Disclaimer – siehe Kapitel 1

Kapitel 6  -  Edikt Nr. 4233

Schmerz und Freude liegen in einer Schale;
ihre Mischung ist des Menschen Los.
~Johann Gottfried Seume~

Sie würde verdammt sein, würde sie sich bereit erklären für Snape zu arbeiten. Was hatte Albus sich dabei gedacht? Er konnte wohl kaum vergessen haben, dass Snape es war, der ihr dies angetan und damit ihr Leben ruiniert hatte. Ein Schauer rann durch ihren Körper als sie sich vorzustellen versuchte, wie ihre Zukunft im Kerker aussehen würde. Niemals, nicht in tausend Jahren!

Albus verzog keine Miene, als er ihr antwortete: /Zu spät, Hermione. Du hast soeben eingewilligt, dass ich dein Vormund werde, und als dieser entscheide ich, dass du nach den Sommerferien hierher zurückzukehren hast./

Snape schien darauf etwas erwidern zu wollen, doch Albus gebot ihm mit erhobener Hand Einhalt, und sein Worte verstarben ungesagt. Die Hände in die Hüfte stemmend funkelte sie Albus böse an. Ihre vorübergehende Übelkeit war verflogen, als Wut sich in ihrer Magengegend breit machte. /Und was/, schrieb sie trotzig, /willst du tun, wenn ich einfach nicht wieder zurückkomme?/

Der Angesprochene zuckte mit den Schultern. /Hermione, das Ministerium mag vielleicht manchmal als etwas schwerfällig erscheinen, doch sobald ASUB – die Abteilung zum Schutz Unbescholtener Bürger – jemanden im Griff hat, lockert dieser sich nicht mehr. Und mit deinem Einverständnis von vorhin sowie der Aushändigung deines Zauberstabes hast du deine Rechte als freie Bürgerin mit sofortiger Wirkung aufgegeben. Glaube mir, das Ministerium hat noch jedes entflohene Mündel zurückgebracht./

Hermione hatte sich selbst in die Ecke gedrängt. Durch ihr eigenes Wort war sie gefangen und verdammt. Hilfesuchend blickte sie zu Snape, doch obwohl sie ihm ansah, dass auch er nicht glücklich über das Arrangement war, so wurde ihr auch bewusst, dass er ihr nicht helfen konnte. Tränen der Verbitterung und Enttäuschung rannen ihre Wangen ab, als sie langsam rückwärts stolperte um sich an die Wand zu drücken. Wenigstens etwas, dass nicht so schwammig wie Albus' Worte waren. Er mochte vielleicht als Güte in Person erscheinen, doch wenn er wollte, konnte er härter als Stahl sein – das hätte der Krieg sie lehren müssen. Wieso, fragte sie sich, hatte sie nicht mehr Fragen gestellt, bevor sie ihre Entscheidung getroffen hatte? Wieso hatte sie sich so einfach in die Falle locken lassen?

Bezwungen liess sie ihre Schultern hängen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch sie blinzelte sie weg. Wenn sie in der magischen Welt etwas behalten konnte, dann war es ihr Stolz, und diesen würde sie bis zum Schluss verteidigen. Sie schwor sich, in Zukunft niemals mehr Schwäche vor den beiden Männern zu zeigen und stiess sich von der Wand weg. Das Treffen mit Albus war beendet, und Hermione war die erste, die das Büro ohne weitere Geste verliess, gefolgt von Snape.

Sie traten gerade aus dem Zugang in der Wand, als Hermione abrupt stehen blieb und Snape beinahe mit ihr zusammen gestossen wäre. Sie starrte geradewegs in die weit aufgerissenen Augen von Ron, der neben Harry stand. Hinter ihren beiden Freunden stand McGonagall und blickte ebenfalls zu ihr. Niemand bewegte sich, niemand öffnete den Mund um etwas zu sagen, bis Snape sie am Arm fassen wollte um sie mit sich zu ziehen.

Dann geschah alles überraschend schnell. Hermione zuckte entsetzt vor ihm zurück, während Harry und Ron mit geballten Händen und wütenden Gesichtern auf Snape losgehen wollten. Doch McGonagall war schneller, packte beide hart an der Schulter und rief: "Nein!"

Nicht über die ganze Geschichte informiert, dachte sie, Harry und Ron wollten auf Hermione losgehen. Diese jedoch verstand augenblicklich und stellte sich instinktiv vor Snape, sich dessen erst im Nachhinein bewusst werdend. Snape verzog kurz das Gesicht, grüsste McGonagall kurz und versuchte Hermione erneut zu berühren. Dieses Mal liess sie es sich gefallen, als seine Hand sich vorsichtig auf ihre Schulter legte, auch wenn sie sichtbar zusammenzuckte.

Harry und Ron sahen aus, als ob sie mit blossen Blicken Snape umbringen wollten, doch er ignorierte es und bewegte leicht seine Hand, um Hermione von den anderen weg zu dirigieren. Ohne weitere Widerrede folgte sie seiner stummen Aufforderung und drehte sich um. Ihre Freunde blickten ihr besorgt hinterher, doch Hermione schaute nicht mehr zurück. Als diese hinter der nächsten Ecke verschwanden, klatschte McGonagall ungeduldig in die Hände und jagte die beiden Schüler die Treppe zu Albus' Büro hoch.

Sie sassen schon seit einigen Minuten in dem bequemen Sesseln gegenüber des Direktors, als Hermione und Snape endlich vor ihren neuen Räumen eintrafen. Mit geschickten Gesten zeigte er ihr, wie sie den Zugang öffnen konnte: Es war ein grosses Bild mit einem smaragdgrünen Drachen, welcher gemütlich auf einer Lichtung vor sich hin döste, den man unter dem Kinn kraulen musste. Nach kurzer Zeit sperrte dieser gähnend sein Maul auf, und ein Schlüsselloch wurde in dessen Rachen sichtbar. Snape fischte aus seiner Tasche einen goldenen Schlüssel hervor, steckte ihn hinein und drehte zwei Mal nach rechts und ein Mal nach links.

Ohne ein Geräusch zu verursachen schob sich das Bild zur Seite und gewährte Hermione einen ersten Blick in ihr neues Zuhause. Sie machte einen Schritt in die entstandene Lücke hinein und drehte sich um, halb in Erwartung, dass Snape ihr folgen würde. Doch dieser schüttelte nur den Kopf und brachte einen weiteren Gegenstand zum Vorschein. Mit sachlichem Griff packte er ihre Hand, und legte den Schlüssel sowie den anderen Gegenstand hinein, bevor er mit seiner zweiten Hand ihre Finger schloss. Dann wandte er sich ab und schritt davon, seine Robe wie immer den Eindruck einer übergrossen Fledermaus vermittelnd.

Hermione öffnete ihre Hand. Es war ein Stück Papier, dass er ihr zusätzlich gegeben hatte: /Ich bin genauso wenig darüber erfreut wie Sie, Miss Granger. Morgen habe ich den ganzen Tag zu unterrichten, Sie werden deshalb genügend Zeit haben, ihre neuen Räume einzurichten. Punkt 16.30 Uhr in meinem Büro. S.S./

Hermione zerknüllte den Zettel in ihrer Hand und starrte auf die Rückwand des Bildes, welches sich wieder auf dessen ursprüngliche Position zurückverschoben hatte. Also hatte er die ganze Zeit gewusst, dass sie sich entscheiden würde hier zu bleiben – oder dass sie dazu gezwungen würde. Wenn es ihm nicht passte, wieso hatte er sich dann nicht bemüht es zu verhindern? Oder hatte er?

Grübelnd trat sie durch den schmalen Korridor in das dahinter gelegene Zimmer und blieb mit offenem Mund stehen. Es war... traumhaft – zumindest für ihre Verständnis. Ein annähernd quadratischer Raum, dessen linke Seite beinahe gänzlich von der steinernen Feuerstelle eingenommen wurde, die mit Drachen und keltischen Ornamenten verziert war. Davor lag ein weich aussehender, dunkelroter Teppich mit bunten Mustern versehen. Drei Sessel standen geordnet um einen kleinen, runden Tisch, auf dem sich bereits eine Kanne dampfenden Tees befand. Die Hauselfen mussten fleissig gewesen sein, um alles in so kurzer Zeit für sie herzurichten.

Die Wände waren mit Wandteppichen behangen um die Kälte zurückzuhalten, die im Winter durch Hogwarts schlich, und auch die hohen Fenster wiesen schwere Damast-Vorhänge auf. Vor einem der drei Fenster stand ein voll ausgestatteter Schreibtisch, und darauf lag eine ähnliche Schiefertafel, welche Hermione in Albus' Büro benutzt hatte. Sie ging darauf zu und entdeckte eine kleine Notiz ihres Vormundes: /Ich habe diese selbstreinigende Tafel aus London kommen lassen – viel Freude damit/

Versuchsweise schrieb sie ein 'Wer bin ich?' darauf, und tatsächlich verschwand das Wort nach kurzer Zeit wieder wie von selbst. So würde also ihr Leben von nun an aussehen. Mit einem Seufzer drehte sie sich wieder um und fuhr mit der Erkundung der Räume fort. Was sie beim Eintreten nicht gesehen hatte, war, dass links und rechts des Einganges jeweils ein schmales Bücherregal stand, doch die Auswahl darauf war im Moment noch ziemlich mager. Sie konnte ihre Schulbücher entdecken, welche die Hauselfen bereits eingeräumt hatten, ihr Skizzenbuch und ihre Lieblingsromane, ohne die sie nie nach Hogwarts ging.

An der Wand gegenüber der Feuerstelle waren zwei Türen zu sehen, beide waren geschlossen. Versuchsweise öffnete sie die Linke, und entdeckte dahinter das Badezimmer. Klein aber fein, mit zierlichen Kacheln aus blauem Email und schlichten, silbernen Armaturen. Das Bad war ebenfalls kleiner als sie vom Schulsprecher-Badezimmer gewohnt war, aber es würde ihr mehr als genügen.

Eine weitere Türe führte nach rechts, und als sie diese öffnete, fand Hermione ihre Annahme bestätigt. Sie stand nun in ihrem neuen Schlafzimmer, und die Türe zu ihrer Rechten konnte nirgendwo anders als zurück in das erste Zimmer führen. Verglichen mit dem Wohnzimmer war es bedeutend kleiner, trotzdem fand ein grosses Himmelbett, ein Nachttisch und ein weiteres Pult mit Stuhl Platz. Der Durchgang am anderen Ende des Zimmers musste zum Wandschrank führen, und sie musste nicht nachschauen gehen um zu wissen, dass ihre Kleider ebenfalls bereits aufgehängt und eingeräumt waren.

Es schien hier nichts mehr für sie zu tun zu geben, und so setzte sie sich vor den Kamin und schenkte sich eine Tasse Tee ein. Sie konnte sich gut vorstellen, dass die übrigen Lehrer ihre Zimmer jeweils nach deren Geschmack umgestaltet hatten, doch dies war für sie nicht möglich. Ohne Stimme und Zauberstab konnte sie nicht zaubern, und so blieb ihr nichts anderes als zu hoffen, dass die Hauselfen ihre Anweisungen lesen konnten – oder sie musste jemanden fragen, der ihr helfen würde.

Sie runzelte die Stirn als sie an die Hauselfen dachte. Ja, obwohl sie sich mit B.ELFE.R für die Rechte der kleinen Helfer eingesetzt hatte, so würde sie inskünftig bis zu einem gewissen Grad auf sie angewiesen sein. Natürlich könnte sie auch Flitwick fragen, der jedes Jahr die zauberhaftesten Weihnachtsdekorationen hervorbrachte, oder einer der anderen Lehrer. Doch bevor sie sich Sorgen über irgendwelche Veränderungen in ihren Räumen machen konnte, standen wichtigere Dinge an.

Wieder einmal befand sich Ron an erster Stelle ihrer imaginären Liste, nun dicht gefolgt von all dem, was sie heute erfahren hatte. Sie wollte sobald wie möglich mit ihm sprechen, alleine. Sobald der Entschluss gefasst war, lehnte sie sich im Sessel zurück und trank ihren Tee, während ihre Augen unaufhörlich ihr neues Zimmer begutachtend hin- und herschweiften.

***

Zuerst blickten sie sich wortlos an, jeder scheinbar auf den anderen wartend, den ersten Schritt zu tun. Gerade als Dumbledore Luft holte um etwas zu sagen, platzte Ron heraus: "Es war Snape, nicht wahr? Snape hat ihr das angetan!"

Das war es also. Dumbledore hatte das Gefühl gehabt, dass jemand im Korridor vor dem Krankenzimmer gestanden hatte, doch war er zu sehr mit dem Problem selbst beschäftigt gewesen, um sich genauer umzusehen. Mdme Pomfrey hatte ebenfalls angedeutet, dass die beiden mehr wussten als gut für sie war, aber erst jetzt wurde ihm klar, dass sie alles mitangehört hatten, was Snape und er im Korridor besprochen hatten.

"Ich möchte nichts beschönigen oder verharmlosen - ja, es handelt sich um Professor Snape, welcher den Fluch ausgesprochen hat, der für Hermiones Zustand verantwortlich ist...", begann Dumbledore und wollte soeben fortfahren, als Harry ihm ins Wort fiel.

"Und trotzdem haben Sie ihn nicht rausgeworfen?", rief er, "Obwohl er Hermiones Leben zerstört hat, darf er weiterhin unterrichten?"

"Mr. Potter!", unterbrach ihn Dumbledore , bevor Harry etwas sagen konnte, dass ihm später leid täte, "Ich glaube, es reicht. Ich habe meine Gründe, weshalb Professor Snape auch in Zukunft hier unterrichten wird, und ich verspüre keinesfalls eine Verpflichtung, mich vor Ihnen beiden rechtfertigen zu müssen. Auch wenn ich Ihr Entsetzen über das, was mit Miss Granger geschehen ist, teile, so sehe ich auch, dass es sich um einen unglücklichen Unfall gehandelt hat. Ich kann vielleicht Professor Snapes Wahl des Fluches nicht gutheissen, aber er wird ihn nicht grundlos angewendet haben."

Harry und Ron starrten ihn überrascht an. Sie hatten ihn zwar früher schon aufgebracht gesehen, doch dies war das erste Mal, dass er so vehement jemanden verteidigte, von dem sie überzeugt waren, dass dieser nichts anderes als einen qualvollen Tod oder Leiden bis ans Ende seiner Tage verdient hatte. Sie wollten Genugtuung für Hermione, jedoch schien der Direktor diese Ansicht nicht zu teilen.

Er atmete hörbar aus, bevor er weitersprach: "Doch dies ist nicht der Grund, weshalb ich sie beide hergebeten habe. Für Hermione wird es eine schwere Zeit werden, und ich wünsche, dass sie jede Unterstützung erhält, die möglich ist. Dies gilt vor allem für Sie beide als ihre besten Freunde, doch ganz besonders für Sie, Mr. Weasley. Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit irgendwelchen verstaubten Vorurteilen."

Mit durchdringendem Blick schaute er zu Ron, der sich sichtlich unwohl fühlte. Wie konnte Dumbledore so etwas von ihm verlangen? Er wusste doch selbst, welchen Status Menschen wie Hermione hier in der magischen Welt hatten. Ron hatte, seit sie von Hermiones Zustand erfahren hatten, an nichts anderes mehr denken können, und immer war er zum gleichen Schluss gekommen. "Aber Sir, wie sollen wir sie unterstützen, wenn sie in die Muggle-Welt zurückkehrt und die Zugänge zu unserer Welt für sie geschlossen werden?", fragte er deshalb in vollem Ernst.

Harry starrte seinen Freund entsetzt an, der sich so sicher war, dass seine Freundin nicht hier bleiben würde. Dumbledore schüttelte den Kopf: "Da liegen Sie falsch, Mr. Weasley: Hermione hat sich entschieden hier zu bleiben und in Hogwarts eine Stelle als Assistentin anzunehmen."

Ron keuchte auf, doch Dumbledore fuhr unbeirrt fort: "Und ich werde als ihr Vormund fungieren."

In scheuer Art hob Harry die Hand. In seinem Kopf schwirrten die unbeantworteten Fragen nur so umher und erschwerten sein Denken. Er wollte endlich Antworten, und zwar klare und deutliche. Dumbledore nickte, als Harry ihn mit Fragen überhäufte und gab sich Mühe, auf alle einzugehen. Zuerst erklärte er ihm, was die Arbeit von ihm als Vormund beinhaltete, was mit Hermione geschehen würde und welche Rechte sie noch besass – oder eben nicht mehr besass.

Allmählich wurde er hungrig, das Abendessen konnte nicht mehr fern sein, doch Harry liess nicht locker. Er hatte die Furcht, unwissend und ungebildet zu erscheinen, hinter sich gelassen, und fuhr fort mit seinen Fragen. Insbesondere wollte er wissen, weshalb sich alle hier plötzlich so seltsam benahmen, sobald Hermiones Name erwähnt wurde.

Dumbledore seufzte, sich sicher, dass Harry sich nicht mit einer halbherzigen Antwort abspeisen liesse. Also holte er weit aus – über 800 Jahre – und erzählte ihm die Geschichte von Maude Malachor und deren Tochter Lendra, welche die Einstellung der Menschen hier gegenüber Behinderten von Grund auf verändert hatte Es war damals eine friedliche Zeit gewesen, doch düster war die Legende, die er Harry erzählte.

Heutzutage zu wenig mehr als einem Mythos verkommen, so hatte es einmal eine Zeit gegeben, wo behinderte Menschen vorurteilslos und friedlich neben- und miteinander gelebt hatten. Das magische Viertel in London hatte damals noch nicht die Ausmasse dieser Tage erreicht, und obwohl die Winkelgasse mit ihren Läden und Geschäften bereits damals bestanden hatte, so fand man in den Nebengassen vornehmlich Wohnungen. In einer dieser kleinen Strassen, im ersten Stock in der Sichelgasse Nr. 4, lebte Maude mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter.

Maude war von Geburt an blind gewesen, doch das hatte sie weder daran gehindert zur Schule zu gehen und später ein eigenes Geschäft für Zauberkräuter zu eröffnen, noch zu heiraten und ein Kind zu gebären. Neun Jahre lang nach der Geburt ihrer Tochter führten sie ein glückliches wenn auch bescheidenes Leben, geliebt und geschätzt von allen die sie kannten.

Doch dann, am Vorabend zu Maudes 40. Geburtstag, brach ihre heile Welt unwiderruflich zusammen. Sie hatte, wie so oft, bis spätabends gearbeitet, und als sie es sich im Wohnzimmer auf dem Sofa mit einem Glas Wein gemütlich gemacht hatte, döste sie beinahe augenblicklich ein. Ein Geräusch jedoch liess sie aus dem Schlaf hochfahren, und immer noch halb in ihrem Traum gefangen, wusste sie zuerst nicht genau, was geschah.

Sie fragte laut wer da sei, doch erhielt sie keine Antwort. Gleichzeitig hörte sie aber, wie sich langsam und leise Schritte näherten, und mit dem Gedanken an einen Einbrecher riss sie ihren Zauberstab hoch und schrie ein 'Petrificus Totalis'. Maude hörte, wie ein Körper steif zu Boden fiel und etwas Metallenes schepperte, dann war alles still. Verängstigt und verwirrt blieb sie auf dem Sofa sitzen und hoffte darauf, ihr Mann möge bald vom 'Tropfenden Kessel' zurückkehren.

Nur zehn Minuten später hörte sie, wie die Haustüre geöffnet und wieder geschlossen wurde, und erleichtert atmete sie aus. Als nächstes würde er ins Wohnzimmer kommen um zu sehen, ob sie wieder einmal eingeschlafen war, und tatsächlich trat er alsbald ein. Doch sein nächsten Worte galten nicht ihr, und auch ging er nicht zu ihr hin um sie zu begrüssen. Statt dessen hörte sie ihn zu der Stelle eilen, an dem sie die Person hatte hinfallen hören. Maude gefror das Blut in den Adern.

"Oh mein Gott!", hauchte er, als er sich hinbückte um den Kopf der Person sachte anzuheben, "Lendra!"

Maude schluckte leer und fragte ihn flüsternd, was los war. Sie konnte es nicht sehen, doch nun, da er mit seinen Worten bestätigt hatte, wen sie mit ihrem Zauberspruch getroffen hatte, konnte sie es riechen: Es roch nach Blut.

Ihr Mann kniete in einer Lache aus Blut, die den Boden um den Kopf ihrer Tochter bedeckte. Als er feststellte, dass sie nicht mehr lebte und den seltsamen Gesichtsausdruck seiner Frau bemerkte, stand er auf, ging zu ihr hin und packte sie an den Schultern: "Was ist geschehen, Frau! Was ist passiert?"

Erschrocken über den harschen Tonfall in der Stimme ihres Mannes, erzählte sie ihm stotternd, an was sie sich erinnern konnte. "Was ist mit Lendra? Wo ist sie? Ich will zu ihr!", brachte sie unter Tränen hervor und wollte sich aus dem Griff ihres Mannes befreien. Doch er liess nicht locker und drückte sie statt dessen an sich, seinen eigenen Tränen ebenfalls den freien Lauf lassend.

Ihre Tochter hatte sich anscheinend ins Wohnzimmer schleichen wollen, um das Geburtstagsgeschenk für den nächsten Morgen bereit zu legen. Sie hatte anscheinend nicht damit gerechnet, dass ihre Mutter erwachen würde, und wenn, dass sie unbemerkt wieder aus dem Zimmer schleichen konnte. Doch sie hatte nicht bedacht, dass ihre Mutter, wenn auch blind, über ein ausgezeichnetes Gehör verfügte. Als der Zauberspruch sie getroffen hatte, war sie soeben am Kamin angelangt, und ein schrecklicher Zufall wollte es, dass sie mit dem Kopf genau auf dem Schürhaken auftraf, als ihr steifer Körper zu Boden fiel.

Nachdem ihr Mann ihr so ruhig als möglich berichtet hatte, was zu sehen war, begann Maude zu schreien, und er liess sie erschrocken los. Ausser sich vor Schmerz sprang sie auf und stolperte durch das Zimmer. In ihren tränennassen, blinden Augen konnte er den Wahnsinn aufblitzen sehen, der sie erfasst hatte, doch Furcht liess ihn wie angewurzelt auf der Stelle verharren.

Erneut brachte Maude ihren Zauberstab hervor und zerstörte willkürlich Gegenstände, welche in ihr Schussfeld gerieten. Ihr Mann duckte sich zur Leiche seiner Tochter und brachte sich hinter dem Sofa in Sicherheit, während seine Frau gerade sich selbst für ihre Tat verfluchte.

Und dann... dann richtete sie den Zauberstab nach oben und verfluchte den Himmel selbst. Ein Donner hallte durch die Sichelgasse, und die Einwohner, aufgeschreckt vom Knall, rannten aus ihren Häusern um zu sehen, was geschehen war.

Der Himmel verfärbte sich zu einem düsteren Grau, obwohl es kurz vor Mitternacht war, und kein Stern geschweige denn der Mond war zu sehen. Verwirrt rannten sie aus der Gasse hinaus, wo, kaum hatten sie eine unsichtbare Grenze überschritten, der Mond und die Sterne wieder hell am Himmel leuchteten. Auch Maudes Mann war aus dem Haus gerannt ohne nochmals zurückzublicken, kaum war seine Frau ohnmächtig zusammengebrochen.

Nicht wissend, wohin er sich wenden sollte, rannte er zum 'Tropfenden Kessel' um Hilfe zu holen, doch nicht nur der Mann hinter dem Tresen lauschte entsetzt seinen Worten, sondern noch ein Dutzend weiterer Ohren. Wie immer, wenn es etwas neues zu erzählen gab, verbreitete sich das Gerücht in Windeseile, und das ganze magische London war auf den Beinen, bevor der nächste Tag angebrochen war.

Kurze Zeit später ging die Sonne auf – jedoch nicht in der Sichelgasse. Der Himmel dort veränderte seine Farbe nicht mehr, und so blieb es auch am nächsten und am übernächsten Tag. Aus dem ganzen Land wurden Zauberer herbestellt um den Bann rückgängig zu machen, doch nichts half.

Maude war noch in derselben Nacht am Fluch gestorben, den sie über sich selbst verhängt hatte, und auch Lendras lebloser Körper wurde weggebracht und auf einem kleinen Friedhof ausserhalb der Stadt beerdigt. Maudes Mann konnte den Gedanken an seine Frau und seine Tochter, die Enge der Wohnung und die nicht enden wollende Dämmerung in der Gasse nicht lange ertragen, und er erhängte sich eine Woche später im Dachstock.

So wie er in den Tod geflüchtet war, so flohen mehr und mehr Menschen aus der Sichelgasse, bis sie einer Geisterstrasse glich. Das Strassenschild wurde abmontiert und der Weg gemieden. Nur noch Ratten und zwielichtige Gestalten huschten über das Kopfsteinpflaster – anfangs nur in der Nacht, später auch am Tag. Und plötzlich brannte in einer Wohnung wieder Licht, dann in einer zweiten, dann wurde eine dritte bewohnt. Die Räume im Erdgeschoss wurden zu Läden umfunktioniert, und schon bald eröffneten die ersten Geschäfte ihre Türen. Die Gasse erhielt einen neuen Namen, und wenig später hing ein neues Schild am Eingang zur schmalen Strasse: Nokturngasse.

"Und so geschah es", endete Dumbledore, "dass behinderte Menschen zwar nicht von einem Tag auf den anderen gehasst und geächtet, zumindest aber gemieden wurden. Gerüchte haben die schlechte Angewohnheit sich über die Zeit hinweg, in der sie im Umlauf sind, auf negative Weise zu verändern. Und die Geschichte der armen Maude und ihrer Tochter wurde über die Jahre hinweg brutaler und schrecklicher erzählt, bis das Ministerium es für notwendig befand einzugreifen. Das Edikt Nr. 4233 wurde erlassen, und bis heute hat es sich kaum verändert. Und dieser Erlass ist es auch, der Hermione zu einem Leben am äussersten Rande der Gesellschaft zwingt."

Endlich brachte es Harry fertig, den Blick von Dumbledore abzuwenden, und er schaute zu seinem Freund neben ihm. Ron starrte immer noch auf den Direktor, seinen Mund überrascht aufgerissen.

"Was ist, Mr. Weasley? Haben Sie die Geschichte nicht gekannt?", fragte Dumbledore rein rethorisch, denn die Antwort darauf war offensichtlich, "Und trotzdem haben sie Hermione schon zum Vornherein verurteilt, obwohl Sie die Hintergründe zum Vorurteil der magischen Welt gegenüber Behinderten nicht gekannt hatten?... Vielleicht sollte ich noch hinzufügen, dass dieser Vorfall das einzige Mal gewesen war, dass jemand durch eine körperlich behinderte Person zu schaden gekommen war – und wenn man dieses Wissen nun vergleicht mit der Anzahl Menschen, welche durch 'gesunde' Zauberer und Hexen gequält oder getötet wurden..."

"Und warum", erkundigte sich Harry, "hat man sich dann nicht darum bemüht, den Menschen die Wahrheit zu erzählen?"

Seinen Kopf neigend betrachtete Dumbledore ihn über den Rand seiner Brille hinweg. "Oh!", gab Harry leise von sich. Er verstand: Man hatte es versucht, doch wie immer hörten die Menschen nur das, was sie auch hören wollten – war es ihm ja nicht anders ergangen, als er Voldemorts Auferstehung in seinem vierten Schuljahr miterlebt hatte.

"Aber woher sollen wir wissen, dass diese Geschichte auch wirklich wahr ist?", wollte nun auch Ron wissen.

Wortlos öffnete der ältere Zauberer eine Schublade seines Pultes und brachte ein kleines, braunes Buch zum Vorschein. Das Alter hatte Spuren auf dem ledernen Einband hinterlassen, doch als er darin blätterte, konnten Harry und Ron sehen, dass die Tinte kaum verblasst war. Als er schliesslich die gesuchte Stelle gefunden hatte, drehte er das Buch um und legte es vor Ron hin, mit dem Finger auf die rechte Seite tippend. "Lesen sie selbst, Mr. Weasley"

"Was ist das?", fragte er verwirrt zurück.

"Duncan Malachors Tagebuch; Maudes Mann war der Bruder einer meiner Vorfahren."

Ron erstarrte und rutschte dann auf seinem Sessel wieder zurück, ohne die Textpassage zu lesen. Dumbledore zuckte mit den Schultern und legte das Tagebuch wieder zur Seite. Dann faltete er seine Hände vor sich auf dem Pult und blickte die beiden ernst an. "Helfen Sie ihr. Sie wird Sie brauchen, noch bevor Ihr Schuljahr zu ende ist.", und mit diesen Worten stand er auf und ging zur Türe, um sie den beiden zu öffnen.

Jedoch bevor er sie gehen liess, brachte er noch den letzten Punkt zur Sprache, den er noch nicht erwähnt hatte: "Und ich hoffe für Sie beide, dass Professor Snape den Rest Ihres Schuljahres – und darüber hinaus – wohlbehalten und gesund bleibt. Wenn nicht, werde ich Sie persönlich zur Verantwortung ziehen, und Sie werden sich wünschen, meine Worte nie vergessen zu haben."

Dies war keine leere Drohung, sie konnten es beide in seinen Augen erkennen.

"Oder wollen Sie, dass Hermione ihre Anstellung hier verliert?", fügte Dumbledore hinzu.

"Was hat das eine mit dem anderen zu tun?", wollte Harry wissen.

"Oh, habe ich dies noch nicht erwähnt?", antwortete er verschmitzt, "Hermione wird in Zukunft als Professor Snapes Assistentin arbeiten."

TBC....

-----------

Mmh... ich muss zugeben, dass es mich doch überrascht und etwas nachdenklich stimmt, von euren Bedenken bezüglich dem Verlauf der Story zu lesen. Obwohl – ich begebe mich hier auf ein neues Terrain, und da ist es nur verständlich, dass es zu Kontroversen führt. Ohne zuviel verraten zu wollen, möchte ich euch aber versichern, dass es... auch andere Momente geben wird.