Titel: Das Haus

Teil: 3/3

Autor: Shiva

Email: shiva@anime.de

Serie: Gravitation

Rating: PG 12

Warnings: Böse Geister, Spuk und Dämonen

Pairing: K/ Sakano (schlussendlich etwas mehr als nur angedeutet)

Kommentar: Hilfä! Ich bin total abgedreht!

31.10.03 - Besessen

Zu seinem Überraschen hatte K doch tatsächlich durchgeschlafen – und die Nacht ohne Zwischenfälle überlebt.

Nach dem Frühstück brach die Gruppe Bad Luck, unfreiwillig begleitet von Yuki Eiri, in die Bibliothek der nächsten Stadt auf, um Nachforschungen über William Joseph Winchester anzustellen. K hoffte, dass sie nicht allzu viel Erfolg haben würden.

Noriko hatte, wie schon am Abend zuvor bemerkt, darauf keine Lust und wollte einkaufen gehen. Tohma nutzte diese Situation, um ihrem Beispiel zu folgen und sich einen neuen Hut zu kaufen.

Ryuichi ließ sich nicht blicken. Doch K würde ihn schon noch aus seinem Zimmer holen, notfalls mit Gewalt, um mit ihm zu reden.

„Wie still es hier plötzlich ist", bemerkte Mr. Hills, nachdem die kleine Menschentraube das Haus verlassen und in die beiden Taxis gestiegen war. „Ich werde eine Weile brauchen, um mich wieder an die Stille hier zu gewöhnen."

„Sie leben aber auch sehr abgeschieden hier", bemerkte Sakano. „Die nächste Stadt ist 10 Meilen entfernt und die ist auch nur so groß, dass man gerade so von einer Kleinstadt sprechen kann."

Der Hausbesitzer kniff seine faltigen Augen zu und schenkte Sakano und K ein warmes Lächeln. „Die heutige Zeit ist ohnehin viel zu hektisch. Ich bin froh, dass ich hier noch ein wenig der Vergangenheit nachhängen kann."

„Hauptsache, die Vergangenheit hängt Ihnen nicht nach", brummte K.

„Ich habe hier jedenfalls noch nie Geister gesehen. Aber mir wurde auch versichert, dass ich nicht die Gabe dazu habe."

An dieser Stelle wurden die beiden hellhörig. K gab ein abfälliges Geräusch von sich. „Gabe? Geister zu sehen soll eine Gabe sein?!"

Mr. Hills nickte. „Oh ja. Meine Großmutter hat hier des öfteren diverse Dinge erlebt. Schöne Dinge, aber auch schreckliche Dinge. Aber sie hat es immer als ihre Gabe bezeichnet. Doch ich bin nicht dazu geboren, wie die meisten Menschen."

Der ältere Mann stockte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass keiner der beiden behauptet hatte, es gäbe gar keine Geister. Mit einem verstohlenen Blick sah er abwechselnd Sakano und K in die Augen. „Sie haben etwas gesehen, nicht wahr?"

Ächzend wuchtete Hiro einen ganzen Stapel verstaubter Bücher auf den Tisch. Dann kramte er in einer Hosentasche und warf ein Bündel Chirurgiehandschuhe vor das Grüppchen, das sich um einen großen runden Tisch der Bibliothek versammelt hatte.

Selbige war nicht sehr groß, sie umfasste etwa den Bestand von einer Schulbibliothek, war aber in ihrer Aufmachung urgemütlich.

„Die alten Schinken dürfen wir nur mit Handschuhen anfassen", erklärte Hiro. „Und nur unter Beobachtung."

Als hätte er auf sein Stichwort gewartet, kam ein rothaariger Mann Mitte 30 hinter einem Regal hervor. Die ersten Geheimratsecken bildeten sich auf seiner hohen Stirn, die sich auch nicht durch den lang geschnittenen Pony verdecken ließen.

„So, you're interested in the Winchester House?", fragte er.

„Actually we meant the Landside-Hotel", stellte Fujisaki richtig.

Der Bibliothekar zuckte mit seinen schmalen Schultern. „The Winchester House is the Landside Hotel."

"Was will er?", fragte Shuichi.

„Schau mal Tohma! Das ist ja ein niedlicher kleiner Laden! Lass uns da rein gehen!" Begeistert zupfte Noriko Tohma am Ärmel, so dass sein mit Webpelz besetzter Mantel fast auf dem Boden landete.

„Das ist doch nur ein alter Tante Emma Laden", brummte der Blondschopf.

Wie eine Ehefrau zog Noriko Tohmas Mantel wieder in die richtige Position und schlug den Kragen hoch. „Aber wir brauchen doch noch ein paar Knabbersachen für unsere Halloween Party!"

Tohma klappte den Kragen wieder herunter und ließ den Mantel stilecht wieder über seine Schultern rutschen. „Wer hat etwas von einer Party gesagt?"

„So ein Tag muss doch gefeiert werden. Also los, rein mit dir." Unfähig, sich zu wehren, wurde einer der mächtigsten Männer der japanischen Musikbranche von seinem Bandmitglied in den Laden geschubst.

Dort begrüßte sie eine dicke, ältere Frau freundlich. „Good morning, Miss, good morning, Sir."

Tohma fiel auf, dass sie mit einem Anflug von schottischem Slang sprach und wechselte auf sein akzentfreies Englisch. „Guten Morgen, Madam."

Noriko sprach auch englisch, doch ihr hörte man ihre Herkunft deutlich an.

„Sie haben wirklich einen schönen Laden. So gemütlich."

„Danke, Liebes", erwiderte die Frau. „Sie beide kommen nicht von hier, oder? Was treibt sie in unsere kleine Stadt?"

Noriko strahlte das alte Mütterchen an. „Wir machen Urlaub im Landside Hotel."

Die tiefe Stimme der Ladenbesitzerin wurde rau. „Grundgütiger!", rief sie. „Das Winchester- Haus!"

K hatte davon abgesehen, Mr. Hills die ganze Geschichte zu erzählen. Er ließ es dabei bewenden, ihm seine erste Begegnung mit dem Geisterhund im Wald zu schildern. „Aber das ist wohl nur Einbildung gewesen."

Mr Hills strich sich über das Kinn. „Mitnichten. Das Winchester- Haus, wie dieses Hotel hier einst hieß, gehörte nicht immer der Familie Winchester. Über Generationen hinweg stand es im Familienbesitz der Familie Cummingdale. Erst vor etwa 200 Jahren ging das Haus an den unehelichen Sohn von Sir Everest Cummingdale über, der Ihnen als William Joseph Winchester bekannt ist. Doch das geschah erst, nachdem sein leiblicher Sohn bei einem tragischen Unfall verstorben ist."

„Was denn für ein Unfall? Ist er vom Pferd gefallen?", hakte Sakano nach.

„Nein. Er ist ertrunken."

„Ich kann Ihnen sagen, meine Liebe, dieses Haus ist verflucht!", beteuerte die alte Ladenbesitzerin in verschwörerischem Ton.

„Was Sie nicht sagen." Tohma machte ein gelangweiltes Gesicht, während Noriko gespannt an ihren Lippen hing. Wenn sie für heute Abend noch eine schauerliche Gruselgeschichte über das Winchester- Haus aufschnappen konnte, wäre ihr das nur recht.

„Erzählen Sie!", forderte sie die grauhaarige Dame auf.

„Vor etwa zweihundert Jahren hat William Winchester seinen Halbbruder in einem See ertränkt, um an das Erbe seines Vaters zu kommen. Seitdem hat die Seele des Getöteten nie Frieden gefunden. Ach, man erzählt wunderbare Geschichten über den armen Ernest Cummingdale. Es heißt, er hätte Jagdhundzucht im großen Stil betrieben und noch heute sind die Nachfahren dieser Tiere auf allen Hundeschauen zu sehen."

Shuichi nieste. Staub von den Büchern war ihm in die Nase gekommen. Bibliotheken waren nicht sein Reich und er langweilte sich. Yuki dagegen las eifrig in einem alten Wälzer. In Gedanken war Shuichi schon wieder bei seinem nächsten Lovesong und wurde förmlich aus seinen romantischen Gedanken aufgeschreckt, als Fujisaki ein triumphales „Ich glaub, ich hab hier etwas!" ausrief. Die drei anderen Bibliotheksbesucher drehten sich empört um und starrten die Fremden anstarrte. Fujisakis Gesicht lief rot an, und so bildete sein grünliches Haar einen wunderbaren Kontrast dazu. Möglichst leise und beherrscht fuhr er fort. „Ich habe hier das Tagebuch eines gewissen Ernest Cummingdale. Er erwähnt William Winchester mehrfach als seinen Halbbruder. Mehr kann ich leider nicht entziffern. Diese altromanische Schrift ist schrecklich."

Yuki Eiri verspürte den unsäglichen Drang, sich eine Zigarette anzuzünden. Doch statt dessen nahm er dem Jungen das Buch aus der Hand und las simultanübersetzend vor.

„18. Oktober 1803. Williams Verhalten ist nicht mehr tragbar."

„Das klingt irgendwie nach K", warf Hiro lachend ein, wurde aber von einem funkelnden Blick Yukis wieder zum Schweigen gebracht.

„Heute habe ich diesem Bastard eine kleine Lektion erteilt, und ihn ein wenig meine Hunde mit ihm spielen lassen. Wohl verdient, wie ich finde, nach der Affäre mit diesem... Abschaum. Ich finde keine Worte für eine solche Abart."

Shuichi rieb sich grübelnd das Kinn. „Was meint er wohl damit?"

Der Bibliothekar warf einen Blick auf den Tagebucheintrag. „Oh, yes, I remember. William Winchester was homophil.", warf er beiläufig ein.

„Was bitte?" Shuichi wurde von einer Denkblockade gequält, die ihm das Verständnis der englischen Sprache völlig unmöglich machte. Hiro war so nett und erbarmte sich. „Winchester war schwul. So wie ihr beide", flüsterte er ihm ins Ohr.

„Wir sind aber nicht schwul!", dementierte Shuichi lautstark. „Wir lieben uns einfach!"

Nun packte auch der letzte Bibliotheksbesucher entnervt seine Bücher zusammen und verließ fluchtartig die Bücherei.

Willst du mir helfen?"

„Wer bist du?", fragte Ryuichi den braunhaarigen Mann, der über dem Bett schwebte. Erschrocken klammerte er Kumagorou an sich.

Nenn mich Ernest. Ich habe früher einmal hier gewohnt."

„Bist du ein Freund von dem blonden Mann?" Ryuichis Stimme zitterte, als er mit dem Geist sprach. Es war zwar nicht das erste Mal, dass er etwas derartiges sah, doch diese Mann hatte etwas an sich, das ihm nicht behagte.

Die durchsichtige Gestalt verzog das Gesicht. „Nicht wirklich. Aber hab keine Angst, ich tue dir nichts."

Der Nachmittag senkte seinen trüben Schleier über das Haus und die Sonne begann sich, dem Horizont zu nähern. Was jedoch nicht erkennbar war, das sich das Himmelsgestirn hinter dicken Wolken verbarg. Graublaues Licht fiel unsanft auf die Felder der englischen Landside. Der kalte Oktoberwind pfiff lautstark durch alle Fenster und Türen, die nicht absolut dicht waren und war mit seiner Nasskälte der Vorbote eines Gewittersturms.

Sakano und K hatten sich artig für die Auskünfte der Hausherrn bedankt und sich in den Salon zurückgezogen.

„Ertrunken... Das kann kein Zufall sein", brummte der schwarzhaarige Produzent. Noch immer machte er sich leichte Vorwürfe darüber, dass er K nicht von Anfang an geglaubt hatte. „Doch warum hast nur du diese Visionen?"

K kratzte sich am Kopf, wobei unordentliche Schlaufen in seinem straff zusammengehaltenen Haar entstanden. „Nicht nur ich. Ryuichi hat auch etwas gesehen."

„Was?" Vor Überraschung war Sakano aus dem mit rotem Samt bezogenen Sessel aufgesprungen. Er räusperte sich und setzte sich wieder.

„Gestern Abend hat er mich gefragt, wer der blonde Mann war, der neben mir stand..."

„Dann frage ich mich erst Recht, warum ich nichts gesehen habe. Ich war doch die ganze Zeit bei dir, selbst als..." Er stockte.

Ks Blick glitt ins Leere und in die Erinnerung an den gestrigen Tag. Mit dem nächsten Augenschlag war jedoch war sein Blick wieder klar und er grinste.

„Vielleicht weil die Geister wussten, dass du bei ihrem Anblick in Ohnmacht fällst."

„Mach mich nicht schwächer als ich bin", maulte Sakano. „Ich rege mich zwar leicht auf, aber ich halte eine ganze Menge aus."

Mr Hills war unbemerkt in die Tür getreten und lächelte belustigt, als er sah, wie Sakanos Gesicht vor Eifer immer röter wurde und er K die traumatischsten Erlebnisse seiner Kindheit schilderte.

K lachte. „Ich glaube dir ja. Vielleicht ist es wirklich eine Gabe, wie Mr Hills sagt. Auch wenn ich mir jetzt wünsche, ich hätte nicht. Das gestern war wirklich knapp. Wenn du nicht da gewesen wärst, hätte das böse enden können."

Der Hausherr zog die Augenbrauen zusammen. K hatte ihm etwas verschwiegen. Ein unwohles Gefühl machte sich in seinem Magen breit und eine böse Ahnung zog auf, wie draußen die Gewitterwolken.

K machte eine kleine Überlegungspause. „Vielleicht habe ich es gesehen, weil es für mich bestimmt war."

„Und was ist mit Ryuichi?", widersprach Sakano, der sich immer noch nicht damit abfinden konnte, dass er von den höheren Mächten verschmäht wurde.

„Ryuichi ist etwas besonderes. Ich denke, er schwebt in ganz anderen Sphären als jeder normale Mensch." K machte eine kurze Pause und bemerkte, dass Sakano ihn ganz komisch ansah. „Ähm, ich meine damit nicht, dass er verrückt ist", fügte er schnell hinzu, „Aber ich glaube, er hat etwas Göttliches, das ihm seine Genialität verleiht und er so in Welten eintauchen kann, die anderen auf ewig verborgen bleiben."

Sakano grinste. „Man könnte einen, du wärst in ihn verliebt, so wie du für ihn schwärmst."

K grinste zurück, mit dem Unterschied, dass sein Grinsen breiter war. „Ich bewundere ihn nur. Verliebt bin ich in jemand anders."

Sakano konnte dem lasziven Blick von Ks blauen Augen nicht mehr länger standhalten, wurde rot und hüstelte leise. „Aber du bist weit davon entfernt, so zu sein wie Ryuichi. Warum kannst DU es sehen?"

„Baka. Ich konnte es sehen, weil ich es sehen sollte. Schließlich bin ich auch ein Winchester."

Nun gab es für Mr Hills kein Halten mehr. Draußen zuckte der erste Blitz über den Himmel, gefolgt von einem mächtigen Donnergrollen.

Aufgeregt trat er aus der Tür in den Raum und schrie: „Wie konnten Sie mir das verschweigen!"

K und Sakano fuhren erschreckt herum. „Warum?", wollte K wissen. „Geht Sie das etwas an?"

„In diesem Haus schon!", brüllte Mr. Hills. „Und vor allem heute! Sehen zu, dass Sie hier verschwinden und zwar sofort!"

„Ich glaube, dazu ist es zu spät", erklang Ryuichis Stimme blechern von der Tür. Draußen begann der Sturm zu heulen und Regen prasselte unbarmherzig gegen die Fenster. „Es wird bald beginnen. Sobald es dunkel wird."

„Sakuma-san?", fragte Sakano ungläubig.

Betreten senkte Mr. Hills den Kopf. „Darf ich vorstellen? Ernest John Cummingdale. Geboren 1782, gestorben 1803."

Völlig durchnässt trafen die Gruppe Bad Luck nebst Yuki Eiri in einer kleinen Pension ein, die sich in der Kleinstadt befand.

„An ein Zurückkommen ist heute wohl nicht mehr zu denken...", brummte Yuki.

Kaum hatte er den Satz ausgesprochen kamen Seguchi Tohma und Ukai Noriko durch die Tür in die winzige Eingangshalle gepoltert.

„Ihr habt also auch keinen Taxifahrer gefunden, der willens war, euch zum Haus zu fahren?", fragte Tohma.

„So ist es", erwiderte Hiro.

„Dann feiern wir eben hier Halloween!", rief Noriko freudig aus.

„Hauptsache, ich bin bei Yuki!", lachte Shuichi, sich an Yukis Ärmel klammernd. Fujisaki rollte mit den Augen, er war gerade von der Rezeption zurückgekommen.

„Es ist nur noch ein Zimmer frei, das eigentlich für zwei Personen gedacht ist. Wer schläft freiwillig auf dem Boden?"

„Er ist besessen?!", rief Sakano ungläubig aus.

Mr. Hills senkte betreten den Kopf. „So kann man es wohl nennen."

„Schön, dass wir uns noch einmal begegnen", sagte Ernest mit Ryuichis Stimme. „Allerdings hoffe ich, dass es diesmal ein besseres Ende nimmt."

„Das hängt von dir ab", erwiderte K.

„Eh?" Sakano zuckte zusammen. Ks Tonfall hatte sich verändert. Seine Augen funkelten bösartig.

„William!", stellte Hills hasserfüllt fest.

„So ist es. Ich freue mich auch, Sie wieder einmal durch richtige Augen zu sehen."

„K-san!", rief Sakano entgeistert. „Das darf nicht wahr sein! Wehr dich dagegen!"

William lachte mit Ks tiefer Stimme. Dennoch klang sie rauer, kehliger als üblich.

„Netter Versuch. Doch das hat bisher noch nie funktioniert. Die Nacht vor Allerheiligen gehört uns. Stimmts, Brüderchen?"

Brüderchen? Stimmt, Ernest war der Halbbruder von William gewesen. Doch diese Worte von K zu Ryuichi sagen zu hören war seltsam. Trotzdem spürte Sakano die Gefahr, die sich anbahnte und ihm den Hals zuschnürte. William hatte Ernest einst umgebracht. Würde er es wieder versuchen?

Wie von selbst beantwortete sich Sakanos Frage. William griff in K's Schulterholster und holte die langläufige Magnum heraus. Wippend wog er sie in seiner Hand.

„Wie praktisch dass dieser K eine von diesen neumodischen Waffen dabei hat. Das macht die Sache unkomplizierter."

„Nein, nicht schon wieder!", jammerte Hills.

„Ruhe, alter Mann!" Mit einer Handbewegung entsicherte er die Waffe und feuerte einen Schuss auf Hills ab, der daraufhin ächzend zusammenbrach.

„Mr. Hills!", rief Sakano und lief zu ihm hin. Es war kein Blut zu sehen, also bestätigte sich Sakanos Verdacht.

William wollte bei Ernest oder vielmehr Ryuichi weiter machen, der sich bisher nicht von der Stelle gerührt hatte.

„Was sollte das? Er hat nichts damit zu tun!", knurrte er mit der Stimme des Sängers.

„Du hast mir gar nichts zu sagen!", sagte William mit drohendem Unterton. „Du bist der nächste."

„Hör auf K!", rief Sakano.

„K wird heute Nacht tief schlafen", grinste William. Das gleiche Grinsen, das K sonst im Gesicht hatte. Nur hinterhältiger, bösartiger, mit Mordlust in den Augen.

Sakano konnte nicht anderes als den Kopf zu schütteln. „Das ist nicht wahr..." Er hatte sich zwischen Sakuma Ryuichi und K gestellt. Er wollte nicht, das noch jemand verletzt wurde.

„Aus dem Weg mit dir, oder ich bring dich um!"

Sakano zeigte auf den Revolver. „Damit kannst du mich nicht umbringen. Da sind nur Gummibolzen drin."

William schritt auf Sakano zu und schlug ihm mit dem Lauf ins Gesicht. Sakano taumelte, fiel aber nicht zu Boden, im Gegensatz zu seiner Brille.

Gewaltsam packte William ihn an den Haaren und setzte ihm die Magnum an die Schläfe. „Na, wie wäre es mit einem Gummibolzen in deinem süßen Kopf?"

Sakano keuchte. Er wollte sich aus dem Griff des anderen befreien, doch gegen dessen Größe und Kraft konnte er nichts ausrichten. „K..."

William zögerte. Dann stieß er Sakano von sich, der unsanft auf den Boden fiel.

„Es wäre zu deinem Besten, wenn du da bleibst, wo du bist."

Entschlossenheit war sonst keine seiner Stärken. Doch nun war Sakano zu allem entschlossen. Mühsam stemmte er seinen - wie er fand - bleischweren Körper hoch.

„K... So bist du doch nicht! Du magst schießwütig sein und die eine oder andere Erpressung geht auch auf deine Rechnung. Aber das was du hier vorhast, ist Mord! Lass das nicht mit dir machen! Er benutzt dich doch nur!"

Das erregte Williams Zorn. Er konnte es nicht zulassen, dass sich jemand derart gegen ihn auflehnte und seinen Wirt aus seinem Tiefschlaf weckte. Er würde diesen Vogel zuerst zum Schweigen bringen müssen. Er trat vor Sakano hin, der immer noch halb auf dem Boden lag und trat ihm in die Rippen.

Ernest hatte genug vom Zusehen. Er rannte auf William zu und sprang ihm auf den Rücken, wo er hängen blieb wie ein kleiner Affe. Dieser Vergleich war angesichts des Größenunterschieds der beiden auch nicht ganz unpassend. Der Unterschied lag jedoch nicht nur in der Größe, sondern auch in der Kraft und so hatte William ihn bald abgeschüttelt. Mit einem gekonnten Schulterwurf schleuderte er Ryuichis Körper mit Ernest im Innern gegen die nächste Wand, wo er zunächst bewusstlos liegen blieb.

Zufrieden nickend wandte er sich wieder Sakano zu, der immer noch keuchend die Arme vor der Brust verschränkte.

William ging in die Hocke und beobachtete den schwarzhaarigen Mann eine Weile. „Du hast die gleichen Augen wie er...", bemerkte William.

„Du auch", gab Sakano nach einer Weile zurück, begleitet von einem gequälten Lächeln. „Willst du mich immer noch umbringen?"

K's Ebenbild schüttelte den Kopf. „Nah, nur wenn du dich in das einmischst, was ich vorhabe."

„Du willst ihn wieder und wieder umbringen, stimmts?", fragte Sakano mit einem Wink auf Ryuichi, der in Williams Augen niemand anders war als Ernest.

K's Augen wurden dunkler. So musste auch William geguckt haben, wenn er nachdenklich war. „Ja... Er hat mir sehr weh getan und es nie bereut. Dafür muss er zahlen."

„Was hat er getan?", wollte Sakano wissen. In seiner Stimme war sanft, kein Vorwurf schwang mehr mit. Vielleicht war es das, was William dazu bewegte, aus sich heraus zu gehen - wenn er schon nicht aus K herausging.

„Er hat seine lieben Hundchen erst auf mich und dann auf meinen geliebten gehetzt, weil er es nicht ertragen hat, dass ich mich zu Männern hingezogen fühlte. Rich ist dann qualvoll an einer Blutvergiftung gestorben. Ich kann es ihm selbst über den Tod hinaus nicht vergeben."

„Ist dir nicht klar, dass der Mann, der dort liegt, gar nicht Ernest ist?" bohrte Sakano weiter.

William zuckte die Schultern. „Das ist mir egal. Ich fühle mich wieder lebendig, wenn ich ihn umbringen kann."

Sakano fuhr vorsichtig fort. „Hast du schon mal daran gedacht, dass du damit nichts besser machst? Du siehst doch, dass dich dir Rache nicht erleichtert. Du bist nach 200 Jahren immer noch hier."

„Vielleicht ist das unsere Strafe. Zwar ging das Haus nach Ernests Tod an mich über, doch ich hatte nicht viel davon. Ich bin bald darauf an einer schweren Lungenentzündung gestorben. Ernest hat mir nie verziehen, dass ich ihn getötet habe, so wie ich ihm nie verziehen habe, dass er Rich auf dem Gewissen hat." William hielt kurz inne und seufzte. „Hmpf. Dabei wollte ich ihn gar nicht umbringen. Doch ich war so wütend. Was er am See gesagt hat, war einfach zuviel."

„Ich bin froh, dass der kleine Bastard weg ist." Ryuichi alias Ernest war wieder zu sich gekommen. „Das habe ich gesagt. Aber gemeint habe ich eigentlich: Es tut mir Leid. Ich konnte nicht anders. Ich wollte dich noch mehr verletzen, als du schon warst. Ich habe dich immer gehasst, weil unser Vater dich immer vorgezogen hat, obwohl du nur sein unehelicher Sohn warst und zudem noch homosexuell."

William erhob Einspruch. „Hey, davon wusste unser Daddy aber nichts!"

Ernest winkte ab. „Ich aber. Und das hat mich noch mehr geschmerzt. Die Frauen in unserer Gesellschaftsschicht wollten alle nur dich, doch du hast sie verschmäht. Für mich hat sich keine interessiert. Und dann fängst du was mit einem Kerl an."

William sah Ernest schief an. Die hasserfüllte Atmsphäre, die zuvor das Haus beherrscht hatte, war verflogen. Der Himmel um das Haus herum klärte sich auf, nur noch ein paar Wölkchen beschatteten den runden Mond, der die Sonne bereits abgelöst hatte.

„Sag mal, wie viel hast du gehört von dem, was ich dem Kleinen da", er deutete auf Sakano, „erzählt habe?"

Ernest schenkte William Ryuichis strahlendstes Lächeln. „So ziemlich alles, seit Ich bin an einer schlimmen Lungenentzündung gestorben. Mir hast du erzählt, es war Syphillis."

William grinste Ks breites Grinsen. „So kann man irren."

Erleichterung überkam Sakano. Er konnte förmlich spüren, wie die Feindseligkeit zwischen den beiden Brüdern verflog. Daher wagte er die Frage: „Habt ihr euch jetzt wieder lieb?"

Die beiden Brüder, die doch so unterschiedlich aussahen, blickten sich an und zuckten zeitgleich mit den Schultern.

„Also lieb haben wir uns vielleicht nicht, aber ich verspüre nicht mehr diesen Drang, dich umzubringen", meinte William.

„Geht mir ähnlich."

Sakano seufzte erleichtert. „Aber eine Frage habe ich da noch! Ernest, warum haben Sie K solche Angst eingejagt?"

„Ich wollte, dass ihr von hier verschindet, damit unser guter William keinen Wirtskörper hat... Aber dieser K ist echt hartnäckiger als ich dachte."

„Na denn, Brüderchen... meinst du, wir finden den Weg zur Hölle?", lachte William und klopfte Ernest auf die Schulter.

Ernest lachte. „Du mit Sicherheit."

„Du stehst mir aber in nichts nach, du alter Halunke", William zog eine Augenbraue hoch. Anschließend reichte er Sakano eine hand, um ihn wieder auf die Beine zu ziehen. „Du bist echt ein guter Kerl, Kleiner. Du hast das geschafft, was wir beide in 200 Jahren nicht fertig gebracht haben."

„Naja... ich hab eigentlich gar nichts gemacht...", gab Sakano ehrlich und errötend zurück.

Ernest wies ihn an, sich nicht zu unterschätzen. „Hey, du hast diesen wilden Löwen gezähmt"

„Tut mir Leid, dass ich dich getreten habe", sagte William. Dann zog er Sakano näher an sich heran. „Ich danke dir", sagte er, bevor er Sakanos vor Erstaunen geöffneten Mund mit seinem verschloss.

Als K wieder zu sich kam, befand er sich in einem tiefen, innigen Kuss mit Sakano. Erschrocken löste er sich von seinem Arbeitskollegen. „Äh... sorry", sagte er verlegen.

Sakano, mindestens genauso rot wie K erwiderte: „Du kannst ja nichts dafür."

„Ähem... na ja, der mit Zunge kam von mir." K sah betreten zu Boden. „Aber... ich würde das gern wiederholen, wenn ich darf."

Unerwartet ergriff Sakano die Initiative und Ks Hand. „Nur zu."

„Yatta! K und Sakano haben sich liiiiiieb, na no da!", flötete Ryuichi, der wieder ganz er selbst war.

Mr. Hills hatte sich inzwischen auch wieder aufgerappelt. „Diese Beiden... Sie haben es schon wieder geschafft..."

Unter dem Novembermond nach Mitternacht saßen zwei durchsichtige Gestalten nebeneinander auf dem Dachfirst und zählten die Sterne.

„Das hat Spaß gemacht, findest du nicht, Will?"

„Ja, auf jeden Fall."

„Aber war schon ein Zufall, dass dieser K genauso hieß wie ich."

„War schon lustig. Und hat seine Wirkung nicht verfehlt."

„Nächstes Jahr wieder?"

„Hmmm, ok. Aber dann darf ich der böse Bruder sein."

„Nur weil du's bist, Ern. Aber findest du nicht, ich habe es ein bisschen übertrieben?"

„Ach was, die sind robust. Ist doch alles gut gegangen."

„Das meinte ich nicht. Die glauben uns doch nie, dass aus Todfeinden plötzlich die besten Freunde werden."

„Ich glaube, die haben jetzt besseres zu tun, als darüber nachzugrübeln."

Ein leises Stöhnen drang aus dem Schlafzimmer ins Freie.

„Und ich glaube, du hast Recht."

„Grenzfallsituationen schweißen eben doch zusammen."

Die beiden kicherten und lösten sich auf, als wären sie nie da gewesen.

Owari