Kapitel 6:
Gib mir deine Hand!
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Sie kannte den Ort, die Geräusche, die Gerüche. Obwohl sie nichts sah, alles um sie herum in eine undurchdringliche Finsternis getaucht war, wußte sie doch genau, wo sie war.
Ein Schauer lief ihr über den Rücken und die feinen Härchen auf ihren Armen stellten sich auf. Hilflos schlang sie ihre Arme um ihren Oberkörper. Wärme suchen, wo keine war.
Wieder auf dem Markt, wieder an dem Tag, an dem alles begonnen hatte, gar kein Zweifel. Der Tag, an dem man beschlossen hatte, ihr für immer die Möglichkeit zu nehmen, glücklich zu werden.
Die Sonne kam so plötzlich, daß sie geblendet wurde und ihre Augen bedecken mußte. Für ein paar Sekunden war sie vollkommen blind.
Eiskalte Sonne, auch sie wärmte nicht. Sie tauchte nur alles in ein goldenes Licht, genauso falsch wie der Frieden, den die Szene vor ihr versuchte, ihr vorzugaukeln.
Sie hatte also recht gehabt. Der Markt von Dheli.
„Hab ich nicht gesagt, du würdest mich niemals vergessen?" Sesha fuhr zusammen, als die Stimme durch die Marktgeräusche an ihr Ohr drang, doch nur zögerlich drehte sie sich um. Sie wußte, wer hinter ihr stand. Sie wußte, daß sie ihn nicht sehen wollte.
Aber ebenso wußte sie auch, daß sie ihm nicht entgehen konnte. Nicht hier.
„Und jetzt bist du wieder hier, auf unserem Markt." Der Mann mit den kurzen, schwarzen Haaren und der gleichen dunkleren Hautfarbe wie sie selbst, stand zufrieden grinsend da und fixierte sie mit überlegen blitzenden Augen.
Sie spürte, wie eine nur allzu bekannte Übelkeit von ihr Besitz ergriff. Sie fühlte sie stets, wenn er so überlegen und siegessicher war. Wenn er genau wußte, er hatte sie wieder ans Ende gebracht, sie konnte keinen Schritt weiter.
Sesha straffte trotzig die Schultern. Aber an dem Punkt war sie ja noch gar nicht, also was sollte das!
„Ich bin sicher nicht wegen dir hier, Ran. Das ist alles nur ein dummer Zufall, ein Streich meines Unterbewußtseins." Der Mann, den sie Ran genannt hatte, lachte und sein Lachen klang laut und blechern schallend wider. Viel zu laut, viel zu blechern, nicht menschlich.
„Natürlich bist du das, kleine Sesha. Es dreht sich alles immer nur um mich." Er kam näher auf sie zu und legte seine kalte Hand auf ihre Wange. Sesha wollte zurückweichen, doch ihre Beine reagierten nicht, ihre Knie wurden weich.
„Absolut, ausnahmslos alles." Sesha schloß angewidert die Augen. Seine Berührung, seine Stimme, sein Atem auf ihrer Haut, es war zu viel, mehr als sie ertragen konnte. Sie wollte schreien, um sich schlagen, irgend etwas tun, nur nicht mehr so da stehen und ihn einfach machen lassen. Zu lange war das so gewesen, zu viel hatte sie dafür bezahlt.
„Laß mich sofort los." Preßte sie hervor, doch wieder antwortete Ran nur mit einem kalten Lachen.
„Was sonst? Warum wehrst du dich so gegen das Offensichtliche, Sesha? Warum akzeptierst du nicht einfach, daß ich dich fest in meiner Hand halte? Du könntest es dir einfach machen und dich in dein Schicksal ergeben."
„Du bist nicht mein Schicksal!!" endlich fand sie die Kraft, den Arm zu heben und seine Hand wegzuschlagen, die noch immer auf ihrer Wange lag. Doch diese Kraft verschwand so plötzlich wie sie gekommen war.
Die Hand kam wie in Zeitlupe auf ihr Gesicht zu und trotzdem konnte sie nichts weiter tun, als sie anzusehen. Konnte ihr nicht ausweichen, sie nicht abwehren. Der Schlag traf sie hart und erbarmungslos.
„Wenn du dich da mal nicht irrst!" das kalte blecherne Lachen umgab sie vollkommen. Die Sonne verschwand, die Geräusche versiegten, die Gerüche waren nicht mehr wahrzunehmen in der Dunkelheit, die wieder alles umschlang. Nur das Lachen blieb und Sesha begriff, daß er recht hatte.
Mit einem Schrei fuhr Sesha senkrecht in ihrem Bett auf. Ihr gesamter Körper war schweißnaß und auch das Haar hing in feuchten Strähnen über ihren Schultern. Ihr Atem flog und sie spürte, wie ihr Herz in ihrer Brust raste.
So viele Monate war es jetzt her, daß sie von ihm geträumt hatte. Und noch nie hatte er sich in ihrem Traum mit ihr unterhalten, als wäre er wirklich da. Was hatte das zu bedeuten? Und warum passierte das ausgerechnet gerade jetzt?
Doch Sesha wußte ganz genau, warum sie gerade in dieser Nacht von Ran geträumt hatte. Es gab dafür nur eine Erklärung.
Seufzend schlug sie die Bettdecke zurück und wanderte zum Fenster ihres Schlafzimmers hinüber. Der Morgen war noch weit entfernt und noch immer waren das Schloß und die Ländereien in sanfte, samtige Dunkelheit getaucht.
Nun ja, zumindest manchmal war diese Dunkelheit sanft und samtig.
Es war also noch immer nicht vorbei. Warum hatte sie nur so gehofft, daß sie diese verfluchte Sache im Griff hatte, daß ihr Job hier in Hogwarts in absolut jeder Hinsicht ein Neuanfang sein würde? Hätte sie nur ein wenig weniger gehofft, dann würde sich jetzt dieses furchtbare Gefühl der zerschlagenen Hoffnung nicht ganz so tief in ihr Herz bohren.
Professor Snape, der Mann, den sie bewundert hatte bis zu dem Tag, an dem sie ihn kennen gelernt hatte, der sie gelehrt hatte, ihn zu hassen, wie jeder andere Mensch auf der Welt ihn auch zu hassen schien und der ihr trotzdem heute so gefühlvoll erschienen war. Gefühlvoll und verletzlich und irgendwie, ja man konnte fast sagen, bereit dazu, sich auf sie einzulassen, mehr in ihr zu sehen, als nur die kleine, ungewollte Assistentin. Dieser Professor, dieses widerwärtige Ekel, er war der Grund, weshalb alles wieder mit einer ungeahnten Heftigkeit aufbrach.
Sesha fuhr sich nervös durch das feuchte Haar. So konnte man es auch nicht sehen. Er war nicht der Grund, nur der Auslöser. Der Grund war sie selbst.
Sesha hatte sich ausgerechnet in Severus verliebt. Etwas, von dem sie niemals gedacht hatte, daß es möglich sein würde, war einfach so passiert, aus heiterem Himmel. Alles, was sie unbedingt hatte vermeiden wollen, am besten gleich für den Rest ihres Lebens, brach jetzt schon wieder über sie herein.
Er war genau die Sorte Mann, die sie nie wieder an sich heranlassen wollte. Er würde sie verletzen, der ganze Schmerz würde wieder von vorne losgehen. Es war genauso, wie sie es in Erinnerung hatte.
Es mußte aufhören, jetzt sofort, bevor es noch schlimmer wurde.
Doch Sesha hatte so die unbestimmte Ahnung, daß der Schmerz selbst dann kommen würde, wenn sie Severus aus ihrem Leben ausschloß. Zu sehr schlug ihr Herz bei dem Gedanken an den finsteren Professor.
Er hatte ihr heute gezeigt, daß er scheinbar doch nicht vollkommen unfähig war, etwas für einen anderen Menschen zu empfinden, freundlich zu sein, vielleicht sogar die Nähe eines anderen zu genießen, statt ihn immer nur zu mißachten. Und das hatte ausgereicht, daß Seshas Widerstand gegen die Gefühle, die unabstreitbar schon lange da gewesen waren, einfach zusammenfiel wie eine morsche Holzhütte.
Sie wollte nichts lieber, als sich auf diese Gefühle einlassen, aber die Angst in ihrem Kopf, die erbarmungslos schrie, seit sie aus ihrem Traum erwacht war, ließ dies einfach nicht zu. Liebe war zu falsch und trügerisch und hatte es schon einmal fast geschafft, sie für immer zu zerstören. Dieses Mal nicht.
Etwa zur gleichen Zeit verließ auch Severus seufzend sein Bett. Es hatte keinen Sinn, noch mehr Zeit damit zu verschwenden, herumzuliegen, wenn der Schlaf doch nicht zu ihm kommen wollte.
Er warf sich seinen Umhang über und verließ seine Privaträume. Mit einer kurzen Bewegung seiner Hand erleuchtete sich der Klassenraum und ein Feuer entfachte sich unter seinem Kessel.
Vielleicht konnte ihn die Arbeit ein wenig von seinen Gedanken ablenken und von den Schuldgefühlen wegen dem, was er heute getan hatte. Severus lächelte.
Aber es war ein so gutes Gefühl gewesen, so entspannt und warm.
Unwillig schüttelte er den Kopf. Gar nicht gut. Er wußte, wohin das führte. Er kannte diese Gefühle, sie waren nicht neu für ihn. War er auch damals noch ein Junge gewesen, es war doch alles bekannt. Die Pferde waren mit ihm durchgegangen, er hatte sich von seinen Impulsen leiten lassen und dabei war nichts weiter als Verwirrung herausgekommen. Ein heilloses Durcheinander, das er jetzt wieder irgendwie in Ordnung bringen mußte, und er hatte nicht einmal die geringste Ahnung, wie er das tun sollte.
Sesha konnte alles falsch verstanden, alles viel zu ernst genommen haben. Was war, wenn sie jetzt endgültig jedes Interesse an Harry verloren hatte? Was, wenn sie jetzt glaube, er wäre...
Severus wollte den Gedanken nicht zu Ende denken, genauso wenig wie er die kleine Stimme in seinem Hinterkopf hören wollte, die ihm zuflüsterte, daß Sesha noch nie ein Interesse an Harry gehabt hatte und wenn er sich noch so oft einredete, daß er den beiden nicht im Weg stehen durfte. Er konnte nicht im Weg stehen, wenn gar kein Weg da war.
Aber selbst wenn er nicht wegen Harry auf Sesha verzichten mußte, dann doch wegen Lily. Ja, wegen Lily.
Es war mal wieder so weit. Es ging auf die schlimmste Zeit des Jahres zu und dieses Jahr würde es sogar noch schlimmer sein als die zwanzig Jahre zuvor. Dieses Jahr kam er sich wie ein Verräter vor und alles nur, weil er sich nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Alles nur, weil auch er nichts weiter war als ein schwacher, kleiner Mensch. Er konnte doch tun, was er wollte, er würde nie etwas anderes sein.
Wenn doch nur sein Herz endlich schweigen würde.
Mit einem Ruck straffte Severus seine Schultern und seine eisige Maske legte sich über seine Züge. Mochte es doch schlagen, so viel es wollte, wenn er es nicht hörte, brachte es gar nichts.
„Ihre Aufgabe besteht nun darin," erklärte Severus, während er mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor der Klasse auf und ab ging, „sich in kleinere Gruppen zusammen zu schließen und die verschiedenen Teile des Feuerwerks zu erarbeiten, die Miss Shantay Ihnen vorgestellt hat. Ich möchte eine vollständige und fehlerfreie Dokumentation!" Aidans Hand, die fast augenblicklich wie ein Pfeil in die Luft schoß, unterbrach Severus.
„Ja, Miss Duvessa?" Aidan lächelte und Severus mußte kämpfen, keine Miene zu verziehen, als er das Glitzern in ihren violetten Augen sah.
„Wie sieht es mit Versuchen aus? Sollen wir das alles nur auf dem Papier erarbeiten oder wird es auch ein paar praktische Umsetzungsversuche geben?" Sie lächelte noch ein wenig strahlender, obwohl Severus es nicht zu bemerken schien. Sie wußte, daß er es tat, auch wenn er es nicht zeigte. Sie war sich absolut sicher.
„Guter Punkt, Miss Duvessa. – Ich möchte zunächst Ihre Theorien und Dokumentationen haben und sie durchgehen. Erst, wenn ich glaube, daß Sie sauber und fehlerfrei gearbeitet haben, werden Sie die Erlaubnis erhalten, Ihre Ergebnisse praktisch umzusetzen und auch nur, wenn ich dabei bin." Bei diesen Worten funkelten Aidans Augen noch ein wenig mehr, was Severus durchaus nicht entging. Dieses Mädchen zeigte ein mehr als ungesundes Interesse an ihm. Nicht nur die Nacht am See hatte das deutlich gemacht, auch ihr täglicher Umgang mit ihm, wann immer sie sich über den Weg liefen, hatte einen neuen Unterton erhalten. Mit dem Mädchen stimmte eindeutig etwas nicht und Severus glaubte zu erkennen, was los war, auch wenn er es sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte.
Trotzdem hatte er das Gefühl, daß Potters mehr als dummer Vorwurf gegen ihn, gar nicht so komplett falsch gewesen war, wenn man jetzt allein Aidan betrachtete. Sie schien ganz offensichtlich ein eher weniger professionelles Interesse an ihm zu haben.
„Wenn es sonst keine Fragen gibt, dann finden Sie sich bitte jetzt zu Gruppen zusammen. Ich überlasse Sie für den Rest der Stunde Ihrer Arbeit." In der Klasse entstand ein wenig Unruhe, als die Schüler sich zu Kleingruppen zusammen schlossen. Severus beobachtete das Treiben einen Moment lang und setzte sich dann hinter sein Pult, um sich auf die ersten Arbeiten zu konzentrieren, die er in der ersten Klasse hatte schreiben lassen.
Es war Seshas Idee gewesen, die siebte Klasse in das Projekt Feuerwerk zu integrieren. Als eine Art Abwechslung und auch eine Möglichkeit, zum ersten Mal wirklich wissenschaftlich zu arbeiten. Nun war ein Feuerwerk sicherlich keine wissenschaftliche Meisterleistung, aber Severus gab Sesha in dem Punkt recht, daß es für die Schüler wahrscheinlich schon sehr gut war, mal einen kompletten Entwicklungsablauf eines Auftrages durchgemacht zu haben. Schließlich waren einige unter ihnen, die bereits mit dem Gedanken gespielt hatten, in die Dienste des Ministeriums zu treten. Da würde so etwas sicher auch auf sie zukommen, egal in welchem Bereich sie tätig werden würden.
Beim Gedanken an Sesha fühlte Severus, wie sein Hals ein wenig trocken wurde. Beim Frühstück hatten sie sich nur wenige Minuten gesehen und es war ihm so vorgekommen, als habe auch Sesha sich entschieden, daß sie besser gar nicht weiter auf den gestrigen Abend eingingen, so als wäre er gar nicht geschehen. – Aber dennoch, er mußte sich erst sicher sein, daß es auch so war.
„Was tust du da?" flüsterte Aislin Aidan zu. Aidans Augen funkelten verschmitzt.
„Ich bin heute in der Stimmung, ein wenig nachzusitzen, Lin." Gab Aidan zurück und fuhr fort, einige Zutaten zusammen zu mischen, die Aislin sofort als explosive Mischung identifiziert hatte. Aislin kicherte.
„Weißt du, meine Süße, die beiden Turteltäubchen für ein oder zwei Stunden voneinander fern zu halten, wird dir auch nicht die Tür zu seinem Herzen öffnen." Der haßerfüllte Blick, den ihre Freundin ihr zuwarf, gefiel Aislin ausgesprochen gut. Er war vielversprechend, ohne Frage.
„Kommt ganz darauf an, was in dieser Zeit passiert, Aislin." Aislin zog ein wenig mißbilligend die Augenbrauen zusammen. Severus war mit Sicherheit das perfekte Werkzeug, Aidan auf die dunkle Seite zu ziehen, aber trotzdem war Aislin auch immer noch viel zu sehr Aidans Freundin, als daß ihr das hier gefallen würde. Ihre Freundin war kopflos, wenn es um Severus ging. Schließlich brachte sie nicht nur den Lehrer in eine sehr delikate Situation, sondern auch sich selbst. Sie konnte genauso gut dafür von der Schule fliegen wie Severus.
„Du solltest langsam damit anfangen, deinen Kopf wieder zu gebrauchen, meine Liebe." Aidan lachte leise und zog vorsichtig ihren Zauberstab hervor.
„Das tue ich doch gerade, ich weiß gar nicht, was du eigentlich von mir willst." Sie verbarg den Zauberstab vor den Blicken der anderen Schüler und richtete ihn auf die Mischung aus Kräutern vor ihr. „Incendio!" flüsterte sie, ein kleiner Funke entfuhr dem Zauberstab und traf das Gemisch, das sofort mit einem lauten Knall explodierte.
Einige der Mädchen kreischten erschrocken und Snape fuhr mit einem sehr wütenden Gesichtsausdruck aus seiner Konzentration auf. Er brauchte nur Sekundenbruchteile, um den Schuldigen ausfindig zu machen. Aidan sah zwar so aus, als wollte sie es vor ihm verbergen, doch er sah die kleine Rauchfahne, die hinter ihren Rücken verräterisch aufstieg.
„Miss Duvessa!" donnerte er durch den Kerker und Aidan mußte sich alle Mühe geben, erschrocken zusammen zu fahren und den Kopf hängen zu lassen, statt ihn erwartungsvoll anzulächeln.
„Es tut mir leid, Sir." Murmelte sie, doch Severus blieb von der Entschuldigung wie immer unbeeindruckt.
„Zehn Punkte Abzug für Slytherin und Sie werden nach dem Unterricht noch hierbleiben. Für so viel Dummheit gibt es eine Strafarbeit." Aidan ließ den Kopf noch ein wenig tiefer hängen, um ihr zufriedenes Lächeln zu verbergen und nickte. Sie konnte hören, wie die anderen Slytherins unzufrieden vor sich hinmurmelten, weil Severus seinem eigenen Haus Punkte abgezogen hatte, aber das konnte ihr egal sein. Wen kümmerte schon der Hauspokal?
Aislin stand mit verschränkten Armen neben ihrer Freundin und starrte sie immer noch wütend an. Vielleicht war es Zeit, mal wieder etwas zu unternehmen, um Aidan deutlich zu machen, daß ihr geliebter Professor nichts für sie empfand. Ihre Gefühle waren zwar gut und schön und auch nützlich, aber Aislin gehörte nicht gerade zu den geduldigsten Menschen und sie brauchte Aidans Eifersucht und nicht ihre Liebe für den Zaubertränkemeister, um ihr Ziel zu erreichen.
Die anderen Schüler hatten das Klassenzimmer wie immer so schnell wie möglich verlassen. Nur Aidan blieb auf ihrem Platz sitzen und wartete, bis der letzte Schüler zur Tür hinaus gegangen war. Dann stand sie auf und ging nach vorne zum Lehrerpult, wo Severus immer noch voll konzentriert die Arbeiten benotete. Mit einem Wink ihres Zauberstabes schloß sich die Tür zum Klassenzimmer und endlich blickte auch Severus auf. Er blickte Aidan einen Moment lang vollkommen ausdruckslos an und stützte sein Kinn auf seine gefalteten Hände.
„Miss Duvessa, ich würde einiges darum geben, von Ihnen zu erfahren, was eigentlich mit Ihnen in der letzten Zeit los ist. Ich bin ein solches Verhalten von Ihnen nicht gewohnt." Aidan lächelte und setzte sich auf die Kante seines Pultes. Die einzige Reaktion darauf war eine hochgezogene Augenbraue, doch Aidan wußte, das war für ihn sehr viel. Er war verwirrt, das konnte sie praktisch riechen.
„Gefällt es Ihnen nicht?" Ihr Ton war fast schon befremdlich für Severus. Er hatte so etwas vorher noch nie von einer Frau gehört. Doch, in einem Muggelfilm, den er mal in London in einem Kino gesehen hatte.
Aber diese Frau hatte nicht ihrem Lehrer gegenüber gestanden, sondern war Teil einer ganz fürchterlich zuckersüßen Liebesgeschichte gewesen. Das hier war kein Film und keine Liebesgeschichte. Hoffte er zumindest.
„Mit Sicherheit nicht, Miss Duvessa!" er versuchte, seine Stimme so fest wie möglich zu halten, doch er konnte das Zittern hören und hoffte, daß sie es nicht hörte.
„Schade. Ich hatte gehofft, es würde Ihnen gefallen." Severus seufzte und stand von seinem Stuhl auf. Die Ausgangsituation war schon völlig falsch, sie durfte ihn nicht überragen.
„Mir gefallen meine Vertrauensschüler am besten, wenn sie sich wie Vorbilder verhalten, Miss Duvessa. Ihr Verhalten in der letzten Zeit ist allerdings alles andere als vorbildhaft. Erst erwische ich Sie mitten in der Nacht am See, was – wie Sie auch sehr genau wissen – für die Schüler strengstens verboten ist, und jetzt haben Sie auch noch den Nerv mitten in meinem Unterricht irgendwas in die Luft zu jagen. – Es ist mir absolut schleierhaft, wie Sie auch nur auf die Idee kommen können, daß mir so etwas gefallen könnte." Aidan hätte in genau diesem Moment genau hier wo sie stand schmelzen können. Seine Stimme, war sie auch noch so kalt und tadelnd, hatte immer noch den samtweichen Unterton, den sie so liebte und den sie am liebsten den ganzen Tag gehört hätte. Und egal, was diese Stimme auch sagte, es war einfach wunderbar.
„Sie werden nachsitzen, Miss Duvessa." Setzte er erbarmungslos nach, doch Aidan antwortete mit einem Lächeln. Höchst befremdlich, egal, wie man es auch sah.
„Ich hatte gehofft, daß Sie das sagen würden." Langsam rutschte sie von seinem Tisch herunter und ging auf ihn zu. Severus war so verwirrt von seiner Schülerin, daß er im ersten Moment nicht wußte, wie er reagieren sollte. Seine innere Stimme riet ihm, vor ihr zurück zu weichen, sein Stolz jedoch verbot ihm das natürlich. Vor einer Schülerin zurückweichen war das letzte, was ein Severus Snape tun durfte, wenn er weiterhin von seinen Schülern gefürchtet und respektiert werden wollte.
Aber dennoch, wie Aidan jetzt langsam und mit auffällig schwingenden Hüften auf ihn zukam, erschien sie ihm wirklich bedrohlich genug, um zu flüchten. Wenn er nur gewußt hätte, was mit dem Mädchen nicht stimmte.
Aidans Herz schlug ein wenig schneller, als er sich nicht bewegte. War das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Vielleicht mißfiel ihm ihr Verhalten ja doch nicht so, wie er behauptete und er war eigentlich ganz froh, daß sie ihm einen Grund gegeben hatte, sie in der Klasse zurück zu behalten.
Ihre Blicke trafen sich und Aidan konnte die Verwirrung in den tiefen, schwarzen Augen sehen. Es gefiel ihr. Sie fühlte, daß es ein sehr starkes Gefühl der Macht war, wenn sie es schaffte, ihn ernsthaft zu verwirren.
Severus wich auch immer noch nicht zurück, als Aidan direkt vor ihm stand, so daß kaum noch eine Hand zwischen ihnen beiden Platz gehabt hätte. Sein Hirn arbeitete fieberhaft, aber vergeblich und selbst, wenn es welche gegeben hätte, kam doch kein Befehl in seinen Armen oder Beinen oder irgendeinem anderen Körperteil von ihm an, sie abzuwehren oder sich von ihr weg zu bewegen.
Und dann stellte Aidan sich auf die Zehenspitzen. Er spürte ihre Hände auf seinen Schultern, spürte die Wärme, die langsam durch seinen Umhang, seine Jacke und sein Hemd drang und noch bevor er hätte reagieren können, fühlte er die warmen Lippen des Mädchens auf seinen.
Der Schock darüber war so groß, daß Severus endlich wieder handelte. Mit etwas mehr Kraft als nötig stieß er Aidan von sich und wich zwei Schritte zurück. Mit dem blanken Entsetzen in den Augen wischte er sich mit dem Handrücken über die Lippen und starrte das heftig atmende Mädchen vor sich an.
Er konnte in ihren großen violetten Augen sehen, daß auch sie jetzt verwirrt und auch verletzt war. Scheinbar hatte sie nicht mit Ablehnung gerechnet. Aber wie um Himmels Willen hatte sie überhaupt auf diese Idee kommen können? Wann hatte er ihr Anlaß dazu gegeben, zu glauben, er würde sie nicht zurückweisen, wenn sie so etwas versuchte? Himmel, eine Schülerin! Bei Merlin!
„Es ist besser, Sie gehen jetzt, Miss Duvessa, und ich vergesse diese ganze Sache hier." In Aidans Augen blitzte es auf und sie blickte ihn wütend an. Doch sie sagte nichts, starrte ihn einfach noch einen Moment an, bevor sie ihre Sachen nahm und aus dem Klassenzimmer stürmte.
Das war definitiv nicht sein Jahr und es hatte gerade erst begonnen. Erst kehrte Harry zurück, dann die Sache mit Sesha und jetzt auch noch eine Schülerin, die scheinbar vollkommen verrückt geworden war, deren Verrücktheit ihn aber seine Existenz kosten konnte.
Er mußte mit Albus darüber reden. Er mußte es wissen, allein schon, um für alle Fälle vorzusorgen.
Aidan war mürrisch und schweigend in den Gemeinschaftsraum der Slytherins zurückgekehrt und sofort in ihrem Schlafzimmer verschwunden. Aislin ging sofort hinter ihr her, denn egal, was auch passiert war, sie würde es wahrscheinlich ausnutzen können.
„Was ist passiert? Nicht ganz so gelaufen, wie du dachtest?" Aidan warf ihr einen vernichtenden Blick zu.
„Du hast mir gerade noch gefehlt, mit deiner Schadenfreude und diesem ‚Ich hab's dir doch gesagt' Blick." Aislin setzte sich neben Aidan aufs Bett und legte der Freundin sanft die Hand auf den Rücken. Zuerst sah es so aus, als wolle Aidan ihre Hand sofort wieder abschütteln, doch dann ließ sie es doch zu.
„Ich will doch nur für dich da sein, Aidan. Warum betrachtest du mich plötzlich als deine Feindin? Wir waren doch immer füreinander da, egal was der anderen auch passiert ist." Aidan antwortete nicht. Sie konnte Aislin einfach nicht sagen, daß sie einem Todesser einfach nicht vertrauen konnte, egal, wie lange sie schon mit ihr befreundet war.
„Dein geliebter Severus ist nun einmal anderweitig interessiert und du mußt einsehen, daß ein Schulmädchen gegen eine Frau wie diese Sesha wenig Chancen hat." Aidan schnaubte verächtlich.
„Als wäre sie so viel mehr Frau als ich. Sie ist doch gerade mal ein paar Jahre älter, kaum nennenswert." Aislin lachte und tätschelte ihr die Schultern.
„Ja, aber sie ist Wissenschaftlerin und keine Schülerin mehr. Sie steht mit ihm auf einem ganz anderen Level." Zufrieden bemerkte sie, wie Aidan sich ein wenig versteifte. „Aber du solltest dich jetzt nicht darüber ärgern, Aidan, das ist doch totale Zeitverschwendung."
„Wenn du nicht wirklich vorhast, mich zu verstehen oder gar zu trösten, dann wäre ich dir sehr dankbar, wenn du einfach den Mund halten und verschwinden könntest, Aislin! Dumme Ratschläge kann ich mir auch woanders holen." Aislin seufzte und Aidan hörte, wie sie nach ihrem Zauberstab griff.
„Du bist schon seltsam in der letzten Zeit. Aber ich weiß trotzdem immer noch genau, was deine Laune wieder etwas hebt. Voilà." Aislin machte eine elegante Bewegung mit ihrem Zauberstab und im nächsten Moment stand eine Tasse dampfende, heiße Schokolade vor Aidan, in der einige weiße Klumpen schwammen. Beim Anblick der Schokolade und des erwartungsvollen Ausdrucks auf Aislins Gesicht, konnte sogar Aidan in all ihrer schlechten Laune sich ein Lächeln nicht länger verkneifen. Sie versuchte es, und das mußte sie ihr doch irgendwie gutheißen.
Aislin sah Aidan zufrieden dabei zu, wie sie ihre Schokolade trank.
Severus hatte sich definitiv nicht geirrt, Sesha verhielt sich ihm gegenüber sehr distanziert. Nach seiner Begegnung mit Aidan Duvessa im Kerker vor wenigen Minuten, war ihm das zwar nur mehr als recht, aber dennoch hatte er eher vermutet, die junge Frau würde stärker auf seine freundliche Seite eingehen. War es denn nicht genau das gewesen, was sie gewollt hatte? Freundlichkeit? Dennoch war die Antwort auf sein begrüßendes Lächeln, als sie die Große Halle betreten hatte, nichts weiter gewesen, als ein kalter abweisender Blick.
Doch Severus' Gedanken kreisten auch noch viel zu sehr um seine Schülerin, die in diesem Moment mir ihrer besten Freundin die Große Halle betrat und sich am Tisch der Slytherins niederließ, um sich gerade jetzt über Sesha größere Gedanken zu machen. Gleich nach dem Essen würde er Dumbledore um ein Gespräch bitten, um ihm die verworrene Sache zu erklären. Der Direktor konnte ihm sicherlich helfen, er wußte immer einen Rat, sogar in den schwierigsten Situationen noch.
Aidan fühlte wieder eine seltsame Schwere in ihrem Kopf, als sie gemeinsam mit Aislin die Große Halle betrat. Das passierte ihr in der letzten Zeit recht oft und es bereitete ihr längst keine Sorgen mehr, auch wenn sie noch immer nicht wußte, was der Grund dafür war. Es war am nächsten Morgen spätestens vorbei. Immer. Es war eine weitere unwichtige Kleinigkeit, für die sie absolut keine Zeit hatte auf dem wichtigen Weg zu ihrem Ziel.
Lächelnd blickte sie auf und ließ ihren Blick über den Lehrertisch schweifen. Sesha und Severus saßen heute auffällig weit auseinander, stellte sie zufrieden fest, doch im nächsten Moment zerfiel diese Zufriedenheit in Staub. War das ein Zwinkern gewesen? Sie schüttelte den Kopf und faßte sich an die Stirn. Ein leichter Kopfschmerz pochte hinter ihren Schläfen, ein mehr als enervierendes Gefühl. Ihr Blick verschwamm ein wenig, doch sie durfte den pochenden, dumpfen Schmerz jetzt nicht gewinnen lassen. Sie mußte wissen, ob sie richtig gesehen hatte. Ob Severus dieser Frau wirklich zugezwinkert hatte. – Das war doch praktisch unmöglich. Nicht Severus!
Und wirklich, als sie jetzt wieder zum Lehrertisch hinaufblickte, zwinkerte Severus wirklich nicht, doch was sie sah, war mindestens genauso schlimm. Sie wußte nicht, ob er glaubte, daß es niemand bemerkte, aber sie sah die flirtenden Blicke, die er der jungen Lehrerin zuwarf und sie fühlte, wie ihr etwas heftig ins Herz stach.
„Willst du ewig da rumstehen, Aidan?" Aislins Stimme brachte sie für einen Moment wieder in die Realität zurück, aber nur so lange, bis sie sich an den Tisch gesetzt und ihren Teller zu sicher herangezogen hatte. Während sie mit ihrer Gabel in ihrem Essen herumstocherte, ohne auch nur einmal hinzusehen, fixierte sie ihren immer noch ein wenig vernebelten Blick auf Severus und Sesha.
Wie konnte er nur? Ihre Eifersucht peitschte rasend in ihr hoch und ganz unwillkürlich stach sie ein wenig zu heftig mit ihrer Gabel in ein Stückchen Fleisch auf ihrem Teller.
Aislin hielt ihren Blick auf ihren eigenen Teller gerichtet, doch sie war zufrieden und grinste still vor sich hin. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, was genau ihre Freundin wohl gerade sah. Sie mußte endlich eine Möglichkeit finden, den Zauber so zu modifizieren, daß sie das Schauspiel einmal selbst mit anschauen konnte. Das würde sicherlich noch viel spaßiger sein als Aidans Reaktion allein. Für einen kurzen Moment folgte sie den vor Wut blitzenden Augen ihrer Freundin, doch für sie saßen Severus und Sesha einfach nur jeder mit einem mehr oder weniger düsteren Ausdruck auf dem Gesicht vor ihren Tellern.
„Severus, das ist aber eine Überraschung. Ich war gerade auf dem Weg ins Kaminzimmer. Möchtest du mich vielleicht begleiten?" Severus schüttelte knapp den Kopf und Albus konnte an der verbissenen Miene des Zaubertrankmeisters sehen, daß ein mehr als ernster Grund ihn in sein Büro geführt hatte. Das verschmitzte Grinsen verschwand für einen Moment vom Gesicht des Direktors, als er nickte, als Zeichen, daß er verstanden hatte und auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch deutete.
Severus setzte sich, doch es war eine der seltenen Gelegenheiten, in denen dieser unverschämt bequeme Stuhl seinen angespannten Muskeln keine Entspannung bot.
„Was gibt es also?" fragte der Direktor mit gewohnt warmer Stimme und Severus atmete tief durch, um sich zu sammeln. Wie brachte er dieses Anliegen am besten vor? Nicht, daß er schon einmal etwas ähnliches erlebt hatte. Weiß Gott, er nicht!
„Albus, ich fürchte, ich habe ein ernsthaftes Problem mit einer Schülerin." Albus lächelte und stützte sein Kinn auf seine gefalteten Hände.
„Ein so schwerwiegendes Problem, daß du es nicht alleine lösen kannst, Severus? Ich hätte nicht geglaubt, daß ich das auf meine alten Tage noch erleben würde." Severus warf dem Direktor einen düsteren Blick zu.
„Die Sache ist sehr ernst, Albus. Ich glaube zwar, daß ich es auch alleine lösen könnte, wenn es sein muß, aber ich habe so das unbestimmte Gefühl, daß du davon wissen mußt, schon aus Gründen meiner eigenen Sicherheit." Albus runzelte die Stirn.
„Ich... ich habe das Gefühl, daß meine Schülerin Aidan Duvessa ein... wie soll ich es sagen? Ein romantisches Interesse an mir hegt." Severus hatte erwartet, daß Albus lachen würde. War das nicht genau die Stelle, an der jeder vernünftige Mensch ihn auslachen mußte? Wenn ausgerechnet er, der widerwärtige, unattraktive, unfreundliche Professor Snape den Verdacht hegte, ein junges, hübsches, intelligentes Mädchen, das noch sein ganzes Leben vor sich hatte, könnte sich wirklich in ihn verliebt haben.
Doch Albus lachte nicht. Albus' Miene verfinsterte sich. Scheinbar glaubte er ihm.
„Wie äußert sich das, Severus?" fragte der Direktor und in seiner Stimme schwang nicht wenig Besorgnis mit.
„Erst hab ich es für harmlos gehalten. In der ersten Nacht des Schuljahres habe ich Miss Duvessa am See erwischt. Sie war in dieser Nacht sehr merkwürdig, schien keine Angst vor mir zu haben, so wie die Schüler es sonst gewöhnlich tun. – Aber ich habe das noch nicht zu ernst genommen, sondern hab ihr einfach ihre Strafe mitgeteilt. Damit war die Sache für mich erledigt. Heute nach dem Unterricht allerdings..." Severus' Gedanken trugen ihn einige Stunden zurück in seinen Klassenraum und ganz unwillkürlich brach er seine Erzählung ab. Wenn das doch nicht alles so absolut verrückt wäre!
„Erzähl weiter, Severus." Forderte Albus ihn auf, die tiefe Sorgenfalte auf seiner Stirn war nur noch tiefer geworden.
„Ich habe gedacht, sie hätte einfach nur Unsinn gemacht, als sie in meinem Unterricht etwas hat explodieren lassen, aber sie hat es wohl absichtlich getan. Denn als ich nach der Stunde mit ihr allein im meinem Klassenraum war und ihr sagte, daß sie nachsitzen muß, hat sie... Albus, sie hat mich geküßt." Albus zog mißbilligend die Augenbrauen zusammen.
„Ich weiß nicht, wann ich sie dazu ermutigt haben soll. Du weißt, wie ich mit meinen Schülern umgehe, auch mit den Slytherins. Ich weiß nicht, wie sie auf so eine Dummheit kommen konnte." Albus nickte.
„Das ist in der Tat eine ernsthafte Sache, Severus. Und es ist gut, daß du damit zu mir gekommen bist." Severus lächelte. Wenigstens einmal hatte er scheinbar etwas richtig gemacht. Und das, obwohl es mit Reden zu tun hatte. Wenn das nicht ein Fortschritt war.
„Was hast du getan, nachdem sie dich geküßt hat?" Severus hob die Schultern.
„Was soll ich schon getan haben? Ich habe ihr gesagt, daß sie gehen soll und ich noch einmal über den Vorfall hinwegsehen werde, da sie scheinbar nicht wisse, was sie tut. – Ich war geschockt, Albus. Wenn ich nicht so absolut perplex gewesen wäre, wäre sie sicher nicht so glimpflich davon gekommen, aber..."
„Das war schon richtig so." Severus blickte überrascht auf. Wie konnte das richtig gewesen sein? Richtig wäre gewesen, die Schülerin zur Vernunft zu bringen. Er hätte ihr den Kopf zurechtrücken müssen! Statt dessen hatte er sie einfach so davonkommen lassen und ihrem letzten Blick nach zu urteilen, den sie ihm zugeworfen hatte, war sie noch dazu wütend und verletzt gewesen, als sie gegangen war.
„Albus?" Der Direktor lächelte.
„Es hätte nichts gebracht, wenn du ihr mit deiner üblichen Kälte und Härte begegnet wärst. So wie du die Sache beschreibst, scheint mir Miss Duvessa gerade in einem Zustand höchster Verwirrung zu sein. Kein guter Zustand, jemanden mit Predigten zur Vernunft bringen zu wollen." Severus ließ den Kopf hängen. Auch da hatte der Direktor schon wieder recht. Aber trotzdem, hätte er es nicht wenigstens versuchen müssen? Sie war eine seine besten Schülerinnen und bis zum Beginn dieses Schuljahres war er stolz auf sie gewesen wie selten auf einen seiner Slytherins bevor. Hätte er nicht wenigstens ein wenig mehr Mühe aufbringen müssen?
„Ich möchte dich bitten, die Sache noch ein wenig weiter zu beobachten. Gib Miss Duvessa jeden nur erdenklich Anlaß, wieder zur Vernunft zu kommen, aber sei nicht grob zu ihr. Wenn sie weiterhin versucht, dir Avancen zu machen, werde ich mit ihr reden." Das verschmitzte Funkeln war in Albus' Augen zurückgekehrt. Fand der alte Zauberer die Sache vielleicht doch nicht so fürchterlich ernst und den Gedanken an Severus, der von einer Schülerin verführt wurde, einfach nur lächerlich?
„Wenn du meinst, daß das etwas bringt." Seufzte Severus resigniert. Er hatte weder die Kraft noch irgendeinen Antrieb mit Albus darüber zu diskutieren, ob dieser Plan sinnvoll war oder nicht, auch wenn seine Position in der Sache für ihn klar definiert war.
„Wie läuft es mit dir und Miss Shantay?" Severus warf Albus einen verwirrten Blick zu. Dieser plötzliche Themenwechsel schien ihm wenig angebracht und so gar nicht passend. Mit einem finsteren Blick zog er die Augenbrauen zusammen.
„Wie soll ich die Frage verstehen?" Albus lachte, das Funkeln in seinen Augen nahm zu.
„Hast du dich damit abgefunden, mit ihr zusammen zu arbeiten oder möchtest du dich noch immer vom Astronomieturm stürzen, weil ich dich dazu nötige, so etwas Profanes wie ein Feuerwerk zu kreieren?" Sogar der mürrische und an diesem Abend besonders besorgte Severus erlaubte sich zur Abwechslung ein Lächeln.
„Es ist nicht das Problem der Zusammenarbeit. Mit Miss Shantay läßt es sich wunderbar arbeiten. Es ist einfach nur, daß mir – dem ganzen Team – einfach die Zeit davon läuft und wir eigentlich keine Zeit zum Spielen haben, Albus."
„So ein Unsinn! – Ein wenig Spaß hat noch niemanden umgebracht, selbst dich nicht, Severus!" Severus' Miene verfinsterte sich.
„Ich nehme meine Aufgabe ernst, Albus, und vielleicht solltest du das auch tun. Aber ich durfte ja von euch Banausen noch nie den geringsten Respekt erwarten." Dumbledore zog die Stirn ein wenig kraus. Scheinbar hatte er mal wieder einen der empfindlichen Nerven des Zaubertrankmeisters getroffen. Wäre er nicht so ein Meister darin, stets seine Emotionen so hervorragend zu verbergen, hätte man so manches Mal die Chance gehabt, vorher noch beizudrehen, bevor man ihn heftiger traf, als man eigentlich vorgehabt hatte. Albus nahm an, daß das auch eine Art von Masochismus war. Severus' ganz persönlicher, ureigener, um genau zu sein.
„Ich mache mir nur Sorgen, Severus, das ist alles. Du bist überarbeitet. Inzwischen kann das jeder sehen, außer dir selbst vielleicht, und wenn man dir die Gelegenheit bietet, einige Minuten zu verschnaufen, solltest du sie vielleicht ein einziges Mal in deinem Leben annehmen ohne mit dir deswegen zu hadern oder die Welt zu verfluchen, weil sie es wagt, dir etwas Freundlichkeit entgegen zu bringen. Meinst du nicht auch, mein Junge?" Severus erinnerte sich noch gut an ähnliche Gespräche, aber keines davon hatte in der letzten Zeit stattgefunden. Genau genommen waren sie schon Jahre her, fast zwanzig, um genau zu sein. Um so überraschter war er, daß Albus das Thema wieder aufgriff.
„Der Dunkle Lord läuft uns allen nicht davon und ich weiß, daß wir bestens vorbereitet sein werden, wenn wir ihm begegnen, nicht zuletzt, weil wir uns alle auf dich verlassen können, Severus. Aber wir brauchen dich auf jeden Fall auch dann noch lebend! – Und wenn du die Zeit nicht hast, dann ist es eben so. Dann nimm sie dir! Auch dein Leben ist eine Aufgabe, die du nicht die ganze Zeit vor dir herschieben darfst. Dir darf nicht immer alles andere wichtiger sein, als du selbst." Severus lächelte in einer Mischung aus Bitterkeit und ehrlicher Wärme. Er strich sich die langen schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht und blickte dem Direktor in die Augen.
„Das ist blauäugig und das weißt du, Albus." Mit diesen Worten stand Severus auf. Er wollte gar nicht warten, bis der alte Mann etwas entgegnete, denn er wußte, selbst wenn die Logik nicht mit Albus Dumbledore war, er war im Endeffekt nie minder überzeugend. Und das letzte, was er jetzt noch gebrauchen konnte, neben all den störenden Gedanken, die seinen Kopf bevölkerten, war ein überzeugender Albus, der ihn dazu brachte, seine Pflichten aus den Augen zu verlieren. Nachlässig zu werden, wenn Lord Voldemort involviert war, war tödlich und das wußte Severus nur zu genüge.
Dumbledore blickte Severus nach, wie er sein Büro verließ und die Tür hinter sich schloß. Ein wenig traurig und unzufrieden schüttelte er den Kopf.
„Auch du kannst die Uhren nicht rückwärts drehen und auch, wenn du vieles, von dem du heute weißt, lieber nicht gesehen hättest, Severus, es gibt keinen Weg zurück für dich. Du mußt vorwärts gehen. Im Moment dreht sich dein Leben nur im Kreis, du wirfst deine Zeit einfach weg und schiebst jeden deiner Träume, egal wie klein und simpel, immer weiter vor dir her. Und ich weiß genau, auch wenn du es niemandem zeigen willst, tief in deinem Herzen hast du noch immer den Wunsch, eines Tages zu leben. Es ist der innigste Wunsch in deiner Seele, aber wenn du diesen Traum noch lange vor dir herschiebst, dann ist er schlicht zu lange her und wird sich für dich niemals mehr erfüllen. Willst du das wirklich, mein Kind?" Dumbledore wußte, seine Worte verhallten ungehört, höchstens bemerkt von seinem schlafenden Phönix, doch er mußte sie einfach sagen. Wenn er sie auch Severus nicht ins Gesicht sagen konnte, die Worte mußten endlich heraus, belasteten seine Seele zu schwer.
Was einmal als Schuld und Zuneigung begonnen hatte, hatte sich für Albus Dumbledore längst zu einer tiefen, wenn auch nicht gehörten Liebe entwickelt. Severus war in all den Jahren, die er ihm treu zur Seite gestanden hatte, wie ein Sohn ans Herz gewachsen. Wie der Sohn, den er nie gehabt hatte. Und es tat ihm weh, seinem Kind dabei zusehen zu müssen, wie er sich Jahr um Jahr immer weiter selbst zerstörte.
Es war schon recht spät, als Hermine die Bibliothek betrat. Sesha wartete bereits auf sie und hatte einen der großen Arbeitstische komplett in Beschlag genommen. Über die gesamte Arbeitsfläche lagen ihre gemeinsamen Notizen zur Entwicklung ihres Giftes ausgebreitet und ihre Kollegin schien schon vollkommen darin vertieft zu sein.
Hermine bemerkte sofort, daß Sesha tiefe Ringe unter den Augen hatte und trotz ihrer von Natur aus bronzenen Hautfarbe, war nicht zu übersehen, daß Sesha bleich war, ihr Gesicht hatte fast schon einen ungesund curryfarbenen Ton. Hermine hob die rechte Augenbraue. Sie hatte diesen Abend ohnehin dafür nutzen wollen, endlich das Gespräch zu führen, um das Severus sie gebeten hatte, aber so wie es schien, war es sogar extrem nötig. Sesha sah so aus, als hätte sie ernsthafte Probleme, die dringend mal raus mußten.
Hermine atmete tief durch. Jetzt konnte sie nur noch hoffen, daß Sesha leichter zu handhaben war als ein gewisser Zaubertrankmeister, wenn es um die Aufgabe ging, den Mund aufzumachen.
„Hallo Sesha! Wartest du schon lange?" Hermine gab sich alle Mühe, möglichst fröhlich und unbeschwert zu klingen und hoffte, daß ihr Lächeln nicht aufgesetzt wirkte. Nur dieses eine Mal wünschte sie sich, ein so hervorragender Lügner sein zu können wie Severus, wenn es um die wahren Gefühle ging, die man gerade empfand.
„Nein, erst ein paar Minuten." Hermine blickte ihre Kollegin streng an und Sesha lächelte.
„Na gut, ich bin schon seit dem Abendessen hier, aber ich hab schließlich auch keinen Kollegen, der gerne etwas Zeit mit mir verbringen möchte." Sesha zwinkerte Hermine verschwörerisch zu. Hermine fühlte, wie ihr augenblicklich die Hitze ins Gesicht schoß, sie mußte knallrot sein.
„Fred ist nur ein Freund..." versuchte sie schnell zu erklären, doch sie wußte, daß sie Sesha so einfach nicht abservieren konnte. – Selbst wenn Fred und sie wirklich nur Freunde waren. Gute Freunde, aber... Hermine wischte den Gedanken fast schon ärgerlich weg. Nicht Hermine und Fred waren das Thema des Abends!
„Du hast nicht gut geschlafen heute Nacht oder?" Sesha hob ein wenig die Schultern, sah Hermine aber nicht an, während sie weiter komplizierte Formeln auf ein Stück Pergament kritzelte und dabei hoch konzentriert wirkte.
„Ich hab gestern sehr lange mit Professor Snape gearbeitet. – Und schlecht geschlafen hab ich auch, ja." Fügte sie rasch noch hinzu, als sie merkte, daß Hermine sie noch immer fragend ansah.
„Ich schlafe auch manchmal schlecht." Hermine überlegte fieberhaft, wie sie das Gespräch möglichst geschickt in die richtige Bahn lenken konnte, ohne daß Sesha davon Wind bekam, daß sie ausgehorcht wurde. „Besonders wenn ich Heimweh hab." Das war doch keine schlechte Idee.
„Ich habe kein Heimweh." Hermine blickte bei all der Abscheu und Kälte in Seshas Stimme überrascht auf. Das war definitiv eine Reaktion, die sie nicht erwartet hatte. Eigentlich war es genau das Gegenteil.
„Wieso? Hast du denn keine Familie zu Hause, die auf dich wartet und die du manchmal vermißt, wenn du mal wieder Zeit hast, an etwas anderes zu denken, als Zaubertränke, Gifte und Geheimwaffen gegen das Böse?" Sesha blickte Hermine einen Moment lang in die Augen und selbst wenn sie nichts entgegnet hätte, aus ihrem Blick konnte Hermine bereits den ganzen Haß, den Sesha auf ihre Familie haben mußte, ablesen.
„Meine Familie vermisse ich definitiv am wenigsten. – Ich hab keine richtige Familie mehr, seit mein Vater vor fast sechs Jahren gestorben ist. Er war meine Familie." Hermine schluckte. Das ging leichter, als sie gedacht hatte. Jetzt nur nicht den Faden verlieren. Sie mußte Sesha irgendwie das Gefühl geben, daß es ihr gut tat, mit ihr darüber zu reden, selbst wenn die Erinnerungen vielleicht schmerzhaft waren. Zumindest war Sesha schon mal grundsätzlich dazu bereit zu reden.
„Und deine Mutter?" Sesha preßte ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und in ihren Augen blitzte es auf.
„Sie ist das, was Muggel als Hexe bezeichnen – im negativen Sinn."
„Erzählst du mir, was passiert ist?" Zuerst sah Sesha so aus, als wolle sie sich wieder in ihre Schale zurückziehen, genau wie Severus das stets tat, doch dann nickte sie schließlich.
Hermine war nicht nur ihre Kollegin, sie war so etwas wie eine Freundin geworden. Und sie trug das alles schon so lange mit sich herum. Vor allem nach der letzten Nacht wollte sie endlich einen Teil dieses Gewichts auf ihrer Seele loswerden. Vielleicht konnte sie dann wieder etwas freier atmen.
Hermine lächelte ein wenig, als sie ihr Buch zuklappte und sich ein wenig zurücklehnte. Sie hatte das Gefühl, die Geschichte würde länger werden.
Das Mädchen weinte nicht, als der große Holzstapel vor ihr in Flammen aufging, und alles verschlang. Sie hatte all ihre Tränen schon in der vergangenen Nacht geweint, als sie in der Schule ihre Sachen hatte packen müssen, um nach Hause zu kommen. Um ihren Vater zu bestatten.
Sie weinte auch nicht, als der Geruch des verbrennenden Fleisches an ihre Nase drang. Ihr Vater war nicht mehr da. Es war nichts weiter als sein jetzt lebloser und somit nutzloser Körper, der in diesen Höllenflammen verbrannte. Daß sie sich noch vor wenigen Wochen eng an diesen Körper geschmiegt, ihm einen Kuß auf die Wange gegeben, mit ihm gelacht hatte, all das war nicht mehr wichtig.
Es war vorbei und sie wußte instinktiv, diese schönen Zeiten würde nicht mehr zu ihr zurück kommen, ob sie nun weinte oder nicht, spielte keine Rolle.
Hatte ihr Vater gewollt, daß sie weinte? Ihr Vater hatte sie immer zum Lachen gebracht, immer aufmunternde Worte für sie gehabt, wenn sie mal wieder mit ihrer Mutter gestritten hatte oder sie in der Schule Probleme mit den anderen Mitschülern hatte, weil sie keine reine Hexe war. Nein, ihr Vater hatte niemals gewollt, daß sie weinte und sie hatte schon viel zu lange gegen seinen Willen gehandelt.
Sesha wußte schon nicht mehr, wie lange sie vor dem brennenden Holzhaufen gestanden hatte, doch als sie ihn das nächste Mal wieder bewußt ansah, war das Holz fast vollkommen zu Asche und Staub zerfallen und mit ihm die Überreste ihres Vaters.
Sesha drehte sich abrupt um. Sie wollte nicht länger bleiben. Sie wußte, es war unhöflich und entsprach nicht diesem alten Aberglauben, dem ihre Mutter nachhing, aber sie wollte nicht zusehen, wie die Asche ihres Vaters eingesammelt und in den Fluß gestreut wurde.
Ihre Gedanken waren wieder beim vergangenen Abend, als ihre Mutter den Hausdiener nach Dheli in die Schule geschickt hatte, damit dieser Sesha holte. Der Junge hatte ihr nichts weiter sagen dürfen, als daß sie die Schule verlassen mußte und nicht wieder zurückkommen würde.
Schon in diesem Moment hatte Sesha gewußt, ihrem Vater war etwas Furchtbares passiert. Er hätte niemals zugelassen, daß seine Frau ihren Willen durchsetzte und Sesha von der Schule nahm. Niemals hätte er zugelassen, daß das großartige Talent seiner Tochter, das er schon in ihr erkannt hatte, als Sesha noch ganz klein gewesen war, einfach vergeudet wurde, nur damit die Mutter ihren Seelenfrieden bekam.
Sesha hatte sich schon oft gefragt, wie ihr Vater eigentlich an seine Frau gekommen war. Unterschiedlicher konnte ein Paar gar nicht sein. Tag und Nacht, zwei Komponenten, die zusammen nicht sein durften. Und doch war es so.
Sesha lief ein wenig schneller und auch ihre Gedanken begannen, wild durcheinander zu wirbeln. Ihr Vater hatte die ganze Zeit versucht, es vor ihr geheim zu halten, doch sie wußte ganz genau, was dafür verantwortlich war, daß er so plötzlich gestorben war. Schon lange wußte sie von der Bedrohung, die aus Europa auch nach Indien überschwappte und so einen anderen Teil der Zaubererwelt längst wieder in seinen dunklen Bann zog. Es gab in ihrer Schule einfach zu viele Schüler, die an alten, angestaubten Idealen und verqueren Lehren hingen, als daß es hätte Sesha entgehen können, daß das Böse in Person, Lord Voldemort zurück gekehrt war. Der Todgeglaubte, der Fürst der finsteren Künste, es gab so viele Namen für diesen einen Schrecken, doch seit er ihren Vater ermordet hatte, trug er für Sesha nur noch den einen Namen: Nemesis.
Sesha war bewußt, daß es vielleicht viele Jahre dauern würde, bis sie sich aus ihren Zwängen, in die sie ihre Mutter zweifellos schon innerhalb der nächsten Tage und Wochen bugsieren würde, befreien konnte, aber sie würde es tun und sie würde nicht eine Minute ruhen, bis Voldemort dafür bezahlt hatte, ihr das einzige in ihrem Leben genommen zu haben, was sie liebte. Ihren Vater und mit ihm die Zauberei.
Nur noch mit viel Mühe konnte sich Sesha morgens motivieren, überhaupt das Bett zu verlassen. Zu groß war der Drang, einfach liegen zu bleiben oder besser noch, in den Nachttisch zu greifen und die kleine Viole hervorzukramen, die sie dort sorgfältig vor den Augen ihrer Mutter verbarg. Das letzte Überbleibsel von dem, was einst ihr Leben gewesen war und das sie vor schlimmeren retten sollte, sollte es kommen.
Sesha hatte das unbestimmte Gefühl, daß es nicht mehr weit war.
„Wo bleibst du faules Stück schon wieder?" drang die kalte Stimme ihrer Mutter zu ihr empor und seufzend stand Sesha auf. Es hatte doch keinen Sinn. So verlockend es ihr in der letzten Zeit auch manchmal erschien, tot konnte sie ihren Vater nicht rächen und sie mußte es doch zumindest versucht haben oder sie würde ihm niemals wieder entgegen treten können, da war sie sich sicher. Und was machte es auch schon? Es war ein weiterer Tag wie viele. Ein Tag voller Beschimpfungen durch ihre Mutter, ein Tag voller Arbeit, die sie ganz leicht auch einfacher hätte erledigen können, wäre er Mutter nicht so verschreckt und stur, kurz, ein Tag, der sich nicht wirklich lohnte, den man aber nicht umgehen konnte.
Ihre Mutter wartete bereits an ihrer Zimmertür auf sie und begrüßte ihre Tochter mit dem gewohnt eisigen Blick. Sesha fühlte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief, aber mehr auch nicht. Manchmal gewöhnte der Mensch sich schneller an etwas, als er dies glauben würde. Seit dem Tod ihres Vaters waren erst wenige Wochen vergangen, und doch, Sesha hatte sich inzwischen daran gewöhnt, daß es hier keine Liebe mehr für sie gab, nur noch Haß und Angst, weil sie anders war.
„Wir bekommen heute Besuch, Sesha. Ich hoffe, du schaffst es wenigstens ein einziges Mal, dich zu benehmen, wie ich es von meiner Tochter erwarten kann." Sesha senkte beim Klang der scharfen Stimme ihrer Mutter scheinbar demütig den Blick. Sie wollte die Frau nicht sehen lassen, wie Trotz und auch Wut in ihren Augen aufflackerten. Natürlich wußte sie zu gut, was eine Mutter wie ihre Mutter – zu tief verankert in veraltete Bräuche, um den Wandel der Zeit mitbekommen zu haben – von ihrer Tochter erwartete. Aber ihr Vater hatte alles getan, um zu verhindern, daß Sesha so wurde und Sesha dachte nicht einen einzigen Moment daran, dieses Geschenk ihres Vaters der Mutter zu Liebe zu mißachten.
Prioritäten erkennen und danach die Maßstäbe setzen.
„Wer ist es, Mutter?" fragte sie mäßig interessiert, um ihrer Mutter immerhin etwas Höflichkeit entgegen zu bringen.
„Dein Verlobter." Sesha hatte in diesem Moment das Gefühl, daß ihr jemand den Boden unter den Füßen wegzog und sie in eine endlose Tiefe fiel. Verlobter? Aber...
„Keine Widerrede, Sesha. Er ist der beste Mann, den ich mir für dich erhoffen konnte. Immerhin, dein Wert ist eher gering." Sesha unterdrückte das Beben, das von ihrem Körper Besitz ergreifen wollte, als ihre Mutter sie abschätzig von oben bis unten musterte.
Wie gerne hätte sie in diesem Moment ihren Zauberstab auf ihre Mutter gerichtet und ihr gezeigt, wie viel sie wert war. Wer sie war.
Doch sie hatte ihren Zauberstab nicht mehr. Sie hatte ihre Identität nicht mehr. Sesha Shantay war längst ein Niemand geworden.
Beim Anblick von Hermines entsetztem Gesichtsausdruck, mußte Sesha unwillkürlich lächeln.
„Es war gar nicht so schlimm, wie ich es mir anfangs ausgemalt hatte." Das schien Hermine dann doch zu überraschen.
„Gut, als ich Ran an diesem Abend kennen lernte, bestätigten sich einige meiner Befürchtungen. Er war sehr viel älter als ich, vierzig schätze ich, und ich war gerade sechzehn. Und er war natürlich ein Muggel, ein Geschäftsmann noch dazu. Ich hatte nicht wirklich die Hoffnung, daß ich als seine Frau noch einigen einzigen schönen Tag erleben würde.
Doch irgendwie war seine ganze Art anders, als ich es von ihm erwartet hätte. Wenn meine Mutter anwesend war, verhielt er sich, wie sie es von ihm erwartete. Er redete so gut wie nie direkt mit mir, klärte alle Formalitäten zur Hochzeit mit ihr ab, gerade so, als sei es nichts weiter als eines seiner Geschäfte und auch sonst, gab es von seiner Seite keinerlei Regung, die auf Gefühl schließen ließen. – Aber wenn Mutter nicht bei uns war, was auch hin und wieder mal vorkam, dann war er ganz anders.
In diesen kurzen Momenten fragte er mich nach den Dingen, die ich mochte, was ich über die Hochzeit oder auch ganz belanglose Dinge dachte, einmal sogar, was ich von ihm hielt. – Das ist nicht selbstverständlich, Hermine, jedenfalls nicht in Indien, wenn man das Pech hat, eine Mutter zu haben, wie ich sie mein Eigen nennen durfte." Hermine schluckte. Sie hatte gewußt, was für ein gespaltenes Land Indien unter der Oberfläche war. Nirgendwo sonst gab es ein so krasses „Tag und Nacht" zwischen alter Tradition und Moderne. In keinem anderen Land der Welt, erreichten Frauen den höchsten Gipfel des Erfolges in sämtlichen Bereichen der Wissenschaft und Wirtschaft, während im Nachbardorf noch immer mittelalterliche Zustände herrschten. Aber niemals, nie in ihrem ganzen Leben, hätte sie es sich so vorstellen können, wie Sesha es ihr gerade geschildert hatte.
„Ich bin mir nicht wirklich sicher, was ich damals empfunden hab, aber als er mir an einem Abend, bevor er ging, versprach, daß er mir meine Wünsche erfüllen würde, daß er wisse, wie sehr ich das Lernen und die Wissenschaft liebte, da hatte ich das Gefühl, meinen Vater wiedergefunden zu haben. – Damals habe ich geglaubt, daß ich wirklich in der Lage sein würde, diesen Mann zu lieben.
Und wer weiß, vielleicht hab ich das auch getan." In den Augen der jungen Frau glitzerten Tränen. Zum ersten Mal, seit sie ihre Geschichte begonnen hatte.
Hermine griff vorsichtig über den Tisch hinweg nach ihrer Hand. Sesha zuckte ein wenig zusammen, als die unerwartete Berührung kam, aber sie fing sich sofort wieder.
„Dann war also alles ganz anders? Er war nicht so, wie du erst dachtest?" Sesha lehnte sich an die Wand zurück und wandte ihren Blick an die hohe Decke der Bibliothek. Sie wirkte plötzlich sehr abwesend und Hermine glaubte schon, daß sie für diesen Abend keine Antworten mehr erhalten würde, doch dann durchbrach Seshas sanfte Stimme wieder die Stille der Bibliothek.
„Ich kann es nicht sicher sagen. Nach der Hochzeit hat er seine Versprechen wahr gemacht. Er hat mir sogar sehr viel Zeit gelassen was die – ehelichen Pflichten anging. Er sagte immer wieder, er wisse genau, wie schwierig das für ein so junges Mädchen wie mich sein mußte und daß er vor allem die Tatsache respektiere, daß ich gerade erst meinen Vater verloren hatte.
Man könnte sagen, es lief alles perfekt und es dauerte gar nicht lange, bis ich ohne zu zögern sagen konnte, daß ich meinen Mann liebte und eine glückliche Ehe führte.
Er brachte mir ständig Bücher mit." Ein verträumtes Lächeln umspielte Seshas Lippen beim Gedanken an diese kleine Zärtlichkeit, die ihr so viel bedeutet hatte.
„Und ganz anders als üblich, hatte ich eine Bedienstete für den Haushalt. Ich durfte mich frei meinen Studien widmen. Es war herrlich. Wenn Ran nicht da war, konnte ich sogar wieder ein wenig Zauberei studieren, selbst wenn ich nicht mehr zur Schule gehen durfte.
Ran hat nie erfahren, daß ich eine Hexe bin, mußt du wissen. Mutter hätte es ihm nie freiwillig erzählt und ich war immer schon vorsichtig damit, es jemandem zu verraten. Zu viele Vorurteile und zu viel Haß." Wieder schwieg Sesha. Hermine rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Sie wartete auf den Haken, den Wendepunkt, denn irgendwann mußte sich zwangsläufig alles ins Gegenteil verkehrt haben, auf nichts anderes ließ Seshas Geschichte bisher schließen.
„Warum blieb deine Ehe nicht perfekt?" fragte sie schließlich nach einer scheinbaren Ewigkeit nach.
„Sein Vater starb. Ich war gerade siebzehn geworden und wir lebten fast ein Jahr schon zusammen. Doch mit dem Tod seines Vaters kam das Unheil über uns – in Form seiner Mutter.
Plötzlich hatte ich keine der Freiheiten mehr, die er mir vorher gelassen hatte und auch er selbst veränderte sich zunehmend. Man konnte seine Entwicklung fast schon stündlich verfolgen.
Du mußt wissen, es ist nicht ungewöhnlich, daß gleich mehrere Generationen einer Familie im selben Haus leben, auch in den reichen Familien nicht. Trotzdem haben seine Eltern bis zum Todestag seines Vaters ihr Leben abseits von unserem verbracht. Und hätte ich gewußt, was der Einzug seiner Mutter in unser Haus bedeutete – ich glaube nicht, daß ich noch einmal zugestimmt hätte.
Sie übernahm das Kommando im Haus und alles ging von vorne los. Sie behandelte mich sogar noch schlechter als meine eigene Mutter und das will schon etwas heißen, denn die war so scheußlich zu mir, weil sie ihr ganzes Leben Todesangst vor mir hatte." Ein leichtes Grinsen legte sich auf Seshas Lippen bei dem Gedanken und Hermine hätte schwören können, daß sie das eher von Severus erwartet hätte als von ihrer stillen, so schüchtern wirkenden Kollegin.
„Du kannst so stark und selbstbewußt sein, wie du willst, diese totale Unterdrückung, die sowohl Ran, als auch seine Mutter perfekt beherrschten, macht dich früher oder später kaputt." Hermine nickte.
„Plötzlich warst du wieder das niedrigste Wesen im ganzen Haus und er hat dich auch geschlagen, nicht wahr?" Sesha nickte.
„Ich wurde nicht schwanger und er wollte nichts mehr als einen Erben. Es war nicht anders zu erwarten gewesen. Ich hatte zunächst damit nur warten wollen, bis ich älter war, aber als der Terror wieder von vorne losging, da war für mich ganz klar, daß ich diesem Mann niemals Kinder schenken würde. Ich wußte, was mich erwartete, aber es war nicht weiter wichtig. Ich wollte mir wenigstens etwas bewahren, worüber ich selbst bestimmen konnte." Jetzt mußte auch Hermine lächeln.
„Wie bist du entkommen? Ich meine, er hat dich doch sicher nicht einfach von heute auf morgen vor die Tür gesetzt, weil du keine Kinder bekommen hast."
„Nein." Sesha lachte sogar ein wenig. „Ich habe in jeder freien Minute, die ich mir irgendwie erschleichen konnte, heimlich an einem Trank gearbeitet. Erst wollte ich einfach die ganze Sippe auslöschen. Das war in der ersten Phase meiner Gefangenschaft in dieser Hölle. Doch dem grenzenlosen Haß folgte Gott sei Dank bald schon wieder die Vernunft und Rationalität und ich entschied, daß es wesentlich einfacher war, wenn ich ‚sterben' würde. Keiner würde mehr nach mir suchen und alles, was ich an meinem Leben so haßte, würde vorbei sein."
Der Schlag traf Sesha hart ins Gesicht und sie stürzte zu Boden. Beim Aufprall auf dem harten Steinboden schlug sie mit dem Ellenbogen auf, ein heißer Schmerz durchfuhr ihren Arm, bevor er komplett taub wurde. Die Tränen schossen ihr in die Augen und nahmen ihr für einen Moment die Sicht.
Drohend wie ein Dämon stand Ran über ihr und starrte wütend auf sie hinab.
„Wenn ich das noch einmal höre!" rief er aufgebracht. Sesha hielt seinem Blick nur knapp stand, doch sie wollte nicht aufgeben, nicht schon wieder. Nur noch ein wenig Kraft und ein wenig Würde, mehr wollte sie gar nicht.
„Ich habe nie so etwas zu ihr gesagt und du weißt das auch, Ran." Erwiderte sie schwach und bereute es im nächsten Moment, als sein Fuß sie hart in die Seite traf.
„Jetzt ist meine Mutter also auch noch eine Lügnerin, was?! – Ich bin zu weich mit dir gewesen, Sesha, aber diese Zeiten sind jetzt vorbei." Nur knapp verkniff Sesha sich ein bitteres Lachen und hätte der Tritt ihr nicht die gesamte Luft aus den Lungen gedrückt, sie hätte es wahrscheinlich nicht geschafft.
Er zu weich! Er war nicht mehr auch nur annähernd menschlich zu ihr gewesen, seit die alte Lügnerin in ihr Haus gekommen war. Er war nur noch ein Monster, daß seiner Mutter hörig war, mehr nicht. Ein bedauernswertes Wesen! Doch all das half ihr auch nicht dabei weiter, daß sie ein noch viel bedauernswerteres Wesen war.
Denn nicht Ran litt unter seiner Mutter, mußte tagein und tagaus ihre Beleidigungen und Intrigen ertragen. Nicht er wurde fast täglich geschlagen und manchmal fast besinnungslos geprügelt.
Diese Ehre blieb allein ihre vorbehalten. Sie ließ den Kopf noch ein wenig tiefer hängen, um ihr bitteres Lächeln zu verbergen. Ein Vorhang aus schwarzem Haar verbarg ihr Gesicht vor seinen Blicken.
Es war so gut wie vorbei. Endlich. Und nicht einmal Rans Mutter würde daran noch etwas ändern können.
Nur für einen kurzen Moment wallten die düsteren Gedanken, schwarz wie die Nacht, wieder in ihr auf. Sie konnte die alte Frau einfach mitnehmen. Ein paar Tropfen des Trankes in ihr Abendessen und Ran würde seine Mutter schon in wenigen Tagen während der Bestattungszeremonie verbrennen lassen – lebendig und bei vollem Bewußtsein. – Sesha zwang sich, das euphorische Gefühl der Macht, das bei diesen Gedanken in ihr aufkam, schnell wieder niederzuzwingen, bevor ihr der Gedanke zu gut gefiel, um ihn wieder zu verwerfen.
Nein! Sie hatte diese Gedanken schon hinter sich und sie würde ihre Seele nicht mit Schuld beladen. Nicht auch noch Schuld. Zu viele andere hatten ihre Seele schon zu oft verletzt, sie durfte es nicht auch noch selbst tun.
Ein scharfer Schmerz durchfuhr ihren Körper, als Ran ihr brutal in die Haare griff und ihren Kopf zurück riß. Sie sah ihn nicht an und sie hörte nicht, was er sagte. Es war unwichtig. Es war alles vorbei. Endlich vorbei.
Und dann war sie allein.
Die Nachtluft war warm und stickig, als Sesha an ihrem kleinen Tisch saß und hastig einen kurzen Brief schrieb. Sie konnte im Zimmer nebenan ihren Mann schnarchen hören und eigentlich konnte sie sich sicher sein, daß er so bald nicht aufwachen würde, aber sie wollte diesen Brief so schnell wie möglich wegschicken, bevor sich doch noch für Ran oder seine Mutter die Möglichkeit ergab, alles vorher aufzudecken. Nur nicht länger in dieser Hölle bleiben.
Eine große Krähe saß neben ihr auf dem Tisch und blickte sie mit glänzenden schwarzen Knopfaugen an. Doch heute hatte Sesha kein liebes Wort für den Vogel, der fast schon ein genauso alter, liebgewonnener Freund für sie war, wie sein Besitzer. Sie würde noch genug Zeit haben, diese Mißachtung an ihm gut zu machen. Nur jetzt nicht trödeln, sich nicht aufhalten lassen.
Hastig unterschrieb sie den Brief. Noch während sie das kleine Stück Pergament zusammen rollte, hielt die Krähe ihr ihren Fuß hin und als sie den Brief an dem fragilen Fuß des Vogels befestigte, lächelte Sesha endlich.
„Beeil dich, mein Hübscher, es ist sehr wichtig." Flüsterte sie ihm zu und strich im sanft auf den Kopf bevor sie ihn aufhob und ihn vorsichtig aus dem Fenster warf. Erleichterung machte sich in ihr breit, als er seine schwarzen Schwingen ausbreitete und langsam in Richtung Horizont verschwand.
Nur noch ein Schritt.
Noch einmal horchte Sesha angespannt auf verräterische Geräusche im Haus, doch Ran schnarchte noch immer und nach einem kurzen, vorsichtigen Blick aus der Tür, war sie sich sicher, daß auch seine Mutter nicht in der Nähe war.
Ein wenig Nervosität machte sich in ihr breit. Wenn etwas schief ging, dann würde sie diejenige sein, die lebendig und bei vollem Bewußtsein verbrannte. Wenn er nicht da sein würde, um den Schutzzauber zu sprechen, war alles verloren. – Aber was machte das schon? Lieber verbrannte sie und starb auf diese schreckliche Art und Weise, statt noch länger dieses viel schrecklichere Leben zu ertragen.
So leise wie möglich kramte sie eine kleine Holzschachtel unter ihrem Bett hervor und öffnete sie. Darin lag nur eine einzige Phiole. Der Trank der lebenden Toten, wie sie ihn nannte.
„Paß auf mich auf, Vater. Nur dieses eine Mal brauche ich deine Hilfe noch." Bevor die Tränen wieder in ihren Augen aufwallen konnten, entkorkte Sesha die Phiole und setzte das kleine Glasgefäß an die Lippen.
Wo das Glas ihre Haut berührte, fühlte sie sofort ein Prickeln, gefolgt von einer Taubheit, die sich über ihre ganzen Lippen ausbreitete. Sie schloß die Augen und schluckte den gesamten Inhalt der Flasche.
Das Prickeln und Kribbeln ergriff von ihrem ganzen Körper Besitz und gerade, als Sesha sich in ihre Decken gekuschelt hatte, um den Anschein zu erwecken, daß sie einfach im Schlaf gestorben war, übermannte sie die Taubheit und sie fiel in die tiefe, todähnliche Starre, die sie endlich aus der Hölle ihres Lebens befreien sollte.
Noch bevor die Krähe durch das geöffnete Fenster seines Schlafzimmers geflattert kam, war der alte Mann auf den Beinen.
„Was hast du für mich, Karasu?" fragte er liebevoll, wenn auch sehr nervös, als er den Brief vom Bein der Krähe löste und langsam entrollte.
Seine Augen flogen über das Pergament und sämtliche Farbe wich aus seinem Gesicht.
„Es ist so weit, mein Junge." Der Schrecken stand dem alten Zauberer ins Gesicht geschrieben, als er den Brief auf den Tisch fallen ließ, um eilends ein paar Sachen zusammen zu packen und sich auf den Weg nach New Dheli zu machen. Karasu blickte seinem Herren nach und schien die plötzliche Spannung nur zu deutlich zu spüren.
die Nacht der lebenden Toten ist nun gekommen. Ich möchte Sie bitten,
sich sofort auf den Weg zu machen und zu meiner Rettung nach New Dheli
zu eilen. Sie sind meine letzte Hoffnung in dieser furchtbaren Zeit.
Ich sehe keinen anderen Ausweg mehr und hoffe, daß Sie mir ein ebenso
guter Freund sein werden, wie Sie Vaters Freund gewesen sind.
Sesha Shantay
Nur wenige Gäste waren zur Trauerfeier erschienen. Ran und seine Mutter hatten die Nachricht von Seshas plötzlichem Ableben so geheim wie möglich gehalten, um kein Aufsehen zu erregen. Obwohl keine Spuren zu finden waren, mit was sie es getan haben könnte, war sich Rans Mutter doch sicher, daß Sesha sich selbst das Leben genommen hatte und so redete sie ihrem Sohn ein, daß die Schande, eine Selbstmörderin in der Familie zu haben einfach zu groß war und man das nicht publik machen durfte.
Wie stets fügte Ran sich ihrem Urteil, obwohl er sich schuldig fühlte und seine Schuld nur allzu gerne mit einem pompösen Begräbnis wieder gut gemacht hätte.
Etwas abseits von Rans Freunden und der restlichen Familie, die zu diesem Ereignis erschienen waren, stand ein alter Mann mit langen weißen Haaren. Da Ran ihn nicht kannte, nahm er an, daß er zu Sesha gehörte und beachtete ihn nicht weiter.
Als der Holzstapel, auf den man Seshas Körper gelegt hatte, angezündet wurde und die Flammen in Sekunden über das vollkommen ausgetrocknete Holz leckten, kam Bewegung in den alten Mann, doch noch immer blieb er von allen unbeachtet.
Angespannt schloß er die Augen und begann, etwas vor sich hinzumurmeln, so leise, daß es kein menschliches Ohr um ihn herum vernehmen konnte. Fast augenblicklich erlosch das Feuer wieder und ließ den Körper des jungen Mädchens unberührt.
Zufrieden beobachtete er, wie die Trauergäste weiterhin mehr oder weniger gespannt auf den Holzstapel starrten und warteten. Illusionszauber waren schon immer seine Spezialität gewesen.
Sesha verblieb noch zwei volle Tage in der selbstauferlegten Totenstarre, bevor sie schließlich am fünften Tag nach ihrem „Ableben" zitternd und schwach erwachte.
Arani Ambar hatte während der ganzen Zeit an ihrem Bett gewacht und Sesha war überglücklich, endlich wieder ein bekanntes und geliebtes Gesicht zu sehen.
Es war vorbei. Sie war endlich wieder frei und konnte tun, was sie wollte.
„Ganz so war es natürlich nicht. Eigentlich hatte ich vorgehabt, wieder zur Schule zu gehen und meinen Abschluß nachzuholen, damit ich endlich eine Chance hatte, etwas aus meinem Leben zu machen, aber diese Möglichkeit blieb mir verwährt.
Arani erzählte mir, daß der Dunkle Lord in den zwei Jahren, die ich insgesamt mit Ran verheiratet gewesen war, sämtliche Schulen für Magie eingenommen hatte. Wenn ich also nicht zur dunklen Seite übertreten wollte, blieben mir in Indien keine Möglichkeiten dazu." Sesha rieb sich müde über die Augen. Es war bereits spät, ihre Geschichte hatte sie und Hermine mehrere Stunden in der Bibliothek gehalten und nach der vergangenen eher schlaflosen Nacht, fühlte sie sich jetzt wie erschlagen. Doch noch war sie nicht ganz zum Ende gekommen und sie wollte Hermine erst alles erzählen, bevor sie versuchte, noch einmal Frieden und Erholung im Schlaf zu finden.
„Arani bot mir an, daß er mich unterrichten würde. Ich wußte zwar damals schon sehr genau, daß ich mit dieser Art des Unterrichts niemals an eine Universität gehen konnte, aber Arani ist ein Meister der Magie und mein Vater hat ihn sehr geschätzt. Von ihm hab ich alles über Zaubertränke gelernt, was ich in meinen ersten fünf Schuljahren in der Schule noch nicht gelernt hatte und noch viel mehr darüber hinaus.
Er war in den letzten drei Jahren wirklich wie ein Vater zu mir und ich liebe ihn dafür, daß er so selbstverständlich den Platz seines besten Freundes eingenommen hat. Die meisten anderen von Vaters Freunden haben mich verlassen, gleich nachdem Vater gestorben war." Hermine nickte und schenkte Sesha ein warmes Lächeln.
„Die wahren Freunde erkennt man immer in der Not. – Wie ist Dumbledore auf dich aufmerksam geworden? Ich meine, wenn du nie die Schule zu Ende gemacht hast, dann warst du ja sicher nicht gerade berühmt." Sesha schüttelte den Kopf, sie lächelte. Und dieses Lächeln, dankbar und warm, zauberte ein wunderschönes Glitzern in ihre Augen.
„Albus Dumbledore war ebenfalls einer von Vaters alten Freunden. Arani hat ihn davon in Kenntnis gesetzt, daß ich jetzt bei ihm war, nachdem er mir bei der Flucht geholfen hatte. – Ich weiß noch, vor vielen Jahren, hab ich mal auf Dumbledores Schoß gesessen und ihn immer an seinem Bart gezogen. Vater hat mich fürchterlich dafür geschimpft, aber Dumbledore hat immer gelacht. Ihn konnte nichts verärgern." Beide Frauen lachten bei der Vorstellung von einer kleinen Sesha, die Dumbledore am Bart zog, der sich darüber freute wie ein kleiner Junge.
„Auf jeden Fall wußte Albus, was ich konnte und darum hat er mir diese Chance gegeben, nachdem Arani meine Ausbildung aus seiner Sicht beendet hatte. Es war das absolut beste und großzügigste Angebot, daß mir jemals gemacht werden konnte. Ich meine, bedenkt man meine Voraussetzungen, ich hätte eigentlich nicht einmal einen miesen Assistentenjob in einem der letzten Hinterhoflabors kriegen dürfen. Dumbledore ist ein großartiger Mann." Seshas Blick verdunkelte sich und Hermine konnte schon erahnen, wohin ihre Gedanken plötzlich umgeschlagen waren. Noch gut hatte sie die anfängliche Begeisterung ihrer Kollegin in Erinnerung, mit Severus zusammenarbeiten zu können, einem der jüngsten Zaubertränkemeister seiner Zeit, einem absoluten Genie. – Aber wie schnell hatte Severus es mal wieder geschafft, sämtliche Illusionen zu zerstören.
„Sesha, du darfst es dir nicht zu Herzen nehmen, daß Severus nicht so herzlich ist wie Dumbledore." Sesha sah ihrer Freundin in die Augen, ein geheimnisvoller Blick, den Hermine nicht zu deuten wußte.
„Das ist es nicht. – Ich war sehr wütend auf Professor Snape, aber ich bin manchmal sehr schnell wütend. Das gibt sich wieder und ich denke, er hat meine Entschuldigung dafür auch angenommen." Hermine nickte zur Bestätigung, aber sie sah noch immer so aus, als hätte sie Seshas Punkt nicht so ganz verstanden.
„Was ist es dann?" hakte sie nach. Sesha zog die Stirn zusammen, scheinbar nicht allzu glücklich, ihre Empfindungen beim Gedanken an Severus in Worte fassen zu müssen. Doch sie wich ihr nicht aus.
„Es ist... Hermine, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll." Sie atmete tief durch und wandte den Blick auf ihre Hände, die auf dem Tisch auflagen und sich in ihrem sanften kaffeebraunen Farbton sanft von der dunklen Tischplatte abhoben. „Ich hatte Alpträume jede Nacht, seit ich aus meiner persönlichen Hölle entkommen bin. Ich habe eben gesagt, als ich bei Arani einzog, war ich frei, aber das entspricht nicht ganz der Wahrheit. – Rein körperlich betrachtet, war ich frei, ja, aber er ist immer noch da drin." Sie tippte sich an ihren Kopf und Hermine erkannte die Hilflosigkeit und auch die Wut darüber, daß Sesha ihren Mann nicht loswerden konnte, in den Augen der jungen Frau.
„In jeder einzelnen Nacht hat er mich in meinen Träumen daran erinnert, was er getan hat, wieviel Macht er über mich gehabt hat und immer noch über mich hat. – Das hörte auf, als ich nach Hogwarts kam. Mit einem Mal war er wirklich endlich weit weg, konnte mich nicht mehr erreichen und ich habe daran geglaubt.
Doch gestern..." Sesha brach unvermittelt ab und sprang auf. Hermine hob überrascht die Augenbrauen. Sesha konnte ihre ganze, nicht gerade schöne Lebensgeschichte erzählen, ohne dabei auch nur ein einziges Mal wirklich ins Stocken zu geraten, aber wenn es auf das Thema Severus Snape kam, verlor sie diese Sicherheit. Wenn das kein deutliches Zeichen war.
„Er war gestern so anders, Hermine. Hast du den Professor schon einmal wirklich entspannt erlebt? Entspannt und freundlich? Oh verdammt, warum mußte er das tun!" Hermine war froh, daß Madam Pince nicht mehr in der Bibliothek war, um zu sehen, wie Sesha gehetzt auf und ab lief und sogar in ihrer geheiligten Bibliothek laut wurde.
Ein wenig ärgerlich ermahnte Hermine ihren müden Kopf, nicht vom Thema abzuschweifen. Sie konnte Sesha nicht helfen, wenn sie unkonzentriert war.
„Was hat er getan, Sesha?" Sesha hielt abrupt inne und ließ die Schultern sinken.
„Warum mußte er mir seine menschliche Seite zeigen, Hermine? Ich habe mir bis gestern einreden können, daß er keine hat und damit konnte ich gut leben, aber jetzt... jetzt spielen meine Gefühle verrückt und alles kommt mir so vor, als würde es nur wieder von vorne beginnen." Und was Hermine bis zu diesem Zeitpunkt nur geahnt hatte, bestätigte sich ihr an diesem Punkt endlich.
„Severus ist nicht Ran, Sesha." Sesha wollte es wirklich glauben. Mehr als alles andere auf der Welt wollte sie daran glauben, doch warum gingen gerade jetzt die Träume wieder los? Warum nach all den Monaten, in denen sie Frieden vor ihnen gehabt hatte?
„Ich... ich kann nicht... ich..." Sesha ließ frustriert den Kopf hängen. Hermine verließ nun ebenfalls ihren Platz am Tisch und ging zu Sesha hinüber. Tränen liefen ungehindert über die Wangen der jungen Frau und Hermine konnte in diesem Moment gar nicht mehr anders, als sie zu umarmen, sie so fest wie möglich zu halten, um ihr endlich den Trost zu geben, den sie seit Jahren schon suchte.
„Ich verstehe dich. Du glaubst, daß du nie wieder in der Lage sein wirst, einem Mann auf diese Weise zu vertrauen." Sagte Hermine in einem tröstenden Ton und streichelte Sesha sanft über das glänzende schwarze Haar. „Ran hat dein Vertrauen mißbraucht und dir Furchtbares angetan, aber ich kann dir eines versprechen, Sesha. Severus ist der letzte Mensch auf Erden, der dir so etwas antun würde. Er ist selbst viel zu empfindlich, wenn es um Gefühle anderen gegenüber geht und auch wenn er es nicht zugibt, er braucht nichts mehr, als endlich einen Menschen, der ihn liebt, wie er ist und dem auch er endlich seine Liebe schenken kann." So sanft wie möglich löste Hermine sich aus der Umarmung und legte Sesha die Hände auf die Wangen. Lächelnd blickte sie ihr in die Augen.
„Ich würde ihn persönlich in der Luft zerreißen, wenn er dir weh tun würde, egal auf welche Art und Weise. Ich wette mit dir, ich brauche es ihm nur zu sagen und er wird es schon alleine aus Angst nie wagen." Sie zwinkerte ihr zu und Sesha konnte gar nicht anders, als zu lachen. Ein merkwürdiges, von Tränen halb ersticktes Lachen, aber wenigstens lachte sie überhaupt wieder.
„Aber du mußt auch etwas tun, Sesha. Und du mußt es tun, egal ob du dich nun auf Severus einlassen willst oder nicht." Sesha senkte den Blick, nicht länger fähig, Hermine in die Augen zu sehen. Sie verlangte das Unmögliche.
„Ich kann es nicht." Hermine schnalzte ärgerlich mit der Zunge.
„Wenn man von vorne herein sagt, daß man es nicht kann, dann ist alles zum Scheitern verurteilt. Du bist eine starke Frau, Sesha. Du hast schwereres vollbracht als das. Alles was du tun mußt, ist Ran ganz einfach rauszuwerfen. Er muß raus aus deinem Kopf und ich weiß, daß du es kannst, wenn du nur den festen Willen hast, es zu tun." Sesha schüttelte heftig den Kopf.
„Was weißt du schon?!"
„Du hast recht, was weiß ich schon? Ich habe noch nie so etwas erlebt wie du. Ich weiß nur, wie es ist, wenn man verlassen wird. Aber ich weiß trotzdem, daß man nicht gleich aufgeben darf." Hermine wußte, daß ihr Ton sehr scharf gewesen war und sie damit vielleicht ein wenig hart zu Sesha war, aber manchmal mußte etwas Härte einfach sein.
„Wenn du es nicht für dich tun kannst, dann tu es für Severus." Sesha blickte endlich wieder auf und sah Hermine in die Augen.
„Für Severus?" Hermine nickte.
„Vielleicht fällt es dir dann leichter. – Ich habe so das Gefühl, daß ihr beide gut füreinander sein könntet. So wie ich das sehe, braucht ihr beide einen Menschen in eurem Leben und ihr mögt euch. – Tu es für ihn." Sesha atmete tief durch und trat einen Schritt von Hermine zurück. Für Severus. Ihr Herz machte einen kleine Sprung beim Gedanken an den Professor. Vielleicht hatte Hermine doch recht. Vielleicht war er doch nicht gefährlich für sie.
Aber selbst wenn, wie konnte Sesha sich darauf einlassen, wenn sie nicht einmal wußte, was sie wirklich für diesen Mann empfand? Was war, wenn sie einfach nur überreagierte, wenn sie gar nicht in Severus verliebt war, alles nicht mehr war als eine kurze Schwärmerei? Immerhin, sie hatte für Severus Snape geschwärmt, seit Arani ihr zum ersten Mal eine seiner brillanten Arbeiten gezeigt hatte.
„Ich... ich werde es versuchen. Ich meine, ich werde versuchen, Ran aus meinem Kopf zu bekommen. – Aber was Professor Snape angeht... ich weiß noch nicht wirklich, was ich für ihn empfinde. Ich möchte keine Andeutungen oder Hoffnungen machen, so lange ich da nicht sicher bin. Ich möchte ihn genausowenig verletzten, wie ich verletzt werden möchte. Verstehst du?" Hermine lächelte zufrieden und wandte sich den auf dem Tisch verstreuten Notizen zu.
„Ich weiß, daß du es schaffen wirst. Und jetzt sollten wir ins Bett gehen, denke ich. Es ist schon sehr spät." Sorgfältig legte sie die beschriebenen Bögen Pergament zusammen.
„Es tut mir leid."
„Was tut dir leid?"
„Na ja, wir haben wegen mir heute gar nichts geschafft." Hermine lachte und rollte die Notizen zu einer großen Rolle zusammen.
„Ach Sesha, das ist doch wieder mal typisch. Wir haben heute unheimlich viel geschafft. Nur weil es nichts mit unserem Zaubertrank zu tun hatte, heißt das doch noch lange nicht, daß es ein vergeudeter Abend war."
Als die beiden jungen Frauen die Bibliothek verlassen und das Licht gelöscht hatten, kam Bewegung in die Schatten der verbotenen Abteilung.
Severus trat hinter dem Regal hervor, hinter dem er die letzten Stunden gekauert hatte. Sein Gesicht spiegelte Überraschung, Wut und auch ein wenig Angst.
Der Markt, die Geräusche, die Gerüche. Alles war wieder da. Nur noch einer fehlte, um das Bild komplett zu machen, aber dieser Jemand ließ auf sich warten.
Unwillkürlich mußte Sesha lächeln. Vielleicht hatte er Angst? Vielleicht, weil er genau wußte, daß sie heute nicht mehr die selbe war wie noch in der letzten Nacht.
„Wieder da, meine Liebe?" Der Schreck war diesmal nur von kurzer Dauer, wich fast augenblicklich ihrer Entschlossenheit, als sie sich mit einem Lächeln auf dem Gesicht umdrehte. Für Severus...
„Das wollte ich dich gerade fragen." Ran lächelte sie überlegen an und fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes schwarzes Haar.
„Wir haben heute gute Laune, was?" Sesha antwortete nicht, sondern wandte ihren Blick wieder den bunten Ständen und dem lebhaften Treiben zu, das sich um sie herum abspielte. Immer die selbe Szene.
„Warum wählst du immer diesen Ort hier, Ran? Weil du hier mein Vertrauen in dich zerstört hast?" Ran hob die Schultern ein wenig.
„Viele Erinnerungen, ich weiß auch nicht." Sesha nickte.
„Hier hast du mich das erste Mal geschlagen." Es war eine trockene Feststellung, ohne Emotion, ohne Anzeichen von Betroffenheit oder Interesse. „Gerade hier. Da hinten ist der Buchladen, in dem du mir immer die neuesten Bücher gekauft hast. Ich glaube, es ist praktisch vor der Ladentür passiert oder?" Ran lachte und kam ein wenig näher an Sesha heran. Doch sie wich nicht vor ihm zurück. Stark sein hatte Hermine gesagt. Und stark würde sie sein. Für Severus...
„Bist du heute nostalgisch? – Ja, es war vor der Ladentür. Interesse, dein Gedächtnis ein wenig aufzufrischen?" Ein trauriges Lächeln zog über ihr Gesicht.
„Du kannst mir nichts mehr tun, Ran. Du hast deine Gewalt über mich verloren." Wieder lachte er und diesmal klang das Lachen wieder blechern und unwirklich.
„So? Das sehe ich noch nicht so wirklich." Sesha sah genau, wie er die Hand hob und wieder kam diese Hand wie in Zeitlupe auf sie zu, doch irgend etwas war dieses Mal anders. Sie hatte keine Angst mehr vor der Hand, die sie so viele Male verletzt hatte. Sie war unwichtig geworden. Und als die Hand ihre Wange berührte, fühlte sie keinen Schlag. Die Hand ging glatt durch sie hindurch. Zufrieden blickte sie in das verwirrte Gesicht ihres Mannes, der sie fassungslos anstarrte.
„Dinge ändern sich, Ran. Schrecken verblassen und werden zu Geschichte. Und ich denke, deine Zeit ist hiermit gekommen."
Die Welt um sie herum verschwamm, bekam Risse und mit einem Mal zerbarst der ganze Traum in tausend Scherben.
Seshas unruhiger Schlaf beruhigte sich und ein Lächeln lag auf ihren Lippen. Es war vorbei, der Traum würde nie wieder kommen. Sie wußte es.
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Author's Note:
Soll ich euch mal was verraten? Ich bin so richtig, richtig kaputt *gähn*. Ich hab heute sage und schreibe 11,5 Stunden auf der Arbeit gehockt und die ganze Zeit nur Berichte geschrieben. Berichte hinten, Berichte vorne, Berichte von links, Berichte von rechts *aaaarrrghh!!!*
Zwischendurch gab es auch noch einen Projektantrag und einen Verkürzungsantrag, ein Tagesprojekt für nächsten Montag, was morgens um 10 spontan abgesagt und nachmittags um 15 Uhr genauso spontan wiederbelebt wurde. Einfach reizend *grr*. Kurz, der Tag war scheiße, umso entspannender ist es, daß heute Donnerstag ist und ich ein bißchen was labern kann, indem ich ein Kapitel poste und eure Reviews beantworte.
Zunächst mal zu diesem Kapitel. Es ist nicht besonders einfallsreich. Ich wußte das schon, bevor ich es geschrieben hab, aber ich wollte mal wieder so etwas schreiben und irgendwie paßte es gut zu Sesha und zur tatsächlichen Situation der Frauen in Indien. Man hätte das Thema auch sicherlich wesentlich besser und geschickter aufziehen können und mit Sicherheit wäre auch mehr als ein Kapitel drin gewesen, aber das hier ist eine Story über Severus, deshalb hab ich Sesha bewußt nur dieses eine Kapitel gegeben. Es war ja auch lang genug.
Die beiden Kapitel, die in den nächsten beiden Wochen kommen, sind meine persönlichen Lieblinge. Besonders Kapitel 8 mag ich sehr und so wie ich eure bisherigen Reaktionen deute, werden mir viele da wohl zustimmen.
So, jetzt aber schluß mit Labern, jetzt kommen eure Reviews. Auf das FF.net mir diesmal nicht wieder Reviews unterschlagen hat wie beim letzten Mal *g*
cat-68: Ich liebe Snapes charmante Seite auch ganz besonders ;o). Ganz so schnell geht es aber dann doch nicht. Das war nur ein erster Schritt und jetzt macht der gute Severus erst mal wieder zwei Schritte zurück, so wie immer. Wenn Harry nicht so dämlich wäre (in dieser Geschichte), würde aus den beiden wohl nie etwas werden -- kleiner Ausblick auf Kapitel 7 *lol*
Gracie19: Du bist nicht die einzige. Ich
bin bis zum Ende nicht mit Sesha warm geworden. Ich mochte zum Schluß Aidan
sehr viel lieber *lol* - Aber wer weiß, vielleicht wird das mit ihr und dir ja
noch was ^_~
Ich mag diese Zerrissenheit auch sehr gerne. Vor allem, weil sich das in meinem
Kopf auch haargenau so abspielt, wenn ich es schreibe. Das ist total krank, aber
jedesmal wieder lustig. Es heißt ja immer, ein Autor legt ein Teil von sich in
seine Story... also in dieser hat Sev von mir auf jeden Fall das Irrationale und
Zickige mitbekommen *g*
Leu de Nox: Also, du wirst Kapitel 8 auf
alle Fälle lieben, kreuz dir den Donnerstag in 2 Wochen schonmal ganz fett rot
an ;o)))) Die Fetzen zwischen Severus und Harry fliegen noch viel heftiger im
nächsten Kapitel. Ich hoffe, du überstehst mir das heil *g*
"Mea Culpa" bedeutet "Meine Schuld". Es paßt zu Severus,
denn das ist das einzige, was er die ganze Zeit sieht. Seine angebliche Schuld
an allem Übel *g*. Ich wollte den Titel schon immer mal verwenden ;o)
Regen und Gewitter hatten wir die letzten Tage sogar mehrfach *freu*. Leider kam
damit auch der Streß auf der Arbeit, darum heute kein magischer Donnerstag und
kein Kapitel 2 von "Und wieder ein Tag". Aber bald ;o)
Lethe4: Danke ^_^ Ich hab manchmal das
Gefühl, ich übertreibe es bei Snape ein bißchen, wenn er sich gerade mal
wieder aufregt. - hm, ich finde, sie haben beide was. Der charmante Snape ist
halt sehr ungewohnt, aber stimmt schon, der eiskalte Snape ist einfach
unübertroffen gut *seufz*
Ein bißchen Charme mußte aber sein, ich hoffe, du verzeihst mir ;o)
Tinuviel: Ich sehe, die Umbenennung hat
geklappt *g*
Ich bitte doch immer drum, also werde ich einen Teufel tun und mich aufregen,
wenn die Leute, die meine Geschichten lesen, mir solche Hinweise geben. Ich freu
mich. Grobe Fehler und Unzulänglichkeiten kriegt man zur Not alleine weg, aber
die Feinheiten fallen einem selten auf. Also mach ruhig weiter und mecker, wenn
was unverständlich oder verwirrend ist, nur so kriege ich es auf die Dauer ja
auch weg ^_^
Ich hab die ganze Zeit das Gefühl gehabt, daß ich eigentlich unheimlich fies
bin, weil ich Snape seine Maske so langsam aber sicher abnehme *hähä* - Aber
es ist einfach unglaublich, wie furchtbar zickig eine Romanfigur sein kann. Man
kann mit Snape nicht einfach machen, was man will, das merke ich immer wieder,
wenn ich über ihn schreibe. Ist ein ganz komisches Gefühl *lol*
Severus/Hermine kommt noch sehr viel. Gut, was Fred angeht, ich sagte ja, war
nur am Rand, weil meine beste Freundin es sich gewünscht hat. Er kommt aber
auch noch ein paarmal vor. Nur halt nie wirklich in großen Szenen.
Es wird aber eine Fred/Hermine Story geben. Ich hab eine wage Idee schon im
Hinterkopf.
Ja, meine kleine Aidan hab ich so richtig als Prügelknabe mißbraucht.
Zwischenzeitlich hatte ich fast ein schlechtes Gewissen deswegen...
Ich hoffe, der Start in die Schule war soweit locker und angenehm.
Dann kann ich dir ja nur viel Spaß mit den anderen Storys wünschen ;o)
DinoGirl: Ich bin unschuldig! *g*
Bei mir ist noch schlimmer, ich schreibe teilweise auf der Arbeit an meinen
Geschichten. Na ja, man darf sich nicht erwischen lassen und halt nichts an
Arbeit liegen lassen deswegen, dann geht das schon irgendwie ;o)
Aber es freut mich, daß dir die Story so gut gefällt. Ich glaube, das hier war
das schwächste Kapitel der ganzen Geschichte, zumindest hab ich den Eindruck,
daß es danach nur noch besser wurde.
Snape ist für mich einfach der absolute Gentleman, auch wenn er es nicht zeigen
kann/will. Ich glaube, er hatte eine sehr gute Kinderstube und da gehört ja ein
Handkuß einfach dazu, nicht wahr *seufz*
*g* Ich hab's mal wieder geschafft, die Author's Note ist so lang wie bei manch anderem ein ganzes Kapitel... krank ;o)
Ich wünsch euch was und wenn ich Glück hab, dann poste ich die Woche nochmal, drückt mir die Daumen.
Liebe Grüße
SilentRose
