Der Winter war spürbar nähegerückt.
Das goldene Blätterdach Lóriens hatte in den letzten Wochen zusehends an
seiner Dichte verloren, die Farbe der Blätter war dunkler, teilweise braun
geworden und die Bäume sahen mager und kränklich aus. Nicht die Kronen der
Bäume, sondern der Boden unter ihnen hatte sich nun in ein goldenes Meer
verwandelt, und bald würde der Schnee auch ihn bedecken und dem Wald ein
völlig neues Aussehen verleihen. Heute Morgen war der erste Frost gekommen.
Gena fragte sich wie das winterliche Lórien wohl aussehen würde. Und ob
sie noch Gelegenheit dazu finden würde, es selbst herauszufinden.
Hinter einem Planenwagen ließ sie sich in die Hocke sinken und spähte zu den Stallungen hinüber. Bisher waren darin bloß die Reittiere der Palastbewohner untergebracht gewesen, nun, da zahlreiche Hochzeitsgäste mit ebenfalls zahlreichen Pferden sich in Lórien befanden, barsten die hölzernen Gebäude aus allen Nähten. Auf der einstmals freien Fläche zwischen dem Planenwagen und den Stallungen standen nun an die zwei Dutzend Zelte. Sie dienten als Unterkünfte für die Gefolgschaft der hohen Gäste . Auch die Zwerge, denen ein Quartier soweit über dem Boden nicht behagte, hatten Zelte als vorläufige Wohnstätten gewählt.
Noch einmal versicherte sie sich, dass zu dieser frühen Stunde noch keiner im Lager herumgeisterte, prüfte den Sitz ihres Rucksackes ein letztes Mal und trat hinter dem Baumstamm hervor. Ihr Ziel war der Stall. Nur einem guten Beobachter würde auffallen, dass eines der Pferde fehlte. Sie zog die Kapuze ihres Mantels enger um ihren Kopf und achtete genauestens auf jedes verdächtige Geräusch. Obwohl ihr Herz bis an den Hals schlug, musste sie plötzlich schmunzeln. In dem Fall dass sie wirklich jemand sah, würde dieser jemand sofort Verdacht schöpfen. Eine vermummte, sich nach allen Seiten umsehende Gestalt die um drei Uhr morgens durch das verschlafene Zeltlager schlich war beileiben wirklich sehr verdächtig.
Unbehelligt erreichte sie dennoch die Stallungen und wählte sich das erstbeste Tier, welches sie optisch ansprach, als Fluchtgefährten. Nicht eine Sekunde zweifelte sie daran, dass sie reiten konnte. Sie musste es einfach können. Ihre heimliche Flucht durfte einfach nicht an einer Nichtigkeit wie jener, dass sie nicht wusste, wie man in einen Sattel stieg, scheitern. Eigentlich hatte sie ja nie etwas mit Pferden zu tun gehabt, außer in Form einer Salami. Sie war eben ein typisches Stadtkind. Sie nahm den nächstbesten Sattel von der Wand, strich der braunen Mähre beruhigend über die Flanke und begann ihn festzuschnallen.
Ihre Hände fanden wie von selbst die richtigen Schnallen und Schlaufen. Die Stute schnaubte leise und scharrte unruhig mit dem Vorderhufen im trockenen Stroh. "Schhhhtt", flüsterte Gena und prüfte den festen Sitz des Sattels ein letztes Mal, bevor sie das Tier losband, "bleib ruhig oder ich stecke in ziemlichen Schwierigkeiten." Wenn ein Pferd verwirrt dreinschauen konnte, dann tat es das Tier nun. Außerdem machte es keine Anstalten, sich vom Platz zu bewegen. Gena zwang sich selbst zu Ruhe. "Hilf mir hier rauszukommen und ich werde alles für dich tun", bettelte sie, "wirklich alles!". Die Stute schien einen Moment ihren Vorschlag abzuwägen, und wirklich, plötzlich setzte sie sich gehorsam in Bewegung. Gena strich erleichtert über die Nüstern des Tieres und führte es, so lautlos wie nur möglich, vom Lager weg in den Wald hinaus.
*
"Was soll das heißen: Sie ist nicht mehr da?" "Ich kam in ihr Zimmer und es war leer", piepste die Dienerin und starrte zu Boden, als gäbe es dort etwas besonders Interessantes zu sehen.
"Hast du nach ihr suchen lassen? Möglicherweise ist sie spazieren, das tut sie doch öfter!"
Die Dienerin hob nun endlich den Kopf und blinzelte den Prinzen scheu an.
"Zu so früher Stunde? Legolas, ich glaube wir wissen beide was Sache ist", mischte sich Aragorn ein. Beide hatten sie länger als gewöhnlich geschlafen, denn am Vortag hatte eine lange, anstrengende Versammlung bis in die frühen Morgenstunden stattgefunden. Gena schien gewusst zu haben, dass der Großteil der Elben und Menschen daran teilnehmen würde und hatte sich dieses Wissen zunutze gemacht. "Es fehlen Kleider und Waffen", berichtete die blonde Elbe vorsichtig. Legolas starrte die Frau an, als hätte sie soeben etwas unglaublich Dummes gesagt. "Lass den Palast durchsuchen und die Wege, die sie immer geht. Sicher..."- "Legolas", unterbrach Aragorn mit sanfter Stimme, "sie ist davongelaufen. Sie will Lórien verlassen. Vielleicht hat sie es sogar bereits."
Der Prinz entgegnete nichts sondern sah ihn auf eine undeutbare Weise an. "Schickt nach Haldir. Er soll einen Suchtrupp zusammenstellen und sich dann bei mir melden", befahl Aragorn, als Legolas keine Anstalten machte, etwas zu unternehmen. Die junge Elbe nickte gehorsam und eilte nach draußen.
"Wir werden sie finden. Sie kennt nur einen Teil der Wälder und hat sie noch nie verlassen", versicherte der junge König und musterte seinen elbischen Freund eindringlich. Diesen beruhigten seine Worte nicht, im Gegenteil, sie bereiteten ihm noch größere Sorgen. "Du machst dir etwas aus ihr, nicht wahr?" Aragorn hatte seine Stimme gesenkt und stellte sich ebenfalls vor das Fenster, um nach draußen zu sehen. Der Wald hatte sich sonderbar verändert über Nacht...als wäre etwas von seiner sonstigen Wärme und Schönheit verblasst. "Wo könnte sie hinwollen?", sprach Legolas wie zu sich selbst. Aragorn runzelte die Stirn und zuckte mit den Schultern. Dann aber sagte er: "Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, wer es wissen könnte."
Amdir und Alagos hatten ebenfalls der Versammlung beigewohnt und befanden sich noch immer im Thronsaal, wo sie sich mit einigen fremdländischen Elben unterhielten. Als Legolas, gefolgt von Aragorn und Haldir in den Saal gestürmt kamen, verließen die Fremden den Saal.
Die beiden Ostelben verabschiedeten sich höflich von ihnen, bevor sie sich den drei Männern zuwandten.
"Prinz! König Aragorn! Haldir! Wie geht es euch? Ich hoffe, ihr habt noch etwas Schlaf abbekommen, nach der letzten Nacht", begrüßte sie Alagos gesittet und verbeugte sich vor allen drein. Amdir nickte ihnen stumm zu, doch seine Stirn lag bereits ahnend in Falten. "Ist etwas geschehen?", erkundigte er sich. Aragorn nickte ernst. "Gena ist verschwunden". "Das Menschenmädchen?" Amdirs Gesichtsausdruck wurde abschätzig, "vermutlich hat sie sich im Wald verlaufen. Menschen haben bekanntlich einen schlechten Orientierungssinn". "Nicht Gena. Sie findet sich bestens in den Wäldern zurecht", brachte sich Haldir ein. "Er hat recht. Sie ist weggelaufen", bestätigte Aragorn, "eine andere Erklärung gibt es nicht. Wir lassen das Gelände gerade absuchen, aber bis jetzt ist noch keine Spur von ihr." "Warum sollte sie so etwas tun?", murmelte Alagos kopfschüttelnd, "es hätte nicht mehr lange gedauert, und wir hätten es geschafft, Grennrey endgültig zu vertreiben. Es sei denn..." - "Es sei denn Grennrey hat wieder Besitz von ihr ergriffen", vollendete Amdir den Satz und fügte geringschätzig hinzu: "Ich hätte es ahnen müssen. Sie ist ein labiles, junges Ding, keine Kämpferin. Man hat ihr ein Schwert in die Hand gedrückt und ihr das Bogenschießen beigebracht, aber das macht sie noch lange nicht zu einer Kriegerin."
"Ihr irrt euch".
Legolas Worte waren ruhig, aber Aggressivität und Ungeduld klangen hörbar mit. Alle Aufmerksamkeit war plötzlich auf ihn gerichtet. Aragorn sah beunruhigt zu ihm hin. Nach außen hin wirkte er gefasst, wie immer, aber unter der Oberfläche brodelte es. Er kannte ihn lange genug, um es zu spüren.
"Ihr irrt euch gewaltig, Amdir", wiederholte der Prinz und trat einen Schritt auf den Magier zu, "In jener Nacht, als sie erwachte....erinnert Ihr euch?" Amdir runzelte die Stirn weiter. "Natürlich. Aber was...?"- "Ihr wart der letzte, der mit ihr gesprochen hat, nicht wahr?" Amdir nickte mit einiger Verzögerung. "Seit dieser Nacht ist eine Veränderung mit ihr vorgegangen. Was habt Ihr zu ihr gesagt?" Sein Blick wurde bohrend.
Amdir sah ihn ausdruckslos an, dann lachte er künstlich auf.
"Was soll das werden? Ein Verhör? Aber wenn Ihr es unbedingt wissen wollt: Sie hat mich gefragt, ob sie denn ein schlechter Mensch wäre." Legolas zog fragend eine Braue nach oben. "Und? Wie lautete eure Antwort?" Amdir zuckte mit den Schultern. "Sie ist ein Mensch. Menschen sind unvollkommene Wesen. Sie kennen ihre Herzen nicht und sind so leicht zu verführen. Was hättet Ihr an meiner Stelle geantwortet?"
*
-Dann hast du es endlich begriffen? Du siehst ein, dass wir ein und dieselbe Person sind?-
Ich sehe ein, dass es nicht möglich ist, dich gegen deinen Willen zu vertreiben. Weder ich noch irgendwelche Magier, seien sie noch so mächtig, sind dazu in der Lage.
-Immerhin etwas. Und was willst du nun tun? Wohin gehst du?
Weg aus Lórien. Ich bin eine zu große Gefahr für diesen Wald. DU bist eine zu große Gefahr.
-Ich könnte dich aufhalten, darüber bist du dir hoffentlich im Klaren....-
Nein, das könntest du nicht. Denn ich weiß nun, wer du bist. Ich bin dir dankbar für das, was du vor langer Zeit für mich getan hast. Für meine Eltern. Du hast mir das Leben gerettet und ihnen ihre Tochter zurückgegeben.
-Oh, ich tat das alles nicht umsonst. Du kennst den Preis.-
Ich kenne ihn. Ich werde dir die Möglichkeit geben, dich von ihm zu verabschieden. Etwas, zu dem du in deinem früheren Leben nicht gekommen bist.
-Es brach mein Herz... und seines auch-
Danach wird eine von uns gehen müssen. Denn zwei Seelen in einem Körper sind eine zuviel.
-Wir werden sehen...-
Ein leises Wiehern riss Gena aus dem tranceähnlichem Zustand, in dem sie sich befand. Mit einem Schlag wurde ihr wieder bewusst, wo sie sich befand, nämlich auf dem Rücken eines Pferdes irgendwo im nördlichen Teil Lóriens.
Schnell zügelte sie die Stute und sah sich aufmerksam nach allen Seiten um. Nachdem sie eine kurze Strecke galoppiert war, war die Stute in einen raschen Trab gefallen, denn Gena hatte sie weg von den berittenen Wegen in den Wald gelenkt. Das Pferd fand seither alleine seinen Weg zwischen den Bäumen und Sträuchern hindurch und schien auch genau zu wissen, wo es hinmusste. Im Gegensatz zu Gena.
Gena schnalzte mit der Zunge. Die Mähre trat bloß unruhig auf der Stelle herum und warf den Kopf leise wiehernd in den Nacken. "Dinen [Still] Pferd!", flüsterte Gena an das Ohr der Tieres. Sie hatte ihm vorerst den einfallslosen Namen "Pferd" gegeben. "Ich weiß, dass uns jemand folgt. Schon seit einiger Zeit. Aber er ist noch weit weg." Gena atmete auf, als Pferd sich gehorsam in Bewegung setzte. Jemand verfolgte sie, das spürte sie schon seit Stunden.
Der Wald begann sich langsam zu lichten. Die freien Räume zwischen den Baumstämmen wurden größer und das Pferd konnte nun fast ungehindert geradeaus traben. Gena sah zum Himmel auf. Heute hatte er eine fade weiß- graue Farbe, und auch die Sonne war bloß eine kalte, weiße Scheibe. Zwischen den Bäumen hingen stellenweise Nebelfetzen, die sich heute wohl nicht mehr völlig auflösen würden, was Gena aber einen Vorteil bot: So konnten die Elben sie nicht bereits aus Kilometern Entfernung zwischen den Baumstämmen ausmachen. Schlecht war bloß, dass auch ihr Verfolger sich bestens ihren Blicken entziehen konnte. Soweit sie es sagen konnte, war es bald Mittag, und ihr Magen knurrte bereits ungeduldig. Sie beschloss eine kurze Rast einzulegen.
Während sie ihren Rucksack abnahm und darin mit einer Hand zu kramen begann, zog sie mit der anderen langsam ihr Schwert Magol.
Pferd schnaubte beunruhigt und stieß ihr mit dem Kopf leicht in die Seite. "Ich weiß, ich weiß....lass ihn näherkommen", hauchte Gena. Inzwischen war sie sich vollkommen sicher, dass die Stute jedes ihrer Worte genauestens verstand. Nun tat das Tier etwas beinahe Unheimliches: Es sah sie einen Moment lang an, dann drehte es sich plötzlich so, dass es Gena seine Flanke zuwandte. Als wolle die Stute sie schützen, dachte Gena verblüfft.
-Der Verfolger kam schnell näher. Es war kein Elb, aber auch kein Mensch. Zu kleine Abstände zwischen den Schritten.-
Ihre Sinne arbeiteten plötzlich mit unbeschreiblicher Schärfe. Eine unglaubliche Menge an Sinneseindrücken flutete unvermittelt auf sie ein. Der nasse, faulige Geruch der am Boden liegenden Blätter, das kalte Gefühl des sanften Windes, wie er gegen ihre Haut blies, die Feuchtigkeit, die in der Luft schwebte. Eine gewaltige Palette von Geräuschen. Sie konnte im wahrsten Sinne des Wortes das Gras wachsen hören. Selbst das Rascheln, welches kleine Kriechtiere am Boden erzeugten, drang für den Bruchteil einer Sekunde mit der Lautstärke eines Hammerschlages in ihr Bewusstsein und ließ sie leise aufstöhnen. Ihre eigene Stimme klang wie das Brüllen des Ozeans in ihren Ohren und schmerzte unerträglich. Dann aber floss ihre Konzentration zusammen, filterte unwichtige Nebengeräusche und Eindrücke heraus und bündelte sich.
-Es war klein und bewegte sich ungeschickt, aber schnell vorwärts. Es trug etwas bei sich...ein Metall. Ein Schwert? Nein.... -
Der Wind brach sich an dem Objekt, das der Fremde trug. Doch es hörte sich nicht wie die lange, schlanke Klinge eines Schwertes an. Es war breiter. Blitzschnell jagten alle andere Möglichkeiten durch ihren Kopf.
-Ein Säbel? Nein. Breiter. Und kürzer. Eine Axt. Er näherte sich von hinten.-
Genas Finger schlossen sich fester um Magols Griff.
-Noch sieben, sechs Schritte. Es begann noch schneller zu rennen. Vier Schritte. Einer.-
Sie trat fast gemächlich einen Schritt beiseite. Ein kleiner, kräftiger Schemen stürzte aus dem Wald heraus auf die Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte. Genas Handkante traf zielsicher eine bestimmte Stelle im Nacken des Zwerges und riss ihn von den Füßen. Magol zuckte vor und presste sich gegen seine Kehle, wobei ein Teil des roten Bartes abgetrennt wurde. Mit dem Fuß stieß sie die fallengelassene Axt beiseite.
"Euren Namen Zwerg", forderte Gena mit kalter Stimme und drückte mit dem Fuß den Oberkörper des Fremden fest gegen den Boden.
Dieser blinzelte, als hätte er noch gar nicht richtig begriffen, was geschehen war. Erst nach Sekunden wanderte sein Blick die polierte Klinge Magols entlang zu Genas Gesicht hinauf. "Ich kann nicht gut reden mit diesem Spielzeug am Hals", knurrte er und wollte das Schwert beiseite schieben. Gena trat unsanft gegen seine Hand und verstärkte den Druck auf seine Kehle um eine Winzigkeit.
"Ihr seid Gimli Glóinssohn, nicht wahr? Warum seid Ihr mir gefolgt?"
Der Zwerg runzelte ärgerlich die Stirn. "In diesem Aufzug und zu dieser frühen Stunde...das roch ich doch zehn Meter gegen den Wind, dass da etwas faul war." "Weiß noch jemand hiervon?" Gena kniff prüfend die Augen zusammen. Gimli überlegte kurz, dann entschied er sich für die Wahrheit und verneinte. Gena wusste mit unerschütterlicher Sicherheit, dass er die Wahrheit sprach.
Erleichtert steckte sie die Waffe weg und half ihm wieder auf die Beine. "Nun, da wir schon mal hier sind könntet Ihr mir auch gleich verraten, was Ihr hier draußen zu suchen habt?" "Hat man euch schon aufgeklärt?" Gimlis Augenbraue hob sich fragend. "Über was?"
"Über meine....Herkunft". Es schien ihr die geschickteste Weise, es auszudrücken. Der Zwerg schüttelte den Kopf. "Aber..."- "Dann wird euch meine Antwort bloß unnötig verwirren", unterbrach ihn Gena ernst. "Sagen wir, ich suche einen alten Bekannten von mir. Oder ich warte darauf, dass er mich findet, eines von beiden." "Und wer ist dieser "alte Bekannte", wenn ich fragen darf?" Gena winkte ab. "Auch das würde euch bloß verwirren."
"Ich nehme an, Lady Galadriel und die anderen Elben wissen es", vermutete Gimli. Gena blinzelte verdattert. "Woher...?" "Und da sagt jemand, wir Zwerge wären Geheimniskrämer", brummte der Zwerg kopfschüttelnd und fuhr nach einem langen, angesäuerten Blick auf seinen halben Bart fort: "Und ich vermute, sie wissen nicht, dass Ihr hier draußen seid, ansonsten hättet Ihr euch nicht soviel Mühe gemacht, unbemerkt davonzuschleichen."
Gena nickte und grinste schief. "Wie es aussieht waren meine Bemühungen umsonst." "Oh, es ist bloß einem Zufall zu verdanken, dass ich Euch entdeckt habe", erzählte Gimli, "ich durfte als einziger Vertreter meines Volkes an einer Versammlung teilnehmen, die im Palast stattfand. Ich wurde dann doch etwas müde, und da ohnehin alle elbisch sprachen, kehrte ich etwas früher ins Lager zurück , gerade rechtzeitig um euch zu sehen, wie Ihr gerade diesen elbischen Gaul losmachtet."
"Und was nun?" Gena sah sich bedeutend um. "Ich kann euch nicht wieder gehen lassen und riskieren, dass Ihr Alarm schlagt." Gimli blinzelte sie stirnrunzelnd an, dann begann er schallend zu lachen. "Was ist?", verlangte Gena verärgert zu wissen. "Ihr unterschätzt die Elben offensichtlich, junge Magierin", erklärte Gimli grinsend, "denkt Ihr denn ernsthaft, euer Verschwinden sei unbemerkt geblieben? Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es hier nur so wimmelt von Spitzohren!"
Gena erbleichte. Sie hätte sich gegen die Stirn schlagen können. Er hatte Recht. Wenn die Elben sie wieder einfingen, war alles umsonst gewesen! Eine solche Chance würde sich ihr kein weiteres Mal bieten!
"Ich sollte mich dann besser schnellstens auf den Weg machen", meinte Gena und pfiff ihr Pferd herbei.
"Ihr meint wir sollten uns auf den Weg machen", verbesserte sie Gimli grinsend und hob seine Axt auf, "ich habe nicht vor, eine so zarte Dame alleine durch diesen großen Wald reiten zu lassen."
*
"Und ausgerechnet mein Pferd musste sie nehmen", knurrte Legolas und duckte sich unter einem Ast hinweg. Aragorn, der nur wenige Schritte neben ihm und Haldir herritt musste grinsen. Auch Haldirs Mundwinkel zuckten verdächtig.
"Seltsam, dass Calad sie überhaupt trägt", bemerkte Haldir, "ich dachte, du hättest einmal gesagt, nur du könntest auf ihr reiten". Legolas murmelte irgendetwas Unfeines im Elbischen, das Aragorn vorsorglich unübersetzt ließ. Er hob die Hand und gebot damit dem achtköpfigen Trupp zu halten. "Die Spur verläuft von hier an abseits des Weges", erklärte er kurz angebunden, "wir teilen uns auf. Vier reiten ostwärts weiter, der Rest reitet mit mir nach Norden. Reitet dann den Waldrand entlang nach Norden, so können wir sie gar nicht übersehen. Legolas, Haldir, Amdir, ich will euch bei mir haben. Alagos, Ihr führt den zweiten Trupp an. No tiriel! [Seid wachsam]"
"Musstest du die Gruppen SO einteilen?", knurrte Legolas und lenkte seinen schwarzen Hengst näher an das Pferd des Königs, "ich habe das ungute Gefühl, dieser Magier wird uns bloß Schwierigkeiten bereiten. Und du weißt, mein Gefühl trügt mich selten." Aragorn nickte ernst. "Ich weiß. Aber in diesem Fall könnten sich selbst deine Gefühle irren. Vielleicht gerade die deinen." Legolas schluckte die scharfe Antwort, die ihm auf der Zunge lag, vorsorglich hinunter. Vielleicht hatte Aragorn recht. Er hätte sich selbst belogen, hätte er seine Gefühle für die junge Menschenfrau verleugnet. Trotzdem mochte er diesen Ostelben nicht. "Es sieht so aus als wären wir nicht die einzigen, die dem Mädchen folgen", meinte Amdir und deutete auf den Boden, "nur ein Zwerg hinterlässt solche Spuren." Aragorn nickte und warf einen vielsagenden Blick zu Legolas hin. Dieser erwiderte seinen Blick. Sie beide hatten schon so eine Ahnung, wer dieser Zwerg war. Schweigend ritten sie weiter. "Hier! Seht euch die Spuren an!", rief Haldir sie herbei. Er war abgesessen und hatte sich hingekniet, um den Boden genauer zu besehen.
Legolas warf einen kurzen Blick auf den aufgewühlten Erdboden und nickte. "Ein Kampf. Aber unblutig. Dort..." Er wies auf für Menschenauge unsichtbare Hufabdrucke, die weiter in den Wald führten, "diese Abdrücke sind tiefer. Sie sind gemeinsam weitergeritten." "Dann hat sie ihn wohl mit verlockenden Angeboten für sich gewonnen", mutmaßte Amdir und ritt voran. Legolas warf ihm einen Blick voll unterdrückter Wut hinterher. Er kannte Gimli. Ob mit Magie oder ohne, es bedurfte mehr als ein paar "verlockender Angebote" um diesen Zwerg umzustimmen. "Lass dich nicht von ihm reizen. Er ist ein arroganter Idiot, soweit ich das beurteilen kann", sprach Haldir und lächelte aufmunternd, "selbst bei unseren Leuten soll so etwas vorkommen." Legolas erwiderte sein Lächeln bloß halbherzig. Das ungute Gefühl dem Ostelben gegenüber blieb weiterhin.
*
"Sagt, wann habe ich mich verraten?"
Gena grinste und kaute nachdenklich an einem Stück Lembas . "Ich glaube das war etwa zu jenem Zeitpunkt, als ihr hinter dem Stall hervorgekommen und mir gefolgt seid". Pferd wieherte leise, als müsse sie lachen. Gimli brummte irgendetwas in seinen Bart hinein, von dem das Tier sicher nicht begeistert gewesen wäre. "Ich mag dieses Pferd nicht", beschwerte er sich, "es ähnelt seinem Besitzer auf geradezu unheimliche Weise."
"Ihr kennt ihren Besitzer?", fragte Gena überrascht.
"Ihr kennt ihn ebenfalls", grinste Gimli, "und wenn man das glaubt, was man sich so erzählt, sogar ziemlich gut. Sie gehört Legolas." Gena verschluckte sich an einem Bissen des elbischen Brotes und verbrachte die nächsten Sekunden damit, einen Hustenanfall zu bekämpfen. "Was erzählt man sich denn so?", fragte sie nach einer Weile des Schweigens wie nebenbei. "Och, dieses und jenes", meinte der Zwerg ausweichend. Hätte Gena sich umgedreht, hätte sie das breite Grinsen in seinem Gesicht gesehen. "Man sagt, ihr verständet euch sehr gut und hättet eine Menge Spaß zusammen." Gena packte das Reisebrot vorsorglich weg.
"Spaß? Mehr nicht?"
"Ist denn da noch mehr?" Gena verdrehte die Augen. "Ihr seid ja noch schlimmer als die Elben", beschwerte sie sich. "Nur das nicht!", lachte Gimli schallend und schließlich stimmte auch Gena in sein Lachen mitein. "Vorhin im Wald- wie habt Ihr das gemacht? Ich meine, wie konntet Ihr mich so schnell niederschlagen?"
Gena wurde wieder ernst. Jetzt, im Nachhinein stellte sie sich dieselbe Frage. Vorhin war ihr ihre Reaktion völlig natürlich erschienen. Es war nicht wie das letzte Mal gewesen, als ihre magischen Fähigkeiten zum Vorschein gekommen waren. Dieses Mal erinnerte sie sich ganz genau an das, was geschehen war, und wie es geschehen war. "Ich bin eben eine Magierin, das wisst Ihr doch", antwortete sie unsicher lächelnd und deutete nach vorne. "Ist das dort bereits das Ende des Waldes?" Gimli lehnte sich im Sattel zur Seite, spähte an ihr vorbei und nickte. "Dort vorne fließt ein Fluss, die Nimrodel."
-Nimrodel. Sie hatte diesen Namen schon öfter zuvor gehört, doch dieses Mal war es anders.-
"Ich glaube, es ist soweit", murmelte Gena und brachte das Pferd unter dem letzten der Mallornbäume zum Stehen. Vor ihnen erstreckte sich eine karge, braungefleckte Ebene, die teils mit niedrigem Gras bewachsen, teils von Felsbrocken und Geröll bedeckt war. Dahinter erblickte Gena den Strom, die Nimrodel, die an dieser Stelle eine starke Strömung hatte. "Soweit für was? Wollt Ihr...."- Gimli kam nicht mehr dazu, den Satz auszuformulieren, denn Gena hatte ihm erneut einen harten Schlag in den Nacken verpasst, dieses Mal etwas kräftiger, sodass er ohnmächtig zu Boden sank. "Entschuldigt, Gimli. Aber diese Sache geht nur mich etwas an", rechtfertigte sie sich, während sie ihn behutsam gegen den Stamm des Baumes lehnte und ihm seine Axt abnahm. Dann wandte sie sich von ihm ab und starrte zum Strom hinunter.
-Nimrodel....sie hatte sich früher oft mit ihm hier getroffen. Es war sicherer gewesen. Bloß einmal hatte sie ihn gebeten, den Wald zu betreten. Ein einziges Mal....-
Eine dunkle Gestalt trat hinter den Uferfelsen hervor und sah regungslos zu ihr hin.
-Er war es. Endlich würde sie sich von ihm verabschieden können.....-
N a c h w o r t :
Armer Gimli. gg So, jetzt muss ich noch drüber nachdenken, WER der dunkle Wächter genau ist.
Hinter einem Planenwagen ließ sie sich in die Hocke sinken und spähte zu den Stallungen hinüber. Bisher waren darin bloß die Reittiere der Palastbewohner untergebracht gewesen, nun, da zahlreiche Hochzeitsgäste mit ebenfalls zahlreichen Pferden sich in Lórien befanden, barsten die hölzernen Gebäude aus allen Nähten. Auf der einstmals freien Fläche zwischen dem Planenwagen und den Stallungen standen nun an die zwei Dutzend Zelte. Sie dienten als Unterkünfte für die Gefolgschaft der hohen Gäste . Auch die Zwerge, denen ein Quartier soweit über dem Boden nicht behagte, hatten Zelte als vorläufige Wohnstätten gewählt.
Noch einmal versicherte sie sich, dass zu dieser frühen Stunde noch keiner im Lager herumgeisterte, prüfte den Sitz ihres Rucksackes ein letztes Mal und trat hinter dem Baumstamm hervor. Ihr Ziel war der Stall. Nur einem guten Beobachter würde auffallen, dass eines der Pferde fehlte. Sie zog die Kapuze ihres Mantels enger um ihren Kopf und achtete genauestens auf jedes verdächtige Geräusch. Obwohl ihr Herz bis an den Hals schlug, musste sie plötzlich schmunzeln. In dem Fall dass sie wirklich jemand sah, würde dieser jemand sofort Verdacht schöpfen. Eine vermummte, sich nach allen Seiten umsehende Gestalt die um drei Uhr morgens durch das verschlafene Zeltlager schlich war beileiben wirklich sehr verdächtig.
Unbehelligt erreichte sie dennoch die Stallungen und wählte sich das erstbeste Tier, welches sie optisch ansprach, als Fluchtgefährten. Nicht eine Sekunde zweifelte sie daran, dass sie reiten konnte. Sie musste es einfach können. Ihre heimliche Flucht durfte einfach nicht an einer Nichtigkeit wie jener, dass sie nicht wusste, wie man in einen Sattel stieg, scheitern. Eigentlich hatte sie ja nie etwas mit Pferden zu tun gehabt, außer in Form einer Salami. Sie war eben ein typisches Stadtkind. Sie nahm den nächstbesten Sattel von der Wand, strich der braunen Mähre beruhigend über die Flanke und begann ihn festzuschnallen.
Ihre Hände fanden wie von selbst die richtigen Schnallen und Schlaufen. Die Stute schnaubte leise und scharrte unruhig mit dem Vorderhufen im trockenen Stroh. "Schhhhtt", flüsterte Gena und prüfte den festen Sitz des Sattels ein letztes Mal, bevor sie das Tier losband, "bleib ruhig oder ich stecke in ziemlichen Schwierigkeiten." Wenn ein Pferd verwirrt dreinschauen konnte, dann tat es das Tier nun. Außerdem machte es keine Anstalten, sich vom Platz zu bewegen. Gena zwang sich selbst zu Ruhe. "Hilf mir hier rauszukommen und ich werde alles für dich tun", bettelte sie, "wirklich alles!". Die Stute schien einen Moment ihren Vorschlag abzuwägen, und wirklich, plötzlich setzte sie sich gehorsam in Bewegung. Gena strich erleichtert über die Nüstern des Tieres und führte es, so lautlos wie nur möglich, vom Lager weg in den Wald hinaus.
*
"Was soll das heißen: Sie ist nicht mehr da?" "Ich kam in ihr Zimmer und es war leer", piepste die Dienerin und starrte zu Boden, als gäbe es dort etwas besonders Interessantes zu sehen.
"Hast du nach ihr suchen lassen? Möglicherweise ist sie spazieren, das tut sie doch öfter!"
Die Dienerin hob nun endlich den Kopf und blinzelte den Prinzen scheu an.
"Zu so früher Stunde? Legolas, ich glaube wir wissen beide was Sache ist", mischte sich Aragorn ein. Beide hatten sie länger als gewöhnlich geschlafen, denn am Vortag hatte eine lange, anstrengende Versammlung bis in die frühen Morgenstunden stattgefunden. Gena schien gewusst zu haben, dass der Großteil der Elben und Menschen daran teilnehmen würde und hatte sich dieses Wissen zunutze gemacht. "Es fehlen Kleider und Waffen", berichtete die blonde Elbe vorsichtig. Legolas starrte die Frau an, als hätte sie soeben etwas unglaublich Dummes gesagt. "Lass den Palast durchsuchen und die Wege, die sie immer geht. Sicher..."- "Legolas", unterbrach Aragorn mit sanfter Stimme, "sie ist davongelaufen. Sie will Lórien verlassen. Vielleicht hat sie es sogar bereits."
Der Prinz entgegnete nichts sondern sah ihn auf eine undeutbare Weise an. "Schickt nach Haldir. Er soll einen Suchtrupp zusammenstellen und sich dann bei mir melden", befahl Aragorn, als Legolas keine Anstalten machte, etwas zu unternehmen. Die junge Elbe nickte gehorsam und eilte nach draußen.
"Wir werden sie finden. Sie kennt nur einen Teil der Wälder und hat sie noch nie verlassen", versicherte der junge König und musterte seinen elbischen Freund eindringlich. Diesen beruhigten seine Worte nicht, im Gegenteil, sie bereiteten ihm noch größere Sorgen. "Du machst dir etwas aus ihr, nicht wahr?" Aragorn hatte seine Stimme gesenkt und stellte sich ebenfalls vor das Fenster, um nach draußen zu sehen. Der Wald hatte sich sonderbar verändert über Nacht...als wäre etwas von seiner sonstigen Wärme und Schönheit verblasst. "Wo könnte sie hinwollen?", sprach Legolas wie zu sich selbst. Aragorn runzelte die Stirn und zuckte mit den Schultern. Dann aber sagte er: "Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, wer es wissen könnte."
Amdir und Alagos hatten ebenfalls der Versammlung beigewohnt und befanden sich noch immer im Thronsaal, wo sie sich mit einigen fremdländischen Elben unterhielten. Als Legolas, gefolgt von Aragorn und Haldir in den Saal gestürmt kamen, verließen die Fremden den Saal.
Die beiden Ostelben verabschiedeten sich höflich von ihnen, bevor sie sich den drei Männern zuwandten.
"Prinz! König Aragorn! Haldir! Wie geht es euch? Ich hoffe, ihr habt noch etwas Schlaf abbekommen, nach der letzten Nacht", begrüßte sie Alagos gesittet und verbeugte sich vor allen drein. Amdir nickte ihnen stumm zu, doch seine Stirn lag bereits ahnend in Falten. "Ist etwas geschehen?", erkundigte er sich. Aragorn nickte ernst. "Gena ist verschwunden". "Das Menschenmädchen?" Amdirs Gesichtsausdruck wurde abschätzig, "vermutlich hat sie sich im Wald verlaufen. Menschen haben bekanntlich einen schlechten Orientierungssinn". "Nicht Gena. Sie findet sich bestens in den Wäldern zurecht", brachte sich Haldir ein. "Er hat recht. Sie ist weggelaufen", bestätigte Aragorn, "eine andere Erklärung gibt es nicht. Wir lassen das Gelände gerade absuchen, aber bis jetzt ist noch keine Spur von ihr." "Warum sollte sie so etwas tun?", murmelte Alagos kopfschüttelnd, "es hätte nicht mehr lange gedauert, und wir hätten es geschafft, Grennrey endgültig zu vertreiben. Es sei denn..." - "Es sei denn Grennrey hat wieder Besitz von ihr ergriffen", vollendete Amdir den Satz und fügte geringschätzig hinzu: "Ich hätte es ahnen müssen. Sie ist ein labiles, junges Ding, keine Kämpferin. Man hat ihr ein Schwert in die Hand gedrückt und ihr das Bogenschießen beigebracht, aber das macht sie noch lange nicht zu einer Kriegerin."
"Ihr irrt euch".
Legolas Worte waren ruhig, aber Aggressivität und Ungeduld klangen hörbar mit. Alle Aufmerksamkeit war plötzlich auf ihn gerichtet. Aragorn sah beunruhigt zu ihm hin. Nach außen hin wirkte er gefasst, wie immer, aber unter der Oberfläche brodelte es. Er kannte ihn lange genug, um es zu spüren.
"Ihr irrt euch gewaltig, Amdir", wiederholte der Prinz und trat einen Schritt auf den Magier zu, "In jener Nacht, als sie erwachte....erinnert Ihr euch?" Amdir runzelte die Stirn weiter. "Natürlich. Aber was...?"- "Ihr wart der letzte, der mit ihr gesprochen hat, nicht wahr?" Amdir nickte mit einiger Verzögerung. "Seit dieser Nacht ist eine Veränderung mit ihr vorgegangen. Was habt Ihr zu ihr gesagt?" Sein Blick wurde bohrend.
Amdir sah ihn ausdruckslos an, dann lachte er künstlich auf.
"Was soll das werden? Ein Verhör? Aber wenn Ihr es unbedingt wissen wollt: Sie hat mich gefragt, ob sie denn ein schlechter Mensch wäre." Legolas zog fragend eine Braue nach oben. "Und? Wie lautete eure Antwort?" Amdir zuckte mit den Schultern. "Sie ist ein Mensch. Menschen sind unvollkommene Wesen. Sie kennen ihre Herzen nicht und sind so leicht zu verführen. Was hättet Ihr an meiner Stelle geantwortet?"
*
-Dann hast du es endlich begriffen? Du siehst ein, dass wir ein und dieselbe Person sind?-
Ich sehe ein, dass es nicht möglich ist, dich gegen deinen Willen zu vertreiben. Weder ich noch irgendwelche Magier, seien sie noch so mächtig, sind dazu in der Lage.
-Immerhin etwas. Und was willst du nun tun? Wohin gehst du?
Weg aus Lórien. Ich bin eine zu große Gefahr für diesen Wald. DU bist eine zu große Gefahr.
-Ich könnte dich aufhalten, darüber bist du dir hoffentlich im Klaren....-
Nein, das könntest du nicht. Denn ich weiß nun, wer du bist. Ich bin dir dankbar für das, was du vor langer Zeit für mich getan hast. Für meine Eltern. Du hast mir das Leben gerettet und ihnen ihre Tochter zurückgegeben.
-Oh, ich tat das alles nicht umsonst. Du kennst den Preis.-
Ich kenne ihn. Ich werde dir die Möglichkeit geben, dich von ihm zu verabschieden. Etwas, zu dem du in deinem früheren Leben nicht gekommen bist.
-Es brach mein Herz... und seines auch-
Danach wird eine von uns gehen müssen. Denn zwei Seelen in einem Körper sind eine zuviel.
-Wir werden sehen...-
Ein leises Wiehern riss Gena aus dem tranceähnlichem Zustand, in dem sie sich befand. Mit einem Schlag wurde ihr wieder bewusst, wo sie sich befand, nämlich auf dem Rücken eines Pferdes irgendwo im nördlichen Teil Lóriens.
Schnell zügelte sie die Stute und sah sich aufmerksam nach allen Seiten um. Nachdem sie eine kurze Strecke galoppiert war, war die Stute in einen raschen Trab gefallen, denn Gena hatte sie weg von den berittenen Wegen in den Wald gelenkt. Das Pferd fand seither alleine seinen Weg zwischen den Bäumen und Sträuchern hindurch und schien auch genau zu wissen, wo es hinmusste. Im Gegensatz zu Gena.
Gena schnalzte mit der Zunge. Die Mähre trat bloß unruhig auf der Stelle herum und warf den Kopf leise wiehernd in den Nacken. "Dinen [Still] Pferd!", flüsterte Gena an das Ohr der Tieres. Sie hatte ihm vorerst den einfallslosen Namen "Pferd" gegeben. "Ich weiß, dass uns jemand folgt. Schon seit einiger Zeit. Aber er ist noch weit weg." Gena atmete auf, als Pferd sich gehorsam in Bewegung setzte. Jemand verfolgte sie, das spürte sie schon seit Stunden.
Der Wald begann sich langsam zu lichten. Die freien Räume zwischen den Baumstämmen wurden größer und das Pferd konnte nun fast ungehindert geradeaus traben. Gena sah zum Himmel auf. Heute hatte er eine fade weiß- graue Farbe, und auch die Sonne war bloß eine kalte, weiße Scheibe. Zwischen den Bäumen hingen stellenweise Nebelfetzen, die sich heute wohl nicht mehr völlig auflösen würden, was Gena aber einen Vorteil bot: So konnten die Elben sie nicht bereits aus Kilometern Entfernung zwischen den Baumstämmen ausmachen. Schlecht war bloß, dass auch ihr Verfolger sich bestens ihren Blicken entziehen konnte. Soweit sie es sagen konnte, war es bald Mittag, und ihr Magen knurrte bereits ungeduldig. Sie beschloss eine kurze Rast einzulegen.
Während sie ihren Rucksack abnahm und darin mit einer Hand zu kramen begann, zog sie mit der anderen langsam ihr Schwert Magol.
Pferd schnaubte beunruhigt und stieß ihr mit dem Kopf leicht in die Seite. "Ich weiß, ich weiß....lass ihn näherkommen", hauchte Gena. Inzwischen war sie sich vollkommen sicher, dass die Stute jedes ihrer Worte genauestens verstand. Nun tat das Tier etwas beinahe Unheimliches: Es sah sie einen Moment lang an, dann drehte es sich plötzlich so, dass es Gena seine Flanke zuwandte. Als wolle die Stute sie schützen, dachte Gena verblüfft.
-Der Verfolger kam schnell näher. Es war kein Elb, aber auch kein Mensch. Zu kleine Abstände zwischen den Schritten.-
Ihre Sinne arbeiteten plötzlich mit unbeschreiblicher Schärfe. Eine unglaubliche Menge an Sinneseindrücken flutete unvermittelt auf sie ein. Der nasse, faulige Geruch der am Boden liegenden Blätter, das kalte Gefühl des sanften Windes, wie er gegen ihre Haut blies, die Feuchtigkeit, die in der Luft schwebte. Eine gewaltige Palette von Geräuschen. Sie konnte im wahrsten Sinne des Wortes das Gras wachsen hören. Selbst das Rascheln, welches kleine Kriechtiere am Boden erzeugten, drang für den Bruchteil einer Sekunde mit der Lautstärke eines Hammerschlages in ihr Bewusstsein und ließ sie leise aufstöhnen. Ihre eigene Stimme klang wie das Brüllen des Ozeans in ihren Ohren und schmerzte unerträglich. Dann aber floss ihre Konzentration zusammen, filterte unwichtige Nebengeräusche und Eindrücke heraus und bündelte sich.
-Es war klein und bewegte sich ungeschickt, aber schnell vorwärts. Es trug etwas bei sich...ein Metall. Ein Schwert? Nein.... -
Der Wind brach sich an dem Objekt, das der Fremde trug. Doch es hörte sich nicht wie die lange, schlanke Klinge eines Schwertes an. Es war breiter. Blitzschnell jagten alle andere Möglichkeiten durch ihren Kopf.
-Ein Säbel? Nein. Breiter. Und kürzer. Eine Axt. Er näherte sich von hinten.-
Genas Finger schlossen sich fester um Magols Griff.
-Noch sieben, sechs Schritte. Es begann noch schneller zu rennen. Vier Schritte. Einer.-
Sie trat fast gemächlich einen Schritt beiseite. Ein kleiner, kräftiger Schemen stürzte aus dem Wald heraus auf die Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte. Genas Handkante traf zielsicher eine bestimmte Stelle im Nacken des Zwerges und riss ihn von den Füßen. Magol zuckte vor und presste sich gegen seine Kehle, wobei ein Teil des roten Bartes abgetrennt wurde. Mit dem Fuß stieß sie die fallengelassene Axt beiseite.
"Euren Namen Zwerg", forderte Gena mit kalter Stimme und drückte mit dem Fuß den Oberkörper des Fremden fest gegen den Boden.
Dieser blinzelte, als hätte er noch gar nicht richtig begriffen, was geschehen war. Erst nach Sekunden wanderte sein Blick die polierte Klinge Magols entlang zu Genas Gesicht hinauf. "Ich kann nicht gut reden mit diesem Spielzeug am Hals", knurrte er und wollte das Schwert beiseite schieben. Gena trat unsanft gegen seine Hand und verstärkte den Druck auf seine Kehle um eine Winzigkeit.
"Ihr seid Gimli Glóinssohn, nicht wahr? Warum seid Ihr mir gefolgt?"
Der Zwerg runzelte ärgerlich die Stirn. "In diesem Aufzug und zu dieser frühen Stunde...das roch ich doch zehn Meter gegen den Wind, dass da etwas faul war." "Weiß noch jemand hiervon?" Gena kniff prüfend die Augen zusammen. Gimli überlegte kurz, dann entschied er sich für die Wahrheit und verneinte. Gena wusste mit unerschütterlicher Sicherheit, dass er die Wahrheit sprach.
Erleichtert steckte sie die Waffe weg und half ihm wieder auf die Beine. "Nun, da wir schon mal hier sind könntet Ihr mir auch gleich verraten, was Ihr hier draußen zu suchen habt?" "Hat man euch schon aufgeklärt?" Gimlis Augenbraue hob sich fragend. "Über was?"
"Über meine....Herkunft". Es schien ihr die geschickteste Weise, es auszudrücken. Der Zwerg schüttelte den Kopf. "Aber..."- "Dann wird euch meine Antwort bloß unnötig verwirren", unterbrach ihn Gena ernst. "Sagen wir, ich suche einen alten Bekannten von mir. Oder ich warte darauf, dass er mich findet, eines von beiden." "Und wer ist dieser "alte Bekannte", wenn ich fragen darf?" Gena winkte ab. "Auch das würde euch bloß verwirren."
"Ich nehme an, Lady Galadriel und die anderen Elben wissen es", vermutete Gimli. Gena blinzelte verdattert. "Woher...?" "Und da sagt jemand, wir Zwerge wären Geheimniskrämer", brummte der Zwerg kopfschüttelnd und fuhr nach einem langen, angesäuerten Blick auf seinen halben Bart fort: "Und ich vermute, sie wissen nicht, dass Ihr hier draußen seid, ansonsten hättet Ihr euch nicht soviel Mühe gemacht, unbemerkt davonzuschleichen."
Gena nickte und grinste schief. "Wie es aussieht waren meine Bemühungen umsonst." "Oh, es ist bloß einem Zufall zu verdanken, dass ich Euch entdeckt habe", erzählte Gimli, "ich durfte als einziger Vertreter meines Volkes an einer Versammlung teilnehmen, die im Palast stattfand. Ich wurde dann doch etwas müde, und da ohnehin alle elbisch sprachen, kehrte ich etwas früher ins Lager zurück , gerade rechtzeitig um euch zu sehen, wie Ihr gerade diesen elbischen Gaul losmachtet."
"Und was nun?" Gena sah sich bedeutend um. "Ich kann euch nicht wieder gehen lassen und riskieren, dass Ihr Alarm schlagt." Gimli blinzelte sie stirnrunzelnd an, dann begann er schallend zu lachen. "Was ist?", verlangte Gena verärgert zu wissen. "Ihr unterschätzt die Elben offensichtlich, junge Magierin", erklärte Gimli grinsend, "denkt Ihr denn ernsthaft, euer Verschwinden sei unbemerkt geblieben? Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es hier nur so wimmelt von Spitzohren!"
Gena erbleichte. Sie hätte sich gegen die Stirn schlagen können. Er hatte Recht. Wenn die Elben sie wieder einfingen, war alles umsonst gewesen! Eine solche Chance würde sich ihr kein weiteres Mal bieten!
"Ich sollte mich dann besser schnellstens auf den Weg machen", meinte Gena und pfiff ihr Pferd herbei.
"Ihr meint wir sollten uns auf den Weg machen", verbesserte sie Gimli grinsend und hob seine Axt auf, "ich habe nicht vor, eine so zarte Dame alleine durch diesen großen Wald reiten zu lassen."
*
"Und ausgerechnet mein Pferd musste sie nehmen", knurrte Legolas und duckte sich unter einem Ast hinweg. Aragorn, der nur wenige Schritte neben ihm und Haldir herritt musste grinsen. Auch Haldirs Mundwinkel zuckten verdächtig.
"Seltsam, dass Calad sie überhaupt trägt", bemerkte Haldir, "ich dachte, du hättest einmal gesagt, nur du könntest auf ihr reiten". Legolas murmelte irgendetwas Unfeines im Elbischen, das Aragorn vorsorglich unübersetzt ließ. Er hob die Hand und gebot damit dem achtköpfigen Trupp zu halten. "Die Spur verläuft von hier an abseits des Weges", erklärte er kurz angebunden, "wir teilen uns auf. Vier reiten ostwärts weiter, der Rest reitet mit mir nach Norden. Reitet dann den Waldrand entlang nach Norden, so können wir sie gar nicht übersehen. Legolas, Haldir, Amdir, ich will euch bei mir haben. Alagos, Ihr führt den zweiten Trupp an. No tiriel! [Seid wachsam]"
"Musstest du die Gruppen SO einteilen?", knurrte Legolas und lenkte seinen schwarzen Hengst näher an das Pferd des Königs, "ich habe das ungute Gefühl, dieser Magier wird uns bloß Schwierigkeiten bereiten. Und du weißt, mein Gefühl trügt mich selten." Aragorn nickte ernst. "Ich weiß. Aber in diesem Fall könnten sich selbst deine Gefühle irren. Vielleicht gerade die deinen." Legolas schluckte die scharfe Antwort, die ihm auf der Zunge lag, vorsorglich hinunter. Vielleicht hatte Aragorn recht. Er hätte sich selbst belogen, hätte er seine Gefühle für die junge Menschenfrau verleugnet. Trotzdem mochte er diesen Ostelben nicht. "Es sieht so aus als wären wir nicht die einzigen, die dem Mädchen folgen", meinte Amdir und deutete auf den Boden, "nur ein Zwerg hinterlässt solche Spuren." Aragorn nickte und warf einen vielsagenden Blick zu Legolas hin. Dieser erwiderte seinen Blick. Sie beide hatten schon so eine Ahnung, wer dieser Zwerg war. Schweigend ritten sie weiter. "Hier! Seht euch die Spuren an!", rief Haldir sie herbei. Er war abgesessen und hatte sich hingekniet, um den Boden genauer zu besehen.
Legolas warf einen kurzen Blick auf den aufgewühlten Erdboden und nickte. "Ein Kampf. Aber unblutig. Dort..." Er wies auf für Menschenauge unsichtbare Hufabdrucke, die weiter in den Wald führten, "diese Abdrücke sind tiefer. Sie sind gemeinsam weitergeritten." "Dann hat sie ihn wohl mit verlockenden Angeboten für sich gewonnen", mutmaßte Amdir und ritt voran. Legolas warf ihm einen Blick voll unterdrückter Wut hinterher. Er kannte Gimli. Ob mit Magie oder ohne, es bedurfte mehr als ein paar "verlockender Angebote" um diesen Zwerg umzustimmen. "Lass dich nicht von ihm reizen. Er ist ein arroganter Idiot, soweit ich das beurteilen kann", sprach Haldir und lächelte aufmunternd, "selbst bei unseren Leuten soll so etwas vorkommen." Legolas erwiderte sein Lächeln bloß halbherzig. Das ungute Gefühl dem Ostelben gegenüber blieb weiterhin.
*
"Sagt, wann habe ich mich verraten?"
Gena grinste und kaute nachdenklich an einem Stück Lembas . "Ich glaube das war etwa zu jenem Zeitpunkt, als ihr hinter dem Stall hervorgekommen und mir gefolgt seid". Pferd wieherte leise, als müsse sie lachen. Gimli brummte irgendetwas in seinen Bart hinein, von dem das Tier sicher nicht begeistert gewesen wäre. "Ich mag dieses Pferd nicht", beschwerte er sich, "es ähnelt seinem Besitzer auf geradezu unheimliche Weise."
"Ihr kennt ihren Besitzer?", fragte Gena überrascht.
"Ihr kennt ihn ebenfalls", grinste Gimli, "und wenn man das glaubt, was man sich so erzählt, sogar ziemlich gut. Sie gehört Legolas." Gena verschluckte sich an einem Bissen des elbischen Brotes und verbrachte die nächsten Sekunden damit, einen Hustenanfall zu bekämpfen. "Was erzählt man sich denn so?", fragte sie nach einer Weile des Schweigens wie nebenbei. "Och, dieses und jenes", meinte der Zwerg ausweichend. Hätte Gena sich umgedreht, hätte sie das breite Grinsen in seinem Gesicht gesehen. "Man sagt, ihr verständet euch sehr gut und hättet eine Menge Spaß zusammen." Gena packte das Reisebrot vorsorglich weg.
"Spaß? Mehr nicht?"
"Ist denn da noch mehr?" Gena verdrehte die Augen. "Ihr seid ja noch schlimmer als die Elben", beschwerte sie sich. "Nur das nicht!", lachte Gimli schallend und schließlich stimmte auch Gena in sein Lachen mitein. "Vorhin im Wald- wie habt Ihr das gemacht? Ich meine, wie konntet Ihr mich so schnell niederschlagen?"
Gena wurde wieder ernst. Jetzt, im Nachhinein stellte sie sich dieselbe Frage. Vorhin war ihr ihre Reaktion völlig natürlich erschienen. Es war nicht wie das letzte Mal gewesen, als ihre magischen Fähigkeiten zum Vorschein gekommen waren. Dieses Mal erinnerte sie sich ganz genau an das, was geschehen war, und wie es geschehen war. "Ich bin eben eine Magierin, das wisst Ihr doch", antwortete sie unsicher lächelnd und deutete nach vorne. "Ist das dort bereits das Ende des Waldes?" Gimli lehnte sich im Sattel zur Seite, spähte an ihr vorbei und nickte. "Dort vorne fließt ein Fluss, die Nimrodel."
-Nimrodel. Sie hatte diesen Namen schon öfter zuvor gehört, doch dieses Mal war es anders.-
"Ich glaube, es ist soweit", murmelte Gena und brachte das Pferd unter dem letzten der Mallornbäume zum Stehen. Vor ihnen erstreckte sich eine karge, braungefleckte Ebene, die teils mit niedrigem Gras bewachsen, teils von Felsbrocken und Geröll bedeckt war. Dahinter erblickte Gena den Strom, die Nimrodel, die an dieser Stelle eine starke Strömung hatte. "Soweit für was? Wollt Ihr...."- Gimli kam nicht mehr dazu, den Satz auszuformulieren, denn Gena hatte ihm erneut einen harten Schlag in den Nacken verpasst, dieses Mal etwas kräftiger, sodass er ohnmächtig zu Boden sank. "Entschuldigt, Gimli. Aber diese Sache geht nur mich etwas an", rechtfertigte sie sich, während sie ihn behutsam gegen den Stamm des Baumes lehnte und ihm seine Axt abnahm. Dann wandte sie sich von ihm ab und starrte zum Strom hinunter.
-Nimrodel....sie hatte sich früher oft mit ihm hier getroffen. Es war sicherer gewesen. Bloß einmal hatte sie ihn gebeten, den Wald zu betreten. Ein einziges Mal....-
Eine dunkle Gestalt trat hinter den Uferfelsen hervor und sah regungslos zu ihr hin.
-Er war es. Endlich würde sie sich von ihm verabschieden können.....-
N a c h w o r t :
Armer Gimli. gg So, jetzt muss ich noch drüber nachdenken, WER der dunkle Wächter genau ist.
