Vorsichtig ein Auge öffnend, versuchte Severus, das Gefühl der Orientierungslosigkeit abzuschütteln, dass er empfand.

Er konnte sich nicht ganz erklären, warum er sich fühlte, als habe er am Abend zuvor ein Glas zuviel getrunken, trotzdem schmeckte er alte Socken und verspürte einen starken Schmerz hinter seiner Stirn, der nur darauf hinweisen konnte.

Doch die Erinnerung an die letzte Nacht war noch so lebhaft, als wäre es erst fünf Minuten her, dass er neben Sirius eingeschlafen war, benommen aber zufrieden.

Severus blinzelte, bevor er versuchte, sich aufzusetzen. Sein Brummschädel half ihm nicht dabei, klar denken zu wollen, und das begleitende Schwindelgefühl tat noch seinen Teil dazu.

"Guten Morgen."

Die Stimme hatte ihn aufschrecken lassen, und das nicht nur, weil er nicht damit gerechnet hatte.

Sie war aus der Richtung des Badezimmers gekommen, wohin Severus langsam den Kopf drehte, denn er glaubte erneut an eine Wahnvorstellung.

Doch er hatte keine. Dort im Türrahmen stand, in voller Lebensgröße, der Mann, dessen Stimme Severus soeben vernommen hatte.

Lucius.

Mit einem Mal war Severus wach. Überflüssigerweise sah er neben sich, doch es war ihm klar gewesen, dass er Sirius nicht schlafend auf dem Bett vorfinden würde, nachdem er Lucius erst einmal wahrgenommen hatte.

"Wo hast du ihn hingebracht?"

Lucius lächelte nur überlegen, als er näher ans Bett herantrat.

"Wie meinen?"

"Black. Wo ist er?"

Seinen Gegenüber lachen zu sehen, ließ Severus Wut aufkochen. Er verspürte, wie die Tage und Stunden zuvor, erneut das Verlangen, Lucius' Kehle genüsslich erst herumzudrehen und dann vielleicht noch aufzuschneiden, vielleicht auch umgekehrt, Hauptsache, er würde den blonden Todesesser endlich zum Schweigen bringen.

Dieser schien allerdings völlig andere Pläne zu haben, als er sich auf dem Bett niederließ und Severus mit einem Blick musterte, der nur schwer zu deuten war.

"Wo soll er schon sein? Gut versteckt, hoffe ich doch."

Severus wünschte sich allmählich, dass ihm klares Denken leichter fallen würde, denn er hatte keinerlei Schimmer, worauf Lucius hinauswollte.

Hatte er sich denn alles nur eingebildet? Das wagte er zu bezweifeln, so derart realistische Träume hatte er schließlich nicht. Außerdem war er völlig unbekleidet aufgewacht.

Und als er Lucius ansah, dessen selbstgefälliges, zufriedenes Gesicht wahrnahm, fügte sich plötzlich ein Puzzle in seinem Kopf zusammen, dass ihm gar nicht gefiel.

"Was hast du mit mir gemacht?"

Seine Frage hatte schon fast wie ein Knurren geklungen, und er unterdrückte nur mit Mühe erneute Mordgelüste.

Lucius lachte leise.

"Was ich mit dir gemacht habe, dürfte dir wohl noch bekannt sein. Deine Frage sollte eher lauten, wie?"

Natürlich genoss der ältere Malfoy es sichtlich, Severus ausgeliefert vor sich zu sehen. Er lehnte sich genüsslich gegen einen der Bettpfosten, schlug die Beine übereinander und betrachtete in aller Seelenruhe seine Fingernägel.

Severus wusste, dass er zur Weißglut getrieben werden sollte, und war auch schon sehr nahe daran, sich zu vergessen. Doch diese Genugtuung wollte er Lucius nicht geben, so dass er sich gezwungen ruhig auf das Thema konzentrierte und sein Gegenüber geflissentlich ignorierte.

"In Ordnung. Also, wie hast du es getan?"

Lucius studierte nun seine Bettwäsche, als er schon fast uninteressiert antwortete.

"Schön, dass du an der Unterhaltung teilnimmst. Irgendwelche Theorien?"

Warum konnte Lucius ihm nicht ganz einfach erzählen, welchen Zauber er dieses Mal aus dem Hut gezogen hatte, anstatt eine derartige Show abzuziehen?

Er war schon immer ein melodramatischer Scheißkerl gewesen. Eine Karriere als Schauspieler wäre für Lucius wirklich eine Option gewesen.

"Wenn ich jetzt nein sage, erfahre ich dann, worum es hier geht, oder wartest du bis morgen darauf, deine Pointe aus dem Hut zu ziehen?"

"Du nimmst dem Ganzen die Spannung, Liebster. Dabei hatte ich immer den Eindruck, du hättest einen Sinn für Dramatik."

"Nicht, wenn ich nackt neben einem Mann aufwache, neben dem ich nicht eingeschlafen bin. Du wirst verzeihen, aber ich wüsste viel lieber, woran ich bin."

Die Reaktion Lucius' war bei weitem nicht, was Severus erwartet hatte, doch es ließ ihn vermuten, dass sein alter Freund wohl zu viel Zeit mit dem Lord verbrachte.

Lucius kicherte wie ein pubertäres Mädchen.

Severus verdrehte die Augen. Schon früher war Lucius gerne mal anzüglich und zweideutig geworden, und konnte sich über die plumpsten Witze stundenlang amüsieren. Was sein Niveau bei Humor anging, konnte Severus dies nicht ganz nachvollziehen.

Er verstand auch nicht, was er dieses Mal wohl gesagt haben mochte, um Lucius in eine derartige Hysterie zu versetzen. Es war ihm auch herzlich egal.

Ungeduldig wartete er auf eine Antwort, die ihm dann auch endlich erteilt wurde, als Lucius es für angebracht hielt, sich wieder zusammenzureißen.

"Schon gut, wenn dir so sehr nach einer Erklärung dürstet...

Erinnerst du dich noch an das alte Buch über Schwarzmagie, dass wir damals auf deinem Speicher gefunden haben?"

Severus ahnte schon, worauf Lucius hinaus wollte.

Damals, Severus war ungefähr siebzehn gewesen, war Lucius für eine Weile im Anwesen der Snapes untergekommen, und hatte nach kurzer Zeit vor lauter Langeweile beschlossen, die unzähligen Räume, Kerker und das komplette Dachgeschoss zu erkunden. Dabei waren sie eines Nachmittags auf eben jenes Buch gestoßen, dass Lucius nun wieder erwähnte. Es war voll mit kleinen, nützlichen Zaubern gewesen, mit denen man, soweit Severus sich noch erinnern konnte, einen anderen Menschen zu fast allem verleiten konnte, was einem gerade in den Sinn kam.

Sie hatten prompt ausprobiert, ob die Zaubersprüche tatsächlich funktionierten, was zur Folge hatte, dass Severus' altes Kindermädchen an just diesem Nachmittag in der Küche einen Tango mit einem Hauself hinlegte. Sie hatten es beide damals höchst amüsant gefunden.

Severus realisierte, dass er dieses Buch seit jenem Tag nicht mehr gesehen hatte. Nun wusste er auch, wo es abgeblieben war.

Er nickte kurz, als er einen heißen Knoten an Vorahnung in seiner Magengegend spürte.

"Nun, ich habe es vor einigen Monaten wieder in einem meiner Arbeitszimmer wieder entdeckt. Ich hatte gar nicht mehr gewusst, dass ich es überhaupt noch besaß."

Er lachte wieder leise vor sich hin, ehe er fortfuhr.

"Du kannst dir nicht vorstellen, welch Erinnerungen dieser alte Schinken bei mir auslöste."

Severus spürte den forschenden Blick Lucius' auf sich ruhen, blieb aber stumm.

"Jedenfalls ertappte ich mich dabei, wie ich es durchblätterte, und dabei stolperte ich über einen wirklich interessanten Absatz über unwillige Sexualpartner und wie man sie davon überzeugen könnte, dass sie gar nicht unwillig wären. Du kannst dir denken, was mir dabei sofort in den Sinn kam."

Severus konnte es nicht fassen. Da besaß Malfoy eines der wohl ältesten und wertvollsten Werke seiner Zeit und dachte tatsächlich nur mit seinem Schwanz. Wie typisch männlich von ihm.

Doch entgegen seiner Abneigung meldete sich plötzlich der Wissenschaftler in Severus, der sich interessiert nach vorne beugte.

"Und wie genau sähe diese Überzeugung aus?"

Lucius grinste nur selbstgefällig.

"Dachte ich mir doch, dass ich dein Interesse wecken kann. Im Grunde ist es nicht viel anderes als ein Illusionszauber. Man lässt das Objekt seiner Begierde das sehen, was er oder sie gerne möchte, und hat keinerlei Schwierigkeiten mehr, sexuell zum Zuge zu kommen.

Als ich es an einer Versuchsperson ausprobiert hatte, war mir klar, dass es nur eine Person gab, deren Aufmerksamkeit ich gerne auf mich lenken würde. Und ich wusste, dass ich dich mit Black auf jeden Fall herumkriegen würde. Die Schwierigkeit war nur, dir begreiflich zu machen, dass dein kleiner Freund tatsächlich vorhanden war."

Jetzt war Severus ehrlich gespannt. Nicht nur der ausgebildete Hexer in ihm wollte Details erfahren, sondern auch das verletzte männliche Ego, dass zu gerne erfahren würde, wie es hereingelegt worden war.

"Doch selbst dafür gab es eine Lösung. Nur ein wenig geriebener Stechapfel in dein Wasser, und schon konnte ich deinen Verstand soweit ausschalten, dass er mir nicht weiter im Weg stand."

Severus ließ den Kopf sinken, kämpfte gegen ein Gefühl der Übelkeit, dass ihn zu übermannen drohte. Er hatte gewusst, dass Lucius zu üblen Mitteln greifen würde, um an das zu gelangen, was er wollte, aber was ihm gerade geschildert worden war, übertraf seine sämtlichen Erwartungen.

Er holte einige Male schnaubend Luft, bevor er sich der Frage widmete, die während Lucius Ausführungen um Gehör gebettelt hatte.

"Und warum das ganze?"

Severus war sich sicher, dass, wenn er das Lachen Lucius' noch länger ertragen musste, er wahrscheinlich wahnsinnig würde. Oder zum Massenmörder.

"Jetzt überraschst du mich wirklich, Sev. Was hätte ich denn sonst tun sollen, nachdem du selbst sagtest, dass ich keinerlei Enthusiasmus von dir zu erwarten hatte? Wie sonst hätte ich dich denn sonst überzeugen können?"

Dieses Mal war es an Severus, laut aufzulachen. Er hatte sich wohl gerade verhört.

"Seit wann kümmert dich denn so was? Wäre ja nicht das erste Mal gewesen, dass du mich gegen meinen Willen vögelst!"

Den letzten Teil hatte Severus in einem gefährlich ruhigen Unterton von sich gegeben, der ihm genau die Reaktion bescherte, die er erwartet hatte.

Lucius zuckte unwillkürlich zusammen und sah Severus erschrocken an.

Als ob er wirklich auch nur eine Minute bereuen würde, was er damals getan hatte.

Glücklicherweise schwieg Lucius, doch selbst, wenn er eine lahme Entschuldigung versucht hätte, wäre ihm Severus vermutlich ins Wort gefahren.

Endgültig war das Thema abgeschlossen, zumindest für den schwarzhaarigen Zauberer, der versuchte, die Erinnerungen hinunterzukämpfen.

Was ihm allerdings nicht recht gelingen wollte.

Er musste aus diesem Zimmer, so schnell es nur ging. Keine Minute länger würde er es neben Lucius mehr aushalten.

Severus schnaubte verächtlich, als er begann, seine Kleidung zusammenzusuchen und verschwand, so ruhig er konnte, aus der Behausung des Malfoys. Er wollte ihn nicht auch noch merken lassen, wie sehr ihn diese alte Geschichte noch belastete.

Vor allem, da er sich doch schon so lange vorgesagt hatte, dass es ihm nichts ausmachte. Wirklich nicht. Er hatte es längst vergessen geglaubt, oder so derart tief vergraben, dass er so leicht nicht daran denken musste.

Doch nur all zu deutlich war die Erinnerung daran, wie Lucius eines Abends vor seiner Tür gestanden hatte.

Damals hatte er studiert, war genauer gesagt kurz vor dem Abschluss gewesen, und wohnte in einer kleinen Wohnung in London. Sein Kontakt mit Lucius war damals nur dürftig gewesen, denn sie hatten sich erst im Jahr zuvor getrennt, als er Narcissa heiratete. Selbst die Beteuerungen, dass er dies nur tat, um weiterhin das Geld seines Vaters zu beziehen, konnten nichts daran ändern, dass Severus zutiefst verletzt die Beziehung beendet hatte.

Dieser spezielle Abend war jener gewesen, an dem Lucius von Narcissa's Schwangerschaft erfahren hatte. Und es wohl kräftig gefeiert hatte. Denn auf Severus Türschwelle stand ein betrunkener Malfoy, der ihm die freudige Nachricht überbringen wollte. Ihm daraufhin stundenlang das Ohr abkaute, wie das Kind wohl heißen sollte, und Severus auch noch die Patenschaft anbot. Auf die dieser natürlich nur zu gerne verzichten wollte, doch er hatte freundlich zugehört und genickt und seinen Exfreund reden lassen.

Nur dass dieser irgendwann nicht mehr reden wollte.

Severus hatte sich gewehrt, sosehr er konnte, er hatte nicht mehr mit jemandem schlafen wollen, dessen Frau gerade schwanger zuhause saß, vor allem nicht mit seinem Exfreund. Doch Lucius hatte zuerst nicht gehört, hatte seine Abneigung erst als Spiel aufgefasst.

Bis Severus zugeschlagen hatte.

Er konnte sich noch genau an die Blutspur erinnern, die so leuchtend rot auf der bleichen Haut des Blonden von seinem Mundwinkel aus zum Kinn gelaufen war.

Nur eine Sekunde später war er am Bett gefesselt dagelegen, ein Zauber später war er unbekleidet gewesen, und Lucius war über ihn hergefallen, wie ein wildes Tier.

Er schüttelte die unangenehme Erinnerung ab und würdigte Lucius nicht eines weiteren Blickes, als er zu seiner Besenkammer zurückmarschierte.

Als Severus aus der Dusche trat, hatte er sich wieder soweit unter Kontrolle, dass er der vorherigen Nacht keinen Gedanken mehr schenkte. Das heiße Wasser, unter dem er gestanden hatte, war eine große Hilfe dabei gewesen, seine Gefühle wenigsten einigermaßen in den Griff zu bekommen.

Wäre ja auch gelacht, wenn er dies nicht mehr konnte.

Ein kleines Feuer direkt über seinem Schreibtisch ließ ihn aus seinen Gedanken auffahren. Schnell ergriff er die Rolle Pergament, die auf seine Schreibunterlage gefallen war und las die Nachricht Dumbledores.

Das Hauptquartier des Phoenixordens kann im Grimmauld Place 12, London gefunden werden.

Severus runzelte die Stirn, da er sich nicht im klaren darüber war, was er mit dieser Nachricht anzufangen hatte. Da fiel ihm ein zweites, ausführlicher beschriebenes Blatt in die Hand.

Ich muss dich bitten, meine Nachricht auswendig zu lernen und anschließend zu vernichten.

Falls du dich in hoffentlich absehbarer Zeit in dieser Straße wiederfinden solltest, musst du dich nur an meine Worte erinnern, und wirst so Einlass in unser Hauptquartier finden.

Ich weiß nicht, ob diese Information für dich von Bedeutung ist, aber es ist der alte Familienbesitz der Blacks. Sirius wird uns also dort beherbergen.

A.D.

Er wusste nicht, was er davon halten sollte, bald in Blacks altem Haus aus- und einzugehen, aber ein wirklich gutes Gefühl hatte er bei der Sache nicht.

Severus zerriss beide Pergamente, bis nur noch Konfetti übrig war, dass er mit einer Bewegung seines Zauberstabs kurzer Hand in Rauch aufgehen ließ, legte sich auf die Pritsche, und schlief nicht lange danach tief und fest.

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