KAPITEL 5

Der alte Pick Up sprang über das südliche Feld und bahnte sich so den kürzesten Weg nach Hause. Während Martha sich bemühte so wenig Schlaglöcher wie möglich zu erwischen, versuchte Jonathan seinen Sohn so gut wie möglich vor dem harten Boden zu schützen. Jonathan Kent bedauerte vieles, aber in diesem Moment hätte er sich selbst treten können, weil er Clark gezwungen hatte Lex Luthors neuen Wagen zurückzugeben; die neuen Stoßdämpfer wären jetzt sehr nützlich. Hätte er es damals gewusst, dann hätte er vielleicht seinen verdammten Stolz runtergeschluckt und Clark das Ding behalten lassen.

Im vorderen Teil des Pick Up war Martha verzweifelt dabei ihre Gedanken für die folgenden Aufgaben zu ordnen. „Ich brauche Nadel und Faden um die Schnitte zu nähen", murmelte sie und wich wegen einem Schlagloch zur Seite aus. „Vielleicht sollte ich sie auch einfach offen lassen, normalerweise heilt Clark allein sobald keine dieser Steine in der Nähe waren. Wenn sie sich zu schließen beginnen weiß ich, dass sein Zustand sich verbessert. Ich brauche etwas Antibiotikum und muss den Dreck irgendwie auswaschen." Plötzlich fiel ihr etwas ein und sie rief laut aus der Heckscheibe: „Jonathan!". Ihre Stimme war kaum über dem heftigen Wind zu hören. „Wenn wir zu Hause sind müssen wir Clark in das obere Badezimmer bringen. Ich möchte seine Wunden säubern ehe wir irgendwas unternehmen."

Auf der Ladefläche zog Jonathan seinen Sohn in eine sichere Position an seinen Körper, nachdem Clark weiter stöhnte und rief seiner Frau zu: „Ich denke nicht, dass wir ihn so weit tragen können", antwortete er ehrlich. Er war erschöpft und der Gedanke daran Clarks schweren Körper die Treppe hinaufzutragen war zu viel für ihn.

„Aber wir müssen", brüllte seine Frau. „Außerdem, sobald wir die Scherbe aus seinem Bein gezogen haben…", sie schluckte krampfartig ehe sie weitersprach, „wird es bestimmt bluten. Viel."

„Aber er wird sich doch erholen sobald wir den Splitter entfernt haben, richtig? Es ging ihm immer besser wenn er von den Steinen weg war."

Jonathans Stimme trug all ihre Hoffnungen in sich und dennoch zweifelte Martha daran, dass es so einfach werden würde. Das Gift strömte zügellos durch Clarks Körper und egal wie sehr sie sich wünschte, dass es anders wäre, so änderte das die Fakten nicht. Das einzige was sie mit Sicherheit wusste war, dass ihr Sohn todkrank war und sie sich nicht sicher war ob sie ihn retten konnte.

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Clark stöhnte jedes Mal wenn der Pick Up über die Fahrrinnen in der Straße holperte. Er hörte jemanden ermutigende Worte murmeln, aber er konnte sich nicht auf sie konzentrieren. Das Getöse in seinem Kopf war zu laut. Er fühlte etwas um ihn, dass ihn hielt und er lehnte sich an die Wärme an seinem Rücken.

Clark war so kalt, er konnte sich nicht erinnern jemals geschwitzt oder gefroren zu haben und heute hatte er gleich beides erlebt. In dem Teil seines Gehirns, dass noch halbwegs funktionierte konnte er sich nicht entscheiden was schlimmer war – die kochende Hitze in der Sonne, die seine Haut verbrennt oder die eisige Kälte, die ihn unkontrollierbar zittern ließ. Leider lag der Bruchteil in ihm, der sich mit dieser Frage hätte auseinandersetzen können tief unter Schmerzen, Kälte und Angst vergraben, denn diese Dinge beherrschten seinen wachen Verstand.

Jonathan fühlte wie sein Sohn trotz heißer Sonne fror, „Halt durch, Clark", flüsterte er in sein Ohr. „Wir sind fasst zu Hause. Halt einfach noch ein bisschen durch, und ehe du es bemerkst werden deine Mom und ich alles wieder in Ordnung gebracht haben."

„Dad!", Clark rief nach seinem Vater, seine Stimme hallte in seinen Ohren wider doch er konnte nicht durch die Wände sehen, die sich immer enger um ihn zogen.

Clarks Schrei war auch über dem Brausen des Windes zu hören und Jonathan drückte ihn noch fester an sich und flüsterte in sein Ohr. „Ich bin hier, Junge."

Clark streckte seine Hand aus um sich einen Weg durch die Dunkelheit zu bahnen. „Dad, wach auf, Dad. Ich brauche dich." Er wusste dass sein Vater hier irgendwo war, aber er konnte nichts sehen. Unerwartet machte die Nacht einem blendenden, brennenden Licht platz. Grünes Licht durchbohrte seine Knochen und zehrte an seinen Nerven. Clark fühlte, wie sich seine Haut vom Körper zu schälen begann als das grüne Licht heller pulsierte. „Dad!", wie wild riss er an den Steinen um ihn, seine Finger bluteten und er spürte wie sein entblößtes Fleisch die ihn umschließenden Wände entlangschliff. „Dad! Hilf mir!"

*Er träumt.*, sagte sich Jonathan als Clark sich in seiner Position schwach von einer zur andern Seite wälzte. Das Wort ‚halluzinieren' schwebte am Rande seines Verstandes, wurde aber nicht hereingelassen. „Ich bin hier, Junge. Ich bin genau hier." Das zumindest sprach er aus, aber sein Herz sagte ihm etwas ganz anderes. *Er stirbt. Er stirbt.* Mit jedem Herzschlag konnte er die Worte klar und deutlich hören, so als ob ihn jemand anschrie.

In diesem Moment wollte Jonathan mit ihm reden, ihm sagen wie sehr er ihn liebte und bewunderte. Er wollte, dass Clark weiß wie stolz er auf ihn und darauf war, ihn ‚Sohn' zu nennen. Indessen wurden sie langsamer und das Haus kam näher, also hielt er ihn einfach fest und bereitete seinen müden Körper auf die kommende Aufgabe vor während Martha vor der Tür parkte.

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Es hatte sich als leichter herausgestellt Clark nach oben zu bringen als sie gedacht hatten. In seinem halbwachen Zustand konnte er sie etwas unterstützen und im Team manövrierten sie ihn in die Badewanne. Mit ihren scharfen Nähscheren entfernte Martha Clarks übrige Sachen und erst als er nackt vor ihr lag begannen ihre Hände zu zitterten.

Von Kopf bis Fuß bedeckten ihn tiefschwarze Blutergüsse, Dreck und Blut markierten die Stellen an denen er sich während des Sturzes an den Steinen geschnitten hatte. Aus den langen, klaffenden Rissen auf seiner Brust, genau wie aus der tiefen Wunde am Bein tropfte seicht Blut, geradeso als ob der Körper die kostbare Flüssigkeit nur widerwillig hergab. Graugrüne, geschwollene Adern hoben sich von Clarks blasser Haut ab und zeigten so stumm auf die Fakten: er war vielleicht Jonathan und Martha Kents Sohn im Herzen und im Geist, aber er war nicht wie sie – oder von der Erde.

„Ist das Wasser warm genug?"

Jonathan riss seine Gedanken vom Wasser, dass neben Clarks Füße in die Wanne lief und drehte sich zu seiner Frau um: „Was? Hast du was gesagt?"

Martha räusperte sich und schluckte ein paar Mal, sie hatte gar nicht bemerkt dass sie geflüstert hatte. „Ist das Wasser warm genug?", wiederholte sie.

„Ich glaube schon. Es hat etwa Lufttemperatur, so wolltest du's doch, oder?"

Sie nickte und lächelte und nahm dann den freibeweglichen Duscharm von ihrem Mann. „Ich hatte es nie für möglich gehalten, dass sich das mal als so nützlich erweisen würde", bemerkte sie und fing an vorsichtig den Dreck von Clarks Haut zu waschen. Sie hatten den Duschkopf gekauft nachdem sie Clark adoptiert hatten. So war es leichter das überschwängliche Kind zu baden und während er aufwuchs hatte sich die Investition überaus gut bewährt.

„Ich weiß, aber ich wünschte dazu wäre es nie gekommen."

Wärme. Wasser. Clark konnte es seinen Körper entlanglaufen fühlen und sein Verstand fand etwas Greifbares in der Dunkelheit. Eine alte Erinnerung sprudelte zur Oberfläche seines Gehirns und er war wieder elf Jahre alt.

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Es war ein trockener Winter und ein noch trockenerer Frühling gewesen. Die Sommerhitze lag schwer auf dem Kernland und Staub hing wie eine undurchdringbare Schicht über den Straßen und Feldern. Clark kam es so vor, als ob die ganze Welt ausgetrocknet worden war und nichts je wieder ergrünen würde. Donner grollte in der Abendluft, aber bis jetzt war noch kein Tropfen vom blau-schwarzen Himmel gefallen. Er stand im Garten und blickte nach oben, seine Augen waren geschlossen und er wollte dass es regnet wenn er sie wieder öffnete.

„Mom, es regnet!"

„Clark, komm ins Haus, du wirst ganz nass."

„Aber Mom, es fühlt sich so gut an."

„Es kommt Wind auf, Clark, komm rein bevor du dich erkältest."

Und wie auf Befehl umwirbelte ihn eine starke Briese und der warme Regen wurde kalt.

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Wasser rann über ihn, floss in seine aufgeplatzte Haut und reinigte sie. Sanfte Hände wuschen den Dreck ab und trotzdem tat es weh, aber es war ein anderer Schmerz, ein Schmerz der im Herzen Trost spendete.

Als der Schmutz weggewaschen war wurde Clarks Blässe noch sichtbarer im Vergleich zur Emaillewanne. Marthas Lächeln verschwand als Clark leicht zitterte. Sie wärmte das Wasser etwas auf, sie wusste, dass er durch das Fieber fror, aber sie wusste auch, dass sie das Wasser nicht zu heiß machen durfte um keinen weiteren Anstieg zu riskieren. Zumindest war das die Theorie. Martha lachte fast laut über diesen Gedanken, sie glaubte kaum, dass die Forscher daran dächten wenn sie Clark vor sich hätten.

„Jonathan, könntest du weitermachen, damit ich die restlichen Sachen hohlen kann?"

Sie sah ihm nicht direkt in die Augen, aber er wusste von welchen Sachen sie sprach: Nadel, Faden, Schere, Verbände. *Zange*, plötzlich hatte er dieses intensive Bild von der silbernen Zange, die in der furchtbaren Stelle an Clarks Bein herumsuchte vor sich und musste eindringlich gegen den Brechreiz ankämpfen, der sich in ihm breit machte.

„Jonathan?"

„Sicher, kein Problem, mach du nur weiter." Um zu zeigen dass er ihre Frage verstanden hatte lächelte er knapp und hob einen Waschlappen auf. „Fast wie früher, huh?"

Martha lächelte genauso angespannt zurück. „Ja!", dann bückte sie sich und küsste ihn, es war ein harter Kuss, voll von Verzweiflung und Hoffnung. „Ich bin gleich zurück", versprach sie.

Jonathan seifte den dicken Frotteelappen ein und nahm sich eine von Clarks schlaffen Händen vor.

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„Halt einfach still, Clark. Ich weiß dass du nicht gerne badest, aber es muss sein."

Clarks leuchtend blau-graue Augen wandten sich an seinen Vater: „Warum, Daddy?"

„Weil du nicht die ganze Zeit schmutzig rumlaufen kannst", begründete es Jonathan und versuchte dabei nicht über Clarks offensichtliches Missfallen zu lachen.

„Wieso? Ich bin gern schmutzig."

Hinter der Tür stand Martha Kent und lauschte, sie musste eine Hand auf ihren Mund pressen um ein Kichern zu unterdrücken.

„Das glaub ich dir, Clark, aber deine Mutter mag keinen Dreck auf ihren frischen Laken und deshalb hat sie gesagt, dass du ein Bad nehmen sollst bevor du ins Bett gehst."

Der quengelnde Sechsjährige wurde still und dachte einen Moment darüber nach. Jonathan nutzte diesen ruhigen Moment aus und überfiel Clarks Haare aus dem Hinterhalt heraus. Er konnte gar nicht erwarten was seinem vorlauten Sohn als nächsten einfallen würde. Lange musste er nicht darauf warten. Clarks Gesicht hellte sich auf und er blickte wieder seinen Vater an: „Dann werde ich einfach nicht ins Bett gehen. Ich werde für immer wach bleiben und dann werden Mamas Laken auch nicht dreckig", meldete er stolz.

Jonathan lachte, er konnte nicht umhin. „Netter Versuch, Schlauberger, aber du wirst ein Bad nehmen."

Daraufhin verdunkelten sich Clarks Augen aus Enttäuschung heraus: „Aber Daddy, ich bin überhaupt…*gähn*…nicht müde."

„Das weiß ich, Junge", bemitleidete ihn Jonathan während er das Shampoo aus den dicken schwarzen Locken spülte, „aber Regeln sind nun mal Regeln und die sagen, dass es Bettzeit ist."

„Wer macht die Regeln?" wollte Clark wissen.

Jonathan grinste verschmitzt und hob seine Stimme: „Deine Mutter natürlich."

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„Ich glaube ich hab' alles." Marthas Stimme durchdrang Jonathans umherwandernde Gedanken. Er schloss seine Augen um die Tränen vom Fallen abzuhalten. Er musste für sie jetzt stark sein, nicht sentimental. Er drehte sich zum Sprechen zu ihr um und erkannte, dass sie neben ihm stand. In ihren Augen konnte er sehen, dass sie seine Schwäche bemerkt hatte und in diesem Moment wollte er vor ihren Füßen zerfallen und sich der Kraft, die ihn so lange aufrecht hielt ergeben.

Martha legte die Sachen, die sie bei sich trug zur Seite und zog ihren Mann fest an sich. Es war ihr egal, dass sich seine Hände nass an ihrem Rücken und seine Tränen nass an ihrer Brust anfühlten. Sie wusste, dass sie beide diesen Moment brauchten ehe sie weitermachen konnten. Sie mussten sich nochmals klarmachen, dass sie beide zusammen da drin steckten, ganzgleich was passierte.

Egal wie hart die Zeiten waren oder die Not, die mit dem Farmleben einhergingen, sie hatten sich immer gegenseitig unterstützt. Viele andere Paare konnten den Kurs nicht halten, aber sie kämpften dafür. Ihre Bindung war stark – stärker als Tornados, stärker als Trockenzeiten, stärker als Hochwasser oder Schulden und magere Zeiten. Sie war sogar stärker als der Stahl, aus dem ihr Sohn gemacht war. So oft hatten sie sich daran festgehalten – an einer Umarmung und der stummen Bestätigung ihrer gegenseitigen Liebe.

Wie aufs Stichwort, floss Kraft wo zuvor keine mehr war und sie konnten sie durch ihre Adern pulsieren fühlen, was sie vom Rand wegbrachte. Als sie wieder stark waren, lösten sie ihre Umarmung. Blicke trafen sich und Töne wurden ohne verwirrende Worte gesprochen.

„Fertig?", fragte Martha und wischte sachte die restlichen Tränen aus den Augen ihres Liebsten.

„Nein, aber lass uns trotzdem weitermachen."

Der Anschein eines Lächelns entstand an den Rändern seines Mundes, eine Geste, die sie erwiderte. „Ich liebe dich, Jonathan Kent."

„Ich liebe dich, Martha Kent."