Kapitel 12 - Remus V
Zwei Tage später war endlich Wochenende, und die Freunde machten einen Ausflug nach Hogsmeade. Lily war dieses Mal nicht mitgegangen, da sie einer Freundin versprochen hatte, ihr mit ihren Zauberkunde-Hausaufgaben zu helfen. Aber auch wenn es James leid tat, dass sie nicht mit dabei war, ließ er sich dadurch nicht die gute Laune verderben - nicht heute! Der erste Gang führte die vier zu der Scheune, in der das von Sirius angebetete Motorrad stand. Es war immer noch da, das Zu-verkaufen-Schild hing noch daran, gekrönt von einem Foto, auf dem das Motorrad mit einem älteren Zauberer darauf über Hogsmeade kreiste.
Sirius wandte sich nach links und klopfte an die Tür des Hauses, zu dem die Scheune gehörte. Eine alte Hexe mit schneeweißen Haaren und freundlichen, blauen Augen öffnete. Sie lächelte, als sie die Jungen sah. "Kann ich was für euch tun?" Sirius räusperte sich. "Ja - ich möchte das Motorrad kaufen!" Das Lächeln der Hexe wurde breit. "Hast du es also endlich geschafft, ja? Ich habe mich schon gefragt, wie lange es dauern würde, bis du hier anklopfst. Na, dann kommt mal rein!" Eine halbe Stunde später war Sirius stolzer Besitzer des fliegenden Motorrades. Er hatte mit der Hexe verabredet, dass es so lange in der Scheune stehen bleiben konnte, bis er die Fahr- und Flugerlaubnis hatte (auch wenn man von einer Flugerlaubnis offiziell nicht sprach, schließlich durften Muggelartefakte nicht verzaubert werden).
Die vier "Marauders" streiften durch die Straßen von Hogsmeade, verbrachten lange Zeit in Zonkos Scherzartikelladen und fast noch mehr im "Honigtopf" und gingen dann noch spazieren. Es war ein schöner, goldener Oktobertag, aber der Wind war schon recht kühl. Peter schlug den Kragen seines Umhangs hoch und stopfte die Hände in die Taschen, und Remus zitterte am ganzen Körper. James warf ihm einen besorgten Blick zu. Dass Remus so fror, lag nicht überwiegend am Wind - er spürte vielmehr schon jetzt die ersten Auswirkungen der bevorstehenden Vollmondnacht. "Wisst ihr was, ich will jetzt ein Butterbier - lasst uns in die "Drei Besen gehen!" Sirius warf seinem Freund einen kurzen Blick zu und nickte. "Ja, Butterbier klingt gut - ich glaube, Peter ist gleich schon ein Eisklumpen!" Sirius selbst trug seinen ziemlich dünnen Umhang offen - bis ihm zu kalt wurde, musste schon einiges mehr passieren als nur ein bisschen Wind.
Im Pub angekommen, fanden sie nur mit Mühe noch einen freien Tisch in einer Ecke und belegten ihn mit Beschlag. Sirius nahm seinen Umhang ab, warf ihn Remus zu und sagte. "Häng' mal weg - ich geb' heute einen aus!" Er schlängelte sich durch die eng zusammenstehenden Tische zur Theke durch und kam kurz darauf mit vier großen Humpen wieder. In dreien davon schimmerte das helle Butterbier, in dem vierten schwarzer Tee. Sirius verteilte die Krüge, wobei er den Tee vor Remus stellte. Dieser lächelte ihm dankbar zu. Vor zwei Jahren hatte er auf die harte Tour erfahren müssen, dass es keine gute Idee war, vor einer Vollmondnacht Alkohol zu trinken, selbst wenn es nur in so geringen Mengen war, wie bei Butterbier. Der Alkohol schien die Auswirkungen der Verwandlung nur zu verschlimmern, und er hatte damals eine volle Woche im Krankenflügel gelegen, bis er sich wieder genügend erholt hatte, um am Unterricht teilnehmen zu können. Remus umfasste seinen Humpen mit beiden Händen - nicht nur, um sie zu wärmen, sondern auch um einen sicheren Griff zu haben, denn seine Hände zitterten nicht nur vor Kälte.
Remus zog eine Packung Schokofrösche aus der Tasche, öffnete sie und stellte sie mitten auf den Tisch. Dann öffnete er eine Einzelpackung und zog den Frosch zusammen mit einer Karte hervor. "Hm, Circe - hier, Padfoot, sammelst du noch?" Sirius nahm die Karte entgegen. "Klar. Ich habe bald den dritten Satz vollständig - Circe fehlte mir noch!" "Wenn du schon zwei komplette Sätze hast - was machst du dann mit dem dritten?" Sirius grinste. "Na was schon, Wormtail? Verscheuern, natürlich! Du glaubst gar nicht, was so ein kompletter Satz wert ist!"
Remus schüttelte amüsiert den Kopf über Sirius. Allmählich ging es ihm besser. Der Tee und wahrscheinlich auch der Schokofrosch, den er mit langen Zähnen aß (warum musste ausgerechnet Schokolade das wirksamste Gegenmittel gegen dunkle Kräfte sein - warum nicht ein Stück Kesselkuchen oder ein herzhaftes Schinkensandwich?) tat seine Wirkung; bereits nach einer Viertelstunde hatte das Zittern deutlich nachgelassen, und Remus beteiligte sich kurz darauf auch lebhaft an der Unterhaltung seiner Freunde. Diese wurde nur im Flüsterton geführt, denn es ging nun um diese Nacht - würde es Remus gut genug gehen, damit sie wieder durch die Ländereien rings um Hogwarts streifen konnten? Sie hofften es alle, denn Remus hatte sich in den letzten Wochen deutlich erholt. Er sah nicht mehr so krank aus, lachte wieder häufiger und schlief auch recht gut - nur die Frage, wie er Francis die Wahrheit über sich beibringen sollte, quälte ihn noch.
"Wir sollten in den verbotenen Wald," murmelte James. "Da waren wir dieses Jahr noch gar nicht, und es ist schön weit weg von allen Leuten." Remus nickte. "Ja," flüsterte er zurück, "das ist sicherer. Aber denkt dran, wenn ihr euch nicht sicher seid, das es geht, dann haltet mich lieber zurück!" Sirius nickte. "Mach dir keine Sorgen, Moony, wir achten schon auf dich. - Hey, da ist Lily - Süße, hier sind wir!" Er sprang auf, das Gesicht zur Tür gewandt, und winkte Lily überschwenglich zu. Diese bahnte sich einen Weg zu den vier Freunden und boxte Sirius freundschaftlich in den Bauch. "Nenn mich nicht so! Hallo Schatz." Sie beugte sich zu James hinunter und küsste ihn, dann zog sie sich einen leeren Stuhl an den Tisch und setzte sich. "So, und welcher der Herren ist jetzt Kavalier und besorgt mir ein Butterbier?"
Sie strahlte die vier Jungs an. Sirius grinste zurück. "Ich würde dir ja glatt einen ausgeben, aber du weißt doch: für so was verlange ich eine Gegenleistung, und ich möchte keinen Streit mit Prongs!" Remus grinste ebenfalls. "Ich gehe - und du brauchst keine Sorgen zu haben, ich bin viel tugendhafter als Sirius!" Er sprang auf, nahm seinen leeren Humpen auf, um ihn noch einmal mit Tee füllen zu lassen. Die anderen wandten sich gerade wieder einer Unterhaltung zu, als ein lautes Klirren sie zusammenzucken ließ. Sirius, der mit dem Rücken zur Theke saß, wirbelte herum und sah verdutzt zu Remus, dem gerade der Humpen aus der Hand gefallen war. Remus lächelte verlegen und bückte sich, um die Scherben aufzuheben. Sirius fiel dabei auf, dass seine Hände wieder heftiger zitterten. Bevor er jedoch reagieren konnte, war Lily schon aufgestanden, kniete sich neben Remus und hielt seine Hände fest. "Setz' dich wieder hin, du schneidest dich sonst noch. Ich mache das hier."
Remus wollte abwehren, fühlte sich aber am Kragen gepackt und hochgezogen. Dann drückte Sirius ihn wieder auf seinen Stuhl. "Wenn Lily dir sagt, dass du dich setzen sollst, dann tust du das besser, Moony, sie hat nämlich recht. Hier, iss noch einen Schokofrosch." Remus nickte und fing langsam an, die Schokolade zu kauen. Sofort fühlte er sich besser. Als er mit dem Schokofrosch fertig war, stand er wieder auf. "Tut mir leid, Leute, aber ich gehe besser wieder zum Schloss zurück - das hat hier leider keinen Sinn." Sofort erhob sich auch James. "Ich komme mit." Remus schüttelte den Kopf. "Blödsinn, Prongs - ich komme schon heil an, mach dir keine Sorgen. Ich möchte euch nicht den Nachmittag verderben." James grinste. "Das tust du nicht," log er tapfer, aber Remus sah ihm an, dass er gerne noch mit Lily, Sirius und Peter hiergeblieben wäre. Letzterer stand jetzt auch auf. "Bleib' hier, James, ich gehe mit Moony. Ich muss eh' noch den Aufsatz für Zaubertränke fertigschreiben, morgen bin ich bestimmt viel zu müde dazu."
Remus und Peter brauchten deutlich länger als sonst, um das Schloss wieder zu erreichen. Das lag allerdings nicht an Remus, sondern an Peter, der viele seiner im Honigtopf erstandenen Süßigkeiten schon gegessen hatte und jetzt ziemlich kurzatmig die Wege entlang keuchte. Schließlich kamen sie jedoch an und schlugen direkt den Weg zum Krankenflügel ein. Inzwischen musste Remus doch hin und wieder stehen bleiben. Der Weg hatte ihn angestrengt, und er zitterte wieder stärker.
"Remus? Was ist los - geht es dir nicht gut?" Sie waren fast schon am Krankenflügel angekommen, als Francis um eine Ecke bog und ihnen den Weg verstellte. Remus schüttelte den Kopf. Er hatte gerade eine ziemlich lange Treppe hinter sich und musste erst einmal wieder zu Atem kommen. Francis trat einen Schritt näher und musterte ihn. "Himmel, du bist ja kreideweiß - was ist denn mit dir?" Bevor Remus antworten konnte, sagte Peter erstaunlich schlagfertig. "Nichts Wildes, nur eine Erkältung. Du hättest mal hören sollen, wie er heute Nacht gehustet hat - aber er wollte ja partout mit nach Hogsmeade, statt sofort zu Madam Pomfrey zu gehen. Komm, Moony, gleich haben wir's geschafft!" Peter schaffte es tatsächlich, nicht rot zu werden, während er Francis diese Lüge auftischte. In all den Jahren war selbst Peter zu einem überzeugenden Lügner geworden, wenn es um Remus' häufiges Fehlen ging. Francis musterte ihren Bruder besorgt, sagte aber nur: "Na dann gute Besserung!" und lief leichtfüßig die Treppe hinunter.
"Peter, was hat Remus wirklich?" Peter, der in der Bibliothek gesessen und an seinem Aufsatz herumgedoktert hatte, ließ vor Schreck einen großen Tintenklecks auf seine Pergamentrolle fallen, als Francis so plötzlich vor ihm auftauchte. "Wieso, was meinst du?" Francis seufzte, setzte sich neben Peter und sah im direkt in die Augen. Diesem wurde unbehaglich. Auf eine kurze Frage mit einer kurzen Lüge zu antworten war eine Sache, aber diese großen, fragenden Augen konnte er nicht ertragen. "Peter, ich bin doch nicht blind - Remus ist ziemlich häufig krank, nicht wahr?" Peter schluckte. "Ach - ach Unsinn," stotterte er, "das kommt dir bloß so vor..." Seine Stimme verlor sich zum Ende des Satzes in einem unsicheren Flüstern, und er hätte sich selbst dafür ohrfeigen können. James oder Sirius hätten in dieser Situation bestimmt keine Probleme gehabt, Francis mit einer nichtssagenden Antwort abzuspeisen.
"Peter, lüg' mich bitte nicht an - ich habe doch wohl ein Recht zu erfahren, was mit meinem Bruder los ist!" Das hätte sie nicht sagen dürfen. Peter richtete sich zu seiner vollen (wenn auch nicht besonders beeindruckenden) Größe auf, erinnerte sich daran, dass er schließlich ein Siebtklässler und sie nur eine freche Erstklässlerin war und sagte abweisend: "Wenn du meinst, dass etwas mit ihm los ist, würde ich vorschlagen, du fragst ihn selber!" Francis sprang auf. "Du bist gemein - aber genau das werde ich auch tun! Ich gehe sofort zur Krankenstation!" Damit sprang sie auf und rauschte aus der Bibliothek - und Peter hätte sich schon wieder ohrfeigen können. Hätte er sie nicht irgendwie dazu bringen können, erst am nächsten Tag zu Remus zu gehen?
Francis lief leichtfüßig die Treppe zum Krankenflügel hoch, an dessen Ende sie vor einer halben Stunde auf Remus und Peter getroffen war. Vor der Tür traf sie auf Madam Pomfrey, die gerade herauskam. "Was machst du denn hier? Geht es dir nicht gut?" Francis lächelte. "Doch, doch, mit mir ist alles in Ordnung. Ich möchte Remus Lupin besuchen." Madam Pomfrey schüttelte energisch den Kopf. "Kommt gar nicht in Frage. Remus ist schwer erkältet, er braucht jetzt Ruhe." Francis sah sie mit flehenden Augen an. "Oh bitte, nur ein paar Minuten - ich werde ihn auch nicht aufregen!" Madam Pomfrey musterte sie misstrauisch. "Du solltest eigentlich überhaupt nicht mehr hier herumstreunen, Fräulein. Du kannst jetzt nicht zu Remus, er schläft. Komm morgen mittag wieder, bis dahin sollte ich ihn wieder einigermaßen aufgepäppelt haben." Mit diesen Worten verschwand sie wieder in ihrem Büro und schloss die Tür vor Francis, bevor diese noch protestieren konnte. Francis zog einen Flunsch. Na gut, für heute hatte Madam Pomfrey gewonnen, aber Morgen würde sie garantiert mittags wieder da sein!
Francis hielt ihr sich selbst gegebenes Versprechen. Pünktlich um zwölf Uhr stand sie wieder vor dem Krankenflügel und klopfte an die Tür von Madam Pomfreys kleinem Büro. Die Krankenschwester öffnete und lächelte, als sie Francis sah. "So, bist du wieder da? Ich muss dich enttäuschen, Remus schläft immer noch. Ich kann dich wirklich nicht hier rein lassen!" Francis starrte sie enttäuscht an. "Aber Sie haben doch gesagt, ich soll mittags wiederkommen! Bitte, schicken Sie mich nicht wieder weg - ich setze mich auch ganz ruhig hin und störe nicht!" Madam Pomfrey seufzte. "Kind, du verstehst nicht - wenn ich hier jeden reinlassen würde, der so traurig schauen kann wie du, dann hätten wir hier bald einen Ballsaal, aber keine Krankenstation mehr! - Ach herrjeh, wer ist denn das jetzt wieder?"
Jemand hatte geklopft. Sie wandte sich wieder der Tür zu, und Francis sah ihre Chance. Als Madam Pomfrey ihr den Rücken kehrte, schlich sie vorsichtig zu der Tür in der gegenüberliegenden Wand, die in den Krankenflügel führte, öffnete sie und schlüpfte leise hindurch. Gleich darauf stand sie in einem großen Raum mit etlichen Betten, von denen allerdings zurzeit nur ein einziges nahe dem Fenster besetzt war. Francis schlich näher heran. In dem Bett lag Remus und schlief friedlich. Er sah schon viel besser aus, als am Vortag - zwar immer noch blass, aber wesentlich entspannter. Er lag halb auf der Seite, die rechte Hand unter die Wange geschoben, die linke lag trotz ihrer Bandagen locker auf der Bettdecke.
Francis Blick glitt wieder zu seinem Gesicht - und dann, als ihr aufging, was sie da gerade gesehen hatte, wieder zu seiner auf der Decke ruhenden Hand. Nein, sie hatte sich nicht geirrt: Remus' Hand war verbunden - seit wann hatte er das denn? Gestern abend war seine Hand noch in Ordnung gewesen, da war sie sich sicher. "Also wirklich, ich muss doch sehr bitten - habe ich dir nicht verboten, hier herein zu kommen?" Madam Pomfrey zog Francis entrüstet von Remus' Bett fort, wobei sie ihr geflüsterte Vorhaltungen machte. Francis machte sich steif und stemmte die Füße in den Boden, um an Ort und Stelle zu bleiben. "Madam Pomfrey, bitte, ich will jetzt wissen, was los ist! Wieso ist Remus verletzt?" "Du fragst mir ja heute Löcher in den Bauch! Ich..." Madam Pomfrey stockte, als ein leises Geräusch vom Bett her kam. Aber Remus hatte sich nur umgedreht, ohne aufzuwachen.
Francis hatte den kleinen Moment der Unachtsamkeit genutzt, sich losgerissen und war wieder zu ihrem Bruder zurückgeeilt. Madam Pomfrey folgte ihr. "Also meinetwegen - aber setz' dich hier hin und sei still, hörst du? Wenn du irgend etwas tust um ihn aufzuwecken, bekommst du Ärger!" Francis nickte und setzte sich leise auf einen Stuhl neben Remus. Die nächsten Minuten verbrachte sie damit, ihren Bruder beim Schlafen zu beobachten, wobei sie jede kleine Bewegung registrierte. Sie wusste nicht, wieso, aber sie glaubte, dass er bald aufwachen würde.
Francis hatte sich nicht getäuscht. Schon nach wenigen Minuten begannen Remus' Augenlider zu flattern, und er drehte sich auf den Rücken. Dann fuhr er sich mit beiden Händen durch das Gesicht und öffnete schließlich blinzelnd die Augen. Sein Blick glitt über die Zimmerdecke zum Fenster und blieb schließlich auf seiner Schwester hängen. "Francis," murmelte er verschlafen, "was machst du denn hier?" Er gähnte und reckte sich, dann setzte er sich im Bett auf. Francis stand von ihrem Stuhl auf und setzte sich auf seine Bettkante. "Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, was glaubst du denn? Gestern abend bin ich Peter in die Bibliothek nachgegangen und habe ihn gefragt, ob du wirklich nichts ernstes hast, und er hat so komisch reagiert und meinte dann, ich sollte dich doch selber fragen. Eigentlich wollte ich schon gestern kommen, aber Madam Pomfrey hat mich abgewimmelt. Deshalb bin ich jetzt hier - und jetzt möchte ich wissen, was los ist."
Remus sah sie einen Moment lang schweigend an. Das Auftauchen von Madam Pomfrey enthob ihn zunächst einer Antwort. Sie fühlte seine Stirn, nickte zufrieden und reicht ihm ein großes Stück Schokolade. Während er es langsam aß, begutachtete Madam Pomfrey seine linke Hand, und wickelte dann mit einem kurzen Schwenk ihres Zauberstabes und einem gemurmelten Spruch die Binde ab. Die Hand darunter war unversehrt. "Wie fühlst du dich?" Remus grinste. "Ganz gut. Ich glaube, ich kann gleich schon aufstehen." Es war keine Lüge - Remus fühlte sich wirklich wohl. Zum ersten Mal seit Monaten hatte er eine fast klare Erinnerung an die Nacht, wenigstens, seit seine Freunde zu ihm gekommen waren (sie waren dann tatsächlich durch den verbotenen Wald gestreift und hatten ihre Kenntnis des Geländes aufgefrischt). Die Verletzung an der Hand musste er sich zugefügt haben, bevor die anderen gekommen waren.
Madam Pomfrey stemmte die Hände in die Hüften. "Kommt überhaupt nicht in Frage. Du bleibst schön liegen - mindestens noch zwei Stunden. Und du, mein Fräulein," sie drehte sich zu Francis um, "siehst ja jetzt, dass es ihm gutgeht. Also, raus mit dir, wenn ich bitten darf!" Sie wollte Francis am Arm fassen und mit sich ziehen, aber Remus war schneller und fing ihre Hand ab. "Nein, bitte nicht, Madam Pomfrey - Francis und ich müssen uns unterhalten. Es ist wichtig," setzte er hinzu, als er ihren zweifelnden Blick sah. Madam Pomfrey nickte langsam. "Na gut, wenn es so wichtig ist. Francis, du achtest auf ihn - wenn er wieder blass wird, gibst du ihm noch ein Stück Schokolade vom Nachttisch, verstanden?"
Francis nickte, und Madam Pomfrey drückte Remus wieder in die Kissen zurück. "Liegenbleiben," befahl sie, dann ließ sie sie allein. Francis setzte sich wieder auf Remus' Bettkante und nahm seine Hand. "Du bist ja ganz kalt! So, und jetzt erzähl - was ist los mit dir?" Remus hob den Blick und sah in ihre grauen Augen, die seinen eigenen so ähnlich waren. "Francis, ich muss dir etwas sagen - ich hätte das schon längst tun müssen, aber..." Er stockte. Das hier war verdammt schwer. Francis fasste seine Hand etwas fester. "Hängt es damit zusammen, dass du zufälligerweise immer bei Vollmond krank wirst?"
Remus schluckte und nickte. "Das ist dir also aufgefallen? Ja, es ist - ich bin - Francis, es tut mir leid, ich bin ein Werwolf." Er hatte während dieser Worte die Augen geschlossen, um sie nicht ansehen zu müssen. Francis ließ seine Hand los, und Remus' Inneres vereiste. Da, jetzt war es soweit, sie würde nichts mehr von ihm wissen wollen. Gleich darauf spürte er ihre warme, kleine Hand an seiner Wange. Als er die Augen wieder aufschlug, hatte sie sich über ihn gebeugt. Ihre Nasenspitze war nur wenige Millimeter von seiner entfernt. "Oh Remus, das tut mir so leid! Gibt es irgend etwas, was ich für dich tun kann?" Ein warmes Gefühl durchzog ihn - wärmer, als es je durch Schokolade bewirkt werden konnte. Francis stieß ihn nicht zurück, sie akzeptierte ihn trotz allem! Remus gelang ein Lächeln. "Du tust schon etwas. Stört es dich wirklich nicht?"
Francis schüttelte den Kopf. "Ach Unsinn, du kannst doch nichts dafür! Außerdem habe ich mir schon sowas gedacht. Aber verrate mir eins - wie macht ihr das? Ich meine, du kannst doch nicht hierbleiben - jetzt ist zwar keiner hier, aber wenn doch mal...?" Remus sah sie ernst an. "Wenn ich es dir erzähle - versprichst du mir, dass du nie - und ich meine wirklich niemals - versuchen wirst, mir zu folgen?" Francis nickte. "Ehrenwort - ich bin doch nicht lebensmüde!" Remus sah sie noch einen Moment lang ernst an und erzählte ihr dann von der Peitschenden Weide. "Und denk daran, was du mir versprochen hast! Nicht einmal, verstanden?" Francis lächelte. "Ich habe dir doch schon gesagt: ich bin nicht lebensmüde! Aber Sirius und die anderen wissen doch auch Bescheid, oder?"
Remus nickte. "Seit Jahren. Sie haben es ziemlich schnell rausgefunden. Sag mal, warum sagst du eigentlich immer "Sirius und die anderen?" Ich habe noch nie gehört, dass du James oder Peter erwähnt hättest, wenn du von ihnen sprichst." Francis wurde rot. "Oh, tue ich das? Ich... ich weiß nicht, ist keine Absicht!" Remus musterte sie einen Moment lang und lachte dann. "Oh nein, nicht auch du - gibt es denn in ganz Hogwarts nicht eine Hexe, die nicht für Padfoot schwärmt?" Francis' Gesichtsfarbe vertiefte sich deutlich. "Ich schwärme nicht für ihn! Aber wenigstens weiß ich jetzt, warum deine Freunde dich Moony nennen. Und warum du nicht wolltest, dass jemand erfährt, dass wir Geschwister sind. Darum ging es doch, oder?"
Remus nickte und akzeptierte den Themenwechsel, ohne sie weiter aufzuziehen. "Natürlich. Die Ausrede mit meinem Ruf war blöd, aber was anderes ist mir in dem Moment nicht eingefallen. Aber wenn jemals herauskommen sollte, was ich bin, werden sicherlich einige Eltern fordern, dass ich die Schule verlasse, und dann kannst wenigstens du deine Ausbildung hier unbeschadet zu Ende bringen. Wenn jemand wüsste, dass du meine Halbschwester bist, könnte das auch dir Probleme bringen." Francis lächelte. "Ich hoffe, dass niemals jemand was erfährt und du hier bleiben kannst! - Was meinst du, sollen wir noch mal versuchen, Madam Pomfrey zu überreden, dass sie dich gehen lässt?"
--------------- So, noch zweimal Remus, dann ist der Rückblick abgeschlossen. Ich werde versuchen, die nächsten beiden Kapitel in den nächsten Tagen hochzuladen... wenn ich auf diese hier ein paar Reviews bekomme?
Zwei Tage später war endlich Wochenende, und die Freunde machten einen Ausflug nach Hogsmeade. Lily war dieses Mal nicht mitgegangen, da sie einer Freundin versprochen hatte, ihr mit ihren Zauberkunde-Hausaufgaben zu helfen. Aber auch wenn es James leid tat, dass sie nicht mit dabei war, ließ er sich dadurch nicht die gute Laune verderben - nicht heute! Der erste Gang führte die vier zu der Scheune, in der das von Sirius angebetete Motorrad stand. Es war immer noch da, das Zu-verkaufen-Schild hing noch daran, gekrönt von einem Foto, auf dem das Motorrad mit einem älteren Zauberer darauf über Hogsmeade kreiste.
Sirius wandte sich nach links und klopfte an die Tür des Hauses, zu dem die Scheune gehörte. Eine alte Hexe mit schneeweißen Haaren und freundlichen, blauen Augen öffnete. Sie lächelte, als sie die Jungen sah. "Kann ich was für euch tun?" Sirius räusperte sich. "Ja - ich möchte das Motorrad kaufen!" Das Lächeln der Hexe wurde breit. "Hast du es also endlich geschafft, ja? Ich habe mich schon gefragt, wie lange es dauern würde, bis du hier anklopfst. Na, dann kommt mal rein!" Eine halbe Stunde später war Sirius stolzer Besitzer des fliegenden Motorrades. Er hatte mit der Hexe verabredet, dass es so lange in der Scheune stehen bleiben konnte, bis er die Fahr- und Flugerlaubnis hatte (auch wenn man von einer Flugerlaubnis offiziell nicht sprach, schließlich durften Muggelartefakte nicht verzaubert werden).
Die vier "Marauders" streiften durch die Straßen von Hogsmeade, verbrachten lange Zeit in Zonkos Scherzartikelladen und fast noch mehr im "Honigtopf" und gingen dann noch spazieren. Es war ein schöner, goldener Oktobertag, aber der Wind war schon recht kühl. Peter schlug den Kragen seines Umhangs hoch und stopfte die Hände in die Taschen, und Remus zitterte am ganzen Körper. James warf ihm einen besorgten Blick zu. Dass Remus so fror, lag nicht überwiegend am Wind - er spürte vielmehr schon jetzt die ersten Auswirkungen der bevorstehenden Vollmondnacht. "Wisst ihr was, ich will jetzt ein Butterbier - lasst uns in die "Drei Besen gehen!" Sirius warf seinem Freund einen kurzen Blick zu und nickte. "Ja, Butterbier klingt gut - ich glaube, Peter ist gleich schon ein Eisklumpen!" Sirius selbst trug seinen ziemlich dünnen Umhang offen - bis ihm zu kalt wurde, musste schon einiges mehr passieren als nur ein bisschen Wind.
Im Pub angekommen, fanden sie nur mit Mühe noch einen freien Tisch in einer Ecke und belegten ihn mit Beschlag. Sirius nahm seinen Umhang ab, warf ihn Remus zu und sagte. "Häng' mal weg - ich geb' heute einen aus!" Er schlängelte sich durch die eng zusammenstehenden Tische zur Theke durch und kam kurz darauf mit vier großen Humpen wieder. In dreien davon schimmerte das helle Butterbier, in dem vierten schwarzer Tee. Sirius verteilte die Krüge, wobei er den Tee vor Remus stellte. Dieser lächelte ihm dankbar zu. Vor zwei Jahren hatte er auf die harte Tour erfahren müssen, dass es keine gute Idee war, vor einer Vollmondnacht Alkohol zu trinken, selbst wenn es nur in so geringen Mengen war, wie bei Butterbier. Der Alkohol schien die Auswirkungen der Verwandlung nur zu verschlimmern, und er hatte damals eine volle Woche im Krankenflügel gelegen, bis er sich wieder genügend erholt hatte, um am Unterricht teilnehmen zu können. Remus umfasste seinen Humpen mit beiden Händen - nicht nur, um sie zu wärmen, sondern auch um einen sicheren Griff zu haben, denn seine Hände zitterten nicht nur vor Kälte.
Remus zog eine Packung Schokofrösche aus der Tasche, öffnete sie und stellte sie mitten auf den Tisch. Dann öffnete er eine Einzelpackung und zog den Frosch zusammen mit einer Karte hervor. "Hm, Circe - hier, Padfoot, sammelst du noch?" Sirius nahm die Karte entgegen. "Klar. Ich habe bald den dritten Satz vollständig - Circe fehlte mir noch!" "Wenn du schon zwei komplette Sätze hast - was machst du dann mit dem dritten?" Sirius grinste. "Na was schon, Wormtail? Verscheuern, natürlich! Du glaubst gar nicht, was so ein kompletter Satz wert ist!"
Remus schüttelte amüsiert den Kopf über Sirius. Allmählich ging es ihm besser. Der Tee und wahrscheinlich auch der Schokofrosch, den er mit langen Zähnen aß (warum musste ausgerechnet Schokolade das wirksamste Gegenmittel gegen dunkle Kräfte sein - warum nicht ein Stück Kesselkuchen oder ein herzhaftes Schinkensandwich?) tat seine Wirkung; bereits nach einer Viertelstunde hatte das Zittern deutlich nachgelassen, und Remus beteiligte sich kurz darauf auch lebhaft an der Unterhaltung seiner Freunde. Diese wurde nur im Flüsterton geführt, denn es ging nun um diese Nacht - würde es Remus gut genug gehen, damit sie wieder durch die Ländereien rings um Hogwarts streifen konnten? Sie hofften es alle, denn Remus hatte sich in den letzten Wochen deutlich erholt. Er sah nicht mehr so krank aus, lachte wieder häufiger und schlief auch recht gut - nur die Frage, wie er Francis die Wahrheit über sich beibringen sollte, quälte ihn noch.
"Wir sollten in den verbotenen Wald," murmelte James. "Da waren wir dieses Jahr noch gar nicht, und es ist schön weit weg von allen Leuten." Remus nickte. "Ja," flüsterte er zurück, "das ist sicherer. Aber denkt dran, wenn ihr euch nicht sicher seid, das es geht, dann haltet mich lieber zurück!" Sirius nickte. "Mach dir keine Sorgen, Moony, wir achten schon auf dich. - Hey, da ist Lily - Süße, hier sind wir!" Er sprang auf, das Gesicht zur Tür gewandt, und winkte Lily überschwenglich zu. Diese bahnte sich einen Weg zu den vier Freunden und boxte Sirius freundschaftlich in den Bauch. "Nenn mich nicht so! Hallo Schatz." Sie beugte sich zu James hinunter und küsste ihn, dann zog sie sich einen leeren Stuhl an den Tisch und setzte sich. "So, und welcher der Herren ist jetzt Kavalier und besorgt mir ein Butterbier?"
Sie strahlte die vier Jungs an. Sirius grinste zurück. "Ich würde dir ja glatt einen ausgeben, aber du weißt doch: für so was verlange ich eine Gegenleistung, und ich möchte keinen Streit mit Prongs!" Remus grinste ebenfalls. "Ich gehe - und du brauchst keine Sorgen zu haben, ich bin viel tugendhafter als Sirius!" Er sprang auf, nahm seinen leeren Humpen auf, um ihn noch einmal mit Tee füllen zu lassen. Die anderen wandten sich gerade wieder einer Unterhaltung zu, als ein lautes Klirren sie zusammenzucken ließ. Sirius, der mit dem Rücken zur Theke saß, wirbelte herum und sah verdutzt zu Remus, dem gerade der Humpen aus der Hand gefallen war. Remus lächelte verlegen und bückte sich, um die Scherben aufzuheben. Sirius fiel dabei auf, dass seine Hände wieder heftiger zitterten. Bevor er jedoch reagieren konnte, war Lily schon aufgestanden, kniete sich neben Remus und hielt seine Hände fest. "Setz' dich wieder hin, du schneidest dich sonst noch. Ich mache das hier."
Remus wollte abwehren, fühlte sich aber am Kragen gepackt und hochgezogen. Dann drückte Sirius ihn wieder auf seinen Stuhl. "Wenn Lily dir sagt, dass du dich setzen sollst, dann tust du das besser, Moony, sie hat nämlich recht. Hier, iss noch einen Schokofrosch." Remus nickte und fing langsam an, die Schokolade zu kauen. Sofort fühlte er sich besser. Als er mit dem Schokofrosch fertig war, stand er wieder auf. "Tut mir leid, Leute, aber ich gehe besser wieder zum Schloss zurück - das hat hier leider keinen Sinn." Sofort erhob sich auch James. "Ich komme mit." Remus schüttelte den Kopf. "Blödsinn, Prongs - ich komme schon heil an, mach dir keine Sorgen. Ich möchte euch nicht den Nachmittag verderben." James grinste. "Das tust du nicht," log er tapfer, aber Remus sah ihm an, dass er gerne noch mit Lily, Sirius und Peter hiergeblieben wäre. Letzterer stand jetzt auch auf. "Bleib' hier, James, ich gehe mit Moony. Ich muss eh' noch den Aufsatz für Zaubertränke fertigschreiben, morgen bin ich bestimmt viel zu müde dazu."
Remus und Peter brauchten deutlich länger als sonst, um das Schloss wieder zu erreichen. Das lag allerdings nicht an Remus, sondern an Peter, der viele seiner im Honigtopf erstandenen Süßigkeiten schon gegessen hatte und jetzt ziemlich kurzatmig die Wege entlang keuchte. Schließlich kamen sie jedoch an und schlugen direkt den Weg zum Krankenflügel ein. Inzwischen musste Remus doch hin und wieder stehen bleiben. Der Weg hatte ihn angestrengt, und er zitterte wieder stärker.
"Remus? Was ist los - geht es dir nicht gut?" Sie waren fast schon am Krankenflügel angekommen, als Francis um eine Ecke bog und ihnen den Weg verstellte. Remus schüttelte den Kopf. Er hatte gerade eine ziemlich lange Treppe hinter sich und musste erst einmal wieder zu Atem kommen. Francis trat einen Schritt näher und musterte ihn. "Himmel, du bist ja kreideweiß - was ist denn mit dir?" Bevor Remus antworten konnte, sagte Peter erstaunlich schlagfertig. "Nichts Wildes, nur eine Erkältung. Du hättest mal hören sollen, wie er heute Nacht gehustet hat - aber er wollte ja partout mit nach Hogsmeade, statt sofort zu Madam Pomfrey zu gehen. Komm, Moony, gleich haben wir's geschafft!" Peter schaffte es tatsächlich, nicht rot zu werden, während er Francis diese Lüge auftischte. In all den Jahren war selbst Peter zu einem überzeugenden Lügner geworden, wenn es um Remus' häufiges Fehlen ging. Francis musterte ihren Bruder besorgt, sagte aber nur: "Na dann gute Besserung!" und lief leichtfüßig die Treppe hinunter.
"Peter, was hat Remus wirklich?" Peter, der in der Bibliothek gesessen und an seinem Aufsatz herumgedoktert hatte, ließ vor Schreck einen großen Tintenklecks auf seine Pergamentrolle fallen, als Francis so plötzlich vor ihm auftauchte. "Wieso, was meinst du?" Francis seufzte, setzte sich neben Peter und sah im direkt in die Augen. Diesem wurde unbehaglich. Auf eine kurze Frage mit einer kurzen Lüge zu antworten war eine Sache, aber diese großen, fragenden Augen konnte er nicht ertragen. "Peter, ich bin doch nicht blind - Remus ist ziemlich häufig krank, nicht wahr?" Peter schluckte. "Ach - ach Unsinn," stotterte er, "das kommt dir bloß so vor..." Seine Stimme verlor sich zum Ende des Satzes in einem unsicheren Flüstern, und er hätte sich selbst dafür ohrfeigen können. James oder Sirius hätten in dieser Situation bestimmt keine Probleme gehabt, Francis mit einer nichtssagenden Antwort abzuspeisen.
"Peter, lüg' mich bitte nicht an - ich habe doch wohl ein Recht zu erfahren, was mit meinem Bruder los ist!" Das hätte sie nicht sagen dürfen. Peter richtete sich zu seiner vollen (wenn auch nicht besonders beeindruckenden) Größe auf, erinnerte sich daran, dass er schließlich ein Siebtklässler und sie nur eine freche Erstklässlerin war und sagte abweisend: "Wenn du meinst, dass etwas mit ihm los ist, würde ich vorschlagen, du fragst ihn selber!" Francis sprang auf. "Du bist gemein - aber genau das werde ich auch tun! Ich gehe sofort zur Krankenstation!" Damit sprang sie auf und rauschte aus der Bibliothek - und Peter hätte sich schon wieder ohrfeigen können. Hätte er sie nicht irgendwie dazu bringen können, erst am nächsten Tag zu Remus zu gehen?
Francis lief leichtfüßig die Treppe zum Krankenflügel hoch, an dessen Ende sie vor einer halben Stunde auf Remus und Peter getroffen war. Vor der Tür traf sie auf Madam Pomfrey, die gerade herauskam. "Was machst du denn hier? Geht es dir nicht gut?" Francis lächelte. "Doch, doch, mit mir ist alles in Ordnung. Ich möchte Remus Lupin besuchen." Madam Pomfrey schüttelte energisch den Kopf. "Kommt gar nicht in Frage. Remus ist schwer erkältet, er braucht jetzt Ruhe." Francis sah sie mit flehenden Augen an. "Oh bitte, nur ein paar Minuten - ich werde ihn auch nicht aufregen!" Madam Pomfrey musterte sie misstrauisch. "Du solltest eigentlich überhaupt nicht mehr hier herumstreunen, Fräulein. Du kannst jetzt nicht zu Remus, er schläft. Komm morgen mittag wieder, bis dahin sollte ich ihn wieder einigermaßen aufgepäppelt haben." Mit diesen Worten verschwand sie wieder in ihrem Büro und schloss die Tür vor Francis, bevor diese noch protestieren konnte. Francis zog einen Flunsch. Na gut, für heute hatte Madam Pomfrey gewonnen, aber Morgen würde sie garantiert mittags wieder da sein!
Francis hielt ihr sich selbst gegebenes Versprechen. Pünktlich um zwölf Uhr stand sie wieder vor dem Krankenflügel und klopfte an die Tür von Madam Pomfreys kleinem Büro. Die Krankenschwester öffnete und lächelte, als sie Francis sah. "So, bist du wieder da? Ich muss dich enttäuschen, Remus schläft immer noch. Ich kann dich wirklich nicht hier rein lassen!" Francis starrte sie enttäuscht an. "Aber Sie haben doch gesagt, ich soll mittags wiederkommen! Bitte, schicken Sie mich nicht wieder weg - ich setze mich auch ganz ruhig hin und störe nicht!" Madam Pomfrey seufzte. "Kind, du verstehst nicht - wenn ich hier jeden reinlassen würde, der so traurig schauen kann wie du, dann hätten wir hier bald einen Ballsaal, aber keine Krankenstation mehr! - Ach herrjeh, wer ist denn das jetzt wieder?"
Jemand hatte geklopft. Sie wandte sich wieder der Tür zu, und Francis sah ihre Chance. Als Madam Pomfrey ihr den Rücken kehrte, schlich sie vorsichtig zu der Tür in der gegenüberliegenden Wand, die in den Krankenflügel führte, öffnete sie und schlüpfte leise hindurch. Gleich darauf stand sie in einem großen Raum mit etlichen Betten, von denen allerdings zurzeit nur ein einziges nahe dem Fenster besetzt war. Francis schlich näher heran. In dem Bett lag Remus und schlief friedlich. Er sah schon viel besser aus, als am Vortag - zwar immer noch blass, aber wesentlich entspannter. Er lag halb auf der Seite, die rechte Hand unter die Wange geschoben, die linke lag trotz ihrer Bandagen locker auf der Bettdecke.
Francis Blick glitt wieder zu seinem Gesicht - und dann, als ihr aufging, was sie da gerade gesehen hatte, wieder zu seiner auf der Decke ruhenden Hand. Nein, sie hatte sich nicht geirrt: Remus' Hand war verbunden - seit wann hatte er das denn? Gestern abend war seine Hand noch in Ordnung gewesen, da war sie sich sicher. "Also wirklich, ich muss doch sehr bitten - habe ich dir nicht verboten, hier herein zu kommen?" Madam Pomfrey zog Francis entrüstet von Remus' Bett fort, wobei sie ihr geflüsterte Vorhaltungen machte. Francis machte sich steif und stemmte die Füße in den Boden, um an Ort und Stelle zu bleiben. "Madam Pomfrey, bitte, ich will jetzt wissen, was los ist! Wieso ist Remus verletzt?" "Du fragst mir ja heute Löcher in den Bauch! Ich..." Madam Pomfrey stockte, als ein leises Geräusch vom Bett her kam. Aber Remus hatte sich nur umgedreht, ohne aufzuwachen.
Francis hatte den kleinen Moment der Unachtsamkeit genutzt, sich losgerissen und war wieder zu ihrem Bruder zurückgeeilt. Madam Pomfrey folgte ihr. "Also meinetwegen - aber setz' dich hier hin und sei still, hörst du? Wenn du irgend etwas tust um ihn aufzuwecken, bekommst du Ärger!" Francis nickte und setzte sich leise auf einen Stuhl neben Remus. Die nächsten Minuten verbrachte sie damit, ihren Bruder beim Schlafen zu beobachten, wobei sie jede kleine Bewegung registrierte. Sie wusste nicht, wieso, aber sie glaubte, dass er bald aufwachen würde.
Francis hatte sich nicht getäuscht. Schon nach wenigen Minuten begannen Remus' Augenlider zu flattern, und er drehte sich auf den Rücken. Dann fuhr er sich mit beiden Händen durch das Gesicht und öffnete schließlich blinzelnd die Augen. Sein Blick glitt über die Zimmerdecke zum Fenster und blieb schließlich auf seiner Schwester hängen. "Francis," murmelte er verschlafen, "was machst du denn hier?" Er gähnte und reckte sich, dann setzte er sich im Bett auf. Francis stand von ihrem Stuhl auf und setzte sich auf seine Bettkante. "Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, was glaubst du denn? Gestern abend bin ich Peter in die Bibliothek nachgegangen und habe ihn gefragt, ob du wirklich nichts ernstes hast, und er hat so komisch reagiert und meinte dann, ich sollte dich doch selber fragen. Eigentlich wollte ich schon gestern kommen, aber Madam Pomfrey hat mich abgewimmelt. Deshalb bin ich jetzt hier - und jetzt möchte ich wissen, was los ist."
Remus sah sie einen Moment lang schweigend an. Das Auftauchen von Madam Pomfrey enthob ihn zunächst einer Antwort. Sie fühlte seine Stirn, nickte zufrieden und reicht ihm ein großes Stück Schokolade. Während er es langsam aß, begutachtete Madam Pomfrey seine linke Hand, und wickelte dann mit einem kurzen Schwenk ihres Zauberstabes und einem gemurmelten Spruch die Binde ab. Die Hand darunter war unversehrt. "Wie fühlst du dich?" Remus grinste. "Ganz gut. Ich glaube, ich kann gleich schon aufstehen." Es war keine Lüge - Remus fühlte sich wirklich wohl. Zum ersten Mal seit Monaten hatte er eine fast klare Erinnerung an die Nacht, wenigstens, seit seine Freunde zu ihm gekommen waren (sie waren dann tatsächlich durch den verbotenen Wald gestreift und hatten ihre Kenntnis des Geländes aufgefrischt). Die Verletzung an der Hand musste er sich zugefügt haben, bevor die anderen gekommen waren.
Madam Pomfrey stemmte die Hände in die Hüften. "Kommt überhaupt nicht in Frage. Du bleibst schön liegen - mindestens noch zwei Stunden. Und du, mein Fräulein," sie drehte sich zu Francis um, "siehst ja jetzt, dass es ihm gutgeht. Also, raus mit dir, wenn ich bitten darf!" Sie wollte Francis am Arm fassen und mit sich ziehen, aber Remus war schneller und fing ihre Hand ab. "Nein, bitte nicht, Madam Pomfrey - Francis und ich müssen uns unterhalten. Es ist wichtig," setzte er hinzu, als er ihren zweifelnden Blick sah. Madam Pomfrey nickte langsam. "Na gut, wenn es so wichtig ist. Francis, du achtest auf ihn - wenn er wieder blass wird, gibst du ihm noch ein Stück Schokolade vom Nachttisch, verstanden?"
Francis nickte, und Madam Pomfrey drückte Remus wieder in die Kissen zurück. "Liegenbleiben," befahl sie, dann ließ sie sie allein. Francis setzte sich wieder auf Remus' Bettkante und nahm seine Hand. "Du bist ja ganz kalt! So, und jetzt erzähl - was ist los mit dir?" Remus hob den Blick und sah in ihre grauen Augen, die seinen eigenen so ähnlich waren. "Francis, ich muss dir etwas sagen - ich hätte das schon längst tun müssen, aber..." Er stockte. Das hier war verdammt schwer. Francis fasste seine Hand etwas fester. "Hängt es damit zusammen, dass du zufälligerweise immer bei Vollmond krank wirst?"
Remus schluckte und nickte. "Das ist dir also aufgefallen? Ja, es ist - ich bin - Francis, es tut mir leid, ich bin ein Werwolf." Er hatte während dieser Worte die Augen geschlossen, um sie nicht ansehen zu müssen. Francis ließ seine Hand los, und Remus' Inneres vereiste. Da, jetzt war es soweit, sie würde nichts mehr von ihm wissen wollen. Gleich darauf spürte er ihre warme, kleine Hand an seiner Wange. Als er die Augen wieder aufschlug, hatte sie sich über ihn gebeugt. Ihre Nasenspitze war nur wenige Millimeter von seiner entfernt. "Oh Remus, das tut mir so leid! Gibt es irgend etwas, was ich für dich tun kann?" Ein warmes Gefühl durchzog ihn - wärmer, als es je durch Schokolade bewirkt werden konnte. Francis stieß ihn nicht zurück, sie akzeptierte ihn trotz allem! Remus gelang ein Lächeln. "Du tust schon etwas. Stört es dich wirklich nicht?"
Francis schüttelte den Kopf. "Ach Unsinn, du kannst doch nichts dafür! Außerdem habe ich mir schon sowas gedacht. Aber verrate mir eins - wie macht ihr das? Ich meine, du kannst doch nicht hierbleiben - jetzt ist zwar keiner hier, aber wenn doch mal...?" Remus sah sie ernst an. "Wenn ich es dir erzähle - versprichst du mir, dass du nie - und ich meine wirklich niemals - versuchen wirst, mir zu folgen?" Francis nickte. "Ehrenwort - ich bin doch nicht lebensmüde!" Remus sah sie noch einen Moment lang ernst an und erzählte ihr dann von der Peitschenden Weide. "Und denk daran, was du mir versprochen hast! Nicht einmal, verstanden?" Francis lächelte. "Ich habe dir doch schon gesagt: ich bin nicht lebensmüde! Aber Sirius und die anderen wissen doch auch Bescheid, oder?"
Remus nickte. "Seit Jahren. Sie haben es ziemlich schnell rausgefunden. Sag mal, warum sagst du eigentlich immer "Sirius und die anderen?" Ich habe noch nie gehört, dass du James oder Peter erwähnt hättest, wenn du von ihnen sprichst." Francis wurde rot. "Oh, tue ich das? Ich... ich weiß nicht, ist keine Absicht!" Remus musterte sie einen Moment lang und lachte dann. "Oh nein, nicht auch du - gibt es denn in ganz Hogwarts nicht eine Hexe, die nicht für Padfoot schwärmt?" Francis' Gesichtsfarbe vertiefte sich deutlich. "Ich schwärme nicht für ihn! Aber wenigstens weiß ich jetzt, warum deine Freunde dich Moony nennen. Und warum du nicht wolltest, dass jemand erfährt, dass wir Geschwister sind. Darum ging es doch, oder?"
Remus nickte und akzeptierte den Themenwechsel, ohne sie weiter aufzuziehen. "Natürlich. Die Ausrede mit meinem Ruf war blöd, aber was anderes ist mir in dem Moment nicht eingefallen. Aber wenn jemals herauskommen sollte, was ich bin, werden sicherlich einige Eltern fordern, dass ich die Schule verlasse, und dann kannst wenigstens du deine Ausbildung hier unbeschadet zu Ende bringen. Wenn jemand wüsste, dass du meine Halbschwester bist, könnte das auch dir Probleme bringen." Francis lächelte. "Ich hoffe, dass niemals jemand was erfährt und du hier bleiben kannst! - Was meinst du, sollen wir noch mal versuchen, Madam Pomfrey zu überreden, dass sie dich gehen lässt?"
--------------- So, noch zweimal Remus, dann ist der Rückblick abgeschlossen. Ich werde versuchen, die nächsten beiden Kapitel in den nächsten Tagen hochzuladen... wenn ich auf diese hier ein paar Reviews bekomme?
