V o r w o r t :

Okay, jetzt hab ich eine Menge zu sagen: 1.: (mit Verspätung): "der Fluch der Karibik" ist zum ersten Mal seit langen wieder ein sehenswerter Film mit überraschenden (!) Wendungen und halbwegs logischen Handlungen (z. B. muss man nicht die ganze Frau opfern, wenn man einen Tropfen Blut von ihr braucht...) Außerdem ist Johnny Depp einfach EXTREM COOL!!! Mann, ich liebe seine Gesichtsakrobatik!!! Warum ist er bloß schon 40??? Und verheirateter Familienvater??GRRRR!! Orlando war natürlich auch große Klasse, aber nicht halb so witzig! (zur Verteidigung: das liegt an der Rolle) 2.: Dieses Kapitel hier wird ziemlich lang. Wollte es ja kürzen, ging aber nicht. 3.: Ich überlege grad, ob ein Happy - End kommt oder ich das Ende mit einem gemeinen Satz offen lassen soll..(ich hätte da schon so Ideen HARHARHAR..)

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harte Realität

"Frau Ransberg? Frau Ransberg, hören Sie mich?" War das die Stimme einer Frau oder die eines Mannes? Sie konnte es nicht sicher sagen. Alles war so furchtbar verschwommen, wie wenn dicker Nebel sich zwischen sie und die Realität geschoben hätten. Licht. Grellweißes Licht. Noch immer konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Und dann dieser furchtbare, brennende Schmerz in ihrem Oberleib, als hätte sich eine glühendweiße Hand in ihr Fleisch gebohrt und wühlte nun darin herum. Es hatte eine Schlacht gegeben. Eine furchtbare Schlacht. Sie konnte nicht atmen. War sie denn schon tot? Eigentlich müsste sie es sein. So viele Tote. Was war geschehen? Die Herrin der Finsternis. "Legolas!" "Gebt ihr ein Narkosemittel! Schnell!" Mann oder Frau? Es klang nach beidem. Komisch. Und irgendwie lustig. Die Nebel wurden dichter, der Schmerz verlosch. Sie verlor das Bewusstsein.

*

"Ihr enttäuscht mich, Hoheit. Ich glaubte, gehört zu haben, dass Ihr ein Meister des Schwertkampfes seid. Dem ist wohl nicht so." "Nach drei Stunden Kampf darf ich doch wohl einmal eine Verschnaufspause einlegen", dachte Legolas, schnaubte unwillig und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Sein Gegenüber, die personifizierte Lebensenergie, lächelte herablassend auf ihn hinab wie ein Erwachsener auf ein schwaches Kind, das sich erdreistete, ihm zu drohen. Alagoas hatte ihm im Laufe dieses Kampfes schon weit öfter als nötig bewiesen, dass er kein gewöhnlicher Gegner war. Warum musste er ihn selbst jetzt spüren lassen, WIE unterlegen er ihm war? "Ganz einfach", flüsterte es hinter seiner Stirn, "weil es ihm gefällt."

Legolas umklammerte den Schwertgriff fester. Erst jetzt wurde ihm klar, dass den ganzen, schweißtreibenden Kampf über immer der Magier den führenden Ton angegeben hatte. Doch das würde er jetzt ändern. Kampfbereit hob er seine Waffe. "Seid Ihr es nicht müde? Warum tut Ihr euch das eigentlich an?" Alagos bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick, als sei er ein alter Hund, der noch nicht wusste, dass seinem Leben gleich ein Ende gesetzt sein würde. "Wenn es wegen des Mädchens ist, so möchte ich noch einmal anmerken, dass es bereits zu spät ist. Gena existiert nicht mehr." "Ach, hört mit diesem Unsinn auf", beschwerte sich Legolas deutlich genervt, "ich halte nichts davon, einen Gegner im Kampf zu beleidigen. Aber in eurem Fall muss ich es loswerden: Ihr seid ein Schwätzer und geht mir auf die Nerven. Und das schon seit Stunden. Es wird Zeit, dass euch jemand euer großes Mundwerk auf Normalgröße zurechtschneidet." "Na gut", Alagos zuckte mit den Schultern, "dann hören wir mit den Aufwärmübungen auf und beginnen mit dem wirklichen Kampf." Eine Sekunde später sollte Legolas auf unangenehme Weise zu spüren bekommen, dass dies keine leer dahergesagte Floskel gewesen war. Die Geschwindigkeit, mit der Alagos seinen Angriff ausführte, als "schnell" zu bezeichnen, wäre reinste Untertreibung gewesen. War der Magier im ersten Augenblick noch drei Schritte vor ihm gestanden, so befand er sich im nächsten nahe genug vor ihm, um einen gewaltigen Schlag mit dem Schwert auszuführen. Legolas, zwar mit den Sinnen und der Reaktion eines Elben ausgestattet, hatte trotzdem seine liebe Not dabei, den Schlag abzufangen. Und als ihm dies doch gelang, wurde er schlichtweg von den Füßen gerissen. Mit einer eleganten Bewegung rollte er sich ab und brachte so Abstand zwischen sich und seinem unbestreitbar noch gefährlicher gewordenen Gegner.

Doch kaum war er auf den Beinen, da war der Ostelb auch schon heran und schlug ihm mit der Breitseite des Schwertes auf den Hinterkopf. Der Schmerz war unbeschreiblich und trieb ihn nahe an den Rand der Bewusstlosigkeit, doch kein Laut kam über seine Lippen als er mit dem wankenden Gang eines Betrunkenen zurücktaumelte.

Was immer er nun auch in den folgenden Minuten tun sollte, der Magier schien stets um eine Winzigkeit schneller zu sein. Es war unglaublich, aber Alagos schien die letzten Stunden wirklich bloß einen Bruchteil seiner Kraft verwendet zu haben! Er war nicht bloß schneller geworden, nein, plötzlich benutzte er auch die linke Hand, um sein Schwert mit noch mächtigeren, präziser ausgeführten Streichen zu führen. Wäre es bloß physische Kraft gewesen, mit der er kämpfte, hätte Legolas , den er nun ständig vor sich hertrieb, sogar eine realistische Chance auf einen Sieg gehabt. Alagos bediente sich allerdings einer anderen, unsichtbaren Kraft. Und sosehr Legolas auch versuchte, mit geschickten Ausweichmanövern und unerwarteten Sprüngen die Richtung zu ändern, es half nichts. Und so fand er sich plötzlich in eine Ecke der riesigen Steinhalle gedrängt, Vis-a-vis mit der gefährlich funkelnden Schwertspitze seines Gegenspielers.

Alagos lächelte niederträchtig und seine Augen funkelten böse. "Nun, wollt Ihr weitermachen oder diesem Unsinn gleich ein Ende setzen?"

Legolas musste zugeben, dass er sich in einer äußerst brenzligen Situation befand. Alagos schob sein Schwert näher an ihn heran, bis dass es an seinem ledernen Brustpanzer kratzte. Im Gegensatz zu seinen toten Begleitern hatte er sich für leichte Rüstung und kein Schild entschieden. Momentan bereute er diese Entscheidung bitter.

Zornig sah er den Ostelben an. Er war nicht hierher gekommen, um zu sterben, sondern um Gena zu befreien. Und nun sah es tatsächlich so aus, als würde dieser Verräter, einer von den Handlangern der dunklen Macht, die hinter all dem stand, ihm den Garaus machen. Verzweifelter Zorn stieg in ihm auf, vor allem , weil sein Schicksal zu unabwendbar schien. "Nun? Meine Geduld ist nicht grenzenlos, Prinz, und ich habe noch andere Dinge zu tun. Zum Beispiel dabei mithelfen, diesen verfluchten Wald niederzubrennen." "Was soll das heißen?!", platzte es aus ihm heraus. "Oh, Ihr hattet Recht, ich bin ein Schwätzer", tat der Ostelb ertappt, "aber was macht es schon? Ihr werdet sowieso gleich sterben." Er zuckte mit den Schultern. "Und Leichen sprechen bekannter Weise nicht. Also hört: Die Truppen meines Meisters sind bereits unterwegs, um den Wald und alles darin niederzumachen. Doch dies ist nur der Anfang einer langen Reihe von Kriegszügen. Danach werden die großen Städte der Menschen folgen, und natürlich euer geliebtes Zuhause, der Düsterwald. Ein vereinigtes Elbenreich...eine nette Idee, aber eine Sache der Unmöglichkeit, wenn es nicht mehr genug Elben gibt." Legolas' Augen wurden groß. "Aber...aber es ist doch auch euer Volk! Wie könnt Ihr..."- "Es ist schon lange nicht mehr mein Volk!", fuhr ihm Alagos wütend dazwischen, "wir wurden als ein Volk geschaffen, doch bereits vor Äonen suchten wir uns unsere eigenen Anführer und schufen uns unsere eigene Kultur! Was wisst Ihr schon? Mit euch Lichtwesen haben die Moriqendi doch längst nichts mehr gemein!" "Wir haben die selben Götter und eine lange, gemeinsame Geschichte! Ist das denn nichts?", erwiderte Legolas erschrocken. Der Magier schüttelte den Kopf. "Wir kennen dieselben Götter. Das ist ein Unterschied. Auch Sauron kennt sie. Ihr betet sie noch immer an und glaubt an die Erfüllung euerer Wünsche, an die Unsterblichkeit euer Seelen und an die Lehren dieser Welt. Doch er hat uns die Augen zu anderen Welten geöffnet! Er hat uns gezeigt, dass es mehr gibt als die Vallar, die Maiar und ihre Dienerwesen! Es gibt Unmengen an Göttern, Legolas, es gibt Millionen von ihnen! Und jeder von uns kann sich entscheiden, welchen er dienen will, dank ihm! Begreift Ihr, welch unglaubliches Geschenk er seinen Dienern damit gemacht hat? Wir haben die Freiheit, zu wählen und UNSER Leben und UNSEREN Tod damit nach UNSEREN Wünschen zu gestalten! Nicht jeder sieht die Unsterblichkeit als Segen, versteht Ihr?" Oh ja, er begriff. Und er fragte sich, warum er nicht viel eher das Offensichtliche gesehen hatte. Dabei hatten sie sich alle in Sicherheit geglaubt und auf eine glückliche Zukunft eingestellt. Wie lange noch, fragte er sich traurig, wie lange noch würde ein Übel das andere jagen, bevor er endlich seine Ruhe finden konnte? Warum waren all diese Völker so offen für das Böse und zu blind, um die Wahrheit zu erkennen? Warum erkannten sie nicht, dass sie alle bloß Werkzeuge waren, die man benutzte, um an ein Ziel zu gelangen, und die man dann wegwarf, wenn man sie nicht mehr brauchte? "Es ist doch immer das gleiche", murmelte er niedergeschlagen, "so überzeugt ihr jetzt auch sein mögt, am Ende werdet ihr begreifen, dass nicht ihr die Bevorteilten seid, sondern er. Vorrausgesetzt ihr könnt noch eigenständig denken, wenn er mit euch fertig ist." Alagos sah ihn lange an, dann schüttelte er fast resignierend den Kopf und holte zum letzten, alles beendenden Schlag aus. Er sollte ihn nie zu Ende führen. * "Ich hätte es mir denken können", seufzte Amdir kopfschüttelnd und ließ seinen Bogen sinken. Legolas fehlte die nötige Kraft, um seinen Blick auf den toten Magier zu senken. Wortlos stieg er über ihn hinweg, den zweiten Erben der Istari in den Augen behaltend. "Ich habe es geahnt, als wir die Hexe zum ersten Mal vertreiben wollten. Und als sie ihn aus ihrem Geist verscheucht hat, war ich mir schon fast sicher. Aber dass er von den Toten wiederaufersteht, damit habe ich nicht gerechnet." Endlich wandte er sich Legolas zu. "Ihr seid mir gefolgt. Warum habt Ihr nicht eher eingegriffen?" Seine Stimme war leer, zu sehr beschäftigte ihn das Geschehene.

"Wollt Ihr mir nicht danken?" Amdir wirkte nicht wirklich enttäuscht. Eher gleichgültig. Er befestigte den Bogen an seiner Schulter.

"Ich danke euch, aber ich frage mich warum Ihr erst jetzt hier auftaucht." Misstrauisch versuchte er, Amdirs Gesichtsausdruck zu deuten, erfolglos. Amdir antwortete nicht und tat es auch später nie, aber es gehörte nicht viel dazu, um die Wahrheit zu erkennen. Für Legolas war es klar, dass Amdir nicht erst in dem Moment, als es um sein Leben ging, in die Mienen gekommen war. Möglicherweise war er ihnen sogar von Anfang an unsichtbar gefolgt. Doch er wollte es gar nicht wissen, aus Angst, wie er darauf reagieren könnte. "Warum wusstet Ihr, dass ich euren Rat ausschlagen und hierherkommen würde?", fragte er stattdessen. Amdir deutete ein wissendes Lächeln an. "Weil ich euch kenne. Besser vielleicht, als Ihr ahnt. Und nun lasst uns gehen, die Nacht bricht herein, und es bleibt nicht viel Zeit." "Zeit? Wofür?" "Ihr habt gehört, was mein...was Alagos gesagt hat. Wir müssen sie warnen." "Dann ist es also wahr. Es wird wieder eine Schlacht geben." Er hatte es nicht wahrhaben wollen. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden. Das Blutvergießen hatte noch immer kein Ende gefunden. Legolas warf Amdir einen kurzen Blick zu. Er fragte sich, wie nahe sich die beiden Ostelben gestanden hatten. Viel später erst sollte er erfahren, dass die beiden Brüder waren.

"Ja. Und die Schlacht wird schnell vorbei sein, wenn wir uns jetzt nicht beeilen", drängte der Ostelb ungeduldig und ging los. "Was ist mit Gena!?", rief Legolas ihm aufgebracht hinterher, "wir können sie doch nicht einfach hier zurücklassen!" Amdir blieb doch noch einmal stehen, drehte sich um und warf ihm einen mitleidig- gereizten Blick zu. "Habt Ihr Alagos denn nicht zugehört? Das Menschenmädchen ist tot. Und nun nehmt eure Beine in die Hände!" Legolas rührte sich nicht. Das eben konnte doch nur ein übler Scherz gewesen sein! Eine Hitze wallte durch seinen Körper und ließ die Höhle vor seinen Augen verschwimmen. Gena...tot? Nein, nein, nein. Er weigerte sich, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Amdir irrte sich. So einfach war das. Genauso wie er sich in Hinsicht auf seinen Kollegen geirrt hatte, der eigentlich schon vor Tagen hätte tot sein müssen.

Taumelnd folgte er ihm endlich nach draußen, wo sie von Donner und Blitz empfangen wurden. "Wir werden wohl den Anfang verpassen", murmelte der Magier, mit einem Stirnrunzeln zum nachtschwarzen Firmament hinauf.

Erschreckend, wie kalt es plötzlich geworden war. Legolas Herz schlug seltsam langsam und schwerfällig, als koste es ihm ungewohnte Kraft. Sie war.... tot.

*

"Du hattest nie vor, dich gegen mich zu wenden, nicht wahr?" Zärtlich strich er über ihr Haupt, ließ seine Finger langsam und unendlich behutsam ihren Nacken hinabgleiten.

Grennrey lächelte und schmiegte sich an ihn. Sie hatte dieses Gefühl so vermisst. Sie war sich völlig dessen bewusst, dass dies nur noch zum Teil jener junger, ehrgeiziger Magier war, in den sie sich vor Jahrzehnten verliebt hatte.

Es machte keinen Unterschied. Sie war nicht fähig, Liebe zu empfinden, schon lange nicht mehr. Was ihr blieb war reines körperliches Verlangen, und im Moment genügte ihr das und die Illusion dessen, was sie einst verloren hatte.

Sanft glitt seine Hand ihren Rücken hinab, öffnete die Haken, welche ihr Kleid verschlossen, ihren Blick mit seinen schwarzen Augen fangend. Grennrey schauderte, als er ihr einen sanften Kuss auf die Lippen hauchte. Wer hätte gedacht, dass der Herr der Finsternis ein solch vorzüglicher Liebhaber war?

Er schien zu spüren, was sie dachte, und lächelte wissend. Plötzlich krallte sich seine Hand in ihren Nackenhaaren fest und zog ihren Kopf sanft nach hinten. Genüsslich seufzend spürte Grennrey, wie sein Atem gegen ihren empfindlichen Hals blies und ihr eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken jagte; ein Gutes hatte dieser menschliche Körper: Er war überaus sensibel an den seltsamsten Stellen, und es war ein erhebendes, neuartiges Gefühl, ihn auf diese Weise neu kennenzulernen. Auf der gläsernen Decke über ihnen sah sie sich selbst und den Wächter. Es war seltsam...bloß zwei Personen waren im Spiegel zu sehen, aber im Grunde waren sie eigentlich zu viert. Der Gedanke hatte etwas.

Sie grinste schief und kicherte leise. Wie es schien war sie auch an den unmöglichsten Stellen kitzlig!

Mit geschlossenen Augen strich sie über sein glattes Haar, und für einen Moment fühlte sie sich wirklich zurückversetzt in eine jener Nächte vor vielen Jahren. Doch als sie die Augen aufschlug, begegnete sie bloß dem Blick zweier schwarzer Augen, die sie zwar begehrlich musterten, aber in denen zuviel Kälte steckte, um sie völlig zu täuschen.

Trotzdem zog sie den Wächter mit einem Ruck noch näher an sich und sie küssten einander leidenschaftlich.

Grünes, waberndes, Licht, und ein Schrei, schrill und ohrenbetäubend laut.-

Die Hexe erstarrte, riss beide Augen auf und ließ den Wächter erschrocken los. Ihre Ohren klingelten und der Spiegelraum begann sich vor ihren Augen zu drehen, so intensiv war die Vision gewesen. Ihr wurde schlecht. Der Schrei, den sie gehört hatte, war ihr eigener gewesen. "Was hast du gesehen?", verlangte er zu wissen.

Sie starrte ihn mit leeren Blick an und murmelte: "Ich bin mir nicht sicher. Aber es bedeutet nichts Gutes. Wir sollten den Angriff sofort starten." Er nickte.

"Schade. Ich hätte gerne noch weitergemacht", grinste er anzüglich. Grennrey rang sich ein Lächeln ab. "Wir können das später noch nachholen. Aber zuerst müssen wir Mittelerde unterwerfen."

*

Arwen und das Kind befanden sich im Palast, und somit in Sicherheit.

So hatte Aragorn geglaubt- bis er das Heer erblickt hatte. In jenem Moment wusste er, dass kein Ort in Lórien, und sei es in den Armen Galadriels persönlich, sicher genug sein würde, um jemanden vor dieser Gefahr zu schützen.

Das Heer war nicht so groß wie jenes, welches damals Helms Klamm attackiert hatte. Aber beinahe. "Achttausend Mann", schätzte Haldir zu seiner Rechten. Auch er hätte diese Zahl genannt. Der trübe Himmel schien noch tiefer als ohnehin zu hängen, und hatte sich verdunkelt, als wolle er einen Schleier über die sich nähernde Schlacht breiten. Dunkle Gewitterwolken begannen sich am Horizont anzusammeln und schon jetzt ahnte man die Heftigkeit des aufkommenden Sturmes, denn es war unnatürlich windstill. "Einen Kampf auf offenem Feld zu riskieren käme einem Selbstmord gleich", murmelte er und zog sich den Mantel enger um die Schultern. Königliches Blau, welches ihn zwar von weithin sichtbar machte, ihn allerdings kaum wärmen mochte bei diesen klirrenden Temperaturen. "Es bleibt zu hoffen, dass wir sie in die Wälder locken und somit ihre Macht teilen können. Sind sie erst einmal im Wald, wird es ein Leichtes sein, sie auszuschalten." Es war Elrond, der gesprochen hatte. Auch er hatte seine Tunika gegen silberne Rüstung, weißen Umhang und Schwert eingetauscht, bloß der goldene Stirnreif, den er stets zu tragen pflegte, zierte nach wie vor sein dunkles Haupt. Aragorn wusste, dass seine Worte gut gemeint waren. Doch sie wussten alle, wie diese entscheidende Schlacht ausgehen würde. Die Verhältnisse standen 4:1. Auf jeden der ihren kamen vier Orks, Uruks oder Dunkelmenschen. Und etwas sagte ihm, dass die Angreifer nicht blind in den Wald und somit in ihr Verderben laufen würden. Zum ersten Mal in seinem Leben musste er sich eingestehen, unbeschreibliche Angst zu verspüren.Denn wenn nicht bald ein Wunder geschah, würde Lórien von den Karten Mittelerdes getilgt sein, noch ehe die weiße Sonne am nächsten Morgen aufging.

"Lasst uns zu den Männern sprechen. Sie warten bereits ungeduldig auf dem Hauptplatz", meinte Haldir und verließ als erster den Wachposten. Elrond jedoch wandte sich dem König zu und sprach: "Durchdenkt die Wahl eurer Worte gut. Jeder einzelne der Männer weiß, wie es um sie steht. Doch sie wollen an einen Sieg glauben. Lasst sie es tun, auch wenn es einer Lüge gleichkommt."

Aragorn nickte stumm.

Es hätte diesen Ratschlages nicht bedurft. Schon einmal hatte er Kriegern eine Rede halten müssen, die in eine Schlacht ritten, deren Ende ungewiss war. Damals jedoch hatte es einen winzigen Hoffnungsfunken gegeben, der ihnen Mut gemacht hatte. Heute war die Bedrohung die Gleiche. Der Funke allerdings war verloschen.

Nicht bloß die Kälte ließ ihn am ganzen Körper zittern, als er die Leiter zum Boden hinabkletterte.

*

Dass es zu einer Schlacht kam , lässt sich an dieser Stelle nicht verschweigen. Die Angreifer taten den Verteidigern wie erwartet nicht den Gefallen, in den Wald einzudringen, sondern überrannten die ersten Reihen der Elben und begannen, die uralten Bäume auf brutalste Weise zu schlägern und umzuwerfen. Manche gossen, schreiend und gefangen im Zerstörungswahn, Öl über die Bäume und legten Feuer an den Wurzelstöcken. Dann tanzten sie vergnügt um die geschändeten Pflanzen und hackten auf ihnen herum, als wären sie es, die es zu bekämpfen galt.

Nie würde das Volk der Elben jenen dunklen Tag vergessen, und selbst als längst wieder junge Bäume die alten ersetzt hatten, erzählten sie einander an regnerischen und nebligen Tagen die traurige Geschichte der Weltenschlacht, denn so wurde sie genannt. Woher dieser Name? Zum einen, weil nicht nur Wesen Mittelerdes in ihr kämpften. Zum anderen, weil folgendes an jenem stürmischen Wintertag geschah.....

*

Das Tosen der Schlacht war schon aus Kilometern Entfernung neben dem Heulen des Sturms zu vernehmen gewesen, und schon lange vorher hatten die beiden Reiter schwarze Rauchsäulen zum ebenso schwarzen Himmel aufsteigen sehen. Dies spornte die beiden noch mehr an und sie gaben ihren Pferden die Sporen und trieben sie mit lauten Rufen zu noch höherer Geschwindigkeit an.

Den letzten Hügel endlich hinter sich gebracht, sahen sie nun endlich, was in Lórien vorging. Und was sie sahen, trieb Legolas die Tränen in die Augen. Er hatte es schon vorher gehört, das Schreien der Bäume, kaum zu vernehmen zwischen dem Blitzen und Donnern und Lärm der Heerscharen. Doch er hatte es nicht glauben wollen. Nun sah er es ganz deutlich: Diese Monster hatten eine riesige Fläche des Waldes kahlgeschlagen. Feuer und Qualm dominierte die verkohlte Landschaft unter ihnen, und dazwischen liefen unzählige Gestalten, die scheinbar völlig planlos durch die Gegend eilten. Zwar war der Widerstand noch nicht ganz gebrochen, denn vor allem an der Front tobten noch erbitterte Kämpfe, doch es waren aussichtslose Gefechte. Bereits jetzt lag ein ansehnlicher Teil des Heeres, welches sich den Angreifern entgegengestellt hatte, erschlagen auf dem ganzen Schlachtfeld verteilt. Legolas krümmte sich wie unter Schmerzen, denn was er sah und spürte drückte plötzlich auf ihn nieder wie eine Flutwelle. Er hatte Schlachten gesehen, weit größer als diese hier. Doch als Elb wusste er, dass hier mehr starb als bloß ein paar seiner Leute und einige Bäume. Calad wieherte leise, als sie die Unruhe ihres Herren spürte. "Es sieht nicht gut aus", bemerkte Amdir, "seid Ihr sicher dass...?" Legolas nickte entschlossen. Natürlich war er das. Er wusste, was ihn in diesem Inferno da unten erwartete. Aber es war ihm egal. Wenn das alles hier vorbei war, würde er ohnehin nie wieder etwas fühlen können außer Leere und Kummer und Hass. Er hatte etwas verloren, das er noch nicht einmal besessen hatte. Diese Frau, so wurde ihm erst in diesem Moment bewusst, war das gewesen, worauf er all die Jahrtausende gewartet hatte. Die eine. Es hatte niemanden vor ihr gegeben und es würde keine nach ihr geben. Wozu also weiterleben? Wenigstens Rache an ihren Tod würde er nehmen, auch wenn ihm dies keine Befriedigung geben würde. Bloß ihr Gesicht und ihr süßes Lachen hätten dies gekonnt.

Mit einem Ruck nahm er Pfeil und Bogen zur Hand, nickte Amdir zu und begann, auf Calad den Hügel hinabzujagen. Wind peitschte ihm ins Gesicht, riss an seinen Haaren und blähte seinen grauen Mantel auf. Ein grimmiger Ausdruck lag auf seinem schönen Gesicht. Wenn er schon starb, dann würde er so viele Feinde mit sich nehmen wie nur irgend möglich.

*

"Nun, wie gefällt es dir?"

Grennrey ließ ihren Blick über das brennende, von weißem, beißendem Rauch erfüllte Schlachtfeld gleiten. Blitze zwischen den schwarzen Wolken zerrissen die junge Nacht und ein furchtbarer Sturm tobte über den Kämpfenden. Tote Elben, wohin man sah, nur wenige dunkle Gestalten lagen zwischen den brennenden Bäumen. Bloß eines fehlte. "Ich vermisse meine Schwester...", murmelte sie unzufrieden. Was sollte das für eine Rache sein, wenn Galadriel unbeschadet davonkam?

Sauron- oder das, was er und der junge Magier von einst nun zusammen bildeten- hob eine Augenbraue. "Ich sehe, du bist nicht leicht zufrieden zu stellen. Ich schlage vor, wir machen uns auf den Weg in den Palast."

Aragorn, der gerade frei von Angreifern war, hatte die Szene beobachtet, und erblasste, als er die beiden im Wald verschwinden sah. Zwar verstellten ihnen viele tapfere Männer den Weg, doch der Wächter tat bloß zwei mächtige Streiche mit dem Schwert und die Elben wurden zurückgeworfen, wie Blätter, durch die der Wind fuhr. ARWEN!

Seine Männer im Stich zu lassen wäre ein schwerer Fehler gewesen in diesem Moment. Was würden sie denken, wenn ihr Anführer sich plötzlich zurückzog? Doch: Was blieb ihm anderes übrig?

Da erblickte er zwei Reiter, die den Abhang am Ende des Feldes herabritten und sich mit wunderbarer Geschwindigkeit ihren Weg zu ihm durch bahnten. Sein Gesicht war ungewohnt finster und hart, doch erkannte er seinen alten Freund bereits an der Art, wie er seine Pfeile abschoss, wieder. "Legolas!", rief Aragorn erfreut und konnte seinen Augen kaum glauben. Und Amdir! Sie hatten die Hilfe des Magiers bitter nötig! Legolas feuerte noch einige Pfeile, bevor er vom Pferd sprang und zu Aragorn hinlief. "Was...?"- "Wir kamen zu spät. Sie ist tot", berichtete der Elb. Erst jetzt bemerkte Aragorn , WIE sehr sich der Elb verändert hatte: Zwar merkte man ihm Äußerlich nichts an, denn bis auf seine Augen, die nun furchtbar alt und müde schienen, war er noch derselbe Elb, den er kannte. Doch sein Lächeln, als er ihn erblickt hatte, war nicht von Herzen gekommen wie sonst immer, und seine Gestalt wirkte auf undefinierbare Weise gebeugt, als läge ihm eine schwere Last auf den Schultern. Fast hätte er seine Worte überhört, so besorgt war er über den Zustand des Prinzen. "Tot?", wiederholte Aragorn verwirrt. Hatte er etwa ein Gespenst gesehen? "Tot wie Alagos, dieser elende Verräter", mischte sich Amdir nun ein, der auch herbeigekommen war und schoss einen Pfeil nach einen Dunkelmenschen mit gekrümmtem Schwert. Aragorn verstand gar nichts mehr. Doch was immer ihm die beiden auch zu erzählen hatten- es musste auf später verschoben werden. Falls es noch ein Später gab, schoss es ihm durch den Kopf. "Der Palast! Sie sind auf dem Weg zum Palast! Arwen, das Kind und Galadriel sind dort!" "Dann kommt!" Legolas schwang sich mühelos auf den Sattel und zog Aragorn kurzerhand mit sich auf Calads Rücken, "lasst uns retten, was noch zu retten ist!"

*

Beim Palast angekommen, stießen sie bereits auf die ersten Leichen der Palastwachen. Das Schlimmste befürchtend stürmten sie die lange Treppe nach oben, ohne auch nur ein einziges Mal anzuhalten, liefen schnell und mit gezogenen Waffen durch die Gänge, die ebenfalls von leblosen Körpern im Weiß der Wachen gepflastert waren. Das Tor zum Thronsaal stand halboffen. Ein gespenstisches, grünes Leuchten fiel durch den Spalt auf die reglos daliegende Gestalten der beiden Thronsaalwachen.

Nicht bloß Legolas bekam ein mulmiges Gefühl im Bauch. Die beiden Männer wiesen keine äußerlichen Verletzungen auf und auf den ersten Blick sahen sie so aus, als ob sie schliefen. Ihre Waffen steckten noch unberührt in den Hüllen. Ihr Mörder musste sie vollkommen überrumpelt haben.

"Ein Weltentor?" Es war Amdir, der sprach. Er schien verwirrt zu sein. Legolas wurde stutzig und riss sich von den Toten los. Es war niemals gut, wenn ein Zauberer verwirrt war, oh nein, er sprach da aus Erfahrung.

Aragorn hob sein Schwert. "Weltentor hin oder her, wir müssen wohl oder übel da hinein." Und damit stieß er ohne Vorwarnung das Tor mit dem Fuß zur Gänze auf.

Legolas erkannte sie nicht sofort.

Bloß einmal hatte er sie in einem Kleid gesehen, nämlich auf Arwens und Aragorns Hochzeit. Wie angewurzelt blieb er in der Tür stehen. Amdir und Aragorn machten noch einen Schritt in den Saal hinein, verharrten dann aber ebenfalls ungläubig Mitten im Schritt.

Da war Arwen, die zitternd am gegenüberliegenden Ende des Saales stand, das Kind fest gegen ihre Brust gedrückt, im Versuch, es zu beruhigen. Dennoch weinte es leise und unruhig, als spüre es, was hier vorging.

Auf dem Thron saß der Wächter, gehüllt in eine spürbare, düstere Wolke aus Dunkelheit und Macht. Gerade und königlich wie er auf dem hölzernen Thron saß, wirkte er furchteinflößender und mächtiger als je zuvor.

Er sah ihnen bereits entgegen und nickte freundlich, als wären sie Besucher, deren Ankunft er bereits erwartet hatte. "Seid gegrüßt, König. Und auch du, Amdir, alter Freund." Sein kalter Blick ruhte nun auf Legolas, der gebannt auf die schlanke Frauengestalt im grünen Kleid starrte, die ihm den Rücken zukehrte. Wie damals, auf der Hochzeit, hielt sie ihre Arme erhoben und flüsterte Zauberformeln, während Energie in grünen Strömen aus ihren Händen floss und sich in Form eines Dimensionstores vor ihrem Körper vereinigte. Am Rande dieses Tores stand Galadriel, ruhig und mit traurigem Gesicht. Doch Legolas nahm sie kaum wahr. Fassungslos starrte er auf Gena. Sein Körper war wie sein Verstand von einem Moment auf den anderen vollkommen gelähmt. Hätte ihn nun jemand angegriffen, er hätte sich nicht zu wehren vermocht.

"Prinz, Ihr seht blass aus. Geht es euch nicht gut? ", fragte der Wächter und seine Stimme troff vor Hohn.

Legolas hörte ihn nicht. Blut rauschte pochend durch seine Ohren, so laut, dass er nichts als seinen eigenen Herzschlag vernahm.

"Ge...Gena?", krächzte er leise.

Dann, endlich, drehte sie sich um, und er sah, dass er einem schrecklichen Irrtum unterlegen war.

"Du meinst dieses Menschlein?" Ihre schwarzen Augen funkelten gehässig. "Tut mir leid, sie wird wohl nie wieder kehren. Und wage es nie wieder, ihren Namen in meiner Gegenwart auszusprechen. Sie hat mir schon genug Schwierigkeiten beschert." Sie machte eine Geste auf das Weltentor. "Und nun lass mich in Frieden. Wie du siehst, wird uns die Herrin des Waldes heute verlassen. Etwas, das sie schon vor Jahren hätte machen sollen, hätte sie gewusst, was gut für sie ist."

Legolas musterte Galadriel verwirrt. Erst jetzt bemerkte er, dass sie sich nicht bewegen konnte. Ein Zauber schien sie gefangenzuhalten. "Es ist mein Schicksal, Legolas", meinte die Dame ruhig und lächelte traurig, "einst machte ich einen großen Fehler. Ich schnitt in mein eigenes Fleisch. Nun bekomme ich den Schmerz zu spüren, den ich verursachte."

"Wie einsichtig sie doch ist", grinste Grennrey, "dabei werde ich sie doch gar nicht töten, bloß verbannen in eine Welt wo Tod und Chaos herrscht."

Endlich begann die Zeit sich wieder in Bewegung zu setzen.

Der Wächter schwang sich aus dem Thron, stieg die drei Stufen zu ihnen herab und ging auf Arwen zu. Aragorn sog scharf Luft zwischen den Zähnen ein und machte einen entschlossenen Schritt nach vor, blieb aber plötzlich stehen, als hielte ihn etwas mit aller Macht zurück. "Ich ... kann mich nicht bewegen!", rief er erschrocken und versuchte verzweifelt, einen weiteren Schritt zu machen. Vergebens.

"CURUNIR! Hörst du mich!?", drang es von dort, wo Amdir stand.

Der Wächter zuckte wie unter einem Hieb zusammen und blieb stehen. Langsam, ganz langsam wandte er sich zu dem jungen Istar um- und von Arwen ab. Sofort trat eisige Stille im Raum ein und knisternde Spannung entstand zwischen den beiden dunklen Gestalten.

"Nenne nie wieder diesen Namen", zischte der Wächter und es klang wie das Brüllen von Dämonen, urböse und gebieterisch.

Selbst Grennrey sah überrascht auf.

"Warum? Fürchtest du, dass deiner kleinen Geliebte von Früher Erinnerungen kommen? Oder fürchtest du gar, dass Curunirs Geist dich heimsucht?"

Der Wächter drehte sich nun endgültig um. Mit langsamen Schritte, dunkel wie eine Gewitterwolke und zu seiner vollen Größe aufgerichtet kam er auf Amdir zu. "CURUNIR IST TOT!", brüllte er, mit einer Stimme, die nicht mehr länger die seine war.

Und endlich begriff Legolas. Der Magier wollte den Wächter bloß ablenken. Rasch ergriff er seine Chance und rannte zu Arwen hin. "Schnell", bat er flüsternd, "folgt mir!"

Während er sie und ihr Kind durch das Tor nach draußen drängte, hatte der Wächter Amdir an der Gurgel gepackt und ihn quer durch den Raum geschleudert. Amdir, getragen von einer unsichtbaren Macht, kam federnd auf seinen Füßen auf und lachte leise. "Ist das alles, was dir dein Va lacha gebracht hat? Wenn ja, dann muss ich sagen, hat sich seit unserem letzten Treffen nicht viel verändert! Du bist noch immer der Möchtegernzauberer von einst!" Legolas staunte nicht schlecht. Was Amdir da tat war absolut selbstlos, eine Fähigkeit, die er dem Ostelben nicht hätte zukommen lassen- vor wenigen Minuten jedenfalls.

Aragorn konnte sich zwar immer noch nicht bewegen, doch sprechen konnte er wenigstens: "Galadriel! Du musst sie schützen!", rief er dem Elben zu, als dieser hinter ihm das Tor schloss.

Legolas nickte, zog sein Schwert, zögerte aber noch eine Sekunde, bevor er zu Grennrey ging. Der Wächter war gerade damit beschäftigt, seinem ehemaligen Kollegen die Überlegenheit seiner neuen Kraft zu demonstrieren und würde, wenn er Glück hatte, lange genug abgelenkt sein, um ihm die Gelegenheit zu geben, das Weltentor irgendwie zu schließen. Um das zu tun, musste er allerdings an Grennrey ran, sie möglicherweise verletzen. Und immerhin war es noch immer Genas Körper. Verflucht kompliziert. "Eine ziemliche Zwickmühle, nicht wahr?" Grennrey hatte ihre Arme sinken lassen und sah mit stolz funkelnden Augen auf ihr vollendetes, grünleuchtendes Werk auf. "Dabei ist sie doch bloß eine Hülle".

Amdirs Schrei gellte durch die Halle. Der Wächter hatte ihn gegen eine Wand geschmettert, und schien ihm nun das Leben aus dem Leib pressen zu wollen.

Legolas spürte, wie Schweiß auf seine Stirn trat. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Er sah auf die Waffe in seiner Hand, dann zu Grennrey hin. Dann tat er etwas, womit er selbst im Moment nicht gerechnet hatte. Er warf die Waffe beiseite. Aus freiem Willen.

Grennrey wirkte ein wenig verwirrt. "Was soll das? Willst du mich nun überreden, meine Meinung zu ändern? Mach dich nicht lächerlich, Junge."

Ihr Spott ließ ihn kalt. Wenn sein Plan wirklich funktionieren sollte, musste er ruhig bleiben. Langsam einen Schritt nach dem anderen machend ging er auf Grennrey zu, die ihm teils zornig, teils verwirrt entgegensah. Dann grinste sie plötzlich und meinte: "Ich muss zugeben, irgendwie gefällt mir das. Mein Verlobter wird zwar nicht damit einverstanden sein, aber..." "Du fragtest mich, ob ich je richtig geliebt hätte", unterbrach er sie mit sanfter Stimme, und blieb nahe vor ihr stehen. Grennreys Augen begannen wütend zu funkeln. "Was redest du, du Narr? Begreifst du nicht ? Sie ist tot! Endgültig! Hör auf damit...." Sie verstummte, und es schien, dass es nicht ganz ihr eigener Wille war, der dies bewirkte. Legolas war es gelungen, ihren Blick zu fangen und tief in ihre Augen einzutauchen. Sie wollte das Gesicht von ihm abwenden, doch er packte sie schnell am Genick und hielt sie fest. "Damals sagte ich nein. Doch nun haben sich die Dinge geändert."

Er fühlte, wie ihr zerbrechlicher Körper unter seinen Händen fast unmerklich zu zittern begann. Ihre Haut wurde noch blässer, und auf ihrer Stirn trat eine Ader hervor. Ihr Nacken fühlte sich auf einmal furchtbar heiß an. Ein Hoffnungsschimmer begann sich in Legolas' Herz zu regen, doch noch erlaubte er sich nicht, an das Unmögliche zu glauben. Er spürte ihren Kampf, wenngleich er weniger heftig als erhofft war. Gena war noch nicht völlig verschwunden, sie hatte bloß geschlafen. Und er betete voller Inbrunst, seine Worte hatten sie wachzurütteln vermocht, denn nicht nur seine Zukunft würde von dem abhängen, was jetzt geschah.

Ein markerschütternder Schrei drang von hinten zu ihnen, und eine grollende Stimme lachte: "Kein angenehmes Gefühl, wenn einem sämtliche Knochen im Körper gebrochen werden, nicht wahr, alter Kollege? Ich hoffe, diese kleine Machdemonstration hat dich zufriedengestellt."

Legolas wirbelte herum. Amdir klebte regelrecht auf dem Tor, leise stöhnend, das Gesicht zur Seite gewandt, als würde er von einer unsichtbaren Hand gegen das dicke Holz gepresst. Der Wächter stand nur wenige Schritte mit erhobenem Arm vor ihm am Boden. Seine Hand begann sich immer weiter zu einer Faust zu schließen. Durch seine Finger trat grellweißes Licht, das dunkle, furchteinflößende Schatten auf seinem Gesicht entstehen ließ. In seinen Augen glühte ein dämonisches Feuer, und Legolas hätte sich nicht gewundert, wären im nächsten Moment flammende Blitze daraus hervorgeschossen. Schaudernd sah er die Veränderung im Gesicht des Wächters. Seine Schönheit schien seine Boshaftigkeit eher zu unterstreichen, als ihr an Wirkung zu rauben. Sollte er dem Magier helfen? Amdir brüllte erneut vor Pein auf, und Legolas wurde ganz anders zumute, als er das Knacken von Knochen hörte. Panisch sah er in Grennreys Gesicht. Ihre Gestalt war leicht nach vor gebeugt, während ihr Blick unsehendst durch den Saal irrte. Es war, als wüsste sie nicht, wo sie sich befand. Auf ihrer Stirn stand Schweiß. "Curunir!", krächzte sie heiser, und es war weder die Stimme der Magierin noch die der Menschenfrau. Als Amdir das nächste Mal schrie, hatte Legolas bereits seinen Bogen gespannt und feuerte einen Pfeil auf den Wächter ab. Wie erwartet verfehlte er sein Ziel, obgleich er ein ausgezeichneter Schütze war. Doch er hatte auch nicht vorgehabt, den Mann zu töten. Er sollte bloß damit aufhören, den schwerverletzten und wehrlosen Magier unnötig zu quälen. Zu seiner Überraschung wandte sich der Wächter wirklich von seinem Opfer ab, welches er kurzerhand zu Boden fallen ließ, wobei es sich sicherlich noch einige zusätzliche Knochen brach oder verrenkte. Legolas verzog schmerzhaft und entschuldigend das Gesicht, als Amdir ihm einen kurzen Blick aus verschleierten Augen zuwarf und schließlich ohnmächtig zusammensackte.

Der Wächter sah erst ihn, dann Grennrey hinter ihm ausdruckslos an. "Was soll der Unsinn, Prinz?", grollte er wütend und streckte einen Arm aus. Legolas' Schwert, dass lange unangetastet am Boden gelegen hatte, segelte durch die Luft in seine schwarz behandschuhte Hand. "Ich habe nicht Jahre auf diesen Tag gewartet, damit Ihr ihn mir wieder zunichte macht! Und nun geht mir aus dem Weg und lasst mich zu meiner Verlobten durch!" Legolas musste zugeben, er hätte nichts lieber getan. Doch er durfte nicht. Alles was Gena brauchte, war Zeit, dessen war er sich ganz sicher. Verzweifelt warf er einen Blick über die Schulter zurück. Sie hatte nun aufgehört zu zittern und blinzelte ihn an, als erkenne sie ihn nicht wieder. "Gena?" Seine Stimme zitterte vor Anspannung, und er fühlte sich plötzlich unsäglich schwach und wehrlos. Bitte. Bitte. Bitte lass sie es sein. Sie blinzelte verwirrt. Dann schüttelte sie den Kopf. "Nein. Gena ist tot."

"Legolas! No tiriel!", warnte Aragorn, der wie Galadriel noch immer ein hilfloser Zuschauer in dem Szenario war.

"Es sieht ganz so aus als wirke euer Scharm nicht ganz so wie ihr angenommen habt", höhnte der Wächter mit erhobener Waffe.

Legolas sah das Blitzen seiner eigenen Waffe, die nun gegen ihn selbst gerichtet war, verspürte aber dennoch nicht die Angst, die er angesichts dieser Gefahr hätte empfinden müssen. Er hatte versagt. Mittelerde war verloren. In großen, rot leuchtenden Lettern stand ihm diese Botschaft vor den Augen.

Der Wächter lächelte, wollte auf ihn zugehen, schien es sich dann aber wieder anders zu überlegen.

"Ich will euch die Chance geben, euch zu verteidigen."

Oh, wie großmütig von ihm. Und womit?

"Ich habe keine Waffe", bemerkte Legolas. Der Wächter zuckte mit den Schultern und grinste. "Ich habe gehört ihr Waldelben seid ein verteufelt flinkes Volk." Und damit hob er sein Schwert und griff brüllend an.

Legolas sprang zur Seite, rollte sich über den Boden ab und kam schnell wieder auf die Beine, doch kaum hatte er den Blick erhoben, stürmte der Wächter von neuem auf ihn zu. Wieder gelang es ihm, dem Elben auszuweichen und wieder hörte er den frustrierten Schrei des Dunklen, als sein Hieb ins Leere ging.

Doch als er sich zum dritten Male aufrichtete und auf einen Angriff wartete, blieb der Magier plötzlich stehen, holte blitzartig aus und schleuderte die Waffe nach ihm. Legolas machte sich bereits darauf gefasst, sich jeden Moment in den Hallen seiner Vorfahren wiederzufinden, da geschah etwas, womit weder der Wächter noch er gerechnet hatten: Die Waffe blieb kurz vor seiner Brust in der Luft stehen, machte eine Kehrtwendung um 180 Grad und flog, die tödliche Spitze nun auf jenen gerichtet, zum dunklen Herrscher zurück.

Völlig verdattert beobachtete Legolas, wie die Waffe mühelos den schwarzen Brustpanzer durchbohrte und der Magier keuchend zurücktaumelte. Mit einem fassungslosen Blick auf das Schwert in seiner Brust ging der Wächter in die Knie. In seinen Augen stand Unglauben geschrieben. "Dieser verdammte...sterbliche Körper", fluchte er in seinem letzten Atemzug und fiel vornüber. Legolas blinzelte verdutzt. Was zum...? Amdir? Nein- er sah zum Tor hin- der lag noch immer besinnungslos am Boden. Er konnte es nicht gewesen sein. Und Galadriel konnte sich nicht bewegen. Aber wer sonst...? "Du musst mir noch sagen, in wen du dich verliebt hast", verlangte eine wohlbekannte Stimme hinter ihm. Legolas keuchte erschrocken und fuhr herum. Da stand sie, Gena, noch immer ein wenig kränklich aussehend und ein wenig wackelig auf den Beinen, aber mit einem schelmischen Lächeln im Gesicht und in ihren Augen. In ihren schönen, braunen Augen. Als er ihre Augen sah, konnte er sich nicht weiter beherrschen. Er lief zu ihr , schloss sie fest in die Arme und betastete ihr Gesicht und ihre Schultern dabei, als konnte er nicht glauben, dass sie wirklich war. "Amin mela Ile!", flüsterte er, übermannt von seinen Gefühlen. Seine Hände glitten zärtlich über ihr Gesicht und wischten die Tränen, die auf ihren Wangen lagen, behutsam fort, "Rangwa?! Amin mela Ile! [Verstehst du?! Ich liebe dich!]" Gena lachte erschöpft und presste sich eng gegen seine Brust, so eng, als versuche sie eins mit ihm zu werden. "Aber ich habe dich doch sterben gesehen...in den Mienen Morias! Ein Pfeil traf dich in die Brust! Wie..."- "Du hast einen Elben sterben sehen, das stimmt", unterbrach sie Legolas traurig lächelnd und streichelte zärtlich ihr Haupt, "doch es war Erelen, dem der Pfeil galt, nicht ich. ER hat dich getäuscht." Gena erinnerte sich daran, das Gesicht des Toten nicht deutlich gesehen zu haben und spürte flammenden Zorn in sich aufwallen. Wie hatte sie nur so naiv sein können! Wütend ballte sie die Hände zu Fäusten, beruhigte sich aber schnell wieder. Die Lügen des Wächters spielten nun ja keine Rolle mehr- alles hatte sich doch noch zum Guten gewendet, so schien es. Das Morden hatte sein Ende gefunden, und nie wieder würde sich etwas oder jemand zwischen sie beide drängen.

Sie hob den Kopf und sah dem Prinzen lange fest in die Augen. "Diola Ile, bel nîn. [Danke, meine Kraft]". Dann küssten sie einander, zärtlich, sehr vorsichtig und mit all ihren Sinnen, denn im Grunde war es ja ihr erster, richtiger Kuss, bei dem sie beide sie selbst waren.

Gena wusste nicht, ob ihr wegen dem Kampf mit Grennrey oder dem Kuss schwindelte, als sich ihre Lippen nach dem fabelhaftesten Kuss, den sie in ihrem Leben erlebt hatte, voneinander lösten.

Legolas drückte sie noch einmal kurz an sich, dann schob er sie ein Stück von sich und sah sie an, als könne er noch immer nicht ganz glauben, was da in wenigen Sekunden alles geschehen war. Noch nie hatte er Erleichterung und Freude in solchem Ausmaß empfunden.

Und noch nie war ihm etwas so schnell und grausam wieder entrissen worden.

Genas Schultern verkrampften sich plötzlich unter seinen Händen, und ihre Pupillen weiteten sich voller Unglauben und Entsetzen. Ein stummer Schrei drang aus ihrem halbgeöffneten Mund. Auf dem grünen Stoff an ihrer Brust erschien ein Blutfleck, der sich entsetzlich schnell ausbreitete. Legolas Lächeln gefror zu Eis, und als sie langsam in die Knie sank, hatte er das Gefühl, sich in einem skurrilen Alptraum zu befinden. In ihrem Rücken stak ein Schwert. Sein Schwert. "Auch ihr Körper ist...sterblich. Das solltest du nie vergessen, Prinz", keuchte die Stimme des Wächters. Er lebte, wenngleich sein Körper tot war. Bloß die Magie in ihm hatte ihn dazu gebracht, sich ein letztes Mal aufzubäumen und diese schreckliche Tat zu vollbringen.

Und die selbe Magie entriss sie plötzlich seinen Armen und zog sie von ihm weg. Zu spät begriff Legolas den Zweck dieser Aktion: Der Wächter wollte sie durch das Weltentor stoßen. Er begann zu laufen, doch der Dunkle war schneller: Alles, was er tun konnte war, Genas Gestalt im grünen Nebel verblassen zu sehen. Danach schloss sich die kleine, verbliebene Öffnung mit vermehrter Geschwindigkeit. Alles sah wieder wie immer aus, nichts erinnerte mehr an das Tor, das sich vor wenigen Augenblicken noch hier befunden hatte. Legolas brüllte vor Schmerz und Wut. Tränen des Zorns entstanden in seinen Augen und er hatte plötzlich unglaubliche Lust, irgendetwas zu zerstören, zu zerreißen- zu töten. Doch seine Rache sollte ihm verwehrt bleiben. Der Wächter lachte ein letztes Mal triumphierend und unendlich böse ins Gesicht, dann wich der letzte Rest Saurons dunkler Magie und die von Curunir, dem eifrigen jungen Istar, aus seinem Körper und er starb.

Von Aragorn und Galadriel war der Bann gewichen, der sie gehalten hatte, doch dies nahm er nur mehr am Rande wahr. Bebend stand er in der verwüsteten Halle und starrte auf die leere Stelle vor ihm, wo nun alles wieder ganz so aussah wie immer. Und trotz seiner Freunde, die ihm tröstend beiseite stehen würden, kam er sich plötzlich von aller Welt verlassen und furchtbar allein vor.

*

Sie schlug blinzelnd die Augen auf. Eine zeitlang tanzten kleine, bunte Würmchen durch die Luft und auch das Gesicht über ihr verzerrte und verformte sich unentwegt. Sie erschrak, als sie eine furchtbar klingende Stimme vernahm, möglicherweise von dem hässlichen Gesicht, möglicherweise aber auch von irgendwo anders. Sie fühlte sich...wohlig. Als schwämme sie in einer zähflüssigen, warmen Masse, die sich an ihren Körper schmiegte und sie zärtlich hin- und herwiegte. Da war dieser Traum gewesen, so verwirrend und voller fremder Wesen und Dinge....sprechende Krähen, Elben, Zwerge und ein goldener Zauberwald. Sie lächelte, ohne es zu bemerkten. Dann zwickte sie irgendetwas in den Oberam. Der Schmerz riss sie brutal aus ihrem gemütlichen Halbschlaf und ließ Gefühl in ihren Körper zurückkehren. Aus der warmen Masse wurde eine ganz gewöhnliche Matratze und eine weiche Decke, die lustigen Würmer verschwanden und das Gesicht hörte auf, ständig seine Umrisse zu verändern. Allerdings wurde es dadurch kaum schöner. Ein Krankenzimmer. Weiße Wände, weiße Vorhänge, metallenes Bettgestell. "Na, sind Sie nun endlich wach?", keifte das schmale, hoffnungslos überschminkte Frauengesicht und zog eine der mit schwarzem Kajal aufgezeichneten Brauen nach oben. Gena konnte nicht anders, als die Braue fasziniert anzustarren. Sie erinnerte sie an die Würmer, die sie gerade gesehen hatte. Die Haut der Frau wirkte vertrocknet und war viel zu dunkel, vermutlich hatte sie zu viele Stunden im Sonnenstudio verbracht, und ihre wasserstoffblonden, schulterlangen Haare erinnerten in ihrer Beschaffenheit eher an Besenborsten. Ihre Lippen waren pink. Gena grinste. Die Frau schien diese Reaktion falsch aufzufassen und kniff sie erneut in den Oberarm. Gena schrie erschrocken und schlug ihre Hand beiseite. "Hey! Hören Sie auf damit!" Die Schwester grinste schadenfroh. "Können Sie sich noch an irgendetwas erinnern, Frau Ransberg?", wollte sie wissen. Frau Ransberg...ja, so hieß sie, da war sie sich ziemlich sicher. Wie ungewohnt dieser Name in ihren Ohren klang. "Woher kennen Sie meinen Namen?" "Einer der Ärzte hat Sie wiedererkannt...er hat Sie vor einigen Monaten bereits einmal behandelt. Damals hat man Sie mit einer Gehirnerschütterung, einem gebrochenen Bein und ein paar gebrochenen Wirbeln eingeliefert. Wobei, wenn ich das bemerken darf, von Ihren alten Verletzungen so gut wie nichts mehr zu sehen ist." Das war also die hässliche Stimme gewesen. Der dazugehörige Herr in einem schlampigen Anzug hatte die ganze Zeit über auf der anderen Seite des Bettes gestanden. Er mochte um die 40 sein, hatte aber noch volles, braunes Haar, das er kurz trug, und strahlend blaue Augen. Wäre er rasiert und ordentlich angezogen gewesen, hätte sie ihn möglicherweise für gutaussehend gehalten. Und wäre er kein Polizist gewesen. Denn als solcher stellte er sich im nächsten Moment vor, indem er ihr eine Dienstmarke für etwa eineindhalb Sekunden vor die Nase hielt. "Inspektor Kaiser von der KRIPO", fügte er hinzu, ganz der Profi. Gena runzelte die Stirn. Sie war nahe dran ihn zu bitten, ihr die Dienstmarke noch einmal zu zeigen, verbiss es sich aber im letzten Moment. Der Kommissar war eingehüllt vom ekelhaften Gestank kalten Zigarettenrauches und sah hoffnungslos übernächtigt aus. Die Krankenschwester begann, an den Geräten, die über ihrem Kopf blinkten, herumzuwerkeln und verschiedene Schläuche, die von ihrem Körper weggingen, zu überprüfen. "Und was will die KRIPO von mir?", fragte Gena direkt. Ihre Stimme klang schwächer, als sie sich fühlte. Kaiser runzelte die Stirn und sah bedeutend auf ihren Oberkörper. Gena folgte seinem Blick und war ein klein wenig überrascht. Alles was zwischen Hals und Bauchdecke lag war mit dicken, weißen Mullbinden und Faschen eingewickelt. Sie hob eine Hand und berührte vorsichtig den festen Verband. Erst jetzt fiel ihr das fast angenehme Pochen auf, das sie die ganze Zeit über gespürt hatte. Vermutlich durfte sie den Ärzten danken, die sie mit schmerzstillenden Mitteln vollgepumpt hatten.

Kaiser hatte einen kleinen Notizblock aus der Tasche gezogen und aufgeschlagen. "Nach ihrem Autounfall verschwinden Sie spurlos aus dem Krankenhaus. Sie melden sich nicht bei ihren Eltern, ein paar Freunde berichten, sie hätten Sie nicht in ihre Wohnung einlassen, weil sie offensichtlich unter Verfolgungswahn litten. Drei Monate nach ihrem Verschwinden findet man ihre Studienkollegin und Freundin Kare Friedberg und ihren Verlobten Christian Windbaum tot auf der Straße vor der gemeinsamen Wohnung. Einige Nachbarn sind verletzt, erinnern sich aber nicht wirklich, was geschehen ist. Augenzeugen berichten von einer Frau am Tatort, auf die Ihre Beschreibung zutrifft." Kaiser legte an der Stelle eine wirkungsvolle Pause ein. Dann fuhr er im gleichen, sachlichen Tonfall fort: "Dann verschwinden Sie wieder für weitere zwei Monate. Dienstag vor einer Woche werden Sie schließlich von einem Pärchen im Park gefunden. Halbtot. In ihrem Rücken steckt nämlich ein mittelalterliches Schwert." Er sah auf. "Reichen diese Gründe, oder habe ich etwas vergessen?" "Ja, den Mann, dem ich die Finger gebrochen habe, die beiden Obdachlosen und Dutzende von Orks und anderen Monstern, die neben mir auch noch am TATORT waren." Sie sprach die Worte nicht aus, erschrak aber, als ihr der Gedanke kam. Orks? War es am Ende doch kein Traum gewesen? Sie sah noch einmal an sich herab. Hätte sie noch einen Beweis gebraucht- hier war er. Träume hinterließen keine solchen Wunden. "Geht es Ihnen gut, Frau Ransberg?" Die Schwester beugte sich besorgt über sie und legte ihr den Handrücken auf die Stirn. "Meine Güte, Sie glühen ja!" "Vielleicht ist Ihnen ja etwas eingefallen", mutmaßte Kommissar Kaiser und musterte sie prüfend. Gena schluckte hastig. "Mir ist...übel", log sie und versuchte, möglichst krank auszusehen, was nicht allzu schwer war. "Sie können mir gern sagen, was Sie bekümmert", bot Kaiser an, der ihr Spiel sehr wohl durchschaute. Gena beschloss, ihn nicht zu mögen und warf ihm einen entsprechenden Blick zu. "Ich glaube, sie braucht jetzt Ruhe", meinte die Schwester und tauschte über ihrem Kopf vielsagende Blicke mit Kaiser, "Sie sehen ja, wie blass sie ist." "Ja, ich fühle mich wirklich ziemlich schwach", bekräftigte Gena, "ich sollte etwas schlafen." "Tun Sie das", lächelte die Schwester, die ihr von Sekunde zu Sekunde sympathischer wurde, "Und Sie setzen Ihre Befragung am besten ein anderes Mal fort. Ich hätte sie gar nicht erst reinlassen dürfen. Sie sehen ja, dass sie Ruhe braucht." Es war keine Bitte, sondern ein Befehl. Gena grinste, aber erst, als Kaiser widerwillig grunzend den Raum verlassen hatte. Die Schwester, die ihn nach draußen geschoben hatte, blieb an der Tür stehen und lächelte: "Diese Polizisten. Immer eifrig bei der Sache. Denken Sie darüber nach, was Sie ihm antworten werden. Übrigens: Ich bin Schwester Klara." Gena lächelte dankbar. "Danke. Ich weiß selbst nicht so recht was das alles zu bedeuten hat. Ich erinnere mich bloß noch undeutlich"- was nicht einmal eine richtige Lüge war. "Kein Wunder", meinte Schwester Klara ernst, "Sie dürfen sich glücklich schätzen, noch am Leben zu sein. Sie hatten bereits eine Menge Blut verloren, als man sie gefunden hat. Das meiste, was nun durch ihre Adern fließt, hat einmal jemand anderen gehört." Gena blinzelte irritiert. Makaber. Was für eine seltsame Krankenschwester. Aber egal, sie hatte wohl recht. "Ich bin nicht so leicht umzubringen", grinste sie. Klara sah sie lange besorgt und ein wenig verwirrt an, dann ging sie. Sie wolle einem Arzt Bescheid sagen, meinte sie. Ein Arzt. Sie war in einem Krankenhaus, auf dem Weg der Besserung. In ihrer Welt, ihrer Heimat. Wie kam es, dass sie sich plötzlich so alleine fühlte?