Er hatte erst in seinen Privatgemächern einige persönliche Sachen zusammengepackt, bevor er von Hogsmeade aus zum Aufenthaltsort des Dunklen Lords appariert war.

Der nun vor ihm stand und ihn prüfend musterte.

Er hatte sich eine Geschichte zurechtgelegt, eine, in welcher Albus der unnachgiebige Schulleiter war, der ihn niemals gehen lassen würde, wenn ein Schüler in einer nicht abschätzbaren Gefahrensituation steckte. Hatte auch schon den Grund perfekt ausformuliert. Albus vertraute ihm ja blind, sah in ihm einen Ratgeber und so eine Art rechte Hand etc.

Aber als er zu Erzählen anfangen wollte, hatte Er ihn nur mit einer Handbewegung unterbrochen, hatte aber auch nichts weiter gesagt. Anscheinend benötigte er keine halbwarmen Entschuldigungen.

Vielleicht hatte Lucius auch schon seine Version der Dinge verbreitet. Eben jener würde alles tun, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen! Oder höher in der Anerkennung des Dunklen Lords aufzusteigen, je nachdem, welcher Blickwinkel einem lieber war.

"Du hast also doch zu mir zurückgefunden."

Severus schreckte unwillkürlich zusammen. Die hohe, schneidende Stimme war ihm durch und durch gegangen und hatte ihn unsanft aus seinen Überlegungen gerissen. Er deutete eine Verbeugung an und sagte:

"Ja, natürlich, Mylord." Die Worte gingen ihm schon fast zu leicht von den Lippen.

"Sieh mich an, Severus. Wir haben uns doch schon so lange nicht mehr gesehen."

Gehorsam hob Severus seinen Kopf, und versuchte, nicht angeekelt auszusehen. Das, was da vor ihm stand, hatte nicht viel mit einem Menschen zu tun. Die Ähnlichkeit zu einer Schlange war so groß, dass man schon erwartete, ein Hissen anstatt von Worten aus Seinem Mund zu hören. Was ja auch manchmal der Fall war.

Severus dachte an den Tom Riddle zurück, der ihm von Lucius vorgestellt wurde als "ein Mann mit Visionen". Dieser Mann war Mitte Vierzig und gutaussehend gewesen, hatte Charme und Charisma besessen, und hatte jeden um den Finger wickeln können, der wie Severus nicht wusste, wohin in dieser kalten, grausamen, gerechten Welt. Diese muggleverliebte, verweichlichte Welt, die einen guten Schwarzmagier noch nicht einmal erkennen würde, wenn er nackt an der Spitze des Big Ben baumelte.

Es war zu verlockend gewesen, als das ein 19-Jähriger hätte Nein sagen können. Vor allem nicht, wenn dieser Severus Snape hieß und zum ersten Mal in seinem Leben wie ein vollwertiger Mensch behandelt wurde.

Um sich nicht an diese alte Geschichte erinnern zu müssen, konzentrierte sich Severus auf die Hände des Lords.

Von denen eine plötzlich aus der Robe fuhr und eine schnelle Bewegung vollzog. Severus zuckte zusammen, erwartete schon, von einem Fluch getroffen zu werden, doch nichts geschah. Er hatte vor Schreck die Augen geschlossen, nur um sie vorsichtig wieder zu öffnen. Der Dunkle Lord grinste höhnisch und zischte:

"Keine Angst, Severus, ich verfluche dich schon nicht. Noch nicht."

Hinter sich hörte Severus ein abfälliges Lachen. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass es Lucius gehörte. Natürlich würde sich dieser Severus' Demütigung nicht entgehen lassen. Eher würde er sich einen Arm abschneiden lassen.

"Du bist dir natürlich im klaren, dass ich dich trotz allem bestrafen muss. Ich kann nicht durchgehen lassen, dass einer meiner Todesesser nicht erscheint, wenn ich ihn rufe. Selbst, wenn du es bist."

"Ja, Mylord."

Severus verkniff sich alle restlichen Worte. Weitere Schwierigkeiten wollte er sich nicht einhandeln, weitere Zugeständnisse wollte er allerdings auch nicht machen. Schließlich war er kein Todesesser mehr.

"Da das geklärt ist, bist du hiermit entlassen. Deine Kammer steht für dich bereit."

Severus konnte nicht verhindern, dass sich seine Augen weiteten. Er hoffte, dass sein Gegenüber es als fragend interpretierte. In seinem Kopf zumindest herrschte Panik. Er sollte hier bleiben? Aber das war unmöglich.

"Mylord ist zu gütig. Aber ich muss nach Hogwarts zurück, wie Mylord wissen dürfte."

"Ach ja, Severus? Und warum ist das so? Du arbeitest doch nicht etwa tatsächlich für diesen alten Muggleliebhaber?"

Severus' Annahmen waren also richtig gewesen, Lucius hatte nicht gezögert, ihn auf den Scheiterhaufen zu zerren. Gut für ihn, dass sich Severus gerade nicht um ihn kümmern konnte.

"Nein, Mylord. Ihr solltet wissen, dass ich Dumbledore hasse. Mit all meiner Seele. Aber er würde nur misstrauisch, wenn ich ohne ersichtlichen Grund eine Nacht nicht nach Hogwarts zurückkehre. Vor allem, wenn er denkt, ich hätte nur Besorgungen zu machen."

Severus betete im Stillen, dass Er auf seine schnell zurechtgelegte Begründung hereinfiel. Er musste einfach in der Lage sein, diesen Ort wieder zu verlassen! Ansonsten würde er eventuelle Informationen nur schlecht liefern können.

"Sicher, sicher. Das mag sein, und wenn die Schule wieder anfängt, wirst du auch wieder nach Hogwarts zurückkehren können. Vielleicht sogar früher, wenn ich wieder von deiner Loyalität überzeugt bin. Da ich allerdings noch meine Zweifel habe, wirst du wohl verstehen, wenn ich dich nicht so einfach gehen lassen kann. Ich kann nicht mehr davon ausgehen, dass du keinerlei Informationen weiterreichst.

Und das schmerzt mich mehr, als das es dich noch tun wird, glaub mir."

Severus hatte die Androhung der Folter verstanden und nickte stumm. Aber seine Gedanken rasten nur so. Er musste einen Weg finden, mit Albus zu kommunizieren, und das so schnell wie möglich. Er war sich sicher, dass einer der anderen Todesesser bestimmt über wichtige Informationen verfügte, die er auch nur allzu offen mit Severus teilen würde. Doch was würde ihm dies nutzen, wenn er keinerlei Kontakt nach Hogwarts hatte. Eulen wären zu riskant, der Dunkle Lord oder einer seiner Lakaien überwachte unter Garantie den Luftraum. Und selbst der beste Code würde entschlüsselt werden. Das schlimmste an Ihm, neben dem Gebrauch der Unverzeihlichen, war seine Brillanz. Leider war er nicht dumm.

Das hätte es um einiges leichter gemacht.

In seiner Kammer, die von der Größe her einem Besenschrank ähnelte, verstaute Severus die wenigen Habseligkeiten, die er mitgenommen hatte, in einer Kommode, und beschloss, zumindest einer Eule eine Chance zu geben. Albus musste sowieso wissen, was Sache war, also konnte er genauso gut versuchen, eine Nachricht zu übermitteln. Irgendwann musste er sowieso sterben.

Severus griff sich seinen Federkiel, ein Stück Pergament und schrieb:

Hallo, Tatze.

Bin gut angekommen. Es ist bei weitem nicht so schlecht, wie ich dachte. Zumindest muss ich mein Zimmer nicht mit jemand anderem teilen. Was mit meine größte Sorge war.

Das Personal ist freundlich, der Geschäftsführer ein wenig grantig, aber umgänglich. Mit einem längeren Aufenthalt werde ich also leben können. Auch wenn ich sagte, ich werde sofort zurückkommen. Ich hoffe, du bist nicht allzu enttäuscht.

Bitte richte doch unserem Großvater die wärmsten Grüße von mir aus. Es wäre schön, von ihm zu hören.

Leider werde ich nicht oft schreiben können, da das Angebot hier wirklich zeitraubend ist.

Alles Liebe

Snivellus

Zugegeben, es war ein etwas lausiger Code, aber da Severus beschlossen hatte, die Nachricht an Black zu senden, hatte er sich für eine leicht zu entschlüsselnde Variante entschieden. Er hoffte, dass dieser debile Mistkerl wenigstens das zu entziffern wusste.

Er hätte natürlich viel lieber Albus direkt angeschrieben, aber das schien ihm zu riskant. Also adressierte er den Brief mit Tatze, band ihn seiner Eule, die ihn mittlerweile auch schon gefunden hatte, ans Bein und hoffte, dass die Nachricht ihren Empfänger erreichte.

Er hatte nicht das Gefühl, viel erreicht zu haben, aber mehr konnte er nicht tun. Also ließ er sich auf die Pritsche, die sein Bett darstellen sollte, sinken und vergrub seinen Kopf in seinen Händen. Auf ein Neues fühlte er Kopfschmerzen herannahen, hatte aber natürlich Pomfreys Heilmittelchen vergessen. Er verfluchte sich selbst und öffnete das Fenster. Vielleicht half die frische Luft ja etwas. Oder der Blick auf den dunklen Wald vor ihm, wo sich bestimmt Fuchs und Hase Gute Nacht sagten. Die dunklen Umrisse der Bäume hatten schon eine fast beruhigende Wirkung auf Severus, und er fühlte die leichte Panik, die er in der letzten halben Stunde empfunden hatte, verschwinden. Dafür war er nur noch erschöpft. Am liebsten hätte er sich hingelegt, aber er wusste auch ohne den Versuch zu unternehmen, dass dies ein aussichtsloses Unterfangen sein würde. Er würde kein Auge zutun können. Nicht auf diesem Aushilfsbett, nicht in der fremden Umgebung, nicht, wenn er so unwissend war.

"Hoffst du auf einen Retter?"

Trotz seiner derzeitigen Gemütsverfassung musste Severus ob des Sarkasmus in der Stimme lächeln. Er drehte sich um, verschränkte seine Arme vor der Brust und schaute seinem Gegenüber in die grauen Augen.

"Du bist doch hier, Lucius."

Lucius grinste nur breit, und für diese Sekunde war es fast wie in den alten Tagen zwischen den beiden unterschiedlichen Männern. Doch dann wurde der blonde Todesesser wieder ernst.

"Er ist ganz schön enttäuscht von dir, weißt du?"

"Ja, und wo könnte da wohl der Grund liegen? Ich liege doch recht in der Annahme, dass du keine Minute gewartet hast, um ihm eine Entschuldigung für meine Abwesenheit zu liefern?"

"Aber doch nur im besten Interesse."

"Nämlich deinem."

Obwohl Lucius Gesicht wie versteinert war, wusste Severus, dass er ihn verletzt hatte. Wenn es etwas gab, was Lucius nicht gerne hörte, waren es Vorwürfe über seine Eitelkeit, oder seine Selbstsucht. Er hielt sich selbst nämlich weder für das eine noch für das andere.

"Das war ein Tiefschlag."

"Tiefer als du kann ich gar nicht schlagen, Lucius."

Der ältere Malfoy trat näher, stand nun ganz im Zimmer und somit nur wenige Zentimeter von Severus entfernt. Severus versagte sich selbst, nach hinten auszuweichen, wollte er nicht so wirken, als fürchte er Lucius. Außerdem war hinter ihm eh nur die Wand.

"Weißt du, ich könnte für dich ein gutes Wort einlegen. Ich habe mittlerweile einen ziemlich guten Draht zu unserem Dunkeln Lord."

Severus hörte die Intention hinter den Worten, spürte Lucius' warmen Atem über sein Gesicht wehen, aber er würde nicht nachgeben. Da würde er sich eher von einem Gnom begatten lassen!

"Und wir wissen ja beide, was ich dafür zu tun hätte, nicht wahr?"

Lucius lachte leise.

"Was würde es schaden, wenn du ein wenig nett zu mir bist, Sev?"

"Nichts, Lu. Doch es würde genauso wenig schaden, wenn du mich ganz einfach in Ruhe lässt. Und lass die alten Spitznamen aus dem Spiel, die ziehen nicht mehr."

Lucius starrte ihn an, seine Augen glitzerten vor Wut.

"Na gut, wenn du das so siehst! Bitte! Aber komm nicht nachher an und heul dich bei mir aus, weil Du-weißt-schon-wer dich wieder extra lange an der Wand hat hängen lassen!"

"Oh, keine Angst, Lucius. In diese Verlegenheit werde ich nicht kommen!"

Lucius schaute ihn noch einen Moment wütend an, stürmte aber dann aus dem Zimmer. Severus wusste, dass er es soeben noch schlimmer gemacht hatte. Lucius würde vermutlich sofort zu Voldemort laufen und irgendeine Räuberpistole erzählen, die Severus' Bestrafung nur noch grausamer ausfallen ließ. Wahrscheinlich die nette Episode, wie er dem Potter-Balg im dessen ersten Jahr das Leben gerettet hatte.

Was zu einem gewissen Teil ja auch richtig war.

Severus ließ sich auf das "Bett" fallen und schloss die Augen. Wahrscheinlich hatte Black tatsächlich recht gehabt, dass ihm der Potter- Sprössling nicht egal sein konnte. Was Severus selber nicht begreifen konnte. Schließlich hasste er diesen kleinen Wichtigtuer, der sich nur etwas auf den Namen seines Vaters einbildete!

'Wie kann er sich denn was auf seinen Vater einbilden, wenn er ihn gar nicht kannte?' flüsterte eine kleine Stimme in seinem Kopf.

"Schnauze." murmelte er müde. Er wollte gar nicht hören, was dieser Teil seines Gewissens zu sagen hatte. Diese Stimme war es doch auch gewesen, die ihn zu dieser bescheuerten Rettungsaktion getrieben hatte. Als ob es Potter geschadet hätte, von seinem Besen zu fliegen. Severus hatte das noch nie geschadet, und es war ihm oft genug passiert.

Vorzugsweise dann, wenn Black in der Nähe gewesen war, um ihn auszulachen.

Aber das war ja auch nicht selten gewesen. Oder, in Severus' Augen, nicht selten genug! Manchmal hatte er während seiner Schulzeit das Gefühl gehabt, er brauchte sich nur umzudrehen, um dort irgendwo Black mit seinen Freunden stehen zu sehen. Oder, was auch oft vorkam, alleine an einer Wand gelehnt, wo er ihn solange forschend musterte, bis entweder Severus die Geduld verlor, oder es Black wohl zu langweilig wurde und er seine neuesten Zaubersprüche an ihm ausprobierte.

Zum zweiten Mal an diesem Abend zwang sich Severus dazu, nicht über olle Kamellen nachzudenken. Was nützte es ihm, wenn er jetzt auch noch nostalgisch wurde? Er würde sich wahrscheinlich nur wütend, oder hilflos, fühlen, und das war in seiner aktuellen Situation nicht die intelligenteste Vorgehensweise.

Severus glitt in einen unruhigen Halbschlaf, und sein angestrengtes Hirn versorgte ihn auch noch gütiger Weise mit allen möglichen Horrorversionen. Was, wenn die Eule abgefangen worden war? Was, wenn Voldemort wusste, dass er Albus zu kontaktieren versucht hatte? Was, wenn die Eule Black nicht fand? Was, wenn dieser nicht wusste, wie der Code gemeint war? Severus sah vor seinem inneren Auge, wie Black den Zettel nahm, mehrmals durchlas und dann einfach wegschmiss, weil er es als einen geschmacklosen Witz abtat. Hilflos sah er Black den Tisch verlassen, in sein Schlafzimmer gehen und....

Severus schreckte hoch. Anscheinend war er doch für einen Moment eingenickt, und seine schmutzige Phantasie hatte ihn mit einem sehr ekelhaften Bild versorgt.

Er hatte gesehen, wie Black seine Kleidung abgestreift hatte, langsam und sinnlich. Eine Hand hatte er über seinen Körper fahren lassen, die andere war durch sein Haar geglitten. Auf dem Bett liegend, hatte Black sein Glied zärtlich mit der Hand umschlossen und hatte begonnen, zu masturbieren. Seine Augen waren geschlossen gewesen, sein Mund leicht geöffnet, und er hatte einen Namen geflüstert...

Severus schüttelte den Kopf, und versuchte, Ekel zu empfinden.

Was gar nicht so einfach war, hatte sein bestes Stück anscheinend eine andere, eigene Meinung zu diesem Thema.

Was zur Hölle war denn nun schon wieder mit ihm los? Seit wann hatte er denn erotische Träume, in denen Black vorkam? Und warum war er davon auch noch erregt?

Konnte man eigentlich erregt sein und gleichzeitig einen gewissen Brechreiz empfinden?

Severus erhob sich von seiner Liegestätte, öffnete das Fenster und nahm mehrere tiefe Atemzüge. Er wollte einen klaren Kopf bekommen, und wollte vor allem seine Erektion zwingen, wieder zu verschwinden.

Was sie nach einer Zeit auch glücklicherweise auch tat.

Wieder im Bett, schief Severus erneut ein, hatte aber glücklicherweise keine Träume, die in irgendeiner Weise auch nur im Geringsten etwas mit Black zu tun hatten.

Zumindest keine, an die er sich erinnern konnte.

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