Wahrheiten



Kapitel 2


Tom Paris ließ sich in seinem Quatier müde auf sein Bett fallen. Er hatte die letzte Nacht nicht gut geschlafen und außerdem gerade eine Extra-Schicht in der Krankenstation beendet, weil der Doktor mit ihm unbedingt noch typische Krankheiten der Ke'Sethan auf ihre Ansteckungsgefahr für Menschen, Vulkanier, Bolianer, Bajoraner usw. überprüfen wollte. Er hatte immer noch das fröhliche „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, Mr. Paris!" des Doktors im Ohr, als er müde begann seine Stiefel auszuziehen. Wie kann man bei der Überprüfung von medizinischen Daten nur so gut gelaunt sein?!


Hologramme brauchten keinen Schlaf, aber er würde sich jetzt auf jeden Fall noch ein paar Stunden hinlegen, bevor er B'Elanna zum Essen traf und dann um 1400 seinem Dienst auf der Brücke antrat.

„Computer, Alarm auf 1245 setzen." sagte er laut. Noch 1 ½ Stunden Schlaf, dachte er zufrieden, als sich sein Kommunikator meldete.

//Chakotay an Paris. Bitte melden Sie sich sofort in meinem Büro.//

Er seufzte lautlos und zog die Stiefel wieder an. Na toll, was in aller Welt ist denn jetzt schon wieder los? Habe ich etwa meine Berichte nicht vorschriftsmäßig formuliert?!

Doch er antwortete: //Paris hier. Bin schon unterwegs.//


Ein paar Minuten später stand er vor Chakotays Büro.

„Herein!" kam die Stimme des Commanders, als er das Türsignal auslöste. Tom trat ein und blieb vor Chakotays Schreibtisch stehen.

„Sie wollten mich sprechen?" fragte er, während er hastig überlegte, womit er sich in Schwierigkeiten gebracht haben könnte.

„Ja." sagte der Erste Offizier und deutete auf einen Stuhl. „Setzen Sie sich doch."

„Bedeutet das Sie wollen mir einen längeren Vortrag halten?" fragte Tom und setzte sich wiederstrebend. „Hören Sie, Chakotay, wenn der Doktor sich wegen heute morgen bei Ihnen beschwert hat..."

„Gibt es denn etwas, das ich wissen sollte?" fragte Chakotay.

Tom schüttelte den Kopf. „Wir hatten einen kleinen Streit, nichts ernstes. Vergessen Sie 's einfach."

Chakotay runzelte die Stirn, ging aber nicht darauf ein. „Ich wollte mit Ihnen reden, weil ich einen Piloten für eine kleine Forschungsexpedition suche. Wir schicken ein Shuttle los um den Nebel zu erforschen, an dem wir vor zwei Tagen vorbeigekommen sind."

„Ich erinnere mich daran. Es gibt jede Menge Turbulenzen dort, das dürfte interessant werden..."

Toms Augen leuchteten auf, als er über diese Herausforderung nachdachte.

Damit hat er den Köder geschluckt, dachte Chakotay zufrieden. „Ich dachte dabei an Sie, weil Sie sich ohne B'Elanna und Harry doch sicherlich langweilen würden. Die beiden haben in der nächsten Wochen viel zu tun."

„Dann sind Sie also dafür verantwortlich, dass Harry seine Meinung über eine Segeltour auf dem Lirith-See geändert hat." sagte Tom.

„Schuldig im Sinne der Anklage." antwortete Chakotay grinsend. „Er arbeitet mit mir an einem kleinen Projekt über Linguistik und Langstreckenkommunikation der Ke'Sethan."


Tom verzog das Gesicht. „Schon klar, Sie haben seinen Forschergeist geweckt. Zumindest muss ich mir nicht seine neusten Erkenntnisse anhören, wenn ich mit dem Deltaflyer unterwegs bin." Dann fiel ihm etwas ein: „Moment mal, wo ist der Haken an der Sache? Muss ich etwa eine Woche lang Seven ertragen?"

Es war nicht so, dass er Seven nicht mochte, aber sie war nicht gerade die unterhaltsamste Gesellschaft.

Chakotay schüttelte den Kopf. „Nein. Sie schließt sich ebenfalls meinem Projekt an, wenn sie B'Elanna nicht im Maschienenraum hilft."

„Wer wird dann die ganzen Scans und Untersuchungen machen? Sie erwarten doch nicht, dass ich mich darum kümmere?" fragte Tom.

„Nur keine Sorge, wir wollen schließlich brauchbare Daten. Ich weiß, dass Sie kein Astrophysiker sind." erwiederte Chakotay freundlich. Zeit, um die Bombe platzen zu lassen: „Der Captain wird die Untersuchungen machen."


Für einen Moment sah Tom aus, als hätte ihm jemand einen schweren Gegenstand über den Schädel geschlagen. Dann schüttelte er den Kopf. „Das ist keine gute Idee." sagte er leise.

„Sie braucht dringend Urlaub, und das ist genau das Richtige für sie." erwiederte Chakotay.

„Fähnrich Baytart ist ein sehr fähiger Pilot." sagte Tom. „Ich bin sicher, er wird sich über diese Herausforderung freuen."

„Sehr fähig reicht leider nicht aus."

Tom verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie wissen genau, dass der Captain und ich in letzter Zeit gewisse Schwierigkeiten haben. Ich bin sicher sie will keine ganze Woche mit mir in einem Shuttle verbringen. Suchen Sie sich besser einen anderen Piloten."

„Tut mir leid, ich habe meine Wahl bereits getroffen. Melden Sie sich morgen um 0800 im Shuttlehangar." erklärte der Erste Offizier ruhig.

Für einen Moment lang sah ihn Tom nur verblüfft an, doch dieses Gefühl verwandelte sich in schnell in Wut. Er sprang auf: „Ich habe ein Recht auf meinen Landurlaub. Verdammt Chakotay, Sie können mich nicht zwingen!"

„Wenn schon, Fähnrich, dann heißt es: „Verdammt, Sir". Und ich kann Sie sehr wohl zwingen, indem ich Ihren Landurlaub einfach streiche." sagte Chakotay und stand ebenfalls auf.

„Was soll das, Commander?!" fragte Tom. Selbst nach fünf Jahren sprach er Chakotay meistens nur mit seinem Rang an, wenn er wirklich wütend war.

„Sagen wir einfach, ich habe meine Gründe." antwortete Chakotay. Der jüngere Mann starrte ihn einen Moment lang nur wütend an, dann stürmte er aus dem Raum.

Chakotay sah ihm nachdenklich hinterher. Hoffentlich funktioniert das, sonst bringt B'Elanna mich um.


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Am frühen Abend ging Fähnrich Desideria N'ymes in das Kasino. Kaum war sie durch die Tür getreten, als ihre Freundin Anne Johansen sie durch heftiges Winken an ihren Tisch lockte. Die Andorianerin holte sich etwas zu essen und setzte sich neben Anne.

Ihre beste Freundin grinste über das ganze Gesicht. „Rate mal, was ich eben gehört habe!" sagte sie. Desideria bewegte geistesabwesend ihre Fühler im andorianische Äquivalent eines Schulterzuckens, während sie ihr Abendessen musterte.

„Keine Ahnung, aber du wirst es mir sicher gleich erzählen. Weißt du, was das hellblaue Zeug da ist?"

„Oh komm schon, Des, jetzt rate doch mal!" sagte Anne und verzog ihre Lippen, wodurch sie bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einer schmollenden Fünfjährigen bekam.

Desideria kannte diesen Ausdruck: Ihre Freundin würde nicht lockerlassen, also fragte sie lieber gleich nach der tollen Neuigkeit. „Gut, du hast gewonnen, Annie, worum geht's?"

Anne lächelte geheimnisvoll. „Du hast doch erst vor ein paar Tagen davon gesprochen, wie gerne du diesen Nebel untersuchen würdest, an dem wir vorbeigekommen sind." erklärte sie. „Also, dein Wunsch wird wahr, der Captain fliegt morgen auf eine Forschungsexpedition!"

„Und?" fragte Desideria unbeeindruckt. „Und?!" wiederholte Anne fassungslos. „Ist das alles?! Du gehst natürlich zu ihr und fragst sie, ob du sie begleiten kannst!"


Desideria verschluckte sich an ihrem Essen. „Bist du verrückt?!" brachte sie zwischen zwei Hustenanfällen hervor. „Sie begleiten?! Das ist ihr Urlaub, da braucht sie doch nicht noch einen nervösen Fähnrich. Ich würde sowiso kein Wort herausbringen! Vermutlich würde ich alle Daten falsch interpretieren!"

„Unsinn!" erklärte ihre Freundin und warf ihr einen scharfen Blick aus dunkelbraunen Augen zu. „Du bist eine tolle Astrophysikerin, du wärst sicher eine große Hilfe für den Captain. Außerdem hast du doch schon alle möglichen Daten über den Nebel auswendig gelernt, oder nicht?"

Desideria lächelte schuldbewusst. „Ja, habe ich. Aber ich kann doch nicht einfach zu ihr gehen..." „Doch. Am besten jetzt gleich!" sagte ihre Freundin und zog sie von ihrem Sitz hoch. „Los, mach' einfach! Mehr als nein sagen kann sie nicht!"

„Wenn schon, dann müsste ich zuerst den Commander fragen. Er ist für so was zuständig." wiedersprach Desideria.

„Der ist im Bett und schläft." erklärte Anne. „Als ich vorhin meinen Dienst beendet habe, sind er und Fähnrich Kim mir im Turbolift begegnet. Kim meinte, der Commander würde sehr müde aussehen, und der antwortete darauf, dass er sich deshalb auch gleich ins Bett legen würde. Du willst ihn bestimmt nicht wecken." Dann grinste sie. „Obwohl er in Boxershorts bestimmt ein toller Anblick wäre."

Desideria starrte sie nur mit offenem Mund an. „Du bist verrückt!" brachte sie schließlich hervor.

Anne lachte. „Oh, Des! Du bist so leicht in Panik zu versetzten! Ich bin doch nicht lebensmüde! Aber wie wär's, wenn du jetzt endlich gehst?! Los!!"


Ein paar Sekunden später stand Desideria im Korridor vor dem Kasino und fuhr nervös mit den Fingern durch ihr kurzes silberweißes Haar. Diese Angewohnheit führte dazu, das ihre Frisur mal wieder so zerzaust war, als sei sie gerade aus dem Bett gestiegen. Und so soll ich vor den Captain treten, dachte sie. Sie konnte Annes Stimme praktisch hören: Lenk nicht vom Thema ab, tu es!

Sie atmete tief durch und aktivierte ihren Kommunikator. //Fähnrich N'ymes an Captain Janeway. Dürfte ich sie bitte einen Moment sprechen, Ma'am?// Sofort meldete sich die Stimme des Captains. //Sicher, Fähnrich, kommen Sie in meinen Raum. Janeway Ende.//

War doch gar nicht so schlimm, dachte Desideria ironisch. Ich habe sie bloß "Ma'am" genannt, was sie auf den Tod nicht ausstehen kann. Toller Anfang, Des!



Wenig später stand sie vor Janeways Bereitschaftsraum. Nach einem schnellen „Herein!" trat sie ein und stand schließlich nervös vor dem Captain.

Janeway saß an ihrem Schreibtisch und lächelte. „Bitte setzen sie sich doch, Fähnrich N'ymes."

„Danke, Captain." brachte Desideria hervor und dachte erleichtert: Zum Glück habe ich sie nicht "Ma'am" genannt!

„Sie wollten mich sprechen?" fragte Janeway.

„Ähm, ja, Captain. Ich habe gehört, dass sie für Morgen eine einwöchige Expedition zu dem Klasse J – Nebel geplant haben, den wir vor zwei Tagen entdeckt haben."

Der Captain lächelte. „Es ist erst einige Stunden her sein, seit ich mich dazu entschlossen habe, und trotzdem weiß es bereits das ganze Schiff. Ist die Crew so begeistert davon, mich loszuwerden?"

Desideria gestattete sich ein kurzes Lächeln. „Der Grund weshalb ich hier bin, ist weil ich mich freiwillig melden möchte, wenn Sie noch Platz für eine Astophysikerin hätten. Ich würde diesen Nebel sehr gerne untersuchen. Aber ich verstehe vollkommen, wenn Sie niemanden mitnehmen wollen!" Den letzten Satz schob sie hastig hinterher.

„Sind Sie sicher, dass sie ihren Landurlaub lieber eine Woche lang mit ihrem Captain in einem Shuttle als mit ihren Freunden auf dem Planeten verbringen wollen?" fragte Janeway.

„Ja, Ma'am! Ähm, ich meine Captain. Wissen Sie, dieser Nebel ist wirklich außergewöhnlich! Ich hatte vor meiner Versetzung auf die Voyager angefangen meine Doktorarbeit zu schreiben, teilweise über Phänomene dieser Art, aber ich hatte noch nie die Chance, eines aus der Nähe zu studieren. So eine Chance bekomme ich so schnell nicht wieder, und meine Freunde werden auch einen Landurlaub ohne mich verbringen können!"

Janeway musste über den Enthusiasmus der jungen Frau lachen, und sie bewahrte nur mit Mühe eine ernste Miene. Obwohl Desideria sich alle Mühe gab, ruhig und gelassen zu wirken, zitterten ihre Fühler vor Erwartung.

„Nun, wenn Ihnen soviel daran liegt, kann ich Ihnen diesen Wunsch wohl kaum abschlagen." meinte der Captain schmunzelnd. „Zumindest habe ich dann jemanden, der sich mit diesem Phänomem auskennt. Melden Sie sich Morgen um 0800 im Shuttlehangar."

Desideria strahlte über das ganze Gesicht. „Danke, Captain!"

„Gern geschehen, Fähnrich. Wegtreten."





Anmerkung: Für alle, die das befürchten: Ich habe mir die größte Mühe gegeben, damit Fähnrich Desideria N'ymes keine Mary-Sue wird!! Ich kann diese "perfekten" Wesen auch nicht ausstehen. Aber ich bin der Meinung, dass es auf der Voyager noch mehr Leute als nur die Führungsoffiziere, die Wildmans, Joe Carey uws. geben muss. Und diese anderen Crewmitglieder sollten nicht nur bei Aussenteams dabei sein, um sofort noch dem Herunterbeamen zu sterben.

Daher statte ich meine Nebencharaktere gerne mit etwas Persönlichkeit aus. ;-)

Desideria ist eine Andorianerin geworden, weil ich diese Rasse seit ST:Classic faszinierend finde, sie aber leider viel zu selten vorkommen. Und die Voyager könnte meiner Meinung nach ein paar mehr nicht-menschliche Crewmitglieder vertragen.