu seinen Freunden, um sie ernsten Blickes anzusehen.
"Es wird nicht einfach...aber ich kann es schaffen", sagte er und nickte unmerklich, bevor er Richtung Tür ging und den Salon verließ.
Auch Teil seiner Vorbereitung.
Heero seufzte. Natürlich war es verführerisch zu glauben, dass alles gut ging. Besonders nach dem, was Duo gerade gesagt hatte.
Heero wusste, dass Duo es schaffen konnte, früher war das auch der Fall gewesen. Doch was ihm Sorgen bereitete, war der Ausnahmefall. Was, wenn etwas Unvorhergesehenes passierte? Was, wenn Duo doch nicht so stark war? Was, wenn der amerikanische Junge zusammenbrach? Was, wenn er selbst nicht dort war, um Duo zu helfen?
Heero hoffte aufrichtig, dass all diese Fragen niemals beantwortet werden mussten.
Er schaute sich noch eine Weile die Pläne an, schon längst alles im Kopf, was er brauchte, um diese Mission durchzuführen. Er starrte einfach nur, sein Kopf gedankenleer.
"Ist soweit alles besprochen?", durchbrach schließlich Quatre die ungewohnte Stille und streckte sich langsam.
Sie waren heute alle früh aufgestanden, um den Erben des Peacecraftkönigreiches zu verabschieden. Und seitdem besprachen sie Missionsdaten, prägten sich Ortsdaten, Treffpunkte, Codierungen ein. Doch nach acht Stunden hatte niemand von ihnen die nötige Konzentration, um noch weiterzumachen. Sie brauchten eine Pause.
Das sah auch Heero.
Er nickte abwesend und entließ somit die verbleibenden Piloten aus ihrer Pflicht, schließlich alleine in dem großen Raum bleibend.
Sie alle brauchten eine Pause. Eine entgültige Auszeit vom Krieg, vom Töten, vom Fliehen. Sie brauchten Normalität.
*
Es wird eine vollkommen normale Mission werden. Ohne Komplikationen. Ich kenne die Daten, die Blueprints, alle geheimen Aus- und Eingänge, alle Fluchtmöglichkeiten. Es ist nicht gefährlich.
Duo glitt mit energischen Bewegungen über das spiegelglatte Eis unter ihm.
Als Kind hatte er immer neidisch zugesehen, wie andere, reiche Kinder auf den städtischen Bahnen Eis laufen durften. Er selbst war nie auch nur in die Nähe einer solchen Spiegelfläche gekommen, denn Straßenkinder waren dort nicht erwünscht. Doch nun....seit er von G gefunden und aufgezogen wurde, war dies eines seiner liebsten Vergnügen, stundenlang auf dem Eis dahinzugleiten, neue Figuren auszuprobieren, sich dabei hin und wieder auf das Hinterteil zu setzen, einfach nur für sich zu sein und seine Gedanken treiben zu lassen.
Je nach Stimmung benutzte er die riesigen Eishallen als Rennbahnen oder auch als Eiskunstlaufflächen.
Just in diesem Moment entlud er all seine Zweifel, seine Wut und seine Angst durch die scharfen Kufen seiner Schlittschuhe in das Eis, seinem leise summenden Gegenüber. Kein Laut tönte in der Halle, nur das Schlittern seiner Kufen, ein schneidendes Geräusch.
Das schwache Nachmittagslicht brach sich durch einige der unzähligen Fenster auf das Eis, verlieh dem Ganzen einen unnatürlichen Touch, verlieh Duo selbst das Aussehen einer Fee, die langen Haare Ranken um die schmale Gestalt des Jungen.
Mit einem Ruck änderte Duo seine Richtung, lief rückwärts, ließ seinen Haaren freies Spiel. Gedankenverloren betrachtete er die kastanienbraunen Strähnen, die sich nun nicht mehr dem Wind widersetzen konnten und wahllos um ihn flogen.
Duo minderte sein Tempo jedoch nicht, nein, er erhöhte es. Das war der Kick der ganzen Sache...das Übertreten der eigenen Grenzen, zu sehen, wie weit man gehen konnte, ohne zu stürzen, ohne sich verschiedenste Körperstellen und Knochen zu schürfen oder zu brechen.
Der langhaarige Junge wiegte sich leicht im Rhythmus des schnellen Laufens, gab ausschließlich auf seine Bewegungen acht, ließ sich von ihnen einlullen.
Doch dann stoppte er abrupt, erhob sich auf eine Kufe und drehte sich um seine eigene Achse...erst langsam, dann schnell, immer schneller, bis er zum körperlichen Hochpunkt und Endpunkt seiner Kraft kam
Mit einem Aufstöhnen stoppte er, verlor im gleichen Moment das Gleichgewicht und setzte sich, wie so oft, auf sein Hinterteil, welches auch nach kurzen Rudern mit seinen Armen der Schwerkraft Recht gab und sich gen Eis bewegte.
"Au....", murmelte, der langhaarige Pilot schon fast schmollend, als er seine Beine unterschlug und versuchte aufzustehen, was sich allerdings als nicht so einfach wie bisher gedacht herausstellte. Das Eis war wohl frisch geglättet worden, bevor er die riesige, dem Anwesen der Winnerfamilie gehörende Fläche betreten hatte und erschwerte ihm so jeden Versuch, wieder in die Senkrechte zu kommen.
Mit einem empörten Schnaufen stemmte Duo sich auf seine Knie und versuchte es, jedoch auch ohne nennenswerten Erfolg.
Er wollte gerade lauthals über den Untergrund schimpfen, als er ein fremdes Geräusch vernahm, das sich ihm in unregelmäßiger Weise näherte.
Sein Blickfeld eben diesem Lärmpegel zuwendend, sah er, wie Heero Yuy, der perfekte Soldat, heldenhaft versuchte, ihm zu Hilfe zu eilen.
Der sterbende Schwan in neuer Interpretation, schoss es Duo durch den Kopf, als er verwundert feststellte, dass sein Freund keineswegs sicher auf dem Eis war. Im Moment jedenfalls legte er gerade sehr elegant die Todesspirale mit einer sehr eigenen Ausführung dar.
"Warte...Duo....ich komme....gleich..."
Violett-blaue Augen weiteten sich in offensichtlicher Belustigung, als der geschmeidige, durchtrainierte, perfekte Körper des Wingpiloten halb über die Eisfläche kroch, halb schlitterte.
"Definiere "gleich", Heero. In zwei Tagen?", lächelte Duo sacht.
"Ich...kann...nicht...Eis laufen", erwiderte dieser mit größter Mühe und landete nach einem anfänglichen Höhenflug wieder auf seinen vier Buchstaben.
Duos linke Augenbraue schraubte sich um Millimeter in die Höhe. Heero? Konnte nicht Eis laufen? Gab es das?
"J sollte sich schämen, dich in diesem Gebiet nicht ausgebildet zu haben", bemerkte er nun schon hämisch und schaffte es endlich seinerseits, auf die Beine zu kommen, einen sicheren Stand zu erlangen und seinem Partner entgegenzulaufen, ihn dabei selbst noch zu stützen.
"Komm mit an den Rand", schmunzelte der amerikanische Junge und brachte sie gemeinsam mehr oder minder unversehrt auf festen, und vor allen Dingen griffigen Boden am Rande der Eisfläche, wo sie sich auf eine der zahlreichen Bänke setzten und Duo die Schlittschuhe gegen normales Schuhwerk austauschte.
"Du kannst nicht Eis laufen", murmelte der langhaarige Junge immer noch perplex und sah seinem rotwangigen Gegenüber offen und freundlich ins Gesicht. Schließlich hob er eine kalte Hand und strich Heero damit über die weichen, jungenhaften Züge.
"Das eiskalte Händchen.....", lachte dieser und küsste sanft die ihm dargebotene Hand, was Duo mit einem Schnurren quittierte.
Für einen Moment lang schwiegen sie, betrachteten entweder sich selbst, hingen ihren eigenen Gedanken nach oder maßen dem Sonnenspiel auf dem Eis Bedeutung zu, bevor Duo sich leise räusperte und begann:
"Ich habe Angst vor dem, was kommt, Heero. Große Angst sogar. Doch dieses Mal bin ich nicht alleine, das sage ich mir immer wieder. Dieses Mal brauche ich mich nicht davor zu fürchten, dass du mich im Stich lässt, dass es dir egal ist, was aus mir wird. Das gibt mir eine unheimliche Kraft und Sicherheit. Daraus schöpfe ich die Kraft, diese Mission durchzustehen und nachher gesund zu dir zurückzukehren. Die Kraft, den Krieg zu gewinnen. Und dann....wenn wir es geschafft haben, bauen wir uns ein Haus am Meer...ganz mit Pastellfarben ausgekleidet, wie du es willst. Wie Ich es will."
Damit rückte er nahe an seinen Partner heran, überbrückte auch den letzten Abstand zwischen ihnen und küsste Heero. Sanft, begierig, leidenschaftlich, mit einer Hitze in seinem Unterleib, die er nie zuvor gespürt hatte, vor der er Angst gehabt hatte und immer noch hatte. Aber das hier, genau der verzauberte Augenblick, in welchem er nun seine Arme um den Oberkörper des japanischen Jungen schlang, ihn zu sich zog, ihn ganz nah bei sich haben wollte, war der erste Schritt in die richtige Richtung. Der erste Schritt in ein freies Leben ohne Kushrenada und den Offizier, ohne diese Bestien von Menschen, die beide tot waren.
Und Heero.....Heero erwiderte den Kuss der weichen, süßen Lippen, gewährte der neugierigen Zunge Einlass, bekämpfte, liebkoste sie, ertastete seinerseits Duos Mundhöhle, knabberte am zarten Fleisch um Duos Mund herum, den zartrosanen Lippen.
Für einen Augenblick löste er sich von seinem Partner, aber nur, um sich das Farbenspiel im schmalen Gesicht des langhaarigen Jungen anzuschauen und verzückt zu lächeln. Die untergehende Sonne warf ihre letzen, weich goldgelben Strahlen auf sie beide, tauchte sie in ein romantisches Licht, verlieh Duos Konturen etwas Überirdisches, etwas vollkommen Perfektes.
Ja....er liebte Duo. Das wusste er mit jedem Augenblick, den er existierte. Das wusste er mit voller Gewalt über sich selbst, mit vollem Bewusstsein. Und er würde es immer tun, nie müde werden, dieses Wesen vor sich zu begehren, sowohl körperlich als auch geistig.
Seine Gegenleistung dafür war das Äquivalent seiner Forderung. Er präsentierte dem amerikanischen Jungen seine Seele, seinen Körper; mehr als er je einem anderen Menschen geben würde.
*
Zwei Stunden noch.
Zwei Wochen waren vergangen, in denen die fünf Gundampiloten sich intensivst der Vorbereitung ihre nächsten und womöglich letzten Mission gewidmet hatten.
In denen sich vor allen Dingen Heero und Duo sich selbst gewidmet hatten.
Duo hatte jede Nacht bei Heero verbracht, hatte sicher in den Armen seines Partners gelegen, sich ihm genähert, ohne auch nur den letzten Schritt zu machen.
Natürlich...der Fortschritt, welchen er in dieser kurzen Zeit getan hatte, war unübersehbar, dennoch gab es einiges, was das vollkommene Vertrauen minderte. Aber die Zeit würde das zeigen. Zeit, die sie im Moment nicht hatten, die ihnen für die nächsten drei Wochen versagt bleiben würde.
Heero wollte Duo nicht gehen lassen, wollte ihn vor seiner Mission beschützen, wusste jedoch, dass ihm nichts anderes übrig blieb. Auch das war Teil in der Heilung des langhaarigen Piloten. Ängste überwinden, Grenzen missachten und sprengen, innerliche Stärke beweisen.
Genauso wie äußerliche.
In den vergangenen Tagen hatten sie regelmäßig zusammen trainiert, sich gegenseitig bekämpft, Muskelkraft neu aufgebaut.
Auch wenn Heero Duo nicht so sehr forderte wie vorher, so konnte er doch mit dem jetzigen Ergebnis vollkommen zufrieden sein, denn der langhaarige Junge hatte fast seine alte Kondition und Flexibilität wiedererlangt.
Eine reine Notwendigkeit für seine Mission.
Doch im Moment war all das vergessen, Vergangenheit, nicht präsent. Im Moment hatten sie ihre gepackten Taschen weit hinter sich gelassen, genauso wie die Hightechausrüstungen im Haus und im Beigepäck.
Just in diesem Augenblick saßen sie auf der Veranda, vollkommen allein und betrachteten den Sonnenaufgang, der sich nun mannigfaltig langsam über dem Meer erhob, die ganze Welt, jedes Blatt, jede Welle, jedes Sandkorn in rosanes, dann in rotes Licht tauchte, das Wasser aufglitzern ließ, die gesamte, äußere Welt ein seliges Schweigen gehüllt. Schweigen, bis auf die ersten, winterbeständigen Vögel, die nun zu singen begannen, ihnen ein Abschiedslied zum Besten gaben.
Duo hatte Heeros Hand ergriffen und schweigend starrten sie auf den Ozean, keiner Worte bedürftig. Sie wollten die letzten Stunden in trauter Zweisamkeit verbringen, auf stumme Weise "auf Wiedersehen" sagen. Der japanische Pilot schon in die OZ-Uniform gewandet, während Duo die typische Universitätskluft trug, namentlich ein weinrotes, gestärktes Hemd in Kombination mit einem schwarzen Jackett und einer ebenso farbigen Stoffhose, dazu passende, exklusive schwarze Schuhe.
Doch die Minuten verstrichen, wurden zu einer Stunde, zu anderthalb Stunden.
Und schließlich war es Zeit aufzubrechen, aufzustehen und dem stillen Frieden Lebewohl zu sagen.
Ohne ein Wort zu sprechen gingen sie Hand in Hand zum Hangar, wo schon die restlichen drei Piloten warteten. Sie verabschiedeten sich kurz, aber herzlich von ihnen, wechselten nun doch ein paar Worte mit ihnen, bekräftigten, dass alles gut ginge und wandten sich dann zueinander.
"Ich habe Vertrauen in dich, Duo. Ich bete für dich. Du schaffst das, da bin ich mir sicher. Und wenn nicht, komme nach Hause, gehe kein Risiko ein", flüsterte Heero leise und sein Partner nickte, sich ihm sanft nähernd und ihm einen stillen Kuss auf die Lippen hauchend.
"Ich werde es schaffen, genauso wie du", erwiderte der langhaarige Soldat und ging zu seinem Gleiter, in den er ohne sich noch einmal umzusehen einstieg und ihn startete.
Heero tat es ihm gleich.
Das Endspiel konnte beginnen.
~~~~~~
by Coco
"Na, komm Wufei....so schlimm ist es auch nicht!", maulte Quatre, als er sich eine weitere, volle Gabel Brokkoli in den Mund schob und genüsslich kaute.
Trowa musste bei diesen Worten unwillkürlich in sich hineinlächeln. Als er Quatre das Messer weggenommen hatte, mit dem der blonde Junge Salat schneiden wollte und dieser daraufhin nach dem Fleischerbeil gegriffen hatte, hatte Trowa sich vor Entsetzen in den Finger geschnitten und das nicht nur oberflächlich.
Unbemerkt von den Anderen warf er einen Blick auf das große Pflaster inklusive Verband, das nun seinen linken Zeigefinger zierte. Ja, es tat noch verdammt weh.
Wieder seine Aufmerksamkeit auf die Runde richtend, merkte er, wie Duo ihn still lächelnd ansah und wissend seine Augen nach unten gleiten ließ.
Der grünäugige Junge wusste, was sein Gegenüber meinte und erwiderte die Mimik mit einem leichten Schulterzucken.
Catherine hat es in den vielen Jahren nicht geschafft, mich ein einziges Mal zu verletzen, geschweige denn, mir auch nur einen kleinen Kratzer zuzufügen, und dann kommt ein blonder Junge daher, nichtsahnend und schafft es, dass ich mir beinahe den Finger abschneide. Nun gut....
Obwohl die Blicke der anderen beiden Piloten Gold wert gewesen waren. Heero, sonst eher äußerlich teilnahmslos, hatte sich dazu durchgerungen, seinen Mund in einer Geste des Protestes zu öffnen, dann jedoch keinen Ton herauszubekommen und ihn dann wieder zu schließen.
Duo....Duo, der am Nächsten zu Quatre stand, hatte den blonden Jungen mit hochgezogenen Augenbrauen angestarrt, dann vorsichtig nach dem Beil gegriffen und mit einem Lächeln gesagt, dass Heero doch besser für diese brutale Aufgabe geeignet wäre, dass er außerdem sowieso der perfekte Soldat wäre.
Dass er Quatre nicht zutraute, Fleisch in portionsgerechte Stücke zu hacken, hatte er allerdings nicht gesagt.
Und Heero...Heero hatte das alles mit seiner unbewegten Miene hingenommen.
"Also ich finde das Essen sehr köstlich!", mischte sich auch nun Zechs in das Gespräch und Trowas Gedanken ein. "Wir waren leider nicht da, sonst hätten wir euch geholfen!"
Vier Augenpaare starrten den langhaarigen Mann stumm an, in den Köpfen allesamt die gleiche Vermutung. Und schließlich war es Duo, der sie aussprach.
"Leider?", lächelte er den jungen OZ-Offizier an. "Ich glaube nicht, dass ihr es bedauert, Zeit miteinander verbracht zu haben!"
"Das stimmt", erwiderte dieser und senkte seinen Blick, plötzlich ernst werdend. In anderthalb Tagen war es soweit....dann würde er seinen Dienst antreten, würde er entgültig dafür kämpfen, dass Frieden auf den Kolonien und der Erde kämpfte.
Ein Kampf, David gegen Goliath. In der Bibel hatte David gewonnen, durch Gottes Hilfe. Doch wie war es mit ihnen? Gab es für sie überhaupt einen Gott? Gab es überhaupt noch Wunder?
Zechs wusste es nicht. Und das machte ihm Angst. Er konnte nicht sagen, ob er lebend von dieser Mission zurückkommen würde. Er konnte auch genauso wenig vorhersagen, ob Wufei am Ende dieses Kampfes noch leben würde. Sie würden sich in anderthalb Tagen trennen, für einen Zeitraum, der unbegrenzt war. Sie würden ihre eigenen Wege gehen, bis diese Mission beendet war. Erst dann würden sie wieder aufeinander treffen und ihr Leben leben können, so wie sie es wollten.
Vielleicht.
Vielleicht trat auch das Schlimmste ein, was Zechs sich vorstellen konnte.
Sie verloren den Kampf.
"Daran dürfen wir nicht denken!", hatte Wufei ihm gesagt und ihn in den Arm genommen. "Wir müssen an den Sieg, an den Frieden denken, nichts weiter!"
Und genau das hatte Zechs in seinem Herzen verschlossen, als Gebet, wenn es aussichtslos schien, wenn er mit der erdrückenden Verantwortung nicht mehr fertig wurde. Als immer wieder kehrendes Mantra. Als Beschwörung. Als Versprechen.
*
"Gute Nacht, Duo", hauchte Heero sanft und strich seinem Partner leicht über die Schulter, eine Geste der puren Zuneigung. Damit drehte er sich um und wollte in sein Zimmer gehen, genau wissend, dass der amerikanische Junge auch diese Nacht alleine verbringen wollte, als ihn ein leises Räuspern aufhielt und eben diese weiche, warme Stimme fast lautlos fragte:
"Kann...kann ich wohl heute bei dir schlafen? Oder...oder...."
Mit einer fließenden Bewegung war der japanische Pilot wieder bei seinem Freund, legte seine Hände ohne Nachdruck um das schmale Gesicht des langhaarigen Jungen und sagte leicht seinen Kopf schüttelnd:
"Das brauchst du doch nicht zu fragen, Duo. Du weißt, dass ich dich gerne in meiner Nähe habe, egal wann. Und du weißt, dass ich nie nein sagen würde!"
Blasse Lippen pressten sich unnachgiebig aufeinander, als Duo nickte und den Kopf senkte, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er ganz und gar nicht wohlfühlte.
"Na komm....", fuhr Heero fort und gab den Weg zu seinem Zimmer frei, sich von seinem Freund lösend und ihm so die entgültige Entscheidung lassend.
Insgeheim war Heero vollkommen erschrocken über den plötzlichen Emotionswandel seines Freundes.
Sie hatten den ganzen Abend mit den anderen Piloten verbracht, hatten über dieses und jenes gesprochen, über die kommende Mission, über Zukunftspläne. Sie hatten gelacht, gescherzt, für einen Moment die erdrückende Verantwortung vergessen, die auf ihnen lastete. Sie hatten sich der Illusion hingegeben, ganz normale Jugendliche zu sein, nicht die Kindsoldaten, die sie von klein auf gewesen waren.
Ganz normale Jungen, die, anstatt mit Freunden wegzugehen und wilde Partys zu feiern, von einer friedlichen Zukunft träumten. Von einem Leben ohne Gewalt, ohne Flucht und Kampf.
Doch nun...nun waren sie wieder in der Realität, zurück mit all ihren Problemen und Sorgen, den Ängsten und Depressionen.
Was Duo besonders hart traf, denn auch wenn es kurze Augenblicke gab, in denen er in der Lage war zu vergessen, so kehrte spätestens am Abend die Erinnerung daran zurück. Die Angst vor nächtlichen Albträumen war zu groß, als dass Duo sie alleine überwinden konnte.
Doch Heero würde ihm dabei helfen.
Er würde ihn nicht im Stich lassen, sich nicht abwenden und Duo alleine seinen Dämonen überlassen. Heero war Duos Ritter in der goldenen Rüstung, sein Märchenprinz, der ihn vor dem Drachen rettete.
Was wäre, wenn sich eben dieser Prinz um einen anderen Drachen kümmern musste, ihn zu besiegen hatte, das scheute Duo sich vorzustellen. Er wusste nicht, wie er ohne die beruhigende Gegenwart des Wingpiloten zurechtkommen sollte, wie er die plötzlich so groß gewordenen Hürden des Lebens ohne seinen Partner meistern sollte.
Obwohl er es früher oder später lernen musste, alleine zurecht zu kommen. Er konnte sich nicht ewig auf Heero stützen, dem japanischen Jungen zur Last fallen.
Duo bewegte sich abgehackt und steif vorwärts, tat Schritt um Schritt nach vorne, kam der erlösenden Tür näher und näher.
Noch ein paar Zentimeter und er war im rettenden Hafen....
Duos plötzlich eisige Hand legte sich auf Klinke, drückte sie hinunter.
Stieß den Raum auf, während seine Beine ihn langsam hineintrugen.
An den Ort, der ihm Frieden versprach, mit dem Menschen, der ihn liebte.
Den er liebte.
Duo stand in der Mitte des prachtvoll eingeräumten Zimmers, ließ seinen Blick schweifen.
Monet, die Seerosen, weiße, sanft wallende Vorhänge, gedämpftes Licht, draußen Bäume, Wolken, Wind, Dunkelheit, Wäsche vom Vortag, Laptop, Stift, Papier, ein Bild.
Woher hatte Heero das Bild?
Duo überbrückte die Distanz mit einem Schritt, nahm den silbernen Rahmen in die klammen Hände. Violett-blaue Augen betrachteten die Szene aus vergangenen Tagen, erinnerten sich an sie, konnten aber dennoch nicht glauben, dass es tatsächlich geschehen war.
Genau wie jetzt hatten sie vor einem halben Jahr einen kleinen Zwischenraum gehabt, hatten nicht gleich zur nächsten Mission aufbrechen müssen. Und genau dann hatte der langhaarige Pilot es geschafft, den damals stoischen und verschlossenen japanischen Soldaten zu einem Bild zu überreden.
Er dachte, Heero hätte das Bild weggeworfen.
Ich möchte so glücklich sein wie damals.
Ein Strauß frischer Blumen, Tigerlilien, schwerer Duft um ihn herum, das Bett durchwühlt, nicht gemacht, hellblaue, seidig schimmernde Bettwäsche, nicht glänzend, edler, angenehmer Stoff, ohne Blutflecken.
Ich wünsche dir, dass das Leben dich zuvorkommend behandelt, denn Ich werde es nicht tun.
Duo zuckte zusammen unter dieser Last der Gedanken, Erinnerungen aus einer vergangenen und doch präsenten Zeit. Worte, die Treize gesagt, ausgesprochen hatte, bevor er sein grausames Spiel begann.
Worte, die Duo nun grimmig lächeln ließen.
Ich lebe, werde geliebt, bin in Sicherheit. Und du? Du bist tot, schmorst in der Hölle, von mir dorthin gebannt!
Von mir!
Ich habe es getan.
War es denn richtig?
`Die Freiheit ist schwer zu erringen, doch sie ist niemals die Frucht eines Mordes.´
Helen hatte es zu ihm gesagt, damals, vor zehn Jahren.
Rache schaffte nicht Glücksseligkeit.
Sondern Leid. Pein. Schmerz.
Und dennoch hatte Duo gemordet. Gemordet im Namen der Rache, gemordet im Namen seiner verlorenen Unschuld und Unbeschwertheit.
Gemordet aus Lust. Lust um des Tötens willen, Lust um des Quälens willen.
Und es war falsch.
Es milderte nicht die Alpträume, nicht die Sequenzen, die er tagsüber durchlebte, die ihn wie jetzt zusammenzucken ließen.
Doch wodurch errang er dann seine Freiheit?
Vergeben?
War es wirklich Gnade, die das bewirkte?
Konnte er durch Vergeben dieser schrecklichen Taten wirklich alles vergessen, hinter sich lassen?
Wenn es so war, dann konnte er es nicht.
Konnte nicht vergeben, was ihm angetan wurde, konnte die grausame Lust am Quälen und Vergewaltigen nicht vergeben, die ihm durch die beiden Männer zuteil geworden war.
"Duo, es ist in Ordnung", durchbrach die sanfte Stimme seines Partners die Gedanken des langhaarigen Jungen, erweckte ihn aus seinen eigenen, tiefen Abgründen.
Keine Frage, kein Befehl, eine einfache Feststellung.
Und ja, das war es. Er musste es nur schaffen. Er musste die Ordnung wieder herstellen.
Die dunkle Tür, die schmale Gestalt des Jungen vor ihm, bestechend blaue Augen, direkt auf seine Seele gerichtet, wuschelige, braune Haare in asymmetrischer Ordnung, spitzes Gesicht, hager, müde, erschöpft.
All das sah Duo, als er sich umdrehte, den Mut hatte, seinem Freund gegenüber zu stehen.
"Ja....", hauchte er. "Das wird es sein."
Irgendwann.
Heeros schmale Lippen verzogen sich zu einem sanften Lächeln, während er schnell auf seinen Partner zukam, vor ihm stehenblieb und ihm sanft über die Gesichtszüge strich. Damit wandte er sich ab und begab sich in das Bad um sich dort für die Nacht fertig zu machen, während Duo unbewegt auf ihn wartete.
Und schließlich war er wieder da, sein Partner. Zurechtgemacht, nachtfertig, aus Rücksicht auf ihn im Bad umgezogen.
Duo schenkte Heero ein schüchternes Lächeln, genau wissend, das ihm das auch noch bevorstand.
Er stahl sich an dem japanischen Jungen vorbei, huschte ins Bad und ließ die Tür hinter sich zuschnappen. Das Schloss schnappte mit einem entgültigen Klicken zu, als er abschloss, sich nun gänzlich von seinem Partner trennte.
Dies hier, genau diese Szene musste er alleine bewältigen. Ohne Heero. Ja, es stimmte. Er konnte seinen Körper nicht sehen, nicht mehr. Er erkannte die Schönheit nicht, die ihm zuteil war, konnte nur die Narben, die Hämatome und offenen Wunden sehen, die diesen schmalen, zarten Jungenkörper geziert hatten.
Die Distanz zwischen Körper und Seele war zu groß, als dass er sie überbrücken konnte.
Bin das wirklich ich?, fragte Duo sich Mal um Mal, immer dann, wenn er vor dem Spiegel stand. Ist es mein Körper, den ich sehe, oder der eines Fremden?
Fällt es mir so leichter, meinen Körper zu hassen und gleichzeitig nicht wahnsinnig zu werden? Mir nicht mein Herz herauszureißen und zu sehen, ob es auch ohne dieses räudige Stück Fleisch überleben kann?
Duo schloss die Augen und ließ seinen schwarzen Pullover über den Kopf gleiten, ebenso die schwarze Hose über seine Hüften, bis er schließlich nur noch in Boxershorts und T-Shirt dastand.
Es gab eine Zeit, da hast du nackt geschlafen, sagte er zu sich selbst und schüttelte unwillig den Kopf. Ja, die gab es, doch sie war vorbei. Für immer.
Mit einem leisen Seufzen drehte er sich wieder um, erlöste das zugeschnappte Schloss und betrat das Schlafzimmer seines Freundes, der sich schon in das überdimensionale Bett gelegt hatte und ihn stumm betrachtete.
Duo lächelte nervös, wusste nicht, wie er dem Blick begegnen sollte, wusste nicht, was dieser Ausdruck in Heeros Augen überhaupt beinhaltete. Mitleid? Kummer? Begierde? Schmerz? Liebe?
War es das, was er zu sehen vermeinte?
Der kurzhaarige Japaner schlug mit einer sanften Bewegung die Decke zurück und sagte mit hochgezogenen Mundwinkeln:
"Na komm...es ist zu kalt, um noch länger da draußen stehen zu bleiben!"
Und als ob Duo diese Einladung gebraucht hätte, folgte er ihr jetzt. Er ließ sich hastig neben seinen Partner auf die bequem-weiche Matratze gleiten, ließ für einen Moment den typischen Heero-Geruch seine Nase ausfüllen um schließlich den stahlblauen Augen zu begegnen und leise zu erwidern:
"Stimmt...hier ist es...wärmer....Soll....soll ich das Licht löschen?"
Auf Heeros Nicken hin fummelte Duo an der Nachtischlampe, die Finger immer noch klamm und zitternd, bis er den scheinbar winzigen Schalter gefunden hatte und ihn mit einem erlösten Seufzer betätigte, das Zimmer in plötzliche Dunkelheit hüllend.
"Ist dir nun wohler?", fragte eine weiche Stimme zwanglos und Duo wusste mit einem Male, dass Heero ihn sehr wohl durchschaut hatte, auch wenn er es nicht zugab.
"Ja...", hauchte der langhaarige Junge und drehte sich zu seinem Partner, in durch die sich nun lichtende Dunkelheit anlächelnd. "Wenn....wenn du mich bitte festhältst!"
Heero gehorchte ohne zu zögern und schlang seine muskulösen Arme um den schmalen Oberkörper seines Freundes, ihn sanft zu sich ziehend. Und Duo rollte sich neben ihm zusammen, die Knie an seiner Brust, zwischen ihnen, als letzte Instanz, als letztes Hindernis, als Schutz.
Schweigend schloss er seine Augen, lauschte dem ruhigen Atem seines Freundes, des Menschen, der ihm am Nächsten war. Spürte den gleichmäßigen Herzschlag Heeros, der ihn nun sanft ihn den Schlaf geleitete.
*
Warm!
....
Zu heiß!
Mit einer unwirschen Bewegung strich er sich in der beruhigenden Umgebung des Halbschlafes das T-Shirt von den Schultern, zerrte daran, als es seinem Drängen nicht nachgeben wollte, schaffte schließlich, es zu Boden gleiten zu lassen.
Erleichtertes Aufatmen.
Dann schlief er wieder, fest und sicher.
*
Einen zufriedenen Grunzlaut ausstoßend, erwachte Heero aus seinem Halbschlaf, reckte sich instinktiv und riss den Mund zu einem Gähnen auf, als er sich der Präsenz neben sich bewusst wurde und seinen Blick ruckartig auf das Wesen dort fixierte.
Duo?, fragte er sich verwirrt. Wie war denn der amerikanische Junge hierher gekommen?
Na, wie wohl?, spöttelte eine ihm mittlerweile wohlbekannte Stimme. Er ist mit seinem Gundam in dein Zimmer eingedrungen, hat dich unter Drogen gesetzt und sich neben dich gelegt.
Tatsache?, gab der japanische Pilot schnippisch zurück und erinnerte sich an den vergangenen Abend, an all das, was passiert war, einschließlich Duos Bitte, bei ihm schlafen zu dürfen.
Als wenn er dem langhaarigen Jungen so etwas abschlagen könnte!
Im Moment jedoch war er mit der äußerst reizenden Rückansicht seines Freundes konfrontiert. Oder vielmehr dem Rücken, der von überaus langen, kastanienbraunen Strähnen verdeckt wurde, die wie ein dunkler Schleier über die schmalen Schultern des Jungen flossen.
Wunderschön!, schoss es Heero durch den Kopf, als eben diese Gestalt sich zu regen begann und sich auf den Bauch drehte, um nun verschlafen zu ihm hinüberzublinzeln.
"Heero...?", brummte Duo mit verschlafener Stimme, die Tonlage noch schwer und schleppend von der nächtlichen Beinahe-Besinnungslosigkeit.
"Der einzig Wahre", lächelte der japanische Pilot und ließ seine Hand nach vorne gleiten, um seinem Gegenüber die Sicht etwas leichter zu machen, indem er ihm einige der dicken Strähnen aus den Augen strich.
"Danke....", murmelte Duo und rieb sich offensichtlich müde die Augen, mit einer Hand die kastanienbraune Masse zurückstreichend und seinen Kopf in den Nacken legend.
Was Heero dazu brachte, seinen Freund einfach nur anzustarren.
Oder nein. Nicht seinen Freund. Dessen Rücken, der ihm nun frei offenbart wurde.
Duo musste wohl im Schlaf sein T-Shirt ausgezogen haben, das, wie der japanische Junge nun bemerkte, ein paar gute Zentimeter von ihnen entfernt auf dem Boden lag.
Und mit dem Rücken die wütend-roten und dünnen Narben, die sich über die Rückansicht des langhaarigen Piloten zogen.
Durch Heeros Schweigen und Bewegungslosigkeit alarmiert, wandte Duo sich um und begriff plötzlich, was seinen Partner so stumm machte.
Er erstarrte, versteifte sich und zog mit einer unsicheren Bewegung die Decke um seine schmalen Schultern.
"Heero....?", wisperte Duo beinahe ängstlich und erwiderte einen stahlblauen Blick verzweifelt, um Verzeihung, um Milde bittend. "Es...es ist schrecklich...oder?
Hässlich...grauenvoll...abstoßend..."
"Nein!"
Der amerikanische Pilot zuckte ob dieser heftigen Antwort erschrocken zusammen, verkrampfte sich unwillkürlich noch mehr. Er hatte Heero wütend gemacht....
Die Hand, die sich nun sanft auf seine Wange legte, begrüßte er mit einem hohen, beinahe nicht mehr hörbaren Quietschen, ein erstickter, ein verängstigter Laut. Und dennoch wich sie nicht, sondern versuchte ihn zu beruhigen. Und genau das schaffte sie nach und nach auch. Im Ablauf von ein paar Sekunden, die Duo so endlos vorkamen, begriff er, dass Heero ihn nicht verletzen wollte.
"Aber was sind sie dann...?", flüsterte er und senkte seinen Blick
"Sie sind nicht schön...das stimmt", erwiderte der japanische Pilot sanft. "Aber sie sind nicht abstoßend! Außerdem sind sie schon fast verheilt!"
Duo wusste um die offensichtliche Lüge, sagte jedoch nichts. Er wollte es glauben. Musste es.
Er brauchte die Bestätigung, dass er in den Augen seines Freundes nicht abstoßend war, dass er geliebt wurde. Dass er nicht alleine war.
"Du liebst mich also...?", hauchte der langhaarige Pilot erstickt und fürchtete mit einem Male die Antwort. Was wäre, wenn sie "nein" lautete? Ganz einfach, kalt und gefühllos "nein"?
Doch konnte das sein? Nach all dem, was Heero getan hatte? Was er ihm gegenüber versichert hatte?
"Mehr als alles Andere!"
Duo registrierte die Antwort erst, als er sich ihrer vollkommen bewusst wurde.
Ja.
Das war es, was Heero gesagt hatte.
Ja.
Die Bestätigung, dass er nicht alleine war.
Ja.
Das Versprechen, welches ihn in diesem Augenblick davon abhielt, vollkommen zu verzweifeln.
Duo barg in diesem Moment den Kopf in seiner Armbeuge und schluchzte unterdrückt vor Erleichterung. All dieser enorme Druck, diese Belastung der letzen paar Augenblicke fielen von ihm ab, entluden sich nun in immer haltloseren, geheilten Lauten, die, begleitet von den seine Wangen hinunterfließenden Tränen seine Anspannung lösten.
"Duo....Duo, habe ich etwas Falsches gesagt? Duo?!", fragte Heero bestürzt, glaubend, dass sein Partner aus Verzweiflung weinte.
"Nein..."
Ein schmales Lächeln umspielte die verborgenen Lippen, als der langhaarige Junge langsam seinen Kopf hob und Augen stahlblauen Blickes standhielt. Dann zupfte er einen Zipfel der Bettdecke heran und wischte sich damit über das Gesicht.
"Es war nur...Erleichterung, nichts weiter."
Damit vervielfachte sich das Lächeln um einiges und er drehte sich nun vollkommen zu seinem Partner, der die Geste freudig und offen erwiderte. Dann wanderte jedoch ein schelmisches Lächeln über seine Lippen während er langsam nach Duos Decke griff und sie versuchte, von dem schmalen Körper des Jungen vor sich zu lösen.
"Was...was machst du da?!", schreckte Duo mit einem Male vor ihm zurück und hielt die Decke abwehrend fest, plötzlich vollkommen verstört über den Wandel in Heeros Verhalten.
"Duo...ich bitte dich, vertrau mir! Ich will dir nicht wehtun, ich möchte dir nur etwas zeigen!"
Dabei ließ er seine Hand vertraulich und beruhigend vor Duo auf die Decke gleiten, ließ ihm die Wahl, ob er nun den letzen Schritt tat oder nicht.
"O...okay....", begann dieser nun zögernd und schluckte schwer, gab aber nach und nach seine verkrampfte Haltung auf und erlaubte Heero mit zitternder Spannung das zu tun, was er vorhatte.
Er beobachtete, wie die Hand des japanischen Piloten sich wieder um den Saum der Decke legte, ihn hinunterzog, Stück für Stück seine Brust entblößte.
Er konnte das Zittern nicht unter Kontrolle halten, das sich ihm nun bemächtigte. Er hatte Angst, ja. Angst vor Heero, Angst vor dem, was kommen würde. Angst, dass sich das, was vor Wochen passiert war noch einmal wiederholte. Alleine sein Vertrauen zu Heero hielt ihn davon ab, aufzuspringen und sich in die Zuflucht seines Zimmers zu stürzen, sich dort einzuschließen und niemandem der anderen Piloten unter die Augen zu treten.
"Ganz ruhig.....es ist nichts Schlimmes!", erlöste ihn Heeros weiche, beruhigende Stimme aus seinen Gedanken, begleitete die nun vollkommen um seinen Oberkörper verschwundene Decke, ließ ihn innerlich erschauern.
Duo fühlte sich nicht wohl.
Es machte ihn unsicher und unruhig, so dermaßen entblößt vor seinem Partner zu liegen, ihm Körperteile von sich selbst zu zeigen, die er nicht ansah, nicht ansehen konnte. Und dennoch wollte er Heero nicht enttäuschen, also blieb er liegen und senkte seinen Blick, nicht weiter den stahlblaue, forschenden Augen Stand halten könnend.
Eine hauchzarte Berührung ließ ihn unbewusst zusammenzucken und er starrte schon beinahe fassungslos auf die schlanke Hand mitten auf seinem Brustkorb.
"Du bist wunderschön, Duo!"
Ich bin....
...wunderschön?
Wieso sagt er so etwas?
Es...es stimmt doch nicht!
Verabscheuungswürdig, ekelerregend, abstoßend! Das ist mein Körper.
Aber nicht...wunderschön.
Der amerikanische Junge schüttelte stumm den Kopf und zog sich noch ein Stück weiter in sich zurück.
"Das ist nicht wahr, Heero", murmelte er, das dringende Bedürfnis verspürend, sich zu verstecken, seinen verhassten Körper vor Heero zu verbergen.
"Doch...ist es!"
Und damit war der japanische Soldat mit einer Bewegung aus dem Bett, ließ einen fast schon verstörten und überraschten Duo Maxwell zurück, der ihm nun blinzelnd hinterher starrte.
Sich abrupt umdrehend, lächelte Heero seinem Partner in das erstarrte Gesicht, streckte ihm die Hand hin und sagte aufmunternd:
"Komm!"
Seine mittlerweile vor Überdehnung schmerzenden Schultermuskeln nicht beachtend, versuchte Duo, denn allzu großen Kloß hinunterzuschlucken, der sich in seinem Hals festgesetzt hatte und folgte dem Befehl, wenn auch nach einigem Zögern.
So stand er langsam auf, ließ zu, wie die bisher sicher um seinen Unterleib geschlungene Decke hinunterrutschte, seine dürren Beine entblößte, ihm selbst Blöße gab.
"Heero....bitte..!"
Er wusste, dass er seinen Freund gerade unterwürfig darum bat, ihm Gnade zu schenken. Er wusste, dass er sich selbst entwertete. Doch Duo wollte nicht weiter. Er wusste, was der japanische Junge vorhatte, doch er konnte es nicht.
"Komm zu mir", wiederholte Heero nocheinmal sanft, wie ein Mantra, ein Gebet, ein Lockruf für Duo.
Schritt für Schritt wankte Duo wie am letzen Abend zu seinem Partner, vermochte kaum, die ihm gestellte Aufgabe zu bewältigen. Letzten Endes stand er unsicher vor ihm, den Blick direkt auf stahlblaue Seen gerichtet, die in diesem Moment durch Tiefe und Ruhe bestachen.
"Und nun schau!", befahl der Wingpilot sanft, während er den Arm seines Partners fasste und ihn leicht zu sich heranzog.
Doch Duo schüttelte stumm den Kopf, genau wissend, dass er seinem Spiegelbild nicht standhalten konnte.
"Bitte!"
Nein....bitte...zwing mich nicht dazu....
"Duo...nur einmal....es ist nicht schlimm!"
Heero....ich flehe dich an....tu es nicht....
Der Griff um seine Arme wurde stärker, jedoch nicht schmerzhaft. Langsam den verängstigten Jungen zum Spiegel herumdrehend, gab Heero leise, beruhigende Geräusche von sich.
"Sieh mich an, Duo!"
Ein Befehl. Eine Bitte. Ein Wunsch. Doch Duo barg nur verzweifelt seinen Kopf an der Brust seines Freundes und presste sich hilfesuchend an ihn.
"Bitte Heero...tu mir das nicht an! Ich kann nicht hinsehen! Ich KANN nicht!", wisperte er zitternd, immer noch auf Gnade hoffend.
"Es ist okay....du brauchst nichts zu fürchten! Es ist alles in Ordnung Duo", entgegnete Heero ruhig und hasste sich für diese Antwort. Natürlich war nichts in Ordnung, sowohl bei Duo als auch bei ihm nicht, aber er musste es sagen, er musste seinen Partner dazu bringen, sich selbst in die Augen zu sehen, zu erkennen, dass sein eigener Körper nicht das abscheuliche Monster war, wofür Duo ihn hielt.
"Duo....nur einen Blick...nichts weiter. Vertraue mir, es ist nicht schlimm!"
Damit drehte er seinen Partner zum Spiegel, in langsamen, ruhigen Bewegungen, löste ihn von seinem Körper und brachte ihn dazu, auf eigenen Beinen zu stehen.
Blau-violette Augen öffneten sich langsam, zögerlich. Hielten sich an Heeros Blick fest, suchten um Beistand.
Und fanden ihn in eisernem Willen.
Dem Willen, ihn dazu zu bringen, sich selbst anzusehen.
"Komm...du schaffst das!"
Herzrasen. Das war das Einzige, was Duo in diesem Moment wahrnahm.
Er konnte es nicht!
Nein!
Ein unterdrücktes Wimmern entkam seinen Lippen.
"Duo...was kann dir passieren, wenn du in den Spiegel schaust?"
Der amerikanische Junge stockte. Durch sein wild schlagendes Herz und die nicht zu bändigenden Gedankenströme hindurch stieß diese eine Frage. Leuchtete in seinem Hirn als grellgrünes Neonschild einer billigen Reklame auf.
Was konnte ihm passieren?
Wovor hatte er Angst?
"Ich....", begann er, stockte dann, verstummte schließlich.
"Nur einen Blick, Duo", lächelte Heero und strich ihm beruhigend über seine Wange, schließlich in Richtung der glatten Spiegelfläche nickend.
Und Duo tat es.
Ließ all seine Ängste beiseite, all seine Befürchtungen, all seine Abscheu vor sich selbst und seinem Körper.
Sah sich selbst.
Verhungert. Mager. Abstoßend.
Das war es, was ihm durch den Kopf schoss, als ihm violett-blaue Augen entgegenstarrten, ihn anflehten, den Blick wieder abzuwenden.
Gerippe.
Missbraucht.
Schmutzig.
"Schau Duo....du bist nicht hässlich!", drang die penetrante Stimme seines Partners durch seine Gedankenschwaden, ließ ihn zusammenzucken, erweckte das Bedürfnis, sich zu verstecken.
Bin ich das nicht? Was sind dann die hervorstechenden Rippen? Die deformierten Gelenke, die blasse, unahnsehnliche Haut? Pure Schönheit? Nein....
Der Finger auf eben diesem dürren Brustkorb erschreckte ihn zutiefst, ließ seinen Blick wieder zum Spiegel zucken.
"Was...machst du da?", flüsterte Duo ungläubig, wurde jedoch nur durch ein Lächeln seines Gegenübers empfangen.
Die hauchzarte Berührung wanderte sanft von seinem Schlüsselbein, bis hin zu den Rippen es Brustkorbes, über das Brustbein bis zum Bauchnabel, blieb schließlich dort und wartete ab.
"Du bist nicht hässlich oder abstoßend, Duo. Für mich bist du wunderschön! Wunderschön in deiner blassen Haut, wunderschön mit all den Unebenheiten, die dein Körper darbietet. Ich finde dich nicht widerlich...ich liebe dich!"
Wunder....schön?
Bin ich das für dich?
Und für mich?
Duo wagte es, noch einen vorsichtigen Blick auf den Spiegel zu werfen, um zu überprüfen, was sein Freund ihm gesagt hatte.
Blasse Haut, ja. Spitze Knochen, ja. Dürrer Brustkorb, ja.
Abstoßend?
Es fehlen die Hämatome, die Spuren der Grausamkeit. Ich dachte, sie wären noch da.
Abstoßend?
Nein.....
Nein.
Nein!
Nicht mehr.
Mit federleichter Hand strich Duo sich über seinen Brustkorb, sein Gesicht, seine Haare.
"Siehst du?", durchbrach Heeros Stimme das Wunder, welches sich so eben ereignet hatte.
Der amerikanische Junge nickte betäubt.
Danke Heero...du weißt nicht, was du für mich getan hast. Vielen Dank.
Damit drehte er sich vom Spiegel weg, dem athletischen Piloten zu, ihm mit einem einzigen Schritt näherkommend und ihm zärtlich einen Kuss auf die Lippen hauchend.
"Ja, Heero...ich sehe es. Ich kann es sehen."
*
Gedämpftes Licht fiel durch die halb geschlossenen Jalousien des Bades, als warmer Dampf und
schwerer Tigerlilienduft den kleinen, jedoch luxuriös eingerichteten Raum erfüllten.
Zartblaue Marmorkacheln umrahmten zusammen mit einer leicht melierten Glaswand die Duschkabine, während der restliche Teil eben dieses Raumes durch das leise, morgendliche Licht erhellt wurde.
Sich den letzen Schaum vom Körper und aus den Haaren waschend, seufzte er leicht.
Ein neuer Tag war gekommen. Und damit ein neuer Abschnitt.
Duo schloss für einen kurzen Moment seine Augen.
Ein neuer Schritt. Entweder in die Freiheit, oder ins Verderben.
*
Wufei krampfte seine Hände um den schmalen Gegenstand in seiner Hand. Er saß am Rande des großen, unordentlichen Bettes und wartete darauf, dass sein Partner, der Lightning Count Zechs Marquise wieder zu ihm zurückkehrte.
Auch wenn es nur ein kurzer Ausflug ins Bad war, so hatte der chinesische Pilot doch das Gefühl, jede Minute mit dem blonden Mann verbringen zu müssen.
Vielleicht waren es die letzten Minuten.
Der Gedanke an eine mögliche Katastrophe zog Wufei das Herz zusammen. Er konnte und wollte sich nicht vorstellen, wie es sein würde, wenn Zechs nicht mehr zurückkäme. Doch so fest er sich das auch vornahm, so oft drängte sich eben diese Frage auf.
Die Frage nach dem Ausgang der vermeintlich letzten Schlacht.
Das Geräusch der sich öffnenden Tür zog ihn aus seinen Gedanken, ließ seinen Blick hochfahren.
Hochfahren zu dem sorgenvoll verzogenen Gesicht seines Freundes.
"Chang?"
Wufei lächelte automatisch, eine Geste der Beruhigung. Doch dann besann er sich anders und deutete mit seiner Hand auf die leere Fläche neben sich. Zechs gehorchte schweigend und ließ sich in einer fließenden Bewegung neben dem Jüngeren nieder.
Den Kopf an die schutzbringende Schulter des OZ-Offiziers lehnend, schloss Wufei für einen Moment seine Augen und genoss das letzte Zusammensein.
Noch zwei Stunden...dann würde Zechs in den bereitstehenden Gleiter steigen und das Versteck verlassen. Er würde seinen Dienst in der neuen Regierung antreten, versuchen, mit den Mitgliedern der unzufriedenen Militärs Kontakt aufzunehmen, sie auf die Seite der Gundampiloten zu ziehen. Gleichzeitig würden Heero und Duo verschiedene Institutionen infiltrieren und von dort aus versuchen, möglichst viele Informationen über das neue Oberhaut der Allianz, Quinze, zu gewinnen.
Um ihn, wenn der Zeitpunkt günstig war, umzubringen.
Hoffentlich der letzte Mord, den sie begehen mussten, um den Frieden zu gewähren.
"Ich möchte, dass du das hier nimmst und aufbewahrst. Ich möchte, dass du mir versprichst, es mir wiederzubringen!"
Damit legte Wufei Zechs den kleinen, schmalen Gegenstand in die Hand und umschloss sie mit der eigenen.
"Was?", begann der blonde Mann stirnrunzelnd und öffnete dann seine Faust, überrascht die Luft einziehend.
"Wufei! Das kannst du mir nicht überlassen! Nicht ihn! Er ist viel zu wertvoll, als dass du ihn hergeben könntest!"
"Nein. Du bist mir zu wertvoll, als dass ich dich jemals verlieren möchte, Milliardo! Deswegen leihe ich ihn dir. Und ich bitte dich...komm zurück...komm zurück...."
Damit entnahm er seinem Gegenüber wieder den schmalen Silberring und ließ ihn sanft auf Zechs kleinen Finger gleiten, das einzige Gelenk der Hand, auf das der zierliche Gegenstand passte.
Auf das der Ring seiner verstorbenen Frau Meiran passte.
Die letzte Erinnerung an eine vergangene, glückliche Zeit, nun ein Leihgeschenk an den Menschen, den er liebte und den er drohte, zu verlieren.
"Versprich mir, dass du ihn mir unversehrt wiederbringst!", flüsterte Wufei leise und senkte seine Lider.
Versprich mir, dass DU unversehrt zurückkommst!
Zechs nickte und schlang seine Arme um den chinesischen Piloten. Leise vor sich hinsummend wiegte er ihn, genoss die letzten Minuten, Stunden bis zu seiner Abreise. Erst jetzt wurde ihm richtig bewusst, wie kostbar sie waren, wie sehr er sich all die Zeit zurückwünschte, die er mit seinem Partner verbracht hatte.
Ich werde mein bestes tun, Chang. Das verspreche ich dir. Ich werde siegen. Ich werde dich nicht alleine lassen.
*
Ihm war schlecht.
Und das irritierte ihn, denn noch nie zuvor hatte er diese Art von Unwohlsein in sich gespürt. Wie ein Schleier der bösen Vorahnung legte sich die Angst um sein schneller als gewöhnlich schlagendes Herz, schnürte es zu.
Einen Seitenblick auf seinen Freund werfend, wusste er, dass es dem langhaarigen Jungen genauso ging. Nun...eigentlich ihnen allen, die sich an dem heutigen Morgen versammelt hatten, um Zechs Marquise zu verabschieden, der sich nun auf den Weg nach L4 machte, um dort seinen Dienst als OZ-Offizier anzutreten.
Heero räusperte sich leise, um die ungewohnte Stille zu durchbrechen und sagte dann ernst, aber dennoch mit unverhohlener Zuneigung:
"Mach es gut, Zechs! Und komm gesund wieder zurück!"
Dabei schüttelte er seinem ehemaligen ewigen Rivalen die Hand, eine für ihn ungewohnte Geste, die ihm jedoch keinesfalls unangenehm war.
Der blonde Mann erwiderte sie mit einem zuversichtlichem Lächeln und Nicken, bevor er sich zum letzten Mal an Wufei wandte, sich leicht zu ihm herunterbeugte und ihn sanft auf die Lippen küsste.
"Bete für mich, mein Chang", hauchte er unhörbar für die anderen Piloten, drehte sich schließlich um und verließ die kleine Gruppe, um in den Gleiter zu steigen, die Sequenzen hochzufahren und zu starten.
Der erste Schritt in die vielleicht letzte Schlacht der Gundampiloten.
Für einen Moment standen sie alle vollkommen reglos da, dem sich immer weiter entfernenden Gleiter hinterstarrend. Und schließlich war es Quatre, der sich als erster regte, seine Hand auf Wufeis Arm legte und ihn sanft ansprach.
Den blau-grünen Blick des Sandrockpiloten stumm erwidernd, schüttelte der chinesische Junge den Kopf und murmelte:
"Nicht jetzt...ich möchte ein wenig alleine sein."
Damit drehte er sich und verließ die Gruppe, um sich in das Hauptgebäude zu begeben.
*
"In genau einer Woche werden Duo und ich aufbrechen, jeweils zu verschiedenen Stützpunkten. Wir werden dort versuchen, möglichst viele Informationen über den neuen Befehlshaber von OZ herauszufinden. Die Basis und Universität, die wir unterlaufen, sind Dreh- und Angelpunkte eben dieser neuen Herrschaft und werden uns einige wichtige Details für den Sturz der Diktatur liefern. Wir werden für einen Zeitraum von zwei Wochen von euch getrennt sein, in denen eure Aufgabe darin besteht, unsere sonstigen, simpleren Mission zu übernehmen und die Informationen von unserer Seite zu G und J weiterzuleiten. Das heißt natürlich nicht, dass ihr euch nicht auch an die Datenverarbeitung machen werdet. Ich vertraue den Wissenschaftlern in diesem Punkt nicht, also müssen wir den entgültigen Schlag gegen Quinze in unsere eigene Hand nehmen.
Zur gleichen Zeit ist Zechs im Dienste von OZ, als Spion, der direkten Zugriff auf das Militär und die Verteidigungsanlagen hat. Er wird versuchen, so viele Generäle wie möglich auf unsere Seite zu ziehen. Wenn dies nicht möglich ist, so müssen sie sich entweder unterwerfen oder sterben. Zu eurer Aufgabe wird auch gehören, Zechs´ Nachrichten zu überprüfen und sie dann erst an unsere Mentoren weiterzuleiten."
Heero verstummte und ließ seinen Vortrag erst einmal einwirken. Es war Nachmittag, verregnet und eine Woche vor dem Beginn der alles entscheidenden Mission.
Sämtliche Gundampiloten saßen um den runden Tisch des Salons, vor ihnen Entwürfe, Lagepläne, Landkarten, Dienstpläne. Alles Notwendige für die Mission.
"Duo....das ist der Grundriss der Universität, die du besuchen wirst" fuhr Heero fort, einen Seitenblick auf seinen Partner werfend, der mit über den Plänen gesenktem Kopf am Tisch saß, beide Zahnreihen in der Unterlippe vergraben. "Die Quartiere des Direktors sind genau dort."
Er deutete auf einen - für den Laien aus nichts als unverständlichen, weißen Linien bestehenden - Block mit Zahlenkombinationen, doch der amerikanische Pilot nickte zum Zeichen des Verständnisses.
"Der Direktor ist nach Informationen unserer Verbindungsleute ein guter Bekannter und Vertrauter von Quinze, hat also dementsprechend Informationen über seine Aufenthaltsorte. Deine Aufgabe wird es daher sein, möglichst viele dieser Informationen zu erlangen und an uns weiterzugeben."
Heero beachtete den Stich in seinem Herzen nicht, der sich nun seiner bemächtigte. Er hasste es, den perfekten Soldaten ohne Gefühl und Rücksicht auf andere spielen zu müssen, diese alte, ausgediente Fassade aufrecht erhalten zu müssen. Besonders Duo gegenüber.
Seinem Freund und Partner, für den das hier nicht eine beliebige Mission war. Nein. Für den zarten, amerikanischen Jungen war der kommende Auftrag eine einzige Qual.
Und das wusste Heero.
Eben jener Pilot strich sich nun mit einer schon beinahe gelangweilten Bewegung die dichten Strähnen aus den Augen und brachte damit seine lose zusammengebundenen Haare zum Schwingen, den Blick immer noch auf die blaue Karte gerichtet. Dann fuhr er mit dem Zeigerfinger sanft die Linien des eben genanten Quartiers nach.
"Okay....", flüsterte er leise und nickte abwesend. Schließlich sahen violett-blaue Augen auf, den japanischen Piloten fixierend und lächelten.
"Du schaffst das, Duo. Da bin ich mir sicher", durchbrach die androgyne Stimme Quatres die Stille, die für ein paar Augenblicke den Raum beherrscht hatte.
Ja...aber zu welchem Preis?, entgegnete Heero seinem Mitpiloten in Gedanken. Ich zweifle nicht an Duos Fähigkeiten, nein...Woran ich zweifle, ist sein Wille, diese Mission auszuüben. Er sträubt sich, das kann jeder der hier Anwesenden sehen. Und niemand kann ihm das verdenken angesichts der Ereignisse vor zwei Monaten.
Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, dass ich ihn davon abgehalten habe, sich selbst umzubringen.
Ein leises Knirschen durchbrach wiederum die vorherrschende Stille und ließ Heero zusammenzucken.
Was? Ah...Duo hatte seinen Stuhl nach hinten geschoben und war nun aufgestanden, den Blick gen Fenster gerichtet, die Augen abgeschottet von den Blicken der anderen Piloten, nur das tosende, wilde Meer und die unbarmherzig fallenden Regentropfen bemerkend.
Er prägt sich die Karten ein, schoss es dem japanischen Jungen durch den Kopf, als er die vollkommen ruhige Gestalt seines Partners beobachtete. Wie er es vor jeder Mission macht. Das ist seine Art der Konzentration.
Schließlich drehte sich der langhaarige Pilot wieder zu seinen Freunden, um sie ernsten Blickes anzusehen.
"Es wird nicht einfach...aber ich kann es schaffen", sagte er und nickte unmerklich, bevor er Richtung Tür ging und den Salon verließ.
Auch Teil seiner Vorbereitung.
Heero seufzte. Natürlich war es verführerisch zu glauben, dass alles gut ging. Besonders nach dem, was Duo gerade gesagt hatte.
Heero wusste, dass Duo es schaffen konnte, früher war das auch der Fall gewesen. Doch was ihm Sorgen bereitete, war der Ausnahmefall. Was, wenn etwas Unvorhergesehenes passierte? Was, wenn Duo doch nicht so stark war? Was, wenn der amerikanische Junge zusammenbrach? Was, wenn er selbst nicht dort war, um Duo zu helfen?
Heero hoffte aufrichtig, dass all diese Fragen niemals beantwortet werden mussten.
Er schaute sich noch eine Weile die Pläne an, schon längst alles im Kopf, was er brauchte, um diese Mission durchzuführen. Er starrte einfach nur, sein Kopf gedankenleer.
"Ist soweit alles besprochen?", durchbrach schließlich Quatre die ungewohnte Stille und streckte sich langsam.
Sie waren heute alle früh aufgestanden, um den Erben des Peacecraftkönigreiches zu verabschieden. Und seitdem besprachen sie Missionsdaten, prägten sich Ortsdaten, Treffpunkte, Codierungen ein. Doch nach acht Stunden hatte niemand von ihnen die nötige Konzentration, um noch weiterzumachen. Sie brauchten eine Pause.
Das sah auch Heero.
Er nickte abwesend und entließ somit die verbleibenden Piloten aus ihrer Pflicht, schließlich alleine in dem großen Raum bleibend.
Sie alle brauchten eine Pause. Eine entgültige Auszeit vom Krieg, vom Töten, vom Fliehen. Sie brauchten Normalität.
*
Es wird eine vollkommen normale Mission werden. Ohne Komplikationen. Ich kenne die Daten, die Blueprints, alle geheimen Aus- und Eingänge, alle Fluchtmöglichkeiten. Es ist nicht gefährlich.
Duo glitt mit energischen Bewegungen über das spiegelglatte Eis unter ihm.
Als Kind hatte er immer neidisch zugesehen, wie andere, reiche Kinder auf den städtischen Bahnen Eis laufen durften. Er selbst war nie auch nur in die Nähe einer solchen Spiegelfläche gekommen, denn Straßenkinder waren dort nicht erwünscht. Doch nun....seit er von G gefunden und aufgezogen wurde, war dies eines seiner liebsten Vergnügen, stundenlang auf dem Eis dahinzugleiten, neue Figuren auszuprobieren, sich dabei hin und wieder auf das Hinterteil zu setzen, einfach nur für sich zu sein und seine Gedanken treiben zu lassen.
Je nach Stimmung benutzte er die riesigen Eishallen als Rennbahnen oder auch als Eiskunstlaufflächen.
Just in diesem Moment entlud er all seine Zweifel, seine Wut und seine Angst durch die scharfen Kufen seiner Schlittschuhe in das Eis, seinem leise summenden Gegenüber. Kein Laut tönte in der Halle, nur das Schlittern seiner Kufen, ein schneidendes Geräusch.
Das schwache Nachmittagslicht brach sich durch einige der unzähligen Fenster auf das Eis, verlieh dem Ganzen einen unnatürlichen Touch, verlieh Duo selbst das Aussehen einer Fee, die langen Haare Ranken um die schmale Gestalt des Jungen.
Mit einem Ruck änderte Duo seine Richtung, lief rückwärts, ließ seinen Haaren freies Spiel. Gedankenverloren betrachtete er die kastanienbraunen Strähnen, die sich nun nicht mehr dem Wind widersetzen konnten und wahllos um ihn flogen.
Duo minderte sein Tempo jedoch nicht, nein, er erhöhte es. Das war der Kick der ganzen Sache...das Übertreten der eigenen Grenzen, zu sehen, wie weit man gehen konnte, ohne zu stürzen, ohne sich verschiedenste Körperstellen und Knochen zu schürfen oder zu brechen.
Der langhaarige Junge wiegte sich leicht im Rhythmus des schnellen Laufens, gab ausschließlich auf seine Bewegungen acht, ließ sich von ihnen einlullen.
Doch dann stoppte er abrupt, erhob sich auf eine Kufe und drehte sich um seine eigene Achse...erst langsam, dann schnell, immer schneller, bis er zum körperlichen Hochpunkt und Endpunkt seiner Kraft kam
Mit einem Aufstöhnen stoppte er, verlor im gleichen Moment das Gleichgewicht und setzte sich, wie so oft, auf sein Hinterteil, welches auch nach kurzen Rudern mit seinen Armen der Schwerkraft Recht gab und sich gen Eis bewegte.
"Au....", murmelte, der langhaarige Pilot schon fast schmollend, als er seine Beine unterschlug und versuchte aufzustehen, was sich allerdings als nicht so einfach wie bisher gedacht herausstellte. Das Eis war wohl frisch geglättet worden, bevor er die riesige, dem Anwesen der Winnerfamilie gehörende Fläche betreten hatte und erschwerte ihm so jeden Versuch, wieder in die Senkrechte zu kommen.
Mit einem empörten Schnaufen stemmte Duo sich auf seine Knie und versuchte es, jedoch auch ohne nennenswerten Erfolg.
Er wollte gerade lauthals über den Untergrund schimpfen, als er ein fremdes Geräusch vernahm, das sich ihm in unregelmäßiger Weise näherte.
Sein Blickfeld eben diesem Lärmpegel zuwendend, sah er, wie Heero Yuy, der perfekte Soldat, heldenhaft versuchte, ihm zu Hilfe zu eilen.
Der sterbende Schwan in neuer Interpretation, schoss es Duo durch den Kopf, als er verwundert feststellte, dass sein Freund keineswegs sicher auf dem Eis war. Im Moment jedenfalls legte er gerade sehr elegant die Todesspirale mit einer sehr eigenen Ausführung dar.
"Warte...Duo....ich komme....gleich..."
Violett-blaue Augen weiteten sich in offensichtlicher Belustigung, als der geschmeidige, durchtrainierte, perfekte Körper des Wingpiloten halb über die Eisfläche kroch, halb schlitterte.
"Definiere "gleich", Heero. In zwei Tagen?", lächelte Duo sacht.
"Ich...kann...nicht...Eis laufen", erwiderte dieser mit größter Mühe und landete nach einem anfänglichen Höhenflug wieder auf seinen vier Buchstaben.
Duos linke Augenbraue schraubte sich um Millimeter in die Höhe. Heero? Konnte nicht Eis laufen? Gab es das?
"J sollte sich schämen, dich in diesem Gebiet nicht ausgebildet zu haben", bemerkte er nun schon hämisch und schaffte es endlich seinerseits, auf die Beine zu kommen, einen sicheren Stand zu erlangen und seinem Partner entgegenzulaufen, ihn dabei selbst noch zu stützen.
"Komm mit an den Rand", schmunzelte der amerikanische Junge und brachte sie gemeinsam mehr oder minder unversehrt auf festen, und vor allen Dingen griffigen Boden am Rande der Eisfläche, wo sie sich auf eine der zahlreichen Bänke setzten und Duo die Schlittschuhe gegen normales Schuhwerk austauschte.
"Du kannst nicht Eis laufen", murmelte der langhaarige Junge immer noch perplex und sah seinem rotwangigen Gegenüber offen und freundlich ins Gesicht. Schließlich hob er eine kalte Hand und strich Heero damit über die weichen, jungenhaften Züge.
"Das eiskalte Händchen.....", lachte dieser und küsste sanft die ihm dargebotene Hand, was Duo mit einem Schnurren quittierte.
Für einen Moment lang schwiegen sie, betrachteten entweder sich selbst, hingen ihren eigenen Gedanken nach oder maßen dem Sonnenspiel auf dem Eis Bedeutung zu, bevor Duo sich leise räusperte und begann:
"Ich habe Angst vor dem, was kommt, Heero. Große Angst sogar. Doch dieses Mal bin ich nicht alleine, das sage ich mir immer wieder. Dieses Mal brauche ich mich nicht davor zu fürchten, dass du mich im Stich lässt, dass es dir egal ist, was aus mir wird. Das gibt mir eine unheimliche Kraft und Sicherheit. Daraus schöpfe ich die Kraft, diese Mission durchzustehen und nachher gesund zu dir zurückzukehren. Die Kraft, den Krieg zu gewinnen. Und dann....wenn wir es geschafft haben, bauen wir uns ein Haus am Meer...ganz mit Pastellfarben ausgekleidet, wie du es willst. Wie Ich es will."
Damit rückte er nahe an seinen Partner heran, überbrückte auch den letzten Abstand zwischen ihnen und küsste Heero. Sanft, begierig, leidenschaftlich, mit einer Hitze in seinem Unterleib, die er nie zuvor gespürt hatte, vor der er Angst gehabt hatte und immer noch hatte. Aber das hier, genau der verzauberte Augenblick, in welchem er nun seine Arme um den Oberkörper des japanischen Jungen schlang, ihn zu sich zog, ihn ganz nah bei sich haben wollte, war der erste Schritt in die richtige Richtung. Der erste Schritt in ein freies Leben ohne Kushrenada und den Offizier, ohne diese Bestien von Menschen, die beide tot waren.
Und Heero.....Heero erwiderte den Kuss der weichen, süßen Lippen, gewährte der neugierigen Zunge Einlass, bekämpfte, liebkoste sie, ertastete seinerseits Duos Mundhöhle, knabberte am zarten Fleisch um Duos Mund herum, den zartrosanen Lippen.
Für einen Augenblick löste er sich von seinem Partner, aber nur, um sich das Farbenspiel im schmalen Gesicht des langhaarigen Jungen anzuschauen und verzückt zu lächeln. Die untergehende Sonne warf ihre letzen, weich goldgelben Strahlen auf sie beide, tauchte sie in ein romantisches Licht, verlieh Duos Konturen etwas Überirdisches, etwas vollkommen Perfektes.
Ja....er liebte Duo. Das wusste er mit jedem Augenblick, den er existierte. Das wusste er mit voller Gewalt über sich selbst, mit vollem Bewusstsein. Und er würde es immer tun, nie müde werden, dieses Wesen vor sich zu begehren, sowohl körperlich als auch geistig.
Seine Gegenleistung dafür war das Äquivalent seiner Forderung. Er präsentierte dem amerikanischen Jungen seine Seele, seinen Körper; mehr als er je einem anderen Menschen geben würde.
*
Zwei Stunden noch.
Zwei Wochen waren vergangen, in denen die fünf Gundampiloten sich intensivst der Vorbereitung ihre nächsten und womöglich letzten Mission gewidmet hatten.
In denen sich vor allen Dingen Heero und Duo sich selbst gewidmet hatten.
Duo hatte jede Nacht bei Heero verbracht, hatte sicher in den Armen seines Partners gelegen, sich ihm genähert, ohne auch nur den letzten Schritt zu machen.
Natürlich...der Fortschritt, welchen er in dieser kurzen Zeit getan hatte, war unübersehbar, dennoch gab es einiges, was das vollkommene Vertrauen minderte. Aber die Zeit würde das zeigen. Zeit, die sie im Moment nicht hatten, die ihnen für die nächsten drei Wochen versagt bleiben würde.
Heero wollte Duo nicht gehen lassen, wollte ihn vor seiner Mission beschützen, wusste jedoch, dass ihm nichts anderes übrig blieb. Auch das war Teil in der Heilung des langhaarigen Piloten. Ängste überwinden, Grenzen missachten und sprengen, innerliche Stärke beweisen.
Genauso wie äußerliche.
In den vergangenen Tagen hatten sie regelmäßig zusammen trainiert, sich gegenseitig bekämpft, Muskelkraft neu aufgebaut.
Auch wenn Heero Duo nicht so sehr forderte wie vorher, so konnte er doch mit dem jetzigen Ergebnis vollkommen zufrieden sein, denn der langhaarige Junge hatte fast seine alte Kondition und Flexibilität wiedererlangt.
Eine reine Notwendigkeit für seine Mission.
Doch im Moment war all das vergessen, Vergangenheit, nicht präsent. Im Moment hatten sie ihre gepackten Taschen weit hinter sich gelassen, genauso wie die Hightechausrüstungen im Haus und im Beigepäck.
Just in diesem Augenblick saßen sie auf der Veranda, vollkommen allein und betrachteten den Sonnenaufgang, der sich nun mannigfaltig langsam über dem Meer erhob, die ganze Welt, jedes Blatt, jede Welle, jedes Sandkorn in rosanes, dann in rotes Licht tauchte, das Wasser aufglitzern ließ, die gesamte, äußere Welt ein seliges Schweigen gehüllt. Schweigen, bis auf die ersten, winterbeständigen Vögel, die nun zu singen begannen, ihnen ein Abschiedslied zum Besten gaben.
Duo hatte Heeros Hand ergriffen und schweigend starrten sie auf den Ozean, keiner Worte bedürftig. Sie wollten die letzten Stunden in trauter Zweisamkeit verbringen, auf stumme Weise "auf Wiedersehen" sagen. Der japanische Pilot schon in die OZ-Uniform gewandet, während Duo die typische Universitätskluft trug, namentlich ein weinrotes, gestärktes Hemd in Kombination mit einem schwarzen Jackett und einer ebenso farbigen Stoffhose, dazu passende, exklusive schwarze Schuhe.
Doch die Minuten verstrichen, wurden zu einer Stunde, zu anderthalb Stunden.
Und schließlich war es Zeit aufzubrechen, aufzustehen und dem stillen Frieden Lebewohl zu sagen.
Ohne ein Wort zu sprechen gingen sie Hand in Hand zum Hangar, wo schon die restlichen drei Piloten warteten. Sie verabschiedeten sich kurz, aber herzlich von ihnen, wechselten nun doch ein paar Worte mit ihnen, bekräftigten, dass alles gut ginge und wandten sich dann zueinander.
"Ich habe Vertrauen in dich, Duo. Ich bete für dich. Du schaffst das, da bin ich mir sicher. Und wenn nicht, komme nach Hause, gehe kein Risiko ein", flüsterte Heero leise und sein Partner nickte, sich ihm sanft nähernd und ihm einen stillen Kuss auf die Lippen hauchend.
"Ich werde es schaffen, genauso wie du", erwiderte der langhaarige Soldat und ging zu seinem Gleiter, in den er ohne sich noch einmal umzusehen einstieg und ihn startete.
Heero tat es ihm gleich.
Das Endspiel konnte beginnen.
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by Coco
