Wahrheiten



Kapitel 8


Einige Stunden später bemerkte Kathryn Janeway, dass Tom wieder unruhig wurde. Es musste schon weit nach "Mitternacht" sein, obwohl diese Zeiteinteilung in ihrer jetzigen Situation kaum eine Rolle spielte. Außerdem konnte keiner von ihnen schlafen.

Sie wusste nicht viel über Klaustrophobie, aber anscheinend hatte es Tom geholfen, wenn er seine Gedanken auf ein anderes Thema konzentrieren konnte. Auch wenn das Thema, so wie ihre bisherigen Gespräche, eher schmerzhaft gewesen war.


„Wieso haben Sie sich eigentlich für die Mission gemeldet?" startete sie einen Ablenkungsversuch.

„Gemeldet?" Tom grinste schwach. „So kann man es auch nennen. Chakotay hat mich "überredet", indem er meinen Landurlaub gestrichen hat."

„Er hat was?!" fragte sie ungläubig. „Mr.Chakotay wird mir eine Menge erklären müssen, wenn wir zurück sind."

Eigentlich wusste sie nicht, ob sie wütend oder ihm dankbar sein sollte. Inzwischen war ihr klar, dass er diese ganze Aussenmission nur vorgeschlagen hatte, damit Tom und sie in Ruhe über die Ereignisse des letzten Monats sprechen konnten. Anscheinend nahm ihr Erster Offizer seine Rolle als inoffizieller Schiffscounselor sehr ernst.

Vielleicht manchmal etwas zu ernst für ihren Geschmack, aber das hätte ihr klar sein müssen, denn Chakotay tat nie etwas halbherzig.


„Was ist, wenn wir es nicht schaffen?" unterbrach Tom ihre Gedanken.

„Wir werden es schaffen!" erklärte sie in ihrem besten Kommando-Tonfall, der keine Wiederrede duldete.

„Das mag ich so an Ihnen, Captain. Sie sind einfach zu stur um aufzugeben. Vermutlich könnten selbst die Klingonen noch was von Ihnen lernen." Er grinste bei dem letzten Satz.

Sie fixierte ihn mit ihrem typischen Janeway-Todesblick. „Ich hoffe für Sie, das war als Kompliment gemeint, Mr. Paris."

„Etwas anderes würde ich nie wagen, Ma'am!"

Kathryn lachte. Das war der Tom Paris, den sie so sehr vermisst hatte. Sie war froh, dass sie ihn wiedergefunden hatte.


„Captain?" ertönte einige Zeit später Toms fragende Stimme.

Sie musste doch eingeschlafen sein, aber sie wusste nicht, wie lange. Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Es kam ihr schon fast so vor, als würde sie seit einer Ewigkeite in dieser Rettungskapsel sitzen, dabei waren es nur etwas über 48 Stunden.

Kathryn versuchte ihre Gedanken wieder zu sammeln. „Was ist denn, Tom?"

„Ich, ähm, ich dachte nur, falls wir's doch nicht schaffen, sollten wir lieber jetzt anfangen, unsere Abschiedsbotschaften aufzunehmen. Solange die Energie noch reicht." Er rechnete mit einem Einwand, doch sein Captain nickte nur. Sie wusste so gut wie er, dass nicht nur die Energie knapp wurde, sondern auch die Luft. „Tun Sie es ruhig, wenn Sie möchten." sagte sie.

Tom wirkte etwas unsicher, was untypisch für ihn war. „Ich habe für so einen Fall schon was aufgenommen." erklärte er. „Mehrere Botschaften sogar, die in meinem Quartier sind. Aber ich würde gerne..."

„Ich verstehe. Vielleicht werde ich das auch tun, obwohl ich ebenfalls solche Botschaften gespeichert habe." sagte sie mit einem leisen Lächeln. „Ich kann Ihnen nicht viel Privatsphäre geben, also tun Sie so, als sei ich nicht hier."


Leichter gesagt, als getan, dachte Tom. Dann setzte er sich vor den kleinen Bildschirm. „Computer, eine Aufzeichnung für B'Elanna Torres anfertigen. Aufzeichnung starten."


Ein kleines Licht signalisierte, dass er beginnen konnte. Tom atmete tief durch: „Lanna, wenn du das hier siehst, haben wir's vermutlich nicht geschafft. Ich habe für so einen Fall bereits eine Botschaft aufgenommen, also weiß ich nicht genau, was ich hiermit noch sagen will. Zunächst mal, sag Chakotay, sein Plan hat geklappt. Der Captain und ich haben geredet. Ziemlich viel sogar, aber wir hatten ja auch nichts besseres zu tun.

Ich muss dich wohl bitten, noch ein paar anderen Leuten was auszurichten. Zuerst Naomi: Sag ihr, es tun mir leid, dass ich ihr nicht mehr beibringen kann, ein Shuttle zu fliegen. Harry bekommt eine eigene Nachricht, aber erinnere ihn, dass er sich daran halten soll. Und mach's ihm nicht so schwer, wenn er versucht dir zu helfen."

Er lächelte. „Ich weiß, ich weiß, du brauchst keine Hilfe. Aber wir wissen, dass das nicht immer stimmt. Ich hab auch eine Nachricht für meine Familie, sorge bitte dafür, dass sie sie kriegen. Naja, und was Chakotay angeht, beobachte ihn in der nächsten Zeit besser genau."


Bis jetzt hatte Kathryn versucht, ihm soviel Privatsphäre zu gewähren, wie es in der engen Rettungskapsel möglich war, doch bei diesen Worten horchte sie auf.


„Du weisst sicher, dass er sich mit großer Wahscheinlichkeit die Schuld an diesem Schlamassel gibt." fuhr Tom fort. „Und unser Tod wird ihn verdammt schwer treffen"

Wieder ein Grinsen. „Okay, er wird vielleicht froh sein, wenn er mich los ist, aber wir wissen, dass er ohne den Captain nicht leben kann. Sieh zu, dass er es schafft, auch wenn du ihm dafür die Nase brechen musst. Immerhin muss er euch nach Hause schaffen, oder der Captain erscheint ihm als Geist in einer seiner Visionen und tritt ihm ordentlich in den Hintern."


Es war eine so typische Tom-Paris-Bemerkung, dass Kathryn fast gelacht hätte.

Dann wurde Tom wieder ernst, als schien er sich daran zu erinnern, dass er keine Zeit mehr für Scherze hatte. Die nächsten Worten waren der Grund, warum er überhaupt noch eine Aufzeichnung hatte machen wollen. Weil er das Gefühl hatte, sie viel zu selten zu sagen: „Ich lieber dich B'Elanna, mehr als alles andere. Ich weiß bis heute nicht, womit ich dich verdient habe, aber du bist das Beste, das mir je passiert ist. Ich liebe dich, vergiss das nie."

Für einen Moment lang sah er nur auf den Bildschirm, dann sagte er mit schwerer Stimme: „Computer, Aufzeichnung beenden."



Nach ein paar Minuten drehte sich Tom mit verdächtig glänzenden Augen um: „Wollen Sie auch noch eine Aufzeichnung machen?"

Sie überlegte, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich denke, ich habe bereits alles gesagt. Eine weitere Aufzeichnung ist nicht nötig."

Doch dann dachte sie an Chakotay, und ihr wurde klar, dass sie ihm unbedingt noch etwas sagen musste. „Warten Sie. Mir ist doch noch etwas eingefallen."

Er nickte und überließ ihr den Platz an dem Bildschirm. „Computer, eine Aufzeichnung für Commander Chakotay anfertigen. Aufzeichnung starten."


Und dann wusste sie nicht mehr, was sie sagen wollte. Mehr als zuvor war sie sich Toms Gegenwart bewusst, doch daran ließ sich nichts ändern.

„Chakotay, Sie wundern sich wahrscheinlich, warum Sie diese Nachricht bekommen. Ich habe bereits eine Aufzeichnung für Sie gemacht, die Sie vermutlich schon gelesen haben."


Wieso sage ich es nicht einfach?! dachte sie. Drei kleine Worte, so schwer kann es doch nicht sein!


„Der Grund für diese Nachricht ist, dass ich etwas ausgelassen habe. Etwas, dass ich seit mehreren Jahren verdränge, aber Sie haben ein Recht darauf, diese Worte von mir zu hören. Auch wenn es jetzt vermutlich zu spät ist."


Tom horchte wieder Willen auf. Sein Interesse war ihm peinlich, aber er konnte nicht anders.

Es war ein offenes Geheimnis an Bord der Voyager, dass Chakotay mehr als nur Freundschaft für den Captain empfand, und die meisten Führungsoffiziere vermuteten, dass der Captain diese Gefühle erwiederte.

War es möglich, dass Kathryn Janeway endlich bereit war, sich ihren Gefühlen zu stellen?


Er bedauerte, dass es erst jetzt der Fall war. Der Captain hatte es verdient, zu ihren Lebzeiten glücklich zu werden. Sie durften jetzt nicht sterben! Es war einfach nicht fair! Sie hatten so viel überlebt, warum sollten sie jetzt einem lächerlichen Nebel zum Opfer fallen?!

Doch leider wusste Tom Paris seit langem, dass das Universum nicht fair war. Ihre Atemluft würde nur noch für weniger als eine Stunde reichen.


Kathryn hatte sich gerade überwunden, die entscheidenden Worte zu sagen, als eine Stimme ertönte:

//Chakotay an den Deltaflyer. Captain, können Sie mich hören?//


Sie aktivierte ihren Kommunikator: //Laut und deutlich, Commander. Es ist schön, ihre Stimme zu hören. Beamen Sie uns direkt in die Krankenstation, Fähnrich N'ymes ist schwer verletzt.//


//Aye, Captain.//


Chakotay verlor keine Zeit.

Innerhalb von Sekunden matrealisierten sie in der Krankenstation, wo der Doktor sofort damit begann, Fähnrich N'ymes zu behandeln.

„Eine simple Aussenmission! Aber nein, nicht mit uns! Wieso kann auf diesem Schiff nicht einmal alles nach Plan ablaufen?!" beschwerte er sich, während er mit Fähnrich Wildmans Hilfe die Operation vorbereitete.


Tom rollte nur mit den Augen. Nach all den Jahren als medizinischer Assistent war er an derartige Bemerkungen gewöhnt.


Der Captain hingegen lächelte. Normalerweise störten sie die sarkastischen Bemerkungen des Doktors ein wenig, doch heute klangen sie wie Musik in ihren Ohren.