Disclaimer – siehe Kapitel 1

Kapitel 7 - Ertrinken

Schweigend gingen sie nebeneinander durch die beinahe ausgestorbenen Gänge in Richtung grosser Halle. Das Abendessen würde jeden Moment aufgetischt werden, doch hungrig war keiner von beiden so richtig - Dumbledores Offenbarung hatte ihnen gründlich den Appetit verdorben. Aber wer waren sie schon zu wissen, ob Hermione – und auch Snape – genauso über die Sache dachten?

Es war trotz allem ein aufschlussreiches Gespräch gewesen, und Harry fühlte sich, als ob er eine weitere Türe mit einem Geheimnis dahinter geöffnet hatte, das ihn dem vollständigen Verständnis der magischen Welt einen Schritt näher brachte. Doch sollte er sich über die Erkenntnis hinter der Türe freuen oder erschrocken sein?

Hermione würde ein Leben am Abgrund ertragen müssen, nur weil die Menschen hier nicht zuhören wollten. Vielleicht konnte er sie dazu bringen ihm zuzuhören, so wie er es in seinem vierten Jahr hier in Hogwarts versucht hatte. Doch vielleicht war es auch alles vergebens, und er würde wieder als Spinner und Angeber angesehen werden. Wie konnte er, in seinen Augen ein einfacher Zauberschüler, die magische Welt von Grund auf verändern? Jahrhunderte alte Vorurteile auf den Kopf stellen und der Wahrheit zum Sieg verhelfen? Nur weil es sich um Hermione und nicht um jemanden Fremdes handelte? Würde er es überhaupt versuchen, wenn es nicht Hermione wäre, die es betraf?

Ron schwieg weiterhin und starrte auf seine Füsse, während er langsamer als sonst den Korridor entlang schlurfte. Er wusste ebenfalls nicht, wie er mit dem neuen Wissen umgehen sollte. Seine inneren Stimmen führten einen erbitterten Wortstreit, und einen Moment lang sah es so aus, als ob der alte Ron gewinnen würde, im nächsten hatte der neue Ron die Oberhand gewonnen, bis der alte Ron mit noch lauterem Geschrei seine Ansichten verteidigte.

"Ron?", fragte Harry vorsichtig, "Hast du denn gar nichts dazu zu sagen?"

Überrascht blickte Ron seinen Freund an, durch dessen Worte jäh aus seinen Gedanken gerissen. "Wozu was sagen? Dass Hermione hier bleibt? Oder dass sie als Assistentin von Snape-dem-Bastard arbeiten wird? Oder was Dumbledore uns erzählt hat?"

Harry zuckte mit den Schultern. "Oder vielleicht dazu, wie es nun mit euch beiden weitergehen soll?"

Diese Bemerkung liess ihn einen bösen Blick kassieren, der sich aber sogleich in Unsicherheit verwandelte. "Ich... weiss nicht... Es ist nur so, dass...", begann Ron und hielt einen Augenblick inne, bevor er wütend zischte: "Was geht es dich überhaupt an? Es ist wohl kaum deine Sache, oder?"

Dann beschleunigte er seinen Schritt und Harry musste sich beeilen, mit ihm mitzuhalten. Ron schwieg den Rest der Strecke, und auch Harry hielt wohlweislich seinen Mund. Auch während des ganzen Abendessens sprachen sie weder miteinander, noch blickten sie sich zu lange an. Doch beide schauten immer wieder zum Lehrertisch und zum neuen, jedoch unbesetzten, Platz hinauf. Traurig dachte Harry an die nun freie Stelle neben ihm, wo Hermione seit Beginn ihrer Schulzeit gesessen hatte. Ein plötzlicher Kloss in seinem Hals verhinderte, dass er den nächsten Bissen Hackbraten hinunter schlucken konnte. Nichts würde mehr so sein wie früher – nie mehr.

Hermione spürte ebenfalls keinen Hunger, obwohl sie wusste, dass das Abendessen in vollem Gange war. Beim Gedanken daran, dass sie die ganze Halle durchqueren müsste um zum Lehrertisch zu gelangen, knoteten sich ihre Eingeweide zusammen. Sie wusste, dass es einen separaten Eingang für die Lehrer gab, doch hatte sie keine Ahnung, wo genau sich dieser befand um ihn auch zu benützen. Nach dem Gang durch Hogwarts von heute Nachmittag empfand sie nicht die geringste Lust, so einen Spiessrutenlauf, beobachtet von Hunderten anklagender Augenpaare, zu wiederholen.

Sie hatte noch nicht einmal ihre erste Tasse Tee geleert, als die gut verpackten und weggesperrten Emotionen und die Ereignisse der letzten Woche sie unerwartet überwältigten und mit aller Wucht in die Knie zwangen. Die Tasse fiel ihr aus den Händen auf ihren neuen Teppich, und der Tee hinterliess dort dunkle Flecken. Hermione presste ihre Hand fest auf den Mund und versuchte zum Badezimmer zu gelangen, bevor sie sich gleich an Ort und Stelle übergab, doch schon nach den ersten Schritten gaben ihre Beine nach und sie brach auf dem Boden zusammen.

Mit letzter Kraft schaffte sie es, den bitteren Geschmack in ihrem Mund hinunter zu schlucken und zur Wand mit den Fenstern zu kriechen, an die sie zusammengekauert und zitternd lehnte. Ihr Schluchzen kam in regelmässigen Abständen und schüttelte ihren Körper, während sie das Geräusch, welches sie dabei normalerweise hätte verursachen müssen, nur in ihrem Kopf hören konnte.

Es war einfach zuviel. Wie hatte sie je glauben können, dass sie stark genug sein würde, dies alles durchzustehen? Mit jedem Atemzug türmte sich neue eine Woge aus Aussichtslosigkeit vor ihr auf, schwappte über sie hinweg und ertränkte sie, während sie verzweifelt mit gefesselten Händen versuchte, an die Oberfläche zu gelangen. Sie verstand nicht, wieso diese Emotionen ihr solch körperliche Schmerzen zufügen konnten. Es zerriss ihr beinahe die Brust und ihr war so übel, als hätte sie etwas Verdorbenes gegessen. Sie zerrte am Kragen ihrer Robe um mehr Luft zu bekommen, bis die obersten Knöpfe abrissen.

Ihre Nervenenden standen unter Feuer und die ihr verbliebenen Sinne spielten verrückt, in dem sie ihr Dinge vorgaukelten, die unmöglich schienen. Sie spürte jede einzelne Erhebung der steinernen Wand in ihrem Rücken, sie konnte die Faserung des Holzes vom Parkettboden durch ihre Robe hindurch fühlen, und in der Luft konnte sie die alte Asche aus der seit Monaten nicht mehr benützten Feuerstelle ausmachen.

'Wieso ich?', wollte sie herausschreien, 'wieso musste dies gerade mir passieren?' - doch sie sparte sich den Atem. Niemand würde sie hören, nicht einmal sie sich selbst, und niemand würde ihr eine Antwort geben können. Denn es gab keine Antwort auf diese Frage, nur Schmerz, Verzweiflung und noch mehr Fragen. Das Schicksal trieb mit ihr ein grausames Spiel, und sie konnte es entweder akzeptieren oder daran zu Grunde gehen. Letzteres schien verlockend nahe, aber noch war sie nicht gebrochen, noch kämpfte sie dagegen an wie Don Quichotte gegen die Windmühle.

Als ihr Weinkrampf sich schliesslich bis auf einen Schluckauf reduziert hatte, hob sie langsam ihren Kopf an und blickte erneut im Zimmer umher. Nun betrachtete sie es mit anderen Augen, und was sie sah, liess die Tränen erneut aufwallen. Es war ein grosszügiger, bequem eingerichteter Raum – mehr, als sie erwartet hatte – doch es war auch ihr goldener Käfig, in dem sie von nun an zu Leben hatte.

Und plötzlich kam noch eine weitere Emotion in ihr hoch und kochte über: Wut – auf sich selbst, auf Snape, Dumbledore und den ganzen Rest der Menschheit. Wut über ihr neues Zuhause, Hogwarts und alles was damit zusammenhing. Die Hand zur Faust geballt schlug sie auf den Boden, doch es reichte ihr nicht. Hermione sprang auf, die Übelkeit von vorhin vergessen, und schritt stampfend zur Türe und wieder zurück. Sie brauchte etwas besseres... Ihr Blick viel auf die Teekanne auf dem Tisch, und bevor der Gedanke sich fertig formen konnte, hatte sie sie in der Hand und schmiss sie mit aller Kraft in die kalte Feuerstelle. Das feine Porzellan zersprang augenblicklich in tausend Teile.

Besser, aber noch nicht genug. Als nächstes schnappte sie sich die am Boden liegende Tasse und warf sie der Kanne hinterher. Es reichte immer noch nicht, also schleuderte sie die Untertasse, die Zuckerdose und die Milchkanne ebenfalls in Richtung Kamin. Milch floss über die grauen Steine und auf den Parkett vor der Feuerstelle, während der Zucker in die kleinsten Ritzen und Risse rann.

Hermione sah sich um auf der Suche nach weiteren Gegenständen, und beinahe hätte sie ihre neue Schiefertafel zur Hand genommen – doch aus dem verborgensten Winkel ihres Verstandes meldete sich die Stimme der Vernunft, dass sie Albus dies nicht antun könnte. Er meinte es doch nur gut mit ihr, oder nicht? Statt dessen hob sie ihre Fäuste, stolperte zur Feuerstelle und schlug mit blossen Händen auf den harten Stein ein, bis sie erschöpft daran lehnte und auf den Boden zurückrutschte.

Ihre Hände waren rot und wiesen kleine Schürfwunden auf, doch seltsamerweise nahm sie den Schmerz nicht als solchen wahr. Ihr Innerstes brannte immer noch und überdeckte alles andere. Erneut schwappte eine Woge an Verzweiflung über sie hinweg, und die Ellbogen auf den angewinkelten Knien aufstützend, begrub sie ihr Gesicht in ihren Hände und begann erneut zu weinen, ehe sie wieder stumm zu schluchzen anfing. Und noch einmal spürte sie dieselbe Wut in sich aufkeimen, und zornig stampfte sie mit den Füssen auf, bevor sie den Kopf hob um ihn wieder und wieder gegen die steinerne Wand hinter sich zu schlagen.

Irgendwann spürte sie einen leichten Luftstoss auf ihrer Haut und anschliessend eine Hand, welche sich auf ihren Kopf senkte. Sie strich ihr sanft über das Gesicht, und erst da merkte Hermione, dass Albus bei ihr war. Niemand sonst hier hatte solche Hände, vom Alter zerfurcht und sich wie Pergament anfühlend. Sie spürte den hölzernen Boden unter ihrer linken Wange und die leicht verrenkte Haltung ihres Körpers, doch auf eine merkwürdig distanzierte Weise war es ihr völlig gleichgültig, und sie bemühte sich gar nicht erst, sich zu rühren. Die Augen fest zusammengepresst hoffte sie, dass sie wieder zurück in die dunkle Unbekümmertheit von vorhin gleiten könnte, doch die raue Hand von Albus schien ihren Geist im Hier und Jetzt festzuhalten.

Dann verschwand die Hand, und Hermione war wieder allein. Eine Weile lang geschah nichts, und sie zitterte, als das Gefühl der Verlassenheit sie wieder einholte. Doch plötzlich war die Hand wieder da und glitt zärtlich über ihre Haare, bevor fremde, starke Arme sie aufhoben, und sie an einen warmen Körper gepresst wurde. Tränen fanden einen Weg zwischen ihren geschlossenen Lidern hindurch, und sie schmiegte sich unbewusst enger an die Person, welche sie durch das Zimmer trug. Es war ihr egal, um wen es sich handelte, solange er sie nicht mehr los liess; denn es war mehr Wärme und Geborgenheit, als sie in der letzten Woche zu spüren bekommen hatte.

Ihr Ziel schien zu schnell erreicht, und als die Arme sie ablegen wollten, klammerte sich Hermione an der Robe der Person fest. Sie spürte die weiche Matratze ihres neuen Bettes unter sich, doch es war nichts im Vergleich mit den Armen von vorhin. Hermione versuchte protestierend zu wimmern, doch niemand schien es zu bemerken. Sachte wurden ihre Hände vom Stoff gelöst, aber anstatt sofort losgelassen zu werden, wurden sie in den Händen der anderen Person gedreht und gewendet. Eine weitere Hand berührte sie am Hinterkopf, Finger glitten über eine schmerzhafte Stelle, die sie unwillkürlich zusammenzucken liess, und verschwanden dann. Etwas Kühles wurde auf ihre Hände und den Kopf aufgetragen, ehe die sanften aber bestimmten Berührungen verschwanden. Einen Augenblick lang dachte sie, sie sei wieder alleine, aber schon wenig später spürte sie ein neues Paar Hände - dieses Mal unverkennbar einer Frau gehörend.

Ihre Schulrobe wurde ihr ausgezogen, dann ihre übrigen Kleider, bis sie nur noch ihre Unterwäsche trug. Es war keine leichte Aufgabe für die Frau, denn kaum liessen die Hände kurz von Hermione ab, drehte diese sich auf die Seite, rollte sich zusammen wie ein Ungeborenes und blieb mit angespannten Gliedern liegen. Schliesslich gab die Frau auf und zog die Decke bis zu Hermiones Schultern hoch. Wieder war sie für einen kurzen Moment allein, und dann wurde etwas an ihre Lippen gedrückt. Ohne Widerstand öffnete sie den Mund, und als sie eine kühle Flüssigkeit auf ihre Zunge rinnen spürte, schluckte sie willig.

Die Gedanken, welche sie schon seit Stunden gepeinigt hatten, entglitten ihren Fingern. Hermione fühlte sich seltsam leicht im Kopf, und sie fragte sich, ob man ihr vielleicht Gift verabreicht hatte, um ihrem Leiden endlich ein Ende zu setzen. Alles war Licht und Liebe, warm und geborgen, und die Sorgen schienen unerreichbar weit weg. Mit offenem Geist hiess sie die Umarmung des traumlosen Schlafes willkommen und verschwand in dessen Tiefen.

Als Hermione bereits schon seit einigen Minuten eingeschlafen war, stand Mdme Pomfrey immer noch an ihrem Bett, das Flakon mit dem Schlaftrank in ihrer Hand, und blickte auf sie hinab. Die Krankenschwester seufzte und kniete sich hin um sie genauer betrachten zu können. Ohne zu zögern hob Mdme Pomfrey ihre Hand und strich Hermione eine Strähne aus dem Gesicht. Die Gesichtszüge der Schlafenden waren entspannt und friedlich, und nichts deutete auf die neugewonnen Kenntnisse oder darauf hin, dass sie anders war. Noch einmal berührte sie zärtlich deren Wange und ein kaum merkliches Lächeln flackerte über Hermiones Gesicht. Es war eine spontane, instinktive Reaktion auf die Berührung gewesen, dennoch machte Mdme Pomfreys Herz einen Sprung. Noch einmal versuchte sie, Hermione ein Lächeln zu entlocken, und wieder gelang es ihr.

Ein Räuspern riss sie aus ihren Gedanken, doch sie liess es sich nicht nehmen, ein letztes Mal über Hermiones Kopf zu streichen. Dann stand sie auf, strich ihre Uniform glatt und das Lächeln auf ihrem Gesicht verschwand. "Es ist erstaunlich, dass sie bis jetzt durchgehalten hatte ohne einen Zusammenbruch wie diesen zu erleiden.", sagte sie in sachlichem Tonfall.

"Ja, Severus hat recht gehabt; sie ist zäh. Aber das wird sie hier in Zukunft auch sein müssen."

Mdme Pomfrey schnaubte als sie den Namen des Zaubertränke-Meisters hörte, blickte dann aber besorgt auf Hermione hinunter. "Ich kann ihr die nächsten paar Tage den Schlaftrank verabreichen, aber länger als eine Woche geht das nicht, Albus. Der Körper gewöhnt sich zu rasch an den Trank, und es wäre unverantwortlich, die Dosis zu stark zu erhöhen; ihre Organe könnten dadurch einen permanenten Schaden davontragen."

Als Albus schwieg, fuhr sie fort: "Und zudem, der Trank dient nur der Symptombehandlung und ist kein Heilmittel. Ich bin keine Psychiaterin, doch ich kann sehen, dass es ihr im Moment sehr schlecht geht, und ich bete darum, dass sie sich nichts ernsthaftes antun wird. Meiner Meinung nach sollte sie eigentlich rund um die Uhr betreut und überwacht werden - vor allem jetzt - doch es bringt nichts, wenn ich sie im Krankenzimmer einsperre. Je schneller sie sich an ihre Umgebung und ihr neues Leben gewöhnt desto besser."

"Hilf ihr dabei", bat Albus aufrichtig.

Mdme Pomfrey blickte nachdenklich zu Hermione und schüttelte langsam den Kopf, bevor sie wieder den älteren Zauberer anschaute. "Ich... tut mir leid, Albus. Ich glaube nicht, dass ich das kann." Tränen traten ihr in die Augen, doch sie blinzelte sie weg. "Sie ist... sie... oh mein Gott. Sie ist so jung! Sie hat es einfach nicht verdient! Ich weiss nicht... Wie kannst du nur so etwas von mir verlangen, Albus? All dies, was ich als Kind gelernt und als Erwachsene gelebt habe, einfach zur Seite zu legen?"

Mitfühlend berührte er ihre Schulter und blickte sie verständnisvoll wenn auch traurig an. "Lass mich dir nachher eine Geschichte erzählen, ja?"

Poppy nickte, wandte sich kurz ab um laut ihre Nase zu putzen, bevor sie sich wieder zu ihm umdrehte. "Warum, Albus? Warum bist du so erpicht darauf, sie hier zu behalten? Obwohl du siehst, wie schlecht es ihr im Moment geht?"

"Sie wird nicht ewig so empfinden, hoffe ich. Irgendwann wird es auch mit ihr wieder aufwärts gehen. Ich habe meine Gründe sie hier zu behalten, ja, aber mehr kann ich dir im Moment dazu nicht sagen."

Mdme Pomfrey presste ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. "Aber ihm hast du es gesagt, nicht wahr? Severus kennt den wahren Grund für deine Beharrlichkeit! Sonst hätte er sich kaum dazu bereit erklärt, sie als seine Assistentin zu akzeptieren. Scharwenzelt er deshalb die ganze Zeit um sie herum?", brachte sie abfällig hervor, ihre Gefühle von vorhin verdrängend.

Albus schüttelte enttäuscht über die giftigen Worte den Kopf. "Nein, Poppy. Ich habe ihn gebeten, mir hier zu helfen - sonst wüsste er nichts davon. Und auch habe ich weder ihm noch jemandem sonst den Grund erzählt, wieso sie hier bleiben soll. Vielleicht ahnt er es, aber wie du Severus kennst, wird er es erst glauben, wenn er es bestätigt bekommt – am liebsten schriftlich und amtlich beglaubigt... Zudem; soweit ich mich erinnern kann, wart ihr es, die Severus zur Einwilligung getrieben habt, Hermione einzustellen."

Noch einmal warfen sie beide einen Blick auf Hermione, bevor sie den Raum verliessen. Es hatte keinen Sinn hier zubleiben, denn sie würde die Nacht durchschlafen, und morgen früh würde Albus wieder hier sein, bevor sie erwachte. Er hoffte nur, dass es in den verbleibenden zwei Wochen nicht zu grösseren Konflikten zwischen Hermione und Snape kommen würde – doch Hoffen und Wissen waren zwei Paar Schuhe.

Snape lag mit ineinander verschlungenen Händen auf dem Bett und starrte zur Decke. Er hatte gewusst, dass sie irgendwann kollabieren musste, doch auch ihn hatte es überrascht, dass es erst jetzt geschehen war. Nun, Hermione machte niemals halbe Sachen, und sie hatte wirklich sehr schlecht ausgesehen – nicht nur in Bezug auf ihre Verletzungen.

Anscheinend hatte sie auch schon länger nicht mehr richtig gegessen, denn als er sie hochgehoben hatte, hatte sie sich erschreckend leicht angefühlt. Und, wenn er nun darüber nachdachte, schien die Schulrobe ihr viel zu gross zu sein. Trotzdem hatte sie erstaunlich viel Kraft bewiesen, als sie sich an ihm festgeklammert hatte, und es hatte ihn einige Mühe gekostet, ihre Finger von seiner Robe zu lösen. Er schaute kurz zur Seite, und konnte immer noch die Falten in seiner Robe sehen, welche er achtlos auf einen Stuhl geworfen hatte, wo Hermiones Hände gewesen waren. Er war zwar nur indirekt für sie verantwortlich – schliesslich war Albus ihr Vormund – doch er würde es dem alten Zauberer dennoch nahe legen, ihre Essgewohnheiten zu überwachen.

Er hatte ebenfalls ihre Wunden versorgt, obwohl Mdme Pomfrey bereits anwesend gewesen war. Das Rascheln ihrer Uniform war unverkennbar, doch so schnell das Geräusch zu hören gewesen war, so rasch war es auch wieder verklungen. Sie hatte im Wohnzimmer gewartet, bis Snape Hermione zu ihrer weiteren Pflege alleine gelassen hatte.

Und somit wanderten seine Gedanken weiter. Zu seinem grossen Erstaunen hatte Albus anscheinend immer noch nicht in Erfahrung bringen können, was zwischen der Krankenschwester und ihm geschehen war, dass sie sich plötzlich schlimmer als Hund und Katze benahmen. Zumindest hatte er Snape nicht mehr weiter ausgefragt, und der Reaktion von Mmde Pomfrey nach zu urteilen, hatte er auch sie in Ruhe gelassen. Vielleicht hoffte Albus, dass sich die Situation von alleine klären würde, obwohl er beide genug gut kennen sollte um zu wissen, dass ohne Hilfe von aussen eine Versöhnung utopisch war.

Mit verdrossener Miene hob Snape die Bettdecke und blickte an sich hinunter. Versuchsweise bewegte er sich leicht nach links und dann nach rechts, und warf sich dann frustriert wieder auf den Rücken. Auch für ihn wäre alles einfacher, würden sie sich endlich aussprechen, und er könnte sein 'Problem' schliesslich beseitigen; doch in seinen Augen war es an Mdme Pomfrey, den ersten Schritt zu tun – und, schätzungsweise, sah sie es genau umgekehrt.

Es war aber zumindest denkbar, dass Albus, sobald er die Abrechnung für die Krankenstation zu Gesicht bekam, feststellen würde, wie schlimm es um das Verhältnis zwischen den beiden stand: Seit dem Vorfall weigerte sich Mdme Pomfrey sogar die Medizintränke, die sie täglich benötigte, von Snape herstellen zu lassen. Statt dessen liess sie diese per Eulenkurier aus London einfliegen, und dies kostete nicht gerade wenig.

Aber Albus war auch nicht mehr der Zauberer, welcher er früher gewesen war. Snape konnte es sehen, und mit Garantie erkannten es auch die anderen Lehrer. Die letzten Jahre, vor allem aber dieses Jahr, hatten ihren Tribut von Albus gefordert, und manchmal konnte sogar beobachtet werden, dass er die Schultern hängen liess, seine blauen Augen ihren typischen Glanz verloren oder seine Hände zitterten. In diesen Augenblicken sah er müde, verletzlich und alt aus.

Doch dies waren nicht die einzigen Indizien: Auch wenn er es gut überspielen konnte, so vergass er manchmal kleinere, unbedeutende Dinge, und es war nur eine Frage der Zeit, bis er auch wichtige Dinge vergessen würde. Sein Schritt war langsamer und gebeugter als früher, und wenn er dachte, dass niemand in sah, stützte er sich immer wieder an der Wand ab. Doch der auffallendste Beweis war nach wie vor, dass ihm das Wissen aus den Händen glitt. Auf der einen Seite erschien es zwar logisch, dass er nicht alles hatte mitbekommen können, was während diesem Jahr geschehen war, doch es hätte trotzdem nicht geschehen dürfen.

Wäre er noch der, der er vor nur zehn Jahren gewesen war, so hätte Snapes und Mdme Pomfreys Zwist gar nie eine Chance gehabt zu keimen. Ja, er hätte sofort bemerkt, dass etwas nicht stimmen konnte, als sie nach den Weihnachtsferien so seltsam still gewesen war, und dass Snape sich häufiger denn je in seinem Kerker verkrochen hatte. Doch mit einer einfältigen, augenscheinlichen Ausrede hatte er sich abspeisen lassen, und noch immer konnte man ihn mit wenigen Worten von dieser Spur abbringen. Sogar die anderen Lehrer hatten festgestellt, dass die Krankenschwester sich verändert hatte, doch wenn sie etwas wussten, so liessen sie es sich Snape gegenüber nicht anmerken.

Obwohl es jetzt, da Voldemort endgültig besiegt war, eigentlich irrelevant war, so lag Hogwarts nicht mehr in so sicheren Händen wie früher. Es war offensichtlich, dass Albus' Zeit als Schuldirektor bald vorbei war, aber niemand wusste, wann dieser Zeitpunkt kommen würde. Die Unsicherheit, das Warten und Bangen machte alle nervös, und dies war für eine gute Atmosphäre nicht gerade förderlich. Die Sache mit Hermione trug ebenfalls nicht dazu bei, die Anspannung unter den Lehrern zu lösen.

Snape konnte sich nicht vorstellen, wie die Zeit hier nach Albus aussehen würde, denn er kannte nichts anderes: Als er hier zur Schule gegangen war, hatte Albus soeben die Stelle als Direktor übernommen, und Armando Dippet, seinen Vorgänger, kannte er nur vom Hörensagen. Und er wollte sich auch nicht vorstellen, was ihn noch alles erwartete – sie alle, wenn Albus nicht mehr war. Der kalte Schauer einer Vorahnung rann ihm den Rücken hinunter und liess ihn erst recht nicht mehr einschlafen.

TBC...

So, und jetzt verabschiede ich mich für einige Tage, denn mich zieht es (wieder einmal) nach London. Nicht nochmals 3 1/2 Monate, keine Sorge; nur 3 Tage :-) ... Trotzdem, das nächste Update wird wohl etwas länger auf sich warten lassen.

P.S.: Habe es übrigens mit Kapitel sechs auf knapp mehr als 100'000 Wörter hier bei geschafft! *Champagnerherumreich*