Unklare Antworten

Die nächsten drei Tage vergingen ereignislos. König Melèchs drei verschiedene Gäste blieben, genossen seine Gastfreundschaft, obwohl König Elnon leicht ungeduldig zu werden schien, weil er anscheinend die wahren Gründe für seine Anwesenheit nicht verstand. Trotzdem, Jagdtage mit König Melèchs hervorragenden Hunden und Falken und Nächte voll luxuriösen Festen hielten seine Beschwerden bei einem Minimum.

Legolas behielt alles, was geschah, genau im Auge, obwohl es ihm bisher noch nicht viel geholfen hatte. Er beobachtete auch Lord Esgal sehr genau und der Schatten eines Verdachts begann, in ihm zu wachsen, aber was genau er bedeutete, konnte er nicht sagen.

Die Gelegenheit für Legolas, die Freundlichkeit, die Lord Esgal ihm gezeigt hatte, ihm zurückgeben vergelten zu können, kam recht unerwartet einige Tage später, und er hatte es nur seinem wachsenden Verdacht und seinem scharfen Verstand zu verdanken, dass der Elb sie als das erkannte, das was sie war.

Es war zur Mittagszeit und das Wetter war schön. Melèch und seine Gäste bereiteten sich darauf vor, auf eine weitere Jagdgesellschaft aufzubrechen und Legolas füllte Köcher und untersuchte Pfeile für sie, als die Pferde geholt wurden. Es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass keiner der Pfeile, die sie mitnahmen, gebogen oder falsch gefedert waren. Das Gefühl, die Pfeile in seinen Händen zu haben, entfachte in Legolas seinen tiefen Wunsch nach Flucht, aber im Hof des Palastes bewacht und von murrenden Wachen umgeben, hatte er kaum Zeit, an etwas derartiges zu denken.

Legolas betrachtete den Pfeil in seinen Händen. Er war annehmbar, aber konnte sehen, dass die Befederung ganz leicht ungenau war und der Kopf nicht ganz so spitz wie er hätte sein können. Mit leichter Verachtung steckte er ihn in einen der wartenden Köcher. Das war sogar noch einer der besseren Pfeile. In den Augen des Elben waren die Waffen der Menschen plump und unhandlich dem gegenüber, was er gewohnt war, aber er fühlte sich natürlich nicht dazu verpflichtet, das laut auszusprechen, weil Melèch seine Meinung sowieso egal war.

Nicht weniger als fünf Jagdfalken kreisten über ihnen und füllten die Luft mit ihren eifrigen Rufen, als sie darauf warteten, dass die Jagd begann.

König Melèchs großer schwarzer Jagdvogel glitt auf einer Luftströmung hinab, um anmutig auf dem Arm seines Meisters zu landen. Legolas hätte schwören können, dass die Kreatur ihn anstarrte, bevor er wieder davon flatterte, als würde er sich über die Tatsache lustig machen, dass es ihm frei war, zu gehen und zu kommen wie er wollte und Legolas nicht. Der Elbenbogenschütze überlegte ruhig, wie einfach es doch sein würde, den höhnischen Falken vom Himmel zu schießen.

Du hast Glück, dass ich nicht meinen Bogen habe, Spötter, dachte Legolas geringschätzig, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwand.

Plötzlich brach ein lauter Tumult über ihnen aus, als sich zwei Falken über irgendetwas stritten und zu kämpfen begann; sie flogen im Sturzflug aufeinander zu und stürzten aufeinander ein.

Einem von ihnen wurde einmal stark in den Flügel gehackt, er stürzte vom Himmel, fing sich erst, als er eine Manneshöhe vom Boden entfernt war und wandelte seinen Sturz in einen unbeholfenen Gleitflug. Der fallende Vogel traf fast Lord Esgal und der große Mann trat mit unglaublich schnellen und anmutigen Reflexen einen Schritt zurück. Der angreifende Vogel folgte seinem fallenden Gefährten nach unten, tief herabstoßend, seine ganze Aufmerksamkeit auf seine Beute gerichtet.

Unbeabsichtigt trat Esgal zurück in den Weg des herabstürzenden Falken.

Esgal duckte sich im letzen Moment, fiel auf ein Knie in einem Ausweichmanöver, das viel von seinen guten Instinkten verriet, aber die ausgefahrenen Krallen des Vogels hakten sich in den Turban, ohne den der Adelige nie gesehen zu werden schien. Der Vogel riss aus Versehen den Turban von Lord Esgals Kopf, als er sich aus seinem Sturz fing.

In diesem Augenblick, in dem alle anderen Augen auf die laut zankenden Vögel richteten, fing Legolas' scharfer Blick etwas auf, das seine wachsenden Vermutungen bestätigte. Er wusste auch, dass König Melèch und die anderen anwesenden Männer auf keinen Fall wissen durften, was er gerade herausgefunden hatte.

König Melèch wollte sich gerade umdrehen um sich bei seinem Gast zu entschuldigen, als Legolas absichtlich einen großen Ständer voll Jagdausrüstung, der früher an diesem Morgen gewissenhaft ausgesondert worden war, umstieß. Der schwer beladene Ständer fiel mit einem Krachen als Waffen, Ausrüstung und Fallen klappernd auf das Kopfsteinpflaster fielen. Der Lärm veranlasste alle Augen, sich auf Legolas zu richten, was genau das war, was der Elb gewollt hatte.

„Dummer Narr!", schrie Melèch verärgert seinen Sklaven an, als Legolas schnell geduckt zu Boden fiel und anfing, die Dinge wieder aufzusammeln. Der schwere Stiefel des Königs landete ihn einem harten Tritt in den Rippen des Elben und Legolas konnte nur verhindern, zur Seite zu fallen, weil er sich mit einer Hand abfing.

„Es heißt, dass Elben anmutig sind, aber ich hatte noch nie einen ungeschickteren Sklaven!", schimpfte Melèch wütend.

Unbemerkt von den anderen, die Melèch und Legolas beobachtete, zog Esgal schnell die Klammern, die es aus seinem Gesicht hielten, aus seinem langen braunen Haar.

„Es tut mir leid, es wird nicht wieder passieren", zwang Legolas sich zu sagen, während er seine Augen unten hielt, damit der König nicht sehen konnte, dass er nicht meinte, was er sagte.

Aus seinem Augenwinkel sah Legolas wie Esgal sein Haar nach vorne strich, sodass es sein Gesicht umrahmte und Ohren, Hals und Schultern bedeckte.

„Das sollte es besser nicht", schnaubte Melèch, aber er musste an diesem Tag wirklich in einer guten Stimmung gewesen sein, weil er die Sache fallen ließ und es Legolas nicht weiter nachtrug.

„Lord Esgal, ich hoffe, Ihr seid in Ordnung?" Melèch wandte sich entschuldigend seinem Gast zu.

Esgal nickte und hob seinen ausgewickelten, herabhängenden Turban wieder von dort auf, wohin er zu Boden gefallen war, etwas entfernt. „Es ist nichts passiert, König Melèch." Er wickelte seinen Turban schnell, wirksam und vorsichtig wieder um seinen Kopf.

„Es scheint als wären die Falken heute ebenso gut gelaunt." Es sprach ungezwungen mit dem König, aber seine Augen suchten Legolas, der immer noch kniend die verstreute Ausrüstung aufsammelte und ein stiller Blick des Verstehens wurde zwischen den beiden getauscht. Lord Esgal wusste, was Legolas getan hatte und warum.

***

Die Nacht brach herein und das Licht verblasste, aber Legolas arbeitete immer noch hart. Ihm war aufgetragen worden, das weiße und graue Kopfsteinpflaster zu säubern, das einen großen Teil des riesigen Hofes bedeckte. Legolas hatte auf Händen und Knien mit einem Eimer und einer Bürste schon seit Stunden die schmutzigen Fliesen geschrubbt. Vor noch nicht langer Zeit hatte er mit Leuten zu kämpfen gehabt, die ständig über die Flächen liefen, die er gerade erst geschrubbt hatte, und noch mehr Dreck dort verteilten, wo er sie gerade erst gewaschen hatte, aber jetzt war es still im Hof still und er war das einzige Lebewesen dort draußen.

Als er sich plötzlich einem Paar leichter, lederner Stiefel gegenüber fand, sah er auf, um Esgal auf ihn nieder schauen zu sehen. Dieses Mal war Legolas nicht überrascht. Er wusste, dass Esgal der einzige in diesem Palast war, der sich ihm nähern konnte, ohne, dass er davon wusste, und jetzt wusste er auch warum.

Legolas erhob sich auf seine Knie, setzte sich zurück auf seine Fersen und wartete darauf, dass der andere zuerst sprechen würde.

„Boden zu schrubben ist für einen Prinzen keine passende Aufgabe, fürchte ich", sagte Esgal ruhig und ging leicht in die Hocke, sodass er mit Legolas sprechen konnte.

Legolas erstarrte leicht und seine Augen verengten sich. Woher wusste Esgal, dass er ein Prinz war? Niemand hier wusste das, oder zumindest hoffte er, dass es niemand wusste.

Esgal schien seine Gedanken in seinen Augen lesen zu können. „Nein, dein Euer Geheimnis ist sicher, aber ich konnte Thranduils Sohn nicht ansehen und ihn für irgendjemand anderen halten. Prinz Legolas, nehme ich an?"

Legolas antwortete nicht, aber entgegnete seine eigene Feststellung. „Ihr seid ein Elb." Er wusste, dass es stimmte und das erklärte auch die seltsame Vertrautheit, die er Esgal gegenüber von Anfang an gespürt hatte. Trotzdem wusste der Prinz immer noch nicht, was dieses Wissen bedeutete. Nur, weil dieser Mann ein Elb war, machte ihn das noch nicht zu einem Freund und es bedeutete nicht, dass er nicht ein mit König Melèch verbündeter Feind war.

„Und Ihr wollt nicht, dass man es weiß, obwohl ich nicht weiß, welche Gründe dahinter stecken", sagte Legolas klar und deutlich. Natürlich wurde Legolas jetzt klar, dass in Elbisch ‚esgal' versteckt bedeutete; sehr geeignet für diesen Elb, wer auch immer er war. Es war ihm ein Rätsel, warum er nicht schon früher daran gedacht hatte, nahm aber an, dass man nichts fand, wenn man nichts suchte und er hatte keinen Grund gehabt, an die elbische Bedeutung des Namens dieses Mannes zu denken.

Eine von Esgals Händen hob sich und berührte die Seite seines Kopfes, wo seine anmutig spitzen Ohren behutsam vom Turban, den er trug, verdeckt wurden und es ihm möglich machte, als Mensch durchzugehen.

„Lasst es mich im Moment so ausdrücken, dass es wichtig ist, dass Melèch nicht weiß, wer ich bin", sagte er irgendwie rätselhaft.

„Selbst ich weiß das nicht." Legolas neigte seinen Kopf zur Seite. „Ihr habt einen ungerechten Vorteil mir gegenüber, Lord Esgal. Ihr wisst, wer ich bin und warum ich hier bin, aber ich weiß nicht dasselbe von Euch. Ebenso wenig weiß ich, warum Ihr meinen Vater kennt und trotzdem erkenne ich Euch nicht." Es hatte keinen Sinn, seine Herkunft zu verleugnen, wenn Esgal offensichtlich dessen schon sicher war.

Esgal schien irgendwie zu zögern und Legolas wurde klar, dass dieser Elb vielleicht genauso vorsichtig gegenüber dem Prinzen war wie Legolas es bei ihm war.

„Es muss für den Moment ein Geheimnis bleiben, Junge", sagte Esgal endlich. „Für deine Eure eigene Sicherheit sowie für meine. Aber du Ihr hast habt meinen Dank für deine Eure Hilfe, meine Tarnung heute Mittag aufrecht zu erhalten."

Legolas nickte, unbefriedigt, aber es blieb ihm keine große Möglichkeit außer der, es hinzunehmen. „Nichts zu danken, aber ich bin nicht jung und ich brauche Euch nicht, um mich zu beschützen."

Esgal lächelte leicht. „So stolz, junger Prinz, sich selbstsicher", lachte er leise, ein ruhiger, freundlicher, melodischer Laut. „Dann vergebt mir, edler Elb, aber wenn Ihr das Kommen und Gehen so vieler Jahre wie ich gesehen habt, werdet Ihr verstehen, dass ein paar hundert Jahre oder mehr nur wie die Lebensspanne eines Kindes erscheint."

Legolas senkte seinen Kopf einwilligend. Wenn Esgal wirklich so alt war wie er es sagte, dann verdiente er die Hochachtung des jüngeren Elben, nicht seine dreisten Fragen. Trotzdem wünschte Legolas, er würde mehr verstehen.

Esgal erhob sich rasch, als seine scharfen Ohren den Klang sich nähernder Schritte auffingen, den selbst Legolas versäumt hatte.

„Wir dürfen nicht zusammen gesehen werden", flüsterte der ältere Elb leise, Legolas nickte und wand sich schnell wieder seiner Arbeit zu. Er wusste immer noch nicht, ob er Esgal trauen konnte oder nicht, aber ebenso wenig würde er ihn König Melèch ausliefern.