Die nächsten zwei Tage brachten sie ein ganzes Stück näher an Bruchtal heran, allerdings benutzte Schagrat keine Straße, und so konnte Frodo nicht genau ausmachen, wo sie sich befanden. Im Moment kamen sie durch eine Gegend, in der es viele Höhlen gab, die wohl einmal von Trollen bewohnt gewesen waren. Jetzt jedoch lagen sie still und verlassen da. Doch so sehr sich der Hobbit auch wünschte, dass endlich Elben ihren Weg kreuzen würden, fragte er sich auf der anderen Seite immer besorgter, was wohl mit Schagrat geschehen würde, sollte es wirklich zu einer solchen Begegnung kommen. Frodo hätte sich die Haare raufen können. Er fühlte sich ohnehin den ganzen Tag über schon ziemlich niedergeschlagen, weil er mit Schagrat einfach nicht weiter kam, auch wenn sie sich sonst leidlich gut vertragen hatten, von den üblichen Höflichkeitsbezeugungen des Uruks einmal abgesehen. Doch Frodo hatte inzwischen gelernt, diese entsprechend zu parieren, indem er einfach Schagrats rüden Tonfall und seine ungehobelte Art nachahmte. Zwar ging dem Hobbit diese Methode kulturell ziemlich gegen den Strich, doch hatte er festgestellt, dass er den Uruk auf diese Weise sicherer in Schach hielt, und das war allemal besser, als sich weiter mit Prellungen und Blutergüssen herumzuquälen.
Diesmal waren sie am Tage unterwegs, und Frodo genoss es trotz seiner schlechten Stimmung, wieder selbst laufen zu können, denn seine Quetschungen und Blessuren verheilten gut, wobei die brennende Tinktur, die ihm der Uruk wieder auf die schmerzenden Stellen gestrichen hatte, einen erstaunlichen Anteil leistete. Nur der widerliche Geruch der schwarzen Flüssigkeit stellte Frodos Nase jedes Mal auf eine harte Probe, und er verkniff sich lieber die Frage, woraus dieses Gebräu denn gemacht sei. Da Uruks sich aufgrund ihres Daseinszweckes für Krieg und Kampf fast nur in ausdauerndem Laufschritt fortbewegten, hatte Schagrat jedoch bald genug davon, neben dem viel langsameren Hobbit herzutrotten. Ohne Vorwarnung packte er Frodo am Kragen und hob ihn auf seine Schultern. Frodo entschied im ersten Moment, dass das vielleicht gar nicht schlecht sei und er auf diese Weise nur umso schneller wieder bei seinen Freunden sein würde. Doch als der Uruk sich in Bewegung setzte, klammerte sich Frodo panisch an ihn und versuchte verzweifelt, seinen Magen unter Kontrolle zu halten. Er hatte plötzlich das untrügliche Gefühl, völlig grün im Gesicht zu werden. Reiß dich zusammen, Frodo Beutlin, schalt er sich selbst, du hast ja wohl schon Schlimmeres überstanden.
Frodo brachte es schließlich irgendwie fertig, das Beben und Schaukeln zu verdrängen und verfiel statt dessen wieder in Grübeleien. Auch wenn es ihm schwer fiel, musste er wohl einsehen, dass Schagrat einfach nicht die Fähigkeit hatte, sich eine Zukunft vorzustellen. Kampforks hatten keine Träume, Ziele oder Wünsche. Sie kannten nur Befehle. Vielleicht sollte ich ihm einfach befehlen, sich eine Zukunft auszumalen, dachte Frodo bitter. Doch der Uruk würde sich wohl einfach nur dem stellen, was auf ihn zukam... und wahrscheinlich dabei getötet werden. Verdammter Sauron! Frodo fühlte sich hilfloser denn je, als plötzlich etwas seine Aufmerksamkeit erregte. Aufgeregt klopfte er Schagrat auf die Schulter, was der Riese mit einem Brummen quittierte. „Da vorn ist ein See, da kannst du anhalten." „Wieso, bist du schon wieder müde, Winzling?" „Nein, du großer Tollpatsch, ich würde mich nur gern mal wieder richtig waschen." „Was ist denn das schon wieder für eine komische Idee?" Frodo stöhnte genervt auf: „Jetzt tu einfach, was ich dir sage, ja?" Der Uruk grummelte, „Na schön, wenn es dich glücklich macht", und Frodo kam nicht umhin zu staunen, dass Schagrat das Wort ‚glücklich' überhaupt kannte.
Der Riese setzte Frodo vorsichtiger ab, als dieser es ihm zugetraut hätte. Der Hobbit dankte ihm und begann sofort, sich auszuziehen. Doch plötzlich hielt er inne, weil Schagrat sich nicht rührte und ihn, wie es schien, nachdenklich betrachtete. „Was ist los?", fragte Frodo etwas unangenehm berührt. Der Uruk schnaufte: „Sag du es mir, halbe Portion, nicht dass es mich interessieren würde, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass es dir den ganzen Tag schon wieder nicht so gut geht, du hast weniger geredet als sonst." Frodo war verblüfft. Schagrat hatte ein Gefühl und noch dazu ein richtiges! Frodos Wehmut war ihm nicht entgangen. War er am Ende doch fähig..., nein, nicht jetzt, entschied der Hobbit, denn er wollte einfach nur noch ins Wasser. „Ist schon gut, Schagrat, aber danke der Nachfrage." Der Uruk zuckte die Schultern und meinte: „Ich muss dir ja nicht bei diesem Blödsinn zusehen, oder? Ich werde dann mal gehen und etwas zu beißen auftreiben. Gleich dort drüben ist auch eine Höhle, da kannst du dann auf mich warten." Damit entfernte er sich, und Frodo gestand sich ein, dass es ihm wirklich mehr als lieb war, dass Schagrat ihm ‚nicht dabei zusehen' wollte...
Der Hobbit fand die Höhle überraschend gemütlich, denn sie war trocken und windgeschützt. Frodo suchte Holz für ein Feuer zusammen und versuchte ein bisschen zu schlafen, bis Schagrat zurückkommen würde. Doch seine düstere Stimmung kehrte wieder. Nur das wunderbar warme und klare Wasser des Sees hatte ihn eine Weile davor behütet. Frodo dachte wieder an Sam und wünschte sich verzweifelt Galadriels Spiegel herbei, doch dann fiel ihm ein, dass die Antworten dieses magischen Instruments mitunter ziemlich trügerisch waren. Nicht unbedingt eine Erinnerung, die sein Gemüt jetzt aufhellen konnte. Er verpasste beinahe Schagrats Rückkehr, so tief war er in seine Grübelei versunken. Doch der Uruk störte ihn vorerst nicht und kümmerte sich statt dessen um die Mahlzeit.
„Was ist jetzt, du schlecht gelaunter Wurm, hast du keinen Hunger?" „Nicht sehr, aber danke", murmelte Frodo und nahm geistesabwesend ein Stück Fleisch entgegen. Schagrat grunzte: „Jetzt komm schon, Winzling, willst du nicht noch etwas wachsen?" Frodo hatte zwar nicht recht Lust, sich im Augenblick auf solch ein orkwitziges Gespräch einzulassen, entschied aber, dass er der Höflichkeit halber Schagrat wenigstens beim Essen Gesellschaft leisten sollte. Doch als er sich dem Riesen zuwandte, verkrampften sich seine Eingeweide schmerzhaft, noch bevor er überhaupt begriff, was er vor sich sah. Der Uruk hielt mitten im Kauen inne, als er bemerkte, wie der Hobbit starr vor Entsetzen das Stück Fleisch fallen ließ, langsam aufstand und kreideweiß in Richtung Wand zurückwich. Schagrat runzelte die Stirn. „Was hast du denn? Bist du wieder krank?" Doch Frodo antwortete nicht und begann statt dessen unkontrolliert zu zittern und zu würgen. Er bot einen erbarmungswürdigen Anblick, wie er keuchend an der Höhlenwand Halt suchte und mit verstört aufgerissenen Augen etwas anstarrte, das neben dem Uruk auf dem Boden lag. Es waren unverkennbar arg zerrissene Kleidungsstücke, die nicht ihnen selbst gehörten. Schagrat folgte verwirrt Frodos Blick, winkte dann aber leichthin ab. „Ach das meinst du, nun hab mal keine Angst, Würmchen, es war kein Halbling, nur ein dämlicher Zwerg..."
Frodo brach stöhnend zusammen, seine Hände krallten sich in den kalten Steinboden und er glaubte, er würde nie wieder aufhören, sich zu übergeben. Undurchdringliche Schwärze verschleierte seinen Blick, und sein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt. Er keuchte vor grauenvoller Übelkeit, die ihn in immer neuen Wellen überrollte. Wie durch einen Nebel hörte er die Stimme des Uruks lamentieren: „Was ist denn jetzt schon wieder, das Fleisch ist nicht mal roh, also was soll die Aufregung? Wenn du das nicht essen willst, dann sag es doch einfach. Verdammt, aus dir kann ja wirklich keiner schlau werden..." Weiter kam er nicht, denn Frodo war schreiend aufgesprungen und stürzte sich in wahnsinniger Raserei auf den völlig verblüfften Riesen. Mit nie gekannter Wut trommelten seine Fäuste auf Schagrat ein, obwohl das völlig sinnlos war, und seine kreischende Stimme überschlug sich. „Du wahnsinniges Ungeheuer, du grausame, elende Kreatur, wie konntest du das tun, warum nur, warum..." Seine Worte gingen in ein lautes Schluchzen über, und er sackte vor den Füßen des Uruks kraftlos zu Boden. Der rasende Ausbruch verebbte mit einem Schlag, dafür wurde Frodo von einem Weinkrampf geschüttelt, der seinen ganzen Körper erbeben ließ.
Erst in diesem Moment löste sich der Uruk aus seiner Erstarrung, denn er war viel zu überrascht gewesen, um auf diesen völlig unerwarteten Angriff zu reagieren. Er betrachtete das hilflos zuckende Geschöpf vor seinen Füßen und fletschte knurrend die Zähne. Ein tiefes Grollen kam aus seiner Kehle, als er sich niederkniete und den jetzt nur noch leise wimmernden Hobbit packte. Frodo wehrte sich nur schwach, als Schagrat ihn zu sich heranzog.
Der Uruk knurrte wieder, doch klang es nicht gefährlich, sondern vielmehr unschlüssig. Er schien zu überlegen, ob er dieses zarte Wesen gerade zerbrochen hatte, ohne es überhaupt zu berühren. Dann versuchte er vorsichtig, den Hobbit auf die Füße zu stellen, was ihm auch ungeschickt gelang. Doch er hielt ihn lieber fest, denn die kleine Gestalt zitterte so stark, dass sie jeden Moment wieder zusammenzubrechen drohte.
Unaufhörlich rannen Frodo Tränen über die Wangen, und der Uruk berührte ratlos und unsicher das Gesicht des weinenden Hobbits, als wolle er ergründen, was es mit dieser sonderbaren Flüssigkeit auf sich hatte. Frodo ließ es willenlos geschehen. Schagrat hielt ihn noch immer fest, und Frodo ließ seinen Kopf kraftlos gegen die Schulter des vor ihm kauernden Riesen sinken. Da der Uruk in seiner Ratlosigkeit nicht wusste, was er sonst tun sollte, versuchte er linkisch, den Hobbit aus seiner Betäubung zu schütteln. „Nicht, Schagrat, lass mich..." flehte Frodo kaum hörbar. Schagrat knurrte leise, hob den wehrlosen Hobbit hoch und trug ihn in eine Ecke der Höhle, um ihn dort hinzusetzen und gegen die Wand zu lehnen.
Nie zuvor hatte der täppische Riese so zerknirscht und besorgt geklungen. „Was ist denn mit dir, Würmchen, ich verstehe dich nicht..." Frodo blickte dem Uruk müde in die fragenden Augen. „Ich weiß", flüsterte er mit tränenerstickter Stimme. Schagrat runzelte die Stirn. „Dann erkläre es mir doch." Aber Frodo schüttelte nur unendlich traurig den Kopf. Er hatte einfach keine Kraft mehr und wollte diesem grausigen Ungetüm nie wieder irgendetwas auseinandersetzen müssen. Es erschien ihm so sinnlos. Und doch spürte er, dass während der furchtbaren Augenblicke seines Zusammenbruchs eine Veränderung in Schagrat vorgegangen war. Der Riese schien nachzudenken, er brummte unruhig vor sich hin, und nach einer Weile setzte er vorsichtig wieder an: „Sind die Zwerge etwa deine Freunde?" Frodo erwiderte nichts, nickte jedoch langsam. Dann aber bedeckte er sein Gesicht mit den Händen und schluchzte wieder auf in Erinnerung an das, was dort drüben neben dem Feuer lag. Dabei war ihm völlig klar, dass er dem Uruk keinen Vorwurf machen konnte, hatte diese bedauernswerte Kreatur doch nichts weiter getan, als ihrer Natur entsprechend zu handeln. Wie hätte Schagrat es auch besser wissen sollen, war er doch ein rettungslos krankes und seelisch verstümmeltes Wesen, von gewissenlosen finsteren Mächten einzig zu dem Zweck geschaffen, jeden zu jagen und zur Strecke zu bringen, der es wagte, sich ihnen in den Weg zu stellen.
Der Hobbit wurde aus seinen düsteren Gedanken geholt, als die zerknirschte Stimme des Uruks wieder an sein Ohr drang. „Es tut mir leid, kleiner Frodo, denn ich wollte dich nicht so traurig machen." Frodo sah fassungslos auf und versuchte, im Gesicht des Riesen zu lesen. Aber Schagrat saß mit gesenktem Kopf vor ihm, verstört wie ein ertapptes Kind, das darauf wartet, ausgescholten zu werden. Der erbarmungswürdige Anblick berührte den Hobbit schmerzlich, und behutsam legte er seine kleine Hand auf die Pranke des Riesen. „Es ist nicht deine Schuld, Schagrat", sagte er leise. Der Uruk schnaufte verlegen und runzelte die Stirn. „Dann also keine Zwerge mehr... und auch keine Halblinge...," brummte er vor sich hin und blickte Frodo unsicher an, „...aber was ist mit Elben?" Frodo seufzte verzweifelt. „Schagrat, nichts, was irgendwie Kleidung trägt, bitte versprich es mir", bat er inständig. Der Uruk nickte ernst. „Ich verspreche es..." Doch der Hobbit war sich ganz und gar nicht sicher, ob Schagrat die Bedeutung dieses Wortes erfassen konnte. Er wandte seinen Blick zum Feuer hin und blinzelte erschöpft eine Träne fort. „Könntest du das da hinausschaffen und vergraben? Bitte, ich ertrage diesen Anblick einfach nicht." Der Riese erhob sich ohne Widerrede und tat, worum Frodo ihn gebeten hatte.
Völlig verausgabt durch die große seelische Erschütterung fiel der Hobbit bald darauf in einen traumlosen Schlaf. Er erwachte erst viele Stunden später und sah den Riesen neben sich sitzen, der ihn aufmerksam beobachtete. Schagrat hielt ihm linkisch seine Pranke hin, in der ein paar Pilze lagen. Doch allein der Gedanke an Essen verursachte Frodo wieder Übelkeit. Der Uruk griff vorsichtig nach der Hand des Hobbits, um ihm die Pilze zu geben. „Du musst doch etwas essen, Würmchen, sonst wirst du wieder krank." Frodo lächelte gequält über die ungeschickten Versuche des großen Ungetüms, ihn wieder aufzumuntern, und doch kam er nicht umhin, Schagrat fast liebevoll anzuschauen, weil dieser so rührend um ihn besorgt war. Irgendetwas war geschehen in der letzten Nacht, auch wenn Frodo nicht genau ausmachen konnte, was es war, denn der Uruk hatte ihn ja nicht zum ersten Mal am Boden zerstört vorgefunden. Seufzend schob sich der Hobbit unter Schagrats achtsamem Blick einen Pilz in den Mund und hoffte inständig, dass er sich nicht wieder würde übergeben müssen. Der Riese nickte zufrieden, als er Frodo tapfer schlucken sah. „Na also, das wird schon wieder", stellte er fest, „wenn du alles aufgegessen hast, können wir weiterziehen... wenn du es möchtest."
Frodo beeilte sich zu nicken, denn er wollte dieser schrecklichen Höhle so schnell wie möglich den Rücken kehren. Schagrat sah, dass der Hobbit noch immer geschwächt war und nur unsicher auf seinen Füßen stand. „Ich werde dich wieder auf meinen Schultern tragen", verkündete er entschlossen. Frodo fragte sich panisch, ob sein gequälter Magen das durchhalten würde. Als hätte der Uruk seine Gedanken erraten, brummte er beruhigend: „Ich werde aufpassen, dass ich dich nicht zu sehr durchschüttle, damit dir nicht wieder schlecht wird." Frodo blickte zu ihm auf und konnte sich eines schwachen Lächelns nicht erwehren. Schagrat war seltsam rührend in seiner unbeholfenen Art. Trotzdem hatte Frodo nicht den Mut, dem Frieden so ganz zu trauen, denn ihm war bewusst, dass der Uruk trotz allem ein gefährliches und unberechenbares Geschöpf war.
Als der Hobbit schließlich auf Schagrats Schultern wieder mit seinen Gedanken allein war, dachte er verwundert darüber nach, dass der Uruk in der vergangenen Nacht letztlich doch von selbst die richtigen Schlussfolgerungen gezogen hatte. Auch erinnerte er sich plötzlich daran, dass Schagrat ihn bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal Frodo genannte hatte, und er ließ es zu, dass sich dieser Gedanke wie Balsam auf seine verwundete Seele legte. Ach, Schagrat, dachte er bekümmert, wenn ich doch nur etwas für dich tun könnte. Aber er wusste noch immer nicht, was das hätte sein sollen, und da sie sich unaufhaltsam Bruchtal näherten, war die Hoffnung gering, dass er noch lange ein schlimmeres Schicksal von dem Riesen würde abwenden können...
Kapitel 7
Auch am nächsten Tag begegneten sie keiner Seele, und eigentlich war Frodo froh darüber, denn er spürte, dass er langsam panisch wurde. Wenn sie endlich in Elbengebiet wären, würden diese sie sowieso zuerst entdecken, da sie selbst sich fremden Augen immer geschickt zu entziehen wussten. Trotzdem war er betrübt, dass er nicht die geringste Spur seiner Freunde entdecken konnten. Allerdings kannte er auch keinen einzigen der Pfade, die Schagrat auswählte. Er konnte nur am Stand der Sonne erkennen, dass die Richtung ungefähr stimmte. Schagrat trottete neben dem Hobbit her, nachdem dieser ihm mit etwas Nachdruck erklärt hatte, dass er heute wieder selbst laufen würde, denn der Uruk hatte auf Frodos Vorschlag zuerst nur unwillig geknurrt. Doch Frodo war sehr bestimmt gewesen und gestand sich ein, dass er so absichtlich die Reise etwas verzögerte. Wenn er diesem beschränkten Ungetüm doch nur etwas mehr Verstand einflößen könnte...
Schagrat hingegen war etwas verwirrt über die langsame Gangart, denn ein Uruk war es schließlich nur gewöhnt, sich schnellstens auf Befehl hin in Bewegung zu setzen, um den jeweils nächsten düsteren Auftrag zu erfüllen. Ein ums andere Mal packte er den Hobbit ziemlich grob am Arm, um ihn so an jeder Verzweigung des Pfades in die richtige Richtung zu ziehen, und Frodo zuckte jedes Mal vor Schmerz zusammen. Scheinbar hat der Riese vergessen, dass er nur ein „Würmchen" vor sich hat, dachte er mit zusammengebissenen Zähnen. Und als er aufschaute, bemerkte er, dass Schagrat in der Tat tief in Gedanken zu sein schien.
Wieder kam ein Abzweig, und diesmal schubste der Uruk ihn so stark nach rechts, dass er hinfiel und sich das Knie aufschlug. „Jetzt reicht es aber, du Grobian", schrie Frodo wütend auf, und Schagrat blinzelte verwirrt. „Bist du wieder böse auf mich, Würmchen?" Frodo stöhnte: „Nicht wirklich, es ist nur, du musst ein bisschen aufpassen, damit du mich nicht verletzt." Der Uruk sah ihn verständnislos an. „Schagrat, erinnere dich, ich bin nur ein Halbling, du tust mir einfach weh, denn ich bin nicht so kräftig gebaut wie du." Der Riese hatte plötzlich wieder diesen rührend zerknirschten Ausdruck im Gesicht, der so gar nicht zu ihm passen wollte. Frodo hatte ihn offensichtlich verstört und kam nicht umhin, ihn jetzt wenigstens aufmunternd anzulächeln. „Kein Grund zur Sorge, sei halt nur etwas vorsichtiger", erklärte er geduldig. „Du vergisst eben manchmal, was du mit deiner Kraft alles anstellen kannst." Jetzt knurrte der Uruk protestierend: „Da irrst du dich gewaltig. Ich weiß genau, was ich mit meiner Kraft machen kann, ich könnte dich nämlich mit einem Fuß in den Boden stampfen oder dich mit einer Hand erwürgen. Wenn du willst, beweise ich es dir." Frodo hatte plötzlich einen dicken Kloß im Hals und zuckte im nächsten Moment erschrocken zusammen, als er Schagrat in dröhnendes Lachen ausbrechen hörte. „Na, ist der Scherz gelungen, habe ich dich ordentlich erschreckt?" Frodo konnte über diese Art von Humor nur gequält das Gesicht verziehen. Na bestens, dachte er, Orkwitze... was soll das erst werden, wenn wir verheiratet sind. Er entschied, dass Galgenhumor in dieser Situation wohl am angebrachtesten sei.
Kapitel 8Als sie später beim Essen am Feuer saßen, war der Uruk wieder merkwürdig in sich gekehrt, aber Frodo wagte nicht recht, ihn anzusprechen. Jeder friedliche Moment schien ihm immer noch trügerisch. Doch plötzlich sah ihn Schagrat an, und der Hobbit bemerkte erstaunt den müden Gesichtsausdruck des Riesen. „Geht es dir nicht gut?" fragte er vorsichtig. Schagrat knurrte, doch es klang diesmal eigenartig traurig. „Du hast mich doch gefragt, warum ich dich vor Kankra gerettet habe..." Frodo stockte der Atem. Der Uruk fuhr unsicher fort: „Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, ich glaube, du hast irgendetwas mit mir gemacht." Er stockte wieder und grübelte. „Da war manchmal so ein komisches Gefühl, ich weiß einfach nicht, was es war." Schagrat winkte resigniert ab. Doch für Frodo war dieser Augenblick viel zu kostbar, um ihn einfach zu verschwenden. „Bitte sprich weiter," flüsterte er eindringlich, „du kannst mir alles sagen, egal was es ist." Der Uruk sah ihn lange nachdenklich an. „Du tust es schon wieder, nur ist es in letzter Zeit nicht mehr so schlimm wie zum Anfang." Frodo runzelte die Stirn. Er hatte keine Ahnung, wovon der Riese sprach, nickte ihm jedoch aufmunternd zu. „Was genau meinst du denn?" Schagrat schnaufte: „Das ist es ja eben, ich weiß die Worte nicht, ich kann es dir nicht erklären. Ich habe den ganzen Tag überlegt... aber es ist wohl nicht so wichtig." Er schüttelte den Kopf und verstummte.
Frodo atmete hörbar aus und stand langsam auf, um sich näher an den Uruk heranzusetzen. „Schagrat, deine Gefühle sind wichtig, und ich würde gern darüber Bescheid wissen. Benutze einfach die Worte, die du kennst, vielleicht kann ich dir dann weiterhelfen." Überhaupt fand Frodo, dass der Uruk in letzter Zeit viel an Worten gewonnen hatte, und auch sein Umgangston war nicht mehr ganz so rüde. Bitte, Schagrat, lass mich jetzt nicht im Stich, flehte er innerlich. Der Riese grummelte wieder unverständlich, und Frodo hatte Mitleid mit ihm. Dieses Gespräch musste sehr schwer und kompliziert für ihn sein, woher sollte er auch wissen, wie man etwas ausdrückt, wenn man vorher nur Befehle und Beleidigungen brüllen musste. Und so wartete der Hobbit mit endloser Geduld.
Schagrat sah ihn an und sprach stockend weiter: „Du hast vorhin wütend geschrieen und dann gesagt, dass es dir weh getan hat. Und da fiel mir ein, dass ich auch manchmal gebrüllt habe vor Wut. Meinst du, dass mir dann auch etwas weh getan hat?" Frodo blinzelte irritiert. „Ich weiß es nicht genau, Schagrat, hast du denn etwas gefühlt, was vorher nicht da war?" Der Uruk überlegte: „Ja, und am Anfang war es so stark, dass ich nur schreien und dich am liebsten auseinanderreißen und verschlingen wollte, damit es aufhört, weißt du?" Frodo erinnerte sich mit Schaudern, nickte jedoch verständnisvoll und fragte behutsam: „Und warum hast du es nicht getan?" Schagrat zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht, Würmchen, vielleicht hast du gezaubert, falls du verstehst, was ich meine..." Die Worte tropften wie Balsam in Frodos Erinnerung. Falls du verstehst, was ich meine... Wie oft hatte Sam genau diese Worte benutzt, wenn er unsicher war, ob Frodo auch wirklich begriff, was er ungeschickt zu sagen versuchte. Frodo lächelte still vor sich hin, denn er hatte plötzlich die untrügliche Ahnung, dass Sam noch am Leben war. Bitte lass es wahr sein...
Er lenkte seine Gedanken wieder zu Schagrat zurück, der offenbar nicht weiter wusste. „Also, zaubern kann ich ganz sicher nicht, aber hast du denn nicht noch etwas anderes gefühlt? Denk nach." Der Uruk schnaufte angestrengt. „Das ist ja das komische, da ist ein anderes Gefühl, genau an derselben Stelle, aber deswegen muss ich nicht schreien. Wenn dieses Gefühl da ist, dann bin ich nicht wütend, sondern will dir lieber etwas zu essen bringen oder dich auf meinen Schultern tragen, ich weiß ja auch nicht..." Frodo wagte kaum zu atmen. „Schagrat, welche Stelle meinst du denn? Wo genau hast du denn diese Schmerzen?" Der Riese brummte unsicher und deutete linkisch auf seine breite Brust. „Genau hier. Aber das klingt bestimmt alles ganz wirr für dich, oder?"
Schagrat war verlegen und senkte den Blick, und so sah er nicht, dass Frodo plötzlich Tränen in den Augen hatte. Doch der Hobbit wischte sich schnell mit der Hand über das Gesicht, denn er wollte den Uruk jetzt nicht verunsichern, der ihn bestimmt wieder für traurig halten würde. Und so rang er tapfer um seine Fassung, bevor er leise sagte: „Das ist dein Herz, Schagrat, und es spricht zu dir. Das hat es wohl nie zuvor getan, deshalb kanntest du diese Gefühle nicht."
Schagrat blickte verständnislos auf. Frodo versuchte es anders: „Ich weiß, dass das nicht leicht für dich zu verstehen ist, aber...", er suchte fieberhaft nach Worten, „wenn du dieses zweite komische Gefühl hast, dann ist es wirklich gut und richtig, und du musst darauf hören. Dieses Gefühl sollte wie ein Befehl für dich sein, dass zu tun, was dir in diesem Moment gerade einfällt." Frodo hoffte verzweifelt, dass seine Worte für den Uruk einen ungefähren Sinn ergaben. Schagrat grübelte einen Moment und nickte dann. „Ich werde versuchen, es mir zu merken. Aber was ist mit diesem anderen Gefühl, dass mich wütend macht? Weißt du auch, was das bedeutet?"
Der Hobbit überlegte angestrengt. „Ich denke, du hattest diese Schmerzen, weil... weil du vielleicht nicht so geschaffen wurdest, um dein Herz zu fühlen. Und als es sich nun doch bemerkbar machte, war es zuerst wohl wie eine Art Krankheit, und so hat es dich eben gequält und dir weh getan. Ich glaube, so könnte es sein. Du hast gesagt, dass es in letzter Zeit nicht mehr so schlimm ist, vielleicht heilt die Krankheit ja allmählich, denkst du nicht auch?"
Der Uruk rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her, sichtlich bemüht, Frodos Ausführungen zu folgen. „Aber wieso hat es sich bemerkbar gemacht, wenn die Uruk-hai nicht so geschaffen wurden?" Frodo seufzte: „Schagrat, das kann ich dir wirklich nicht sagen, denn es gibt viele Dinge, die auch ich nicht weiß." Der Riese blickte erstaunt auf. „Aber du bist doch so klug, kleiner Frodo." Der Hobbit schüttelte lächelnd den Kopf. „Danke, du Tollpatsch, aber es gibt Geheimnisse, die wohl niemand von uns wissen kann. Manche Dinge müssen wir einfach hinnehmen. Wichtig ist doch nur, ob es dir gut geht mit dem, was passiert ist. Fühlst du dich denn besser als früher?" Schagrat dachte wieder nach und brummte plötzlich traurig: „Ich weiß es nicht, Würmchen, ich habe ja früher nichts gefühlt." Er stockte, und Frodo blinzelte rasch eine mitleidige Träne fort. „Ist schon gut, Schagrat, ich denke, es geht dir jetzt besser, wenn du nicht mehr so oft böse und zornig bist", sagte er dann entschieden. „Wenn du das sagst, wird es wohl richtig sein, kluges Würmchen", nickte der Uruk bestätigend. Frodo musste wieder lächeln. „Möchtest du sonst noch etwas wissen, Schagrat? Du kannst mich alles fragen, wenn du nicht weiter weißt. Ich helfe dir wirklich gern."
Der Uruk schnaufte wieder nachdenklich und sagte eine Weile nichts. Doch schließlich sah er dem Hobbit ernst in die Augen. „Bist du mein Freund, Frodo?" Frodos Schultern verkrampften sich, er biss sich auf die Lippen und zog scharf die Luft ein. Mit einer solchen Frage hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen und fühlte sich plötzlich völlig hilflos. Durch das verstörte Knurren des Uruks genötigt, hob er langsam seinen Blick und sah Schagrat traurig und um Verständnis bittend an: „Ich weiß es nicht", sagte er leise und tonlos. Der Blick des Riesen verfinsterte sich abrupt, und er erhob sich grollend. „Bitte, Schagrat...", versuchte Frodo ihn schnell zu besänftigen, doch der Uruk fauchte ihn so scharf an, dass der Hobbit sofort verstummte und ihn statt dessen nur alarmiert beobachtete. Schagrat brüllte zornig auf, griff nach seinem Schwert und begann damit auf einen Baumstamm einzuschlagen. Frodo brach der Schweiß aus, und er stand langsam auf, um dem Uruk nötigenfalls aus dem Weg zu springen, sollte sich dessen Wut jetzt auf ihn richten. Doch Schagrat sah ihn nicht einmal an, sondern verschwand plötzlich einfach im Dunkel des Waldes und ließ den Hobbit allein zurück. Frodo kauerte sich wieder auf den Boden und schloss für einen Moment erschöpft die Augen. Er hatte Schagrat gerade unverkennbar verletzt.
Der Hobbit fühlte sich plötzlich sehr einsam und verloren, als er allein am Rand der weiten Lichtung zurückgeblieben war. Erneut begannen dunkle Erinnerungen ihn zu quälen, deren finstere Schatten ihn zu überwältigen drohten. Wieder drangen zischende und kreischende Stimmen auf ihn ein, und er hielt sich verzweifelt die Ohren zu, um ihnen zu entkommen. Doch die Stimmen waren in seinem Kopf, und er konnte sie nicht bannen. „Lasst mich in Ruhe", schrie er wild und sprang gehetzt auf. Die Stimmen verstummten, und Frodo lehnte sich schwer atmend an einen Baumstamm. Als sein Herz wieder ruhiger schlug, ließ er sich langsam zurück in das taufeuchte Gras sinken.
Ach Gandalf, was soll ich nur tun? Frodo sehnte sich schmerzlich nach seinem geliebten Mentor und Freund, der es so oft verstanden hatte, ihn mit weise durchdachten Worten sanft auf den richtigen Weg zu führen. Ich bin einfach nicht stark genug für diese Aufgabe, dachte er müde. Warum immer ich, was wollt ihr von mir, war denn der Eine Ring nicht genug, dachte er verbittert. Doch Selbstmitleid würde ihn jetzt auch nicht weiterbringen.
Verstört erinnerte er sich an Gollum, an sein hartes und vergebliches Ringen mit dieser unglücklichen Kreatur, die sein Vertrauen schließlich missbraucht und ihn und Sam heimtückisch einem furchtbaren Schicksal überlassen hatte. Der Hobbit zitterte in grausiger Erinnerung daran. Schagrat würde ihn sicher genauso verraten. Der Uruk war seelisch nicht geringer von den schwarzen Kräften Mordors verformt, als Gollum es gewesen war. Gerade erst hatte er seinen unbeherrschten Zorn wieder zur Schau gestellt. Jedes Mal hatte Frodo umsonst gehofft, dass der Uruk etwas umgänglicher werden würde. Doch er blieb ein unberechenbar wildes und gefährliches Geschöpf. Nur etwas passte nicht in dieses Bild, und er wusste auch, was es war. Gollum hatte ihn hinterhältig an Kankra ausgeliefert, doch Schagrat hatte ihn vor ihrem Stachel bewahrt und war dabei sogar verletzt worden. Überdies hatte der Uruk sich in letzter Zeit wirklich redlich bemüht, alle Dinge zu verstehen, die Frodo ihm geduldig erklärte.
Und trotzdem, was wusste ein Uruk denn von Freundschaft? Was für eine einfältige Vorstellung konnte dieses Ungetüm schon davon haben? Doch der Hobbit rief sich zur Ordnung. Es war schlicht ungerecht, so zu denken. Woher sollte Schagrat es auch wissen, von wem hätte er es je lernen sollen? Frodo schüttelte traurig den Kopf und seufzte. Blieb ihm denn nichts anderes übrig, als wieder die Bürde zu tragen? Doch er kannte die Antwort längst.
Und er war sich völlig im klaren darüber, dass er sich auf sehr dünnem Eis bewegte und dass es dabei nur zwei Möglichkeiten gab, es würde ihn tragen oder unter ihm brechen. Wenn er Schagrat wirklich helfen wollte, würde er den Mut finden müssen, über dieses Eis zum anderen Ufer zu gehen und dem Uruk seine Hand zu reichen. Und noch etwas anderes wurde ihm bewusst. Wenn er Schagrat seine Freundschaft anbot, dann bedeutete das auch, dass er ihn gehen lassen musste, wohin auch immer das sein würde. Er musste ihn seinen eigenen Weg finden lassen. Der Uruk würde einer Bestimmung folgen, deren Ruf sich Frodo nicht in den Weg stellen durfte.
Er würde Schagrat auf keinen Fall weiter drängen, ihn nach Bruchtal zu begleiten. Und wenn Frodo ehrlich zu sich war, dann glaubte er inzwischen auch nicht mehr daran, dass diese Idee sich in die Tat umsetzen ließe. Er war wohl in seinem Wunschdenken weit über das Ziel hinausgeschossen. Bruchtal war einfach nicht der Ort, wo ein solches Wesen zu Hause sein könnte. Doch leider hatte der Hobbit nicht die geringste Ahnung, wo Schagrat jetzt überhaupt noch hingehörte, war er doch inzwischen völlig heimatlos, ein Abtrünniger unter seiner eigenen Rasse, die als finsteres Überbleibsel aus den Wirren vergangener Zeitalter noch immer in Mittelerde ihr Unwesen trieb und entsprechend verhasst und geächtet war.
Über nicht enden wollenden Gedanken fiel Frodo in einen unruhigen Schlaf.
Kapitel 9Ein Knurren neben ihm ließ ihn auffahren. „Wolltest du den ganzen Tag verpassen, kleine Kröte?" Der Hobbit hatte in seiner Erschöpfung tatsächlich bis zum Nachmittag geschlafen. Frodo setzte sich blinzelnd auf und versuchte schnell auszumachen, in welcher Stimmung sich der Uruk befand. Alles schien normal, denn Schagrat hatte ihm Pilze und Beeren mitgebracht, was der Hobbit jedes Mal mit einer gewissen Rührung zur Kenntnis nahm. Das war wohl Schagrats Art, sich für sein grobes Verhalten zu entschuldigen. Der Riese hatte sich neben ihn gesetzt und achtete sorgsam darauf, dass Frodo auch alles aufaß. Er erinnert mich wirklich manchmal an Sam, gerade jetzt wieder, dachte der Hobbit lächelnd.
Nach einer Weile sah ihm Schagrat ernst und entschlossen in die Augen. „Ich habe nachgedacht, Würmchen. Unsere Wege werden sich wohl bald trennen." Frodo schluckte, und der Gedanke an diese Trennung tat ihm weh, obwohl er inzwischen wusste, dass sie wohl unvermeidlich war. „Und was wirst du dann tun, Schagrat?" Der Uruk brummte nur leise und schwieg. Offenbar wusste er es nicht. Frodo fühlte sich plötzlich unglaublich traurig und leer. Er hätte weinen mögen, weil er in diesem Augenblick begriff, wie sehr er Schagrat inzwischen mochte. Doch er sah den Riesen gefasst an. „Ich habe auch nachgedacht, Schagrat. Du hast mich gestern gefragt, ob ich dein Freund bin, und ich wusste keine Antwort darauf..."
Der Uruk brummte beruhigend. „Mach dir darüber keine Gedanken, Würmchen. Ich weiß jetzt, dass das nicht geht." Frodo sah ihn erstaunt an. „Was meinst du denn damit?" Schagrat blickte zu Boden und sprach leiser als sonst: „Die Uruk-hai haben keine Freunde, jeder hasst sie, und sie hassen jeden, und so wird es immer sein...wir sind Verdammte." Diese Feststellung klang so betrübt und endgültig, dass der Hobbit schmerzlich zusammenzuckte. Aber so schnell wollte er nicht aufgeben. „Nicht so eilig, Schagrat, so einfach ist das nicht..." Doch der Uruk war aufgestanden und wollte offenbar wieder in den Wald verschwinden. Frodo jedoch erhob sich ebenfalls und trat ihm entschlossen in den Weg, was der überraschte Riese mit einem dumpfen Grollen quittierte. Doch der Hobbit ließ sich nicht beirren. „Schagrat, jetzt hör mir doch bitte zu..." Der Uruk knurrte schärfer. „Geh mir aus dem Weg, Winzling, oder es wird dir leid tun."
Doch statt erschrocken zu sein, wurde Frodo plötzlich wütend. „Das könnte dir so passen, du Ekel. Immer wenn du nicht weiter weißt, bekommst du deine Anfälle. Ich habe allmählich genug davon. Du willst einen Freund haben? Dann streng dich gefälligst an und lerne gleich mal die erste Regel der Freundschaft. Sie lautet nämlich, dass Freunde einander zuhören. Und wenn du das begriffen hast, kannst du ja gleich mal damit anfangen! Das heißt, falls du deine Frage überhaupt ernst gemeint hast. Ansonsten war sie bestimmt ein Orkwitz und ein unglaublich guter noch dazu!" Seine blauen Augen blitzten vor Zorn, was Schagrat völlig aus der Fassung warf, denn er sah den Hobbit dermaßen zerknirscht an, dass dessen gereizte Stimmung sofort wieder verflog. „Ich wollte dich nicht ärgern, Würmchen", brummte der Uruk entschuldigend. Frodo lenkte rasch ein: „Das weiß ich, Schagrat. Aber du hast mir gestern eine wichtige Frage gestellt, auf die du eine ehrliche Antwort verdienst. Und wenn du meinst, dass wir uns bald trennen werden, dann sollten wir jetzt darüber sprechen."
Der Uruk war vor Frodo stehen geblieben und brummte kopfschüttelnd. „Was gibt es da noch zu besprechen, Würmchen, ich habe dir doch gesagt, dass die Uruk-hai keine Freunde haben und dass jeder sie hasst..." Doch der Hobbit hatte die Pranke des Riesen ergriffen und sah mit festem Blick zu ihm auf. „Ich hasse dich nicht, Schagrat... ich habe dich nie gehasst." Der Riese knirschte mit den Zähnen: „Wie kann das sein, Würmchen?" Frodo überlegte: „Ich hatte Angst vor dir, aber das ist etwas völlig anderes." Schagrat runzelte die Stirn. „Und hast du denn jetzt keine Angst mehr?" Der Hobbit seufzte: „Also ehrlich gesagt, du erschreckst mich manchmal ganz schön, und genau das ist das Problem. Du wirst viel zu schnell wütend, und das ist nicht gerade ermutigend. Immerhin bin ich viel kleiner und schwächer als du, also ist deine Wut natürlich beängstigend für mich. Wenn ich sehe, was du mit Bäumen und Büschen so anstellst, habe ich immer ein bisschen Angst davor, dass du so auch mit mir umgehen könntest. Verstehst du das?"
Schagrat knurrte unruhig. „Ich tue das nur, wenn ich diese Schmerzen habe, dann kann ich eben nicht anders." Der Hobbit schüttelte entschieden den Kopf. „Schagrat, jedes Wesen kennt seelische Schmerzen. Trotzdem kann man nicht jedes Mal losgehen und auf irgendetwas einschlagen. So etwas tut man einfach nicht, schon gar nicht unter Freunden. Man jagt seinen Freunden keine Angst ein, denn sie vertrauen einem. Also wäre es vielleicht nicht schlecht, wenn du wenigstens lernen könntest, deine Wut ein wenig zu beherrschen."
Schagrat schwieg einen Moment lang, doch stöhnte er plötzlich voll schmerzhafter Verzweiflung, wie Frodo es nie zuvor vernommen hatte, und sein Gesicht nahm einen derart gepeinigten Ausdruck an, dass dem Hobbit der Atem stockte. „Schagrat?" Der Riese sah ihm in die Augen, und in seinem Blick lag eine solche Qual, dass Frodo einen Stich im Herzen verspürte.
Der Uruk senkte den Blick wieder und begann mit schleppender Stimme zu sprechen. „Ich habe versucht, gegen diese Schmerzen zu kämpfen, immer wieder, aber sie sind oft stärker... es ist so schwer.. es ist die schwarze Macht, Frodo, und sie befiehlt mir zu kämpfen und andere Wesen zu quälen und zu töten, ich kann nichts dagegen tun. Und wenn ich das nicht will, dann tut es weh. Es sind so große Qualen. Es hört nie ganz auf... ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst, diese Macht ist so stark und furchtbar... ich werde sie niemals besiegen können...ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll..." Er stockte, doch Frodo blickte ihn unendlich sanft und mitfühlend an und flüsterte beruhigend: „Ist schon gut, Schagrat, ich weiß genau, was du meinst, denn ich kenne diese Macht nur zu gut. Du musst es mir nicht erklären."
Auch der Hobbit spürte in diesem Moment wieder die eisigen Klauen, die nach seiner eigenen Seele griffen. Er zitterte, und das Atmen fiel im plötzlich schwer. Niedergeschlagen und verzweifelt erkannte er, dass es vielleicht doch zu spät für Schagrat war, genau wie damals für Gollum. War denn jeder, den diese finstere Macht einmal berührt hatte, auf ewig von ihr gezeichnet?
Doch der dunkle Moment ging vorüber, als er Schagrats Stimme wieder vernahm, die plötzlich nicht mehr so düster klang. „Manchmal ist es aber doch anders, Würmchen, dann ist es nicht so schlimm, und ich fühle mich besser. Und das ist meist, wenn ich dich anblicke oder sprechen höre. Und wenn ich dir beim Schlafen oder Essen zusehe. Deshalb dachte ich ja, es wäre vielleicht ein Zauber... klingt das komisch?" Frodo versuchte zu lächeln. „Von mir aus nenne es einen Zauber, vielleicht ist das gar nicht so falsch, aber man nennt es auch Mitgefühl. Und so lange es Mitgefühl gibt, gibt es Freundschaft. Und so lange es Freundschaft gibt, gibt es Hoffnung. Auch für dich, Schagrat." Der Riese grunzte verwirrt. „Das klingt sehr schwierig für mich. Kannst du das auch einfacher erklären?" Frodos Lächeln kehrte zurück. „Ja, Schagrat, das kann ich. Es bedeutet, dass ich gern dein Freund wäre. Was sagst du dazu?"
Statt einer Antwort packte Schagrat den Hobbit ohne Vorwarnung, hob ihn hoch über seinen Kopf und begann, ihn leicht und spielerisch zu schütteln. Frodo war im ersten Moment nicht sicher, ob das ein gutes Zeichen war, doch als er nach unten sah und das linkisch schiefe Grinsen des Uruks erblickte, fand er diesen Anblick dermaßen absurd, doch ungefährlich, dass er plötzlich anfing zu glucksen. „Was soll das, was machst du denn da?" fragte er lachend. Schagrat wurde ernst und meinte im Brustton der Überzeugung: „Na was wohl, Würmchen, ich mache genau das, was du mir erklärt hast. Du hast gesagt, wenn ich dieses zweite komische Gefühl habe, dann soll ich tun, was mir gerade einfällt." Das war zu viel für Frodo. Er konnte nicht mehr an sich halten und brach in schallendes Gelächter aus. Na großartig, dachte er, soviel zu den mühsamen Erklärungen eines Hobbits und orkischen Freudenausbrüchen! Doch genoss er diesen Augenblick sehr, denn wann hatte er in letzter Zeit schon einen guten Grund zum Lachen gefunden. Er lachte, bis ihm alles wehtat und sein Magen wieder auf eine harte Probe gestellt wurde, denn Schagrat hatte nicht aufgehört, ihn zu schütteln, nachdem auch er in dröhnendes Lachen ausgebrochen war.
Als Frodo fand, dass es genug war, sah er den Riesen gespielt entrüstet an. „Jetzt lass mich aber wieder runter, sonst wird mir schlecht, denn du musst wissen, dass Halblinge großen Höhen nicht so recht vertrauen." Doch Schagrat grinste noch immer schief. „Ich habe aber keine Lust dazu." Frodo versuchte es etwas strenger: „Komm schon, Schagrat, das reicht, übertreibe es nicht gleich..." Doch im selben Moment vernahm der Hobbit ein scharf zischendes Geräusch in der Luft und sah im nächsten Moment fassungslos, wie die Schulter des Uruks von einem Pfeil durchbohrt wurde...
wird fortgesetzt...
