Hier war sie also.

Wer hätte an jenem regnerischen Herbsttag vor 23 Jahren geahnt, dass die kleine Gena Ransberg einmal Zauberlehrling werden würde? Ihre Mutter wäre in Ohnmacht gefallen, hätte sie ihre Tochter in diesem Moment sehen können. Ihr Vater , Gott habe ihn selig, vermutlich auch. Gena saß mit untergeschlagenen Beinen auf einem Felsen, am Ufer jenes Sees, an dem Galadriel ihr vor zwei Wochen das Angebot gemacht hatte, sie in die Geheimnisse der Magie einzuweihen.

Gena hatte sich etwas StarWars- mäßiges erwartet, also Meditation, weise Sprüche und Felsbrocken (Raumschiffe gab es hier keine) , die durch die Gegend schwebten. Statt dessen hatte Galadriel darauf bestanden, dass sie Unterricht in geistigen Fächern, außerdem noch im Schwerkampf, Reiten und Bogenschießen erhielt. Die beiden letzteren Disziplinen waren ihr bis dahin gänzlich unbekannt gewesen. Nun hasste sie alle zwei. Ihr Nacken, ihre Arme, ihr Rücken, kurz: Jeder Muskel und Knochen in ihrem Körper schien ihr wehzutun, von ihrem Gesäß ganz abgesehen, und sie war übersäht von blauen Flecken und Hautabschürfungen.

Jeden Abend hatte sie sich mit Galadriel unterhalten, oft stundenlang. Sie hatte der Magierin alles über sich und ihre Vergangenheit erzählen müssen. Danach hatte die Elbe begonnen, ihr zu zeigen, was sie tun musste, um Grennrey, die immer öfter zum Vorschein zu kommen drohte, zu unterdrücken. Hauptsächlich gehörten dazu Unmengen an Selbstbeherrschung und eiserne Disziplin.

Nichts durfte ihre Aufmerksamkeit schwächen, ihre Gedanken mussten stets in geraden Bahnen laufen, wollte sie nicht riskieren, dass Grennrey die Oberhand über sie erlangte.

Eine Gutes hatte das tägliche, lange und harte Training bewirkt: Sie fühlte sich körperlich stark wie nie zuvor. Ihre Haut war geschmeidig und leicht gebräunt geworden, ihre Bewegungen eleganter, ihr Haar glänzte in der schwachen Morgensonne wie poliertes Kupfer. Außer mit Galadriel hatte sie mit wenigen Elben zu tun.

Aragorn war ihr ein guter Freund geworden, da er vor allem ein guter Zuhörer war und stets Antworten auf ihre Fragen wusste. Manchmal übte er mit ihr den Schwertkampf. Grennrey hatte zwar Dutzende Orks und Uruk-Haîs mühelos erschlagen, Gena hingegen war gänzlich unbewandert auf diesem Gebiet. Ach ja, und dann war dann noch Arwen. Ihre ging sie aus dem Weg.

Die Königin von Gondor verunsicherte sie, sobald sie in ihre Nähe kam. Gena hatte einmal aufgeschnappt, dass es noch ein Monat bis zur Geburt ihres Kindes waren, und dass Arwen sich unheimlich darauf freute. Wenn Gena nicht gerade von Lehrern, Trainern oder anderen Elben umgeben war, unternahm sie ausgedehnte Spaziergänge durch die Wälder Lóriens.

Einige Male war ihr schon ernsthaft der Gedanke gekommen, in ihre Welt zurück zu kehren. Und gleich darauf war die Erinnerung an Kare und ihren Verlobten zurückgekehrt und an all den Schmerz, dessen Ursache sie war.

Legolas konnte den Schimmer ihres Haares schon aus weiter Entfernung ausmachen. Reyfil, Genas Lehrer in Geschichte, Sprachen und Kultur würde ziemlich wütend werden, erschien seine Schülerin nicht zum morgendlichen Unterricht.

"Was machst du hier draußen? Reyfil erwartet dich bereits ungeduldig!" Er trat neben den Felsen und sah besorgt zu ihr auf. Ihr Blick hing starr an der aufgehenden Sonne im Osten. Die hügelige Waldlandschaft Lóriens war in orange Licht getaucht, die Oberfläche des Sees schimmerte golden. Schon seit längerem war ihm aufgefallen, wie still und in sich gekehrt Gena geworden war. Bloß hatte er nie Zeit gefunden, sie darauf anzusprechen. Das tat ihm jetzt bitter leid.

"Dann lass ihn weiter warten."

Legolas runzelte die Stirn über die gleichmütige Antwort. Plötzlich beugte sie sich zu ihm hinunter und hielt ihm die Hand hin. "Komm. Ich möchte, dass du dir das ansiehst." Geschickt kletterte er zu ihr hoch und setzte sich neben sie. Schweigend beobachteten sie den Sonnenaufgang. "Wie geht es Arwen und Aragorn?"

Legolas lachte leise. "Sie sind beide ziemlich nervös. Die Hochzeit ist auf Morgen Abend angesetzt. Aragorn kämpft gerade mit drei meiner Leute- gleichzeitig. Er strotzt geradezu vor Energie."

Legolas grinste breit und auch über Genas Lippen stahl sich ein Schmunzeln. Ihre braunen Augen sahen ihn kurz an. Legolas erschrak fast. Er hatte nie bemerkt, wie schön ihre Augen waren. Wieso war ihm das nie aufgefallen? Ach ja. Er hatte sie beinahe eine Woche nicht gesehen, denn er war zurück in den Düsterwald gereist und hatte später mit Aragorn die Sicherheitsvorkehrungen für die morgige Feier regeln müssen. Es kamen nicht allzu viele Leute zur Hochzeitsfeier - obwohl, sämtliche Verwandte Arwens und die engsten Vertrauten von Aragorn bildeten schon eine ziemliche Menge.

"Legolas, darf ich dich was fragen?" Endlich wandte sie ihr Gesicht von der Sonne ab und sah ihm tief in die Augen. Er nickte. "Was immer du willst."

"Wie kann man sich bloß so lieben?"

Legolas zog fragend eine Augenbraue nach oben. "Wie Aragorn und Arwen? Sie kennen einander schon seit..." "Nein, nein, das meine ich nicht", unterbrach ihn Gena ungeduldig, "ich meine- ein Mensch und ein Elb- das kann doch nicht gut gehen. Einer von beiden würde am Ende leiden." "Sie lieben einander. Wenn man einander wirklich liebt, denkt man nicht daran, was einmal sein wird. Was einmal sein könnte." Er war etwas verwirrt über das ungewöhnliche Thema. "Du sprichst wohl aus Erfahrung", seufzte Gena und ließ den Kopf in den Nacken fallen. Genüsslich schloss sie die Augen und fühlte die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. "Wie oft hast du schon geliebt? In all den Jahrhunderten? Oder waren es Jahrtausende? Ich meine-", sie machte eine wirkungsvolle Pause, "-WIRKLICH geliebt?"

Legolas erinnerte sich an die zurückliegenden 3 Jahrtausende zurück. Natürlich hatte es eine Anzahl von Liebschaften gegeben. Auch länger andauernde Beziehungen. Aber wirkliche Liebe?

"Ich glaube, so wie du meinst...noch nie", lautete seine Antwort aber es schwang keine Trauer in seinen Worten mit. Es blieb ihm noch genug Zeit, Liebe zu finden. Er war schließlich unsterblich.

Gena stieß ein entgeistertes Keuchen aus und riss die Augen weit auf. "WAS?" Sie sah aus als zweifelte sie ernsthaft am Verstand des Prinzen. "Was soll denn das für ein Leben sein?! Was nützt dir ein so langes Leben, wenn du in all den Jahren nicht einmal wirklich geliebt hast?" "Es gibt viele verschiedene Arten von Liebe", rechtfertigte sich Legolas etwas gekränkt, "die Liebe zur Natur, zu ihren Geschöpfen, zu Freunden..." "Tsst!!" Gena machte einen abfälligen Laut. "Bei uns treten Leute wie du einem Orden bei. Aber um ehrlich zu sein: Ich glaube dir nicht." Aus zusammengekniffenen Augen musterte sie den Elben von oben bis unten. "Ach? Wieso denn nicht?" Er hatte nicht vor, sich von einer Sterblichen, die gerade mal eine Sekunde in seiner Zeitrechnung auf der Welt war, etwas über Liebe erzählen zu lassen. "Na, sieh dich doch Mal an! Du siehst aus wie ein junger Gott, bist ewig jung, ein Allround- Genie, immer gelassen und hast Humor. Die Frauen liegen dir doch scharenweise zu Füßen, das brauchst du erst gar nicht zu leugnen! Ich sehe doch, wie dir alle Hofdamen nachgaffen und wie sie hinter deinem Rücken kichern. Jeder normale Mensch würde nicht lange zögern und sich jede Woche eine andere mit ins Bett nehmen!" Legolas Kinnlade klappte nach unten, nicht bloß wegen der unerwarteten Welle von Komplimenten, die sie ihm wie Beschimpfungen an den Kopf warf, sondern auch , weil sie ihm zutraute, ein Frauenheld zu sein. "Du hast eines vergessen", machte er spitz aufmerksam, "ich bin kein Mensch, sondern ein Elb." "Du bist vor allen Dingen ein Mann", konterte Gena grinsend und etwas gereizt über die unerschütterliche Ruhe des Elben, "und im Endeffekt sind Männer doch alle gleich, egal welcher Rasse sie angehören, sie denken doch bloß immer nur an....AAAHHH!!!" Weiter kam sie nicht mehr, denn Legolas war blitzschnell aufgestanden, hatte sie an der Taille gefasst und in den See geworfen. Genas entsetzter Schrei ging in ein lautes Gurgeln über, als sie mit einem lauten Platschen im kalten Wasser versank. Legolas kletterte vom Stein und blickte grinsend auf die Wasseroberfläche, die sich langsam zu glätten begann. Sein Lächeln gefror, als keine wütende Gena wieder aus dem kühlen Nass auftauchte. Ohne Zögern sprang er kopfüber hinterher.

Gena lachte Tränen, als Legolas klatschnasser Kopf aus dem Wasser vor ihr auftauchte. Dem Ausdruck in seinem Gesicht nach zu urteilen, hatte er sich ernsthaft Sorgen um sie gemacht! Na ja, er konnte ja nicht wissen, dass sie eine ausgezeichnete Taucherin war. "Das war nicht witzig!", schimpfte der Elb und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht, "du hast mich zu Tode erschreckt!" "Ich dachte, du wärst unsterblich, Elb!", feixte Gena und bekam dafür eine Ladung Wasser als Antwort ins Gesicht. Kichernd hopste sie zurück, verlor auf dem rutschigen Untergrund den Halt und wäre erneut ins Wasser geplatscht, hätten sie nicht zwei starke Arme im letzten Moment festgehalten. Schreiend und strampelnd wehrte sie sich, als der Elb sie mühelos über die Schulter warf und ans trockene Ufer zurücktrug. "Lass mich los! Du sollst mich loslassen!" Protestierend hämmerte sie auf seinen Rücken ein. Legolas musste über ihren verzweifelten Wiederstand lachen, nahm sie aber schließlich wieder an der Taille und stellte sie absichtlich etwas weniger sanft auf die Füße. "Du findest das wohl sehr lustig?" Gena beruhigte sich endlich und wischte sich die Lachtränen und das Wasser aus dem Gesicht. "Tut... tut mir Leid. Verzeih bitte." Eine Sekunde lang sah sie ihm ernst ins Gesicht, dann wurde sie von einem neuen Lachanfall gebeutelt. "Du hättest deinen Gesichtsausdruck sehen müssen, als du wieder aufgetaucht bist!", prustete sie und imitierte Legolas besorgten Ausdruck, bevor dieser endlich die Geduld verlor und sie ohne Vorwarnung von den Füßen riss und gnadenlos kitzelte. Gena krümmte sich vor Lachen, über ihre Wangen strömten Tränen. "Hör auf!", keuchte sie, "ich bekomm keine Luft mehr!! Hilfe!!" Der Elb erbarmte sich ihrer und ließ von ihr ab, doch bevor er wieder aufstehen konnte, hatte Gena ihn schmerzhaft an den Haaren zurückgerissen, sich auf ihn gewälzt und hielt ihn nun mit ihrem eigenen Körpergewicht am Boden fest. Als Legolas aufblickte, sah er in ein Paar dunkelbrauner, unergründlicher Augen. Ihre Gesichter waren sich nahe wie nie. Gena hörte auf zu lachen, der Ausdruck in ihren Augen wandelte sich. Er fühlte ihren Körper auf dem seinem liegen, ihre Hände, die seine Arme mit erstaunlicher Kraft am Boden festnagelten, und aus irgendeinem Grund gefiel es ihm, ihr so ausgeliefert zu sein. Voller Spannung erwartete er, was sie als nächstes tun würde, wollte den Dingen ihren Lauf lassen. Es tat gut, so unbeschwert mit jemanden beisammen sein zu können. Gena ließ eine seiner Hände los, verlagerte ihr Gewicht zur Seite und ließ ihre Finger über sein Gesicht gleiten. Sie fuhr seine perfekten Augenbrauen nach, seine Ohren, berührte sanft seine Wange und formte sacht die Konturen seiner Lippen nach. Alles an ihm war perfekt, die Form seines Gesichtes, sein Haar, jede winzige Kleinigkeit schön und vollendet ins Detail, seine Haut wies keine einzige Unebenheit auf, nicht einen dunklen Schatten.

---Und du Närrin denkst, er würde sich mit dir abgeben---

Sie erwachte wie aus einem Traum. Legolas sah, wie ihre Augen abstumpften, dunkel wurden, wie er sie wieder verlor. Eine Veränderung ging mit ihr vor.

Er wollte etwas sagen, aber sie hatte ihn bereits losgelassen und starrte noch einmal voller Entsetzen, das er nicht verstand, auf ihn hinab, bevor sie loslief.