Kapitel 1:
Ein unerwünschter Geist
~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
Zehn Hexen und Zauberer auf Besen flogen in halsbrecherischem Tempo über das Spielfeld. Zwei weitere belagerten jeweils drei nebeneinander aufgestellte Ringe wie eine Löwenmutter ihre Jungen. Und noch einmal zwei Spieler flogen etwas höher als die anderen in großen ruhigen Bögen über das Spielfeld.
Unter ihnen tobte eine riesige Menge begeisterter Zuschauer und die tosende Stimme des Stadionsprechers zeriß die Luft wie ein Donnerschlag.
Nichts störte diese Ausgelassenheit, nichts außer einem kleinen schwarzen Punkt, ein Ruhepol in der sich stetig bewegenden Menge. Doch niemand bemerkte ihn, er ging unter in all der Begeisterung und Freude. Nicht zum ersten Mal in seinem Leben, aber wie so oft war dieser Umstand willkommen.
Nicht ganz ohne Stolz blickte Severus Snape hinauf zu den Spielern der englischen Mannschaft. Sein Blick haftete auf Harry und dann und wann konnte man ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen sehen, wenn Harry wieder ein blitzschnelles, aber auch waghalsiges Flugmanöver hinlegte.
Natürlich wußte Severus, daß die Begabung für Quidditch etwas war, was Harry nicht von ihm hatte. Vermutlich gehörte es zu den Sachen, die Lily ihrem Sohn per Magie mitgegeben hatte, damit er James Potter ähnlicher war und kein Verdacht aufkam, Harry könnte nicht der Sohn von James Potter sein, so lange diese Fassade nötig gewesen war. Aber dennoch war er stolz auf ihn. Sein Sohn hatte erreicht, was er sich immer für ihn gewünscht hatte.
Er wurde geliebt und akzeptiert. Er war kein Außenstehender, den alle mit Verachtung betrachteten, so wie ihn.
Wieder lächelte Severus. Aber selbst er hatte ja jetzt etwas, was ihm Ansehen in der Zaubererwelt verlieh. Der Giftmischer mischte wieder und diesmal tat er es auf der richtigen Seite, wenn er den Leuten glauben durfte, die ihm seine Aufträge erteilten.
Nicht, daß es ihn kümmerte. Schon zu lange war man ihm mit Haß und Verachtung begegnet, es kümmerte Severus Snape schon eine ganze Weile nicht mehr, ob man ihn nun haßte oder mochte. Er verlangte von niemandem, daß er Gefühle aufbrachte, die er selbst anderen gegenüber nicht zuließ.
Severus wußte, daß er ein kaltes und grausames Leben führte. Dumbledore sagte es ihm oft genug und auch wenn er sich bewußt in diese Einsamkeit zurückgezogen hatte, war auch ihm klar, wie schlecht sie für ihn war, wie sie langsam sein Herz auffraß.
Dumbledore. Bei Dumbledore war alles anders. Für den Direktor empfand Severus sogar eine Art Liebe, eine tiefe Zuneigung. Er war der Vater, den er nie gehabt hatte. Er war bereit, sich auf ihn einzulassen, ihn zu verstehen. Dumbledore sah nicht immer nur das Schlechte in ihm, blickte hinter die Fassade aus Eis und Verachtung.
Und doch lag auch immer ein fahler Beigeschmack auf seiner Zunge, wenn er an Dumbledore dachte. Es ließ sich einfach nicht verleugnen, daß Dumbledore sehr viel Verantwortung an dem trug, was Severus jetzt war und durchmachte. Und Severus konnte sich oft nicht gegen den Gedanken wehren, daß Dumbledores Zuneigung nichts weiter war, als der verzweifelte Versucht, das Unrecht, das ihm durch den verfluchten Auftrag vor über zwanzig Jahren widerfahren war, wieder gut zu machen.
Ein wenig ärgerlich wischte er den Gedanken weg. Das war Unsinn! Dumbledore wußte nichts von der Sache mit Lily oder daß Harry gar kein Potter war. Dumbledore hatte ihm damals den Auftrag nur gegeben, weil er geglaubt hatte, Severus sei allein und hätte nichts zu verlieren. Es war seine eigene Schuld und nur wegen ihm war Lily heute nicht mehr am Leben!
Er warf einen Blick auf den Brief, den er unter seiner dunklen Kutte verbarg. Das Siegel von Hogwarts und das persönliche Siegel Albus Dumbledores prangten darauf. Severus' Augen flackerten kurz auf.
Severus rieb sich über die müden schwarzen Augen, als er die Treppen aus dem Kerker hinauf in die Eingangshalle des Schlosses stieg. Draußen stand die Sonne hell und klar am Himmel und erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er wieder mal eine Nacht durchgearbeitet hatte. Er seufzte und streckte sich. Die Sonnenstrahlen, die in die Eingangshalle fielen, streichelten über sein Gesicht und er rang sich zu einem kurzen Lächeln durch.
Wie man so etwas auf einmal schätzte, wenn man Tag und Nacht aus dem dunklen Kerker kaum noch herauskam. – Und das, wo es noch gar nicht so lange her war, daß er freiwillig nicht dort unten hervorgekommen wäre, hätte er nicht hin und wieder in die Große Halle oder ins Lehrerzimmer gemußt.
Die Dinge änderten sich, wenn sich die Umstände drastisch änderten.
Er riß sich aus seinen Gedanken los und ging hinauf in den 2. Stock, wo sich das Büro von Albus Dumbledore befand. Was auch immer der Direktor wollte, es mußte wichtig sein, sonst hätte er ihn niemals aus dem Kerker geholt.
Albus wußte, wie wenig Severus solche Störungen liebte.
„Erdbeer-Himbeer-Zisch-Brausebonbons." Murmelte er dem Wasserspeier zu und schüttelte wieder einmal den Kopf über dieses absolut hirnrissige Paßwort. Aber man mußte Dumbledore doch lassen, durch die Blödsinnigkeit seiner Paßwörter war es bisher nur einem einzigen Schüler gelungen, ohne Erlaubnis in das Büro zu kommen. Sein Blick verfinsterte sich kurz.
Aber Harry Potter war ja auch immer ein äußerst ungewöhnlicher Schüler gewesen, niemals vergleichbar mit den anderen. Sein Blick wurde weicher. Harry... Fast vier Jahre war es her, daß er Harry das letzte Mal gesehen hatte. Der Junge würde in einigen Wochen bereits zweiundzwanzig werden, ein erwachsener junger Mann.
Severus schüttelte ungeduldig den Kopf. Er durfte nicht ständig mit seinen Gedanken an den Geistern der Vergangenheit und verpaßten Chancen hängen. Das wurde zur Sucht und das immer mehr, je älter, und damit einsamer, er wurde.
Er klopfte an die Tür zum Büro des Direktors und betrat den runden Raum, bevor eine Antwort zurück kam.
Albus Dumbledore sah nicht weniger müde aus als sein Lehrer für Zaubertränke, trotzdem wirkte er hoch konzentriert auf das, was er da gerade schrieb.
„Setz dich, Severus." Begrüßte er den Lehrer mit seiner sanften Stimme, ohne jedoch aufzublicken. Severus nahm in dem bequemen Sessel dem Direktor gegenüber Platz und schlug die Beine übereinander. Seine verkrampften Rückenmuskeln entspannten sich ein wenig und er lehnte sich zurück. Er ließ den Kopf in den Nacken kippen und schloß die Augen.
Ein paar Minuten Ruhe, das war genau das, was er jetzt brauchte.
Er hörte das Kratzen der Adlerfeder, die Dumbledore über ein Stück Pergament führte und es mit seiner eleganten Handschrift bedeckte und langsam spürte er, wie er aus der Realität abtauchte und in einen angenehm dumpfen Nebel eintauchte. Eine Stufe zwischen Wachheit und Schlaf.
Es waren ein paar Minuten vergangen, als Dumbledores Stimme ihn sanft aus diesem Zustand zurück holte.
„Ich habe eine kleine Aufgabe für dich, Severus." Severus nickte mit dem Kopf wieder nach vorne und sah Albus mit seinen unergründlichen, schwarzen Augen an.
„Worum geht es?" fragte er und sah, wie in Albus' Augen für einen kurzen Moment ein Anflug von Sorge zu sehen war.
„Wie lange ist es her, daß du geschlafen hast?" Ein kaltes Lächeln zog über Severus' bittere Züge.
„Jahre." War die schlichte Antwort und er erkannte den Unmut auf dem Gesicht des älteren Zauberers. Er rutschte etwas tiefer in den Sessel hinein und seine Glieder wurden bleischwer.
„Severus, wann wirst du nur endlich auf mich hören?" Severus' Gesicht wirkte fast ein wenig amüsiert, als er Dumbledore fixierte.
„Ich habe das Gefühl, daß du ganz still sein solltest, Albus." Seine Stimme war für ihn ungewohnt weich und warm und sogar Dumbledore mußte lächeln.
„Man könnte fast meinen, wir seien Vater und Sohn." Bemerkte er trocken und ihm entging nicht der kurze Ausdruck von Sehnsucht auf Severus' Gesicht.
„Der Auftrag, Sir." Erinnerte Severus Dumbledore, mehr um sich selbst von den plötzlichen Emotionen abzulenken, die diese scheinbar harmlose Bemerkung in ihm hervorgerufen hatte. Dumbledore faltete die Hände und stützte sein Kinn darauf ab. Seine leuchtend klaren Augen hielten Severus' Blick fest.
„Ich habe hier einen Brief, den du für mich überbringen sollst." Eine schwarze Augebraue schnellte in Sekundenbruchteilen hinauf bis an seinen Haaransatz und sein Ausdruck wurde ein wenig abweisend.
„Albus, ich weiß, daß ich furchtbar aussehe, aber daß ich schon Ähnlichkeit mit einer Eule angenommen habe, war mir bisher nicht bewußt." Dumbledore lächelte. Severus' Zynismus amüsierte ihn stets sehr.
„Dieser Brief ist enorm wichtig. Ich kann ihn unmöglich einer Eule anvertrauen. Nur ein Falke höchst persönlich ist in der Lage, ihn sicher an seinen Bestimmungsort zu bringen." Severus schien noch immer nicht überzeugt, doch er wußte wohl, daß er nicht drum herum kommen würde, Hogwarts zu verlassen, um Postbote zu spielen. Also setzte er seinen typischen unbewegten Gesichtsausdruck wieder auf.
„Wer ist der Empfänger?" fragte er und Dumbledore zögerte einen Moment. Dann nahm er den Brief, den er gerade erst geschrieben hatte und reichte ihn Severus. Severus lehnte sich nach vorne und nahm das zusammengefaltete und versiegelte Stück Pergament entgegen. Sein Blick streifte über den Adressaten und fast hätte er den Brief vor Schreck fallen gelassen.
„Albus?" fragte er und Dumbledore hörte, wie überrascht er war.
„Gibt es ein Problem, Severus?" er wußte, daß er scheinheilig klang. Natürlich hatte Severus ein Problem damit.
„Was, wenn ich fragen darf, teilst du dem jungen Mr. Potter so wichtiges mit, daß man diesen Botenflug keiner Eule überlassen könnte?" Dumbledore lehnte sich zurück und verschränkte die Hände auf seinem Hinterkopf. Er lächelte breit und scheinbar sehr zufrieden.
„Wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstellen, wird Harry nach Hogwarts zurückkehren." Severus erstarrte. Harry in Hogwarts. Das war nicht gut. – Doch, für ihn war es gut, hier in Hogwarts war er so sicher, wie nirgendwo sonst auf der Welt, aber auf der anderen Seite... Die sieben Jahre, die der Junge hier zur Schule gegangen war, waren schon die Hölle auf Erden für ihn gewesen und Severus wußte nicht, ob er noch immer die Kraft hatte, seine Fassade aufrecht zu erhalten.
Trotzdem steckte er den Brief ein. Grimmige Entschlossenheit trat in seine Augen. Severus Snape stand stets an zweiter Stelle, egal um was es sich handelte. Erst Harrys Sicherheit, dann Severus' Gefühlsleben. So mußte und würde es sein.
„Harry wird hier in Hogwarts hoffentlich ab dem nächsten Schuljahr einen Sonderkurs halten. Wie ich gehört habe, hat er neben seiner beeindruckenden Karriere als Quidditchspieler auch seine Studien in Verteidigung gegen die Dunklen Künste über all die Jahre weiter betrieben, seit er Hogwarts verließ. Ich hege nun die Hoffnung, daß er unsere Schüler auf das vorbereiten kann, was auf sie zukommt, wenn sie diese geschützten Mauern für immer verlassen.
Zu viele haben wir in den letzten Jahren wieder an den Dunklen Lord verloren." Er rieb sich die müden Augen. Einen Moment lang empfand Severus Mitleid für Dumbledore. Jeder Schüler dieser Schule lag ihm am Herzen und jeder verlorene Schüler tat dem weisen Zauberer in der Seele weh.
„Die Geschichte wiederholt sich und wir müssen endlich etwas dagegen tun." Severus nickte Albus nach seinen letzten Worten zu und erhob sich aus dem Sessel. Sein Rücken meuterte einen kurzen Moment gegen die plötzliche, erneute Anstrengung, aber er ignorierte den Schmerz.
Dumbledore schüttelte den Kopf und hob die Hand, um ihm anzudeuten, daß er noch nicht gehen sollte.
„Warte, Severus, da ist noch etwas." Gleich zwei Überraschungen an einem Tag. Severus hatte das Gefühl, er habe Weihnachten vergessen.
„Ich habe außerdem noch eine Assistentin für dich eingestellt." Severus' Blick verfinsterte sich augenblicklich, seine Mimik gefror und seine Haltung versteifte sich.
„Die junge Dame wird in zehn Tagen hier eintreffen und ich wollte dich bitten, daß du dich nach ihrer Ankunft ein wenig um sie kümmerst." Dumbledore hörte das leise, verächtliche Schnauben, das Severus ausstieß und sah das kalte Glitzern in den tiefschwarzen Augen.
„Eine Assistentin? Findest du nicht, daß schon genug Leute jeden Tag dort unten in meinem Büro herumstolpern? Und wieso dann auch noch eine Assistentin, die ein Kindermädchen braucht? Das ist eine Rolle, die mir gar nicht gut zu Gesicht steht. Wie fürchterlich ich in einem Kleid aussehe, hat Mr. Longbottom uns wohl eindringlich genug bewiesen, ich wette, eine Kindermädchenuniform steht mir nicht wesentlich besser zu Gesicht." Dumbledore grinste. Zum einen, weil Severus' Worte ihn sofort wieder an jenes sehr amüsante Bild von Severus in den Kleidern der Großmutter des Schülers Longbottom erinnerte und zum anderen, weil er wohl der einzige Mensch auf der ganzen Welt war, der an Severus' triefendem Sarkasmus Gefallen fand.
„Ich glaube, sie wird sogar dir gefallen, mein übermäßig kritischer junger Freund. Sie ist eine sehr interessante Persönlichkeit. – Vielleicht machst du dich schon einmal ein wenig mit ihr vertraut." Er hielt ihm strahlend eine Akte entgegen, die Severus eher widerwillig entgegen nahm. Da Dumbledore ihm damit offensichtlich endlich alles gesagt hatte, was er von ihm wollte, nickte Severus ihm kurz zu und verließ dann das Büro.
Als er den Wasserspeier passierte, schlug er die Akte auf und blickte in das lächelnde Gesicht einer jungen Frau. Ihre Haut hatte einen bronzefarbenen Ton, die Augen leuchteten schwarz-braun und auch das lange, leicht gewellte Haar hatte einen sehr dunklen, fast schwarzen Braunton.
„Sesha Shantay." Las er sich selbst ihren Namen vor und zog die Augenbrauen zusammen. Wenn das nicht ein bißchen Exotik nach Hogwarts brachte, wußte er auch nicht. Aber warum blieb eigentlich immer alles an ihm hängen? Jetzt sogar das Babysitting.
„DAS SPIEL IST AUS!! HARRY POTTER FÄNGT DEN SCHNATZ!! SIEG FÜR ENGLAND!!"
Das Gebrüll des Stadionsprechers riß Severus aus seinen Gedanken und warf ihn unsanft in die Realität zurück. Der steife Wind pfiff ihm unangenehm in seinen Umhang und er zog ihn ein wenig fester zu.
Wie konnte es bloß mitten im Sommer so kalt sein? Wenn er gedacht hatte, England sei schon extrem mit seinem Wetter, dann belehrte ihn die Isle of Wright nun eines besseren. Sie war eindeutig noch extremer.
Nach einem prüfenden Griff in die Tasche, bei dem er den Brief an seinem Platz ertastete, erhob Severus sich von seinem Platz und kämpfte sich durch die jubelnde Menge in Richtung der Mannschaftsräume.
Er wollte gerade durch die Tür und die Treppe hinunter gehen, als sich plötzlich ein hünenhafter Kerl vor ihm aufbaute und die Arme vor der Brust verschränkte. Er blickte auf den anderthalb Köpfe kleineren Severus herunter und lächelte dämlich.
Unwillkürlich hob Severus die rechte Augenbraue. Genau sein Kaliber, groß und dumm. Er mußte plötzlich lebhaft an die beiden ehemaligen Schüler Crabbe und Goyle denken. Sie hatten eben jenen dämlichen Ausdruck auf dem Gesicht gehabt, egal bei was man sie auch beobachtet hatte.
„Was glaubst du, wo du hin willst?" Ein kalt vergnügtes Glitzern war in Snapes Augen zu sehen.
„Ich wüßte nicht, daß wir beide schon mal knallrümpfige Kröter zusammen gehütet hätten." Entgegnete er trocken und grinste still in sich hinein, als er den dumpfen Ausdruck auf den kleinen Schweinsaugen sah. So viel Hintergründigkeit war für diesen Klotz wohl zu viel. Er hatte nichts anderes erwartet. Wahrscheinlich war es diesem Sparhirn ohnehin schon schwer gefallen, überhaupt sprechen zu lernen, die verschiedenen Formen der persönlichen und förmlichen Adressierung seines Gegenübers hätte sein begrenztes Fassungsvermögen vermutlich gleich dermaßen zum Überlaufen gebracht, daß auch das restliche Gelernte sofort wieder gelöscht worden wäre.
Severus seufzte. Diese Welt war doch von Idioten bevölkert! Langsam griff er in seine Tasche und zog ein Stück Pergament heraus. Er hielt es dem Kraftprotz unter die Nase.
„Ich gehe einfach mal davon aus, daß Sie lesen können." Schnarrte er ihm entgegen. Der Mann nahm das Papier, warf einen Blick darauf und sagte – nichts. Er starrte das Pergament mindestens zwei Minuten regungslos an und Severus hätte schwören können, daß er gesehen hatte, wie für einen kurzen Moment Rauch aus den Ohren des anderen Zauberers aufgestiegen war.
„Ein Paß." Bemerkte der Riese schließlich und Severus nickte mit einem vor Sarkasmus triefenden Lächeln.
„Wirklich bemerkenswert dieses Erkenntnis. – Wie Sie richtig erkannt haben, ist das ein Paß, ausgestellt von Albus Dumbledore. Sie wissen doch, wer Albus Dumbledore ist?" einen Moment fürchtete Severus ernsthaft, sein Gegenüber würde das verneinen und kaum merklich atmete er erleichtert auf, als der Mann nickte.
„Dann haben Sie jetzt wohl auch die Güte, mich durchzulassen, nicht wahr?" Der Security-Zauberer schien noch einen Moment lang unentschlossen, doch dann hob er die Schultern und trat zur Seite. Im Vorübergehen zog Snape ihm mit einer lässigen Bewegung den Paß aus den dicken Finger und als er mit seinem üblichen festen und schnellen Schritt den Gang hinunterlief, wehte sein Umhang hinter ihm sanft über den Boden.
Der Wachmann sah ihm nach und kratzte sich seinen mit kurzgeschorenen Haaren bedeckten Kopf. Was für ein seltsamer Typ. Er hatte überhaupt nicht verstanden, was er überhaupt von ihm gewollt hatte. Er machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. Was kümmerten ihn diese eingebildeten Gelehrten?
Als Snape die Kabine der englischen Mannschaft erreichte, kamen ihm die ersten Spieler fröhlich lachend und gestikulierend vom Spiel erzählend entgegen. Mit einer eleganten Bewegung trat er zur Seite und zog seinen Umhang aus dem Weg. Das letzte, was er brauchen konnte, waren Flecken auf seinem Reiseumhang.
Er atmete tief durch und betrat schließlich die Kabine der Spieler. Er sah Harry sofort und auch der junge Mann neben ihm war ihm so bekannt wie ein alter Freund. Rote Haare, ein kastanienbrauner, offensichtlich von seiner Mutter gestrickter, Pullover und eine sehr markante Nase. Ron Weasley.
Auch die beiden unterhielten sich fröhlich, doch als Ron aufsah und Severus in der Tür entdeckte, blieben ihm die Worte im Hals stecken. Zufrieden bemerkte Severus, wie dem jungen Mann der Schweiß auf die Stirn trat.
Nicht, daß Severus nicht genau um seine Wirkung auf seine Schüler wußte, aber es erfüllte ihn doch immer wieder mit einer gewissen Faszination und Zufriedenheit, wenn er auf die Ehemaligen traf und sie bei seinem Anblick immer noch in Angst verfielen.
Keiner hegte auch nur ein einziges positive Gefühl, hatte auch nur eine schöne Erinnerung an ihn. Besser konnte es gar nicht sein.
Harry wandte sich um und erstarrte ebenfalls.
„Guten Tag, meine Herren." Die kalte, ölige Stimme des Zaubertranklehrers ließ Harry die Gänsehaut auf den Rücken treten. Wie lange hatte er diese Stimme nicht mehr gehört und gerade jetzt, wo Cho alte Geister heraufbeschworen hatte, trat er wieder in sein Leben. Das war gespenstisch.
„Snape." Entgegnete Harry kalt und sein flackernder Blick verhärtete sich. „Was tun Sie hier?" Severus lächelte frostig und trat ein paar Schritte weiter in die Kabine herein.
„Nun, ganz sicher nicht meinem Hobby nachgehen, aber leider war es ein spezieller Wunsch Dumbledores, daß ich meine Zeit mit Quidditch verschwende." Harry schnaubte verächtlich, doch Dumbledores Name hatte ihn neugierig gemacht.
„Zu welchem Zweck?" Severus griff in seinen Umhang und zog den Brief heraus. Er reichte ihn Harry, der ihn auch skeptisch entgegen nahm. Ein Brief? Mehr nicht? Dafür war Severus Snape eigens aus seinem Kerker gekrochen und ins Tageslicht geflattert?
Er brach das Siegel und faltete das Pergament auseinander. Sofort erkannte er Dumbledores Handschrift. So viele Male schon hatte er sie gesehen und es gab keine Schrift auf der ganzen Welt, die seiner glich.
Mein lieber Harry,
die Zeit ist nun gekommen, daß ich Dich bitten muß, nach Hogwarts
zurück zu kehren.
Ich weiß, Dein momentanes Leben und Deine Zukunftspläne sehen diesen
Umstand eigentlich nicht vor, aber ich brauche Dich hier sehr dringend.
Keiner außer Dir ist in der Lage, diese Aufgabe zu übernehmen und wie ich
Dir am Tage Deines Schulabschlusses bereits sagte, eines Tages mußte die
Zeit des Spielens für Dich erst einmal wieder vorüber sein. Diese Zeit ist
nun gekommen.
Ich biete Dir einen Posten als Lehrer in Hogwarts. Du sollst einen
speziellen Sonderkurs in Verteidigung gegen die Dunklen Künste halten
und den Schülern helfen, den richtigen Weg einzuschlagen. Zu viele habe
ich schon verloren, Harry! Ich brauche Deine Hilfe, damit es nicht noch
mehr werden.
Den Posten als Fachlehrer kann ich Dir leider nicht übertragen, wie Du
sicher verstehen wirst. Bei einem solch wichtigen Fach hat das
Ministerium ein besonderes Auge darauf, daß nur wirklich qualifizierte
Kräfte eingesetzt werden. – Ich erkenne Dir diese Fähigkeit zwar nicht
ab, aber Dein fehlendes Studium macht es mir leider unmöglich.
Teile mir Deine Antwort bitte so schnell wie möglich mit. Der sicherste Weg
wäre, sie Severus mitzugeben, bevor er zu mir nach Hogwarts zurück kehrt.
Ich vertraue auf Dich und daß Du die richtige Entscheidung triffst!
Albus Dumbledore
Harry runzelte die Stirn, blickte von dem Brief auf und sah Severus lange an. Der Zaubertrankmeister hielt seinem Blick regungslos stand. Schließlich hob Harry den Brief in seiner Hand etwas höher.
„Wissen Sie, worum er mich bittet?" Severus deutete ein knappes Nicken an.
„Nicht wortwörtlich, aber ich weiß genug." Harry faltete den Brief sorgfältig zusammen und verstaute ihn in seinem eigenen Umhang.
„Erstaunlich." Harry biß sich auf die Lippen, kaum, daß er das Wort ausgesprochen hatte. Er erkannte die plötzliche Kältewelle, die über Severus' Gesicht hereinbrach, auch wenn er nicht für möglich gehalten hätte, daß es zu der üblichen Kälte noch eine Steigerung gab.
„Was ist daran so erstaunlich, Mr. Potter?" fragte er und eine leichte Gereiztheit in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Sie wissen, daß er mich bittet, in Hogwarts das Fach zu unterrichten, daß Sie schon wollten, bevor ich in Hogwarts Schüler war und trotzdem überbringen Sie mir treu diesen Brief." Severus lächelte, doch das Lächeln gefror oberhalb seiner Lippen und erreichte seine schwarzen Augen nicht.
„Ich habe keine Zeit für solche Spielchen, Potter!" fauchte er. „Und wäre Ihnen auch nur annähernd der Ernst unserer momentanen Lage bewußt, würden Sie solch einen Unsinn nicht von sich geben." Harry spürte, wie die Worte des älteren Zauberers ihn verletzten. Es war dumm gewesen, was er gesagt hatte und er hatte es schon gewußt, noch bevor er die Worte überhaupt ausgesprochen hatte. Und doch, er hatte einfach nicht widerstehen können...
Vielleicht war es die Sache mit Cho gewesen, aber er hatte einfach ein tiefes Verlangen verspürt, Snape als Lügner hinzustellen.
„Wie lange habe ich Bedenkzeit?" lenkte er ein, doch Severus' Gesichtsausdruck wurde nicht milder.
„Ich werde noch heute abend nach Hogwarts zurückkehren." Mit diesem Worten wirbelte er herum und rauschte aus der Kabine.
Harry und Ron blickten sich eine Weile an, bevor Harry den Brief an Ron weiterreichte.
Severus saß bereits seit Stunden in der kleinen Kneipe gegenüber des Stadions, in dem das Spiel stattgefunden hatte. Die Muggel um ihn herum mußten ihn für einen totalen Freak halten, sein Aufzug paßte so gar nicht in diese gutbürgerliche Umgebung. Aber es war Severus egal. Er starrte düster in das Glas mit der goldbraunen Flüssigkeit, das er in der Hand hielt und schien erst eine Weile gründlich darüber nachzudenken, bevor er es an die Lippen setzte und den Whiskey in seine Kehle schüttete.
Er hatte es so gewollt, es darauf angelegt und über Jahre darauf hingearbeitet. Warum also machte es ihm plötzlich solche Probleme, daß Harry ihn haßte und verachtete? Warum berührte es sein Herz, wenn es ihn doch vollkommen kalt lassen sollte?
Gefühle. Warum nur hatte Lily ihm jemals gezeigt, was Gefühle waren? Warum hatte sie ihm das angetan?
Auf sein Zeichen hin füllte der Barkeeper das Glas wieder auf. Der alte Muggel blickte Severus mit einer Mischung aus Skepsis und Besorgnis an. Einerseits schien dieser Mann nicht ganz richtig zu sein, anders konnte er sich nicht erklären, warum er diese merkwürdigen Klamotten trug, komplett schwarz, obwohl er doch schon so blaß war, daß man meinen konnte, er war bereits tot. Aber anderseits hatte er in seinem Leben als Besitzer dieser Bar schon viele Menschen mit echten Problemen gesehen und egal wie gut dieser Mann seine überspielen konnte, er erkannte sie.
Severus stürzte den Whiskey wieder in einem Zug herunter.
„Sie trinken aber ganz schön was weg." Bemerkte Finley, der alte Barkeeper und versuchte, einen möglichst interessierten und mitfühlenden Blick aufzusetzen. Ein Barkeeper war auch immer ein Kummerkasten, das wußte er. Manchmal fiel es nicht leicht, aber meistens tat er es sogar gerne für die Leute, die in seiner Kneipe saßen und tranken. Und dieser Gast hier sah wirklich so aus, als hätte er ein gutes Gespräch nötig.
„Nicht reden. Vollmachen." Murmelte Severus knapp. Das letzte, was er jetzt brauchte, war ein redseliger Muggel. Nur widerwillig goß Finley Whiskey nach. Obwohl Severus keine Anzeichen zeigte, daß er bereits zu viel, geschweige denn irgend etwas getrunken hatte, hatte er doch das unbestimmte Gefühl, daß er genug haben mußte.
Die Kneipentür wurde aufgestoßen und Harry kam zur Tür herein. Finley hob eine Augenbraue als er den viel jüngeren Mann sah, jünger zwar, aber in einem ähnlichen Aufzug, wie der Kerl an seiner Theke. Snape blickte sich nicht einmal um, sondern setzte das Glas mit einem Lächeln an die Lippen und stürzte seinen letzten Whiskey herunter.
„Du bist spät, Potter." Das Eis in der Stimme des Mannes, ließ Finley fast das Blut in den Adern gefrieren. Obwohl er nicht das Gefühl hatte, daß einer von den beiden wirklich gefährlich war – nun ja, der jüngere auf jeden Fall nicht – fand er die Szene plötzlich sehr beklemmend.
„Es wäre leichter für mich gewesen, wenn Sie mir gesagt hätten, wo ich Sie finde, statt einfach nur einen möglichst mysteriösen Abgang hinzulegen, Snape!" entgegnete Harry fast genauso kalt. Severus legte ein paar Pfundnoten auf die Theke und sah Finley an. Für einen Moment verlor sich der Barkeeper in den schwarzen Tiefen seiner Augen. So ungewöhnliche Augen, die trotz des vielen Alkohols aber immer noch klar und wach wirkten, hatte er noch nie gesehen.
„Reicht das?" Severus' Stimme schnitt sich unsanft in die Trance des alten Mannes. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Theke und nickte. Mit einer raschen Drehung rutschte Severus von seinem Barhocker herunter und deutete Harry mit einer knappen Kopfbewegung an, ihm zu folgen.
Die Muggel in der Kneipe sahen den beiden Männern mit ihren wehenden Umhängen verwirrt nach, einige atmeten erleichtert auf.
„Wie lautet Ihre Entscheidung, Potter?" fragte Severus, als sich die Kneipentür hinter ihnen geschlossen hatte. Es war bereits dämmrig und Severus wollte wieder zurück in Hogwarts sein, bevor es endgültig dunkel war. Wieder einmal verfluchte er, daß man nicht direkt ins Schloß apparieren konnte, das hätte ihm zumindest den Weg von Hogsmaede ins Schloß erspart.
„Sagen Sie Dumbledore, daß ich noch Bedenkzeit brauche und Hedwig in den nächsten Tagen mit einer Antwort zu ihm schicken werde." Severus funkelte den jungen Mann wütend an und in diesem Moment war diese Wut nicht gespielt, nicht gegen sich selbst gerichtet. Severus stellte erstaunt fest, daß Harrys Worte ihn tatsächlich wütend machten.
„Das ist ja mal wieder typisch!" knurrte er und seine Stimme klang in diesem Moment wirklich bedrohlich.
„Die Welt liegt in Trümmern, aber der berühmte Mr. Potter braucht erst Bedenkzeit, ob er sich durchringen kann, seinem geliebten Schnatz Lebewohl zu sagen und mal wieder der Retter der Welt zu werden." Harry ballte die Hand zur Faust.
„Es bleibt dabei!" fauchte er zurück. „Es wird heute keine Antwort von mir geben." Mit einer raschen Bewegung strich Severus sich die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht.
„Sie verschwenden also ernsthaft meine kostbare Zeit, Potter, und glauben, daß sei so in Ordnung? Im Gegensatz zu Ihnen habe ich Verpflichtungen, die ich ernst nehme und einhalte." Mit diesem Worten wandte er sich von Harry ab und schritt in der fortschreitendes Dämmerung davon. Dann war er mit einem Mal verschwunden.
Harry blickte beschämt zu Boden. Wieso hatte er nur das Gefühl, daß Snape schon wieder recht gehabt hatte?
Im selben Moment tauchte Severus in Hogsmaede wieder auf. Er hatte gewußt, daß diese Begegnung mit Harry - eine der persönlichsten, die sie beide je gehabt hatten - nicht spurlos an ihm vorüber gehen würde, aber eigentlich hatte er geglaubt, der einzige Haß, den er an diesem Abend fühlen würde, wäre wie immer der gegen sich selbst.
Statt dessen kochte er vor Wut über Harrys Verhalten. Er war schon als Junge mehr als eigensinnig und oftmals verantwortungslos gewesen, aber konnte man denn wirklich nicht von ihm verlangen, daß er einmal den Ernst der Lage erkannte und sich selbst hinten anstellte? Warum brauchte er immer erst Bedenkzeit, mußte immer einen spektakulären Auftritt als Retter der Welt haben?
Severus lächelte bitter. Weil alle ihn dazu gemacht hatten und er, als der einzige, der dem entgegen gesteuert hatte, war eine verschwindend kleine Komponente gewesen.
Vermutlich hätte er sich von Dumbledore niemals dazu überreden lassen sollen, auf Harry zu verzichten. Er hätte Dumbledore die Wahrheit sagen und Harry nach Hogwarts holen sollen.
Vieles wäre dann heute anders gewesen.
Oder auch nicht. Severus wußte, über das Hätte und Könnte nachzudenken, war eine mehr als brotlose Sache, die zu nichts führte außer einer weiteren Nacht, in der er von seinen Geistern gejagt wurde.
Als er die Eingangshalle des Schlosses betrat, kam ihm Hermine Granger gerade aus dem Kerker entgegen. Auch sie sah nicht besser aus als der Lehrer für Zaubertränke, was insofern kein Wunder war, da sie beide die selbe Zeit an der selben Sache arbeiteten. Severus schürzte ein wenig die Lippen.
Wenn ihm vor ein paar Jahren noch jemand gesagt hätte, daß er eines Tages Hermine Granger, die hoffnungslose Alleswisserin, bitten würde, nach Hogwarts zurückzukehren, um mit ihm an seinen Forschungen zu arbeiten, er hätte denjenigen wohl für verrückt erklärt.
Und doch hatte Severus es getan, gleich nachdem sie ihr Studium an der magischen Universität in London in Rekordzeit und mit Auszeichnung bestanden hatte. Ein solch geniales Gehirn wie das von Hermine Granger. Er hatte bei aller Abneigung gegen Hermine – wenn er überhaupt welche empfand – gar nicht anders handeln können.
Sie blickte auf und als sie ihn sah, lächelte sie ein wenig. Er wußte, als Schülerin hatte sie ihn verachtet wie alle seine anderen Schüler auch, aber seit sie mit ihm zusammen arbeitete, schien sie bemüht zu sein, eine gute Seite an ihm entdecken zu wollen, irgendeinen Grund, um ihn zu mögen und nicht zum ersten Mal fragte Severus sich, warum sie das unbedingt wollte. Warum konnten manche Leute nicht einfach den professionellen Abstand einhalten, den er hielt?
Severus schlug die Augen nieder. Vermutlich, weil Gefühlskälte nichts mit professionellem Abstand zu tun hatte und hier keiner außer ihm ein solcher Eisklotz war.
„Was hat er gesagt?" fragte Hermine, als sie ihn erreicht hatte und er konnte die Aufregung aus ihrer Stimme heraushören, auch wenn sie versuchte, sie zu überspielen.
„Nun, wie es aussieht, bevorzugt Mr. Potter mal wieder einen spektakulären Auftritt." Hermine biß sich auf die Lippen. Severus' Stimme war so kalt und voller Verachtung, sogar für ihn war das in der letzten Zeit selten gewesen. Was auch immer Harry getan hatte, er hatte damit in Severus alle seine Abwehrreaktionen gleichzeitig hervorgerufen.
„Und das heißt?" hakte sie nach. Severus fuhr herum und funkelte sie wütend an.
„Das heißt, daß er mich erst stundenlang auf seine Antwort hat warten lassen, um mich dann ohne Antwort zurück zu schicken. – Gerade so, als hätte ich nichts Besseres zu tun, als den ganzen Tag darauf zu warten, ob der Herr sich nun nach Hogwarts bequemen möchte oder nicht." Emotionen. Hermine hörte und sah sie. Sie waren versteckt unter einer dicken Eisschicht, aber sie waren da und das ausgerechnet, wenn er von Harry sprach.
Harry Potter, der Junge, von dem sie alle behaupteten, daß Snape ihn mehr haßte als jeden anderen auf der Welt. Und doch machte es ihm scheinbar etwas aus, daß Harry sich nicht sofort entschieden hatte, sich in den Dienst der Zaubererwelt zu stellen.
Severus klang... Hermine blickte ihn überrascht an, doch er wich ihrem Blick aus. Ja... er klang enttäuscht. Gerade so, als hätte er von Harry mehr erwartet.
„Ich werde Dumbledore Bericht erstatten und komme dann wieder hinunter ins Labor." Beendete er das Gespräch knapp und ließ Hermine in der Eingangshalle stehen.
Hermine strich sich ein wenig verwirrt über die widerspenstigen Locken und blickte Severus nach. Irgendwie gefiel er ihr heute abend gar nicht.
„George! Fred!!" donnerte Severus durch den Kerker, daß sogar die Weasley Zwillinge vor Schreck zusammen zuckten. Ein kaum merkbarer Hauch von Röte hatte sich über das Gesicht des Zaubertrankmeisters gelegt und er fixierte die beiden jungen Männer mit wütend funkelnden Augen. Sofort verschwand das Grinsen von Freds Gesicht und George ließ betreten die Zeitung sinken, die er seinem Bruder gerade voller Begeisterung gezeigt hatte. Die Hexenwoche mit einem umfassenden Rundumbericht über die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Spaßzauberei.
„Ich wäre Ihnen beiden wirklich sehr verbunden, wenn das auch mit weniger Radau vonstatten ginge. Für solchen Unsinn haben Sie Ihre Feierabende!" knurrte er weiter und wandte sich sofort wieder seinem Kessel zu, in dem eine tiefgrüne Flüssigkeit stetig vor sich hinblubberte. Er hörte sehr wohl, daß Fred etwas murmelte wie:
„Von welchen Feierabenden spricht der Sklaventreiber?" aber er reagierte nicht darauf. Fast tat es ihm leid, daß er so ausfallend geworden war, denn ihm war natürlich klar, daß Fred und George nur mal wieder versucht hatten, die gedrückte und angespannte Stimmung im Labor etwas zu heben, aber Severus war noch immer zu wütend und aufgebracht und er suchte nach einem Ventil, über das er diese Wut ablassen wollte. Die beiden Weasleys waren wohl nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.
Aber Severus Snape wäre nicht er selbst gewesen, wenn es ihm wirklich leid getan hätte. Der kurze Anflug von Reue war so schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war. Das einzige, was ihm leid tun mußte, war der Tag gewesen, an dem ihn der Wahnsinn geritten und dazu gebracht hatte, Fred und George Weasley mit an Bord zu holen, als Dumbledore ihm den Auftrag erteilt hatte, ein Team zusammen zu stellen, das im Auftrag von Hogwarts, des Zaubereiministeriums und der Regierung der Muggel an wirksamen Maßnahmen gegen die Zauber und Untaten des Dunklen Lords arbeiten sollte.
Seufzend warf er einen verstohlenen Blick über seine Schulter. Eigentlich hätte es für ihn gar nicht schlimmer kommen können. Granger, die Alleswisserin, die ständig Unheil stiftenden Zwillinge Fred und George Weasley und zu guter letzt der über alle Maßen korrekte und penible Percy Weasley, fast noch der schlimmste von seinen vier Mitarbeitern, wenn er nicht gerade wie jetzt einfach mal gar nichts sagte, sondern zufrieden vor sich hingrinste.
Aber alle vier waren persönlich von ihm ausgesucht, weil sie alle vier die Fähigkeiten, den Verstand und die nötige Überzeugung und Zähigkeit mitbrachten, die diese Aufgabe von ihnen forderte. Und es wäre Severus nicht einmal im Traum eingefallen, sich wirklich über sie zu beklagen, auch wenn jeder auf seiner Weise dem Eigenbrötler und Einzelgänger, der er nun einmal war, regelmäßig auf die Nerven ging. Sie waren wertvoll und unersetzbar für ihn, auch wenn er es ihnen nie zeigte.
Hermine ihrerseits beobachtete Severus seit seiner Rückkehr aus London am frühen Abend mit Adleraugen. Sie hatte sofort erkannt, daß etwas nicht mit ihm stimmte und dieser Eindruck verstärkte sich von Minute zu Minute, als sie ihm nun beim Arbeiten zusah.
Zaubertränke, ihre Zubereitung und Entwicklung, das war Severus Snapes Leben und niemals war er halbherzig oder sogar unaufmerksam, wenn er einen Trank zubereitete und doch war ihm sein Trank an diesem Abend bereits einmal angebrannt und insgesamt dreimal übergekocht.
Fred und George mochten das einfach nur witzig finden, weil Severus sonst unfehlbar war, aber ihr machte das Sorgen.
Severus zog den großen Löffel aus dem Kessel mit dem Trank und wischte ihn fast liebevoll trocken. Dann rieb er sich über die von zu wenig Schlaf dunkel umrahmten Augen und wandte sich zu den vier um.
„Macht Schluß für heute, wenn ihr wollt." Ohne ein weiteres Wort ging er nach nebenan in seine Privaträume.
„Perfekt!" freute sich Percy und räumte seine Gerätschaften so schnell wie möglich weg. „Penny wird begeistert sein, daß ich heute endlich mal nicht mitten in der Nacht erst zurückkomme." Hermine lächelte ihm kurz zu, während Fred und George ihren älteren Bruder in gewohnter Manier nachäfften, doch ihre Aufmerksamkeit blieb nicht bei den drei Brüdern und dem üblichen Streit, der zwischen Percy und den Zwillingen über die Neckerei entflammte.
Hermines Blick wanderte in Richtung der Tür, hinter der Severus verschwunden war. Und sie fragte sich, ob sie vielleicht einfach hingehen und anklopfen sollte. Doch dann verwarf sie die Idee. Es war doch albern, vermutlich würde sie sich nur wieder eine saftige Abfuhr holen. Und ein verfrühter Feierabend und die Aussicht auf eine Nacht mit mehr als drei Stunden Schlaf, waren einfach zu schön, um sich jetzt noch die Laune verderben zu lassen.
Oder?
Percy und Penelope saßen gemeinsam in einem der großen Sessel. Penny hatte einen seligen Ausdruck auf dem Gesicht und war scheinbar zufrieden mit der Welt und auch Percy strahlte große Zufriedenheit aus.
Neben den beide saß Albus Dumbledore, in seiner Hand hielt er einen großen Kristallkelch mit Wein und unterhielt sich angeregt mit Fred und George, die nun wieder über ihre Zeitung gebeugt waren und die anderen im Kaminzimmer von den großartigen neuen Erfindungen überzeugen wollten. Außer Dumbledore und den Mitgliedern des Forschungsteams waren auch noch Professor Sprout, Professor Hooch und Hagrid anwesend. Der Rest der Lehrer war bereits in die Ferien gefahren, die vor wenigen Tagen erst begonnen hatten.
Während die anderen sich scheinbar alle gut amüsierten und unterhielten, saß Hermine stumm mit einem Buch auf den verschränkten Beinen in einem Sessel vor dem Kamin und grübelte. Severus war mal wieder nicht da.
Den anderen fiel das selbstverständlich nicht auf, denn Severus Snape war ein selten gesehener Gast bei ihrer abendlichen Runde, doch Hermine wußte, daß er für gewöhnlich wenigstens kurz vorbei sah, wenn er nicht noch im Labor arbeitete. Und das tat er heute nicht.
Seine merkwürdige Stimmung nach seiner Rückkehr, die Unkonzentriertheit und jetzt zog er sich auch noch von ihnen allen zurück, statt sich eine Auszeit zu gönnen wie sie alle hier... er mochte zurückgezogen und mürrisch sein, aber das war selbst für den großen Meister der Zaubertränke und im eiskalten abblitzen lassen beunruhigend.
Die orange-gelben Flammen im Kamin hüpften fröhlich auf und ab und malten lebhafte Lichtspiele auf Hermines Gesicht, deren Miene sich mit einem Mal von besorgt in entschlossen wandelte. Gleich morgen würde sie mit Severus reden. Sie würde schon einen Grund finden, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Und wenn sie ihn erst einmal so weit hatte, dann würde sie es auch schaffen, ihn so weit zu bringen, daß er freiwillig erzählte, was ihn bedrückte.
Hermine klappte ihr Buch zu und lächelte.
„Wer es glaubt, wird selig!" dachte sie. Der letzte Mensch auf Erden, der irgendwem genug trauen würde, um ihm das Innerste seiner Seele anzuvertrauen, war wohl Severus Snape.
Langsam entknotete sie ihre Beine und stand auf. Ihr rechter Fuß war eingeschlafen und kribbelte unangenehm. Die anderen sahen sie an.
„Ich werde schlafen gehen." Erklärte sie, auf die fragenden Blicke antwortend.
„Träum von mir, meine Süße!" rief Fred hinter ihr her, als sie schon auf dem Weg in Richtung Tür war und Hermine zwinkerte ihm zu.
„Von wem sonst?" Sie hob kurz zum Abschied die Hand und schloß dann die Tür hinter sich. Ihr Lächeln hielt sich noch einen Moment, doch dann fiel es von ihr ab. Sie war zu müde und machte sich einfach zu viele Sorgen, da konnte selbst Fred sie nicht aufheitern.
Langsam stieg sie die Stufen zu ihrem Schlafzimmer hinauf und wieder einmal war sie mehr als froh, daß sie nicht mehr bis hinauf in den siebten Stock mußte wie noch zu ihrer Schulzeit – aber da war sie ja auch nie so müde und kaputt gewesen, nicht einmal in ihrem höllischen dritten Schuljahr.
Vor ihrer Tür angekommen murmelte sie einen Zauber, um das Schloß zu öffnen und betrat den dunklen, kühlen Wohnraum. Nach einem weiteren Spruch wurde der Raum in ein sanftes Licht getaucht und Hermine öffnete den Verschluß ihres dunkelblauen Umhanges, der achtlos auf den Boden glitt. Sonst neigte sie nicht dazu, ihre Sachen achtlos auf den Boden zu werfen, aber sie sehnte sich nach etwas Ruhe und ihrem Bett. Aufräumen konnte sie morgen auch noch.
Ihr Blick fiel auf den kleinen Lesetisch neben ihrem Sessel und sie hob verärgert die Augenbrauen. Sie hatte ihre Aufzeichnungen im Kerker liegen lassen. Einen Moment zögerte sie, doch dann entschloß sie sich, daß sie wohl oder übel noch einmal in den Kerker mußte, um sie zu holen, wenn sie das ganze, wie sie eigentlich geplant hatte, vor dem morgigen Tag noch einmal durchgehen wollte. Aber erst brauchte sie eine heiße Dusche.
Fünfzehn Minuten später tappte Hermine in ihrem Flanellpyjama und in Hausschuhen hinunter in den Kerker. Sie hoffte, daß sie niemand unterwegs sehen würde, aber da ja so gut wie niemand mehr im Schloß war, war die Wahrscheinlichkeit wohl eher gering.
Die Tür zum Klassenzimmer für Zaubertränke knarrte leise und Hermine hielt für einen Augenblick die Luft an. Bloß nicht Severus wecken. – Zumindest hoffte sie, daß er schlief. Irgendwo tief in ihr hoffte sie, daß vielleicht das alles war, was Severus brauchte. Ein wenig Ruhe, um seine in den letzten Jahren fast restlos aufgezehrten Kräfte wieder aufzutanken.
Ihre Notizen lagen noch immer dort, wo sie den ganzen Tag schon gelegen hatten. Direkt neben ihrer Versuchsapparatur. Manchmal fragte Hermine sich ernsthaft, warum man sie als Superhirn bezeichnete, wenn sie dauernd solche Aussetzer hatte und alles liegen ließ, sogar wenn es direkt vor ihren Augen lag und sie Sekunden vorher noch daran gedacht hatte, daß sie es mitnehmen mußte.
Sie griff nach dem Ordner und hielt inne. Überrascht wandte sie ihren Blick auf die Tür zu Severus' Privaträumen. Die Tür stand offen und es brannte Licht. Das war definitiv nicht normal!
Hermine nahm ihren Ordner und schlich dann immer noch genauso leise auf die offene Tür zu. Aus dem Wohnraum des Zaubertrankmeisters drangen leise Töne einer sehr melancholischen, fast opernhaften Musik an ihr Ohr und wieder war Hermine überrascht, auch wenn sie sich in diesem Moment fast über sich ärgerte.
Severus Snape war auch nur ein normaler Mensch! Natürlich hörte er Musik!
Im Kamin des Raumes brannte ein helles Feuer. Direkt vor diesem Kamin stand ein schwarzer Ledersessel und daneben der gleiche kleine Tisch, den auch Hermine in ihren Räumen stehen hatte. An den Wänden reihte sich ein Bücherregal an das nächste, man konnte fast keinen Zentimeter Mauerwerk mehr erkennen.
Hermine lächelte. Sie mußte gar nicht erst die Titel lesen, um zu wissen, daß es bei weitem nicht nur Bücher über Zaubertränke und schwarze und weiße Magie waren. Severus war bei weitem nicht bloß der Giftmischer, den die meisten in ihm sahen. Auch in vielen anderen Gebieten der Magie und auch in einigen Themen die Muggel betreffend war er durchaus sehr bewandert.
Hermine blickte sich weiter um. An der gegenüberliegenden Wand änderte sich der Inhalt der Regale. Unzählige Fläschchen, Phiolen, Karaffen, Dosen und Tiegel reihten sich aneinander und in ihnen befanden sich Zaubertränke und Pulver in allen Farben und Schattierungen. Die Anordnung dieser Tränke trug eindeutig die ordentliche Handschrift Severus', ein einziger Blick genügte, daß man sich da sicher sein konnte – zumindest, wenn man sich mal die Mühe gemacht hatte, diesem Aspekt Aufmerksamkeit zu schenken. Hermine war sich fast sicher, daß sie die einzige Schülerin von Severus gewesen war, die das jemals getan hatte.
Unterhalb von einem runden Kellerfenster – genau das gleiche Fenster, wie es auch im Klassenzimmer zu finden war – stand ein großer, dunkelbrauner Schreibtisch. Auch auf diesem Schreibtisch herrschte Severus' strenge Ordnung und dahinter türmte sich ein weiteres Regal auf. Doch bevor sie sich auf den Inhalt dieses Regals konzentrieren konnte, fiel ihr Blick auf Severus.
Sie hob überrascht eine Augenbraue. Er war offensichtlich an seinem Schreibtisch über einem Buch eingeschlafen.
Hermine zögerte. Sie wußte nicht so recht, was sie tun sollte. Wenn sie ihn weckte, dann wußte er, daß sie in seinen Privaträumen gewesen war und war vermutlich fürchterlich sauer auf sie, aber andererseits... wenn er die ganze Nacht dort so liegen blieb, war das auch nicht besonders gut für ihn und vielleicht war er dann ja doch froh, wenn sie ihn weckte...
Hermine schluckte und nickte sich dann selbst bestätigend zu. Langsam und vorsichtig, ging sie auf den schlafenden Severus zu und streckte die Hand aus, um ihn wach zu rütteln, als sie wieder stockte. Ein starker Geruch von Alkohol stieg in ihre feine Nase und er kam sowohl von Severus als auch von dem Glas, das neben ihm auf dem Tisch stand. Sie runzelte die Stirn und griff vorsichtig nach dem Kristallglas. Sie schwenkte die Reste der Flüssigkeit und roch daran. Sie rümpfte die Nase.
Das grüne Zeug war offensichtlich eine sehr starke Mischung aus Alkohol und irgendwelchen Kräutern und keinesfalls harmlos, wie sie erst gedacht hatte, als sie es von weitem gesehen hatte. Sie wußte, daß einer der Schlaftränke, die Severus für die Krankenstation braute, eine ähnliche Farbe hatte – aber das war er ganz offensichtlich nicht.
Sie stellte das Glas wieder hin und wandte sich der Flasche zu. Doch sie war unbeschriftet und bot ihr daher nicht die geringste Information über den Inhalt.
Ihr Blick wanderte von der Flasche auf das Buch, auf dem Severus eingeschlafen war und in diesem Moment hätte sie fast vor Überraschung aufgeschrieen. Eine rothaarige Frau, keinen Tag älter als zwanzig lächelte ihr entgegen. Sie hatte ihre Hand auf ihren eindeutig kugelrunden Bauch gelegt.
Hermine kannte diese Frau, da gab es keinen Zweifel. Viele Male hatte sie schon Fotos von ihr gesehen, wenn Harry ihr sein Fotoalbum gezeigt hatte, das Hagrid ihm geschenkt hatte.
Das war Lily Potter, Harrys Mutter! Wieso um alles in der Welt hatte Severus Snape Fotos von Harrys Mutter?
Sie machte einen unbewußten Schritt zurück und stieß dabei unsanft an das Regal hinter dem Schreibtisch. Sofort schreckte Severus auf und wirbelte mit einem wütenden Blick herum.
„Was zur Hölle!" fuhr er sie an. Hermine hob abwehrend die Arme und duckte sich ein wenig weg. Sie wußte auch nicht so recht, was sie in diesem Moment von Severus erwartete, aber sie hatte das Gefühl, in Deckung zu gehen, was das Sicherste.
Severus hielt überrascht inne, als er sah, wer da hinter ihm stand.
„Miss Granger?!" seine Stimme schwankte zwischen Überraschung und Wut und Hermine blickte ihn nur zaghaft an.
„Hätten Sie vielleicht die Freundlichkeit, mir zu erklären, was Sie hier zu suchen haben?!" seine Augen glitzerten kalt und wie so oft lag wieder dieser vertraute bittere und harte Ausdruck auf seinen Zügen.
„Ich...ich..." stotterte sie und kam sich dabei unglaublich blöd vor. Sie fühlte sich wieder wie die Erstkläßlerin, die Severus konsequent ignoriert hatte, nur um Gryffindor keine Punkte geben zu müssen oder wie die Alleswisserin, als die er sie in den kommenden Jahre gerne bezeichnet hatte. Worte, die sie stets sehr verletzt und unsicher gemacht hatten.
„Ich warte!" fuhr er sie ungeduldig an. Sie warf ihm einen fast schon flehenden Blick zu und in dem Moment sah sie in seinen Augen etwas, das ihr gar nicht gefiel.
Severus bemerkte, wie sie ihm in die Augen sah und darin etwas erkannte. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht gefiel ihm nicht. Ihre ganze Anwesenheit gefiel ihm nicht!
„Was ist das für ein Zeug?" fragte Hermine mit gerunzelter Stirn und deutete auf die Flasche auf dem Tisch. Dabei ließ sie seinen Blick jedoch keine Sekunde los. Severus' Haltung versteifte sich noch ein wenig mehr und er kniff die Augen zusammen. Er wirkte wirklich bedrohlich in diesem Moment, doch Hermine hatte mit ihrer neuen Erkenntnis auch neuen Mut gefaßt.
„Ich wüßte nicht, was es Sie anginge, Miss Granger! Erklären Sie mir jetzt endlich, was Sie in meinen Privaträumen zu suchen haben und dann machen Sie, daß Sie von hier verschwinden!" Er musterte sie, wie sie vor ihm stand in ihrem Flanellpyjama, mit den nassen braunen Locken, den Hausschuhen an den nackten Füßen und dem gleichzeitig ängstlichen aber auch trotzigen Ausdruck auf dem Gesicht.
Hermine wurde ein wenig rot, als sie merkte, wie er sie von oben bis unten musterte und fluchte innerlich, daß sie sich nicht wenigstens ihren Umhang noch einmal übergeworfen hatte. Sie mußte absolut lächerlich aussehen.
„Ich wollte nur meine Notizen aus dem Labor holen." Setzte sie leise an und suchte dabei wieder seinen kalten Blick. „Ich habe gesehen, daß Licht brennt und wollte daher nachsehen, ob alles in Ordnung ist." Wenn sie gehofft hatte, daß er irgendeine Reaktion zeigen oder vielleicht einen etwas milderen Blick aufsetzen würde, hatte sie sich wohl getäuscht. „Und als ich gesehen hab, daß Sie an Ihrem Schreibtisch eingeschlafen sind, wollte ich Sie wecken, weil..." sie stockte. Severus lächelte kalt und legte den Kopf ein wenig schief.
„Ja, Miss Granger?" Albern! Es gab gar keinen anderen Ausdruck für die Art, wie sie sich gerade vorkam. Sie hätte gehen sollen, wie sie es erst vorgehabt hatte. Jetzt stand sie hier vor diesem Mann – ihrem Kollegen – der sie aber immer noch behandelte, wie eine kleine Schülerin. Und ausgerechnet ihm mußte sie erklären, daß sie es getan hatte,
„Weil ich es gut gemeint hab." Severus lachte. Hermines Blick schoß förmlich nach oben und sie fixierte ihn jetzt ihrerseits mit einem wütenden Blick.
„Nein wie niedlich!" knurrte er, als er schließlich aufhörte zu lachen. „Vielleicht sollten Sie sich eine bessere Geschichte einfallen lassen, als das, Miss Granger.
Ich glaube vielmehr, daß Sie diese Gelegenheit nutzen wollten, Ihre Neugier mal wieder zu befriedigen. Ich hoffe, Sie haben alles gesehen, was Sie sehen wollten. Ich bin mir ziemlich sicher, daß das Ihr letzter Besuch in diesen Räumen war." Hermine schnaubte verächtlich, doch sie fühlte, wie langsam die Tränen in ihr aufstiegen. Sie wußte nicht, was sie eigentlich erwartet hatte, aber sie fühlte sich trotzdem durch seine Worte verletzt, ohne darüber verwundert zu sein, daß er ihr so etwas vorwarf.
„Ich glaube, Sie wissen gar nicht, was Sie da eigentlich reden." Gab sie leise zurück und sah, wie es in seinen Augen aufblitzte.
„Was auch immer das für ein Zeug ist, daß Sie da getrunken haben, Severus, es hat Ihre Sinne vollkommen vernebelt." Severus ballte die Hände an seinen Seiten zu Fäusten und funkelte Hermine noch wütender an als bisher schon.
„Raus!" preßte er hervor, doch Hermine wich keinen Zentimeter. Sie sah ihn an und er erkannte das Mitleid in ihren Augen. Er konnte sich noch zu gut an solche Mädchenaugen erinnern. Damals, vor vielen Jahren, in seinem dritten Jahr als Schüler in Hogwarts, hatte er viele solche Augen gesehen.
„Ich glaube, es wäre besser, wenn Sie mit jemandem reden würden, statt sich zu betäuben." Hermine hatte zwar nicht den blassesten Schimmer, warum sie nicht einfach still war und ging, wie er wollte, aber sie hatte einfach das Bedürfnis, nicht still zu sein. Sie hatte das Gefühl, daß genau das der Fehler war, den sie alle immer machten. Sie waren still, wenn es um Severus ging. Den merkwürdigen und unfreundlichen Severus.
„Raus!" wiederholte er und diesmal machte er noch einen deutlichen Fingerzeig in Richtung Tür. Hermine schüttelte sacht den Kopf, blickte ihm noch einen Moment lang fest in die Augen und drehte sich dann um, um das Büro zu verlassen. Bevor sie die Tür hinter sich zuzog, fing sie seinen bebenden Blick noch einmal auf.
„Das sind keine leeren Worte, Severus. Ich habe wirklich kein Interesse daran, Sie auszuspionieren. Und ich bin für Sie da, falls Sie es sich überlegen." Er wandte ihr demonstrativ den Rücken zu und Hermine schloß die Tür.
In einer Kurzschlußreaktion griff er nach dem Glas und schleuderte es mit einer ernormen Wucht gegen die Wand. Ein feiner Glasregen prasselte auf den Fußboden nieder, doch Severus fühlte sich nicht erleichtert. Noch immer bebte er vor Zorn, aber wieder einmal spürte er, daß es mehr ein Zorn auf sich selbst war.
Was wollte Hermine nur von ihm? Warum war sie so nett, seit sie wieder in Hogwarts war? Und warum hatte er nur wirklich den Wunsch, mit ihr zu reden?
Sein Blick wurde weicher, als er auf das Bild auf der aufgeschlagenen Seite des Fotoalbums sah. Sanft berührte er es mit seinen kalten, weißen Fingern und der Hauch eines Lächelns trat auf seine Lippen.
Lily...
Und im nächsten Moment war nichts mehr da, außer Verzweiflung.
Hermine rannte fast den gesamten Weg zurück zu ihren Zimmern. Ihre Gedanken überschlugen sich und riefen jede einzelne Sekunde, jedes Bild dieser Begegnung wieder zu ihr zurück, um es noch einmal vor ihrem inneren Auge ablaufen zu lassen.
In ihrem Zimmer angekommen, schloß sie die Tür hinter sich und lehnte sich heftig atmend dagegen. Es war eine Droge gewesen. Seine Augen konnten so schwarz sein wie sie wollten, sie hatte die geweiteten Pupillen gesehen.
Aber was war das für ein Zeug und wie lange trank er es schon?
----------------------------------------------
Author's Note:
So, das war jetzt also das erste Kapitel. Ich bin wie immer auf Meinungen gespannt *g*. Tja, zu sagen hab ich noch nicht sonderlich viel, aber macht zur Abwechslung auch mal nichts ^_~
Leu de Nox: Sollte sie wirklich eine Mary Sue geworden sein, hab ich auf ganzer Linie versagt. Egal wie, ich schwöre, daß ich bis auf ein Kapitel, das ich ihr dann doch gönnen mußte, das Hauptaugenmerk eigentlich immer auf Severus (und Hermine) gerichtet hab. Der OC war eigentlich nur Mittel zum Zweck, aber niemals der Zweck an sich *gg*
Tinuviel: Ich denke, ich war nicht wesentlich netter,
dazu fehlt mir einfach die Fähigkeit ;o). Der Hauptunterschied ist wohl, daß
es kein furchtbar tragisches Ende gibt wie beim Giftmischer...
Die Liebesszenen... ja waren schon ein paar Stunden. Manche hab ich auch dreimal
umgeschrieben und das mache ich sonst eigentlich wirklich nie, meistens handhabe
ich das so, daß was geschrieben ist, auch geschrieben bleibt und nicht
großartig verändert wird ^_~
Die zweite von Mandragora find ich persönlich besser als die erste, allerdings
war das auch die erste von den beiden, die ich gekauft habe, von daher behaupte
ich nicht, daß mein Urteil wirklich objektiv ist *gg*... das war so ein
Zufallskauf beim Mediamarkt. Klein Silent geht da hin und will unbedingt ne CD
kaufen, ohne zu wissen welche. 2 Stunden später steht sie mit ihrem entnervten
Freund an der Kasse, der CD-Spieler zum Probehören raucht, da unzählige CDs
angespielt wurden, und kauf "A Whisper Of Dew" *g*
Ich weiß auch nicht, warum sie im Büro stehen *lol*... ich sollte es wissen
oder? *grübel*
Den Satz sagt Cho. Muß ich glatt nochmal drüber gehen, wenn das nicht
eindeutig ist...
Wow, das ist ein toller Name, ich war leider ein wenig zu fantasielos, aber ich
mag meinen inzwischen ^_~
Severin: Da isser! *fg* Und von jetzt an ist er auch (fast) immer der Mittelpunkt des ganzen... ich muß dich wohl vorwarnen, Harry kriegt's noch öfter ab im Laufe der Geschichte *kleiner Sadist ist g*
Java: Ja, der Prolog war herrlich fies oder? Kein Sev, keine wirkliche Info, nur ne Trennung. Aber von jetzt an kommen ja die ganzen laaaangen Kapite, ich denke, da wird man sich irgendwann zu dem süßen, kleinen Prolog zurücksehnen *hähä*
DinoGirl: Egal, ich freu mich, daß du dich jetzt
entschlossen hast, zu reviewen *freu* (ich geb ja zu, ich reviewe auch nicht
alles, was ich toll finde, obwohl ich es mir immer wieder vornehme *schäm* -
Aber ich besser mich schon *g*)
Ich hoffe, es gefällt dir auch weiterhin und ich hör nochmal von dir :o)
cat-68: Dauert zwar noch viele, viele Seiten, aber Harry wird es erfahren... ich glaube, es war in Kapitel 11, bin mir aber gerade nicht sicher (ich bin mit meinen Gedanken schon wieder in einer ganz anderen Story, das Erinnern macht einem da Schwierigkeiten *g*)
little-lotte: Hm, also mein eigener Eindruck ist, daß es
vom Stil her schnell wieder nicht mehr "anders" ist, sondern wieder
nah an den Giftmischer rankommt. Vielleicht liegt es daran, daß der Anfang
(also der Prolog und das 1. Kapitel wohl auch noch) noch recht
"emotionsfrei" ist, keine Ahnung *g*
hey, ich hab doch gesagt, wenn was nicht gefällt, darf es ruhig gesagt werden,
ich hab damit keine Probleme. Ich hab auch schon tolle Stories gelesen und die
Fortsetzung hat mir dann nicht mehr gefallen bzw. nicht mehr so gefallen. Ich
denke, das ist ganz normal.
Bei Cho hab ich lange gegrübelt, weil sie auch nicht so unbedingt mein Liebling
ist, aber ich wollte auf keinen Fall einen zweiten OC (als Lebenspartner eines
Original Charakters) und Ginny hatte ich anders
verplant, da blieb eigentlich nur Cho. Aber sie kommt jetzt eine sehr lange Zeit
nicht in die Geschichte zurück. Erst am Ende taucht sie wieder auf *g*
Vielleicht gefällt es dir ja doch noch, ich hab da noch Hoffnung *knuddel*
So, das war es soweit. Ich hoffe, ich kann meinen Donnerstag-Rhythmus weiterhin beibehalten, aber ich verspreche es besser nicht. *g* Ein paar kennen ja schon meine Probleme mit Terminen ;o)
bye
SilentRose
