Disclaimer – siehe Kapitel 1
Kapitel 5 - Für und Zuwider
Nie ist die Dunkelheit so
groß, dass nicht
noch ein Lichtstrahl sichtbar wäre.
~ Norman Vincent Peale ~
Zum grossen Erstaunen aller, die von Hermiones Verfassung aus erster Hand erfahren hatten, hielt sich das Gerücht über sie beinahe gänzlich an die Fakten. Nur dort wo von Anfang an die Informationen für Lisa Turpin und Kevin Entwhistle nicht verfügbar gewesen waren – vor allem das Wer, Wie und Warum betreffend – verlieh die Phantasie dem Gerücht Flügel. Im Turm der Ravenclaws wurde erzählt, dass ein Todesser ihr die Stimmbänder aus der Kehle gerissen hatte, in den tiefer gelegenen Korridoren auf Slytherin-Gebiet hörte man, dass Voldemort selbst ihre Stimme verbrannt hätte. Bei den Hufflepuffs wurde gemunkelt, dass Hermione sich vor Entsetzen stumm geschrieen hätte, und die Gryffindors wussten von einer unvergleichlichen Heldentat zu berichten, welche ihren Zustand verursacht hatte.
Ron hatte sich, kaum war die erste Fassung des Gerüchtes in den Gryffindor-Gemeinschaftsraum getragen worden, in seinem Zimmer eingeschlossen, und Harry hatte ihn nicht aufgehalten. Im Moment hatten sie sich nichts zu sagen, und so verharrte er schweigend auf dem Sofa und starrte vor sich hin, während weit von den beiden entfernt Hermione von Mdme Pomfrey zu Dumbledore begleitet wurde. Ron und er waren ebenfalls zu ihm bestellt worden, doch wurden sie erst in drei Stunden erwartet. So blieb ihnen genug Zeit, sich das Problem wieder und wieder durch den Kopf gehen zu lassen – falls ihnen dieser nicht vorher explodierte.
Hermiones dachte ebenfalls ununterbrochen über sich und ihre Situation nach, als sie zum ersten Mal seit dem letzten Kampf das Krankenzimmer in Richtung des Büros von Dumbledore verliess. Mdme Pomfrey hatte die undankbare Aufgabe erhalten, sie über ihren Gesundheitszustand - und nur darüber - in Kenntnis zu setzen, und den grössten Teil der letzten Nacht hatte Hermione wach gelegen, während die Gedanken in ihrem Kopf sich gegenseitig gejagt hatten. Schliesslich war sie, ohne zu einem Resultat zu gelangen, erschöpft eingeschlafen, und so fühlte sie sich auch dementsprechend schlecht gelaunt.
Was sie ebenfalls immer wieder zur Seite schob, sich jedoch ständig wieder zuvorderst in ihre Gedanken drängte, war Ron und dessen Reaktion am Tag zuvor. Sie verstand nicht, weshalb er plötzlich kehrt gemacht hatte und wie vom Teufel geritten davon gerannt war. Sogar Harry hatte ihn überrascht angeschaut, bevor er ihr einen entschuldigenden Blick zugeworfen hatte und seinem Freund hinterher geeilt war. Mdme Pomfreys Ausdruck war schwer zu deuten, doch irgendwie hatte Hermione das dumpfe Gefühl, dass sie den Grund für die Reaktion von Ron kannte.
Es herrschte eine seltsame Atmosphäre im Gebäude, und obwohl sie nichts hören konnte, so war sie sich sicher, dass all die Schüler, denen sie unterwegs begegneten, über nicht anderes als sie sprachen. Kaum bogen Mdme Pomfrey und sie um eine Ecke, da hörten die Gespräche abrupt auf und alle Augen richteten sich auf sie. Ab und zu blickte Hermione einem von ihnen direkt ins Gesicht, und entweder wandte die Person mit gerötetem Kopf den Blick ab oder starrte sie ausdruckslos wenn nicht gar angewidert an, als ob sie nicht von dieser Welt wäre oder eine ansteckende Krankheit zur Schau trug. Nur wenige lächelten ihr mitleidig oder aufmunternd zu, und diejenigen, welche es taten, waren allesamt Muggle-Geborene. Sobald sie jedoch die einzelnen Gruppen passiert hatte, streckten sich die Köpfe wieder zusammen, und das Getuschel wurde fortgesetzt.
Es war ein frustrierender Gang durch die Schule, und am Liebsten hätte Hermione schreiend und weinend das Weite gesucht, doch sie wusste, dass kein Weg am Gespräch vorbei führte, zu dem sie gerade unterwegs war. Ihre Phantasie malte die lebendigsten Bilder, und sie stellte sich vor, wie sie auf dem Weg zum Galgen war, während das Publikum jolend und jubelnd mit verdorbenem Gemüse nach ihr warf.
Schaudernd wartete sie vor dem Wasserspeier, während Mdme Pomfrey das Passwort flüsterte. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn sie alleine hätte zu Dumbledore gehen können, doch kaum war dieser Gedanke gedacht, wurde ihr bewusst, wie unmöglich dies gewesen wäre. Wie hätte sie den Zugang zum Büro ohne fremde Hilfe öffnen können? Ja, wie konnte sie die Gryffindor-Räume jemals wieder betreten?
Mdme Pomfrey machte einen Schritt in die nun freigewordene Lücke in der Wand, blieb dann aber abrupt stehen. Sie winkte Hermione zu sich und schob sie vor sich her, und als diese sie fragend anschaute, scheuchte die Krankenschwester sie mit einem knappen Handwink nach oben.
Es waren Stimmen aus dem Büro zu hören, dessen Türe anscheinend offen stand, und Mdme Pomfrey hatte nicht vor, einer der beiden Personen zu begegnen. So fand sich Hermione nun doch alleine im Aufgang zu Dumbledores Reich vor.
"...kannst es Minerva nicht übel nehmen, Albus. Niemand bei klarem Verstand würde die Funktion eines Vormundes freiwillig übernehmen... abgesehen von dir, natürlich."
"Trotzdem. Ich hätte mehr von ihr erwartet, schliesslich ist - war - Miss Granger ihre Lieblingsschülerin. Und auch habe ich das Gefühl gehabt, dass Minerva sie privat sehr gemocht hat."
"Das eine schliesst das andere nicht zwingend aus. Es ist als grossen Schock für alle gekommen zu erfahren, dass Miss Granger verloren ist. Zudem, du kannst nicht von ihr oder den anderen erwarten, dass sie ohne weiteres über ihren Schatten springen, einfach ihre Erziehung hinter sich lassen und die jahrzehntelange Gehirnwäsche in dieser Hinsicht vergessen. Sieh dir nur die Schüler an; kaum aus dem warmen und behüteten Nest ihres Zuhauses gekrochen, zittern sie schon beim blossen Gedanken daran, eine Behinderte könnte ihnen in Hogwarts über den Weg laufen."
"Dann bekommst du jetzt also ernsthafte Konkurrenz, Severus?"
Snape schnaubte abschätzig. "Es könnte ernsthafte Konsequenzen haben, dass du sie hier behalten willst. Ich bin mir sicher, dass gewisse Eltern ihren Kindern nicht mehr erlauben werden hier zur Schule zu gehen, sobald bekannt wird, dass Miss Granger hier bleibt - ganz zu schweigen von den Problemen, die dir ins Haus stehen, jetzt, da du vermutlich als Vormund für sie fungieren wirst."
Dumbledore winkte ab. "Das Ministerium wird es nicht wagen, etwas gegen Miss Granger, mich oder meine Entscheidungen zu unternehmen. Nicht nachdem was hier in den letzten Monaten geschehen ist und was wir getan haben, um Voldemort zu vernichten."
"Warum, Albus? Warum tust du dies alles?", wollte Snape erneut wissen.
Dumbledore strich sich mit der Hand über den Bart, und seine Stirn legte sich in Runzeln. Tief Luft holend öffnete er den Mund, doch dann veränderte sich seine Miene augenblicklich und er sagte: "Ah, Miss Granger! Pünktlich wie immer" Dann stand er auf und winkte sie zu sich, ohne auf Snapes Frage zu antworten.
Mdme Pomfrey wartete unten beim Eingang und lauschte dem Gespräch, bis Hermione dem ein Ende bereitete, in dem sie das Büro betrat und die Türe hinter sich schloss. Mit einem kurzen Schulterzucken wandte sie sich ab und ging wieder zurück ins Krankenzimmer um dort aufzuräumen, versäumte es aber nicht, einige der im Korridor herumlungernden Schüler zu tadeln.
Mit etwas Verzögerung bewegte sich Hermione vorsichtig von der Türe weg, doch als sie eine Bewegung in einem von ihr abgewandten Sessel bemerkte, und Snape schliesslich aufstand, stoppte sie jäh. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen und sie gestikulierte wild in Richtung Zaubertränke-Meister, während sie verzweifelt versuchte zu fragen, was er hier zu suchen hatte.
Weiterhin gutmütig lächelnd ging Dumbledore zu ihr hin, legte ihr einen Arm um die Schultern und schob sie sanft aber bestimmt durch den Raum zum zweiten Sessel neben Snape und gegenüber seinem Pult. Dann reichte er ihr eine Schiefertafel und ein Stück Kreide, bevor er sich hinsetzte und eine identische Tafel zur Hand nahm, auf die er schrieb: /Professor Snape ist hier, da es ihn ebenfalls betrifft/
Hermione funkelte Snape von der Seite aus an und rückte dann auf ihrem Sessel so weit wie möglich von ihm weg, die Tafel fest umklammert.
/Wie geht es Ihnen, Miss Granger?/, wollte Dumbledore wissen um das kommende Gespräch langsam einzuleiten.
/Wollen Sie eine ehrliche oder eine höfliche Antwort?/, schrieb Hermione zurück.
Snape schnaubte, unbemerkt von ihr, in sich hinein, doch Dumbledore hatte es durchaus gehört. Hermione schien nicht geneigt zu sein, mit belanglosem Geplauder zu beginnen, also kam er gleich zum eigentlichen Grund ihres Treffens: /Ich habe gestern lange Zeit darüber nachgedacht, was nun geschehen soll, und mit den Lehrern an einer Lösung gearbeitet/
"Du meinst damit", kommentierte Snape Dumbledores Zeilen und stellte fest, dass er weder eine Schiefertafel erhalten hatte, noch dass eine Überzählige auf dem Pult lag, "dass du die Entscheidungen bereits gefällt gehabt und uns nur darüber in Kenntnis gesetzt hast."
Dumbledore ignorierte die bissige Bemerkung und fuhr fort: /Wir sind zur Ansicht gelangt, dass – falls Sie in der magischen Welt bleiben möchten – wir Ihnen gerne eine Assistenz-Stelle in Hogwarts offerieren würden/
Hermione blickte ihn verwirrt an. Was sollte das? Die Tafel auf ihren Knien platzierend, schrieb sie zurück: /Moment! Was meinen Sie damit, falls ich in dieser Welt bleiben will? Und was hat das mit einer Stelle in Hogwarts zu tun? Wieso?/
Nun war es an Dumbledore zu seufzen. Anscheinend hatte sie keine Ahnung, wie diese Welt hier funktionierte, und was mit Menschen wie ihr hier geschah. Nachdenklich tippte er sich mit der Kreide auf die Lippen, und hinterliess dort eine weisse Pulverspur, als er die Kreide wieder senkte und auf die Tafel setzte. Womöglich hatte ihre Unwissenheit ihre Vorteile, und Dumbledore wog seine nächsten Worte sorgfältig ab: /Mit Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass in Ihrem Zustand es Ihnen leider nicht möglich sein wird, an den Abschlussprüfungen teilzunehmen, Miss Granger. Es bleibt also Ihnen überlassen, ob sie zurück in Ihre Welt kehren möchten oder hier bleiben wollen... und da es ohne Abschluss schwierig ist, in der magischen Welt eine Anstellung zu finden, bieten wir Ihnen hier die Möglichkeit dazu./
Der Schock sass tief, als sie Dumbledores geschwungene Handschrift las. Keinen Abschluss machen? Das würde bedeuten, dass sie nicht studieren gehen konnte... was wiederum bedeutete, dass sie später nicht auf dem Gebiet arbeiten konnte, welches sie am meisten interessierte. Auf der anderen Seite bot er ihr eine Stelle in Hogwarts an, was durchaus verlockend klang. Es würde heissen, dass sie die Schule und die Lehrer, die ihr in diesen 7 Jahren ans Herz gewachsen waren, nicht verlassen musste: Ihr einziges Zuhause, welches sie jenseits der Grenze zu ihrer Welt kannte. Und doch, irgendwie konnte sie nicht recht glauben, dass das Ganze nicht irgendwo einen Haken hatte – sie kannte Dumbledores Spielchen zur Genüge. Nach kurzer Überlegung fragte sie deshalb: /Und was würde geschehen, falls ich hier bliebe?/
Dumbledore versuchte ein Lächeln zu unterdrücken, als er antwortete: /Nichts besonderes. Ihnen würde eine Person zugeteilt werden, die in Zukunft für Sie zuständig sein und Ihnen gewisse Dinge abnehmen würde – das ist alles./ Er hielt die Tafel zu Hermione hin gewandt hoch, doch so clever seine Absicht auch gewesen war, so hatte er den Winkel falsch eingeschätzt und Snape konnte, wenn auch nur mühsam, das Geschriebene dennoch lesen.
Er runzelte die Stirn und funkelte den Direktor an, welcher seinem Blick geflissentlich auswich. Erneut wurde er daran erinnert, dass er keine solche Schiefertafel besass. Eins und eins ergab immer noch zwei, und Snape hatte die Absicht des anderen schneller durchschaut als am Tag zuvor.
Unerwartet stand er auf, schnappte sich Hermiones Tafel und brachte sie ausser Reichweite von ihr. Zweifelnd warf er einen Blick auf das kleine, graue Rechteck; zu klein für ihn um von Nutzen zu sein. Mit einem einfachen Zauberspruch liess er die Schiefertafel wachsen, bis sie die Grösse seiner Wandtafel erreicht hatte, und stellte sie auf einen der überzähligen Sessel.
/Ich bin mir sicher, dass Professor Dumbledore Ihnen die Details zu einem späteren Zeitpunkt noch erörtert hätte, doch finde ich es angebracht, dass Sie von Anfang an vollständig Bescheid wissen: Durch Ihren Zustand ist es Ihnen untersagt, in der magischen Welt zu bleiben, ohne gewisse Bedingungen einzugehen. Behinderte Menschen werden in unserer Welt als Abschaum verachtet - sie werden als gefährlich für sich und ihre Umwelt angesehen. Aus diesem Grund werden Ihnen praktisch alle Rechte abgesprochen und auf einem Vormund übertragen, der in Zukunft alle wichtigen Entscheidungen für Sie treffen wird; egal, ob Sie damit einverstanden sind oder nicht.../
Hermione schaute ihn verwirrt an. Welche Bedingungen? Wieso gefährlich? Wieso verachtet? Snape erkannte die unbeantworteten Fragen in ihren Augen, doch anstatt darauf einzugehen, fuhr er mit seiner Erklärung fort. Er hatte weder die Geduld noch den Wunsch, Hermione das wie und warum und weshalb man sie ächten würde in aller Länge zu erklären – sie würde es früh genug, wenn vermutlich auch nur Stückchenweise, erfahren.
/Grundsätzlich untersagt sind: Heirat – Kinder – Bildung – Ausüben jedwelcher Magie - Eröffnen eines eigenen Gewerbes - Alkohol- und/oder Drogenkonsum – Auftreten vor Gericht – Bekleiden eines öffentlichen Amtes.../
Mit jedem Wort blickte Hermione ungläubiger auf die Tafel, doch Snapes Liste fand noch kein Ende.
/...Nur mit Erlaubnis des Vormundes und unter Aufsicht einer Drittperson sind gestattet: Benützung des Flohnetzwerkes - Fliegen mit dem Besen oder anderen magischen Hilfsmitteln - Auslandaufenthalte oder Reisen innerhalb der Landesgrenze, welche mehr als 2 Tage dauern - einer Arbeit nachgehen - Besitz oder Mieten einer Wohnung - Ein- oder Verkäufe über 10 Gallonen...
Zudem erhält der Vormund eine Generalvollmacht, welche ihn ermächtigt alleinig über Ihr Vermögen zu verfügen, Verträge für Sie zu unterzeichnen und andere offizielle Angelegenheiten für Sie zu regeln./
Am unteren, rechten Rand der Tafel war noch etwas Platz, und so kritzelte Snape dort ein 'klar?' hin.
Hermione schluckte leer. Meinte er dies alles wirklich ernst? Snape blickte mürrisch wie immer, also konnte sie nicht sagen, ob er die Wahrheit geschrieben hatte, doch ein Blick zu Dumbledore genügte. Seine Schultern waren etwas zusammengesunken, und obwohl seine Augen nach wie vor funkelten, so konnte sie doch den Ernst der Lage darin erkennen. Also spielte Dumbledore nicht nur mit ihr. Doch nun erkannte sie, dass auch andere hier in Hogwarts darin geübt waren, und Snape schien sogar ein Meister darin zu sein.
Langsam bewegte sich Hermione auf die Tafel zu, und als Snape ihre Absicht erfasste, legte er sorgsam die Kreide auf das Pult und entfernte sich etwas von der Tafel, um ihr genügend Platz zu lassen. Mit einem Zauberspruch wischte er die graue Fläche leer, so dass nichts darauf hin wies, dass jemals etwas darauf geschrieben worden war.
/Und was geschieht mit mir, wenn ich in meine Welt zurückkehre? Bin ich dort nicht auch eine Gefahr?/ Sie blickte nicht Snape sondern Dumbledore an, nachdem sie die Worte geschrieben hatte, dennoch sah sie aus dem Augenwinkel, wie er die Hand ausstreckte. Stumm bat er sie um die Kreide, und als Dumbledore dem Publikum eines Theaters gleich dem Spektakel zusah und sich nicht zu rühren schien, liess Hermione die Kreide auf die Handfläche des jüngeren Zauberers fallen. Einen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke, doch seine dunklen Augen schwiegen genauso wie sein Mund.
/Mittlerweile sollten Sie mit der Arbeitsweise des Ministeriums genügend vertraut sein um zu erkennen, das dort getreu nach dem Motto 'aus den Augen – aus dem Sinn' gehandelt wird. Wenn Sie jetzt diese Welt verlassen, wird Ihnen nichts geschehen; das Ministerium wird nicht eingreifen. Und sie glauben wohl selbst nicht, dass von Ihnen eine Gefahr für die Muggle-Welt ausgeht./, schrieb Snape unter Hermiones Frage und betrachtete anschliessend sein Werk.
Dumbledore schien plötzlich wie aus einer Trance zu erwachen, als er die Worte auf der Wandtafel las. Ein kaum merkliches Lächeln huschte über seine Lippen, und das Spiel zwischen Snape und ihm ging in die nächste Runde.
/Ja, Miss Granger, Sie könnten diese Welt jetzt als freier Mensch verlassen. Aber es sollte wohl auch erwähnt werden, dass Sie, falls sie gehen, niemals mehr hierher zurückkehren können. Die Tore zur magischen Welt würden für Sie auf ewig verschlossen bleiben./
Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe, unsicher, wie sie sich entscheiden sollte. Beides klang verlockend, doch beides war in sich auch eine Einschränkung, mit der sie sich nicht vorstellen konnte zu leben. Freier Mensch, dafür ohne Magie? Gebunden und ohne Rechte, dafür an einem Ort leben, der vor Magie nur so summte und ihre Haut liebkoste? Sie blickte zwischen den beiden Männern hin und her; weiss und schwarz, alt und jung, fröhlich und mürrisch, geheimnisvoll und... noch geheimnisvoller. Ein Rätsel.
Dieses Mal war sie es, die die Hand nach der Kreide ausstreckte, und prompt spürte sie das leichte Gewicht auf ihre Haut auftreffen. /Was denken Sie?/, schrieb sie schliesslich auf die Tafel und blickte dabei stur auf Snape. Die Frage war an ihn gerichtet, an niemanden sonst. Wie Dumbledore gesagt hatte, so betraf es auch ihn. Snape nicht aus den Augen lassend legte sie die Kreide zurück auf den Tisch und wartete darauf, dass er ihre Herausforderung akzeptierte.
Er tat es. /Kehren Sie zurück in ihre Welt./
Ein triumphierendes Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit, doch sie konnte ein Grinsen gerade noch unterdrücken. /Gut... Professor Dumbledore, ich möchte gerne bleiben./, schrieb sie langsam auf die Tafel, straffte die Schultern und blickte überlegen zu Snape. Er starrte zurück, und Enttäuschung machte sich dort breit, wo vorher die Wärme des Triumphes gekribbelt hatte, als er keinerlei Reaktion auf ihre Worte zeigte.
Plötzlich war er es, dessen Miene Überlegenheit ausstrahlte, als er die Kreide wieder an sich nahm. Er hatte noch einen letzten Trumpf im Ärmel, und nun war es wohl an der Zeit, diesen auszuspielen: /Da ist noch ein letzter Punkt, Miss Granger: Ihr Zauberstab./
Automatisch griff sie in die versteckte Tasche ihrer Robe und atmete erleichtert aus, als sie das glatte Holz mit den Fingern umschloss. Immer, wenn sie ihren Zauberstab berührte, spendete er ihr Trost und gab ihr die Rückversicherung, die sie in dem Moment brauchte.
/Falls Sie hier bleiben, muss dieser Ihrem Vormund übergeben werden - der Besitz eines Zauberstabes wird ihnen ebenfalls untersagt./
Die Worte schnitten ihr tiefer ins Fleisch, als sie es für möglich gehalten hätte. Dieses Mal, nur dieses eine Mal musste er lügen, doch Dumbledores Nicken bestätigte seine Worte. Sie war eine Hexe, und dieser schlichte Holzstab war ihre Bestätigung dieser Tatsache. Doch wenn sie durch das Gesetz verpflichtet wurde, den Zauberstab jemandem Fremden auszuhändigen, wer war sie dann? War es das, was Snape ihr die ganze Zeit versucht hatte zu erklären?
/Aber machen Sie sich keine Sorgen, Miss Granger/, versicherte ihr Dumbledore, /ihr Zauberstab wird gut verwahrt werden, bis zu dem Tag, an dem Sie ihn wieder rechtmässig besitzen und benützen dürfen./
Sowohl Snape wie auch Hermione blickten auf dessen Tafel, bevor beide nach der Kreide griffen. Sie war den Bruchteil einer Sekunde schneller und warf ihm einen spöttelnden Blick zu, ihre Beute fest in der Hand. In grossen Buchstaben schrieb sie in die Mitte der Tafel: /WAS?/
Wäre Snape im Besitz der Kreide gewesen, hätte er es nicht treffender schreiben können. Trotzdem liess er es sich nicht nehmen, seinen Kommentar mündlich hinzu zu fügen: "Albus, was soll das? Du weißt genau, dass der Fluch permanent ist. Wieso machst du ihr unnötige Hoffnung?"
Dumbledore liess sich nicht aus der Ruhe bringen. /Wie ich verstanden habe, hat der Fluch Sie nur gestreift, Miss Granger. Ich kann mir deshalb vorstellen, dass er sich nach einiger Zeit von selbst auflösen wird./
Hermione verstand nicht und schaute ihn blinzelnd an. Nicht lange, und Dumbledore hatte sich die nächsten Worte zurecht gelegt: /Vom Aufbau her ist 'Omnino Silentium' nicht unähnlich anderen alten Flüchen – wie zum Beispiel dem 'Avada Kedavra'/, begann er, /und es gibt einige wissenschaftlich bewiesene Fälle, wo jemand vom Todesfluch gestreift wurde, der dessen Wirkung nicht voll entfalten konnte, und die Person nach Monaten des Komas oder der Lethargie plötzlich wieder aufgewacht ist./
Nun wurden ihre Augen gross und glänzten hoffnungsvoll, als sie hastig zurückfragte: /Wie ist das möglich? Was muss ich tun?/
/Aktiv tun kann man leider nichts. Es scheint, als ob ein physischer oder emotionaler Schock für die plötzliche und vollständige Genesung notwendig ist./
/Schock?/, wiederholte sie unsicher.
Er beschrieb, wie einem der Überlebenden verständlich gemacht worden war, dass seine Frau verstorben war, und an einem anderen wurde ein weiterer Mordanschlag verübt. Als er fortfahren wollte, winkte Hermione jedoch ab und gab ihm zu verstehen, dass es genug des Guten war.
Einen Moment lang dachte sie nach, liess ihre Augen kurze Zeit auf Snape ruhen und erwiderte: /Dann sollte es wohl genügen mir mitzuteilen, dass Professor Snape mein neuer Vormund werden soll./
Trotz der ernsten Situation, musste Dumbledore ab Hermiones Worten wie auch ab Snapes Grimasse lachen. Keiner der beiden stimmte mit ein, und Dumbledore räusperte sich verlegen. /Nein, Miss Granger, da muss ich sie wohl enttäuschen - der Vormund werde ich sein./
Hermione liess sich in ihren Sessel fallen, lehnte den Kopf an der Rücklehne an und blickte aus dem Fenster. Was sollte sie tun? Konnte sie wirklich wieder gesund werden? Ihr Herz schrie danach hier zu bleiben und es zu wagen, ihr Verstand jedoch war zum Schluss gekommen, dass eine Genesung unmöglich war und er eine solche Kontrolle über ihr Leben nicht verkraften würde – oder doch? Würde die Magie um sie herum genug Nahrung für ihre Seele sein, dass diese nicht verkümmerte, auch wenn sie in Ketten gelegt wurde, bis sie wieder heil war?
Sie wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, als sie wieder zu den beiden Männern blickte, welche sie erwartungsvoll beobachteten. Sie nickte erneut um ihre Entscheidung von vorhin zu bestätigen. Ja, sie wollte es wagen hier zu überleben. Es war ein trostspendender Gedanke, dass Dumbledore von nun an für sie verantwortlich sein würde, obwohl er manchmal seine eigenen Wege ging – auch für andere, so wie er es gerade mit ihr getan hatte.
"Bestens!", sagte Dumbledore und strahlte sie erfreut an. /Dann kannst du mich von jetzt an Albus nennen, Hermione, schliesslich sind wir von nun an beinahe so etwas wie Vater und Tochter./
Nicht sicher ob sie lachen oder weinen sollte, entschied sie sich für ein schwaches Lächeln. Nun musste sie dies alles nur noch irgendwie ihren Eltern beibringen.
Albus streckte die Hand aus, und Hermione wurde schlagartig bewusst, was er forderte. Ihre Finger waren feucht, als sie ihren Zauberstab hervor holte und ihn liebevoll betrachtete. Sieben Jahre lang war er ihr ständiger Gefährte gewesen, und nun musste sie loslassen. Es viel ihr sichtlich schwer dies zu tun, doch ihr neuer Vormund schien ihr alle Zeit der Welt zu lassen, die sie brauchte. Wer wusste schon, wie lange sie ohne ihren Zauberstab leben musste, und ob sie ihn überhaupt jemals wieder berühren, geschweige denn benutzen, durfte. Ihre Finger schienen in ihrer festen Umklammerung erstarrt zu sein. Erst als Albus nickte, lösten sie ihren Griff langsam und der Zauberstab viel in die Hand darunter. Mit einem schweren Seufzer liess sich Hermione wieder in ihren Sessel fallen und verschränkte die Hände um sie irgendwie zu beschäftigen. Blitzschnell wurde der Gegenstand ausser Sicht gebracht.
/Professor Snape wird dir deine neuen Räume zeigen. Deine Sachen sind bereits dort/, schrieb er weiter.
Ihre nächste Frage stand überdeutlich auf ihrem Gesicht geschrieben, und Albus erklärte ihr sogleich, dass sie von nun an keine Schülerin Hogwarts mehr war. Somit war sie zwar als Gryffindor weiterhin in deren Räumen als Gast willkommen, jedoch nicht um dort zu wohnen. Zudem, fügte er als Nachgedanke hinzu, würde sie inskünftig ihren Platz während der Mahlzeiten am Lehrertisch finden und nicht mehr bei den Studenten.
Hermione schluckte leer, erwiderte aber nichts. Es hätte ihr klar sein müssen, dass ihre Entscheidung noch weiterreichende Konsequenzen hatte als diese, an welche sie unmittelbar gedacht hatte. Sie stand auf in der Erwartung, dass alles geregelt war, doch Albus hielt seine Hand hoch um sie aufzuhalten.
/In den nächsten zwei Wochen wirst du Zeit haben, dich an deinem neuen Arbeitsplatz einzugewöhnen. Ich habe mir ausserdem die Freiheit genommen, dich bereits an einer Muggle-Schule für Gehörlose in Croydon einzutragen, damit du dort einen Intensivkurs im Lippenlesen besuchen kannst.../
Er schien wirklich an alles gedacht zu haben, fiel Hermione auf. Doch er hatte recht, nicht wahr? Eine solche Ausbildung würde die Dinge wesentlich für sie und ihre Umwelt vereinfachen, egal ob sie hier blieb oder nicht. Wieso war ihr dies nicht in den Sinn gekommen? Und, wenn sie gerade über Einfälle und deren Ergebnisse nachdachte; sie hatte vollkommen vergessen zu fragen, was genau ihre Arbeit beinhaltete.
Mit ihrem Zeigefinger wies sie auf die Tafel um anzudeuten, dass sie ebenfalls noch eine Frage hatte: /Wem werde ich in Zukunft assistieren?/
Albus räusperte sich. /Professor Snape natürlich./, stand auf der Tafel, als er sie hochhielt und gleichzeitig auf den Zaubertränke-Meister zeigte, dessen Miene nach wie vor unlesbar war.
Die Kreide fiel Hermione aus der Hand und zersplitterte am Boden in kleine Stücke. Sie sah aus, als würde sie sich jeden Augenblick übergeben und musste sich einen Augenblick lang am Pult festkrallen um nicht umzukippen. Aus dem Augenwinkel heraus nahm sie wahr, wie Snape seine Hand ausstreckte und gerade einen Schritt auf sie zu machen wollte, sich jedoch im letzten Moment zurückhalten konnte.
Verzweifelt suchte sie den Boden nach einem brauchbaren Stück Kreide ab und hob es auf. /Ich habe mich umentschieden, Albus – ich will zurück in meine Welt und dort bleiben./
TBC....
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@Jackie: ... kannst du Gedanken lesen? ;-)
