A/N: Jo! Um mal Need und Koji-chan zu zitieren: "Coco vor...noch ein...Teil" *lach* Ich find den Spruch süß! Wie gesagt...hier der neue Teil. Um Caron einmal zu zitieren "Du hast hier etwas wirklich Dunkles geschaffen" Nun...um ehrlich zu sein war das nicht meine Absicht, daher würde es mich interessieren, wie dieser Teil im Allgemeinen gesehen wird. (Also seid ehrlich...brutalst ehrlich, wenn ich bitten darf) ^_^
Betadank geht an Caron *huggels* und FB-Dank an Koishii, Koji-chan, Aya-Crawford-chan, Diva, Loul, seya, CaroGOD, raphael und Need ^_^
Also dann, viel Spaß und happy C&Cing!
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Manchmal hasste Manx ihren Job. Besonders dann, wenn sie abends weit entfernt von Dienstschluss noch im Büro saß und die Akten der Mitarbeiter bearbeitete, die sich auf ihrem Schreibtisch stapelten. Gehaltskonten, Missionspläne, Zusammenstellung der Einheiten. All das war ihr Gebiet und all das sorgte mit Regelmäßigkeit dafür, dass sie Unmengen an Geld alleine für Überstunden verdiente.
Was ihr aber im Moment Sorgen bereitete, war das Videoband, das sie sich nun schon zum zehnten Male hintereinander anschaute, es auf Anzeichen überprüfte, die sie auch nun nicht fand. Anzeichen dafür, dass es nicht Abyssinian war, der dort auf der Parkbank saß. Und vor allen Dingen, dass die Person neben ihm nicht sein ursprüngliches Ziel war, welches er eigentlich hatte umbringen sollen.
Lasgo, so hieß der Mann. Ein Drogendealer ohne Gnade, ein abgrundtief böser Mensch. Ein Mann, der nun Ayas Gesicht berührte, ihn zärtlich streichelte. Manx konnte nicht hören, was die Beiden sagten, dafür war ihr Agent viel zu weit weg gewesen, doch es sah mehr als deutlich aus.
Sie hatte es erst nicht glauben wollen, als Birman zu ihr gekommen war und ihr im Vertrauen von der Möglichkeit berichtete hatte, dass Aya sie womöglich betrügen würde. Nein...sie hatte es nicht glauben wollen und dennoch war sie bereit gewesen, den rothaarigen Weiß durch einen ihrer Agenten beschatten zu lassen.
Und nun hefteten sich ihre Augen zum wiederholten Male auf die sich vor ihr abspielenden Bilder, auf den Rotschopf, der sich von dem Mann berühren ließ, auf dessen Konto unzählige Morde gingen, der erbarmungslos Drogen an Kinder verkaufte.
Aya...was denkst du dir bloß dabei?, dachte sie verzweifelt und stützte den Kopf auf ihre Hände. Wieso versagte ausgerechnet Abyssinian? Was dachte er sich dabei, seinen Auftrag nicht auszufüllen? Und so offensichtlich mit dem Mann zu flirten?
Manx griff schweren Herzens zum Telefonhörer. Sie wusste genau, wen sie nun aus dem Bett klingelte und mit diesen unerwarteten, schrecklichen Neuigkeiten konfrontieren musste.
Sie richtete ihren Blick auf die nächtliche Skyline, als sie dem Freizeichen lauschte und wartete, dass jemand abnahm. Was schließlich auch geschah, als sich eine verschlafene, schleppende Männerstimme mit einem knappen "Ja?" meldete und sie zunächst ungehört schlucken ließ. Er musste es wissen, sie konnte es ihm einfach nicht verheimlichen.
"Es gibt ein Problem, Sir", meldete sie sich direkt, ohne ihren Namen zu nennen. Es war auch nicht nötig, denn Manx gehörte nebst Birman zu den einzigen beiden Agenten, die seine Nummer hatten. Für Notfälle wie diesen.
"Manx...ich wünsche Ihnen auch eine schöne Nacht."
Die rothaarige Frau musste unwillkürlich lächeln. Der Charme Persers war selbst durch das Telefon zu hören. Als Gentleman, der er war, zollte er zunächst ihr und ihrer Arbeit Aufmerksamkeit, bevor er schließlich zum eigentlichen Problem kam. "Was gibt es denn?"
"Ich habe Abyssinian überwachen lassen und es sieht so aus, als ob er Feindkontakt hat." Manx spielte schon beinahe nervös mit dem Löffel in ihrem kalten, abgestandenen Kaffee, während sie auf seine Antwort wartete. Wann hatte sie sich ihre allabendliche Koffeinspritze eingeschenkt? Vor vier Stunden? Oder noch länger? Sie wusste es nicht.
Ein unwilliges Brummen antwortete ihr schließlich, als Perser sich unsichtbar für sie selbst erhob und ihr ernst entgegnete:
"Ich komme ins Büro."
Damit legte er auf und ließ eine nachdenkliche Agentin zurück, die sich unwillkürlich fragte, ob sie das Richtige getan oder ob sie vorschnell und unüberlegt gehandelt hatte.
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"Voglio crescere nel tuo giradino
troveremo un tempo più sicuro
illumina la mia realtà non abbandonarmi mai..."
Mit einem leisen Summen wiegte sich Omi sacht im Takt der Musik, ließ sich treiben von den melodiösen, weichen Klängen, badete in der kleinen Menge der Bar, in der er sich gerade befand. Es war eines dieser modernen, erst kürzlich fertig gestellten Etablissements über den Dächern von Tokyo, mit Blick auf die nächtlichen Lichter.
Der Raum an sich war in dunklem Weinrot gehalten, an sich sehr puristisch mit wenigen Pflanzen, dafür um so opulenteren Möbelstücken wie edlen, cremefarbenen Ledersesseln und Chaise Longues. Sanftes, warmes Licht erhellte minimal den Raum, während auf jedem der Tische elegante, aber dennoch einfache Kerzenhalter ihren Dienst taten.
Der junge Weiß ließ seinen Blick über die bis auf goldumrandete, prunkvolle Spiegel unbehängte Wand gleiten, taxierte die Menge an Menschen vor ihm ruhig und gelassen. Oberschicht, ohne Zweifel. Die Tokyoter High Society vergnügte sich hier, gönnte sich ein After-Work-Chillout inmitten sanfter, spanischer sowie italienischer Klänge und exotischer Getränke. Westidentifikation, so hieß das Motto hier und schien auch sehr gut zu gefallen.
Omi konnte sich des Reizes dessen nicht aussprechen. Er mochte das Interieur genauso wie die lockere und dennoch zurückhaltende Stimmung der Bar. Kein Wunder, kam er doch so oft hierher, direkt nach der Arbeit um ein wenig Abstand von seinen Teamkollegen und seiner Berufung als Assassin zu gewinnen und sich vom gemäßigten Lärm der anderen Besucher einlullen und treiben zu lassen. Wie oft hatte er schon die Augen geschlossen und sich einfach in dem Murmeln der Menschen um ihn herum treiben lassen?
Er war kein Kind mehr, auch wenn er mit siebzehn für die meisten Personen seines Umfeldes sicherlich noch in diese Alterskategorie gehörte. Doch geistig fühlte er sich wenig geneigt, sich mit Jungen und Mädchen seines Jahrgangs zu umgeben. Er wünschte sich Gesellschaft, ja. Aber jemanden, mit dem er reden, dem er sich anvertrauen konnte. Youji. Gut, der Playboy hatte auch seine hellen Momente. Sogar recht viele, doch er hatte selbst eine Last zu tragen, die Omi ihm nicht abnehmen konnte. Auch wenn seine Freundschaft mit Youji sehr intensiv und außergewöhnlich war, so war Omi nicht in der Lage, gemeinsam mit ihm das Trauma zu bekämpfen, welches wieder und wieder dafür sorgte, dass der ältere Mann schreiend erwachte.
Dafür hatte er viel zu sehr seine eigene Bürde. Die Bürde seiner eigenen Vergangenheit, die Bürde, ein Takatori zu sein, ein uneheliches Kind, das den Hass der Familie auf sich gezogen hatte. Ein Kind, das nur allzu gerne vergessen wurde und dessen sich niemand gekümmert hatte, als es die Hilfe so dringend gebraucht hatte. Ein Kind, das zur Rache groß gezogen wurde.
Auch wenn es nicht so schien, er war sich wohl bewusst, wie weit Kritiker ihn für ihre Zwecke missbrauchte, ihn in ihre Richtung gelenkt hatte. Omi kannte die Gefahr, die für ihn und sein Leben bestand, wenn er auch nur eine der Missionen nicht zu Persers Zufriedenheit erfüllte. Zu sagen, dass es ihn ängstigte, war wohl falsch, denn er kannte es nicht anders, er wusste nun mal nicht, wie ein normales Leben aussah.
All die alltäglichen Dinge, die Schule, die Arbeit, das hier, all das konnte ihn nicht von seiner eigentlichen Aufgabe ablenken. Er tötete Menschen, eine Tatsache, die ihm manches Mal wirklich Probleme bereitete und ihn sich fragen ließ, ob blindwütiger, kompromissloser Hass wie Aya ihn praktizierte, wirklich das Richtige war. Ob diese Fixierung auf nur ein Ziel die beste Möglichkeit war, bei Sinnen zu bleiben?
Das Nicht-Denken, wie ein normales Leben sein könnte?
Oder sollte er jede Möglichkeit, die sich ihm bot, ergreifen und seine Sorgen in Flüssigkeit ertränken, die nur für ein paar Stunden den Schein schöner Unbekümmertheit vortäuschte? So, wie er es heute Abend tat, seinen Cocktail nur halb aufgetrunken und das, obwohl er schon zwei Stunden hier war. Er dachte einfach zuviel, daran lag es vermutlich.
Perser hatte so viele Agenten und nur ihn plagten solche Zweifel, so kam es ihm zuweilen wenigstens vor. Alle schienen ihr Leben akzeptieren zu können, nur er nicht.
Omi seufzte leicht und bewegte sich mit einem abwesenden Lächeln zum Barkeeper ans Fenster. Er wusste, wofür sie ihn hielten. Für den Sohn reicher Eltern, der nichts besseres mit seiner Zeit zu tun hatte, als Geld für einen exklusiven Drink in einer noch exklusiveren Bar auszugeben. Wenn sie wüssten...wenn sie alle hier wüssten....
Der junge Weiß ließ sich auf einem der mondänen Sessel nieder und wandte seinen Blick gen nachtgetauchter Stadt. Was dort unten jetzt wohl vor sich ging? Morde...Akte purer Liebe....Vergewaltigungen....Szenen von glücklichen, normalen Menschen....Raub.....all das verbarg sich in der Dunkelheit, unsichtbar für das ungeübte Auge, doch er....ja ihm entging nichts. Er war der Jäger der Dunkelheit...
...und badete gerade ausgiebig im Selbstmitleid.
"Nanu....um diese Uhrzeit noch so alleine?"
Omi sah betäubt auf. Wer war das? Er hatte keine Lust auf Gesellschaft, nicht heute. Auch wenn ihn diese womöglich von seinen Depressionen weg bringen konnte. Ein kleiner Flirt, ein nettes Gespräch, die obligatorische Tasse Kaffee danach. Alles in allem sehr entspannend. Aber nicht heute.
Er sah auf und begegnete den freundlichen, warmen Augen eines älteren, gut gepflegten und anziehenden Mannes. Anscheinend nicht japanischer Abstammung, des Akzents und den westlichen Gesichtszügen nach zu schließen. Das Lächeln, welches ihm nun entgegengebracht wurde, beruhigte ihn irgendwie, schien perfekt zum sachten Takt der Musik zu harmonieren.
"Ja und ich wäre auch froh, wenn das so bleibt."
Dem anderen Mann schien seine Bemerkung Amüsement verschafft zu haben, denn anders konnte Omi sich das freundliche, warme Lachen nicht erklären. Auch nicht, dass eben diese Person sich nun gegenüber vom ihm niederließ und sich zu ihm hinüberbeugte, während ein feiner, beinahe unmerklicher Hauch Parfums zu ihm hinüber wehte. Eine Mischung aus Lavendel und Vanille...sehr betörend, doch nicht das, was der junge Weiß sich für diesen Abend wünschte.
"Aber aber...mein schöner, junger Mann, schon so einsamkeitsbedürftig? Das ist in deinem Alter aber gar nicht gut", gab der Unbekannte zurück und ließ nun schon zum zweiten Male innerhalb weniger Augenblicke sein warmes, freundliches Lachen erklingen, das Omi nun - wenn auch unbewusst - langsam aber sicherlich in seinen Bann zog. Er war schon oft angesprochen worden, wenn er unterwegs war, nicht hier, in anderen Bars und Clubs, sowohl von Frauen als auch Männern, doch sie waren aufdringlich gewesen und das mochte er nicht. Genauso wenig, wenn ihm jemand schon nach einem minimalen Augenblick zu nahe kam. Und das war hier nicht der Fall. Dieser Mann, wie immer er auch hieß, hielt respektvollen Abstand und wartete höflich auf Antwort. Er versuchte, eine Konversation zu beginnen, die, so wusste Omi, schließlich dazu dienen sollte, ihn in das Bett des Anderen zu bringen, so zivilisiert sie auch sein mochte.
Doch Omi würde nicht annehmen, nicht heute. Die Unterhaltung mit ihm...vielleicht. Alles, was darüber hinweg ging, nein. Er betrachtete ihn näher, den Mann. Den charmanten Mittvierziger mit vollen, hellbraunen Haaren, die in leichten Wellen nach hinten fielen, ein Gesicht umrahmten, das durch seine beinahe olivefarbigen Teint bestach. Eine sanfte, stetige Bräune. Dazu warme, braune Augen, die im Licht der einzelnen Kerzen wie dunkle, tiefe Bernsteine funkelten, feingliedrige Hände, gepflegt und ansehnlich in ihrem Erscheinungsbild. Alleine die Kleidung unterstrich die mondäne wenngleich vertrauensspendende Erscheinung. Herbstlicher, braun-roter Tweed mit legerem, herbstlaubfarbenen Hemd.
Attraktiv, ohne Zweifel. Wer wusste es schon...vielleicht hätte Omi ihn an einem anderen Tag mit Kusshand genommen, sich ein kleines, entspannendes Stelldichein mit dem Gentleman gegönnt, doch heute war er einfach fasziniert von dessen Ausstrahlung.
"Lasgo. Mein Name ist Lasgo. Freut mich, dich kennen zu lernen!", durchbrach die Honigstimme des Älteren erneut seine Gedanken, ließ ihn für einen Moment die Augenbrauen zusammen ziehen. Lasgo...? Woher kannte er den Namen? Er wusste es nicht mehr. Vielleicht nahm er es auch einfach nur an.
"Omi. Hallo", erwiderte er knapp, aber dennoch freundlich und ließ seine eigene, kleinere Hand in die des Älteren gleiten, verspürte beinahe augenblicklich die sanfte, angenehme Wäre, welche ihm über die Haut des Anderen zuteil wurde.
Omi sah, wie sich winzige Fältchen zu dutzenden um die Mundwinkel und Augen des Anderen wanden, als einziges Altersanzeichen von den Jahren kündeten, die Lasgo schon verlebt haben musste. Sie standen ihm, das stellte der Weiß nun nicht erstaunt und dennoch fasziniert fest. Sie verliehen ihm den Charme des reiferen Alters.
"Was führt dich hierhin, mon petit Omi?", fragte eben dieser nun gelassen und winkte einer der Kellnerinnen, die ihn mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm und ihm bedeutete, noch einen kleinen Moment zu warten. Für Omi der Augenblick, dem älteren Mann ernst in die Augen zu sehen und zu erwidern:
"Ich würde es bevorzugen, die Bezeichnung "klein" nicht in Verbindung meines Namens zu hören. Dankeschön." Er lächelte, doch hinter dieser Geste verbarg sich ein eiserner Wille, ernst genommen zu werden. Er war jung, ja, das wusste er selbst. Doch er war nicht klein. Nicht unerfahren. Nicht naiv. Er war ein Mörder.
"Verzeihung, es lag nicht in meiner Absicht, dich zu beleidigen." Eine Stimme wie die Sonne, wie der Herbst, wie das farbenfrohe Herbstlaub, so kam es Omi jedenfalls vor. Weiche, einladende Klänge, die ihm das Vertrauen in den Menschen vor ihm leichter machten.
Die Kellnerin kam und holte den jungen Weiß ebenso wie sein Gegenüber aus ihren Gedanken, nahm freundlich die Bestellung der Beiden auf. Martini, auf Zimmertemperatur, mit einer entkernten, grünen Olive. Und Wasser. Für ihn und Lasgo.
Omi sah der jungen Japanerin für einen Moment schweigend nach. Sehr elegant gestylt, das musste er ihr lassen. Die schwarzen, beckenlangen Haare zu einem mondänen, puristischen Zopf zusammengebunden, die schmale Gestalt gehüllt in die hier übliche, figurbetonte, weiße Tracht. Eine ärmellose Bluse mit zeitgemäßem, enganliegendem Stehkragen und einen weißen, langen Rock, beides in strengen Formen und Linien geschnitten und maßgeschneidert.
"Darf ich dich dennoch fragen, was ein so junger Mensch hier macht? Noch dazu so melancholisch?", durchbrach Lasgo lächelnd seine Gedanken und berührte ihn leicht an seiner ausgestreckten Hand, ließ Omis Blick damit zu ihm hochfahren. Er entzog sie dem älteren Mann nicht, sondern genoss für einen Moment das Gefühl der angenehmen Wärme auf seiner Haut.
"Schwer zu sagen...der Beruf...die Ruhe...die Atmosphäre hier. Ich brauche das manchmal, um einfach auszuspannen und mich fallen zu lassen." Omi war erstaunt über seine eigene Redseligkeit, wusste jedoch, dass es ganz allein an Lasgo lag, dass er sich so derart gehen ließ. Er vertraute dem Mann, auch wenn er eigentlich gar keinen Grund dazu hatte. Er kannte ihn nicht, wusste rein gar nichts über ihn, doch vielleicht war es genau das, was ihn so faszinierte. Dass er einem Menschen sein Herz ausschütten konnte, der ihn nicht kannte. Mit dem er danach nicht mehr zusammenleben musste. "Und was führt Sie hierher?"
"Aber bitte....nicht so förmlich, ein "du" reicht vollkommen. Es sei denn, ich soll mich noch älter fühlen, als ich es wirklich bin!", zwinkerte dieser und zog sacht seine Hand weg, als die Kellnerin die gewünschten Getränke brachte und sie mit einem kurzen Lächeln betrachtete. Sie beide wussten, wofür die Dame sie unwillkürlich halten musste. Für ein Liebespaar, welches sich vor dem nächtlichen Stelldichein noch einen oder zwei Drinks gönnte. Sowohl Lasgo als auch Omi lächelten kurz zurück, widmeten sich schließlich aber ihrer eigenen Unterhaltung. "Warum ich hier bin? Aus ähnlichen Gründen. Mein Beruf ist recht anstrengend, wenn ich das so sagen kann. Ich leite eine größere Firma mit Außensitzen in der ganzen Welt und bin daher viel unterwegs. Diese Bar ist für mich wie einen kleine Oase in dem ganzen Chaos um mich herum. Besonders dann, wenn es Schwierigkeiten gegeben hat und davon hatte ich in letzter Zeit einige. Aber was ist mit dir? Welcher Beruf kann einen jungen Menschen wie dich dazu treiben, hier Erholung zu suchen?"
Omi musste unwillkürlich schmunzeln. Ja...welcher der beiden Berufe? Der des Mörders oder des Blumenhändlers? "Du wirst lachen...ich arbeite als Florist und betreibe unseren Laden mit ein paar Freunden. Es ist....stressig, um es mal milde auszudrücken, da unser Kundenstamm meist bei den weiblichen Vertretern unserer Spezies liegt. Pubertierenden Mädchen, um genau zu sein", wählte er schließlich die zweite Alternative. Nein, der Mann durfte wirklich nicht alles wissen.
"In einem...Blumenladen?", lachte der ältere Mann tatsächlich wohlklingend leise, deutlich überrascht. "Das ist ungewöhnlich! Wie kommt´s?"
"Es hat sich ganz einfach so ergeben...", log Omi, war sich im gleichen Augenblick jedoch nicht mehr sicher, ob es wirklich eine Lüge war. War es denn nicht wirklich Zufall? Kritiker hätte ihn einfach als Agent arbeiten lassen können, ohne die Nebenbeschäftigung als Florist. "Wir haben uns durch Zufall kennengelernt und das Geschäft eröffnet. Eigentlich eine ganz lustige Geschichte, wenn man darüber nachdenkt." Und wenn man es mit beißendem Sarkasmus nimmt, fügte er stumm für sich hinzu.
"Eigentlich?", griff Lasgo zielsicher den Teil des Satzes auf, den Omi für sich behalten würde, unter allen Umständen. Er hatte es so nonchalant dahin gesagt, mit tieferer Bedeutung, aber nicht wirklich im Glauben, dass es seinem Gegenüber auffallen würde, doch das war es.
"Auch uneigentlich." Omi nahm für einen Augenblick seine nähere Umgebung in Augenschein, ließ seinen Blick über die Menschen gleiten, die sich, wie sie selbst auch, in gedämpfter Lautstärke unterhielten, auch wenn dies eigentlich nicht nötig war. Die niedrigen Glastische standen weit genug auseinander, als dass man sich von seinen direkten Nachbarn hätte gestört fühlen können. Er ließ seinen Blick schließlich zu Lasgo zurückgleiten, lächelte den Mann entschuldigend an. "Sie ist wirklich nichts besonderes."
"Warum erzählst du sie mir nicht trotzdem, hm?"
Omi seufzte. Stimmt, warum eigentlich nicht? Er musste sich ja nicht an die Wahrheit halten, konnte, wenn er wollte, ein kleines, fröhliches Luftschloss um sich, seine Person und ihren Laden sowie seine Teamkollegen bauen, dem anderen Mann die Illusion einer heilen Welt schenken. Sich selbst vielleicht auch, wenn er nun darüber nachdachte.
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Es war immer noch komplett still im Haus. Crawford störte das nicht, ganz im Gegenteil, in diesem Moment war ihm die nächtliche Geräuschlosigkeit mehr als willkommen. Er wusste nicht, wie lange er nun schon wachlag, wie lange er nun versuchte, Schlaf sowie Erholung zu tanken und scheiterte. Es war drei Uhr morgens, der Mond hatte seelenruhig seine Bahn gezogen und sich nicht durch ihn beeindrucken lassen, wie er frustriert und gereizt hineinstarrte.
Seine Wange schmerzte wieder, mehr als je zuvor. Wer war Takatori, dass er es wagte, ihn zu schlagen? Ihn, das Orakel. Er konnte ihn vernichten, wenn er wollte. Mit einem Schlag, ohne Bedenken, ohne Zweifel. Einen anderen Auftraggeber würden sie ohne Zweifel finden, es gab genug Dunkelheit auf dieser Welt, für die sie das Licht ausradieren konnten. Warum also tat er es nicht?
Crawford kannte die Antwort nicht. Zumindest nicht in diesem Augenblick.
Er schälte sich ruckartig, ja schon beinahe hastig aus den Decken und fuhr aus seinem Bett hoch. Ein Fehler, wie ihm eine Sekunden später bewusst wurde, doch keiner, der ihm leid tat. Er musste aus seinem Zimmer heraus, musste diesem abrupten Fluchtdrang nachgeben, der ihn nun erfüllte. War es, weil er sich nicht der Frage nach Takatori stellen wollte? Oder war es, weil er die Enge des Raumes nicht mehr ertrug? Er wusste es nicht.
Sein Unterleib protestierte schmerzhaft, als er sich in die Senkrechte hoch kämpfte und über den kalten Boden zur Tür wankte, sie beinahe nicht erreichte, als seine Knie drohten, unter ihm nachzugeben. Anscheinend war sein Kreislauf ganz und gar nicht mit dieser Anstrengung einverstanden und drohte ihm klar und deutlich, den Dienst zu versagen, sollte er es wagen, in dieser Geschwindigkeit fortzufahren.
Für dieses eine Mal hörte Crawford auf seinen Körper, pausierte für einen Moment an der Tür, ließ das Rauschen in seinen Ohren abklingen, ignorierte seinen sich zusammenkrampfenden Unterleib gleichwie die Schmerzen, die sich von privateren Regionen seines Körpers aus sein Rückenmark entlang zogen.
Er öffnete mit eisernen Willen seine Tür, verließ auf unsicheren Beinen seinen Raum und kämpfte sich mühsam die Treppe ihres Hauses hinab, das so gespenstig ruhig vor ihm lag. Anscheinend war Schuldig nicht da, wie üblich damit beschäftigt, seine Gabe dazu zu nutzen, andere Leute auszuspionieren und schier dämonische Freude dabei zu empfinden, sich über ihr Elend zu amüsieren.
Der Telepath war ein geborener Voyeur. Seine größte Lust zog er aus dem Beobachten, dem Unwissen der Menschen diesem Eindringen in ihre Privatsphäre gegenüber. Und Crawfords größte Befriedigung war es, Schuldig von SEINEN Gedanken abhalten zu können.
Mit größter Kraftanstrengung schaffte er es in die Küche und ließ sich dort vorsichtig auf einen der Stühle gleiten. Licht war nicht nötig, seine Augen hatten sich schon lange zuvor an die Dunkelheit gewöhnt. Crawford hatte es vorher nicht bemerkt oder einfach zurückgedrängt, doch nun, wo er hier den verschiedensten Gerüchen ausgesetzt war, merkte er, dass er seit Tagen nichts Festes mehr zu sich genommen hatte. Aus gutem Grund oder vielmehr aus Angst, welche Schmerzen schließlich daraus resultieren würden. Das und ganz einfach die Tatsache, dass er ohne seine Brille so gut wie blind war. Er hätte also in den meisten Fällen selbst nicht sagen können, was er im Begriff war, zu sich zu nehmen.
Wenn er überhaupt Hunger gehabt hätte.
Crawford ließ seinen Blick suchend über die Tischplatte gleiten und entdeckte nebst dem unüblichen Chaos, welches sein Team in seiner Abwesenheit veranstaltet hatten, die Zeitung vom Tag zuvor. Bisher hatte ihn nichts davon abgehalten, täglich die Schlagzeilen, politischen und wirtschaftlichen Berichte durchzulesen, damit seinen Tag zu beginnen. Doch wann hatte er nun die letzte Zeitung gelesen? Es schien schon so lange her....wenngleich es nur Tage sein konnten.
Seine Finger langten nach eben dieser, zogen das Papier zu sich heran. Er brauchte kein künstliches Licht, seine Augen hatten sich schon lange an den hellen Mondschein gewöhnt. Es war der allgemeine Teil, doch ausreichend für den Anfang. Die tägliche Routine würde sich ab morgen wieder einstellen, nichts würde ihn mehr aus der Bahn werfen, das schwor er sich nun. Er würde jedem zeigen, wer er war und dass man ihm nichts befehlen konnte, dass er sich niemals wieder unterwerfen würde.
Crawford lächelte. Nicht aus Amüsement, sondern weil es für ihn gedacht war, für sich und seine Person. Er lächelte, um zu zeigen, dass er nicht gebrochen war. Er lächelte, um zu zeigen, dass ihm die Ereignisse der vergangenen Tage nichts anhaben konnten. Er lächelte, als Zeichen, dass er bereit war für die Jagd nach Weiß.
Doch nach und nach verschwand eben dieses Lächeln, hinterließ einen bitteren Zug um seinen Mund, den er selbst nicht wahrnahm.
Vielleicht sollte er beginnen, etwas Nahrung zu sich zu nehmen, um seinen Körper nicht noch mehr zu schwächen. Denn auch wenn er den Rat des Arztes bezüglich der Tropfen außer Acht gelassen hatte, so wagte er das beim Essen nun nicht. Doch ein mühsamer Blick in den Kühlschrank ließ ihn sich unwillkürlich fragen, was sein Team in der Zeit ohne ihn gemacht hatte. Da war nichts, was er verwerten konnte. Nichts außer Bier, Hochprozentigem und Sachen, deren Haltbarkeitsdaten jenseits von Gut und Böse wankten. Das Einzige, was er noch verwerten konnte, war ein Paket Milch und die ausschließlich für Nagi reservierten Cornflakes.
Auch gut. Es war zwar nicht das, was er normalerweise zu sich nahm, aber effizient und darauf kam es an. Doch um ehrlich zu sein, schmeckten ihm die langsam weich werdenden Kornflocken überhaupt nicht. Geschweige denn, wie er nachvollziehen konnte, dass Nagi so eine absurde Parodie jeglichen Genusses täglich und das mit Wonne zu sich nahm.
Egal. Es füllt seinen Magen und das begrüßte er in diesem Moment, stillte es doch das schmerzhafte Zusammenziehen seines Bauches. Crawford gähnte ausgiebig, als er eine Seite weiter blätterte, einen Blick in den Kulturteil warf. Zuwenig Schlaf in den letzten Tagen, zu viele Alpträume, zu viele unerwünschte Ereignisse. Dazu kam schließlich noch, dass seine Visionen ausblieben oder ihm gänzlich unwichtige Dinge zeigten. Vor diesem Auftrag hatte er sie bis zu einem gewissen Punkt steuern können, doch diese Fähigkeit war nun total geblockt. Wichtige Sachen wurden ihm gar nicht erst gezeigt, sondern traten nur in den Vordergrund, wenn sie schon geschehen waren.
Wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen war. Wenn Crawford schon unter Lasgo lag.
Das Orakel schloss für einen Augenblick erzürnt seine Augen, als er versuchte, all die unrelevanten Erinnerungen aus seinen Gedanken zu verbannen. Das, was ihm dort widerfahren war, war geschehen und einzig und allein seinem Versagen zuzuführen. Es war Vergangenheit, nichts weiter als verflossene Dinge, die ausschließlich in seiner Erinnerung existierten, warum also maß er selbst ihnen eine solche Relevanz zu?
Was war dieser rein körperliche Schmerz gegenüber der eines gebrochenen Armes? Nichts. Es waren die gleichen Nervenbahnen, über welche die Impulse flossen, die gleichen Rezeptoren, die solch eine Empfindung weiterleiteten. Es war nichts anderes als Schmerz und den hatte er mit den Jahren einfach für sich genutzt, sein Adrenalin aus ihm gezogen. Wieso also wollte ihm das jetzt nicht gelingen?
Besser, er kümmerte sich erst einmal um nichtige Dinge wie den anstehenden, morgigen Einkauf, den wohl oder übel nur er übernehmen konnte. Schuldig damit zu beauftragen, wäre Geldverschwendung, Nagi hatte anderweitig zu tun und Farfarello...
Crawford langte mit zusammengepressten Lippen nach einem der Blätter, die wild verteilt auf dem Tisch ihr Dasein fristeten und suchte schließlich nach einem Stift. Er wusste noch nicht, wie er die morgige Aufgabe bewältigen sollte, doch hatte er sich je geschlagen gegeben? Selbst bei etwas so banalem wie...einkaufen. Die Antwort war nein. Er wusste, wie er sich seinen Körper Untertan machen, wie er ihn in seinen Dienst zwingen konnte.
Genau diese schwache Maschine kämpfte er nun hoch, ließ sie die Schränke durchforsten und feststellen, dass rein gar nichts mehr vorhanden war. Er trieb sie an, weiterzumachen, sich zu bewegen, auch wenn das Schmerz bedeutete. Schmerz, der selbst seinen Geist schwächte.
"Crawford...?"
Der Amerikaner fuhr mit einem Ruck herum, strafte sich innerlich im nächsten Moment selbst für diese Bewegung, zeigte sie doch seinem Gegenüber, wie ungeschützt er sich hier befand. Er hatte die Person nicht kommen hören, wobei doch einige ihrer Treppenstufen, die von ihren persönlichen Gemächern nach unten ins Wohnzimmer und die Küche führten, deutlich quietschten und knarrten, je nachdem welche Kante man traf.
Grelles, kaltes Licht blendete ihn mit einem Schlag, als ihr junger Telekinet seine eigene Sicht optimierte und Crawford damit unmerklich leise aufstöhnen ließ, als seine Sehnerven überreizt gegen den Missbrauch protestierten. Er war kurz davor "Licht aus!" zu befehlen, bevor er sich wieder fassen konnte und seine Lider vorsichtig öffnete, die Helligkeit hineinließ.
Er sah, wie Nagis Blick verwundert auf ihm ruhte, bevor er zum Tisch abschweifte, auf der Packung Cornflakes hängen blieb, die Crawford nur wenige Minuten zuvor für sich beansprucht hatte. Auch wenn Nagi nichts sagte, so wusste der ältere Mann jedoch schon alleine von dessen Gesichtsausdruck, was den Telekineten beschäftigte, welche Frage ihm durch den Kopf schoss.
"Konntest du nicht schlafen?"
Was war das für eine Frage? War die Antwort nicht offensichtlich? Crawford hob zweifelnd eine seiner Augenbrauen, fixierte den Jüngeren kritisch. "Das Gleiche könnte ich dich fragen", erwiderte er nichtssagend und wandte sich schließlich erneut seiner Inventur zu. Nichts. Da war gar nichts. Noch nicht einmal Reis.
Für wenige Momente herrschte Stille in dem geräumigen Raum, als sich Crawford einer Sache bewusst wurde, die ihm vorher vollkommen entgangen war. Er war unbekleidet, zumindest sein Oberkörper und bot dem Jungen somit die beste Aussicht auf seinen Rücken, seinen Brustkorb, seine Arme. Und mit ihnen all die Spuren Lasgos auf ihnen...die kaum verheilten Hämatome, die zornigen, roten Ringe gereizten Fleisches, welche seine Handgelenke umschlossen, die Abschürfungen....
Die Liste der Verletzungen war lang, zu lang, um als einfache Missgeschicke übersehen werden zu können. Schon gar nicht von Nagi, denn auch wenn der Telekinet noch jung war, so war er weder stumpfsinnig noch dumm. Ganz im Gegenteil. Manchmal wies er ein erstaunliches Gespür für seine Mitmenschen auf, auch wenn er dies meist zu verbergen vermochte.
"Was sind das für Verletzungen...Brad?", zeigte eben dieser Junge nun eine beachtliche Nichtexistenz besagter Fähigkeit, veranlasste den Amerikaner dazu, in seinem Tun innezuhalten. Nagi hätte es eigentlich besser wissen sollen, als einen solchen Punkt anzuschneiden.
"Du solltest ins Bett gehen." Es war nicht als guter Ratschlag ausgesprochen, sondern als eiskalter Befehl, den der Schwarzleader seinem Teammitglied gab. Ihm damit deutlich zu verstehen gab, dass der Junge seine Kompetenzen überschritten hatte und das gründlich. Es stimmte, Nagi war mit der Einzige, der ihn Brad nannte und der dies auch nicht bereuen musste. Doch er würde einen derartigen Eingriff in seine Privatsphäre nicht dulden, von keinem.
"Brad...."
"Gute Nacht, Naoe." Die zweite und letzte Warnung.
Nagi gehorchte schließlich, wenn auch zögerlich. Wenigstens einer, der sich nicht über ihn und seinen Willen hinwegsetzte.
~~**~~
"Guten Morgen zusammen!"
Zu sagen, Omi hatte gute Laune, hätte man in diesem Moment als übertrieben bezeichnen können. Dennoch war der junge Weiß deutlich ausgeglichener, sowohl nach außen wie nach innen hin, als sonst. Sein gestriger Abend hatte sich nach endlosen Gesprächen über Gott und die Welt doch noch auf die Nacht ausgeweitet. Er hatte sich Lasgo schließlich geöffnet, hatte ihm zwar nichts über sein jetziges Leben verraten, aber dem Älteren seine Gefühle anvertraut, war ihm im Gegenzug ein ebenso aufmerksamer Zuhörer gewesen. Es war ein angenehmes, ruhiges Gespräch weitab von jeglicher Alltäglichkeit gewesen, die ihn nun mit einem Schlage wieder umgab.
Sie kannten sich nicht, doch wussten sie innerhalb einer Nacht so vieles über den Anderen. Vieles, das noch nicht einmal Omis Team bekannt war. Gut, sie hatten nicht nur geredet, das musste Omi sich eingestehen. Er war seinem Vorhaben untreu geworden, bereute es jedoch nicht im Geringsten.
Der Kaffee samt Frühstück danach war äußerst angenehm gewesen.
"Wo kommst du denn her?", riss ihn Ken aus seinen seichten Gedanken, als er sich einer weiteren Tasse Tee bediente und ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte. Der gute, alte Ken...der Kumpeltyp, gut für müßige Abende, allerdings nicht für viel mehr. Er und Omi waren zwar vom ersten Tag an Freunde gewesen, doch der Jüngere hatte seinen Partner nie wirklich nah an sich und seine Seele herangelassen.
"Ich war....unterwegs", entgegnete Omi und ließ die letzten Worte lasziv auf seiner Zunge zergehen, eine Eigenart, die er vor ein paar Monaten für sich entdeckt hatte. Es war ganz einfach, er senkte einfach die Lautstärke seiner Stimme, ließ sie ein paar Tonlagen tiefer klingen, passte seine Körperhaltung eben diesem Verhalten an. Für diesen Moment projizierte er das Bildnis eines Lolita-Jungen auf seinen Teamkollegen, nicht das des jung-erwachsenen Verführers, dessen er sich in der zurückliegenden Nacht bedient hatte.
Wenngleich man das nicht so sagen konnte. Warum war er mit dem älteren Mann mitgegangen? Nicht, weil er auf ein schnelles Abenteuer aus war, ganz im Gegenteil. Der Sex nach ihrem Gespräch war...erholsam gewesen, ruhig, langsam, vertrauensvoll. Es war kein verschlingender, leidenschaftlicher oder gar gieriger Geschlechtsverkehr gewesen, sondern Hingabe. Nach einem vertrauensvollen Gespräch Hingabe ohne Liebe.
"Du siehst unausgeschlafen aus, Kleiner." Youji. Typisch Youji. Auch der unglückliche Playboy der Truppe reizte Omi wenig. Er mochte ihn, ja, das konnte er nicht bestreiten, sehr gerne sogar. Youji stützte ihn, wo es nur ging. Doch eben nicht genug. Er würde dem dunkelblonden Mann sein Leben anvertrauen, ohne auch nur einen Wimpernschlag zu zögern, doch er ertrug es nicht, dass dieser sein Leid auf ihn projizierte. Davon hatte er selbst schon genug.
"Kein Wunder....ich HABE auch nicht geschlafen, Youji Großer", ahmte er ihn nach und verdrehte spielerisch die Augen. Neugier war der Katze Tod, aber wen wunderte das bei Youji? Als Privatdetektiv gehörte diese Eigenschaft ja schon beinahe zu den Einstellungskriterien.
Omi wandte sich immer noch lächelnd ab und ließ sich auf den einzigen noch freien Stuhl gleiten, den ihre kleine, hell eingerichtete Küche beherbergte. Auch wenn es draußen noch halb dunkel war, so stahlen sich dennoch ein paar vorwitzige, hellrote Streifen des kommenden Sonnenaufgangs in das Panorama ihres Fensters. Es würde ein sonniger Tag werden, laut Wetterbericht. Sonnig und warm, ungewöhnlich warm für den Herbst. Omis Blick fiel auf Aya, der stiller und blasser als sonst sein Interesse in die Zeitung vergraben hatte und sie anscheinend alle ausschloss.
"Nicht gut geschlafen, Aya?", führte Omi das Thema des heutigen Morgens fort und war fest entschlossen, den rothaarigen Mann ebenfalls in ihre sinnlose Unterhaltung einzubinden. Wenn sie schon alle über Belanglosigkeiten redeten, so durfte Aya nicht fehlen, nein.
Natürlich antwortete ihm Schweigen, wie konnte es auch anders sein, doch Omi war nicht gewillt, dieses einfach so hinzunehmen. "Hey, aufwachen!", grinste er und zog den Rand der Zeitung soweit herunter, dass er seinem Gegenüber in die ablehnenden, violetten Augen schauen konnte.
Aya hatte wirklich schlechte Laune heute Morgen. Das sah man ihm außergewöhnlich deutlich an der Nasenspitze an. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn besagtes Körperteil verweigerte bei schlechter Laune jegliche Blutzufuhr und thronte dementsprechend weiß im blassen Gesicht Ayas.
"War die Mission nicht erfolgreich?" Omi wusste nicht, was sonst Ayas Laune hätte verderben können. Anscheinend war irgendetwas vorgefallen, dass dem älteren Assassin nicht passte, vermutlich ein kleines Missgeschick oder ähnliches und das ließ ihn nun brüten. "Gab´s Schwierigkeiten mit dem Zielobjekt?"
Violette Augen richteten sich nun vollster Intensität auf ihn, durchbohrten ihn bis in sein Inneres. Omi wusste nicht, wieso oder woher das kam, doch in letzter Zeit hatte er immer öfter das Gefühl, der Ältere könne ihn durchschauen und das ohne Probleme. Hinter seine Fassade sehen.
"Nicht wirklich. Darf ich jetzt weiterlesen? Danke!" Sehr schlechte Laune. Nicht genießbar. Omi zog sich kopfschüttelnd zurück, wechselte einen kurzen Blick mit den anderen Anwesenden hier im Raum, zuckte ratlos mit den Schultern und begab sich schließlich seufzend in Richtung Treppe. Zeit, etwas Ruhe für sich selbst zu genießen und über die vergangenen Stunden zu reflektieren.
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by Coco
Das zitierte Lied nennt sich "Viva el Amor" von Paola e Chiara. Der zugehörige Text ist unter www.lyrics.de zu finden.
Betadank geht an Caron *huggels* und FB-Dank an Koishii, Koji-chan, Aya-Crawford-chan, Diva, Loul, seya, CaroGOD, raphael und Need ^_^
Also dann, viel Spaß und happy C&Cing!
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Manchmal hasste Manx ihren Job. Besonders dann, wenn sie abends weit entfernt von Dienstschluss noch im Büro saß und die Akten der Mitarbeiter bearbeitete, die sich auf ihrem Schreibtisch stapelten. Gehaltskonten, Missionspläne, Zusammenstellung der Einheiten. All das war ihr Gebiet und all das sorgte mit Regelmäßigkeit dafür, dass sie Unmengen an Geld alleine für Überstunden verdiente.
Was ihr aber im Moment Sorgen bereitete, war das Videoband, das sie sich nun schon zum zehnten Male hintereinander anschaute, es auf Anzeichen überprüfte, die sie auch nun nicht fand. Anzeichen dafür, dass es nicht Abyssinian war, der dort auf der Parkbank saß. Und vor allen Dingen, dass die Person neben ihm nicht sein ursprüngliches Ziel war, welches er eigentlich hatte umbringen sollen.
Lasgo, so hieß der Mann. Ein Drogendealer ohne Gnade, ein abgrundtief böser Mensch. Ein Mann, der nun Ayas Gesicht berührte, ihn zärtlich streichelte. Manx konnte nicht hören, was die Beiden sagten, dafür war ihr Agent viel zu weit weg gewesen, doch es sah mehr als deutlich aus.
Sie hatte es erst nicht glauben wollen, als Birman zu ihr gekommen war und ihr im Vertrauen von der Möglichkeit berichtete hatte, dass Aya sie womöglich betrügen würde. Nein...sie hatte es nicht glauben wollen und dennoch war sie bereit gewesen, den rothaarigen Weiß durch einen ihrer Agenten beschatten zu lassen.
Und nun hefteten sich ihre Augen zum wiederholten Male auf die sich vor ihr abspielenden Bilder, auf den Rotschopf, der sich von dem Mann berühren ließ, auf dessen Konto unzählige Morde gingen, der erbarmungslos Drogen an Kinder verkaufte.
Aya...was denkst du dir bloß dabei?, dachte sie verzweifelt und stützte den Kopf auf ihre Hände. Wieso versagte ausgerechnet Abyssinian? Was dachte er sich dabei, seinen Auftrag nicht auszufüllen? Und so offensichtlich mit dem Mann zu flirten?
Manx griff schweren Herzens zum Telefonhörer. Sie wusste genau, wen sie nun aus dem Bett klingelte und mit diesen unerwarteten, schrecklichen Neuigkeiten konfrontieren musste.
Sie richtete ihren Blick auf die nächtliche Skyline, als sie dem Freizeichen lauschte und wartete, dass jemand abnahm. Was schließlich auch geschah, als sich eine verschlafene, schleppende Männerstimme mit einem knappen "Ja?" meldete und sie zunächst ungehört schlucken ließ. Er musste es wissen, sie konnte es ihm einfach nicht verheimlichen.
"Es gibt ein Problem, Sir", meldete sie sich direkt, ohne ihren Namen zu nennen. Es war auch nicht nötig, denn Manx gehörte nebst Birman zu den einzigen beiden Agenten, die seine Nummer hatten. Für Notfälle wie diesen.
"Manx...ich wünsche Ihnen auch eine schöne Nacht."
Die rothaarige Frau musste unwillkürlich lächeln. Der Charme Persers war selbst durch das Telefon zu hören. Als Gentleman, der er war, zollte er zunächst ihr und ihrer Arbeit Aufmerksamkeit, bevor er schließlich zum eigentlichen Problem kam. "Was gibt es denn?"
"Ich habe Abyssinian überwachen lassen und es sieht so aus, als ob er Feindkontakt hat." Manx spielte schon beinahe nervös mit dem Löffel in ihrem kalten, abgestandenen Kaffee, während sie auf seine Antwort wartete. Wann hatte sie sich ihre allabendliche Koffeinspritze eingeschenkt? Vor vier Stunden? Oder noch länger? Sie wusste es nicht.
Ein unwilliges Brummen antwortete ihr schließlich, als Perser sich unsichtbar für sie selbst erhob und ihr ernst entgegnete:
"Ich komme ins Büro."
Damit legte er auf und ließ eine nachdenkliche Agentin zurück, die sich unwillkürlich fragte, ob sie das Richtige getan oder ob sie vorschnell und unüberlegt gehandelt hatte.
~~**~~
"Voglio crescere nel tuo giradino
troveremo un tempo più sicuro
illumina la mia realtà non abbandonarmi mai..."
Mit einem leisen Summen wiegte sich Omi sacht im Takt der Musik, ließ sich treiben von den melodiösen, weichen Klängen, badete in der kleinen Menge der Bar, in der er sich gerade befand. Es war eines dieser modernen, erst kürzlich fertig gestellten Etablissements über den Dächern von Tokyo, mit Blick auf die nächtlichen Lichter.
Der Raum an sich war in dunklem Weinrot gehalten, an sich sehr puristisch mit wenigen Pflanzen, dafür um so opulenteren Möbelstücken wie edlen, cremefarbenen Ledersesseln und Chaise Longues. Sanftes, warmes Licht erhellte minimal den Raum, während auf jedem der Tische elegante, aber dennoch einfache Kerzenhalter ihren Dienst taten.
Der junge Weiß ließ seinen Blick über die bis auf goldumrandete, prunkvolle Spiegel unbehängte Wand gleiten, taxierte die Menge an Menschen vor ihm ruhig und gelassen. Oberschicht, ohne Zweifel. Die Tokyoter High Society vergnügte sich hier, gönnte sich ein After-Work-Chillout inmitten sanfter, spanischer sowie italienischer Klänge und exotischer Getränke. Westidentifikation, so hieß das Motto hier und schien auch sehr gut zu gefallen.
Omi konnte sich des Reizes dessen nicht aussprechen. Er mochte das Interieur genauso wie die lockere und dennoch zurückhaltende Stimmung der Bar. Kein Wunder, kam er doch so oft hierher, direkt nach der Arbeit um ein wenig Abstand von seinen Teamkollegen und seiner Berufung als Assassin zu gewinnen und sich vom gemäßigten Lärm der anderen Besucher einlullen und treiben zu lassen. Wie oft hatte er schon die Augen geschlossen und sich einfach in dem Murmeln der Menschen um ihn herum treiben lassen?
Er war kein Kind mehr, auch wenn er mit siebzehn für die meisten Personen seines Umfeldes sicherlich noch in diese Alterskategorie gehörte. Doch geistig fühlte er sich wenig geneigt, sich mit Jungen und Mädchen seines Jahrgangs zu umgeben. Er wünschte sich Gesellschaft, ja. Aber jemanden, mit dem er reden, dem er sich anvertrauen konnte. Youji. Gut, der Playboy hatte auch seine hellen Momente. Sogar recht viele, doch er hatte selbst eine Last zu tragen, die Omi ihm nicht abnehmen konnte. Auch wenn seine Freundschaft mit Youji sehr intensiv und außergewöhnlich war, so war Omi nicht in der Lage, gemeinsam mit ihm das Trauma zu bekämpfen, welches wieder und wieder dafür sorgte, dass der ältere Mann schreiend erwachte.
Dafür hatte er viel zu sehr seine eigene Bürde. Die Bürde seiner eigenen Vergangenheit, die Bürde, ein Takatori zu sein, ein uneheliches Kind, das den Hass der Familie auf sich gezogen hatte. Ein Kind, das nur allzu gerne vergessen wurde und dessen sich niemand gekümmert hatte, als es die Hilfe so dringend gebraucht hatte. Ein Kind, das zur Rache groß gezogen wurde.
Auch wenn es nicht so schien, er war sich wohl bewusst, wie weit Kritiker ihn für ihre Zwecke missbrauchte, ihn in ihre Richtung gelenkt hatte. Omi kannte die Gefahr, die für ihn und sein Leben bestand, wenn er auch nur eine der Missionen nicht zu Persers Zufriedenheit erfüllte. Zu sagen, dass es ihn ängstigte, war wohl falsch, denn er kannte es nicht anders, er wusste nun mal nicht, wie ein normales Leben aussah.
All die alltäglichen Dinge, die Schule, die Arbeit, das hier, all das konnte ihn nicht von seiner eigentlichen Aufgabe ablenken. Er tötete Menschen, eine Tatsache, die ihm manches Mal wirklich Probleme bereitete und ihn sich fragen ließ, ob blindwütiger, kompromissloser Hass wie Aya ihn praktizierte, wirklich das Richtige war. Ob diese Fixierung auf nur ein Ziel die beste Möglichkeit war, bei Sinnen zu bleiben?
Das Nicht-Denken, wie ein normales Leben sein könnte?
Oder sollte er jede Möglichkeit, die sich ihm bot, ergreifen und seine Sorgen in Flüssigkeit ertränken, die nur für ein paar Stunden den Schein schöner Unbekümmertheit vortäuschte? So, wie er es heute Abend tat, seinen Cocktail nur halb aufgetrunken und das, obwohl er schon zwei Stunden hier war. Er dachte einfach zuviel, daran lag es vermutlich.
Perser hatte so viele Agenten und nur ihn plagten solche Zweifel, so kam es ihm zuweilen wenigstens vor. Alle schienen ihr Leben akzeptieren zu können, nur er nicht.
Omi seufzte leicht und bewegte sich mit einem abwesenden Lächeln zum Barkeeper ans Fenster. Er wusste, wofür sie ihn hielten. Für den Sohn reicher Eltern, der nichts besseres mit seiner Zeit zu tun hatte, als Geld für einen exklusiven Drink in einer noch exklusiveren Bar auszugeben. Wenn sie wüssten...wenn sie alle hier wüssten....
Der junge Weiß ließ sich auf einem der mondänen Sessel nieder und wandte seinen Blick gen nachtgetauchter Stadt. Was dort unten jetzt wohl vor sich ging? Morde...Akte purer Liebe....Vergewaltigungen....Szenen von glücklichen, normalen Menschen....Raub.....all das verbarg sich in der Dunkelheit, unsichtbar für das ungeübte Auge, doch er....ja ihm entging nichts. Er war der Jäger der Dunkelheit...
...und badete gerade ausgiebig im Selbstmitleid.
"Nanu....um diese Uhrzeit noch so alleine?"
Omi sah betäubt auf. Wer war das? Er hatte keine Lust auf Gesellschaft, nicht heute. Auch wenn ihn diese womöglich von seinen Depressionen weg bringen konnte. Ein kleiner Flirt, ein nettes Gespräch, die obligatorische Tasse Kaffee danach. Alles in allem sehr entspannend. Aber nicht heute.
Er sah auf und begegnete den freundlichen, warmen Augen eines älteren, gut gepflegten und anziehenden Mannes. Anscheinend nicht japanischer Abstammung, des Akzents und den westlichen Gesichtszügen nach zu schließen. Das Lächeln, welches ihm nun entgegengebracht wurde, beruhigte ihn irgendwie, schien perfekt zum sachten Takt der Musik zu harmonieren.
"Ja und ich wäre auch froh, wenn das so bleibt."
Dem anderen Mann schien seine Bemerkung Amüsement verschafft zu haben, denn anders konnte Omi sich das freundliche, warme Lachen nicht erklären. Auch nicht, dass eben diese Person sich nun gegenüber vom ihm niederließ und sich zu ihm hinüberbeugte, während ein feiner, beinahe unmerklicher Hauch Parfums zu ihm hinüber wehte. Eine Mischung aus Lavendel und Vanille...sehr betörend, doch nicht das, was der junge Weiß sich für diesen Abend wünschte.
"Aber aber...mein schöner, junger Mann, schon so einsamkeitsbedürftig? Das ist in deinem Alter aber gar nicht gut", gab der Unbekannte zurück und ließ nun schon zum zweiten Male innerhalb weniger Augenblicke sein warmes, freundliches Lachen erklingen, das Omi nun - wenn auch unbewusst - langsam aber sicherlich in seinen Bann zog. Er war schon oft angesprochen worden, wenn er unterwegs war, nicht hier, in anderen Bars und Clubs, sowohl von Frauen als auch Männern, doch sie waren aufdringlich gewesen und das mochte er nicht. Genauso wenig, wenn ihm jemand schon nach einem minimalen Augenblick zu nahe kam. Und das war hier nicht der Fall. Dieser Mann, wie immer er auch hieß, hielt respektvollen Abstand und wartete höflich auf Antwort. Er versuchte, eine Konversation zu beginnen, die, so wusste Omi, schließlich dazu dienen sollte, ihn in das Bett des Anderen zu bringen, so zivilisiert sie auch sein mochte.
Doch Omi würde nicht annehmen, nicht heute. Die Unterhaltung mit ihm...vielleicht. Alles, was darüber hinweg ging, nein. Er betrachtete ihn näher, den Mann. Den charmanten Mittvierziger mit vollen, hellbraunen Haaren, die in leichten Wellen nach hinten fielen, ein Gesicht umrahmten, das durch seine beinahe olivefarbigen Teint bestach. Eine sanfte, stetige Bräune. Dazu warme, braune Augen, die im Licht der einzelnen Kerzen wie dunkle, tiefe Bernsteine funkelten, feingliedrige Hände, gepflegt und ansehnlich in ihrem Erscheinungsbild. Alleine die Kleidung unterstrich die mondäne wenngleich vertrauensspendende Erscheinung. Herbstlicher, braun-roter Tweed mit legerem, herbstlaubfarbenen Hemd.
Attraktiv, ohne Zweifel. Wer wusste es schon...vielleicht hätte Omi ihn an einem anderen Tag mit Kusshand genommen, sich ein kleines, entspannendes Stelldichein mit dem Gentleman gegönnt, doch heute war er einfach fasziniert von dessen Ausstrahlung.
"Lasgo. Mein Name ist Lasgo. Freut mich, dich kennen zu lernen!", durchbrach die Honigstimme des Älteren erneut seine Gedanken, ließ ihn für einen Moment die Augenbrauen zusammen ziehen. Lasgo...? Woher kannte er den Namen? Er wusste es nicht mehr. Vielleicht nahm er es auch einfach nur an.
"Omi. Hallo", erwiderte er knapp, aber dennoch freundlich und ließ seine eigene, kleinere Hand in die des Älteren gleiten, verspürte beinahe augenblicklich die sanfte, angenehme Wäre, welche ihm über die Haut des Anderen zuteil wurde.
Omi sah, wie sich winzige Fältchen zu dutzenden um die Mundwinkel und Augen des Anderen wanden, als einziges Altersanzeichen von den Jahren kündeten, die Lasgo schon verlebt haben musste. Sie standen ihm, das stellte der Weiß nun nicht erstaunt und dennoch fasziniert fest. Sie verliehen ihm den Charme des reiferen Alters.
"Was führt dich hierhin, mon petit Omi?", fragte eben dieser nun gelassen und winkte einer der Kellnerinnen, die ihn mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm und ihm bedeutete, noch einen kleinen Moment zu warten. Für Omi der Augenblick, dem älteren Mann ernst in die Augen zu sehen und zu erwidern:
"Ich würde es bevorzugen, die Bezeichnung "klein" nicht in Verbindung meines Namens zu hören. Dankeschön." Er lächelte, doch hinter dieser Geste verbarg sich ein eiserner Wille, ernst genommen zu werden. Er war jung, ja, das wusste er selbst. Doch er war nicht klein. Nicht unerfahren. Nicht naiv. Er war ein Mörder.
"Verzeihung, es lag nicht in meiner Absicht, dich zu beleidigen." Eine Stimme wie die Sonne, wie der Herbst, wie das farbenfrohe Herbstlaub, so kam es Omi jedenfalls vor. Weiche, einladende Klänge, die ihm das Vertrauen in den Menschen vor ihm leichter machten.
Die Kellnerin kam und holte den jungen Weiß ebenso wie sein Gegenüber aus ihren Gedanken, nahm freundlich die Bestellung der Beiden auf. Martini, auf Zimmertemperatur, mit einer entkernten, grünen Olive. Und Wasser. Für ihn und Lasgo.
Omi sah der jungen Japanerin für einen Moment schweigend nach. Sehr elegant gestylt, das musste er ihr lassen. Die schwarzen, beckenlangen Haare zu einem mondänen, puristischen Zopf zusammengebunden, die schmale Gestalt gehüllt in die hier übliche, figurbetonte, weiße Tracht. Eine ärmellose Bluse mit zeitgemäßem, enganliegendem Stehkragen und einen weißen, langen Rock, beides in strengen Formen und Linien geschnitten und maßgeschneidert.
"Darf ich dich dennoch fragen, was ein so junger Mensch hier macht? Noch dazu so melancholisch?", durchbrach Lasgo lächelnd seine Gedanken und berührte ihn leicht an seiner ausgestreckten Hand, ließ Omis Blick damit zu ihm hochfahren. Er entzog sie dem älteren Mann nicht, sondern genoss für einen Moment das Gefühl der angenehmen Wärme auf seiner Haut.
"Schwer zu sagen...der Beruf...die Ruhe...die Atmosphäre hier. Ich brauche das manchmal, um einfach auszuspannen und mich fallen zu lassen." Omi war erstaunt über seine eigene Redseligkeit, wusste jedoch, dass es ganz allein an Lasgo lag, dass er sich so derart gehen ließ. Er vertraute dem Mann, auch wenn er eigentlich gar keinen Grund dazu hatte. Er kannte ihn nicht, wusste rein gar nichts über ihn, doch vielleicht war es genau das, was ihn so faszinierte. Dass er einem Menschen sein Herz ausschütten konnte, der ihn nicht kannte. Mit dem er danach nicht mehr zusammenleben musste. "Und was führt Sie hierher?"
"Aber bitte....nicht so förmlich, ein "du" reicht vollkommen. Es sei denn, ich soll mich noch älter fühlen, als ich es wirklich bin!", zwinkerte dieser und zog sacht seine Hand weg, als die Kellnerin die gewünschten Getränke brachte und sie mit einem kurzen Lächeln betrachtete. Sie beide wussten, wofür die Dame sie unwillkürlich halten musste. Für ein Liebespaar, welches sich vor dem nächtlichen Stelldichein noch einen oder zwei Drinks gönnte. Sowohl Lasgo als auch Omi lächelten kurz zurück, widmeten sich schließlich aber ihrer eigenen Unterhaltung. "Warum ich hier bin? Aus ähnlichen Gründen. Mein Beruf ist recht anstrengend, wenn ich das so sagen kann. Ich leite eine größere Firma mit Außensitzen in der ganzen Welt und bin daher viel unterwegs. Diese Bar ist für mich wie einen kleine Oase in dem ganzen Chaos um mich herum. Besonders dann, wenn es Schwierigkeiten gegeben hat und davon hatte ich in letzter Zeit einige. Aber was ist mit dir? Welcher Beruf kann einen jungen Menschen wie dich dazu treiben, hier Erholung zu suchen?"
Omi musste unwillkürlich schmunzeln. Ja...welcher der beiden Berufe? Der des Mörders oder des Blumenhändlers? "Du wirst lachen...ich arbeite als Florist und betreibe unseren Laden mit ein paar Freunden. Es ist....stressig, um es mal milde auszudrücken, da unser Kundenstamm meist bei den weiblichen Vertretern unserer Spezies liegt. Pubertierenden Mädchen, um genau zu sein", wählte er schließlich die zweite Alternative. Nein, der Mann durfte wirklich nicht alles wissen.
"In einem...Blumenladen?", lachte der ältere Mann tatsächlich wohlklingend leise, deutlich überrascht. "Das ist ungewöhnlich! Wie kommt´s?"
"Es hat sich ganz einfach so ergeben...", log Omi, war sich im gleichen Augenblick jedoch nicht mehr sicher, ob es wirklich eine Lüge war. War es denn nicht wirklich Zufall? Kritiker hätte ihn einfach als Agent arbeiten lassen können, ohne die Nebenbeschäftigung als Florist. "Wir haben uns durch Zufall kennengelernt und das Geschäft eröffnet. Eigentlich eine ganz lustige Geschichte, wenn man darüber nachdenkt." Und wenn man es mit beißendem Sarkasmus nimmt, fügte er stumm für sich hinzu.
"Eigentlich?", griff Lasgo zielsicher den Teil des Satzes auf, den Omi für sich behalten würde, unter allen Umständen. Er hatte es so nonchalant dahin gesagt, mit tieferer Bedeutung, aber nicht wirklich im Glauben, dass es seinem Gegenüber auffallen würde, doch das war es.
"Auch uneigentlich." Omi nahm für einen Augenblick seine nähere Umgebung in Augenschein, ließ seinen Blick über die Menschen gleiten, die sich, wie sie selbst auch, in gedämpfter Lautstärke unterhielten, auch wenn dies eigentlich nicht nötig war. Die niedrigen Glastische standen weit genug auseinander, als dass man sich von seinen direkten Nachbarn hätte gestört fühlen können. Er ließ seinen Blick schließlich zu Lasgo zurückgleiten, lächelte den Mann entschuldigend an. "Sie ist wirklich nichts besonderes."
"Warum erzählst du sie mir nicht trotzdem, hm?"
Omi seufzte. Stimmt, warum eigentlich nicht? Er musste sich ja nicht an die Wahrheit halten, konnte, wenn er wollte, ein kleines, fröhliches Luftschloss um sich, seine Person und ihren Laden sowie seine Teamkollegen bauen, dem anderen Mann die Illusion einer heilen Welt schenken. Sich selbst vielleicht auch, wenn er nun darüber nachdachte.
~~**~~
Es war immer noch komplett still im Haus. Crawford störte das nicht, ganz im Gegenteil, in diesem Moment war ihm die nächtliche Geräuschlosigkeit mehr als willkommen. Er wusste nicht, wie lange er nun schon wachlag, wie lange er nun versuchte, Schlaf sowie Erholung zu tanken und scheiterte. Es war drei Uhr morgens, der Mond hatte seelenruhig seine Bahn gezogen und sich nicht durch ihn beeindrucken lassen, wie er frustriert und gereizt hineinstarrte.
Seine Wange schmerzte wieder, mehr als je zuvor. Wer war Takatori, dass er es wagte, ihn zu schlagen? Ihn, das Orakel. Er konnte ihn vernichten, wenn er wollte. Mit einem Schlag, ohne Bedenken, ohne Zweifel. Einen anderen Auftraggeber würden sie ohne Zweifel finden, es gab genug Dunkelheit auf dieser Welt, für die sie das Licht ausradieren konnten. Warum also tat er es nicht?
Crawford kannte die Antwort nicht. Zumindest nicht in diesem Augenblick.
Er schälte sich ruckartig, ja schon beinahe hastig aus den Decken und fuhr aus seinem Bett hoch. Ein Fehler, wie ihm eine Sekunden später bewusst wurde, doch keiner, der ihm leid tat. Er musste aus seinem Zimmer heraus, musste diesem abrupten Fluchtdrang nachgeben, der ihn nun erfüllte. War es, weil er sich nicht der Frage nach Takatori stellen wollte? Oder war es, weil er die Enge des Raumes nicht mehr ertrug? Er wusste es nicht.
Sein Unterleib protestierte schmerzhaft, als er sich in die Senkrechte hoch kämpfte und über den kalten Boden zur Tür wankte, sie beinahe nicht erreichte, als seine Knie drohten, unter ihm nachzugeben. Anscheinend war sein Kreislauf ganz und gar nicht mit dieser Anstrengung einverstanden und drohte ihm klar und deutlich, den Dienst zu versagen, sollte er es wagen, in dieser Geschwindigkeit fortzufahren.
Für dieses eine Mal hörte Crawford auf seinen Körper, pausierte für einen Moment an der Tür, ließ das Rauschen in seinen Ohren abklingen, ignorierte seinen sich zusammenkrampfenden Unterleib gleichwie die Schmerzen, die sich von privateren Regionen seines Körpers aus sein Rückenmark entlang zogen.
Er öffnete mit eisernen Willen seine Tür, verließ auf unsicheren Beinen seinen Raum und kämpfte sich mühsam die Treppe ihres Hauses hinab, das so gespenstig ruhig vor ihm lag. Anscheinend war Schuldig nicht da, wie üblich damit beschäftigt, seine Gabe dazu zu nutzen, andere Leute auszuspionieren und schier dämonische Freude dabei zu empfinden, sich über ihr Elend zu amüsieren.
Der Telepath war ein geborener Voyeur. Seine größte Lust zog er aus dem Beobachten, dem Unwissen der Menschen diesem Eindringen in ihre Privatsphäre gegenüber. Und Crawfords größte Befriedigung war es, Schuldig von SEINEN Gedanken abhalten zu können.
Mit größter Kraftanstrengung schaffte er es in die Küche und ließ sich dort vorsichtig auf einen der Stühle gleiten. Licht war nicht nötig, seine Augen hatten sich schon lange zuvor an die Dunkelheit gewöhnt. Crawford hatte es vorher nicht bemerkt oder einfach zurückgedrängt, doch nun, wo er hier den verschiedensten Gerüchen ausgesetzt war, merkte er, dass er seit Tagen nichts Festes mehr zu sich genommen hatte. Aus gutem Grund oder vielmehr aus Angst, welche Schmerzen schließlich daraus resultieren würden. Das und ganz einfach die Tatsache, dass er ohne seine Brille so gut wie blind war. Er hätte also in den meisten Fällen selbst nicht sagen können, was er im Begriff war, zu sich zu nehmen.
Wenn er überhaupt Hunger gehabt hätte.
Crawford ließ seinen Blick suchend über die Tischplatte gleiten und entdeckte nebst dem unüblichen Chaos, welches sein Team in seiner Abwesenheit veranstaltet hatten, die Zeitung vom Tag zuvor. Bisher hatte ihn nichts davon abgehalten, täglich die Schlagzeilen, politischen und wirtschaftlichen Berichte durchzulesen, damit seinen Tag zu beginnen. Doch wann hatte er nun die letzte Zeitung gelesen? Es schien schon so lange her....wenngleich es nur Tage sein konnten.
Seine Finger langten nach eben dieser, zogen das Papier zu sich heran. Er brauchte kein künstliches Licht, seine Augen hatten sich schon lange an den hellen Mondschein gewöhnt. Es war der allgemeine Teil, doch ausreichend für den Anfang. Die tägliche Routine würde sich ab morgen wieder einstellen, nichts würde ihn mehr aus der Bahn werfen, das schwor er sich nun. Er würde jedem zeigen, wer er war und dass man ihm nichts befehlen konnte, dass er sich niemals wieder unterwerfen würde.
Crawford lächelte. Nicht aus Amüsement, sondern weil es für ihn gedacht war, für sich und seine Person. Er lächelte, um zu zeigen, dass er nicht gebrochen war. Er lächelte, um zu zeigen, dass ihm die Ereignisse der vergangenen Tage nichts anhaben konnten. Er lächelte, als Zeichen, dass er bereit war für die Jagd nach Weiß.
Doch nach und nach verschwand eben dieses Lächeln, hinterließ einen bitteren Zug um seinen Mund, den er selbst nicht wahrnahm.
Vielleicht sollte er beginnen, etwas Nahrung zu sich zu nehmen, um seinen Körper nicht noch mehr zu schwächen. Denn auch wenn er den Rat des Arztes bezüglich der Tropfen außer Acht gelassen hatte, so wagte er das beim Essen nun nicht. Doch ein mühsamer Blick in den Kühlschrank ließ ihn sich unwillkürlich fragen, was sein Team in der Zeit ohne ihn gemacht hatte. Da war nichts, was er verwerten konnte. Nichts außer Bier, Hochprozentigem und Sachen, deren Haltbarkeitsdaten jenseits von Gut und Böse wankten. Das Einzige, was er noch verwerten konnte, war ein Paket Milch und die ausschließlich für Nagi reservierten Cornflakes.
Auch gut. Es war zwar nicht das, was er normalerweise zu sich nahm, aber effizient und darauf kam es an. Doch um ehrlich zu sein, schmeckten ihm die langsam weich werdenden Kornflocken überhaupt nicht. Geschweige denn, wie er nachvollziehen konnte, dass Nagi so eine absurde Parodie jeglichen Genusses täglich und das mit Wonne zu sich nahm.
Egal. Es füllt seinen Magen und das begrüßte er in diesem Moment, stillte es doch das schmerzhafte Zusammenziehen seines Bauches. Crawford gähnte ausgiebig, als er eine Seite weiter blätterte, einen Blick in den Kulturteil warf. Zuwenig Schlaf in den letzten Tagen, zu viele Alpträume, zu viele unerwünschte Ereignisse. Dazu kam schließlich noch, dass seine Visionen ausblieben oder ihm gänzlich unwichtige Dinge zeigten. Vor diesem Auftrag hatte er sie bis zu einem gewissen Punkt steuern können, doch diese Fähigkeit war nun total geblockt. Wichtige Sachen wurden ihm gar nicht erst gezeigt, sondern traten nur in den Vordergrund, wenn sie schon geschehen waren.
Wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen war. Wenn Crawford schon unter Lasgo lag.
Das Orakel schloss für einen Augenblick erzürnt seine Augen, als er versuchte, all die unrelevanten Erinnerungen aus seinen Gedanken zu verbannen. Das, was ihm dort widerfahren war, war geschehen und einzig und allein seinem Versagen zuzuführen. Es war Vergangenheit, nichts weiter als verflossene Dinge, die ausschließlich in seiner Erinnerung existierten, warum also maß er selbst ihnen eine solche Relevanz zu?
Was war dieser rein körperliche Schmerz gegenüber der eines gebrochenen Armes? Nichts. Es waren die gleichen Nervenbahnen, über welche die Impulse flossen, die gleichen Rezeptoren, die solch eine Empfindung weiterleiteten. Es war nichts anderes als Schmerz und den hatte er mit den Jahren einfach für sich genutzt, sein Adrenalin aus ihm gezogen. Wieso also wollte ihm das jetzt nicht gelingen?
Besser, er kümmerte sich erst einmal um nichtige Dinge wie den anstehenden, morgigen Einkauf, den wohl oder übel nur er übernehmen konnte. Schuldig damit zu beauftragen, wäre Geldverschwendung, Nagi hatte anderweitig zu tun und Farfarello...
Crawford langte mit zusammengepressten Lippen nach einem der Blätter, die wild verteilt auf dem Tisch ihr Dasein fristeten und suchte schließlich nach einem Stift. Er wusste noch nicht, wie er die morgige Aufgabe bewältigen sollte, doch hatte er sich je geschlagen gegeben? Selbst bei etwas so banalem wie...einkaufen. Die Antwort war nein. Er wusste, wie er sich seinen Körper Untertan machen, wie er ihn in seinen Dienst zwingen konnte.
Genau diese schwache Maschine kämpfte er nun hoch, ließ sie die Schränke durchforsten und feststellen, dass rein gar nichts mehr vorhanden war. Er trieb sie an, weiterzumachen, sich zu bewegen, auch wenn das Schmerz bedeutete. Schmerz, der selbst seinen Geist schwächte.
"Crawford...?"
Der Amerikaner fuhr mit einem Ruck herum, strafte sich innerlich im nächsten Moment selbst für diese Bewegung, zeigte sie doch seinem Gegenüber, wie ungeschützt er sich hier befand. Er hatte die Person nicht kommen hören, wobei doch einige ihrer Treppenstufen, die von ihren persönlichen Gemächern nach unten ins Wohnzimmer und die Küche führten, deutlich quietschten und knarrten, je nachdem welche Kante man traf.
Grelles, kaltes Licht blendete ihn mit einem Schlag, als ihr junger Telekinet seine eigene Sicht optimierte und Crawford damit unmerklich leise aufstöhnen ließ, als seine Sehnerven überreizt gegen den Missbrauch protestierten. Er war kurz davor "Licht aus!" zu befehlen, bevor er sich wieder fassen konnte und seine Lider vorsichtig öffnete, die Helligkeit hineinließ.
Er sah, wie Nagis Blick verwundert auf ihm ruhte, bevor er zum Tisch abschweifte, auf der Packung Cornflakes hängen blieb, die Crawford nur wenige Minuten zuvor für sich beansprucht hatte. Auch wenn Nagi nichts sagte, so wusste der ältere Mann jedoch schon alleine von dessen Gesichtsausdruck, was den Telekineten beschäftigte, welche Frage ihm durch den Kopf schoss.
"Konntest du nicht schlafen?"
Was war das für eine Frage? War die Antwort nicht offensichtlich? Crawford hob zweifelnd eine seiner Augenbrauen, fixierte den Jüngeren kritisch. "Das Gleiche könnte ich dich fragen", erwiderte er nichtssagend und wandte sich schließlich erneut seiner Inventur zu. Nichts. Da war gar nichts. Noch nicht einmal Reis.
Für wenige Momente herrschte Stille in dem geräumigen Raum, als sich Crawford einer Sache bewusst wurde, die ihm vorher vollkommen entgangen war. Er war unbekleidet, zumindest sein Oberkörper und bot dem Jungen somit die beste Aussicht auf seinen Rücken, seinen Brustkorb, seine Arme. Und mit ihnen all die Spuren Lasgos auf ihnen...die kaum verheilten Hämatome, die zornigen, roten Ringe gereizten Fleisches, welche seine Handgelenke umschlossen, die Abschürfungen....
Die Liste der Verletzungen war lang, zu lang, um als einfache Missgeschicke übersehen werden zu können. Schon gar nicht von Nagi, denn auch wenn der Telekinet noch jung war, so war er weder stumpfsinnig noch dumm. Ganz im Gegenteil. Manchmal wies er ein erstaunliches Gespür für seine Mitmenschen auf, auch wenn er dies meist zu verbergen vermochte.
"Was sind das für Verletzungen...Brad?", zeigte eben dieser Junge nun eine beachtliche Nichtexistenz besagter Fähigkeit, veranlasste den Amerikaner dazu, in seinem Tun innezuhalten. Nagi hätte es eigentlich besser wissen sollen, als einen solchen Punkt anzuschneiden.
"Du solltest ins Bett gehen." Es war nicht als guter Ratschlag ausgesprochen, sondern als eiskalter Befehl, den der Schwarzleader seinem Teammitglied gab. Ihm damit deutlich zu verstehen gab, dass der Junge seine Kompetenzen überschritten hatte und das gründlich. Es stimmte, Nagi war mit der Einzige, der ihn Brad nannte und der dies auch nicht bereuen musste. Doch er würde einen derartigen Eingriff in seine Privatsphäre nicht dulden, von keinem.
"Brad...."
"Gute Nacht, Naoe." Die zweite und letzte Warnung.
Nagi gehorchte schließlich, wenn auch zögerlich. Wenigstens einer, der sich nicht über ihn und seinen Willen hinwegsetzte.
~~**~~
"Guten Morgen zusammen!"
Zu sagen, Omi hatte gute Laune, hätte man in diesem Moment als übertrieben bezeichnen können. Dennoch war der junge Weiß deutlich ausgeglichener, sowohl nach außen wie nach innen hin, als sonst. Sein gestriger Abend hatte sich nach endlosen Gesprächen über Gott und die Welt doch noch auf die Nacht ausgeweitet. Er hatte sich Lasgo schließlich geöffnet, hatte ihm zwar nichts über sein jetziges Leben verraten, aber dem Älteren seine Gefühle anvertraut, war ihm im Gegenzug ein ebenso aufmerksamer Zuhörer gewesen. Es war ein angenehmes, ruhiges Gespräch weitab von jeglicher Alltäglichkeit gewesen, die ihn nun mit einem Schlage wieder umgab.
Sie kannten sich nicht, doch wussten sie innerhalb einer Nacht so vieles über den Anderen. Vieles, das noch nicht einmal Omis Team bekannt war. Gut, sie hatten nicht nur geredet, das musste Omi sich eingestehen. Er war seinem Vorhaben untreu geworden, bereute es jedoch nicht im Geringsten.
Der Kaffee samt Frühstück danach war äußerst angenehm gewesen.
"Wo kommst du denn her?", riss ihn Ken aus seinen seichten Gedanken, als er sich einer weiteren Tasse Tee bediente und ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte. Der gute, alte Ken...der Kumpeltyp, gut für müßige Abende, allerdings nicht für viel mehr. Er und Omi waren zwar vom ersten Tag an Freunde gewesen, doch der Jüngere hatte seinen Partner nie wirklich nah an sich und seine Seele herangelassen.
"Ich war....unterwegs", entgegnete Omi und ließ die letzten Worte lasziv auf seiner Zunge zergehen, eine Eigenart, die er vor ein paar Monaten für sich entdeckt hatte. Es war ganz einfach, er senkte einfach die Lautstärke seiner Stimme, ließ sie ein paar Tonlagen tiefer klingen, passte seine Körperhaltung eben diesem Verhalten an. Für diesen Moment projizierte er das Bildnis eines Lolita-Jungen auf seinen Teamkollegen, nicht das des jung-erwachsenen Verführers, dessen er sich in der zurückliegenden Nacht bedient hatte.
Wenngleich man das nicht so sagen konnte. Warum war er mit dem älteren Mann mitgegangen? Nicht, weil er auf ein schnelles Abenteuer aus war, ganz im Gegenteil. Der Sex nach ihrem Gespräch war...erholsam gewesen, ruhig, langsam, vertrauensvoll. Es war kein verschlingender, leidenschaftlicher oder gar gieriger Geschlechtsverkehr gewesen, sondern Hingabe. Nach einem vertrauensvollen Gespräch Hingabe ohne Liebe.
"Du siehst unausgeschlafen aus, Kleiner." Youji. Typisch Youji. Auch der unglückliche Playboy der Truppe reizte Omi wenig. Er mochte ihn, ja, das konnte er nicht bestreiten, sehr gerne sogar. Youji stützte ihn, wo es nur ging. Doch eben nicht genug. Er würde dem dunkelblonden Mann sein Leben anvertrauen, ohne auch nur einen Wimpernschlag zu zögern, doch er ertrug es nicht, dass dieser sein Leid auf ihn projizierte. Davon hatte er selbst schon genug.
"Kein Wunder....ich HABE auch nicht geschlafen, Youji Großer", ahmte er ihn nach und verdrehte spielerisch die Augen. Neugier war der Katze Tod, aber wen wunderte das bei Youji? Als Privatdetektiv gehörte diese Eigenschaft ja schon beinahe zu den Einstellungskriterien.
Omi wandte sich immer noch lächelnd ab und ließ sich auf den einzigen noch freien Stuhl gleiten, den ihre kleine, hell eingerichtete Küche beherbergte. Auch wenn es draußen noch halb dunkel war, so stahlen sich dennoch ein paar vorwitzige, hellrote Streifen des kommenden Sonnenaufgangs in das Panorama ihres Fensters. Es würde ein sonniger Tag werden, laut Wetterbericht. Sonnig und warm, ungewöhnlich warm für den Herbst. Omis Blick fiel auf Aya, der stiller und blasser als sonst sein Interesse in die Zeitung vergraben hatte und sie anscheinend alle ausschloss.
"Nicht gut geschlafen, Aya?", führte Omi das Thema des heutigen Morgens fort und war fest entschlossen, den rothaarigen Mann ebenfalls in ihre sinnlose Unterhaltung einzubinden. Wenn sie schon alle über Belanglosigkeiten redeten, so durfte Aya nicht fehlen, nein.
Natürlich antwortete ihm Schweigen, wie konnte es auch anders sein, doch Omi war nicht gewillt, dieses einfach so hinzunehmen. "Hey, aufwachen!", grinste er und zog den Rand der Zeitung soweit herunter, dass er seinem Gegenüber in die ablehnenden, violetten Augen schauen konnte.
Aya hatte wirklich schlechte Laune heute Morgen. Das sah man ihm außergewöhnlich deutlich an der Nasenspitze an. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn besagtes Körperteil verweigerte bei schlechter Laune jegliche Blutzufuhr und thronte dementsprechend weiß im blassen Gesicht Ayas.
"War die Mission nicht erfolgreich?" Omi wusste nicht, was sonst Ayas Laune hätte verderben können. Anscheinend war irgendetwas vorgefallen, dass dem älteren Assassin nicht passte, vermutlich ein kleines Missgeschick oder ähnliches und das ließ ihn nun brüten. "Gab´s Schwierigkeiten mit dem Zielobjekt?"
Violette Augen richteten sich nun vollster Intensität auf ihn, durchbohrten ihn bis in sein Inneres. Omi wusste nicht, wieso oder woher das kam, doch in letzter Zeit hatte er immer öfter das Gefühl, der Ältere könne ihn durchschauen und das ohne Probleme. Hinter seine Fassade sehen.
"Nicht wirklich. Darf ich jetzt weiterlesen? Danke!" Sehr schlechte Laune. Nicht genießbar. Omi zog sich kopfschüttelnd zurück, wechselte einen kurzen Blick mit den anderen Anwesenden hier im Raum, zuckte ratlos mit den Schultern und begab sich schließlich seufzend in Richtung Treppe. Zeit, etwas Ruhe für sich selbst zu genießen und über die vergangenen Stunden zu reflektieren.
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by Coco
Das zitierte Lied nennt sich "Viva el Amor" von Paola e Chiara. Der zugehörige Text ist unter www.lyrics.de zu finden.
