Disclaimer – siehe Kapitel 1

Kapitel 10  -  Ich hab die Nacht geträumet

Auf abertausend Fragen,
die wir im Herzen tragen,
wird nach und nach das Leben
verbindlich Antwort geben.
~ Frantz Wittkamp ~

Hermione fühlte sich stark und unbesiegbar. Stolz hielt sie ihren Kopf erhoben und den Rücken gerade, als sie den Korridor hinab zu ihren Räumen schritt. In ihren Augen hatte sie jedes Recht, sich so gut zu fühlen, auch wenn nur 24 Stunden vorher ihre Welt noch in Trümmern gelegen hatte. Denn nun wusste sie, dass Ron Weasley zu ihr stand, sie stützte und auffangen würde, sollte sie fallen. Am Anfang hatte er sich vielleicht etwas merkwürdig verhalten, und auch waren die Küsse unbeholfen und seltsam fremd gewesen, aber dies war mehr als verständlich. Es war eine völlig neue Situation in der sie sich befanden, und sie mussten sich beide zuerst daran gewöhnen. Bald schon würde es wieder so sein wie früher – oder sogar noch besser und schöner als zuvor – davon war sie überzeugt.

Ron und sie waren noch eine Weile in ihrem Versteck geblieben und hatten die Nähe des anderen genossen, bis es für ihn Zeit geworden war zurück in den Gryffindor-Gemeinschaftsraum zu kehren. Für Hermione mochte die Sperrstunde nun nicht mehr gelten, doch Ron war nach wie vor daran gebunden, und keiner der beiden wollte, dass es deswegen Probleme gab. Sie hatte ihn bis zum Porträt der dicken Dame begleitet, wo sie sich nochmals beinahe scheu geküsst hatten, bevor er im Halbdunkel des Durchganges verschwunden war. Stumm seufzend hatte sie zugeschaut, wie das Bild sich wieder in die Ausgangsposition zurück bewegte, und hatte sich dann in Richtung grosser Halle aufgemacht.

In ihrem Wohnzimmer angekommen, entledigte sie sich ihrer Robe und legte diese über die Rückenlehne des ihr am nächsten stehenden Sessels. Das Bett im anderen Zimmer schien nach ihr zu rufen, doch sie hatte noch einiges zu erledigen, ehe sie dessen Lockruf nachgeben konnte. Briefpapier, Feder und Tinte warteten bereits auf sie, und so setzte sie sich ans Pult um den längst überfälligen Brief an ihre Eltern zu schreiben.

Sie wollte nicht zuviel erzählen, aus Angst, ihre Eltern würden ihr verbieten hierher zurück zu kehren, aber auch nicht zu wenig, was vor allem bei ihrer Mutter unnötige Sorgen heraufbeschwören würde. Die ersten Zeilen waren wie immer die Schwierigsten, und Hermione feilte lange an ihnen, während der Berg zerknüllten Papiers höher und höher wuchs. Als diese erste Hürde schliesslich überwunden war, flossen die Worte schneller, und bald flog ihre Hand übers Papier, zwischendurch nur in Richtung Tintenfass ausbrechend.

Es mochten gut zwei Stunden vergangen sein, bis sie mit dem Endergebnis zufrieden war und sich auf den Weg zu Albus' Büro begab: Für Hermione war es wichtig, dass der Brief so rasch als möglich aus ihrer Reichweite verschwand, denn sie wusste, wenn sie bis am nächsten Tag wartete, sie niemals zulassen würde, dass er ihre Eltern erreichte. Im Licht des Tages erschien manches, was man am Abend zuvor geschrieben hatte, wie törichtes, schlecht ausgedrücktes Geschreibsel, und der Versuchung es zu eliminieren würde auch sie nicht widerstehen können.

Den Brief selbst verschicken war für sie jedoch nicht möglich, konnte sie ja der Posteule nicht mitteilen, wohin sie zu fliegen hatte. Doch Albus würde es bestimmt verstehen und den Brief ihren Eltern zukommen lassen, wenn sie diesen in seinen persönlichen Briefkasten des Direktors steckte. Gehorsam öffnete der Wasserspeier – der, seit sie sich erinnern konnte, noch nie Wasser gespieen hatte – den Mund, als sie mit dem Brief winkte. Ein kurzes Zögern und sie liess das Papier los. Kaum hatte die steinerne Figur dessen Maul wieder geschlossen, wünschte sie sich den Brief wieder zurück, doch nun war es zu spät. Vielleicht hätte sie dieses oder jenes trotzdem anders ausdrücken sollen, vielleicht würden ihre Eltern es anders auffassen als sie es gemeint hatte... Aber vielleicht war es auch besser so, wie es jetzt war; nicht zu lange darüber grübeln und einfach dem Schicksal seinen Lauf lassen.

Wieder zurück in ihren Räumen war sie am Ende so müde, dass sie sich richtiggehend zum Zähne putzen zwingen musste, und ihre Augen waren geschlossen, noch bevor ihr Kopf das Kissen berührte. Das Flakon mit dem Trank für einen traumlosen Schlaf, welches man ihr vorsorglich dagelassen hatte, stand vergessen auf dem Nachttisch.

***

Eine Berührung ihres Armes liess sie hochfahren, und erschrocken blinzelte sie den Schlaf aus ihren Augen. Es war Twinky, eine der Hauselfen, welche sie mit grossen Augen anschaute. Dann breitete sich ein Lächeln auf deren Gesicht aus, bevor sie wild gestikulierend mitzuteilen versuchte, dass es Zeit zum Aufstehen war.

Hermione wollte sie anlächeln, doch sie brachte nur ein Zucken ihrer Mundwinkel zu Stande. Ihr Mund fühlte sich trocken und ihr Hals rau an. Schliesslich nickte sie der Hauselfe zu, und als diese schliesslich wieder verschwunden war, liess sich Hermione zurück auf ihr Kissen fallen und starrte zur Decke. Der Traum der vergangenen Nacht hallte immer noch in ihrem Kopf wieder und nagte an ihrem Bewusstsein. Hermione schluckte leer und versuchte das Frösteln zu ignorieren, dass sämtliche Haare an ihrem Körper sich aufrichten liess.

Entschlossen, die Irrwege ihres Gehirnes mit warmem Wasser zu ertränken, zog sie sich aus und stellte sich unter die Dusche. Doch selbst als sie für etliche Minuten unter dem Wasserstrahl gestanden hatte, schienen die Bilder des Traumes in ihrem Kopf festzukleben und sich nicht lösen zu wollen. Irritiert schnaubte sie und machte sich daran, sich für das Frühstück fertig zu machen.

Der Traum war für einen kurzen Moment vergessen, als sie die Korridore entlang ging und schliesslich die grosse Halle betrat. Vielleicht hatte der gestrige Abend sie wirklich verändert, oder alle um sie herum hatten es getan, denn an diesem Morgen hatte sie das Gefühl, als ob das Getuschel um ihre Person nachgelassen hatte. Nicht, dass die abschätzigen Blicke ganz aufgehört hätten, aber wenigstens sah es so aus, als ob diese weniger würden.

Ein ganz bestimmter Rotschopf fiel ihr ins Auge, und im Gegensatz zum vorhergehenden Tag blickte er nun zu ihr hoch und schenkte ihr eines seiner schiefen Lächeln. Hermiones Herz machte einen Sprung, doch dann meldete der Traum der vergangenen Nacht sich wieder zu Wort und liess sie für einen Moment erstarren. Zögernd lächelte sie zurück und widmete sich dann wieder ihrem Frühstück, während sie unauffällig den Lehrertisch nach jemandem bestimmten absuchte. Er war nicht da, und erleichtert atmete sie auf. Sie würde ihn heute noch früh genug zu sehen bekommen – und gleichzeitig spät genug, hoffte sie, um die Fänge ihres Traumes bis dahin abgeschüttelt zu haben.

Eine Idee formte sich in ihrem Kopf, und so beendete sie eilig ihr angefangenes Brötchen um sich vor Arbeitsbeginn nochmals in ihre Räume zurückzuziehen. Ein Blick genügte um den gesuchten Gegenstand in ihrem wohlgeordneten Bücherregal zu finden. Mit unterschlagenen Beinen setzte sie sich auf einen der Sessel und starrte das kleine Büchlein an: Ihre Mutter hatte es ihr zu ihrem ersten Schultag geschenkt, doch bis jetzt hatte sie nicht das Bedürfnis gehabt, dessen blanke Seiten zu füllen. 'Ein Tagebuch', hatte sie damals gedacht, 'was soll ich mit einem Tagebuch? Es dient ja sowieso nur dazu, die peinlichsten Momente einzufangen, an die man nie mehr erinnert werden will... und kaum hat man sie niedergeschrieben, kann man sich sicher sein, sie ein Leben lang nicht mehr zu vergessen!'

Auf der einen Seite stand sie immer noch zu dieser Meinung, auf der anderen Seite jedoch war ihr Geist mit ihrem Körper gewachsen, und so sah sie die Welt nicht mehr mit der eingeschränkten Sichtweise einer Elfjährigen. Es stimmte, dass wenn man etwas aufschrieb, man sich auch eher daran erinnern konnte, doch gleichzeitig half es einem, die Gedankenstränge zu entwirren und zu sortieren. Und dies war es, was sie im Moment am Dringendsten benötigte. Ihr stand kein ordentliches Denkarium zur Verfügung, doch ein Tagebuch – in diesem Falle nun ein Traumbuch – würde zumindest einen zweckmäßigen Ersatz bieten; sozusagen ein Denkarium für Magieunfähige. Entschlossen tunkte sie die Federspitze in die Tinte und begann zu schreiben.

Letzte Nacht habe ich geträumt. Es ist ein warmer Sommerabend gewesen, nur ein leichter Windhauch hatte das Vogelgezwitscher von den Bäumen in der Nähe des Sees über den Rasen Hogwarts getragen. Der Himmel hat sich zu einem unnatürlichen rosa und orange verfärbt gehabt, und das Gras ist grüner als grün und unvorstellbar weich gewesen, als ich barfuss darüber gerannt bin. Ich habe ein beiges, luftiges Kleid getragen, mit bunten Blumen bestickt. Ein so wunderbarer Abend... keine Sorgen haben meine Gedanken getrübt, während ich lachend zu Ron gelaufen bin um mich in dessen Arme fallen zu lassen. Er hat mich aufgefangen, mich in die Luft gehoben und ein paar Mal im Kreis gedreht, bis er mich wieder abgesetzt und geküsst hat... ich glaube, er hat mich noch nie so geküsst wie in diesem Moment...

Ich habe versucht ihm zu sagen, wie sehr ich ihn liebe, wie viel er mir bedeutet. Dass er mein Ein und Alles ist, und dass ich ohne ihn nicht lebensfähig wäre. Dass er alleine den Schlüssel zu meinem Herzen und meiner Seele besitzt, und dass ich alles für ihn opfern würde, alles was ich bin und jemals sein werde ihm zu verdanken habe..

Doch ich habe ihm nicht antworten können. Etwas hat in meinem Hals festgesteckt und das Sprechen verunmöglicht – genauso muss Schneewittchen sich gefühlt haben. Irgend etwas hat mich gewürgt und mir das Atmen schwer gemacht. Und Ron hat dort gestanden und mich verzweifelt angeschaut, nicht verstehend was los ist und unfähig mir zu helfen.

Immer wieder habe ich nach Luft geschnappt und versucht etwas zu sagen... bis sich etwas in meiner Kehle gelöst hat. Und als ich die Hand vor den Mund gehalten habe, ist eine grosse, schwarze Perle über meine Lippen auf die Handfläche gerollt. Und plötzlich habe ich mein eigenes, klares Lachen hören können.

Die Perle... es ist allein sein Verdienst gewesen, oder täusche ich mich da? Meine Liebe für ihn ist es gewesen, die mich voran getrieben hat, immer wieder zu versuchen ihm dies zu sagen, und so gehört nicht mir sondern ihm dieses Geschenk in meiner Hand. Ich habe ihm darauf hin zugenickt und er hat beinahe gierig die Hände nach dem runden, dunklen Gegenstand ausgestreckt. Ich sehe sie auch jetzt noch vor mir; seine weichen, runden Hände mit den kurzen Fingern und abgekauten Fingernägeln...

Für einen kurzen Augenblick habe ich da die Augen geschlossen, denn plötzlich haben mich Zweifel überkommen. Auch wenn ich kurz vorher das Gefühl gehabt habe, als ob die Perle nicht mir zusteht, so haben mich dennoch Zweifel überkommen, dass ich sie so achtlos weggeben wollte – jemandem, der sie vielleicht gar nicht verdient hat? Und in diesem kurzen Moment habe ich die Zweifel mich niederdrücken gespürt, ob ich wirklich bereit bin, alles für Ron zu opfern, oder ob mein Verstand dies lediglich als nett klingende Floskel erdacht hat, die zwar gut klingt aber nicht ehrlich gemeint ist.

Das Gefühl ist so schnell verschwunden wie es gekommen war, jedoch als ich die Augen wieder geöffnet habe, sind es nicht mehr dieselben Hände gewesen, die sich zu mir hingestreckt haben. Nun waren es langgliedrige, feine Hände, in denen die Lebenslinien tief eingegraben waren. Da habe ich den Kopf gehoben und wie erwartet nicht mehr in das sommersprossige Gesicht meines Liebsten geblickt, sondern mich Snape gegenüber gefunden. Nur wenig später hat auch er von der Perle in seinen Händen aufgeblickt und mir geradewegs in die Augen geschaut. Ein seltsames Gefühl hat mich darauf hin überwältigt als unsere Blicke sich getroffen haben, dass ich auch jetzt – in wachem Zustand – nicht zu deuten vermag. So viele Dinge habe ich erkennen können, doch das, was am deutlichsten zu sehen gewesen ist, ist kein Bedauern mir gegenüber gewesen.

Dann hat er geblinzelt und so die Verbindung zwischen uns unterbrochen. Ich habe mich gefühlt, als hätte jemand mir in einer eisigen Nacht die wärmende Decke gestohlen, denn augenblicklich fühlte ich mich ungeschützt und kalt. Ein Verlustgefühl hat mich überflutet, auch wenn ich– während des Traumes wie auch jetzt– nicht sagen kann, was genau ich verloren habe – doch dieses Gefühl zerrt nach wie vor an meiner Seele... Es muss etwas Wichtiges gewesen sein, dessen bin ich mir sicher.

Seine Hand hat sich um die Perle geschlossen, dann hat er sie in einer eleganten Geste gedreht, und als er seine Faust wieder geöffnet hat, ist die Perle verschwunden gewesen und statt dessen eine schneeweisse Taube von seiner Handfläche aufgeflattert und davon geflogen. Ich habe ihr nachgeblickt, und erst als sie nur noch ein Punkt am Horizont gewesen ist, habe ich die Augen von ihr losreissen können. Welcher Teil von mir ist dies gewesen? Die Schönheit meiner Stimme? Deren Sanftheit? Oder deren Unschuld? Wie hat er das gemacht? Mit diesen und noch mehr Fragen auf den Lippen habe ich mich an ihn wenden wollen, doch als ich mich umgedreht habe, ist er nicht mehr da gewesen. Ich habe plötzlich alleine auf der Wiese gestanden, und die Schatten der nahenden Nacht haben sich allmählich um mich geschlossen. Panik ist in mir aufgestiegen, und verängstigt habe ich mich umgeblickt, bis etwas vor mir auf dem Boden meine Aufmerksamkeit erregt hat. Da hat er gelegen; vor meinen Füssen. Leblos. Dies ist der Moment gewesen, in dem ich zu schreien begonnen habe. Und dann bin ich geweckt worden.

Mit einem kalten Schauer, der ihren Rücken hinunter floss, schloss sie das Notizbuch. Sie konnte die einzelnen Bilder des Traumes erschreckend klar vor sich sehen, obwohl schon eine gewisse Zeit seit dem Aufwachen verstrichen war. Normalerweise hätte dies nicht sein dürfen, denn üblicherweise zerfiel ein Traum unwiderruflich wie eine ausgetrocknete Sandburg, kaum hatte man den Schlaf abgeschüttelt. Nicht so dieser, was Hermione mehr und mehr glauben liess, dass sich mehr dahinter verbarg als 'nur' ein Traum. Um sich dessen jedoch versichern zu können hätte sie Professor Trelawney aufsuchen müssen, und dies wollte sie auch dann nicht tun, wenn Hogwarts See bis auf den Grund gefrieren würde.

Ein Blick auf die Uhr riss sie aus ihren Grübeleien und liess sie aufspringen, das Buch eilig auf den Tisch werfend und zur Türe hinaus eilend. Sie war spät dran, doch liess sie dies seltsam unbekümmert, während sie durch die Gänge eilte. Zu gross war das Bedürfnis gewesen den Traum aufzuschreiben, und nun fühlte sie sich erleichtert und befreit. Zudem; wie sollte Snape herausfinden, dass sie ein paar Minuten zu spät war? Schliesslich hatte er ab 9 Uhr eine Klasse zu unterrichten, und er konnte unmöglich an zwei Orten zur gleichen Zeit sein.

Als Bestätigung dessen fand sie den Arbeitsraum leer vor und erleichtert atmete sie auf. Sie war innerlich immer noch etwas angespannt von der Erwartung Snape hier vorzufinden, auch wenn sie nun das Wochenende Zeit gehabt hatte, sich mit dem Gedanken anzufreunden für ihn und mit ihm zu arbeiten. Auf der einen Seite glaubte sie sich psychisch stark genug ihm gegenüber treten zu können, auf der anderen Seite wusste sie jedoch, wie labil dieser Glaube in ihr noch war. Der Traum der vergangenen Nacht half ihr ebenfalls nicht, ihre Zuversicht zu stärken.

Sie schaute sich kurz um und erblickte in der Mitte der Arbeitsfläche das Blatt mit Snapes Instruktionen für den heutigen Tag, daneben hatte er bereits die notwendigen Zutaten bereitgestellt. Als Hermione näher trat, fand sie daneben einen weiteren Zettel vor:

/Zu spät, Miss Granger? Glauben Sie nicht, dass jetzt, da Sie keine Schülerin Hogwarts mehr sind, Pünktlichkeit nicht mehr verlangt wird, und Sie nach Belieben kommen und gehen können wie es Ihnen beliebt - im Gegenteil; als meine Assistentin erwarte ich von Ihnen absolute Pünktlichkeit, Konzentration und Präzision. Und anstatt noch länger tatenlos herumzustehen, sollten Sie sich an die Arbeit machen./, war darauf zu lesen.

Hermiones Augenbrauen zogen sie sich verärgert zusammen, als sie den Zettel zerknüllte und in die Robentasche zur späteren Vernichtung stopfte. Seine sarkastischen Worte wurmten sie, mehr noch weil sie wusste, dass er im Grunde genommen recht hatte – in jeder Hinsicht. Die Anleitung mit dem zu brauenden Trank, den er von ihr an diesem Tag erwartete, war zwar ausgesprochen einfach, jedoch verlangte er eine solche Menge davon, dass sie die Quote nur erfüllen konnte, wenn sie ihre Zeit genau einteilte. Es würde nicht

Mit einem stummen Seufzer machte sie sich sogleich an die Arbeit und versuchte dabei jeglichen Gedanken an ihren sich nicht mehr in ihrem Besitz befindlichen Zauberstab zu verdrängen. Sie versuchte sich einzureden, dass sie immer schon die Intensität der Flamme unter dem Kessel von Hand hatte einstellen müssen, dass Zaubertränke prinzipiell mit einer schlichten Holzkelle umgerührt wurden, und dass sie die gebrauchten Utensilien nicht nur während dem Nachsitzen von Hand gereinigt hatte.

Meistens funktionierte es, und ihre Hände führten die notwendigen Handgriffe gezielt und sicher aus. Doch zwischendurch geschah es, dass die Wirklichkeit sie einholte, und in solchen Momenten zuckten ihre Hände unkontrollierbar. Dann musste sie sich für einige Minuten hinsetzen und ihre Augen schliessen, bis das Schwindelgefühl verschwunden war und ihr Körper zu zittern aufgehört hatte. Ihr Stolz allerdings war zu gross um sich deswegen geschlagen zu geben und Snape gegenüber ihr Versagen einzugestehen, und so machte sie sich anschliessend jeweils umso verbissener wieder an ihre Arbeit.

Manchmal jedoch musste sie den begonnen Zaubertrank wegschütten und von vorne beginnen, denn auch wenn er dankbar zu brauen war, so hatte auch dessen Toleranz eine Schwelle, die man zum guten Gelingen nicht überschreiten durfte: Wenn also genau in diesem Moment ihre Hand zuckte, da sie ein Glas mit irgendeiner Zutat über den Kessel hielt, oder gerade etwas am Kleinschneiden war und sich dabei in den Finger schnitt, war der Trank oder zumindest die entsprechende Zutat ruiniert. Es half auch nicht im Mindesten, was sie sich aber nicht einzugestehen wagte, dass sie immer wieder aufblickte um zu sehen, ob jemand – vor allem aber Snape – gekommen war um sie zu kontrollieren. Ohne Gehör glaubte sie sich gezwungen, sich hauptsächlich visuell zu orientieren.

Sie war gerade dabei gewesen eine Glasphiole abzuwaschen, als ein kalter Luftzug unerwartet ihre rechte Wange streifte und sie so heftig erschreckte, dass sie den zerbrechlichen Gegenstand in ihrer Hand zerdrückte. Hermione spürte nicht das Geringste, als die Glasscherben sich tief in ihre Handfläche bohrten und augenblicklich Blut hervorquoll. Erst als ihr Unterbewusstsein entschieden hatte, dass dies die Realität war und nicht die Erinnerung an ihren Traum, durchfuhr sie beim Öffnen ihrer Faust ein stechender Schmerz.

Hermione blickte nach unten und schloss ihre Augen, während sie sich mit der anderen Hand am Trogrand festhielt. Der Adrenalinschub von vorhin verlor seine Wirkung und liess sie schwindlig und zitternd zurück. Mit wenigen Schritten war Snape bei ihr und packte sie am Handgelenk um ihre Hand an Ort und Stelle zu halten, damit sie nicht den ganzen Boden voll blutete. Auch wenn sie ihn nicht hören konnte, so erkannte sie dennoch an seiner Mimik und den gepressten Bewegungen seines Mundes, dass er sie gerade aufs Heftigste ausschimpfte.

Irgendwann verebbte seine Schimpftirade, und er zog seinen Zauberstab hervor um die Blutung mit einem Zauberspruch zum Stillstand zu bringen. Zornig funkelte er sie an, holte zuerst tief Luft um sie weiter tadeln, überlegte es sich dann aber anders. Mit brüsker Armbewegung erteilte er ihr weitere Anweisungen, ohne sich darum zu scheren, ob sie ihn auch verstehen würde: Was sie mühelos tat, denn sein 'Mdme Pomfrey' und 'Mittagessen' kamen langsam und gefährlich über seine Lippen.

Hermione biss sich auf die Unterlippe, nickte und eilte beschämt davon. Snape blickte ihr kopfschüttelnd hinterher, bevor er ihre morgendliche Arbeitsleistung in Augenschein nahm. Wie erwartet, hatte sie alles andere als professionell gearbeitet, aber immerhin hatte sie eine Charge von den insgesamt drei der von ihm am Morgen verlangten brauen können. Was ihn überraschte, denn er hatte, um ganz ehrlich zu sein, nicht gedacht, dass sie auch nur eine Charge hätte fertig stellen können. Nun blieb nur noch abzuwarten, ob sich ihre Leistung bis zu den Sommerferien noch steigern würde – wenn nicht, hätte er zumindest einen triftigen Grund gegenüber Albus in der Hand, sie als seine Assistentin abzulehnen. Er glaubte zwar nicht, dass das Problem 'Hermione Granger' auf diese Weise zu beseitigen die Patentlösung zu seiner momentanen Situation war, aber er schätzte es dennoch im Vorteil zu sein.

Der Nachmittag verlief deutlich besser, nachdem sich Hermione immer wieder ermahnte, sich mehr zu konzentrieren um ein ähnliches Desaster wie am Mittag zu verhindern. Als Snape am Abend zum zweiten Mal an diesem Tag in den Arbeitsraum trat, zuckte sie zwar erneut zusammen, doch hatte sie sich schneller wieder unter Kontrolle und blickte ihn kühn und stolz an – nicht nur weil sie es geschafft hatte, keinen weiteren Zaubertrank zu ruinieren. Mit einem Nicken entliess er sie schliesslich und machte ihr klar, dass sie morgen pünktlicher zu erscheinen hatte, wenn sie hier arbeiten wollte.

Drei Stunden später fand sich Hermione bei Albus in seinem Wohnzimmer wieder, eine Tasse heisser Schokolade in ihrer frisch verheilten Hand. Sie hatten sich gegenseitig erzählt, wie der jeweilige Tag gewesen war, wobei Hermiones Erzählung wesentlich kürzer und zensierter ausgefallen war. Albus hatte diese Tatsache sehr wohl bemerkt, sich aber entschieden, nicht weiter darauf einzugehen. Die Vertrautheit zwischen ihnen brauchte Zeit zu wachsen und zu gedeihen, und er wusste, dass er nicht von ihr erwarten durfte, dass sie ihm sofort alles berichten würde.

Den eigentlichen Grund jedoch, wieso Hermione ihren Vormund hatte sehen wollen, hatte sie bis jetzt noch nicht erwähnt. Sie war unsicher, wie sie das Thema am besten anschneiden sollte, und so starrte sie verlegen in die Flammen der Feuerstelle und dachte verbissen nach, während sie an ihrer Tasse nippte. Es war nicht etwas, das man humorvoll und leicht anpacken konnte – 'ach ja, Albus, ich habe gelesen, dass du deine Schwester verraten hast. Tut mir leid für dich... aber es ist schon so lange her, dass es dir bestimmt nichts ausmacht, mir alles zu erzählen' – oder in das man zuviel hineininterpretieren sollte – 'dann betrachtest du mich jetzt als eine Art Schwester? Nachdem ich nun selbst behindert bin?'.

Hermione wurde durch eine Bewegung von Albus aus ihren Gedanken gerissen. /Es ist wohl am besten, wenn wir den Abend nun beenden und zu Bett gehen, meinst du nicht? Wir hatten beide einen anstrengenden Tag, und morgen scheint es nicht anders zu werden./, schrieb er ihr und machte Anstalten aufzustehen. Doch Hermione war schneller, stellte ihre Tasse auf dem Tisch ab und legte ihre Hand auf seinen Arm, um ihn im Sessel zu halten.

Auf seinen fragenden Blick hin schrieb sie das erste nieder, was ihr in den Sinn kam: /Ist dies der wahre Grund?/

Nach kurzem Zögern zuckte er mit den Schultern und gab ihr zu verstehen, dass er nicht verstand, worauf sie hinaus wollte.

/Wieso ich hier bleiben sollte?/, versuchte Hermione die Frage zu umschreiben, /Wegen dem, was mit deiner Schwester passiert ist?/

Für einen kurzen Moment stand die Zeit still. Hermione starrte ihren Vormund an, sowohl fasziniert wie auch erschrocken über das, was sie sah. Eine Emotion nach der anderen flackerte in Albus' Gesicht auf und erlosch gleich darauf wieder, während er den Atem anhielt. Sie machte sich auf alles gefasst – auch darauf, dass er jeden Augenblick auf sie losgehen könnte. Dann war es vorbei, und das Gesicht des alten Zauberers strahlte wieder die gewohnte Ruhe und Weisheit aus.

Nur seine Hand mit der Kreide, die zitternd über die Tafel glitt, strafte seine Gelassenheit Lügen. /Woher weißt du davon?/, fragte er sie, und als er ihr die Tafel aushändigte, schien sich sein Blick in ihren Kopf zu bohren, und Hermione unterdrückte das Verlangen wegzublicken und zu fliehen.

/Das Tagebuch/, war ihre Antwort. Als er seinen Kopf zur Seite neigte und einen seltsamen, verwirrten Ausdruck annahm, erklärte sie es genauer: /Das Buch, welches du mir zum Lesen gegeben hast... Die Geschichte von Duncan Malachor und seinen Nachfahren. Und die letzten Eintragungen stammen von dir – erinnerst du dich etwa nicht mehr daran?/

Um ihre letzten Worte zu unterstreichen zog sie das Tagebuch aus einer Tasche ihrer Robe, öffnete es und wies auf die ersten Zeilen, die sie als Albus' Handschrift erkennen konnte. Erst jetzt konnte sie das Verstehen in seinem Gesicht aufleuchten sehen. Hermione runzelte skeptisch die Stirn.

/Ach so, das meinst du. Ich hatte es vollkommen ver..../, begann Albus, wischte dann aber das soeben Geschriebene aus. Zu spät, denn Hermione hatte es bereits gesehen.

/Es ist schon so lange her.../, schrieb er statt dessen und starrte für einen Moment ins Leere, bevor er fortfuhr. /Du willst also wissen, ob dies der eigentliche Grund für meine Entscheidung ist, dich einzustellen? Sozusagen als Wiedergutmachung für das, was ich als Kind angerichtet hatte?/, fragte er, und als sie ihn mit wissbegierigen Augen anblickte, nickte er verstehend.

Diese letzten Zeilen hatten ihn jedoch soweit verunsichert, dass er für einen Augenblick selbst am wahren Motiv hinter dem Ganzen zweifelte, und so dauerte einen Moment, bis er sich eine Antwort zurecht gelegt hatte. Für Hermione schienen Stunden zu vergehen, während sie auf eine Erklärung von ihm wartete, und als er endlich die Kreide ansetzte, rutschte sie erwartungsvoll auf ihrem Sessel nach vorne.

/Mag sein, Hermione, dass mein Erlebnis als kleiner Junge mich beeinflusst hat darauf zu beharren, dass du hier bleiben sollst. Mag sein... aber ich habe zehnfach für meine Tat von damals bezahlt, glaube mir, und ein elftes Mal braucht es nicht./

Hermione las seine Worte mit beinahe fassbarer Enttäuschung. Sie hatte falsch gelegen, nun gut, aber was war denn nun der wirkliche Grund? Fragend blickte sie ihn an, doch Albus schüttelte nur langsam den Kopf.

/Der wahre Grund, mein Kind, ist einer, von dem ich hoffe, dass niemand ihn je erfahren wird./

TBC....

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Soweit ich mich erinnern kann, habe ich noch nie so lange nach einem Titel für ein Kapitel gesucht. Nachdem mir aber während des Schreibens ständig ein Lied von 'Hekate' durch den Kopf geistert ist, habe ich mich am Ende kurzerhand für den Titel dieses Liedes entschieden -- Genaueres wäre zu viel verraten ;-)

Habe ich mich eigentlich schon einmal für all eure Feedbacks und Reviews bedankt? Ja? Nein? Egal: Vielen herzlichen Dank an euch alle :-)... ich bin vollkommen überwältigt, wirklich!... Weiter so! *gg*

...und das war einfach zu witzig um es euch vorzuenthalten:
Ein Regenwurm, der lacht sich
bei einer jeden Frage krumm.
Er sprach: "Wenn man sich tüchtig windet
kommt man um jede Frage 'rum"
~ Thomas Christian Dahme ~

-- Nach wie vor gilt; falls jemand über Updates benachrichtigt werden will, kann er mir auf FarisEirin@fanfiction.net ein eMail schicken oder aber auf der LiveJournal-Page meine fortschreitende Verzweiflung beim Schreiben (*lach*) nachlesen: www.livejournal.com/~faris_eirin

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