Schmerz und Entdeckung
Zwei Tage später war Legolas sehr überrascht, eine kleine Gesellschaft zu sehen, die sich den Palasttoren näherte, als ein Auftrag ihn an einem der Fenster in dem großen Wachturm vorbeibrachte.
Der Prinz erstarrte; sein Herz schlug schneller als der Wind das Banner fing und hob, das der führende Reiter in der Hand hielt, und das Wahrzeichen des grünen Baumes enthüllte. Diese Reiter kamen aus Düsterwald! Anscheinend hatte sein Vater nicht so lange gewartet wie Legolas gedacht hatte, bevor er Boten entsendeteentsandte, um nach der eigensinnigen Gruppe seines Sohnes zu suchen.
Normalerweise hätte diese Art des Beschützerischem den jungen Elben vielleicht ein wenig geärgert, aber im Moment war er einfach zu froh, irgendjemanden von seinem Zuhause zu sehen als irgendetwas anderes zu fühlen als atemlose Hoffnung vermischt mit wirbelnder Angst.
Sicherlich würde King Melèch nach ihm suchen, sobald er wusste, dass eine Gruppe aus Düsterwald angekommen war um nach ihren verschwundenen Boten zu suchen. Legolas konnte es nicht riskieren, dass es Melèch möglich war, seinen Plan in die Tat umzusetzen! Trotz des Risikos musste er versuchen, mit den Düsterwaldelben Kontakt aufzunehmen und das bedeutete, die Wachen zu umgehen, die wahrscheinlich in diesem Moment nach ihm suchten.
Seine Aufgaben unerfüllt lassend, suchte Legolas sich flink einen Weg aus dem Turm, seine Gedanken wirbelten, als er schnell versuchte, sich einen Plan zurecht zu legen. Die ankommenden Elben würden natürlich direkt zu König Melèch gebracht werden und das Treffen würde sehr wahrscheinlich in der großen Empfangshalle des Königs stattfinden. Deshalb war seine beste Chance sie einzuholen, wenn sie durch den Hof kamen. Die Beine des Elben bewegten sich schneller.
Plötzlich presste Legolas sich flach gegen die Wand, vom Klang näher kommender Füße aufgeschreckt. Kapitän Dagred und mehrere seiner Männer erschienen in der Kreuzung gegenüber von Legolas' Position und der Elb hielt vollkommen still.
„Verteilt euch und findet ihn, und das heißt jetzt, oder König Melèch wird sich eure Köpfe holen, verstanden?", knurrte Dagred seinen Männern zu und bestätigte damit Legolas' Vermutungen, dass Melèch seine Festnahme angeordnet hatte.
Still betete Legolas, dass die Männer geradeaus weitergehen und nicht den Seitengang nehmen würden, in dem er sich versteckte. Unglücklicherweise sollte es nicht so sein.
Dagred kam um die Ecke und rannte fast in Legolas hinein, bevor er ihn sah.
Sich in Bewegung setzend, stieß Legolas den Kapitän zurück in die beiden Männer hinter ihm, bevor er sich umdrehte und die Treppen zurück nach oben flog, die er eben erst herabgestiegen war, so schnell ihn seine langen Beine tragen konnten.
Dagred fluchte laut. „Und hier sind wir wieder!", murrte er übellaunig, als er und seine Männer den fliehenden Elb die Treppen hinauf jagten. „Du wirst dich nicht mehr bewegen können, wenn ich mit dir fertig bin, Elb!", schrie er Legolas verärgert hinterher. „Es ist mir egal, wie ihr es macht, Männer, aber fangt ihn! Wenn nicht, werdet ihr alle seine Bestrafung bekommen, ist das klar?!"
Legolas flüchtete flink vor seinen Verfolgern, er rannte leichtfüßig die Treppen hinauf trotz seiner schweren, hinderlichen Ketten. Das rasselnde Klappern, das sie verursachten, war schrecklich störend und diente seinen Verfolgern als unglaublich nützliches Ziel, dem sie folgen konnten.
Die kurzen Ketten, die seine Fußgelenke miteinander verbanden, verkürzten ebenfalls seine normalerweise langen Schritte und ließen Legolas sich unbeholfen und hölzern fühlen. Seine Füße rutschten auf den steilen, schmalen Stufen und er fing sich mit Hilfe der Wand, blieb aber nicht stehen. Auf dem nächsten Stock bog Legolas ab. Er versuchte, so weit viel Abstand zwischen sich und Dagred zu legen wie möglich.
Legolas rannte mit Höchstgeschwindigkeit einen langen mit Wandteppichen bedeckten Gang hinunter und wurde dazu gezwungen, ganz plötzlich anzuhalten, als ein halbes Dutzend Soldaten im Kreuzgang vor ihm erschienen. Auf dem polierten Boden fast ausrutschend, wich Legolas schnell zurück.
In dem Gang zwischen zwei Gruppen Soldaten gefangen, ging Legolas ein verzweifeltes Risiko ein, sprang leichtfüßig nach oben und griff nach der Stange des Vorhangs über einem der großen Fenster, die über den Gang verstreut waren. Sich, mit den Füßen zuerst, nach vorne schwingend, krachte Legolas durch das Fenster und sprang zu Boden, vier Stockwerke weiter unten. Nichts war da um seinen Fall abzubremsen oder zu stoppen, deshalb landete Legolas hart auf den Pflastersteinen unten in einem Schauer von zerbrochenem Glas. Er landete auf seinen Füßen und ging in die Hocke, um den Aufschlag besser abzufedern, aber er fühlte trotzdem, wie eines seiner Fußgelenke unter ihm bei dem scharfen, knirschenden Aufschlag sich leicht verdrehte. Schmerzen schossen sein Bein hinauf, als er schnell auf die Füße sprang, aber der Elb ließ sich davon nicht aufhalten.
Sein unkonventioneller Abtritt hatte ihn im großen, geschäftigen Hof hinter den Küchen landen lassen. Unglücklicherweise war das der bevorzugte Ort der Wachen, dort ihre Zeit zu verbringen, wo sie umsonst Essen und Likör von den freundlichen Angestellten der Küche ergattern konnten.
Ein halbes Dutzend Wachen sprangen sofort alarmiert auf, als sie ihn sahen.
Den Schmerz, der sein Bein hinauf schoss, gezwungen unterdrückend, begann Legolas zu rennen. Der Haupthof war nur wenige Übergänge von hier entfernt.
„Haltet ihn auf! Haltet ihn auf!", rief Dagreds Stimme von oben hinab und die Wachen nahmen sofort die Jagd auf.
So schnell er es mit seiner neuen Behinderung vermochte, umrundete Legolas die Ecke, nur um einer weiteren Anzahl von Soldaten gegenüber zu stehen, die ihm von der gegenüberliegenden Seite entgegen eilten.
Einige der Soldaten packten ihn und Legolas drehte sich weg, einen Mann in den Bauch schlagend und einen anderen leichtfüßig über seinen Rücken werfend.
Dagred und seine Männer kamen erstaunlich schnell im Erdgeschoss an und strömten nun aus der Türöffnung zu seiner Rechten, um den einsamen Elben noch stärker zu überwältigen.
Legolas drehte, schlug und wand sich seinen Weg für einen Moment durch sie hindurch und die Wachen kämpften darum, auch nur einen Finger an ihn zu legen, als er verzweifelt kämpfte. Der Hof war so nah; er war nur um die Ecke … !
Aber er war für den verletzten Elb zu weit entfernt um ihn zu erreichen.
Habgierige Hände fingen Legolas' schwingende Ketten und zogen ihn aus der Balance. Er kämpfte mutig, aber mit über dreißig Soldaten, die ihn überwältigen wollten, war die Übermacht einfach zu groß.
Seine Angreifer warfen ihn zu Boden und stießen ihn unter einem Schauer von Stößen und Schlägen auf die Knie.
Dagreds Stiefel traf den Elben in den Bauch, er trat ihn wieder und wieder, als Legolas seine Arme um seine nun vor Schmerz schreienden Rippen schlang und versuchte, sie vor der Misshandlung zu schützen.
Unvergossene Tränen voll purer Frustration und Schmerz schimmerten in den Augen des jungen Elben, als die Soldaten ihn erbarmungslos auf den Pflastersteinen festhielten, nur wenige Meter von seinem Ziel entfernt. Aber Legolas war zu stur und zu stolz, sie fließen zu lassen.
Dagred zerrte den verletzten Elben auf seine Knie und zwang einen Stab zwischen Legolas' Ellenbogen und seinen Rücken. Die Ketten des Sklaven so an den Stab gehakt, machten sie seine Arme nutzlos. Sie zogen ihn auf seine Füße und brachten ihn weg, während sie ihn schlugen und reichlich dafür verfluchten, dass er ihnen schon wieder solche Schwierigkeiten bereitet hatte.
„König Melèch wird sich deinen Kopf auf einem Spieß holen, Junge!", drohte Dagred finster, als sie Legolas einschlossen, um auf den Zorn des Königs zu warten. „Du wirst nach dem Tod betteln, bevor wir mit dir fertig sind!"
***
Legolas' Handgelenke waren immer noch an den Stab gebunden, der durch seine gebeugten Arme gesteckt war, als er aus der Zelle heraus zu einem kochenden König Melèch geschleift wurde. Sofort schlug Melèch den Elben kraftvoll, was den Kopf des Sklaven zur Seite warf. Legolas hatte schon so viele Schmerzen, dass ein wenig mehr kaum erwähnenswert schien. In der Zeit zwischen seiner Gefangennahme und seinem gefürchteten Besuch bei Melèch, hatten Dagred und seine Männer der Drohung des Kapitäns darüber, in welcher Verfassung er Legolas wieder verlassen würde, nachdem er ihn ein zweites Mal so verärgert hatte, alle Ehre gemacht.
Der Elb atmete schwer und fiel nach vorne auf seine Knie, als er losgelassen wurde. Eine Seite seines Gesichtes war von Prellungen dunkelrot-braun gefärbt und er konnte es kaum noch ertragen, auf seinem verletzten Fußgelenk zu stehen.
„Du musstest es einfach versuchen, nicht wahr?", beschuldigte Melèch Legolas, als er wütend vor seinem Gefangenen auf und ab ging. Wie nah der Elb dem gekommen war, Erfolg zu haben und seinen ganzen Plan völlig zu vermasseln, machte Melèch unglaublich wütend. „Du musstest es einfach versuchen. Ich weiß nicht, was ich mit dir machen soll! Ich lasse dich schlagen, ich lasse dich arbeiten, aber du weigerst dich zu lernen!" Melèch bebte vor Zorn.
„Nun gut, nicht mehr. Wenn du es nicht auf die leichte Art lernen willst, dann werde ich diejenigen, die erfahrener sind als ich es bin, dir eine Lektion lehren lasen, die du nicht vergessen wirst!" Melèch klatschte in die Hände und rief einen Bediensteten herbei, der Unuth aus Umbar in den Raum brachte.
Unuth blickte berechnend zwischen Melèch und den elbischen Sklaven, der auf dem Boden kniete, hin und her. „Ihr habt meine Anwesenheit verlangt, mein Lord?"
„Ja." Melèch verschränkte seine Arme und starrte Legolas kalt an. „Dieser Sklave macht mir nichts als Schwierigkeiten. Ihr seid ein Mann, der in diesen Dingen erfahren ist. Ich habe angeboten, ihn Euch zu leihen wenn Ihr wünscht, also, er gehört Euch. Ich überlasse ihn Euch und Kapitän Dagred und seinen Männern. Macht mit ihm, was Ihr wollt, aber seid nicht freundlich und stellt sicher, dass es etwas sein wird, dass er niemals vergessen wird!"
Unuth lächelte grausam, als er auf Legolas' gekrümmten Leib hinabblickte. „Mit großem Vergnügen, mein Lord", willigte er ein.
Legolas' Kinn in eine Hand nehmend, zog er den Kopf des Elben hoch, seine Augen glitten über den Körper des Sklaven. „Das wird ganz nach meinem Geschmack sein", sagte der unfreundliche Mann, legte seine Hand grob auf Legolas' geprellte Wange und schlang seine Finger in die goldenen Haare des Elben.
Angst stieg in Legolas' schmerzgetrübten Augen auf und ein Zittern, das er nicht unterdrücken konnte, durchfuhr ihn, als sein Körper vor der widerlichen Berührung des Mannes zurückschreckte.
Kapitän Dagreds Knie in seinem Rücken stieß den Elben nach vorne und hielt ihn, als sich Unuths groben Hände senkten, um die Verschlüsse von Legolas' Tunika zu öffnen.
***
May it be an
evening star shines down upon you
May it be when darkness falls your heart will be true
You walk a lonely road … oh, how far you are from home
(Möge ein Abendstern auf dich herab scheinen
Möge, wenn Dunkelheit fällt, dein Herz treu sein
Du wanderst auf einer einsamen Straße … oh, wie weit bist du von zu Hause fort)
Mornië utúlië
(Darkness has come)
(Dunkelheit ist gekommen)
Believe and you
will find your way
(Glaube und du wirst deinen Weg
finden)
Mornië alantië
(Darkness has fallen)
(Dunkelheit ist gefallen)
A promise lives
within you now …
(Ein Versprechen lebt nun in dir
…)
***
Hilflos zitternd schlang Legolas seine Arme fester um sich selbst, als er, sich hin und her wiegend, in der Dunkelheit seiner kleinen Zelle saß. Stumme Tränen, die er nicht mehr zurückhalten konnte, rannen still über seine geprellten Wangen. Er hatte sich geweigert zu weinen, als seine Peiniger ihn hatten, aber jetzt, alleine in der Dunkelheit, war der Schmerz einfach zu groß um ihn in sich zu halten.
Die Dunkelheit um ihn herum war schwer, erstickend, und das schlimmste war, dass Legolas sich fühle, als wäre die Dunkelheit nun auch in ihm, seine Seele verschlingend und ihn leer und hoffnungslos zurücklassend. Es hieß, dass ein Elb an einem gebrochenen Herzen sterben konnte, ob das stimmte oder nicht, wusste Legolas nicht, aber im Augenblick fühle sich die Verzweiflung, die an ihm zehrte, sicherlich so an, als wolle sie das Leben aus ihm heraussaugen.
Jeder Zentimeter seines Körpers schmerzte und er hatte keine Möglichkeit, dem Schmerz und der endlosen Folter seiner entsetzlichen Erinnerungen zu entkommen.
Plötzlich öffnete sich die Tür seiner Zelle kratzend und Legolas zog sich noch weiter in die Ecke zurück, bleierne Angst umklammerte sein Herz. Waren sie zurückgekommen? Bei den Valar … waren sie immer noch nicht mit ihm fertig?
Ein stilles Schluchzen ließ seine Schultern erzittern, als er versuchte, unempfindlich zu wirken. Er wollte nicht, dass sie seine Schwäche sahen. Und trotzdem konnte noch nicht einmal der starke Stolz des Elben ihn gefühllos lassen im Angesicht seines Leides.
Eine große Gestalt betrat langsam den Raum und die Tür wurde hinter ihm geschlossen. Legolas hörte, wie das Schloss zurück an seinen Platz glitt und die schroffe Stimme der Wache hineinrief: „Klopft einfach kurz, wenn Ihr mit ihm fertig seid, aber seid vorsichtig, diese Elben sind gefährlich."
Legolas widerstand demn Drang, noch weiter in die Ecke zurückzuweichen. Es hatte keinen Sinn, gegen das Unvermeidbare zu kämpfen und er würde diese Leute nicht seine Angst sehen lassen, wenn er es verhindern konnte. Wenigstens war es dieses Mal nur einer … der Elb schluckte den harten, erstickenden Kloß in seinem Hals hinunter.
Der Elb sah nicht auf, weil es für ihn leichter war, wenn er nicht hinsehen musste, wenn sein Peiniger gesichtslos blieb. Er hatte schon lange vorher seine weiteren Sinne ausgeschaltet, weil es viel zu sehr wehtat, mehr zu fühlen als er musste. Jetzt in sich selbst eingeschlossen, umschlang Legolas seine Knie fest und wartete auf das Unausweichliche.
Der Neuankömmling zögerte für einen Moment im Eingang, seine tiefen, traurigen Augen erfassten die unglückliche Gestalt des gekrümmten Elben in der Ecke. Nackt abgesehen von seinen Ketten, zitterte Legolas vor viel mehr als nur Kälte.
Der Mann durchquerte den kleinen Raum und kniete sich still neben Legolas.
Legolas presste seine Augen zu, wartend, aber die Person neben ihm bewegte sich nicht. Nach einigen Momenten wurde die beunruhigende Stille mehr als er ertragen konnte.
„Tut, was Ihr tun werdet, aber spielt nicht mit mir", stieß der Elb zwischen seinen Zähnen hervor, seine Hände zu Fäusten geballt.
„Immer noch so stolz, Junge …" Es war Esgals sanfte Stimme, belegt von unbeschreiblicher Traurigkeit.
Legolas' Kopf hob sich ruckartig. In sich selbst zurückgezogen hatte er nicht gemerkt, dass es der andere Elb war. Für einen Moment sah er in Esgals Augen, bevor er schnell seinen Kopf wegdrehte und ihn mit einem Zittern auf seine Arme sinken ließ, das in Wirklichkeit ein kaum verborgenes Schluchzen war. Irgendwie war es unerträglich, den älteren Elben ihn so sehend zu wissen. Legolas wollte kein Mitleid von irgendjemandem.
„Es ist in Ordnung, wenn wir leise sprechen", sagte Esgal in einem stillen Flüstern, für Legolas' Ohren alleine bestimmt. „Die Wachen denken, dass ich wegen etwas anderem hier bin, sie werden nichts befürchten."
Legolas antwortete nicht, umschlang seine Knie nur fester. Er wusste nicht, was Esgal wollte und im Augenblick konnte sein verletztes Herz niemandem trauen.
Esgal ließ seinen langen grauen Umhang von seinen Schultern gleiten und legte ihn sanft um Legolas' bebende Gestalt.
Der junge Elb packte die Enden fest und schlang den weichen Stoff mit zitternden Händen um seinen Körper. Ers sah immer noch nicht auf. Sein eigenes Schamgefühl hielt seine Augen auf den Boden gerichtet.
„Weswegen seid Ihr hier?", fragte Legolas leise, körperliche und geistige Schmerzen hatte seine normalerweise melodische Stimme rau werden lassen.
„Ich habe von Unuth gehört, was geschehen ist." Offensichtliche Verachtung und Abscheu in Esgals Stimme war deutlich und scharf. „Ich … ich habe es nicht über mich gebracht, irgendjemanden unter diesen Umständen alleine zu lassen." Er legte eine sanfte, beruhigende Hand auf Legolas' Rücken, aber der jüngere Elb erstarrte bei der Berührung und Esgal zog sie schnell zurück.
„Ich brauche Euer Mitleid nicht." Legolas blinzelte schnell und versuchte, die verräterischen Tränen, die ihn ausliefern wollten, zurück zu zwingen. Seine Stimme war schärfer als er es beabsichtigt hatte.
Esgal war nicht gekränkt. „Das ist gut so, weil Ihr es nicht habt", sagte der ältere Elb ruhig, aber seine Stimme war nicht hart. „Mitleid ist für die Hilflosen und Ihr, junger Prinz, seid weder hilflos, noch habt Ihr dauerhaft Schaden genommen. Die Leute können mit Euch tun, was sie wollen, aber sie können Euch nicht ändern, sie können Eure Seele nicht berühren, wenn Ihr sie nicht lasst." Seine Worte waren fest, aber ihr Ton war voll Mitgefühl. Esgal wusste, dass Legolas fürchterlich litt und, dass es seine Zeit brauchen würde, bis er sich davon erholte, aber er wusste, dass der junge Prinz sich erholen würde … Jetzt musste Legolas es nur noch wissen.
„Ich sehe eine Kraft in Euch, die mir sagt, dass diese Ketten vorübergehend sind und, dass keine Fesseln Euren Geist halten können, wenn Ihr Euch dafür entscheidet, sie nicht zu lassen." Esgals Stimme war jetzt sanft und er hob seine Augen zu dem kleinen, vergitterten Fenster nahe dem oberen Teil der entfernten Wand. Der Mond war gerade aufgegangen und Eärendil schien hell zwischen den Stäben wie ein kleiner aber treuer Nadelstich der Hoffnung.
„Ich weiß, wovon ich spreche, Legolas Greenleaf", sagte der Elb langsam. „Ich war bereits ein Gefangener, ich habe in Verzweiflung gelebt. Ich habe immer wieder Kriege gesehen, jeder einzelne angekündigt als der Konflikt, der alle anderen Konflikte lösen sollte. Ich habe Elben gesehen, die andere Elben niedermetzelten. Ich habe meinen Bruder an ein sterbliches Schicksal verloren und meine Mutter und meinen Vater an die Unsterblichenlande." Esgal atmete tief ein.
„Ihr habt euch gefragt, Legolas, nicht wahr, wie ich den Namen Gil-Estel kennen kann?", fragte er leise, das Licht des Sterns spiegelte sich in seinen Augen. „Nun ja, ich habe guten Grund, ihn zu kennen und ich kenne ihn gut. Gil-Estel, der Stern der großen Hoffnung … ist das Licht meines Vaters goldenen Schiffes." Als ein Zeichen des Vertrauens und guten Glaubens offenbarte Esgal sich endlich als der, der er war.
„Das Leuchten der Silmaril brennt auf der Brust von Eärendil, wenn er über den Himmel segelt, um meine Mutter Elwing zu treffen, die in ihrem großen Turm auf ihn wartet …" Die Stimme des Elben verstummte langsam, als er zu dem funkelnden Stern hinaufblickte, das einzige, was er in Jahrhunderten von seinem Vater gesehen hatte.
„Mein Bruder und ich waren Gefangene, als meine Mutter sich ins Meer stürzte, um die Silmaril vor der Übernahme zu schützen. Unser Vater war nicht bei uns. Sie fand ihn wieder, aber ich habe keinen von ihnen seitdem gesehen. Wir waren in einer milden Gefangenschaft, weil es so endete, dass wir unserem Wärter ans Herz wuchsen und er uns wie seine eigenen Kinder behandelte … dennoch, Gefangenschaft ist Gefangenschaft, Sohn Thranduils, und ich habe viel Schlimmeres durchgestanden als das. Ich habe die Kraft gefunden, weiter zu leben, und das werdet Ihr auch tun." Die Augen des älteren Elben blitzten vor Aufrichtigkeit.
Legolas sah auf, um das erste Mal dem Blick seines Gefährten zu begegnen und die Augen des jungen Elben weiteten sich vor Schreck und Ehrfurcht.
„Aber … aber das bedeutet … Ihr würdet dann sein …" Legolas sank zu einer respektvollen Verbeugung auf seine Knie, sein goldenes Haar streifte den Boden.
„Lord Elrond", flüsterte er, ein wenig eingeschüchtert von der Erfahrung, das erste Mal einem der Elben zu begegnen, um den sich Geschichten und Lieder an den Feuern des Hofes seines Vaters seit erdenklichen Zeiten drehten. „Vergebt mir, ich habe Euch nicht erkannt … Ich habe Euch schlecht behandelt, mein Lord", murmelte der junge Elb. Er schämte sich jetzt sogar noch mehr.
„Erhebt Euch", bat Elrond freundlich und Legolas gehorchte, immer noch leicht zitternd. „Ihr habt mich vor Entdeckung bewahrt, als ich unvorsichtig genug war, fast gestellt zu werden, ich sehe keinen Grund für eine Entschuldigung." Der Elbenlord schüttelte den Kopf.
Legolas nickte langsam und lehnte sich zurück gegen die Wand mit schmerzhafter Müdigkeit. „Warum seid Ihr hier?"
„Es geschehen beunruhigende Dinge in Dorolyn, die ich noch nicht verstehe", sagte Elrond gedankenverloren. „Ein Schatten schleicht über das Land. Es sind schon einige auf die eine oder andere Art gekommen um nachzuforschen, aber keiner von ihnen ist je zurückgekehrt. Ich bin selbst gekommen, als ich davon überzeugt war, dass die Notwendigkeit groß genug war. Melèch denkt, dass ich ein Herrscher aus dem Land des Emyth Muir bin. Die Menschen aus Emyth Muir sind für ihre Metallarbeiten sehr bekannt, aber sie sind gute Menschen. Als ein seltsamer Auftrag aus Dorolyn kam, waren sie überrascht und unsicher wegen der Geheimnistuerei, die verlangt wurde. Das wurde von einigen meiner Leute herausgefunden und es wurde ein Abkommen getroffen zwischen uns, dass sie den Auftrag erfüllen würden und ich damit hier her kommen würde, als einer von ihnen. Ich hoffe, so mehr über die Situation und Melèchs Absicht für die seltsamen Ringe, die ich ihm gebracht habe, herauszufinden."
Legolas' schmerzender Kopf hob sich drängend. „Dann müsst Ihr es wissen, Ihr müsst meinen Vater warnen, sein Leben ist in Gefahr. Melèch will die ganze königliche Familie des Düsterwaldes umbringen, obwohl ich nicht weiß warum."
Elrond nickte, tief beunruhigt. „Das sind wahrlich besorgniserregende Nachrichten, Sohn Thranduils, aber habt keine Angst. Dieser Mann wird in seinen Vorhaben keinen Erfolg haben."
Legolas seufzte leise. Er fühlte sich schon ein wenig besser, weil nun wenigstens irgendjemand wusste, was er wusste. Jemand, der eine viel bessere Chance hatte, die Boten seines Vaters zu warnen als er in diesem Moment.
Elrond betrachtete den jungen Elben nüchtern. Er hasste es, Legolas in dieser grausamen Situation, in der er sich befand, alleine zu lassen, aber es gab nichts, das er zu diesem Zeitpunkt tun konnte, ohne seine Tarnung in Gefahr zu bringen. Deshalb war nun alles, was er dem jungen Prinzen anbieten konnte, Hoffnung.
„Lasst Euer Licht nicht erlischen, Legolas", ermutigte ihn Elrond und berührte den jüngeren Elben leicht an der Schulter. Dieses Mal schreckte der Prinz nicht vor seiner Berührung zurück, Elrond zog ihn sanft zu sich, sodass sein Rücken an seiner Schulter ruhte, und beruhigte das Zittern des jungen Elben mit der unbeschreiblichen Ruhe und dem einfachen Frieden seiner Anwesenheit.
Legolas' Körper entspannte sich leicht unter dem Einfluss von Elronds starker Gegenwart und der heilenden Berührung, die seinen schmerzenden Körper und gleichzeitig sein verletztes Herz beruhigte.
Zusammen blickten sie hinauf zu dem kleinen Fleck Sterne durch das vergitterte Fenster. „Seht Ihr? Eärendil scheint auf Euch herab, Greenleaf, er wacht über Euch genauso wie er über mich wacht. Gil-Estel, große Hoffnung … Manchmal ist Hoffnung alles, was wir haben, Legolas, aber es ist genug, solange wir ihr treu bleiben."
