A/N: Hallo zusammen! Ja...ich weiß. Der neue Teil hat viel zu lange gedauert. DOCH....es war ja auch zu heiß dafür...nun aber hat meteorologisch gesehen der Herbst angefangen und damit ist meine Lust zu schreiben auch wieder vorhanden. Bunte Blätter, grauer Himmel, länger werdende Nächte....alles wunderbar. ^_^
Dank geht dieses Mal an Caro, Loul, Need, Koji-chan, Ne-chan und Gadre-el!^_^ Ebenso Dank an Caron für das schnelle Beta, auch wenn ich mich in zwei Hauptpunkten dieses Mal nicht daran gehalten habe.
Also dann, viel Spaß beim Lesen und happy C&Cing!
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"Wir wissen nicht, wie lange das nun schon so geht, aber wir vermuten, dass es seit letzter Mission ist. Alle Informationen über Ayas Handlungen weisen deutlich darauf hin, dass er bestochen wurde und damit seinen Auftrag nicht dem Vertrag entsprechend erfüllt hat. Eine Zielperson leben zu lassen und nachher sogar noch Kontakt mit ihr zu halten, ist Verrat der schlimmsten Sorte. Nichts, was Perser so einfach durchgehen lassen kann."
Birman ließ ihre Worte für einen Moment sinken, betrachtete die Gesichter der übrigen drei Weiß mit Wohlwollen. Sie waren entsetzt über den "Verrat" ihres Freundes, über dessen abrupten Meinungswechsel. Sie glaubten ihr, als sie ihnen sagte, dass es Aya war, der freiwillig zu seinem Opfer gekommen war, um ihm einen Handel vorzuschlagen.
Auch wenn sie den älteren Mann nie gesehen hatten, so glaubten sie ihr, ohne, dass sie ihnen das Videoband gezeigt hatte. Die damalige Mission war einzig und allein für Aya bestimmt gewesen und das aus gutem Grund. Doch anstelle sich an Crawford zu rächen, wie sie es erst angenommen hatte, zeigte der seinem Hass sonst so sklavisch ergebene Abyssinian unerwartete Gnade und Milde. Für den Mann, der seine Familie auf dem Gewissen hatte.
Sie hatte ihm einen Gefallen tun, ihn schließlich von Lasgos und ihrer Absicht überzeugen wollen, doch so ging es nicht. Nicht, wenn Aya sich gegen sie auflehnte. Nicht, wenn er sich ihnen verweigerte. So war sein Wissen über ihre Verbindung zu Lasgo zu gefährlich, als dass sie ihn ohne etwas dagegen zu unternehmen weiter leben lassen konnte. Und was war da besser, als ihn von Weiß erledigen zu lassen?
"Vielleicht wird er dazu gezwungen...", holte der Jüngste, Bombay, sie aus ihren Gedanken und ließ sie gespielt nachdenklich aufsehen. Sie kräuselte ihre Stirn, vertuschte somit den wahren Mittelpunkt ihres Interesses. Omi Tsukiyono...Takatoris direkter Verwandter und Persers Sohn. Ein kleiner, dummer Junge ohne eigenes Leben, dazu aufgezogen, zu töten und zu dienen. Er würde ihr niemals abtrünnig werden, genauso wenig wie er niemals aufhören würde, an den Sieg des Guten in der Welt zu glauben.
Lasgo hatte sich des Jungen bemächtigt, aus einfacher Lust an einem nächtlichen Stelldichein. Anscheinend war es sehr anregend gewesen, eine willkommene Abwechslung zum eigentlichen Vorhaben des älteren Mannes. Auch wenn dieser ihm gewachsene Bettgefährten bevorzugte, hatte er die zärtlichen Stunden mit dem jungen Weiß genossen, wie Omi auch. Vergewaltigung war eben nicht immer das Richtige.
Bei Crawford allerdings schon.
Birman lächelte unbewusst, als sie sich die wenigen Bilder des Schwarz in Erinnerung rief. Wie er vor ihr lag, hilflos, allem beraubt, seiner Würde, seinem Stolz, seiner freien Entscheidung. Wie er von ach so schwachen Menschen missbraucht wurde. Ihr Teil an der Vergewaltigung war gering gewesen, doch das würde sich noch ändern. Lasgo und sie selbst waren noch lange nicht fertig mit ihrem Opfer, noch lange nicht...
Sie würden ihre Netze spinnen und langsam aber sicher die Fäden zuziehen. Ein Mosaikstein nach dem anderen würde sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen und schließlich kein Entkommen ermöglichen. Jeder der hier Anweseden würde seinen Teil zu ihrem Endsieg beitragen und sie - wenn auch unbewusst - bei der systematischen Zerstörung von Schwarz unterstützen.
"Birman?" Ach ja....man erwartete eine Antwort von ihr. Dummes Weiß...alle miteinander. Sie waren Marionetten, nichts weiter als Befehle in dumpfer Art und Weise auszuführen. Zu töten wie willige Schoßhunde, die nach langersehnten Blut lechzten. Sie ahnten noch nicht einmal, welches Spiel sie trieb. Nicht in Ansätzen...
"Nein...ich denke nicht. Aber Perser hat angeordnet, dass ihr ihn beobachtet, auf eventuelle Auffälligkeiten achtet, die sich an seinem Verhalten zeigen. Wir können es uns nicht leisten, einen so fähigen Mann wie Aya zu verlieren, daher wollen wir ganz sicher sein, dass er uns auch wirklich hintergeht. Youji, ich möchte, dass du während eurer Missionen ein Auge auf ihn hast, ganz einfach, weil du am Nächsten mit ihm zusammenarbeitest. Omi, du beschattest ihn, wenn er abends weggeht oder generell das Haus verlässt. Zusätzlich überprüfst du seine Spuren im Internet, welche Nummern er angerufen hat, wer ihn angepiept hat, etc.. Ich habe vollstes Vertrauen in dich."
Sie machte eine kleine, bedeutungsvolle Pause um ihre Worte besser wirken zu lassen. Die Idee, Aya von Weiß überwachen zu lassen, war fantastisch gewesen. Sie musste nur ein paar wenige, gefälschte Details einstreuen, dort ein Telefongespräch mit Lasgo hinzudichten, hier eine Begegnung arrangieren und schnell würde aus dem stolzen Anführer von Weiß ein abtrünniger Agent werden. So einfach war das.
"Aber warum sollte er Perser denn überhaupt verraten haben? Wieso ausgerechnet Aya?", warf Ken kopfschüttelnd ein und nippte gedankenverloren an seinem Früchtetee. Birman rümpfte angeekelt die Nase. Der süßliche Geruch widerte sie an, genauso wie die Person, die ihn trank. Wie natürlich jeder aus diesem Team hatte auch er seine persönliche, tragische Vergangenheit Der arme, betrogene Fußballer und sein verräterischer, bester Freund. Was für eine rührende Geschichte....Birman interessierte sie einen Dreck. Er funktionierte und das war wichtig.
"Das wissen wir eben nicht, daher müssen wir es herausfinden." Natürlich eine glatte Lüge, aber nichts, was Weiß je wissen musste. "Ich verabschiede mich, meine Herren. Ich hoffe, dass ihr den Auftrag zu Persers Zufriedenheit erfüllt, auch wenn es für euch schwer ist, gegen einen Freund vorzugehen."
Birman hielt es nicht für nötig, die abschließenden Worte von Weiß zu hören, also verabschiedete sie sich mit einem knappen Nicken und stieg die schmale Treppe zum Erdgeschoss empor. Wieder ein paar seidige Fäden gespannt, die das Netz ergänzen würden.
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Ihm war nicht danach, nach Hause zu fahren. Er wollte sich ganz einfach nicht seinem Team stellen, ihren Blicken und gedanklichen Fragen. Nicht nachdem, was gerade vorgefallen war.
Er hatte gemordet, war auf Weiß getroffen, hatte Dinge erfahren, die er vielleicht vorher schon vermutet hatte, die ihm jetzt jedoch kalte Schauer über den Rücken laufen ließen.
Wie konnte er nur eine Sekunde lang glauben, dass sowohl Lasgo als auch Birman in den Flammen umgekommen waren? Ja...für einen kurzen Augenblick hatte er sich dieser Illusion hingegeben, hatte gehofft, dass er in Sicherheit wäre, doch dem war nicht so. Seine Gabe zeigte ihm die Zukunft nicht, doch er war sich sicher, dass es nichts Gutes sein würde.
Crawford ließ seinen Wagen schließlich auf einem unscheinbaren Parkplatz ausrollen und fuhr sich mit den Händen müde über seine schmerzenden Gesichtszüge. Das war nicht gut...das war gar nicht gut. Um ehrlich zu sein jagten ihm diese Neuigkeiten Schauer des Unwohlseins durch seinen Körper, wenn nicht sogar mehr als das. Das Wissen, dass die beiden lebten, ließ nicht zu, das Geschehene hinter sich zu lassen und zu vergessen. Dass er es überhaupt in Erwägung zog, ein normales Leben zu führen.
Rache. DAS Wort in den ziellos umherirrenden Gedankensträngen. Rache. Blut. Gewalt. Vernichtung. Tod. Folter. Er war mächtig, nun, da alles wieder beim Alten war. Nun, da sein Team wieder um ihn herum funktionierte. Er konnte den älteren Mann auch ohne seine Gabe besiegen, das wusste er.
Er war stark, das war ihm bewusst.
Er war unbesiegbar, das war ihm schon in die Wiege gelegt worden.
Er war der geborene Anführer, niemand nahm ihm das.
Dennoch hatte man ihn vergewaltigt. Zweimal. Hieß das denn nicht, dass er schwach war? Dass er kein Mann war? Dass er die Rolle des Anführers zu Unrecht inne hatte? Er war nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen, wie sollte es dann erst mit seinem Team funktionieren?
Crawford schloss erbittert die Augen und presste seine Handballen gegen die gesenkten Lider. Nein...solche Gedanken durfte er nicht haben. Er durfte nicht an dem zweifeln, was er tat. Einfach vergessen, einfach hinter sich lassen, das war das Richtige, das Einzige, was er tun konnte, um die Ereignisse der letzten Tage zu verarbeiten.
Wie schön doch die Theorie war...so vollkommen anders als die Praxis.
Er musste aufstehen! Musste hier raus! Die geräumige Weite des Wagens schien ihm plötzlich um ein Vielfaches zu eng, als er hastig den Schlüssel aus der Zündung zog und geradewegs aus dem Wagen stolperte. Ja...hier war es besser, hier ließ sich das abrupte Herzklopfen wieder unter Kontrolle bringen.
Er hörte sich selbst, wie er gewaltsam nach Luft schnappte und sich zitternd an sein Auto lehnen musste. Was war das? Woher kam diese plötzliche Panik? Es war doch alles in Ordnung. Er war doch Herr der Lage, vollkommen in Kontrolle. Wieso dann eine solche Reaktion?
Er wusste es nicht, oder versuchte es vielmehr ganz einfach zu verdrängen. Er war zuhause, in Sicherheit.
Dieses Zuhause stellte im Moment jedoch nicht ihr gemeinsames Anwesen da, sondern seine private, bisher unentdeckte Errungenschaft. Laut Schuldig würde es wohl ein Schrebergarten sein, doch Crawford wusste, das kleine Stück Land, welches er sich zugelegt hatte, verdiente diesen Namen nicht. Sicherlich, es war mit weitläufigem, verwinkelten Garten und sich anschließendem, zweistöckigem Holzpavillon ähnlich aufgebaut, doch er hatte sich ausschließlich auf den Anbau von Blumen und Pflanzen spezialisiert und nicht auf Gemüse.
Rosensträucher säumten nun seinen kleinen, kieseligen Weg, den er entlang schritt. Sie alle waren dank des Wassermangels nicht mehr in ihrer ursprünglichen Pracht anzutreffen, sondern starrten ihn aus traurigen, bräunlichen Blüten an. Eine Schande, doch unumgänglich. Er hatte damit gerechnet, hatte seinen Auftrag mit eingeplant. Was er jedoch nicht vorausgesehen hatte, war die ungewollte, erzwungene Verlängerung seines Aufenthaltes, dessen Früchte ihm nun mehr als deutlich bewusst waren.
Er würde sich die nächsten Tage erst einmal darum kümmern müssen, all das hier wieder herzustellen, um Ordnung in seine private Oase zu bringen. Aber das war gut, lenkte es ihn doch von den anderen Gedanken ab, die sich so störend auf seine Konzentration auswirkten.
Crawford inspizierte kurz den mächtigen Kirschbaum zu seiner Rechten. Ein spät Tragender, der, im Gegensatz zu allen anderen Pflanzen, sehr genügsam im Wasserhaushalt war und dementsprechend wenig Früchte verloren hatte bisher. Er zupfte eine der vielen Kirschen aus ihrer Umklammerung und kostete sie vorsichtig. Nicht zu süß, nicht zu bitter, angenehm fleischig. Ja...genauso mochte er sie.
Er musste unwillkürlich lächeln, als er daran dachte, wie misstrauisch Schuldig und Nagi ihn beäugen würden, wenn er, wie jedes Jahr, mit zwei Eimern voller Kirschen auftauchen und sie ohne Kommentar waschen und zum Verzehr hinstellen würde. Nagi hatte ihn mehrmals danach gefragt, doch er hatte nie darauf geantwortet. Wie gesagt, es ging seine Teamkollegen nicht das Geringste an.
Aber die Kirschen aßen sie gerne!
Crawfords Blick wanderte zu der uralten Eiche, die wie ein ewiger, stummer Wächter das Haus bewachte, es vor neugierigen Blicken abschirmte. Ein Meer von roten, gelben und braunen Blättern bedeckte um diese Jahreszeit den mächtigen Stamm, wiegte sich sanft im kühlen Oktoberwind. Ein angenehm untermalendes Rauschen drang an seine Ohren und ließ seinen Gedanken für einen Moment zurückschweifen zu jenen drei Tagen.
Auch dort hatte er das Rauschen der Bäume vernommen, hatte sich gänzlich der beruhigenden Wirkung dessen hingegeben, während er versucht hatte, das Geschehene wenigstens in die letzte Ecke seines bewussten Denkens zu verbannen. Es war ihm nicht gelungen, dafür hatte er eine äußerst interessante Entdeckung gemacht, wie er nun feststellte. Ran, nein...AYA Fujimiya, Weiß´ Abyssinian, wie er ohne sein Katana im normalen Leben zurechtkam.
Oder auch nicht, wie er wundervoll hatte beobachten können.
Was Crawford jedoch wirklich erzürnte, war die Tatsache, dass ihm seine Gabe schließlich gezeigt hatte, was mit seinem Feind geschah, also an sich völlig unwichtige Details. Was interessierte es ihn, ob der rothaarige Weiß nun in Flammen aufging oder in den Fluten seiner Badewanne verschwand? Das war ihm vollkommen egal im Vergleich zu seinem eigenen Schicksal. Und genau das war ihm wiederum nicht gezeigt worden.
Auch eine Sache, die ihn in diesem Moment Sorgen bereitete. Er war noch nie ganz Herr seiner Kraft gewesen, besonders dann nicht, wenn er nicht vollkommen im Gleichgewicht mit sich selbst war. Aber nun schien seine gesamte innere Balance dermaßen durcheinander geraten zu sein, dass er seine Gabe nicht mehr vernünftig gebrauchen konnte. Alle wichtigen Details blieben ihm solange verborgen, bis sie passierten. Das war neu für ihn und äußerst unangenehm.
Aber vielleicht brauchte es einfach seine Zeit um auszuheilen, wie gewisse andere Dinge ebenso....
Crawford lauschte dem leisen Knirschen seiner Sohlen, als er auf das Haus zusteuerte, kurz davor stehen blieb und seinen Blick über die efeubewachsene Fassade gleiten ließ. Weinrote Ranken, die das sonst dunkle Holz nun beinahe komplett verbargen. Auch Arbeit, die auf ihn zukam. Efeu, ein Parasit unter den Gewächsen, wucherte schnell unkontrolliert, wenn man sich nicht regelmäßig um die Pflege kümmerte. All das, was nun die großen Panoramafenster des Erdgeschosses im Pavillon verbarg, musste weg.
Mit einem ergebenen Seufzen schloss er auf und betrat seine persönliche Ruheinsel. Das Besondere daran war der steinerne Eingansbereich, sowie eigentlich das gesamte Erdgeschoss. Mit orientalischen Mustern und Skulpturen verziert, mutete es an, wie ein altes, arabisches Badehaus. In sich harmonische Muster aus handgeschnitztem, robustem Holz, farbenfrohe Wände, kalter, bräunlich durchzogener Marmor, all das kennzeichnete diesen einzelnen, durchgehenden Raum.
Was hier nicht so deutlich zur Geltung kam, war der achteckige Grundriss des Hauses, doch das störte Crawford nicht, ganz im Gegenteil. Er wusste ja, dass es im zweiten Stock dafür umso deutlicher ins Auge stach. Hier jedoch zog das riesige, in den Marmor eingelassene Schwimmbecken die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Es war ebenso klassisch arabisch, wie der gesamte Raum an sich und genau das, was Crawford sich vorgestellt hatte. Einfach wundervoll. Sein persönliches Paradies, seine Oase zum Entspannen und Abschalten.
Alleine schon die Luft...frisch, leicht salzen und definitiv kühl...eine Atmosphäre, die Crawford oft Schauer des Wohlbehagens über den ganzen Körper sandte. Im Moment entspannte ihn diese stille Friedfertigkeit und ließ ihn ein wenig in dem Hochgefühl schwelgen, das ihn immer durchströmte, wenn er es getan hatte.
Wenn er einen Menschen umgebracht hatte.
Wozu verneinen, wenn er sich dafür nicht zu schämen brauchte? Ja, er liebte es, zu töten. Leben zu nehmen. Zu vernichten. Das, was er gerade eben getan hatte, war erholsam und befreiend zugleich gewesen. Zu sehen, wie ein minimaler Streifen Blut aus der Kopfschusswunde des Agenten lief, wie sein Körper kein Anzeichen von Leben mehr in sich barg... Fantastisch! Er hätte sich den Mann gerne von nahem angesehen, hätte gerne gefühlt, wie sein Puls schwächer und schwächer wurde, doch das hätte ihm zuviel Aufmerksamkeit eingebracht und das wollte Crawford nicht.
Im Endeffekt war dies nun auch nicht von Bedeutung. Der Mann war tot und verschaffte ihm damit ein paar wenige Augenblicke des Glücks. Crawford seufzte und begab sich leise summend nach oben, um dort einen weitläufigen Blick über die zweite Etage zu werfen. Auch hier war noch alles in Ordnung. Was sollte denn auch geschehen sein?
Er streifte mit den Augen über die dunkle, ornamental verzierte Beschaffenheit der Wände. Orientalisch. Das würde jedem Beobachter sofort ins Auge stechen, wenn er diesen Raum sah. Ebenso wie ein Stockwerk tiefer dominierten hier kunstvolle Schnitzereien, verspielte wie anmutende Muster an den dunkelroten Wänden. Die rund nach oben zusammenlaufende Decke war mit schweren, ebenso farbigen Brokatstoff ausstaffiert und lief schließlich in einem kleinen Kreis zusammen, welcher das einzige Fenster dieses Raumes darstellte.
Das verglaste Dach. Sozusagen eine Kuppel von einem oder anderthalb Metern, so genau wusste Crawford es nicht mehr. Direkt darunter stand das Bett, eine weit ausladende, herrschaftliche Lagerstätte, prunkvoll ausgestattet mit Seiden- und ebenso Brokatkissen, auf denen im fahlen Sonnenlicht feinste Stickereien schimmerten.
In einer Wand war ein Kamin eingelassen, der Boden davor nicht mit dicken Perserteppichen gesäumt wie der Rest des Gemaches, sondern mit groben Stein versehen.
Crawford atmete tief ein, sog die Luft in seine Lungen. Schwacher Yasminduft umgab ihn und legte sich nun entgültig wie Balsam auf seine aufgescheuchte Seele, ließ ihn nun wirklich zu Ruhe kommen, als er sich auf das Bett gleiten ließ und allem um sich herum entfloh.
Vollkommene, stille Ruhe.
Dennoch zwang er sich gleichsam dazu, zu erinnern. An das, was geschehen war. An den Moment, wo sein Abstieg begonnen hatte. Er rief sich alles noch einmal in sein Gedächtnis, sein Auftreten, Lasgo, seine Ahnungslosigkeit und schließlich das Armageddon. Seine persönliche Hölle aus Schmerz, Vergewaltigung und vollkommener Machtlosigkeit. Hilflos, das war er gewesen, als Lasgo ihn überrumpelt hatte, als er sich selbst gegen normalsterbliche Fesseln nicht wehren konnte. Handschellen, die sie ihm angelegt hatten, hielten ihn davon ab, dem älteren Mann die Kehle herauszureißen.
Kalter, schwerer Stahl, der sich ungefragt in seine Haut schnitt, als er sich gegen die massigen Wachleute Lasgos gewehrt hatte, doch bald erkennen musste, dass er nicht den Hauch einer Chance besaß. Ein schrecklicher Moment. Aber einer, den er bis zu dem Zeitpunkt noch zu händeln wusste. Gewalt gegen ihn war nicht das Problem. Schmerz auch nicht. Wer austeilen konnte, der musste ebenso einstecken, auch wenn das Prinzip des Einsteckens auf ihn meist nicht zutraf. Er war der geborene Sieger, ein Mann von absoluter Macht, der sich niemandem unterordnete.
Crawford war in seinem bisherigen Leben selten ängstlich oder gar entsetzt gewesen, doch der ältere Mann wusste, wie er derlei Gefühle aus seinen Opfer herausholen konnte. Wie er sie Stück für Stück aus seinem hilflosen Gegenüber herausriss, sich allem bemächtigte, was diesen ausmachte.
Ja...er hatte sie erfahren, die vollkommene Demütigung, die Entmenschlichung. Nackt, entblößt, ohne Würde und Selbstbestimmung hatte er vor ihm gelegen und musste das über sich ergehen lassen, was in ihm qualvollen, sinnlosen Widerstand hervorrief. Die körperlichen Schmerzen waren schlimm gewesen, ja. Weitaus schlimmer als alles andere zuvor. Doch die geistigen Qualen, die ihn seitdem immer noch heimsuchten, waren um ein Vielfaches schlimmer.
Wenn er es sich ehrlich eingestand, wusste er, dass er die Erinnerungen nicht einfach auslöschen konnte. Die Wut und den Hass ebenso wie Angst und Verzweiflung gepaart mit Zweifeln und dem Wunsch zu sterben. Ja...unglaublich aber wahr. Für einen Moment hatte er sich gewünscht, mit samt der Basis in die Luft zu gehen. Besser das, als noch einmal durch diese Tortur zu gehen. Doch dann war ja sein strahlender Ritter in glänzender Rüstung erschienen und hatte die holde Maid gerettet.
Crawford musste amüsiert lachen. Der sonst so schwache Abyssinian hatte ausgerechnet IHM das Leben gerettet. Seinem Erzfeind, dem Mann, auf dessen Rechnung die Morde an seiner Familie gingen. Auch wenn er nie wirklich Hand an die Bombe gelegt hatte, welche die Beiden tötete, so hatte er doch den Auftrag von Takatori angenommen und alles andere vorbereitet. Und dafür hasste ihn der rothaarige Wildfang.
Aber er hatte ihn nicht getötet und ihn auch nicht Lasgo überlassen. Auch wenn Crawford dem keine große Bedeutung zumaß, so interessierte ihn das "warum" schon. Vielleicht war es einfach ein Schock für den unschuldigen Weiß zu sehen, wie grausam ein Mensch sein oder wie sehr man einen sonst arroganten Killer erniedrigen konnte. Vielleicht war Birmans Verrat einfach zuviel für Abyssinian gewesen...
Diese verdammte Hure. Er würde sie töten, ganz langsam. Sie leiden lassen, um schließlich ihr Betteln um Erlösung nicht zu erhören. Sie dachte, sie hätte über ihn gesiegt? Nie im Leben...im Gegenteil. Nun hatte sie einen der mächtigsten Feinde, die sie sich hatte machen können. Und Crawford war ganz und gar nicht fantasielos, was das Quälen anging.
Er reckte sich genussvoll und pfläzte sich in die weichen Kissen. Wie gut es doch tat, zuhause zu sein. In trügerischer Sicherheit. Doch es war später noch genug Zeit, blutige Pläne über die Zerstörung von Weiß und Kritiker zu entwerfen. Nun wollte er einfach nichts denken, sondern nur ruhen. Keinen Gedanken mehr an die Zeit bei Lasgo.
Einfach nur ruhen...
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Er stellte unsanft seine Kaffeetasse ab und rieb sich müde die Augen. Gott...zuwenig Schlaf und zuviel Sex forderten auch irgendwann einmal ihren Tribut und ließen ihn sich nun wackelig auf einen der unbequemen Küchenstühle niederfallen. Auch wenn das nicht das Einzige war, was ihm Probleme bereitete. Aya war wieder da, brachte ungewöhnlich schlechte Laune mit und nun kam auch noch Birman mit der ungeheuren Nachricht, eben jener Mann wäre ihnen abtrünnig geworden. Youji glaubte ihr das nicht, das stand fest. Aya war bisher immer bei der Sache gewesen und hatte für Gerechtigkeit gekämpft, da würde ihn eine einfache Mission nicht aus der Bahn werfen.
Eben dieser kam nun von ihrem allwöchentlichen Einkauf wieder und parkte seinen Wagen in der geräumigen Garage, um mit voll beladenen Armen die Küche zu betreten und Youji selbst wütend anzufunkeln. Was es auch war, das seine schlechte Laune hervorgerufen hatte...es war noch einmal in Erscheinung getreten und hatte diese noch verschlimmert. Um einiges, dem mordlustigem Blick nach, der ihn nun traf.
"Wie wäre es, wenn du dich mal an den Haushaltsplan hältst, anstelle dich herumzutreiben, Kudou? Oder geht einkaufen über deine Intelligenzgrenzen?"
Oha. Der Schlag unter die Gürtellinie. Na da stimmte doch etwas gewaltig nicht. "Probleme Fujimiya? Wenn ja, lass sie an dem aus, der sie verursacht. Ich bin ausnahmsweise unschuldig, Sweetheart."
Aya ließ sich nicht herab, darauf zu antworten, sondern stellte allzu deutlich die prall gefüllte Tüte auf die Anrichte und verschwand erneut, um schließlich den Rest zu holen. Stirnrunzelnd machte sich Youji daran, die vor ihm liegenden Lebensmittel auszupacken und in ihre Vorratsschränke zu räumen. Dass Aya mit Leichenbittermiene auftrat, war ihm nicht neu. Daran hatte er sich schon längst gewöhnt. Aber dass der rothaarige Mann so offene Wut zeigte, war doch ungewöhnlich und zeugte davon, dass etwas wirklich nicht stimmte. Die Frage war nur, was genau.
Youji fuhr abrupt zusammen, als direkt neben ihm die zweite, wuchtige Einkaufstasche auf ihrer Arbeitsfläche aufschlug, untermalt mit einem melodisch diabolischem Grollen. Er sah überrascht auf und wurde einen Moment lang von einem zornigen, tiefmaliziösem Blick niedergeworfen, bevor er seine eigenen Schilde hochziehen konnte und sich sein Gesicht mit der so typischen Maske des charmanten Lächelns überzog.
"Kein Grund, mich umzubringen, Aya...sag mir lieber, was dir quergeht."
Wie erwartet, bekam er keine Antwort, sondern musste mit ansehen, wie besagter Mann ihre Sachen fachgerecht und mit äußerster Brutalität verstaute, ihn dabei keines Blickes mehr würdigte und anschließend ohne auch nur einen Ton zu sagen, in seine Räume verschwand, dabei der Geräuschkulisse einer zornigen Herde von brunftigen Nashörnern beängstigend ähnelte.
Der ältere Weiß seufzte. Ich hoffe, du erkennst das Opfer irgendwann einmal an, Fujimiya, fauchte er in Gedanken, begab sich dann jedoch hinauf in die Höhle des Löwen. Zeit, nun mal mit allen Zweifeln aufzuräumen und dem Hitzkopf Manieren beizubringen. Aya würde sich noch wundern, wenn er mit ihm fertig war...
Ohne anzuklopfen betrat er das Zimmer des Jüngeren und schlug mit einem lauten Ruck die Tür hinter sich zu, erwiderte den hasserfüllten Blick Ayas mit cooler Lässigkeit. "Lass dich nicht stören, Fujimiya. Ich bin nur hergekommen, um mit dir zu reden."
"Raus." Wut, mühsam unterdrückt, schlug ihm mit diesem einzigen Wort entgegen, ließ ihn jedoch nur spöttisch lächeln. So nicht. Das hatte er schon viel zu oft erleben müssen, als dass er nun nicht dagegen gefeit wäre.
"Nein." Youji wusste, das brachte Aya nun beinahe zum Überkochen, doch es war ihm egal. Er wollte Antworten. Klare, ehrliche Antworten. Das war doch nicht zuviel verlangt, oder?
Für den jungen Vulkan hier scheinbar schon, denn Aya schien so ganz und gar nicht geneigt zu sein, auch nur irgendeine Frage zu beantworten.
Doch anstelle ihn anzugreifen, drehte sich Aya wortlos um und kehrte Youji seinen Rücken zu. Die Ignoriertaktik also...gut. Damit konnte er umgehen, das kannte er wie alles andere auch schon.
Mit einem Ruck packte er Aya an der Schulter und riss ihn zu sich herum, brachte den rothaarigen Mann damit ins gewaltsame Stolpern. "Schluss mit den Spielchen, Aya. Ich will Antworten und du wirst sie mir gefälligst geben!", zischte er dunkel und stieß den immer noch zu überraschten Mann grob an die gegenüberliegende Wand.
"Was soll das?!" Ah, schon mal eine minimale Regung in der Persona des Anderen, das war ja wunderbar. Gleichsam mit der Sprache schienen auch die Lebensgeister des Jüngeren erwacht zu sein, als er sich wütend vom kalten Gestein abstieß und auf Youji losging. "Hast du IRGENDEIN Problem, Kudou? Kannst du mich nicht EINFACH nur in Ruhe lassen? Ist das ZUVIEL verlangt?!"
Youji packte Ayas Faust, bevor sie einen glatten Treffer in seinem Gesicht landen konnte und verdrehte seinem Gegenüber zielgenau den daran hängenden Arm, brachte ihn somit völlig aus dem Konzept und ließ ihm selbst Zeit, in einigen wenigen Augenblicken sein weiteres Handeln zu überdenken. Aya musste sich beruhigen, das stand außer Frage. Natürlich...es gab eine Möglichkeit, die er allerdings als allerletzte in Betracht zog, da sie garantiert blutig endete.
Aber gut, Opfer mussten gebracht werden. Mit einem Ruck schleuderte er den sich fauchend wehrenden Abyssinian gegen dessen Bettpfosten, erntete dafür ein fluchendes Aufstöhnen und zog in einer einzigen, geschmeidigen Bewegung den Draht aus seiner Uhr. Wie gut, dass er sie immer bei sich trug. Wie gut, dass er immer für den Eventualfall vorbereitet war.
Mit gewohnter Präzision schlang sich das Silber um sein Opfer, würgte ihn dieses Mal jedoch nicht zu Tode, sondern hielt ihn mit seinen Handgelenken etwas oberhalb des Kopfes bewegungslos am eisernen Pfosten.
Aya wurde sich nun auch bewusst, was sich sein Teamkamerad erlaubt hatte und schrie wuterfüllt auf, während er sich mit aller Macht gegen die Fesseln stemmte, sich dabei nach und nach die empfindliche Haut aufschlitzte. Doch Youji dachte nicht daran, den anderen Mann davon abzuhalten, sich selbst wehzutun, nein. Er hielt Aya für klug genug, dass dieser es selbst irgendwann bemerkte. Oder dass er zu erschöpft wurde, um noch weiteren Widerstand zu leisten.
Doch dieser beachtete ihn gar nicht, sondern konzentrierte sich einzig und allein darauf, seinen drahtigen Fesseln zu entkommen. Ein sinnloses Unterfangen, wie Youji wusste. Aber gut...er hatte Zeit. Die beiden Kleinen arbeiteten unten im Laden, sie würden sie, oder vor allen Dingen Aya, nicht hören. Perfekt.
Youji ließ sich vorsichtig auf den Schreibtischstuhl sinken und fingerte an einem der Kugelschreiber herum. Er gab Aya....fünf Minuten. Fünf Minuten, bevor sich der rothaarige Mann ausgetobt hatte und er mit ihm reden konnte. So surreal diese Situation, so ungewöhnlich ein völlig unbeherrschter Aya auch war, so genau wusste Youji nun, was er wollte.
"Birman war hier, während du eingekauft hast, Aya", warf er ruhig in den Raum und wartete auf die Reaktion seines Gegenübers, die sich langsam, aber dennoch stetig zu formen begann. Der rothaarige Mann gab zunächst seinen ermüdenden und aussichtslosen Kampf gegen den stählernen Gegner auf, fixierte dann seine hasserfüllten Augen auf den, der die fatalen Worte ausgesprochen hatte um schließlich schon fast animalisch zu zischen.
"Na UND? Rechtfertig das DAS hier, Kudou?!", traf den blonden Weiß ein Schwall eisiger, verächtlicher Worte, ließ ihn innerlich frösteln, während Aya demonstrativ seine Hände nach vorne ruckte.
"Nein, tut es nicht", entgegnete Youji lässig und lächelte grimmig. "Aber ich will mit dir reden und wissen, was es mit gewissen Dingen auf sich hat. Und ich will Antworten, denn das ist mein gutes Recht, Abyssinian!"
Aya zuckte bei Erwähnung seines Codenamens sichtlich zusammen, schien aber selbst zu wissen, dass es klüger wäre, dem älteren Weiß wenigstens scheinbar zuzuhören. Als Zeichen für sein minimales Einlenken entspannte er seinen Körper auf die geringste Art und Weise und rieb knirschend seine Kiefer aufeinander. Er war bereit, zuzuhören. Das war die klare Botschaft an Youji.
"Du solltest einkaufen gehen, damit Birman etwas ungestört mit uns besprechen konnte. Dieses "etwas" war dann, dass du auf deiner letzten Mission abtrünnig geworden bist und Weiß hintergangen hättest. Sprich, dass du freundschaftlichen Feindkontakt hättest. Ist das so, Aya? Lebt das Ziel noch?"
"Ja...er lebt noch." Ohne es zu wissen, sprach Aya diese Worte laut aus, auch wenn sie fest in seinen Gedanken verankert schienen. Lasgo lebte....Birman auch. Gerade Birman! Und spielte nun ein vollkommen falsches Spiel mit ihm. Hetzte Weiß gegen ihn auf. Weiß! Seine....Familie. Erzählte ihnen, dass ausgerechnet ER sie betrogen hätte...war ihr ihre Drohung denn noch nicht genug? Musste sie ihn auch noch so zerstören?
"Wieso das, Aya?"
Youjis Stimme durchschnitt wie der schmerzhafte Draht seine Gedanken und ließ ihn zu seinem momentanen Gesprächspartner zurückkehren. Nun wurde ihm auch bewusst, dass er keineswegs nur gedacht hatte.
Sollte er Youji sagen, dass Birman sie betrog? Dass sie ihn erpresste? Nein...das konnte er nicht. Wenn nur irgendein Funken von Information an die Ohren der Agentin gelang, würde sie seine Schwester töten, und dann wäre alles umsonst gewesen. Sein jahrelanger Kampf, einfach alles. Das durfte er nicht zulassen. Lieber speiste er sein Team mit Halbwahrheiten und Lügen ab, als Aya dieser Gefahr auszusetzen.
"Ich war unkonzentriert auf der Mission....habe mich ablenken lassen. Von Schwarz." Er war mittlerweile wieder vollkommen ruhig, ließ das Verhör über sich ergehen und versuchte, die besten, nichtssagendsten Antworten zu finden. Doch Youji stellte mit der Sicherheit eines ehemaligen Detektivs die richtigen, unausweichlichen Fragen.
"Schwarz war auch da? Was ist passiert?"
Was sollte er jetzt sagen? Die Wahrheit? Dass Crawford vergewaltigt wurde? Dass er seinem Todfeind geholfen hatte? Dass er auf ganz Schwarz getroffen war und Crawford ihm mehrmals das Leben gerettet hatte und andersherum ebenso?
"Ich war gerade dabei, das Lager in die Luft zu sprengen, als Schwarz auftauchte...anscheinend hatten sie ebenso einen Auftrag zu erfüllen....wir sind aneinander geraten und dadurch konnte das Ziel fliehen....Als wir uns getroffen haben, als er mich im Park verfolgt hat, vielmehr, hat meine Zielperson mir dafür gedankt, dass ich mich habe....ablenken lassen. Aber ich habe keinen Feindkontakt, nicht freiwillig!" Welch einleuchtende Lüge....die Wahrheit, aber nicht ganz. Einfach ein paar wichtige Details auslassen, hier etwas verändern und schon war die ganze Geschichte harmloser als in Wirklichkeit.
Aya schloss erschöpft seine Augen. Ihm war schlecht. Schlecht, seine Teamkollegen anlügen zu müssen, schlecht, Crawford in Schutz zu nehmen. Schlecht, weil Birman so falsch spielte. Schlecht, weil er selbst so naiv war, wie der schwarzhaarige Amerikaner schon bezeichnenderweise gesagt hatte.
"Also alles nur Panikmache von Birman, ja?"
Der rothaarige Mann nickte, während er seine Augen langsam wieder öffnete. "Sie irrt sich...ganz einfach." Er war ein schlechter Mensch. "Ich habe keinen Feindkontakt." So schlecht. "Warum sollte ich auch? Ich habe gar keinen Grund dazu." Wie erbärmlich.
"Warum dann deine schlechte Laune?"
Aya verzog die Lippen zu einem schwachen, spöttischen Grinsen. "Ich habe gerade Crawford getroffen....beim Einkaufen. Er hat einen mich bespitzelnden Perseragenten getötet, das ist alles. Genug Grund für schlechte Laune, oder?" Das zumindest war die Wahrheit.
Auch ohne hinzusehen hätte er gewusst, dass Youji ihn zweifelnd anstarrte. Doch was sollte er machen? Es war nun mal ein Zufall gewesen und er WAR mit seinem Leben davon gekommen. Konnte schon mal vorkommen, wenn man jemanden vor einer Bestie rettet.
"Wie kommt es, dass ihr beide noch lebt?", bestätigte der ältere Mann Ayas Gedanken und ließ ihn frustriert die Augenbrauen hochziehen.
"Er war nicht daran interessiert, mich zu töten. Ich bin uninteressant für ihn....nicht gefährlich genug. Zumindest beim Einkaufen. Und wie soll ich ihn ohne Waffe töten? Mit der Palette Milch etwa? Soll ich ihn mit Reisbällchen ersticken? Oder mit Stäbchen solange auf ihn einstechen, bis er aufgibt?" Aya stockte. Er lächelte trocken. Das wäre eine Möglichkeit gewesen....versuchen können hätte er es ja. Wenn er gewollt hätte.
Youji stimmte in das Lächeln mit ein. Nein...das konnte er sich wirklich nicht vorstellen. Doch schließlich wurde er wieder ernst. "Was ist mit dem Agenten? Wieso hat er ihn getötet?"
"Weil er Spaß daran hatte. Er hat ihn einfach so erschossen, auf dem Parkplatz. Weil er ein Agent war. Nicht, weil er ihn angegriffen hatte, sondern einfach, weil er es wollte."
Stille folgte auf diesen Satz, ließ sie beide über das Gesagte reflektieren. Aya wusste, dass Youji ihm glauben würde, das sah er in den Augen des anderen Mannes. Das war nicht das Problem. Sein eigenes, verräterisches Gewissen war es. Er hatte einen seiner Teamkollegen willentlich angelogen. Alleine diese Tatsache zeigte ihm, dass er mit niemanden über die eigentlichen Fakten sprechen konnte. Nicht, wenn das Leben seiner Schwester davon abhing.
"Du solltest dich uns mehr öffnen, Aya. Alles andere führt nur zu aufgestauter Frustration. Wir sind deine Freunde, keine Feinde. Das solltest du dir vor Augen führen."
Wie sehr wünschte sich der rothaarige Mann im Moment, genau diesen Ratschlag befolgen zu können, doch es ging nicht. Nicht jetzt. Erst dann, wenn seine Schwester in Sicherheit war. Erst dann....
"Mach mich los, Youji", wich er seinem Freund aus und hob anklagend seine beinahe blutenden Handgelenke, die noch immer schmerzhaft eng an seinen Bettpfosten gefesselt waren. Zu seinem Erstaunen gehorchte der blonde Mann aufs Wort und löste vorsichtig die stählernen Seile, lächelte dabei entschuldigend.
Schließlich reichte er Aya eine Hand und zog ihn hoch.
"Freunde?"
Ja, Freunde.
Youji drehte sich arglos weg, als er die Antwort auf seine Frage in Ayas gesamter Körperhaltung erkennen konnte, blieb jedoch stehen und reagierte auf Ayas ruhige, emotionslose Stimme, die seinen Namen nannte, mit einer dem Rotschopf zugewandten, fragend erhobenen Augenbraue.
Nur um darauf in Kontakt mit Abyssinians wohlgeformter Faust zu kommen, die zielsicher seine Wange ansteuerte und ebenso exakt traf. Sie ließ Youji aufstöhnend nach hinten taumeln und trocken lachen, als er Ayas deutlich amüsierte Worte vernahm.
"Freunde. Aber Auge um Auge."
~~**~~
Blut.
Plasma und Zellen. Transporter von lebenswichtigen Stoffen, Ernährer, Luftspender. So komplex und dennoch so einfach aufgebaut. Erythrozyten...dafür gedacht, die rote Farbe zu spenden. Ein wunderlicher Kreislauf, ein empfindlicher Kreislauf. Nur ein Fehler, nur ein gewaltsamer Eingriff und schon konnte dieses ausgeklügelte Überlebenssystem so aus den Fugen geraten, dass es weder Herz noch Lunge mit den notwendigen Stoffen versorgte und den daran hängenden Menschen sterben ließ.
Ihn aber nicht. Er starb nicht. Er fühlte nicht. Er war ein Abstraktum. Er trug auch Blut in sich, ja...das sah er. Er brauchte nur, wie jetzt auch, seine bleiche, vernarbte Haut aufzuritzen und schon sah er sie...die Millionen von Zellen, die hinausquollen ans dämmrige Tageslicht. Bei anderen...normalen...Menschen ging das überein mit exquisiten Wellen des Schmerzes. Doch er...er blieb taub, verschlossen dem gegenüber, wonach ihm begehrte.
So sehr er sich auch verletzte, so sanft er sich auch berührte, er fühlte nichts. Er war sich der Berührung zwar bewusst, doch er konnte nicht unterscheiden, ob es Schmerz oder Zärtlichkeit war. Nur das Leiden, die Schreie anderer vermittelten ihm einen vagen Eindruck, wie es war, extremen Gefühlen ausgesetzt zu sein. Wenn er sie leiden und weinen ließ, konnte er sich an ihrer Qual laben, sie zu seiner eigenen machen.
Genau dann lebte er. Dann wusste er, dass er nicht nur noch ein existierender Leib war.
Das leise Öffnen der Tür holte ihn aus seinen Gedanken und ließ ihn das Messer senken, das er sich wenige Augenblicke vorher aus der Küche geholt hatte. Crawford befürwortete es nicht, wenn er sich selbst verletzte. Auch wenn er verstand, auch wenn er wusste, warum Farfarello das tat, wollte er es nicht. Dann schon lieber töten.
Er legte den Kopf schief und versank für einen Moment in der Betrachtung des herrischen Mannes. Herrisch...und doch so geschlagen. Er wusste was passiert war. Nur ein Trottel vermochte nicht zu sehen, was so offensichtlich vor ihm lag. Was in den Wochen der Abwesenheit passiert war. Er wusste, wer es gewagt hatte, sich den starken Mann Untertan zu machen, ihn auf seine Knie zu zwingen.
Er WUSSTE, weil das seine Gabe war.
Sowie ihm auch die Faszination bekannt war, die der ältere Mann für Vertreter seines Geschlechtes gehegt hatte. Wie sehr er den intellektuellen Umgang mit männlichen Vertretern der Spezies Mensch schätzte. Wie sehr er stilvollen Sex schätzte. Auch wenn Crawford emotionale Bindungen nicht einging, so liebte er doch die sanften, manchmal auch leidenschaftlichen Tête-á-têtes mit Männern seiner Kreise. Kreise, in denen man sich zu seinen Vorlieben nicht offiziell bekannte und somit eventuelle nähere Bekanntschaften umso interessanter machte. Was ihn nicht davon abhielt, auch die Damenwelt zu erforschen, nein.
Ein Mann mit vielschichtigen Interessen, das war Bradley Crawford, so kannte Farfarello ihn.
Umso mehr musste der junge Ire nun lächeln, als er schließlich der Eimer voller Kirschen gewahr wurde, die ihr Anführer wie jedes Jahr mit nach Hause brachte. Ein stummes Geschenk an sie, welches er ohne Erklärung zubereitete und ihnen zur Verfügung stellte.
Farfarello liebte die süßen, nicht zu bitteren Kirschen. Tiefrot, saftiges Fleisch, ein wahrer Genuss. Blutige Kirschen....ja, das waren sie. Geschaffen aus menschlichem Blut. Geschaffen nach menschlichem Blut. Welch wunderbare Vorlage.
Davon ab waren sie wirklich lecker.
"Nagi, hol die Sachen aus dem Wagen."
Die kalte, schmerzdurchtränkte Stimme des älteren Mannes holte Farfarello aus seinen amüsierten Gedanken und ließ ihn dem anderen in die gemeinsame Küche folgen. Crawford stellte gerade die schweren Eimer auf die Spüle und ließ Wasser in das geschlossene Becken, schüttete schließlich die Kirschen dazu. Bald...bald würde er sich an ihnen laben können.
Fasziniert betrachtete er, wie die schmalen, und dennoch männlich-dominanten Hände ihres Orakels die Früchte in das kalte Wasser tauchten und es sorgsam wuschen. Eine rituelle Reinigung von Schmutz und Filz, von allem Unreinen.
Nur nebenbei bemerkte er, wie ihr junger Telekinet mit Hilfe seiner Kräfte Crawfords Befehl Folge leistete und die schweren Taschen an ihnen vorbei hineinschweben ließ, sie schließlich von ihrem Ballast befreite und verstaute. Alles mit Hilfe seiner Gabe selbstverständlich. Eine gute Übung, hatte ihr Anführer damals gesagt. Training, um seine Kräfte zu perfektionieren.
Farfarello richtete seinen Blick wieder auf Crawford, der nun die Kirschen abschöpfte und abtropfen ließ. Seine gesamte Gestalt war mit feinen Linien des Schmerzes durchzogen. Mit feinen Merkmalen eines Leides, das außergewöhnlich brutal verursacht worden war. Es war da, vibrierte wie eine feine Staubschicht um den dunkelhaarigen Amerikaner.
Vergewaltigt.
Das war das Wort, das Crawford im Moment beschrieb. Zumindest für ihn, der Rest des Teams hatte keinen blassen Schimmer, was passiert war. Ignoranten, alle miteinander. Dumme Ignoranten. Waren zu sehr in ihrer naiven Welt gefangen. In einer Welt, wo Crawford nicht verletzt werden konnte, wo er ein Übermensch war. Farfarello lachte. Übermensch...niemand war das. Auch sie nicht, mit ihren Gaben, auch wenn sie mächtig waren.
Der dunkelhaarige Mann schien nun mit seiner momentanen Tätigkeit fertig zu sein und stellte eine übergroße Schale mit den verlockenden Früchten auf ihren Wohnzimmertisch, mied dabei tunlichst den Blick des Deutschen, der ihn nur so zu durchbohren schien und verabschiedete sich mit einem knappen Nicken nach oben. Er war müde und die Wirkung der Medikamente hatte nachgelassen.
Farfarello legte schweigend seinen Kopf schief und sinnierte für einen Moment über sein weiteres Vorgehen. Es war sicher, dem Mann jetzt zu folgen, das wusste er. Ihm Gesellschaft zu leisten.
Das war besser so.
~~**~~
Crawford ließ sich behutsam auf sein Bett nieder gleiten. Gott, sein gesamter Körper schmerzte, jetzt, wo die Wirkung des Tramals nachließ, vermutlich schon gänzlich verflossen war. Was ihn jedoch verwunderte, war, dass die dumpfen, nicht enden wollenden Impulse um einiges stärker schienen als in den drei Tagen, die er mit dem Weiß zusammen verbracht hatte. Natürlich....das lag an der zweiten Vergewaltigung, doch nun hatte er Schmerzmittel dagegen und es half trotzdem nichts.
Genau diese auch nun noch andauernde Hilflosigkeit machte Crawford wütend. Jetzt, wo er nicht mehr hilflos vor dem älteren Mann lag, seine Beine gespreizt und vollkommen reglos, war er dennoch gefangen in seinen Schmerzen und Qualen, die ihn demütigten. Auch ohne das Glied des Anderen tief in seinem Inneren, wurde er wieder und wieder vergewaltigt.
Mein neues Lieblingswort, schoss es Crawford bitter durch den Kopf, als er nun entgültig die Augen schloss und sich auf sein Bett legte, dann jedoch hochfuhr, als sich ungefragt die Tür zu seinen Räumlichkeiten öffnete und einen stillen, ruhigen Farfarello freigab.
"Raus hier." Ihm war nicht nach Gesellschaft, schon gar nicht nach ungefragter. Doch der junge Ire ließ sich davon keinesfalls abschrecken, ganz im Gegenteil. Er streifte ungerührt zum Bett und ließ sich direkt neben Crawford am Kopfende auf dem Fußboden nieder.
Der amerikanische Mann funkelte sein Gegenüber wortlos an. Was sollte dieser Ungehorsam? Er wollte gerade den Mund öffnen, um Farfarello deutlich zurechtzuweisen, als dieser mit einer klammen, blassen Hand seine Wange entlang strich und gedankenversunken murmelte:
"Es schmerzt, nicht wahr? Es tut auch jetzt noch weh...gerade jetzt. Jetzt, wo alles vorbei ist. Die Frage ist, warum? Warum gerade jetzt und nicht dann, als es geschehen ist. Jetzt, wo du in Sicherheit bist. Jetzt, wo alles gut sein sollte. Warum, warum, warum? Fragen....und keine Antworten. Das verwirrt....ängstigt....macht schwach."
Crawford blieb still und lauschte nur ungläubig den Worten seines jüngeren Gegenübers. Natürlich....es war offensichtlich, was Farfarello wusste. Doch dass er es so genau auf einen Punkt traf, dass er mit seiner eigenen Zielsicherheit das zur Sprache brachte, was Crawford erzürnte...es war unbequem, sich dem zu stellen.
"Aber das wird verschwinden....wird schwächer...." Wie in der Nacht zuvor, beruhigten Farfarellos Berührungen die Schmerzen auf und in seinem Körper, ließen ihn vertrauensvoll seine Augen schließen und den gleichmäßigen Atemzügen des Anderen lauschen. Er verfolgte zunächst noch wach, dann aber immer schläfriger die Bewegungen der Hand, wie sie sanft über sein Gesicht strich, seine Haare durchkämmte, seine Schultern entspannte. Die Frage nach dem Warum schien mit einem Male zu weit weg zu rücken, als dass er sich ihr noch stellen wollte. Es war Geborgenheit, ja. Hilfe, ebenso.
Brauchte er das denn? Nein....
Wieso also ließ er es geschehen? Wieso stieß er den anderen Mann nicht von sich? Crawford wusste es nicht. Er wusste nur, dass er zu müde war, um noch weiter darüber nachzudenken. Lieber einschlummern, lieber der schmerzhaften Realität in womöglich noch schmerzhaftere Träume entfliehen.
~~**~~
Auch wenn sie gewohnt freundlich miteinander umgingen, so hätte Aya auch ohne Youjis vorherige "Hilfe" gewusst, das etwas nicht stimmte. Omi, der zwar lächelte, es aber nicht wagte, Aya direkt in die Augen zu sehen. Ken, der ungewöhnlich still war.
Seine Augen verengten sich zu wütenden Schlitzen, als er daran dachte, was dieses Misstrauen ihm gegenüber ausgelöst hatte. Birman. Falsche Schlange. Das war sie, nichts anderes. Hätte er es gekonnt, er hätte Perser einen Gefallen getan, ungeachtet der Tatsache, dass ihr Auftraggeber ihr vielleicht um nichts nachstand. Er würde sie töten. Wenn seine Schwester in Sicherheit war, würde er sie töten. Ganz einfach.
Sein Blick kam auf den kleinen, feuerroten Ringen um seine Handgelenke zum Ruhen. Youjis Werk. Eine Handlung im Affekt, sowohl von seiner als auch Balineses Seite aus. Wobei er noch gut weggekommen war im Vergleich zu dem schmächtigen Blonden, dessen Gesicht nun ein farbenfroher Wangenknochen zierte.
Aya lächelte, traf Youjis Blick und schickte ihm einen ungerührten ´Selbst Schuld ´- Blick, den der grünäugige Mann lakonisch erwiderte. Er seufzte. Wenigstens war zwischen ihnen alles in Ordnung...
Ein angeekeltes Ausspucken brachte sie beide wieder zu ihrem Team zurück und ließ sie sich auf Omi fixieren, der nun mit verzogenem Gesicht aufsprang und sein Getränk den Abfluss hinunterschüttete.
"Was ist passiert?", fragte Aya mit hochgezogener Augenbraue und sah stirnrunzelnd zu, wie sich ihr Jüngster schüttelnd den Mund ausspülte und ein Glas Orangensaft herunterstürzte.
"Die Milch ist sauer!", erwiderte der Blondschopf und sah anklagend in die Runde.
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by Coco
Und nun ein kleines Goodie von Loul gestiftet:
Youji: *ayaküss*
Aya: Magst mi?
Youji: *streichel* joa...
Aya: *genieß* liebst mi?
Youji: *keuchundstoß* jop
Aya: *wohligseufz* heiratst mi?
Youji: naa....
Aya: *schnauf* raus sag i!
Süß, nicht wahr? Wirklich niedlich!! ^_^
Dank geht dieses Mal an Caro, Loul, Need, Koji-chan, Ne-chan und Gadre-el!^_^ Ebenso Dank an Caron für das schnelle Beta, auch wenn ich mich in zwei Hauptpunkten dieses Mal nicht daran gehalten habe.
Also dann, viel Spaß beim Lesen und happy C&Cing!
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"Wir wissen nicht, wie lange das nun schon so geht, aber wir vermuten, dass es seit letzter Mission ist. Alle Informationen über Ayas Handlungen weisen deutlich darauf hin, dass er bestochen wurde und damit seinen Auftrag nicht dem Vertrag entsprechend erfüllt hat. Eine Zielperson leben zu lassen und nachher sogar noch Kontakt mit ihr zu halten, ist Verrat der schlimmsten Sorte. Nichts, was Perser so einfach durchgehen lassen kann."
Birman ließ ihre Worte für einen Moment sinken, betrachtete die Gesichter der übrigen drei Weiß mit Wohlwollen. Sie waren entsetzt über den "Verrat" ihres Freundes, über dessen abrupten Meinungswechsel. Sie glaubten ihr, als sie ihnen sagte, dass es Aya war, der freiwillig zu seinem Opfer gekommen war, um ihm einen Handel vorzuschlagen.
Auch wenn sie den älteren Mann nie gesehen hatten, so glaubten sie ihr, ohne, dass sie ihnen das Videoband gezeigt hatte. Die damalige Mission war einzig und allein für Aya bestimmt gewesen und das aus gutem Grund. Doch anstelle sich an Crawford zu rächen, wie sie es erst angenommen hatte, zeigte der seinem Hass sonst so sklavisch ergebene Abyssinian unerwartete Gnade und Milde. Für den Mann, der seine Familie auf dem Gewissen hatte.
Sie hatte ihm einen Gefallen tun, ihn schließlich von Lasgos und ihrer Absicht überzeugen wollen, doch so ging es nicht. Nicht, wenn Aya sich gegen sie auflehnte. Nicht, wenn er sich ihnen verweigerte. So war sein Wissen über ihre Verbindung zu Lasgo zu gefährlich, als dass sie ihn ohne etwas dagegen zu unternehmen weiter leben lassen konnte. Und was war da besser, als ihn von Weiß erledigen zu lassen?
"Vielleicht wird er dazu gezwungen...", holte der Jüngste, Bombay, sie aus ihren Gedanken und ließ sie gespielt nachdenklich aufsehen. Sie kräuselte ihre Stirn, vertuschte somit den wahren Mittelpunkt ihres Interesses. Omi Tsukiyono...Takatoris direkter Verwandter und Persers Sohn. Ein kleiner, dummer Junge ohne eigenes Leben, dazu aufgezogen, zu töten und zu dienen. Er würde ihr niemals abtrünnig werden, genauso wenig wie er niemals aufhören würde, an den Sieg des Guten in der Welt zu glauben.
Lasgo hatte sich des Jungen bemächtigt, aus einfacher Lust an einem nächtlichen Stelldichein. Anscheinend war es sehr anregend gewesen, eine willkommene Abwechslung zum eigentlichen Vorhaben des älteren Mannes. Auch wenn dieser ihm gewachsene Bettgefährten bevorzugte, hatte er die zärtlichen Stunden mit dem jungen Weiß genossen, wie Omi auch. Vergewaltigung war eben nicht immer das Richtige.
Bei Crawford allerdings schon.
Birman lächelte unbewusst, als sie sich die wenigen Bilder des Schwarz in Erinnerung rief. Wie er vor ihr lag, hilflos, allem beraubt, seiner Würde, seinem Stolz, seiner freien Entscheidung. Wie er von ach so schwachen Menschen missbraucht wurde. Ihr Teil an der Vergewaltigung war gering gewesen, doch das würde sich noch ändern. Lasgo und sie selbst waren noch lange nicht fertig mit ihrem Opfer, noch lange nicht...
Sie würden ihre Netze spinnen und langsam aber sicher die Fäden zuziehen. Ein Mosaikstein nach dem anderen würde sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen und schließlich kein Entkommen ermöglichen. Jeder der hier Anweseden würde seinen Teil zu ihrem Endsieg beitragen und sie - wenn auch unbewusst - bei der systematischen Zerstörung von Schwarz unterstützen.
"Birman?" Ach ja....man erwartete eine Antwort von ihr. Dummes Weiß...alle miteinander. Sie waren Marionetten, nichts weiter als Befehle in dumpfer Art und Weise auszuführen. Zu töten wie willige Schoßhunde, die nach langersehnten Blut lechzten. Sie ahnten noch nicht einmal, welches Spiel sie trieb. Nicht in Ansätzen...
"Nein...ich denke nicht. Aber Perser hat angeordnet, dass ihr ihn beobachtet, auf eventuelle Auffälligkeiten achtet, die sich an seinem Verhalten zeigen. Wir können es uns nicht leisten, einen so fähigen Mann wie Aya zu verlieren, daher wollen wir ganz sicher sein, dass er uns auch wirklich hintergeht. Youji, ich möchte, dass du während eurer Missionen ein Auge auf ihn hast, ganz einfach, weil du am Nächsten mit ihm zusammenarbeitest. Omi, du beschattest ihn, wenn er abends weggeht oder generell das Haus verlässt. Zusätzlich überprüfst du seine Spuren im Internet, welche Nummern er angerufen hat, wer ihn angepiept hat, etc.. Ich habe vollstes Vertrauen in dich."
Sie machte eine kleine, bedeutungsvolle Pause um ihre Worte besser wirken zu lassen. Die Idee, Aya von Weiß überwachen zu lassen, war fantastisch gewesen. Sie musste nur ein paar wenige, gefälschte Details einstreuen, dort ein Telefongespräch mit Lasgo hinzudichten, hier eine Begegnung arrangieren und schnell würde aus dem stolzen Anführer von Weiß ein abtrünniger Agent werden. So einfach war das.
"Aber warum sollte er Perser denn überhaupt verraten haben? Wieso ausgerechnet Aya?", warf Ken kopfschüttelnd ein und nippte gedankenverloren an seinem Früchtetee. Birman rümpfte angeekelt die Nase. Der süßliche Geruch widerte sie an, genauso wie die Person, die ihn trank. Wie natürlich jeder aus diesem Team hatte auch er seine persönliche, tragische Vergangenheit Der arme, betrogene Fußballer und sein verräterischer, bester Freund. Was für eine rührende Geschichte....Birman interessierte sie einen Dreck. Er funktionierte und das war wichtig.
"Das wissen wir eben nicht, daher müssen wir es herausfinden." Natürlich eine glatte Lüge, aber nichts, was Weiß je wissen musste. "Ich verabschiede mich, meine Herren. Ich hoffe, dass ihr den Auftrag zu Persers Zufriedenheit erfüllt, auch wenn es für euch schwer ist, gegen einen Freund vorzugehen."
Birman hielt es nicht für nötig, die abschließenden Worte von Weiß zu hören, also verabschiedete sie sich mit einem knappen Nicken und stieg die schmale Treppe zum Erdgeschoss empor. Wieder ein paar seidige Fäden gespannt, die das Netz ergänzen würden.
~~**~~
Ihm war nicht danach, nach Hause zu fahren. Er wollte sich ganz einfach nicht seinem Team stellen, ihren Blicken und gedanklichen Fragen. Nicht nachdem, was gerade vorgefallen war.
Er hatte gemordet, war auf Weiß getroffen, hatte Dinge erfahren, die er vielleicht vorher schon vermutet hatte, die ihm jetzt jedoch kalte Schauer über den Rücken laufen ließen.
Wie konnte er nur eine Sekunde lang glauben, dass sowohl Lasgo als auch Birman in den Flammen umgekommen waren? Ja...für einen kurzen Augenblick hatte er sich dieser Illusion hingegeben, hatte gehofft, dass er in Sicherheit wäre, doch dem war nicht so. Seine Gabe zeigte ihm die Zukunft nicht, doch er war sich sicher, dass es nichts Gutes sein würde.
Crawford ließ seinen Wagen schließlich auf einem unscheinbaren Parkplatz ausrollen und fuhr sich mit den Händen müde über seine schmerzenden Gesichtszüge. Das war nicht gut...das war gar nicht gut. Um ehrlich zu sein jagten ihm diese Neuigkeiten Schauer des Unwohlseins durch seinen Körper, wenn nicht sogar mehr als das. Das Wissen, dass die beiden lebten, ließ nicht zu, das Geschehene hinter sich zu lassen und zu vergessen. Dass er es überhaupt in Erwägung zog, ein normales Leben zu führen.
Rache. DAS Wort in den ziellos umherirrenden Gedankensträngen. Rache. Blut. Gewalt. Vernichtung. Tod. Folter. Er war mächtig, nun, da alles wieder beim Alten war. Nun, da sein Team wieder um ihn herum funktionierte. Er konnte den älteren Mann auch ohne seine Gabe besiegen, das wusste er.
Er war stark, das war ihm bewusst.
Er war unbesiegbar, das war ihm schon in die Wiege gelegt worden.
Er war der geborene Anführer, niemand nahm ihm das.
Dennoch hatte man ihn vergewaltigt. Zweimal. Hieß das denn nicht, dass er schwach war? Dass er kein Mann war? Dass er die Rolle des Anführers zu Unrecht inne hatte? Er war nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen, wie sollte es dann erst mit seinem Team funktionieren?
Crawford schloss erbittert die Augen und presste seine Handballen gegen die gesenkten Lider. Nein...solche Gedanken durfte er nicht haben. Er durfte nicht an dem zweifeln, was er tat. Einfach vergessen, einfach hinter sich lassen, das war das Richtige, das Einzige, was er tun konnte, um die Ereignisse der letzten Tage zu verarbeiten.
Wie schön doch die Theorie war...so vollkommen anders als die Praxis.
Er musste aufstehen! Musste hier raus! Die geräumige Weite des Wagens schien ihm plötzlich um ein Vielfaches zu eng, als er hastig den Schlüssel aus der Zündung zog und geradewegs aus dem Wagen stolperte. Ja...hier war es besser, hier ließ sich das abrupte Herzklopfen wieder unter Kontrolle bringen.
Er hörte sich selbst, wie er gewaltsam nach Luft schnappte und sich zitternd an sein Auto lehnen musste. Was war das? Woher kam diese plötzliche Panik? Es war doch alles in Ordnung. Er war doch Herr der Lage, vollkommen in Kontrolle. Wieso dann eine solche Reaktion?
Er wusste es nicht, oder versuchte es vielmehr ganz einfach zu verdrängen. Er war zuhause, in Sicherheit.
Dieses Zuhause stellte im Moment jedoch nicht ihr gemeinsames Anwesen da, sondern seine private, bisher unentdeckte Errungenschaft. Laut Schuldig würde es wohl ein Schrebergarten sein, doch Crawford wusste, das kleine Stück Land, welches er sich zugelegt hatte, verdiente diesen Namen nicht. Sicherlich, es war mit weitläufigem, verwinkelten Garten und sich anschließendem, zweistöckigem Holzpavillon ähnlich aufgebaut, doch er hatte sich ausschließlich auf den Anbau von Blumen und Pflanzen spezialisiert und nicht auf Gemüse.
Rosensträucher säumten nun seinen kleinen, kieseligen Weg, den er entlang schritt. Sie alle waren dank des Wassermangels nicht mehr in ihrer ursprünglichen Pracht anzutreffen, sondern starrten ihn aus traurigen, bräunlichen Blüten an. Eine Schande, doch unumgänglich. Er hatte damit gerechnet, hatte seinen Auftrag mit eingeplant. Was er jedoch nicht vorausgesehen hatte, war die ungewollte, erzwungene Verlängerung seines Aufenthaltes, dessen Früchte ihm nun mehr als deutlich bewusst waren.
Er würde sich die nächsten Tage erst einmal darum kümmern müssen, all das hier wieder herzustellen, um Ordnung in seine private Oase zu bringen. Aber das war gut, lenkte es ihn doch von den anderen Gedanken ab, die sich so störend auf seine Konzentration auswirkten.
Crawford inspizierte kurz den mächtigen Kirschbaum zu seiner Rechten. Ein spät Tragender, der, im Gegensatz zu allen anderen Pflanzen, sehr genügsam im Wasserhaushalt war und dementsprechend wenig Früchte verloren hatte bisher. Er zupfte eine der vielen Kirschen aus ihrer Umklammerung und kostete sie vorsichtig. Nicht zu süß, nicht zu bitter, angenehm fleischig. Ja...genauso mochte er sie.
Er musste unwillkürlich lächeln, als er daran dachte, wie misstrauisch Schuldig und Nagi ihn beäugen würden, wenn er, wie jedes Jahr, mit zwei Eimern voller Kirschen auftauchen und sie ohne Kommentar waschen und zum Verzehr hinstellen würde. Nagi hatte ihn mehrmals danach gefragt, doch er hatte nie darauf geantwortet. Wie gesagt, es ging seine Teamkollegen nicht das Geringste an.
Aber die Kirschen aßen sie gerne!
Crawfords Blick wanderte zu der uralten Eiche, die wie ein ewiger, stummer Wächter das Haus bewachte, es vor neugierigen Blicken abschirmte. Ein Meer von roten, gelben und braunen Blättern bedeckte um diese Jahreszeit den mächtigen Stamm, wiegte sich sanft im kühlen Oktoberwind. Ein angenehm untermalendes Rauschen drang an seine Ohren und ließ seinen Gedanken für einen Moment zurückschweifen zu jenen drei Tagen.
Auch dort hatte er das Rauschen der Bäume vernommen, hatte sich gänzlich der beruhigenden Wirkung dessen hingegeben, während er versucht hatte, das Geschehene wenigstens in die letzte Ecke seines bewussten Denkens zu verbannen. Es war ihm nicht gelungen, dafür hatte er eine äußerst interessante Entdeckung gemacht, wie er nun feststellte. Ran, nein...AYA Fujimiya, Weiß´ Abyssinian, wie er ohne sein Katana im normalen Leben zurechtkam.
Oder auch nicht, wie er wundervoll hatte beobachten können.
Was Crawford jedoch wirklich erzürnte, war die Tatsache, dass ihm seine Gabe schließlich gezeigt hatte, was mit seinem Feind geschah, also an sich völlig unwichtige Details. Was interessierte es ihn, ob der rothaarige Weiß nun in Flammen aufging oder in den Fluten seiner Badewanne verschwand? Das war ihm vollkommen egal im Vergleich zu seinem eigenen Schicksal. Und genau das war ihm wiederum nicht gezeigt worden.
Auch eine Sache, die ihn in diesem Moment Sorgen bereitete. Er war noch nie ganz Herr seiner Kraft gewesen, besonders dann nicht, wenn er nicht vollkommen im Gleichgewicht mit sich selbst war. Aber nun schien seine gesamte innere Balance dermaßen durcheinander geraten zu sein, dass er seine Gabe nicht mehr vernünftig gebrauchen konnte. Alle wichtigen Details blieben ihm solange verborgen, bis sie passierten. Das war neu für ihn und äußerst unangenehm.
Aber vielleicht brauchte es einfach seine Zeit um auszuheilen, wie gewisse andere Dinge ebenso....
Crawford lauschte dem leisen Knirschen seiner Sohlen, als er auf das Haus zusteuerte, kurz davor stehen blieb und seinen Blick über die efeubewachsene Fassade gleiten ließ. Weinrote Ranken, die das sonst dunkle Holz nun beinahe komplett verbargen. Auch Arbeit, die auf ihn zukam. Efeu, ein Parasit unter den Gewächsen, wucherte schnell unkontrolliert, wenn man sich nicht regelmäßig um die Pflege kümmerte. All das, was nun die großen Panoramafenster des Erdgeschosses im Pavillon verbarg, musste weg.
Mit einem ergebenen Seufzen schloss er auf und betrat seine persönliche Ruheinsel. Das Besondere daran war der steinerne Eingansbereich, sowie eigentlich das gesamte Erdgeschoss. Mit orientalischen Mustern und Skulpturen verziert, mutete es an, wie ein altes, arabisches Badehaus. In sich harmonische Muster aus handgeschnitztem, robustem Holz, farbenfrohe Wände, kalter, bräunlich durchzogener Marmor, all das kennzeichnete diesen einzelnen, durchgehenden Raum.
Was hier nicht so deutlich zur Geltung kam, war der achteckige Grundriss des Hauses, doch das störte Crawford nicht, ganz im Gegenteil. Er wusste ja, dass es im zweiten Stock dafür umso deutlicher ins Auge stach. Hier jedoch zog das riesige, in den Marmor eingelassene Schwimmbecken die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Es war ebenso klassisch arabisch, wie der gesamte Raum an sich und genau das, was Crawford sich vorgestellt hatte. Einfach wundervoll. Sein persönliches Paradies, seine Oase zum Entspannen und Abschalten.
Alleine schon die Luft...frisch, leicht salzen und definitiv kühl...eine Atmosphäre, die Crawford oft Schauer des Wohlbehagens über den ganzen Körper sandte. Im Moment entspannte ihn diese stille Friedfertigkeit und ließ ihn ein wenig in dem Hochgefühl schwelgen, das ihn immer durchströmte, wenn er es getan hatte.
Wenn er einen Menschen umgebracht hatte.
Wozu verneinen, wenn er sich dafür nicht zu schämen brauchte? Ja, er liebte es, zu töten. Leben zu nehmen. Zu vernichten. Das, was er gerade eben getan hatte, war erholsam und befreiend zugleich gewesen. Zu sehen, wie ein minimaler Streifen Blut aus der Kopfschusswunde des Agenten lief, wie sein Körper kein Anzeichen von Leben mehr in sich barg... Fantastisch! Er hätte sich den Mann gerne von nahem angesehen, hätte gerne gefühlt, wie sein Puls schwächer und schwächer wurde, doch das hätte ihm zuviel Aufmerksamkeit eingebracht und das wollte Crawford nicht.
Im Endeffekt war dies nun auch nicht von Bedeutung. Der Mann war tot und verschaffte ihm damit ein paar wenige Augenblicke des Glücks. Crawford seufzte und begab sich leise summend nach oben, um dort einen weitläufigen Blick über die zweite Etage zu werfen. Auch hier war noch alles in Ordnung. Was sollte denn auch geschehen sein?
Er streifte mit den Augen über die dunkle, ornamental verzierte Beschaffenheit der Wände. Orientalisch. Das würde jedem Beobachter sofort ins Auge stechen, wenn er diesen Raum sah. Ebenso wie ein Stockwerk tiefer dominierten hier kunstvolle Schnitzereien, verspielte wie anmutende Muster an den dunkelroten Wänden. Die rund nach oben zusammenlaufende Decke war mit schweren, ebenso farbigen Brokatstoff ausstaffiert und lief schließlich in einem kleinen Kreis zusammen, welcher das einzige Fenster dieses Raumes darstellte.
Das verglaste Dach. Sozusagen eine Kuppel von einem oder anderthalb Metern, so genau wusste Crawford es nicht mehr. Direkt darunter stand das Bett, eine weit ausladende, herrschaftliche Lagerstätte, prunkvoll ausgestattet mit Seiden- und ebenso Brokatkissen, auf denen im fahlen Sonnenlicht feinste Stickereien schimmerten.
In einer Wand war ein Kamin eingelassen, der Boden davor nicht mit dicken Perserteppichen gesäumt wie der Rest des Gemaches, sondern mit groben Stein versehen.
Crawford atmete tief ein, sog die Luft in seine Lungen. Schwacher Yasminduft umgab ihn und legte sich nun entgültig wie Balsam auf seine aufgescheuchte Seele, ließ ihn nun wirklich zu Ruhe kommen, als er sich auf das Bett gleiten ließ und allem um sich herum entfloh.
Vollkommene, stille Ruhe.
Dennoch zwang er sich gleichsam dazu, zu erinnern. An das, was geschehen war. An den Moment, wo sein Abstieg begonnen hatte. Er rief sich alles noch einmal in sein Gedächtnis, sein Auftreten, Lasgo, seine Ahnungslosigkeit und schließlich das Armageddon. Seine persönliche Hölle aus Schmerz, Vergewaltigung und vollkommener Machtlosigkeit. Hilflos, das war er gewesen, als Lasgo ihn überrumpelt hatte, als er sich selbst gegen normalsterbliche Fesseln nicht wehren konnte. Handschellen, die sie ihm angelegt hatten, hielten ihn davon ab, dem älteren Mann die Kehle herauszureißen.
Kalter, schwerer Stahl, der sich ungefragt in seine Haut schnitt, als er sich gegen die massigen Wachleute Lasgos gewehrt hatte, doch bald erkennen musste, dass er nicht den Hauch einer Chance besaß. Ein schrecklicher Moment. Aber einer, den er bis zu dem Zeitpunkt noch zu händeln wusste. Gewalt gegen ihn war nicht das Problem. Schmerz auch nicht. Wer austeilen konnte, der musste ebenso einstecken, auch wenn das Prinzip des Einsteckens auf ihn meist nicht zutraf. Er war der geborene Sieger, ein Mann von absoluter Macht, der sich niemandem unterordnete.
Crawford war in seinem bisherigen Leben selten ängstlich oder gar entsetzt gewesen, doch der ältere Mann wusste, wie er derlei Gefühle aus seinen Opfer herausholen konnte. Wie er sie Stück für Stück aus seinem hilflosen Gegenüber herausriss, sich allem bemächtigte, was diesen ausmachte.
Ja...er hatte sie erfahren, die vollkommene Demütigung, die Entmenschlichung. Nackt, entblößt, ohne Würde und Selbstbestimmung hatte er vor ihm gelegen und musste das über sich ergehen lassen, was in ihm qualvollen, sinnlosen Widerstand hervorrief. Die körperlichen Schmerzen waren schlimm gewesen, ja. Weitaus schlimmer als alles andere zuvor. Doch die geistigen Qualen, die ihn seitdem immer noch heimsuchten, waren um ein Vielfaches schlimmer.
Wenn er es sich ehrlich eingestand, wusste er, dass er die Erinnerungen nicht einfach auslöschen konnte. Die Wut und den Hass ebenso wie Angst und Verzweiflung gepaart mit Zweifeln und dem Wunsch zu sterben. Ja...unglaublich aber wahr. Für einen Moment hatte er sich gewünscht, mit samt der Basis in die Luft zu gehen. Besser das, als noch einmal durch diese Tortur zu gehen. Doch dann war ja sein strahlender Ritter in glänzender Rüstung erschienen und hatte die holde Maid gerettet.
Crawford musste amüsiert lachen. Der sonst so schwache Abyssinian hatte ausgerechnet IHM das Leben gerettet. Seinem Erzfeind, dem Mann, auf dessen Rechnung die Morde an seiner Familie gingen. Auch wenn er nie wirklich Hand an die Bombe gelegt hatte, welche die Beiden tötete, so hatte er doch den Auftrag von Takatori angenommen und alles andere vorbereitet. Und dafür hasste ihn der rothaarige Wildfang.
Aber er hatte ihn nicht getötet und ihn auch nicht Lasgo überlassen. Auch wenn Crawford dem keine große Bedeutung zumaß, so interessierte ihn das "warum" schon. Vielleicht war es einfach ein Schock für den unschuldigen Weiß zu sehen, wie grausam ein Mensch sein oder wie sehr man einen sonst arroganten Killer erniedrigen konnte. Vielleicht war Birmans Verrat einfach zuviel für Abyssinian gewesen...
Diese verdammte Hure. Er würde sie töten, ganz langsam. Sie leiden lassen, um schließlich ihr Betteln um Erlösung nicht zu erhören. Sie dachte, sie hätte über ihn gesiegt? Nie im Leben...im Gegenteil. Nun hatte sie einen der mächtigsten Feinde, die sie sich hatte machen können. Und Crawford war ganz und gar nicht fantasielos, was das Quälen anging.
Er reckte sich genussvoll und pfläzte sich in die weichen Kissen. Wie gut es doch tat, zuhause zu sein. In trügerischer Sicherheit. Doch es war später noch genug Zeit, blutige Pläne über die Zerstörung von Weiß und Kritiker zu entwerfen. Nun wollte er einfach nichts denken, sondern nur ruhen. Keinen Gedanken mehr an die Zeit bei Lasgo.
Einfach nur ruhen...
~~**~~
Er stellte unsanft seine Kaffeetasse ab und rieb sich müde die Augen. Gott...zuwenig Schlaf und zuviel Sex forderten auch irgendwann einmal ihren Tribut und ließen ihn sich nun wackelig auf einen der unbequemen Küchenstühle niederfallen. Auch wenn das nicht das Einzige war, was ihm Probleme bereitete. Aya war wieder da, brachte ungewöhnlich schlechte Laune mit und nun kam auch noch Birman mit der ungeheuren Nachricht, eben jener Mann wäre ihnen abtrünnig geworden. Youji glaubte ihr das nicht, das stand fest. Aya war bisher immer bei der Sache gewesen und hatte für Gerechtigkeit gekämpft, da würde ihn eine einfache Mission nicht aus der Bahn werfen.
Eben dieser kam nun von ihrem allwöchentlichen Einkauf wieder und parkte seinen Wagen in der geräumigen Garage, um mit voll beladenen Armen die Küche zu betreten und Youji selbst wütend anzufunkeln. Was es auch war, das seine schlechte Laune hervorgerufen hatte...es war noch einmal in Erscheinung getreten und hatte diese noch verschlimmert. Um einiges, dem mordlustigem Blick nach, der ihn nun traf.
"Wie wäre es, wenn du dich mal an den Haushaltsplan hältst, anstelle dich herumzutreiben, Kudou? Oder geht einkaufen über deine Intelligenzgrenzen?"
Oha. Der Schlag unter die Gürtellinie. Na da stimmte doch etwas gewaltig nicht. "Probleme Fujimiya? Wenn ja, lass sie an dem aus, der sie verursacht. Ich bin ausnahmsweise unschuldig, Sweetheart."
Aya ließ sich nicht herab, darauf zu antworten, sondern stellte allzu deutlich die prall gefüllte Tüte auf die Anrichte und verschwand erneut, um schließlich den Rest zu holen. Stirnrunzelnd machte sich Youji daran, die vor ihm liegenden Lebensmittel auszupacken und in ihre Vorratsschränke zu räumen. Dass Aya mit Leichenbittermiene auftrat, war ihm nicht neu. Daran hatte er sich schon längst gewöhnt. Aber dass der rothaarige Mann so offene Wut zeigte, war doch ungewöhnlich und zeugte davon, dass etwas wirklich nicht stimmte. Die Frage war nur, was genau.
Youji fuhr abrupt zusammen, als direkt neben ihm die zweite, wuchtige Einkaufstasche auf ihrer Arbeitsfläche aufschlug, untermalt mit einem melodisch diabolischem Grollen. Er sah überrascht auf und wurde einen Moment lang von einem zornigen, tiefmaliziösem Blick niedergeworfen, bevor er seine eigenen Schilde hochziehen konnte und sich sein Gesicht mit der so typischen Maske des charmanten Lächelns überzog.
"Kein Grund, mich umzubringen, Aya...sag mir lieber, was dir quergeht."
Wie erwartet, bekam er keine Antwort, sondern musste mit ansehen, wie besagter Mann ihre Sachen fachgerecht und mit äußerster Brutalität verstaute, ihn dabei keines Blickes mehr würdigte und anschließend ohne auch nur einen Ton zu sagen, in seine Räume verschwand, dabei der Geräuschkulisse einer zornigen Herde von brunftigen Nashörnern beängstigend ähnelte.
Der ältere Weiß seufzte. Ich hoffe, du erkennst das Opfer irgendwann einmal an, Fujimiya, fauchte er in Gedanken, begab sich dann jedoch hinauf in die Höhle des Löwen. Zeit, nun mal mit allen Zweifeln aufzuräumen und dem Hitzkopf Manieren beizubringen. Aya würde sich noch wundern, wenn er mit ihm fertig war...
Ohne anzuklopfen betrat er das Zimmer des Jüngeren und schlug mit einem lauten Ruck die Tür hinter sich zu, erwiderte den hasserfüllten Blick Ayas mit cooler Lässigkeit. "Lass dich nicht stören, Fujimiya. Ich bin nur hergekommen, um mit dir zu reden."
"Raus." Wut, mühsam unterdrückt, schlug ihm mit diesem einzigen Wort entgegen, ließ ihn jedoch nur spöttisch lächeln. So nicht. Das hatte er schon viel zu oft erleben müssen, als dass er nun nicht dagegen gefeit wäre.
"Nein." Youji wusste, das brachte Aya nun beinahe zum Überkochen, doch es war ihm egal. Er wollte Antworten. Klare, ehrliche Antworten. Das war doch nicht zuviel verlangt, oder?
Für den jungen Vulkan hier scheinbar schon, denn Aya schien so ganz und gar nicht geneigt zu sein, auch nur irgendeine Frage zu beantworten.
Doch anstelle ihn anzugreifen, drehte sich Aya wortlos um und kehrte Youji seinen Rücken zu. Die Ignoriertaktik also...gut. Damit konnte er umgehen, das kannte er wie alles andere auch schon.
Mit einem Ruck packte er Aya an der Schulter und riss ihn zu sich herum, brachte den rothaarigen Mann damit ins gewaltsame Stolpern. "Schluss mit den Spielchen, Aya. Ich will Antworten und du wirst sie mir gefälligst geben!", zischte er dunkel und stieß den immer noch zu überraschten Mann grob an die gegenüberliegende Wand.
"Was soll das?!" Ah, schon mal eine minimale Regung in der Persona des Anderen, das war ja wunderbar. Gleichsam mit der Sprache schienen auch die Lebensgeister des Jüngeren erwacht zu sein, als er sich wütend vom kalten Gestein abstieß und auf Youji losging. "Hast du IRGENDEIN Problem, Kudou? Kannst du mich nicht EINFACH nur in Ruhe lassen? Ist das ZUVIEL verlangt?!"
Youji packte Ayas Faust, bevor sie einen glatten Treffer in seinem Gesicht landen konnte und verdrehte seinem Gegenüber zielgenau den daran hängenden Arm, brachte ihn somit völlig aus dem Konzept und ließ ihm selbst Zeit, in einigen wenigen Augenblicken sein weiteres Handeln zu überdenken. Aya musste sich beruhigen, das stand außer Frage. Natürlich...es gab eine Möglichkeit, die er allerdings als allerletzte in Betracht zog, da sie garantiert blutig endete.
Aber gut, Opfer mussten gebracht werden. Mit einem Ruck schleuderte er den sich fauchend wehrenden Abyssinian gegen dessen Bettpfosten, erntete dafür ein fluchendes Aufstöhnen und zog in einer einzigen, geschmeidigen Bewegung den Draht aus seiner Uhr. Wie gut, dass er sie immer bei sich trug. Wie gut, dass er immer für den Eventualfall vorbereitet war.
Mit gewohnter Präzision schlang sich das Silber um sein Opfer, würgte ihn dieses Mal jedoch nicht zu Tode, sondern hielt ihn mit seinen Handgelenken etwas oberhalb des Kopfes bewegungslos am eisernen Pfosten.
Aya wurde sich nun auch bewusst, was sich sein Teamkamerad erlaubt hatte und schrie wuterfüllt auf, während er sich mit aller Macht gegen die Fesseln stemmte, sich dabei nach und nach die empfindliche Haut aufschlitzte. Doch Youji dachte nicht daran, den anderen Mann davon abzuhalten, sich selbst wehzutun, nein. Er hielt Aya für klug genug, dass dieser es selbst irgendwann bemerkte. Oder dass er zu erschöpft wurde, um noch weiteren Widerstand zu leisten.
Doch dieser beachtete ihn gar nicht, sondern konzentrierte sich einzig und allein darauf, seinen drahtigen Fesseln zu entkommen. Ein sinnloses Unterfangen, wie Youji wusste. Aber gut...er hatte Zeit. Die beiden Kleinen arbeiteten unten im Laden, sie würden sie, oder vor allen Dingen Aya, nicht hören. Perfekt.
Youji ließ sich vorsichtig auf den Schreibtischstuhl sinken und fingerte an einem der Kugelschreiber herum. Er gab Aya....fünf Minuten. Fünf Minuten, bevor sich der rothaarige Mann ausgetobt hatte und er mit ihm reden konnte. So surreal diese Situation, so ungewöhnlich ein völlig unbeherrschter Aya auch war, so genau wusste Youji nun, was er wollte.
"Birman war hier, während du eingekauft hast, Aya", warf er ruhig in den Raum und wartete auf die Reaktion seines Gegenübers, die sich langsam, aber dennoch stetig zu formen begann. Der rothaarige Mann gab zunächst seinen ermüdenden und aussichtslosen Kampf gegen den stählernen Gegner auf, fixierte dann seine hasserfüllten Augen auf den, der die fatalen Worte ausgesprochen hatte um schließlich schon fast animalisch zu zischen.
"Na UND? Rechtfertig das DAS hier, Kudou?!", traf den blonden Weiß ein Schwall eisiger, verächtlicher Worte, ließ ihn innerlich frösteln, während Aya demonstrativ seine Hände nach vorne ruckte.
"Nein, tut es nicht", entgegnete Youji lässig und lächelte grimmig. "Aber ich will mit dir reden und wissen, was es mit gewissen Dingen auf sich hat. Und ich will Antworten, denn das ist mein gutes Recht, Abyssinian!"
Aya zuckte bei Erwähnung seines Codenamens sichtlich zusammen, schien aber selbst zu wissen, dass es klüger wäre, dem älteren Weiß wenigstens scheinbar zuzuhören. Als Zeichen für sein minimales Einlenken entspannte er seinen Körper auf die geringste Art und Weise und rieb knirschend seine Kiefer aufeinander. Er war bereit, zuzuhören. Das war die klare Botschaft an Youji.
"Du solltest einkaufen gehen, damit Birman etwas ungestört mit uns besprechen konnte. Dieses "etwas" war dann, dass du auf deiner letzten Mission abtrünnig geworden bist und Weiß hintergangen hättest. Sprich, dass du freundschaftlichen Feindkontakt hättest. Ist das so, Aya? Lebt das Ziel noch?"
"Ja...er lebt noch." Ohne es zu wissen, sprach Aya diese Worte laut aus, auch wenn sie fest in seinen Gedanken verankert schienen. Lasgo lebte....Birman auch. Gerade Birman! Und spielte nun ein vollkommen falsches Spiel mit ihm. Hetzte Weiß gegen ihn auf. Weiß! Seine....Familie. Erzählte ihnen, dass ausgerechnet ER sie betrogen hätte...war ihr ihre Drohung denn noch nicht genug? Musste sie ihn auch noch so zerstören?
"Wieso das, Aya?"
Youjis Stimme durchschnitt wie der schmerzhafte Draht seine Gedanken und ließ ihn zu seinem momentanen Gesprächspartner zurückkehren. Nun wurde ihm auch bewusst, dass er keineswegs nur gedacht hatte.
Sollte er Youji sagen, dass Birman sie betrog? Dass sie ihn erpresste? Nein...das konnte er nicht. Wenn nur irgendein Funken von Information an die Ohren der Agentin gelang, würde sie seine Schwester töten, und dann wäre alles umsonst gewesen. Sein jahrelanger Kampf, einfach alles. Das durfte er nicht zulassen. Lieber speiste er sein Team mit Halbwahrheiten und Lügen ab, als Aya dieser Gefahr auszusetzen.
"Ich war unkonzentriert auf der Mission....habe mich ablenken lassen. Von Schwarz." Er war mittlerweile wieder vollkommen ruhig, ließ das Verhör über sich ergehen und versuchte, die besten, nichtssagendsten Antworten zu finden. Doch Youji stellte mit der Sicherheit eines ehemaligen Detektivs die richtigen, unausweichlichen Fragen.
"Schwarz war auch da? Was ist passiert?"
Was sollte er jetzt sagen? Die Wahrheit? Dass Crawford vergewaltigt wurde? Dass er seinem Todfeind geholfen hatte? Dass er auf ganz Schwarz getroffen war und Crawford ihm mehrmals das Leben gerettet hatte und andersherum ebenso?
"Ich war gerade dabei, das Lager in die Luft zu sprengen, als Schwarz auftauchte...anscheinend hatten sie ebenso einen Auftrag zu erfüllen....wir sind aneinander geraten und dadurch konnte das Ziel fliehen....Als wir uns getroffen haben, als er mich im Park verfolgt hat, vielmehr, hat meine Zielperson mir dafür gedankt, dass ich mich habe....ablenken lassen. Aber ich habe keinen Feindkontakt, nicht freiwillig!" Welch einleuchtende Lüge....die Wahrheit, aber nicht ganz. Einfach ein paar wichtige Details auslassen, hier etwas verändern und schon war die ganze Geschichte harmloser als in Wirklichkeit.
Aya schloss erschöpft seine Augen. Ihm war schlecht. Schlecht, seine Teamkollegen anlügen zu müssen, schlecht, Crawford in Schutz zu nehmen. Schlecht, weil Birman so falsch spielte. Schlecht, weil er selbst so naiv war, wie der schwarzhaarige Amerikaner schon bezeichnenderweise gesagt hatte.
"Also alles nur Panikmache von Birman, ja?"
Der rothaarige Mann nickte, während er seine Augen langsam wieder öffnete. "Sie irrt sich...ganz einfach." Er war ein schlechter Mensch. "Ich habe keinen Feindkontakt." So schlecht. "Warum sollte ich auch? Ich habe gar keinen Grund dazu." Wie erbärmlich.
"Warum dann deine schlechte Laune?"
Aya verzog die Lippen zu einem schwachen, spöttischen Grinsen. "Ich habe gerade Crawford getroffen....beim Einkaufen. Er hat einen mich bespitzelnden Perseragenten getötet, das ist alles. Genug Grund für schlechte Laune, oder?" Das zumindest war die Wahrheit.
Auch ohne hinzusehen hätte er gewusst, dass Youji ihn zweifelnd anstarrte. Doch was sollte er machen? Es war nun mal ein Zufall gewesen und er WAR mit seinem Leben davon gekommen. Konnte schon mal vorkommen, wenn man jemanden vor einer Bestie rettet.
"Wie kommt es, dass ihr beide noch lebt?", bestätigte der ältere Mann Ayas Gedanken und ließ ihn frustriert die Augenbrauen hochziehen.
"Er war nicht daran interessiert, mich zu töten. Ich bin uninteressant für ihn....nicht gefährlich genug. Zumindest beim Einkaufen. Und wie soll ich ihn ohne Waffe töten? Mit der Palette Milch etwa? Soll ich ihn mit Reisbällchen ersticken? Oder mit Stäbchen solange auf ihn einstechen, bis er aufgibt?" Aya stockte. Er lächelte trocken. Das wäre eine Möglichkeit gewesen....versuchen können hätte er es ja. Wenn er gewollt hätte.
Youji stimmte in das Lächeln mit ein. Nein...das konnte er sich wirklich nicht vorstellen. Doch schließlich wurde er wieder ernst. "Was ist mit dem Agenten? Wieso hat er ihn getötet?"
"Weil er Spaß daran hatte. Er hat ihn einfach so erschossen, auf dem Parkplatz. Weil er ein Agent war. Nicht, weil er ihn angegriffen hatte, sondern einfach, weil er es wollte."
Stille folgte auf diesen Satz, ließ sie beide über das Gesagte reflektieren. Aya wusste, dass Youji ihm glauben würde, das sah er in den Augen des anderen Mannes. Das war nicht das Problem. Sein eigenes, verräterisches Gewissen war es. Er hatte einen seiner Teamkollegen willentlich angelogen. Alleine diese Tatsache zeigte ihm, dass er mit niemanden über die eigentlichen Fakten sprechen konnte. Nicht, wenn das Leben seiner Schwester davon abhing.
"Du solltest dich uns mehr öffnen, Aya. Alles andere führt nur zu aufgestauter Frustration. Wir sind deine Freunde, keine Feinde. Das solltest du dir vor Augen führen."
Wie sehr wünschte sich der rothaarige Mann im Moment, genau diesen Ratschlag befolgen zu können, doch es ging nicht. Nicht jetzt. Erst dann, wenn seine Schwester in Sicherheit war. Erst dann....
"Mach mich los, Youji", wich er seinem Freund aus und hob anklagend seine beinahe blutenden Handgelenke, die noch immer schmerzhaft eng an seinen Bettpfosten gefesselt waren. Zu seinem Erstaunen gehorchte der blonde Mann aufs Wort und löste vorsichtig die stählernen Seile, lächelte dabei entschuldigend.
Schließlich reichte er Aya eine Hand und zog ihn hoch.
"Freunde?"
Ja, Freunde.
Youji drehte sich arglos weg, als er die Antwort auf seine Frage in Ayas gesamter Körperhaltung erkennen konnte, blieb jedoch stehen und reagierte auf Ayas ruhige, emotionslose Stimme, die seinen Namen nannte, mit einer dem Rotschopf zugewandten, fragend erhobenen Augenbraue.
Nur um darauf in Kontakt mit Abyssinians wohlgeformter Faust zu kommen, die zielsicher seine Wange ansteuerte und ebenso exakt traf. Sie ließ Youji aufstöhnend nach hinten taumeln und trocken lachen, als er Ayas deutlich amüsierte Worte vernahm.
"Freunde. Aber Auge um Auge."
~~**~~
Blut.
Plasma und Zellen. Transporter von lebenswichtigen Stoffen, Ernährer, Luftspender. So komplex und dennoch so einfach aufgebaut. Erythrozyten...dafür gedacht, die rote Farbe zu spenden. Ein wunderlicher Kreislauf, ein empfindlicher Kreislauf. Nur ein Fehler, nur ein gewaltsamer Eingriff und schon konnte dieses ausgeklügelte Überlebenssystem so aus den Fugen geraten, dass es weder Herz noch Lunge mit den notwendigen Stoffen versorgte und den daran hängenden Menschen sterben ließ.
Ihn aber nicht. Er starb nicht. Er fühlte nicht. Er war ein Abstraktum. Er trug auch Blut in sich, ja...das sah er. Er brauchte nur, wie jetzt auch, seine bleiche, vernarbte Haut aufzuritzen und schon sah er sie...die Millionen von Zellen, die hinausquollen ans dämmrige Tageslicht. Bei anderen...normalen...Menschen ging das überein mit exquisiten Wellen des Schmerzes. Doch er...er blieb taub, verschlossen dem gegenüber, wonach ihm begehrte.
So sehr er sich auch verletzte, so sanft er sich auch berührte, er fühlte nichts. Er war sich der Berührung zwar bewusst, doch er konnte nicht unterscheiden, ob es Schmerz oder Zärtlichkeit war. Nur das Leiden, die Schreie anderer vermittelten ihm einen vagen Eindruck, wie es war, extremen Gefühlen ausgesetzt zu sein. Wenn er sie leiden und weinen ließ, konnte er sich an ihrer Qual laben, sie zu seiner eigenen machen.
Genau dann lebte er. Dann wusste er, dass er nicht nur noch ein existierender Leib war.
Das leise Öffnen der Tür holte ihn aus seinen Gedanken und ließ ihn das Messer senken, das er sich wenige Augenblicke vorher aus der Küche geholt hatte. Crawford befürwortete es nicht, wenn er sich selbst verletzte. Auch wenn er verstand, auch wenn er wusste, warum Farfarello das tat, wollte er es nicht. Dann schon lieber töten.
Er legte den Kopf schief und versank für einen Moment in der Betrachtung des herrischen Mannes. Herrisch...und doch so geschlagen. Er wusste was passiert war. Nur ein Trottel vermochte nicht zu sehen, was so offensichtlich vor ihm lag. Was in den Wochen der Abwesenheit passiert war. Er wusste, wer es gewagt hatte, sich den starken Mann Untertan zu machen, ihn auf seine Knie zu zwingen.
Er WUSSTE, weil das seine Gabe war.
Sowie ihm auch die Faszination bekannt war, die der ältere Mann für Vertreter seines Geschlechtes gehegt hatte. Wie sehr er den intellektuellen Umgang mit männlichen Vertretern der Spezies Mensch schätzte. Wie sehr er stilvollen Sex schätzte. Auch wenn Crawford emotionale Bindungen nicht einging, so liebte er doch die sanften, manchmal auch leidenschaftlichen Tête-á-têtes mit Männern seiner Kreise. Kreise, in denen man sich zu seinen Vorlieben nicht offiziell bekannte und somit eventuelle nähere Bekanntschaften umso interessanter machte. Was ihn nicht davon abhielt, auch die Damenwelt zu erforschen, nein.
Ein Mann mit vielschichtigen Interessen, das war Bradley Crawford, so kannte Farfarello ihn.
Umso mehr musste der junge Ire nun lächeln, als er schließlich der Eimer voller Kirschen gewahr wurde, die ihr Anführer wie jedes Jahr mit nach Hause brachte. Ein stummes Geschenk an sie, welches er ohne Erklärung zubereitete und ihnen zur Verfügung stellte.
Farfarello liebte die süßen, nicht zu bitteren Kirschen. Tiefrot, saftiges Fleisch, ein wahrer Genuss. Blutige Kirschen....ja, das waren sie. Geschaffen aus menschlichem Blut. Geschaffen nach menschlichem Blut. Welch wunderbare Vorlage.
Davon ab waren sie wirklich lecker.
"Nagi, hol die Sachen aus dem Wagen."
Die kalte, schmerzdurchtränkte Stimme des älteren Mannes holte Farfarello aus seinen amüsierten Gedanken und ließ ihn dem anderen in die gemeinsame Küche folgen. Crawford stellte gerade die schweren Eimer auf die Spüle und ließ Wasser in das geschlossene Becken, schüttete schließlich die Kirschen dazu. Bald...bald würde er sich an ihnen laben können.
Fasziniert betrachtete er, wie die schmalen, und dennoch männlich-dominanten Hände ihres Orakels die Früchte in das kalte Wasser tauchten und es sorgsam wuschen. Eine rituelle Reinigung von Schmutz und Filz, von allem Unreinen.
Nur nebenbei bemerkte er, wie ihr junger Telekinet mit Hilfe seiner Kräfte Crawfords Befehl Folge leistete und die schweren Taschen an ihnen vorbei hineinschweben ließ, sie schließlich von ihrem Ballast befreite und verstaute. Alles mit Hilfe seiner Gabe selbstverständlich. Eine gute Übung, hatte ihr Anführer damals gesagt. Training, um seine Kräfte zu perfektionieren.
Farfarello richtete seinen Blick wieder auf Crawford, der nun die Kirschen abschöpfte und abtropfen ließ. Seine gesamte Gestalt war mit feinen Linien des Schmerzes durchzogen. Mit feinen Merkmalen eines Leides, das außergewöhnlich brutal verursacht worden war. Es war da, vibrierte wie eine feine Staubschicht um den dunkelhaarigen Amerikaner.
Vergewaltigt.
Das war das Wort, das Crawford im Moment beschrieb. Zumindest für ihn, der Rest des Teams hatte keinen blassen Schimmer, was passiert war. Ignoranten, alle miteinander. Dumme Ignoranten. Waren zu sehr in ihrer naiven Welt gefangen. In einer Welt, wo Crawford nicht verletzt werden konnte, wo er ein Übermensch war. Farfarello lachte. Übermensch...niemand war das. Auch sie nicht, mit ihren Gaben, auch wenn sie mächtig waren.
Der dunkelhaarige Mann schien nun mit seiner momentanen Tätigkeit fertig zu sein und stellte eine übergroße Schale mit den verlockenden Früchten auf ihren Wohnzimmertisch, mied dabei tunlichst den Blick des Deutschen, der ihn nur so zu durchbohren schien und verabschiedete sich mit einem knappen Nicken nach oben. Er war müde und die Wirkung der Medikamente hatte nachgelassen.
Farfarello legte schweigend seinen Kopf schief und sinnierte für einen Moment über sein weiteres Vorgehen. Es war sicher, dem Mann jetzt zu folgen, das wusste er. Ihm Gesellschaft zu leisten.
Das war besser so.
~~**~~
Crawford ließ sich behutsam auf sein Bett nieder gleiten. Gott, sein gesamter Körper schmerzte, jetzt, wo die Wirkung des Tramals nachließ, vermutlich schon gänzlich verflossen war. Was ihn jedoch verwunderte, war, dass die dumpfen, nicht enden wollenden Impulse um einiges stärker schienen als in den drei Tagen, die er mit dem Weiß zusammen verbracht hatte. Natürlich....das lag an der zweiten Vergewaltigung, doch nun hatte er Schmerzmittel dagegen und es half trotzdem nichts.
Genau diese auch nun noch andauernde Hilflosigkeit machte Crawford wütend. Jetzt, wo er nicht mehr hilflos vor dem älteren Mann lag, seine Beine gespreizt und vollkommen reglos, war er dennoch gefangen in seinen Schmerzen und Qualen, die ihn demütigten. Auch ohne das Glied des Anderen tief in seinem Inneren, wurde er wieder und wieder vergewaltigt.
Mein neues Lieblingswort, schoss es Crawford bitter durch den Kopf, als er nun entgültig die Augen schloss und sich auf sein Bett legte, dann jedoch hochfuhr, als sich ungefragt die Tür zu seinen Räumlichkeiten öffnete und einen stillen, ruhigen Farfarello freigab.
"Raus hier." Ihm war nicht nach Gesellschaft, schon gar nicht nach ungefragter. Doch der junge Ire ließ sich davon keinesfalls abschrecken, ganz im Gegenteil. Er streifte ungerührt zum Bett und ließ sich direkt neben Crawford am Kopfende auf dem Fußboden nieder.
Der amerikanische Mann funkelte sein Gegenüber wortlos an. Was sollte dieser Ungehorsam? Er wollte gerade den Mund öffnen, um Farfarello deutlich zurechtzuweisen, als dieser mit einer klammen, blassen Hand seine Wange entlang strich und gedankenversunken murmelte:
"Es schmerzt, nicht wahr? Es tut auch jetzt noch weh...gerade jetzt. Jetzt, wo alles vorbei ist. Die Frage ist, warum? Warum gerade jetzt und nicht dann, als es geschehen ist. Jetzt, wo du in Sicherheit bist. Jetzt, wo alles gut sein sollte. Warum, warum, warum? Fragen....und keine Antworten. Das verwirrt....ängstigt....macht schwach."
Crawford blieb still und lauschte nur ungläubig den Worten seines jüngeren Gegenübers. Natürlich....es war offensichtlich, was Farfarello wusste. Doch dass er es so genau auf einen Punkt traf, dass er mit seiner eigenen Zielsicherheit das zur Sprache brachte, was Crawford erzürnte...es war unbequem, sich dem zu stellen.
"Aber das wird verschwinden....wird schwächer...." Wie in der Nacht zuvor, beruhigten Farfarellos Berührungen die Schmerzen auf und in seinem Körper, ließen ihn vertrauensvoll seine Augen schließen und den gleichmäßigen Atemzügen des Anderen lauschen. Er verfolgte zunächst noch wach, dann aber immer schläfriger die Bewegungen der Hand, wie sie sanft über sein Gesicht strich, seine Haare durchkämmte, seine Schultern entspannte. Die Frage nach dem Warum schien mit einem Male zu weit weg zu rücken, als dass er sich ihr noch stellen wollte. Es war Geborgenheit, ja. Hilfe, ebenso.
Brauchte er das denn? Nein....
Wieso also ließ er es geschehen? Wieso stieß er den anderen Mann nicht von sich? Crawford wusste es nicht. Er wusste nur, dass er zu müde war, um noch weiter darüber nachzudenken. Lieber einschlummern, lieber der schmerzhaften Realität in womöglich noch schmerzhaftere Träume entfliehen.
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Auch wenn sie gewohnt freundlich miteinander umgingen, so hätte Aya auch ohne Youjis vorherige "Hilfe" gewusst, das etwas nicht stimmte. Omi, der zwar lächelte, es aber nicht wagte, Aya direkt in die Augen zu sehen. Ken, der ungewöhnlich still war.
Seine Augen verengten sich zu wütenden Schlitzen, als er daran dachte, was dieses Misstrauen ihm gegenüber ausgelöst hatte. Birman. Falsche Schlange. Das war sie, nichts anderes. Hätte er es gekonnt, er hätte Perser einen Gefallen getan, ungeachtet der Tatsache, dass ihr Auftraggeber ihr vielleicht um nichts nachstand. Er würde sie töten. Wenn seine Schwester in Sicherheit war, würde er sie töten. Ganz einfach.
Sein Blick kam auf den kleinen, feuerroten Ringen um seine Handgelenke zum Ruhen. Youjis Werk. Eine Handlung im Affekt, sowohl von seiner als auch Balineses Seite aus. Wobei er noch gut weggekommen war im Vergleich zu dem schmächtigen Blonden, dessen Gesicht nun ein farbenfroher Wangenknochen zierte.
Aya lächelte, traf Youjis Blick und schickte ihm einen ungerührten ´Selbst Schuld ´- Blick, den der grünäugige Mann lakonisch erwiderte. Er seufzte. Wenigstens war zwischen ihnen alles in Ordnung...
Ein angeekeltes Ausspucken brachte sie beide wieder zu ihrem Team zurück und ließ sie sich auf Omi fixieren, der nun mit verzogenem Gesicht aufsprang und sein Getränk den Abfluss hinunterschüttete.
"Was ist passiert?", fragte Aya mit hochgezogener Augenbraue und sah stirnrunzelnd zu, wie sich ihr Jüngster schüttelnd den Mund ausspülte und ein Glas Orangensaft herunterstürzte.
"Die Milch ist sauer!", erwiderte der Blondschopf und sah anklagend in die Runde.
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by Coco
Und nun ein kleines Goodie von Loul gestiftet:
Youji: *ayaküss*
Aya: Magst mi?
Youji: *streichel* joa...
Aya: *genieß* liebst mi?
Youji: *keuchundstoß* jop
Aya: *wohligseufz* heiratst mi?
Youji: naa....
Aya: *schnauf* raus sag i!
Süß, nicht wahr? Wirklich niedlich!! ^_^
