Disclaimer – siehe Kapitel 1
Kapitel 9 - Aufstieg aus der Dunkelheit
Unsere Sache ist es,
den Funken des Lichts festzuhalten,
der aus dem Leben überall da
hervorbricht,
wo die Ewigkeit die Zeit berührt
~ Johann Christoph Friedrich von
Schiller ~
Snape setzte sich hin und mit dem Daumen und Zeigfinger der rechten Hand drückte er gegen seine Nasenwurzel, während er für einen Moment die Augen schloss. Was sollte er bloss mit ihr anfangen? Schon den ganzen Tag hatte er sich den Kopf darüber zerbrochen, welche Arbeit er ihr zumuten konnte und welche absolut nicht in Frage kam. Als er sie nun beobachtete, wie sie müde, deprimiert und mit hängenden Schultern auf dem Stuhl ihm gegenüber sass, erkannte er, dass er seine ursprünglichen Pläne mit ihr zumindest im Moment beiseite schieben musste. Er ging sogar soweit zu bezweifeln, dass sie in ihrem gegenwärtigen Zustand auch nur ansatzweise fähig sein würde, einen so simplen Zaubertrank zu brauen, wie er ihn gerade seinen Erstklässlern beibrachte.
Ihm blieb nichts anderes übrig als zu hoffen, dass ihre geistige Verfassung nicht die restlichen zwei Wochen unverändert schlecht bleiben würde und die absehbaren Sommerferien ihr schliesslich neue Kraft und Lebensmut spendeten. Nicht, dass er die besserwisserische Hermione äusserst geschätzt hatte, aber dieser Zustand der Lethargie war eher beklemmend als angenehm.
Er hatte gesehen, was im Flur geschehen war; wie Malfoy ihr absichtlich in den Weg getreten und ihr das Bein gestellt hatte, damit sie hinfallen würde. Dennoch waren ihm die Hände weitestgehend gebunden – er konnte ja unmöglich 24 Stunden, 7 Tage die Woche auf sie acht geben. Nichtsdestoweniger fühlte er sich bis zu einem gewissen Grad für sie verantwortlich; mehr noch seit dem gestrigen Abend, als er Albus zu ihrem Quartier begleitet hatte, und er sie dort hatte regungslos liegen sehen. Ohne dass er dazu aufgefordert worden war, hatte er sie hochgehoben und zum Bett getragen. Es hatte eine Saite in seinem Innern zum Klingen gebracht, deren Vibrationen Schuldgefühle durch seinen Körper gejagt hatten. Auch jetzt noch konnte er entfernt das Echo dessen in seinen Knochen spüren.
Zudem, sie war nicht nur eine Angestellte Hogwarts sondern auch seine Angestellte, und dies machte ihn auf ganz spezielle Weise verantwortlich für ihr Wohlbefinden – ungeachtet dessen, was Albus ihm angedroht hatte, sollte er mit ihr versagen. Und er wäre nicht Severus Snape, würde voreilig aufgeben.
An diesem Abend würden sie nicht mehr allzu viel arbeiten können, also würde er sich damit begnügen, Hermione ihren Arbeitsplatz zu zeigen, die verschiedenen Vorratsräume für Zaubertrankzutaten und –utensilien für sie zu öffnen und die Schutzbanne entsprechend abzuändern und herausfinden, zu was sie im Moment im Stande war. Da er auch morgen wieder zu unterrichten hatte, würde er ihr einen Brau-Plan erstellen müssen, konnte er ja nur während der Pausen und kurz vor Arbeitsende den Fortschritt in ihrer Arbeit überwachen.
Am Ende, nachdem er ihr alles gezeigt und erklärt hatte, setzten sie sich hin um ihren Arbeitsplan auszuarbeiten. Dadurch, dass sie nur schriftlich miteinander kommunizieren konnten, zog sich die Diskussion unnatürlich in die Länge, was Snape ungeduldig werden liess und wiederum Hermione veranlasste, sich von seiner Gereiztheit anstecken zu lassen.
Sie schienen beide erleichtert zu sein, endlich aufstehen und zum Abendessen gehen zu können. Hermiones Wochenplan lag fertig geplant auf Snapes Pult: Dieser sah vor, dass sie am morgigen Tag vor allem die Bestände an Zutaten für die Zaubertränke kontrollieren, verzeichnen und wo nötig eine Liste anfertigen würde, was nachzubestellen war – nicht, dass Snape seine Vorräte vernachlässigte, aber irgend etwas musste er ihr ja zu tun geben. Danach könnte sie mit einem einfachen Allesheil-Trank zu brauen beginnen, der äusserst dankbar in der Hinsicht war, dass er auch dann noch zu gebrauchen war, wenn die Zutaten nicht hundertprozentig genau abgemessen wurden.
Sollte sie sich als kompetent genug erweisen, könnte sie in den noch verbleibenden anderthalb Wochen zu komplexeren Zaubertränken übergehen. 'Alles zu seiner Zeit', kommentierte Snapes Verstand diesen Gedankengang, während er Hermione die Türe aufhielt.
Als ob es geplant gewesen wäre, zog genau in diesem Moment eine Gruppe Slytherins an ihnen vorüber, und Draco war einer von ihnen. Er hielt seinen Blick fest auf den Boden vor ihm geheftet, dennoch stoppte er augenblicklich, als Snapes eisige Stimme erklang.
"Mr. Malfoy... auf ein Wort, wenn ich bitten darf.", sprach dieser den blonden Schüler an.
Draco war in den letzten Jahren beträchtlich gewachsen, und auch wenn er nicht ganz die Grösse von Snape erreicht hatte, so konnte er doch beinahe geradeaus blicken, als er zu seinem Professor schaute. Der Verlust dieses Vorteils der Lehrer gegenüber den älteren Schülern, vor allem aber gegenüber Problemfällen wie Draco Malfoy, hatte immer öfters zu Disputen geführt, je näher das Ende deren Schulzeit rückte. Dennoch war Snape, der sich dieser Situation durchaus bewusst war, gegenüber den anderen im Vorteil: Durch seinen Ruf, seinen Charakter und nicht zuletzt durch die Ausdrucksstärke und Beherrschung seiner Stimme.
Vom dem Moment an, wenn die neuen Schüler ihren ersten Blick auf ihn warfen, bis zu dem Tag, an dem sie zum letzten Mal die Tore Hogwarts durchschritten – und auch darüber hinaus – war seine autoritäre Position gesichert. Er war der unnachgiebige, verhasste, gefährliche und in manchen Augen auch unfaire Professor, der nichts für seine Schüler übrig hatte und es sie auch spüren liess. Er wusste, wie er hinter seinem Rücken genannt wurde, aber keiner der Kinder würde es wagen, ihm dies offen ins Gesicht zu sagen.
Seine Slytherins mochten vielleicht nicht vollständig dieser Meinung sein, dennoch behandelten sie ihn immer mit dem grössten Mass an Respekt und Hochachtung. Dies war es auch, dass die übrigen anwesenden Schüler diskret einen Schritt von Draco weg nach hinten treten und ihren Weg zur grossen Halle wieder aufnehmen liess.
"Professor Snape?", fragte Draco zurück, während er Hermione, die zwei Meter von ihm entfernt stand abschätzig einen Blick zuwarf.
Snape schaute von ihr zu ihm, und schloss dann die Türe. In dem Snape zuerst auf Hermione zeigte und anschliessend auf die Stelle, wo sie gerade stand, machte er ihr klar, dass sie sich nicht zu rühren hatte, bevor er zum jungen Malfoy hinüber ging um ihn aus der Mitte des Korridors zur anderen Wand zu befehlen.
"Zwanzig Punkte Abzug von Slytherin wegen unangebrachtem Verhalten gegenüber Miss Granger und tätlichem Angriff einer Angestellten Hogwarts.", kam Snape augenblicklich zum Grund dieses Gespräches und verschränkte despotisch die Arme.
"WAS?", fragte Draco ungläubig zurück, "Das ist wohl ein schlechter Scherz, oder? Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass ich wegen so einer Lappalie Punkte abgezogen bekomme... und Dumbledore hat diesen Krüppel eingestellt?"
Eine von Snapes Händen schoss nach vorne und packte Draco augenblicklich hart am Oberarm. Dann beugte er sich näher zu ihm, während er ihm zuzischte: "Es ist immer noch Professor Dumbledore für dich, sowie es auch Miss Granger heisst! Und ich habe dir schon einmal gesagt, dass du mich in der Öffentlichkeit nicht duzen sollst! Ich mag vielleicht jetzt, da dein Vater verschwunden ist, als dein Pate für dich verantwortlich sein, doch ich habe dir hoffentlich klar genug gemacht, dass Schule und Privatleben strikte zu trennen sind. Nochmals zehn Punkte Abzug!"
Draco öffnete seinen Mund um zu protestieren, doch Snape winkte ungeduldig ab: "Ich will nichts mehr hören! Sollte mir aber zu Ohren kommen, dass Sie, Mr. Malfoy, oder ein anderer Slytherin Miss Granger angreifen, belästigen oder beleidigen, wird dies äusserst unangenehme Folgen haben –verstanden? Und nun verschwinden Sie."
"Sehr wohl, Professor", presste Draco zwischen seinen Zähnen hervor und schüttelte die Hand von seinem Arm. Mit tödlichem Blick in Richtung Hermione verschwand er um die Ecke, wo kurz zuvor seine Klassenkameraden abgebogen waren. Snape, der Hermione mit einer knappen Kopfbewegung anwies ihm zu folgen, folgte ihm kurz darauf.
Hermione hatte nicht verstanden, um was es in dem Gespräch gegangen war, doch Dracos Blick am Ende hatte Bände gesprochen. Irgendwie musste Snape mitbekommen oder sogar gesehen haben, dass Draco für ihren uneleganten Fall von vorhin verantwortlich gewesen war. Und allem Anschein nach schien ihr ehemaliger Mitschüler alles andere als erfreut gewesen zu sein über das, was Snape ihm zu sagen gehabt hatte.
Ihr neuer Vorgesetzter indes schien ebenfalls nicht sonderlich über das vorangegangene Gespräch erfreut zu sein, denn sein Schritt war eilig und brüsk, und Hermione hatte ihre liebe Mühe, mit ihm mitzuhalten, nachdem er die Führung durch die Gänge übernommen hatte. Als er dann plötzlich in einem Nebenkorridor, der am anderen Ende in den Hauptgang zur grossen Halle mündete, abrupt stehen blieb, wäre sie beinahe mit ihm zusammengestossen.
Er liess sich nicht anmerken, dass ihm nicht entgangen war, wie sie beinahe in ihn hineingelaufen wäre, und zeigte statt dessen auf eine graue Sandstein-Statue neben ihm. Hermione war die Figur bisher nie aufgefallen, obwohl sie tagtäglich während ihrer Schulzeit hier entlang gegangen war. Es war die Statue einer Frau mittleren Alters, die in ein fliessendes, lose sitzendes Gewand gekleidet war, dass an den Säumen mit keltischen Drachenmustern verziert war. Ihr Haar floss in weichen Wellen über ihre Schultern und umrandete ein weiches, freundliches Gesicht, in dessen Augen sich das geheimnisvolle Lächeln ihrer Lippen widerzuspiegeln schien. Doch dies war nicht das faszinierendste an dieser Figur: Sie hielt die Arme weit ausgestreckt – so weit, dass man beinahe gezwungen war in sie hineinzulaufen, wenn man zu dritt nebeneinander den Korridor entlang ging; was jedoch nie geschehen war, soweit sie sich erinnern konnte – und in ihren Händen ruhte eine Kugel von der Grösse einer Orange, die aus demselben Granit gemeisselt war, aus dem auch die Statue bestand.
Hermione überlegte fieberhaft, wieso ihr diese Darstellung so bekannt vorkam, obwohl sie sicher war, dass sie sie noch nie zuvor gesehen hatte, bis es ihr wieder einfiel: Sie hatte in 'Hogwarts; A History' gelesen, dass Rowena Ravenclaw wie auch Helga Hufflepuff eine langjährige Ausbildung bei einer Gemeinschaft weiser Frauen aus dem Norden Europas abgelegt hatten, und zu deren Ehren hatten die beiden überall in Hogwarts Statuen von ihnen aufgestellt.
Aufgeregt fummelte sie ihre Schiefertafel hervor und schrieb: /Das ist eine Darstellung von einer der Seherinnen aus dem Tal des Zwielichts, nicht wahr?/
Snape, der ihren Gedankengängen gefolgt war, die ihr überaus deutlich im Gesicht gestanden hatten, verzog kurz das Gesicht und bestätigte ihr somit, dass sie Recht hatte.
/Dies ist der Zugang zum Lehrerkorridor. Schauen Sie genau hin/, gab er zur Antwort, und händigte ihr die Tafel wieder zurück. Dann schüttelte er den Ärmel seiner Robe zurück und strich mit seiner rechten Hand über die Oberfläche der Kugel.
Ein Schauer rann Hermiones Rücken hinunter, als die Kugel auf die Berührung reagierte, in dem sie für einen kurzen Moment durchscheinend wie Glas wurde und ein hellblaues Licht darin aufleuchtete. Dann senkte die Statue ihre Arme, verneigte sich leicht und glitt elegant zur Seite um den Durchgang frei zu machen.
Hermione blieb mit offenem Mund stehen, bis ihr bewusst wurde, dass Snape ohne zurückzublicken den Korridor bereits betreten hatte. Sie eilte ihm hinterher und holte ihn nach kurzer Zeit wieder ein. Es brannte sie darauf, jemandem von dieser Entdeckung zu erzählen – sie glaubte kaum, dass die Weasley-Zwillinge über diese Gänge Bescheid gewusst haben konnten. Doch wem sollte sie es erzählen? Bisher hatte sie ja noch nicht einmal mit Ron oder Harry gesprochen.
Während sie den Korridor entlang gingen registrierte sie nebenbei, dass einige Meter vor wie auch hinter ihnen Dunkelheit herrschte, und nur dort, wo sie sich gerade befanden, die Fackeln aufflammten und orange-gelbes Licht verströmten, um kurz darauf wieder zu erlöschen, kaum hatten sie sie passiert. Es war schwierig zu erkennen, wie lange der Gang war oder auf wie vielen Umwegen er zur grossen Halle führte, doch immer wieder konnte sie auf beiden Seiten andere Durchgänge zu weiteren Korridoren erkennen, und hin und wieder erblickte sie geschlossene Türen in den Schatten.
Irgendwann konnte sie ihre Neugier nicht mehr zügeln, und so zupfte sie Snape vorsichtig am Ärmel, der abrupt stehen blieb. Hermione zuckte ab seiner jähen Bewegung zurück, fasste sich aber rasch und fragte: /Wohin führen all die Korridore? Und die Türen?/
Snape verdrehte die Augen und schien Anstalten zu machen einfach weiter zu gehen, entschied sich jedoch im letzten Moment anders: /Ganz Hogwarts ist von diesen Gängen durchzogen, Miss Granger. Überall dort, wo die Statue einer Seherin zu finden ist, befindet sich auch ein Durchgang. Wie viele Gänge es gibt, weiss niemand – ich nehme an, nicht einmal Albus könnte eine genau Zahl nennen. Und zu den Türen kann ich nichts sagen, denn ich habe nie das Bedürfnis verspürt herauszufinden, was sich dahinter verbirgt. Doch ich habe gehört, dass sich nicht alle öffnen lassen – oder nur zu bestimmten Zeiten – und dass die Räume entweder leer gewesen sind oder gefüllt mit halb zerfallenen Möbeln und Ramsch. Reicht Ihnen das, Miss Granger?/
Hermione presste ihre Lippen zusammen. Er schien es einfach nicht lassen zu können, eine Stichelei hinzuzufügen. Doch wenigstens hatte er ihre Frage beantwortet, was mehr war, als sie erwartet hatte.
Schliesslich erreichten sie eine im Vergleich zu den anderen neu aussehende Türe, und als Snape diese öffnete, brandete ihnen eine Woge Essensdüfte entgegen. Snape liess ihr den Vortritt und geleitete sie dann an den für sie vorhergesehen Platz, bevor er sich auf seinen Stuhl setzte, der sich einige Sitzplätze von ihrem entfernt befand.
Sie fühlte sich inmitten der Lehrer unwohl, welche ihre Anwesenheit entweder mit einem kurzen Kopfnicken zur Kenntnis nahmen oder sich erst gar nichts anmerken liessen, dass sie ebenfalls zum Essen gekommen war. Zumindest schienen sie Snapes Erscheinen auf dieselbe Weise zu quittieren, doch Hermione war sich nicht sicher, ob sie diese Tatsache erfreuen oder eher beunruhigen sollte.
Die Schüler an den langen Tischen tuschelten wie schon am Tag zuvor und zeigten sogar teilweise unverblümt auf sie, während andere sie nur offen anstarrten. Am Slytherin-Tisch schien einige Aufregung zu herrschen und mehr als einmal fiel ein böser Blick auf Hogwarts neueste Angestellte. Snape registrierte mit Genugtuung, dass Draco seine Warnung beherzigt hatte und die Drohung anscheinend brühwarm, wenn vermutlich auch zensiert, unter seinen Mitschülern verbreitete. Der Hinweis auf Hermiones Anstellung würde bis morgen ebenfalls die übrigen drei Häuser erreicht haben, jedoch bezweifelte Snape, dass irgend jemand ausserhalb Slytherins von dem angedrohten Punkteabzug erfahren würde, sollte es in Zukunft zu weiteren Zwischenfällen bezüglich seiner Assistentin kommen.
Hermione indes rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her und wollte gerade wieder fliehen, wenn nicht in diesem Moment Albus eingetreten wäre und ihre Gedankengänge unterbrochen hätte. Sie wäre am Liebsten aufgesprungen und zu ihm hingerannt, hätte die Arme um seinen Hals geworfen und ihn an sich gedrückt - sie hätte sie alles getan, um den Schmerz in seinen vor langer Zeit geschriebenen Worten auszulöschen und durch etwas Positives zu ersetzen. Doch dies lag ausserhalb ihrer Möglichkeiten - nicht nur, weil sie dies unmöglich vor versammelter Gesellschaft tun konnte. Es war etwas Persönliches, Intimes, und Hermione war sich nicht sicher, ob er sich bewusst war, dass er seine Vergangenheit auf diese Weise mit jemandem geteilt hatte. Sie wollte nicht verantwortlich dafür sein, dass dieses Wissen ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde, und entschied sich deshalb, sich nichts anmerken zu lassen, ihn aber bei nächster Gelegenheit darauf anzusprechen.
So biss sie sich auf die Unterlippe und schluckte ihre aufsteigenden Tränen hinunter, während er ihr freundlich lächelnd zuwinkte und sich dann hinsetzte. Kaum hatte er seinen Stuhl zurecht gerückt, erschien auch schon das Abendessen, und somit war es für eine Flucht ihrerseits zu spät. Sie zwang sich etwas zu essen und bemühte sich dabei gleichzeitig, die ihr geltenden, verstohlenen Blicke zu ignorieren. Zwischendurch spürte sie auch Mdme Pomfreys bohrenden Blicke auf sich, doch jedes Mal, wenn sie aufschaute, blickte die Krankenschwester rasch nach unten und widmete sich ihrem Teller.
Albus freundliches Lächeln und Gewinke in ihre Richtung liess nicht nach - auch nicht dann, als McGonagall ihm etwas zuzischte, was ihn gleichgültig mit den Schultern zucken liess, um anschliessend wieder Hermione anzustrahlen. Die Transfigurations-Professorin verzog kurz das Gesicht, murmelte etwas vor sich hin und schüttelte resignierend den Kopf.
Hermione stellte fest, dass der Grossteil ihrer Aufmerksamkeit jedoch dem Gryffindor-Tisch galt, wo ihre Freunde zu Abend assen. Ron hielt den Kopf mit hochroten Ohren gesenkt, was ihr sagte, dass er aufgeregt war – oder er hatte wieder einmal mit jemandem, entweder mit Harry oder seiner kleinen Schwester (oder beiden) gestritten. Ein kurzer Blick zu Harry bestätigte ihr, dass dem so gewesen sein musste, denn Harrys Wangen waren fleckig und seine Haare wirrer als sonst. Ginny indes war ungewöhnlich bleich, was sie zur Annahme verleitete, dass sie wie schon oft zwischen den Fronten ihres Bruders und ihres Freundes stand. Neville hatte sich neben sie gesetzt und redete wild gestikulierend auf Ron ein, welcher ihn wiederum versuchte zu ignorieren.
Das Verlangen Ron zu berühren und endlich mit ihm zu sprechen wurde von Minute zu Minute grösser, und als Albus wieder einmal zu ihr herüberwinkte, entschied sie, dass das Gespräch mit ihrem Vormund, das ursprünglich zuoberst auf ihrer Dringlichkeitsliste gestanden hatte, bis morgen warten musste. Er versuchte ihr gerade mit seltsam kindischen Gesten mitzuteilen, wie lecker die Nachspeise war, und Hermione lächelte ihm halbherzig zu. Sie fühlte sich noch nicht zum Spassen bereit, und jetzt wo der Entschluss mit ihrem Freund zu sprechen gefasst war, lag ihr das Abendessen wie Blei im Magen.
Am Ende schob sie den kaum angerührten Schokoladekuchen von sich weg und stand auf, um vor dem Eingang zum Gryffindor-Gemeinschaftsraum zu warten. Allzu lange würden ihre Freunde hoffentlich nicht mehr brauchen, auch wenn es sich um Rons Lieblings-Dessert handelte.
Sie wartete eine gute Viertelstunde, bis die ersten Gryffindors auftauchten. Einige stockten als sie Hermione erblickten, doch keiner von ihnen ging auf sie zu. Andere wiederum, kaum sahen sie wer neben dem Porträt der dicken Dame wartete, würdigten sie keines weiteren Blickes. Sie hatte nichts anderes erwartet, nach dem Verhalten eines Grossteils der Schülerschaft ihr gegenüber zu urteilen, dennoch traf es sie mitten ins Herz. Sich darauf konzentrierend nicht in Tränen auszubrechen, verharrte sie an Ort und Stelle ohne sich zu rühren oder dem Kommen und Gehen ihrer früherer Klassenkameraden Beachtung schenkend.
Endlich bogen ihre Freunde um die Ecke; Harry in der Mitte mit Ginny rechts im Arm, links von ihm Ron, der sich taub gegen Nevilles kontinuierlichen Wortschwall stellte. Alle vier stoppten abrupt, als sie Hermione erblickten. Einige Sekunden lang rührte sich niemand, bis sich Harry von seiner Freundin löste, einen Blick zu Ron warf und zu Hermione hinüberging um sie in den Arm zu nehmen.
Dies war zuviel für sie, und sie vergrub ihren Kopf in seiner Schulter. Mit aller Kraft, die sie im Moment hatte, klammerte sie sich an ihrem besten Freund fest und liess ihren Tränen freien Lauf. Harry konnte ihr Schluchzen spüren und rieb ihr beruhigend über den Rücken, während er ihr beruhigende Worte zuflüsterte – mehr für sich selbst als für sie, konnte sie ihn ja nicht hören: "Schsch... ist ja schon gut, 'Mione."
Die anderen traten näher heran um den übrigen Gryffindors nicht den Weg zum Gemeinschaftsraum zu versperren und gleichzeitig neugierige Blicke soweit als möglich abzublocken. Als Harry merkte, dass ihr Schluchzen nachgelassen hatte, löste er sich von ihr, strich ihr zärtlich über das Gesicht und lächelte sie gleichzeitig aufmunternd an. Sie versuchte zurückzulächeln, doch es wollte ihr nicht recht gelingen und es ähnelte mehr einem von Snapes spöttischem Grinsen.
Ein Blick zu Ron werfend forderte Harry ihn auf, seine Stelle einzunehmen: Schliesslich war es seine Freundin, und er war nach wie vor der Ansicht, dass eine Aussprache zwischen den beiden dringend von Nöten war. Hermione blickte mit geröteten Augen von einer Person zur anderen. Ginnys Gesichtsausdruck war unlesbar, und irgendwie hatte Hermione das Gefühl, dass die jüngste der Weasleys ebenfalls nicht wusste, wie sie mit der ganzen Situation umgehen sollte. Einerseits war sie Harrys Freundin, der soeben bewiesen hatte, dass er voll und ganz hinter Hermione stand, andererseits war sie eine Weasley und die Schwester von Ron, der sichtlich unbehaglich sein Gewicht von einem Bein aufs andere verlagerte. Neville sah ganz und gar gerührt aus, derweil Mitleid ihm in grossen Lettern auf dem Gesicht geschrieben stand. Sie konnte Tränen in seinen Augen glänzen sehen, als er vortrat um ihr freundschaftlich und mitfühlend die Hand zu drücken, ehe er durch das Loch in der Wand in die Gryffindor-Räume verschwand.
Harry klopfte Ron kameradschaftlich auf die Schulter und sagte: "Jetzt bist du dran, Alter." Dann nahm er Ginny an der Hand und folgte Neville. Ron starrte sie lange an, bevor er mit den Schultern zuckte und zu Boden starrte. Sein linker Fuss zeichnete unsichtbare Muster auf den steinernen Boden vor ihm, und sowohl Hermione wie auch er folgten der Bewegung.
Nach einer Weile blickte er hoch und lächelte sie schief an. Sie lächelte zurück, doch sie spürte gleichzeitig, dass das Eis noch nicht gebrochen war. Bis jetzt hatte er weder Anstalten gemacht sie zu berühren, geschweige denn zu küssen.
/Können wir reden?/, schrieb sie zittrig auf die Tafel, und nach kurzem Überlegen nickte er. Es war wohl nicht gescheit, sich dazu in den Gemeinschaftsraum zurückzuziehen, aber es gab genug stille Plätze in der Nähe, die sie kannten und wo sie sich unterhalten konnten. Ihr Herz machte einen Sprung als er sie bei der Hand nahm und in einen nahegelegen, leeren Raum führte, wohin sie sich früher regelmässig zurückgezogen hatten. Die Decke lag noch immer dort, wo sie sie damals ausgebreitet hatten, und liess Erinnerungen wach werden.
Nachdem er lange Zeit nur da gesessen hatte ohne etwas sagen zu wollen, sammelte Hermione ihren Mut und fragte: /Was nun?/
Zuerst antwortete er mit seinem typischen, unsicheren Schulterzucken, bevor er die Tafel an sich nahm und zurückschrieb: /Ich weiss es nicht. Wirklich./
Hermiones Herz sank bei diesen Worten, und erst als Ron nach langer Zeit erneut zur Kreide griff, wagte sie Hoffnung zu schöpfen.
/Es ist... schwierig – so viel ist geschehen in letzter Zeit. Ich glaube, ich muss mich zuerst an den Gedanken gewöhnen, dass nichts mehr so sein wird wie früher/
Ungewollt traten ihr erneut Tränen in die Augen. Also war alles verloren, und sogar Ron, ihre erste, grosse Liebe, würde sie im Stich lassen. Es war einfach zu viel für sie. Sie hatte geglaubt, sich wenigstens auf ihn stützen zu können, wenn alle Fäden rissen, doch anscheinend hatte sie sich geirrt.
Ron starrte sie hilflos an, als sie erneut zu weinen begonnen hatte und spürte ein seltsames Ziehen dort wo sein Herz war. Er sah, wie sie sich von ihm und dem ganzen Rest der Welt im Stich gelassen fühlte und es tat ihm beinahe körperlich weh. Sie hatten so viel miteinander erlebt, und bereits so viel zusammen durchgestanden.
Vielleicht, wenn sie sich beide genug anstrengten, könnte es trotzdem möglich sein, dass sie zusammenblieben. Denn er spürte nach wie vor, wie die Liebe sich in ihm aufbegehrte und darum kämpfte, dass die unnatürlichen Ketten, mit denen er sie in den letzten Tagen gefesselt hatte, sich lösten. Vielleicht, wenn sie beide sich gegen die Abneigung der Menschen gegenüber Behinderten erfolgreich wehren konnten, in erster Linie aber vor allem gegen die Vorurteile, die auch ihm Weasley-Clan vorherrschten, dann hätten sie womöglich eine Chance.
Und doch spürte er, wie er sich gleichzeitig gegen den Gedanken sträubte, sie in den Arm zu nehmen und zu küssen. Ja, es ekelte ihn beinahe davor es zu tun, und diese Erkenntnis war für ihn fast schlimmer wie die Vorstellung, sie auch wirklich zu küssen. Es war nach wie vor seine Freundin, doch war es aber auch nicht mehr dieselbe Hermione wie vor zehn Tagen – oder war er nicht mehr derselbe Ron? Laut Gesetz war es ihnen zwar nicht untersagt als Paar zusammen zu bleiben, jedoch Heirat oder sogar Kinder wurden ihnen verwehrt. Konnte er, der aus einer Grossfamilie stammte und selbst einmal eine ganze Quidditch-Mannschaft als Nachwuchs haben wollte, sich damit abfinden?
Dann kam ihm ein anderer Gedanke. Wieso musste er sich auch gleich in diesem Moment entscheiden, ob er den Rest seines Lebens mit ihr verbringen wollte? Niemand zwang in dazu, ausser sein Sinn für Fairness – doch auch dieser hatte schon des öfteren Reissaus genommen. Er würde versuchen, aus den Widersprüchen in ihm schlau zu werden, und sollte es nicht gelingen, so war es ein beruhigender Gedanke, dass das Ende des Schuljahres nicht mehr fern war.
'Sollte ich mich wirklich nicht überwinden können', dachte er, 'dann brauche ich sie ja nach Ablauf unserer – oder meiner – Zeit hier in Hogwarts nicht mehr wiederzusehen.'
Hermione hatte von seinen Gedankengängen nichts mitbekommen, und sie blickte erst auf, als er ihr sanft über die Wange strich. "Ich liebe dich", flüsterte er ihr zu, ohne es aufzuschreiben – sie würde es auch so verstehen. Dann zog er sie fest an sich und umarmte sie, bevor er sich wieder von ihr löste um sie nach kurzem Zögern zu küssen.
Und Hermiones Herz machte einen Satz und sprang wieder an dessen gewohnte Stelle, während sie sich vollkommen dem warmen Gefühl in ihrem Innern hingab.
Nach einer kleinen Ewigkeit lösten sie sich voneinander und lächelten sich gegenseitig liebevoll an, während Ron ein letztes Mal zur Tafel griff und schrieb: /Wir werden es schaffen, Hermione – du wirst sehen/
Sie strahlte die Worte an und fühlte die Glücksgefühle in ihr übersprudeln, während ihre Fantasie bereits wieder eifrig an einer Zukunftsvision mit Ron als Mittelpunkt ihres Lebens arbeitete. Sie schloss die Augen um seine Zusicherung gänzlich in sich aufnehmen zu können, und verpasste dabei den Schatten des Zweifels, der über Rons Gesicht huschte.
TBC....
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Das Kapitel war schon seit einiger Zeit bereit zum Hochladen – nur leider hat meine Internetleitung sich entschieden, mir einen Strich durch die Rechnung zu machen und sich temporär tot zu stellen. Also musste der Techniker her und irgendetwas neu auspeilen... und nun bin ich wieder hier *fg*
Irgendwie holpert es in letzter Zeit mit dem Schreiben (sowohl dem Erzählfluss wie auch der Begeisterung beim Schreiben) – mag gut sein, dass es daran liegt, dass mein Leben vorletzte Woche den Bach runtergegangen ist... oder vielleicht auch nur daran, dass ich aufgehört habe zu rauchen und ich mich zusammenreissen muss, nicht in die Tischkante zu beissen. Bin ganz "hibbelig" deswegen... *aaargh*!
Vielen Dank für eure lieben Reviews und die Mails!
... und falls jemand per eMail über neue Updates benachrichtigt werden will, kann er/sie mir dies entweder auf der Review-Seite mitteilen oder unter: FarisEirin@fanfiction.net :-))
