Der Waldboden war mit toten Körpern übersäht. Und viel zu viele der starren Gesichter waren die von Menschen, Elben oder Zwergen.

Legolas vollführte eine elegante Drehung und enthauptete mit dem daraus gewonnenen Schwung einen Ork, der ihm zu nahe gekommen war, erstach noch in der selben Bewegung einen weiteren und schleuderte das blutige Langmesser nach einem Uruk- Haî , der, seine Klinge hoch über den Kopf schwingend, auf ihn zugestürmt kam. Die Waffe durchbohrte den Hals der Bestie, doch das Ungetüm lief weiter, laut brüllend. Das Messer in seinem Hals schien ihm eher Stärke zu verleihen, als sie ihm zu rauben. Mit einem Schrei, der dem Elb einen kalten Schauer über den Rücken jagte, holte der Uruk- Haî aus, erstarrte mitten in der Bewegung und fiel endlich, nach einer kleinen Ewigkeit, vornüber. Ein hell gefiederter Pfeil ragte aus seinem Rücken. Legolas wich dem umfallenden Körper rasch aus, nahm seine Waffe wieder an sich und nickte Haldir, der bereits einen weiteren Pfeil auf seinen Bogen gelegt hatte, dankbar zu.

Hastig blickte er sich nach allen Seiten um. Die Schlacht wandte sich spürbar ihrem Ende zu, und der Triumph war eindeutig auf ihrer Seite. Nur noch vereinzelt wurden Kämpfe ausgetragen. Die Gegner kämpften verbissen und mit der Kraft der Verzweiflung, aber es war bereits offensichtlich, dass keiner von ihnen diesen Ort lebend verlassen würde.

Legolas erkannte unter den anderen Kämpfenden Aragorn, der gerade einen Ork mit einem mächtigen Schwerthieb niederstreckte, Gimli, dessen Axt ebenfalls noch immer ausreichend zu tun hatte, Haldir, der am laufenden Band Pfeile verschoss, von denen kein einziger sein Ziel verfehlte und Amdir, den Magier, der alles unternahm, um mit seinem Gegner, einem hünenhaften Uruk fertig zu werden. Ganz in seiner Nähe kämpfte eine Frau mit weißem Haar, eine schlanke Mitrilklinge in den Händen. Galadriel. Ihre Bewegungen erinnerten viel eher an einen Tanz als an einen Kampf, eine komplizierte Aneinanderreihung von anmutigen Bewegungen, faszinierend anzusehen, aber nicht weniger tödlich als Aragorns kräftige Hiebe oder Gimlis Streiche mit der Axt.

Dies alles vernahm der Prinz innerhalb nur einer Sekunde, doch sein Blick glitt haltlos weiter, auf der Suche nach Genas zerbrechlicher Gestalt, aber nirgends war eine Spur von ihr. Er hatte ein grünes Leuchten gesehen, doch war sich nicht sicher gewesen, ob es sich wirklich um ein Weltentor gehandelt hatte. Zu schnell war es verschwunden.

Nun aber machte sich eine furchtbare Gewissheit in ihm breit: Sie war weg.

Der Wächter hatte sie mitgenommen. Irgendetwas in ihm erstarrte zu Eis.

Fast gemächlich hob er seinen Bogen, legte einen Pfeil auf die Sehne und jagte ihn in die Brust eines sich heranschleichenden Orks. Ein weiterer, der gerade den Fehler begangen hatte, ihm den Rücken zuzukehren, folgte seinem Bruder kreischend in den Tod. Ein letztes Mal versicherte er sich, dass die anderen auch ohne ihn zurechtkommen würden, dann lief er über die Toten hinweg an den Waldrand zurück, dort, wo dieses blutige Gemetzel seinen Anfang genommen hatte.

Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er Alagos sah, dessen Gestalt verkrümmt im kurzen Gras lag. Ein Orkpfeil hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen, das Schwert eines Uruk- Hais seinen Schädel gespalten.

Er war der erste Tote von vielen gewesen. Er hatte den Ostelben weder gut gekannt noch besonders gemocht, doch es tat immer weh, einen vom eigenen Volk sterben zu sehen. Nachdem er kurz voller Schmerz auf den Toten hinabgeblickt und Worte der Trauer ausgesprochen hatte, lief er weiter, bis er das Flussufer erreicht hatte. Einige Meter entfernt vom Wasser war das Erdreich plötzlich aufgewühlt. Pflanzen waren von unzähligen Füßen rücksichtslos zertrampelt, Steine zermalmt worden. Die Spuren schienen aus dem Nichts zu kommen.

Ein schwaches Leuchten erregte Legolas' Aufmerksamkeit. Er bückte sich und förderte ein zerbrochenes Schwert aus dem Morast zutage, bestehend aus nur dem Griff und einen Teil der Klinge. Den Rest der Waffe fand er etwas abseits, neben einem Stein. Prüfend drehte er das kalte Metall in den Händen. Es bestand aus Mithril. Nur Elben waren imstande, Mithril so zu bearbeiten. Sofort erkannte er Magol, Genas Schwert wieder. Bei dem Gedanken, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte, wurde ihm plötzlich übel. Für Sekunden hatte er das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Dann nahm er eine schwache Bewegung aus den Augenwinkeln wahr. Einer der toten Orks bewegte sich noch. Er bückte sich, legte Magol vorsichtig auf einen Stein und zog, während er aufstand eines der beiden Langmesser auf seinem Rücken. Langsam ging er zu dem schwerverwundeten, sich windenden Ork hin und starrte empfindungslos auf ihn hinab. Hätte er Erbarmen empfinden müssen angesichts der leidenden Kreatur? Vermutlich nicht. Trotzdem erschreckte ihn die Kälte, die ihn plötzlich erfüllte, als er sich neben dem Ork in die Knie sinken ließ und das Messer an seinen Hals legte. Langsam, unendlich langsam verstärkte er den Druck auf seine Kehle und schnitt sie durch.

Dann stand er auf, musterte die blutige Klinge kalt und lief in den Wald zurück. Die Schlacht war nicht beendet, bis nicht der letzte dieser Bastarde sein Ende gefunden hatte.

*

"Du wirst dich fragen, wo wir hier sind".

Gena schwieg, wohlwissend dass der Wächter ohnehin keine Antwort von ihr erwartete. Sie starrte ihn bloß an, erzürnt, aber auch etwas ängstlich.

Das Tor stand noch immer offen. Wenn sie schnell genug war und sich geschickt anstellte.... "Du kannst es gern versuchen", lächelte der Wächter, plötzlich so nahe, dass sie nur den Arm hätte strecken müssen, um ihn zu berühren.

Gena sah ihn sekundenlang forschend an, dann zuckte sie mit den Schultern und ging an ihm vorbei auf das Tor zu.

Er machte weder Anstalten, sie aufzuhalten, noch schloss sich das Tor plötzlich vor ihrer Nase. "Ich würde aufpassen an deiner Stelle", bemerkte der Wächter höhnisch. Im nächsten Moment begriff Gena, was er meinte: Als sie den ersten Schritt nach draußen setzte, fand ihr Fuß keinen festen Untergrund mehr. Sekundenlang kämpfte sie um ihr Gleichgewicht, die Arme nach beiden Seiten ausgestreckt, und war für einen Moment davon überzeugt, gleich in die Finsternis draußen zu stürzen. Dann aber gelang es ihr, das Gewicht zu verlagern und dadurch wieder festen Stand zu ergattern. Fassungslos starrte sie in die Dunkelheit. Da draußen herrschte keine Nacht- da war einfach nichts! Sie wich keuchend zurück und sah den Wächter entsetzt an. "Mein Gott, was ist das hier?" "Das wollte ich dir gerade erklären", meinte der Wächter leicht verstimmt und machte eine Geste in die Halle hinein, "dies ist meine Kreation. Wie gefällt sie dir?"

Gena runzelte die Stirn. Er hatte wirklich eine seltsame Art von Humor. "Etwas...kantig". Er grinste breit.

"Du bist wirklich bemerkenswert. Selbst in einer auswegslosen Situation wie dieser bleibt dein Humor erhalten. Aber mich kannst du nicht täuschen". Er kam auf sie zu, langsam, und aus irgendeinem Grund war Gena nicht fähig, sich zu bewegen, kaum hatte er ihren Blick gefangen. "Was wollt Ihr von mir? Warum habt Ihr mich hierher gebracht?" Ihre Stimme, dünn und kratzig, hallte wie die eines Kindes durch den Saal.

"Ist denn das nicht offensichtlich?", lächelte der Wächter, und seine Züge lockerten sich. "Ich will dich. Ich habe eine Ewigkeit nach einem Wesen wie dir gesucht".

"Zweigespaltene Persönlichkeiten gibt es sicherlich mehr", scherzte Gena nervös. Er war ihr noch etwas näher gekommen, und das, was sie empfand, verwirrte sie zutiefst. Keine Abscheu, kein Hass, höchstens Verwirrung und Unsicherheit. Er überging ihren geistlosen Witz und fuhr eindringlich fort: "Wir sind von der gleichen Art. Keiner Rasse eindeutig beizuordnen, keiner Welt angehörend. Wir wissen beide über das Wesen der Dinge, über die Magie Bescheid. Das einzige, was uns voneinander unterscheidet, ist, dass in dir ein Kampf tobt, den ich schon vor langer Zeit beendet habe."

Gena runzelte die Stirn.

"Dann habt Ihr ihn getötet. Ihr habt ihm seine Seele geraubt." Es war Grennrey, die ihr diese Worte in den Mund legte. Der Wächter schüttelte den Kopf. "Im Gegenteil. Er hat sie mir angeboten. Unsere Seelen verschmolzen und wurden ein Neues, Ganzes." "Was immer Ihr auch seid, ich kannte ihn. Seine Seele war rein. Nie hätte er sich einer Kreatur wie euch kampflos hingegeben."

"Oh, es gab einen Kampf. Doch sein Widerstand war schnell gebrochen, als ich ihm sagte, dass seine Geliebte, der einzige Grund, aus dem er noch leben wollte, tot war. Danach flehte er mich an, ihm dabei zu helfen, zu seiner Rache zu kommen."

"Und er kaufte euch diese Lügen ab?" Gena schüttelte ungläubig den Kopf. "Ich war nie tot, bloß mein Körper verfiel mit der Zeit, denn meine Unsterblichkeit war mir genommen worden. Doch meine Seele lebte in diesem Körper weiter. Die Herzen zweier Liebender sind verbunden, und sie spüren es, wenn dem anderen etwas zustoßt. Nein, ich glaube euch nicht!" Der Wächter sah sie lange schweigend an. Was darauf folgte waren bloß ihre eigenen Gedanken, laut ausgesprochen: "Vielleicht war eure Liebe doch nicht so rein und ewiglich für wie ihr sie immer gehalten habt, Grennrey. Vielleicht war einer von euch niemals in den anderen verliebt." Gena spürte, wie der Schock, den Grennrey empfand auf sie überging und blinzelte unangenehm berührt einige Tränen weg.

"Einmal davon abgesehen, dass es euch nie gelingen wird, dasselbe mit mir und Grennrey zu tun....was brächte euch eine solche Verbindung? Es wäre keine Liebe vorhanden, bloß zwei zerstörte Seelen die einander möglicherweise brauchen, aber niemals verbunden sein werden."

Der Wächter lachte hart. "Liebe? Liebe vergeht, egal, wie hell sie einst flammte. Macht hingegen, Macht kann ewig andauern. Ich kann die Tore öffnen und einfache Wesen wie Orks nach meinen Wünschen manipulieren. Ich könnte Kriege führen und eine Welt nach der anderen erobern, ich könnte zu einem König aufsteigen, einem furchtbaren, finsteren Herrscher..."-

Gena schauderte. Ein finsterer Herrscher ...

-"...ich hätte die Macht dazu, glaube mir." "Wenn das so ist, warum verschwendet Ihr sie damit, mich zu jagen und zu quälen? Was ist so Besonderes an einer Sterblichen mit zwei Seelen?"

Der Wächter hob eine Hand und strich ihr das Haar sanft hinter die Ohren.

"Ich kann erobern und einen Krieg nach dem anderen führen...aber ich könnte niemals herrschen. Du kannst es. Die Menschen lieben dich, deine Sanftheit und Anmut, deine Schönheit. Die Völker würden mich hassen, und Hass ist eine schlechte Grundlage für Treue. Doch mit dir an meiner Seite.... . Weißt du, ich möchte nicht zu einem Sinnbild des Bösen werden....sondern vielmehr zu einem...wie soll ich sagen..."

"Gott", schlug Gena vor. Der Wächter starrte sie eine Weile ausdruckslos an, dann nickte er. "Das würde es treffen."

Gena wusste nicht, ob sie lachen oder vor Entsetzen schaudern sollte. Schließlich entschied sie sich für letzteres. Sie hatte es eindeutig mit einem Fall von Größenwahn zu tun. "Ihr seid wahnsinnig. Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, alleine meine Anwesenheit würde die Menschen über eure Schandtaten hinwegsehen lassen! Möglicherweise ist euch mein Volk tatsächlich unterlegen- was ich stark anzweifle, denn Ihr habt ja keine Ahnung, wozu es imstande ist, wenn es um sein Überleben geht. Doch es ist nicht dumm genug, um sich von euch täuschen zu lassen. Darüber hinweg wäre selbst der strahlendste Engel nicht in der Lage, auch nur ein einziges Wesen über euren Wahnwitz hinwegtäuschen!"

Der Wächter zog seine Hand zurück, sein Gesicht wurde wieder hart und abweisend.

"Ich sehe, du bist noch nicht soweit." Seine Augen musterten sie kalt, wie zwei erstarrte Lavasteine.

"Aber ich habe genug Zeit, um dich von meinem Vorhaben zu überzeugen." Damit verschwand er.

Gena stieß einen kleinen frustrierten Schrei aus und stampfte zornig auf. Das Tor hinter ihr war noch immer da, es stand sogar weit offen.

Aber was nutzte ihr das, wenn da draußen wortwörtlich NICHTS war?

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Boah, das war jetzt schwierig zum Schreiben. Ja, also Legolas jetzt als großen Retter hinzustellen wird schwierig. Denn was soll ein einfacher Elb gegen einen solchen oberbösen Oberschurken wie diesen Wächter (für den ich mir übrigens langsam einen Namen einfallen lassen sollte) auszurichten???? Nächstes Update kommt wieder später, weil ich ein paar Tage unterwegs bin.