Memories of my Love – Teil 8

Yohjis Tagebuch

09. August 1605 – schon lange nach dem Schlafengehen

Hatte ich gestern noch die Erwartung, dass sich Aya heute vielleicht eines Besseren besinnen würde, so hat mich dieser Tag davon überzeugt, dass ihm einfach nicht zu helfen ist. Was sich dieser hergelaufene Bastard in den Sinn gesetzt hat, das zieht er auch knallhart durch. Egal, ob er damit die Gefühle von anderen verletzt.

Es interessiert ihn nicht im Geringsten, ob Omi mich heiraten möchte oder nicht. Für ihn geht es nur darum, dass der Anstand gewahrt wird. Und da ich ja, aus seiner Sicht, Omi geschändet habe, kann der besagte Anstand nur gewahrt werden, wenn wir beide heiraten. Diese Litanei habe ich mir heute des Öfteren anhören dürfen. Daher kann ich nun auch kurz und knapp wiedergeben, was er mir ständig ins Ohr gebrüllt hat. Anstand. Schande. Heiraten. Ja ja.

Doch fangen wir mal von vorne an. Aya hatte heute morgen seinen neu ernannten Schützling namens „Omiko" kaum aus den Augen gelassen. Zusammen kamen sie in den Gemeinschaftsraum des Gasthofes und setzen sich zu Ken und mir.

Aya schlürfte erst mal eine Misosuppe (mehr aß er ohnehin nicht zum Frühstück), bevor er sich an Omi wandte. „Da ich nicht alles wiederholen möchte, was du mir erzählst, habe ich bis heute morgen gewartet. Du kommst also aus diesem Dorf Tokio, das in der Nähe von Edo liegt. Richtig?"

Auf Omis Gesicht breitete sich bei dem Wort „Dorf" ein schiefes Grinsen aus. Scheinbar war mit diesem Dorf etwas ganz entschieden anders, als wir es annahmen. Dann nickte er jedoch.

„Gut. Haben dich deine Eltern bereits jemand anderem versprochen?"

„Wie bitte?" Omi schien die Frage zwar zu verstehen, aber allein der Gedanke brachte ihn völlig aus dem Konzept. „Natürlich nicht. Das würden sie nie tun."

„Nun ja. Du stammst aus einer bürgerlichen Familie. Da war es vermutlich nicht notwendig. Ich kann also davon ausgehen, dass dein Vater keine Einwände gegen die Heirat erheben wird?" Es klang mehr nach einer Feststellung, als nach einer Frage. Doch Omis Antwort führte zu weiteren Fragen.

„Ähm... also... um genau zu sein... sind meine Eltern gerade nicht erreichbar."

„Und was soll das heißen? Nicht erreichbar. Sind sie verstorben?" Nur Aya konnte diese Angelegenheit so emotionslos präsentieren.

„Nein. Es ist nur... wir werden Tokio nur sehr wahrscheinlich nicht erreichen können."

„Und gibt es einen bestimmten Grund dafür? Liegt das mitten im Sumpf? Man kann doch zu dieser Jahreszeit jedes Dorf erreichen."

Omi nestelte am Saum seines Kosode herum. Ich stellte mir allerdings die gleichen Fragen wie Aya. Welchen Grund sollte es geben, dass man sein Heimatdorf nicht erreichen konnte?

„Nun denn... Wenn dein Vater ausscheidet, dann wird doch sicher dein Großvater oder ein Onkel seine Zustimmung geben. Jedenfalls jemand, der greifbar ist." Seine Stimme verriet nicht, dass ihm diese Situation auf die Nerven ging. Doch wenn man ihn genau betrachtete, sah man, dass er seine Fäuste geballt hatte. Natürlich unter dem Tisch, damit es auch keiner merkte.

„Na ja. Es gibt da noch diesen entfernten Onkel, den ich besuchen wollte."

„Wird der etwas gegen die Hochzeit sagen?"

„Ich glaube nicht. Er kennt mich gar nicht richtig."

Langsam zweifelte ich an seiner Verwandtschaft. Die Eltern war nicht auffindbar und der einzige Verwandte, der sich finden ließ, schien sich nicht für ihn zu interessieren. War dann die Geschichte mit seinem Vater und den Wettbewerben im Bogenschießen nur eine reine Erfindung? Das mochte ich einfach nicht glauben. Also noch ein Punkt mehr auf der Liste „Geheimnisse um Omi".

„Dann wird der seine Zustimmung geben müssen. Wir werden also auf dem kürzesten Weg zu diesem Onkel reiten, Yohji wird um deine Hand anhalten und dann werden wir direkt zum Gut von Kudou-sama zurückkehren."

„Und wenn ich gar nicht so schnell heiraten möchte. Vielleicht fragst du auch mal mich, was ich möchte?"

Inzwischen schon mit weißen Knöcheln an den Händen blickte Aya Omi an. „Omiko-san." Er betonte jeder einzelne Silbe des Namens. „Hast du mir gestern eigentlich zugehört? Und hast du einmal in deinem Leben deinem Vater zugehört? Dieser Mann", dabei deutete er auf mich, „hat deine Würde verletzt. Nur eine Hochzeit kann deine Ehre wiederherstellen."

„Er hat meine Würde nicht verletzt. Außerdem habe ich ihn geküsst." Der letzte Satz kam zwar etwas kleinlaut, brachte mich dafür aber innerlich umso lauter zum Jubeln. Omi stand zu mir. Irgendwie.

Zumindest hatte er von sich aus gesagt, dass er mich geküsst hatte. Zu diesem Zeitpunkt hätte sich die Erde unter mir auftun können, ich hätte es nicht gemerkt. Zu sehr freute ich mich darüber, dass ich Omis Würde nicht verletzt hatte. Das hieß doch, ihm hatte der Kuss gefallen, oder?

„Wenn das Alles von dir ausging, ist es umso wichtiger, dass du ihn heiratest. Keine anständige junge Frau würde jemanden küssen und dann nicht ehelichen. Dann willst du die Ehe also?"

„Verdammt. Verstehst du das denn nicht? Ich KANN ihn nicht heiraten!" Damit sprang er auf und wollte aus dem Raum laufen. Ich wusste nicht, was ich damit anfangen sollte. Er hatte weder gesagt, dass er mich heiraten will, noch, dass er es nicht möchte. Für ihn war die Tatsache, dass es nicht möglich war, viel entscheidender.

Auf der anderen Seite war eine Ehe zwischen zwei Männern natürlich etwas, was sich technisch nicht durchsetzen ließ. Aber er spielte ja die Rolle einer Frau und in dieser Rolle sollte es doch keine Schwierigkeiten mit der Heirat geben.

Omi kam jedoch nicht sonderlich weit, weil Aya aufgesprungen war und ihn zurückhielt. „Warum zum Henker kannst du ihn nicht heiraten? Du hast doch gerade gesagt, dass aus deiner Familie keiner Einspruch erheben würde. Also? Weswegen geht es nicht?"

„Ich... Bitte glaub mir einfach, es geht nicht." An dieser Stelle hatte ich für einen kurzen Augenblick den Gedanken, dass er vielleicht schon verheiratet war. Aber dann hätte er doch neulich nicht gesagt, dass er nach dem Mann aus seinem Traum sucht. Nein, ich glaube nicht, dass er bereits mit einer anderen Person das Gelöbnis ausgetauscht hatte.

Jetzt muss ich mal kurz unterbrechen. Während ich hier gerade die Diskussion beim Frühstück beschreibe, kam mir ein Gedanke. Der Mann aus Omis Traum. Der ihn geküsst hat. Wo sich dieser Kuss perfekt anfühlte.

Was hatte Omi gleich gesagt? „Es war so, als ob wir uns schon ewig kannten, obwohl es der erste Kuss war. Ich habe gespürt, dass er es ehrlich mit mir meint, dass ich nicht nur ein Spielzeug bin. Und genau in diesen Mann will ich mich verlieben."

Fassen wir mal zusammen. Omi hatte mich erst fragend angesehen und mich dann geküsst. Wollte er herausfinden, ob ich vielleicht dieser Mann sein könnte? Selbst jetzt, wo ich nur darüber nachdenke, schlägt mein Herz wie wild. Ich bete inständig, dass ich es bin. Denn ich habe mich bei dem Kuss genau so gefühlt, wie Omi es beschrieben hat. Und ich würde ihn nie als Spielzeug ansehen. Nicht, wo ich endlich den Menschen gefunden, von dem ich weiß, dass ich ihm meine Seele anvertrauen kann.

Und dann hatte er beim Frühstück gesagt, dass er mich nicht heiraten kann. Nicht, dass er mich nicht heiraten will. Es musste also etwas wirklich Wichtiges sein, dass ihn davon abhielt mich zu ehelichen. Nur wusste ich immer noch nicht, was der Grund sein konnte. Aber nach dem, was heute noch so alles geschehen ist, muss es ihn ernsthaft belasten. Ich wünschte nur, es gäbe etwas, das ich tun könnte, um diese Last von seinen Schultern zu nehmen.

Kommen wir also zurück zu Aya und Omi, die gerade über die Zukunft des Blondschopfes diskutierten. Ich hielt mich immer noch zurück. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass mein ganz besonders guter Freund Aya sofort explodieren würde, wenn ich auch nur meinen Mund aufmachte.

So musste Omi den Kampf mit diesem Bastard alleine austragen. Aber er schlug sich gut, vielleicht konnte er ihn doch noch davon überzeugen, dass die Hochzeit nicht stattfand. Ich wollte absolut nicht, dass Omi zu etwas gezwungen wurde, was er nicht wollte.

Das er mit seinem Ansinnen keinen Erfolg hatte, zeigte der nächste Satz. „Für mich ist diese Diskussion beendet. Wir werden zu deinem Onkel reiten und Yohji wird dich heiraten. Solange du keine triftigen Gründe lieferst, warum er dich nicht heiraten kann, will ich kein Wort mehr davon hören. Und das gilt für alle hier." Bei seinem Schlusssatz blickte er bedeutungsvoll in meine Richtung.

So machten wir uns also auf und ritten weiter in Richtung Edo. Nach der Auskunft von Omi befand sich das Anwesen seines Onkels im Nordwesten der Stadt. Wir suchten nach einem Mann namens Takatori Masanori.

Omi wusste nicht genau, wo sein Onkel wohnte, er war selbst noch nie da gewesen. Aber mit so einer sympathischen Begleitung wie Aya, würden wir sicher dort hinfinden. Wenn er jemanden eine Frage stellte, gab man besser sofort die richtige Antwort, ansonsten sah man sich mit seinem Zorn konfrontiert. Und dem würde ich persönlich aus dem Weg gehen wollen.

Wie schon üblich (insofern man das nach drei Tagen sagen kann), machten wir auch heute wieder Rast am Wegesrand. Ken kümmerte sich um die Pferde und führte sie an einen kleinen Fluss, der in der Nähe vorbei floss. Aya war leichtsinnigerweise verschwunden. Er glaubte wohl, seine einschüchternden Blicke hätten Erfolg gehabt.

Das eigentlich Wichtige an der Situation war jedenfalls, dass ich plötzlich mit Omi allein war. Endlich konnten wir uns ungestört unterhalten, hatten wir doch seit unserem Kuss am vergangenen Abend keine Gelegenheit dazu bekommen.

Da standen wir beide also und ich wusste nicht so recht, wo ich anfangen sollte. Einfach so zu sagen „Das war der schönste Kuss meines Lebens" hielt ich nicht für angebracht. Aber was dann? Da war etwas Unverfängliches schon besser. „Wie geht es dir denn so?"

„Gut. Denke ich." Er blickte kurz zu Boden. „Das mit der Hochzeit..."

„Keine Sorge, mir fällt schon noch etwas ein, wie ich Aya davon abhalten kann."

„Wäre es denn so schlimm, wenn du mich heiraten würdest?" Ich öffnete meinen Mund, schloss ihn wieder und wiederholte das Ganze noch einmal. Was sollte ich denn auf diese Frage antworten? Das klang doch förmlich danach, dass er eigentlich gar nichts gegen diese Idee hatte. Und persönlich würde ich nichts lieber tun, als ihn zu heiraten. Eine Garantie haben, dass er den Rest seines Lebens mit mir verbringen würde.

„Gott. Natürlich wäre das nicht schlimm. Aber hast du nicht gesagt, dass du mich nicht heiraten kannst?" Ich wusste wirklich nicht mehr, in welche Richtung ich denken sollte. Erst sagte er, die Hochzeit kann nicht stattfinden und nun fragte er mich indirekt, ob ich ihn heiraten wollte. Zumindest schloss ich das aus seiner Frage.

Omi ließ den Kopf hängen und wandte sich von mir ab. „Ich... wie soll ich das nur erklären? Ich glaube nicht, dass es eine Zukunft für uns gibt. Es... tut mir leid." Er klang so traurig dabei. Beinahe verzweifelt, als er das sagte.

„Wieso Omi?" Ich griff nach seinem Arm und zog ihn zu mir hin. „Du willst mich doch, oder? Ich habe es doch gespürt, als wir uns geküsst haben. Da war etwas Besonderes zwischen uns. Warum weist du mich dann ab?" Ich muss wohl ähnlich verzweifelt geklungen haben, wie er selbst zuvor.

„Glaub mir, nichts würde ich lieber tun, als bei dir zu bleiben. Aber... es geht einfach nicht... Mein Leben ist nicht hier..." Er suchte in seinen Satteltaschen nach etwas und drehte sich dann mit einem kleinen blauen Etwas in der Hand wieder zu mir um.

In seinen Augen glitzerten schon die ersten Tränen, als er so vor mir stand und zu mir aufsah. „Bitte lass mich jetzt ausreden. Ich weiß, dass wir nicht mehr viel Zeit zusammen haben. Ich werde mit meinem Onkel reden, wenn wir dort sind und dann werde ich versuchen, nach Hause zurückzukehren. Ich würde...", er atmete tief ein „sehr gerne bei dir bleiben, doch das geht nicht. Aber ich möchte dir etwas schenken. Dafür, dass du mir hilfst und meinen Traum wahr gemacht hast. Bitte, das hier ist für dich." Tränen liefen ihm die Wangen herab, als er mir das kleine blaue Etwas in die Hand drückte. Es war ein Haarband. Offenbar aus dem Material des Rockes gemacht, den er am ersten Abend getragen hatte.

„Warum sagst du so etwas? Wenn du bei mir bleiben willst, dann bleib doch einfach. Deine Familie ist nicht zu erreichen. Was spricht also dagegen?"

Er wischte sich die Tränen aus den Augen. „Du kannst es nicht verstehen. Meine Familie... ich will zurück zu ihr und das werde ich auch schaffen. Ich gehöre doch gar nicht hier her. Ich..."

„Verdammt. Natürlich gehörst du hier her. Du gehörst zu mir. Mir ist egal, wo du herkommst oder was dein Geheimnis ist. Egal. Hörst du. Das Einzige, was zählt, ist, dass ich dich liebe. Verstehst du mich? Ich liebe dich." Ich schwieg, was sollte ich denn sonst noch sagen.

Er hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund und sackte dann kraftlos zu Boden. Er brach noch stärker in Tränen aus, heftige Schluchzer erschütterten seinen zierlichen Körper. Immer wieder durchliefen ihn Schauer, während er sich vor und zurück wiegte. Es war schwer zu verstehen, was er sagte, weil seine Stimme teilweise versagte. „Wieso? Wieso du?... Ich habe mir so gewünscht... den Mann... aus dem Traum... das er wirklich existiert.... und dann... als wir uns geküsst haben.... ich wollte diese Worte hören... wollte, dass er mich auch liebt... aber warum hier... jetzt? ...das ist nicht fair... nicht fair... warum musst du es sein... ich will nicht gehen... will nicht..."

Es brach mir das Herz, ihn so verzweifelt zu sehen. Sein ganzes Wesen schien zerrissen zu sein. Er wollte nicht weg, doch irgendwelche mir unbekannten Verpflichtungen schienen ihn zurückzutreiben. Dahin, wo er her kam.

Da mir nichts besseres einfiel, umarmte ich ihn einfach. Es war so schrecklich, ihn dort am Boden zerstört zu sehen. Wie konnte ich ihm helfen? Ihm die Stärke geben, die er gerade so dringend brauchte.

In diesem Moment, wo wir zusammen am Waldrand hockten, war es mir egal, dass ich der Mann war, von dem er geträumt hatte. Es war mir egal, dass ich von ihm den wunderbarsten Kuss meines Lebens bekommen hatte. Er sollte einfach nur wieder lächeln und glücklich sein. Mehr wollte ich nicht.

„Bitte. Gibt es irgendwas was ich für dich tun kann?" Er hatte sich immer noch nicht beruhigt, hielt sich wie ein Ertrinkender an mir fest und ließ mich nicht los. Ich strich ihm über sein weiches Haar, begann die Tränen wegzuküssen, die ihm über die Wangen rannen. Vorsichtig näherte ich mich seinem Mund, küsste ihn sanft. Hoffend, dass er sich vielleicht dadurch von seinem Kummer ablenken ließ.

Es war so, wie schon am Abend zuvor. So unglaublich, dass ich alles um mich herum vergaß. Omi schien es ähnlich zu gehen. Langsam reagierte er auf mich, öffnete den Mund und ließ meine Zunge ein. Die Schluchzer ließen nach, bis sie irgendwann aufhörten.

Ich zog mich zurück und blickte ihm in die Augen. „Besser?"

„Für den Moment? Ja." Ein leichtes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. War es doch die gleiche Antwort, die ich gestern gegeben hatte, als er mir erklärte, warum er Frauenkleider getragen hatte.

„Ich verspreche dir, wir finden ein Weg, auf dem du glücklich wirst. Irgendwie muss es eine Lösung geben."

Unvermittelt versteifte sich Omi. Er schien auf etwas hinter mir zu blicken. Vorsichtig löste er sich von mir und sah dann nach oben. Ich tat es ihm nach und wie ich schon fast geahnt hatte, stand Aya hinter mir. Seine Miene verriet keinerlei Emotion. Ich weiß einfach nicht, warum er so ist. Man konnte aber auch einfach gar nichts aus seinem Gesicht lesen.

Aya schien aber auf jeden Fall meine letzten Worte gehört zu haben. Wie viel mehr er noch gehört oder gesehen hat, kann ich nicht sagen. Eigentlich ist es auch egal, es geht nur darum, dass Omi glücklich ist.

„Die Lösung ist ganz einfach. Nur scheint ihr beide das nicht verstehen zu wollen. Es gibt nur einen Weg um Omis Ehre zu retten und das ist und bleibt die Ehe." Jedes Mal, wenn ich nur daran denke, wie er da vor uns beiden stand und diesen Satz sagte, dann möchte ich ihm am liebsten den Hals umdrehen.

Ich sprang auf und griff nach seinem Kragen. „Siehst du, wie unglücklich du sie machst?" Hier musste ich echt aufpassen, denn beinahe hätte ich „ihn" gesagt. „Oder willst du das einfach nicht sehen, was deine Wort anrichten?"

Er wischte meine Hand zur Seite. Ehrlich gesagt, war ich auch nicht sonderlich begeistert, länger als notwendig so intimen Kontakt mit ihm zu haben. „Ich sehe, dass Omiko im Moment nicht ganz sie selbst ist. Aber diese Ehe wird gut für sie sein. Schließlich wird sie damit in den Adel aufgenommen. Was könnte sich ein junge Frau sonst noch wünschen?"

„Du bist echt das Letzte!" Ich spuckte ihm die Wort förmlich entgegen. „Es kommt doch nicht auf den Stand an, ob man glücklich ist. Aber das wirst du wohl nicht begreifen. Du bist dermaßen von diesen idiotischen Regeln und Standesdenken durchbohrt, dass du wohl die wahre Liebe nicht einmal dann erkennen würdest, wenn sie direkt vor deiner Nase steht."

Passend zu diesem Satz tauchte auch Ken wieder mit den Pferden auf. Er hatte von dem Ganzen nichts mitbekommen. Sah nur, wie Aya und ich uns wütend anstarrten. Und Ken tat genau das, was ich von ihm erwartet hatte. „Aya bitte. Streitet euch nicht."

Nicht unerwartet wandte sich selbiger auch prompt von mir ab und ging zu seinem Pferd hinüber. „Wir sollten jetzt weiterreiten." Als ob nichts geschehen wäre, saß er auf und sah fordernd zu uns hinüber.

Ich half Omi beim Aufstehen. Er war immer noch erschöpft. Die Anstrengung, die sein Ausbruch gerade gefordert hatte, war ihm deutlich anzumerken. Dankbar blickte er mich an, als ich ihn auch dann nicht losließ, als er schon wieder stand.

Den Nachmittag verbrachten wir mehr oder minder schweigend. Da es unmöglich war, das Thema „Hochzeit" anzuschneiden, ohne dass wieder ein Streitgespräch auf kommen würde, versuchten wir alle, so gut wie eben möglich, dieses Thema zu vermeiden.

Ich war ohnehin tief in Gedanken versunken. Mir gingen Omis geschluchzte Worte einfach nicht aus dem Kopf. Nie zuvor hatte ich jemanden gesehen, der so verzweifelt war. Diese innere Zerrissenheit, die es ihm so schwer machte. Einerseits wollte er mich – er hatte mir sogar ein Haarband geschenkt, damit ich ein Erinnerungsstück an ihn hatte und andererseits war ihm seine Familie sehr wichtig. So wichtig, dass er im Moment dafür sogar seine Gefühle zurückstellte. Ich glaube nicht, dass ich das gekonnt hätte.

Nach einer halben Ewigkeit (so kam es mir zumindest vor), trafen wir am frühen Abend in einem weiteren Rasthof ein.

Wie nicht anders erwartet, sahen wir von Aya an diesem Abend nicht mehr viel. Um genauer zu sein GAR NICHTS. Aber ich war nicht wirklich traurig, dass er mir nicht mehr unter die Augen gekommen ist.

Zusammen mit Ken und Omi saß ich im Gemeinschaftsraum und spielte noch eine Weile Go mit ihnen. Omi schien mit den Regeln nicht sehr vertraut, aber seine rasche Auffassungsgabe half ihm, dass Spiel schon am ersten Abend zu beherrschen. Gewinnen konnte er freilich noch nicht.

Es war recht gemütlich, wie wir dort zusammen saßen und die Steinchen über das Brett bewegten. Doch irgendwann wurden auch wir müde und zogen uns zurück. Wieder einmal jeder in sein eigenes Zimmer.

In meinem Zimmer hatte ich weder die Kraft noch die Lust, den heutigen Eintrag in meinem Tagebuch zu verfassen. Ich lag in meine Decke eingewickelt und starrte gedankenverloren nach oben, als ob ich da die Antwort auf meine Fragen finden würde. Alles drehte sich nur um Omi und seine Probleme. Diese Traurigkeit in seinen Augen, ich wusste einfach nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich konnte ihn ja unmöglich zwingen, sich für mich und gegen seine Familie zu entscheiden.

Plötzlich klopfte es ganz leise an der Tür. Ich rechnete mit Ken, doch es war Omi. „Ähm... hallo."

Ich bat ihn in mein Zimmer. „Hallo. Kann ich dir irgendwie helfen?"

Wieder einmal nestelte am Saum seines Ärmels. Diese Geste war einfach zu niedlich. „Ich... kann ich bei dir schlafen?"

Meine Augen fielen mir wirklich fast aus den Höhlen. Das war die absolut letzte Frage, mit der ich gerechnet hatte. Ich weiß, ich hätte ihn eigentlich wegschicken sollen, waren wir doch nicht verheiratet. Gut, wenn es nach Aya ging, würde das nicht mehr lange auf sich warten lassen. Wider des Anstandes entschied ich mich aber für mein Herz. „Sicherlich."

Seine Augen strahlten, als ich das sagte. „Danke."

Ich weiß nicht, was ihn dazu trieb, aber auf jeden Fall schlug mein Herz schneller, als er sich neben mir unter die Decke kuschelte. Und das nur mit dem knappen Lendenschurz bekleidet, den er unter dem Kosode getragen hatte, welcher jetzt achtlos neben dem Futon auf dem Boden lag.

Ich legte ganz vorsichtig meinen Arm um seinen schlanken Körper. Ein leises Seufzen entrang sich seiner Kehle und er drückte seinen Rücken enger gegen meine Brust. Es war zu schön, um wahr zu sein.

Ich fragte ihn nicht, warum er hier war. Vielleicht hätte er es sich dann doch noch anderes überlegt. Das wollte ich beim besten Willen nicht riskieren. Zu meinen Gunsten möchte ich erwähnen, dass ich die Situation nicht ausnutzte, ich konnte mich ja gerade mal auf die Tatsache konzentrieren, dass Omi hier neben mir lag. Etwas, dass ich mir nur in meinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte.

Wir redeten nicht mehr viel miteinander. Nur ein kleines „Gute Nacht" und dann versuchten wir zu schlafen. Omi atmete schon nach kurzer Zeit ruhig und gleichmäßig. Es ist schön, dass er mir so sehr vertraut, dass er bedenkenlos in meinen Armen einschlafen konnte.

Da ich nicht so schnell zur Ruhe kam, bin ich nach einer Weile aufgestanden und habe mich mit einer Lampe an den kleinen Tisch im Zimmer gesetzt und angefangen diesen Eintrag zu schreiben. Hin und wieder blicke ich zu Omi hinüber, der friedlich auf dem Futon schläft und sich auch nicht durch das Gekratze der Feder auf dem Papier stören lässt.

Langsam überkommt auch mich die Müdigkeit. Ich habe mir heute lange genug den Kopf zerbrochen, wie ich die Situation dahingehend ändern kann, dass auch Omi glücklich wird. Da mir bis jetzt nichts Sinniges eingefallen ist, werde ich es auch erst einmal sein lassen.

Ich hoffe, dass Omi auch noch morgen früh neben mir liegt. Es war vorhin schon angenehm, die Wärme zu spüren, die von seinem Körper ausging. Ich nehme an, es ist noch viel schöner, wenn man neben der Person aufwacht, die man aus ganzem Herzen liebt.

Gute Nacht (und dir auch, Omi).

TBC.

Tja, soviel mein Versuch mal eine sappige Szene hinzukriegen. War ich wenigstens halbwegs erfolgreich?

Preisfrage diesmal: An welcher Stelle habe ich geheult, als ich sie geschrieben habe? (Das ist kein Scherz, ich habe hier echt Tränen vergossen.)