KAPITEL 6

„Ich frage mich, ob sich Sterben so anfühlt?"

Der Gedanke war seltsam klar und besonders stechend in dem dicken Dunst, der sein Bewusstsein erstickte. Die Schmerzen, die ihn über Stunden geplagt hatten, oder war es für immer gewesen, sind jetzt dumpfer geworden, fast nicht vorhanden und andere Dinge nahmen ihren Platz ein. Zum Beispiel konnte er das Blut schwerfällig durch seine Adern fließen fühlen, wie Sandstein durch ein Rohr. Es war ein merkwürdiges, unwirkliches Gefühl und überhaupt nicht angenehm. In der Tat war es Clark, als ob er sich in Superzeitlupe bewegen würde, so wie in den Footballspielen, die er sich gern sonntags mit seinem Vater ansah. Nicht, dass er besonders gerne Football im Fernsehen sah, er verbrachte nur gern Zeit zusammen mit seinem Vater, wenn sie nichts zu tun hatten oder irgendwo hin mussten. Seine Mutter ließ sie bei so was immer allein, sie machte in der Zeit einen Korbvoll ihrer Supernachos und verschwand, den andern sich selbst überlassend.

„Ich vermisse das", dachte Clark. Und dann wollte er lachen, er fand es extrem amüsant, dass seine letzten Gedanken nicht Lana oder Chloe galten und noch nicht mal Lex, sondern im Fernsehen übertragener Sportsendungen und Chips.

Ohne Vorwarnung, flammten die Schmerzen, die verblasst waren von neuem auf. Clarks Verstand schrie, als er seinen erschöpften Körper zwang sich zu bewegen; sich von den Schmerzen fortzubewegen, fort von dem Feuer, dass an seinem Bein entlang, auf und ab, brannte und sich auf seinen ganzen Körper ausbreitete.

„Halt ihn ruhig, Jonathan!", schrie Martha und übertönte so die heiseren Schreie ihres Sohnes. Sie waren sich einig, dass Jonathans Gewicht am besten geeignet war um Clark stillzuhalten falls er unruhig werden sollte während sie arbeiteten. Und sie wusste auch, dass ihr Mann nicht in der Lage war, die Scherbe zu entfernen. Sie war es zwar auch nicht, um ehrlich zu sein, aber es gab nicht gerade viele Möglichkeiten.

Jonathan antwortete seiner Frau nicht, er war zu sehr damit beschäftigt Clark in der Wanne ruhig zu halten. „Ich hab unterschätzt, wie viel Kraft er noch hat", keuchte er, sich selbst genauso wie Martha zu. „Kannst du es sehen?"

Martha sah auf Clarks geschwollenes Bein und auf die in seinem Fleisch vergrabene Zange. Das Bruchstück war leicht zu erkennen. Obwohl es nicht so hell glühte, wie diese verdammten Dinger es normalerweise in Clarks Nähe taten, war es immer noch hell genug um es sehen zu können. Und es erleuchtete das geronnene Blut um sich herum mit einem blassen grünlichen Schatten. Sie hatte gerade das Meteorstück zu fassen bekommen als Clark sich bewegte und sie so den lockeren Griff um den glatten Stein verlor.

Nun versuchte sie die scharfen Enden der Zange inmitten des Blutes und Gewebes zu lokalisieren, um es vielleicht ein zweites Mal zu versuchen, aber dazu musste Clark still liegen bleiben. Schließlich brachte Jonathan ihren Sohn in eine bessere Position und sie begann den Prozess von neuem. Martha fluchte, denn sie konnte das Fleisch durch die Griffe der silbernen Nadelkopfzange spüren. „Ich hoffe ich muss so etwas nie wieder tun", dachte sie als sie einen dicken Muskelstrang beiseite schob. Unter ihren Fingern zuckte Clarks Bein und er stöhnte vor Schmerzen auf, als sie die dünnen Spitzen auf der Scherbe positionierte. „Wir haben's gleich geschafft, Liebling", flüsterte sie ihm in der sanften, singenden Stimme zu, die sie immer benutzt hatte, als Clark noch klein war und er Albträume gehabt hatte. „Mama ist fast fertig. Du musst nur noch ein paar Minuten länger stillhalten."

„Mama?", krächzte Clark. „Mama! Mach, dass es aufhört! Es tut weh!"

„Oh Gott, hilf mir", schluchzte Martha als sie ihren Halt um die Zange verstärkte. „Es wird alles wieder gut werden, Clark. Halt nur noch für ein paar Minuten durch, Baby." Mit zitternden Händen, schaukelte sie den Stein in der Wiege, bestehend aus Clarks Knochen, sanft vor und zurück Er lockerte sich leicht als sie versuchte ihn so weit loszumachen, dass sie ihn herausziehen konnte. Sie versuchte ihr Bestes Clarks Schreie und schwache Bewegungen zu ignorieren und sich auf das kleine Stück aus dem All, was zwischen den Zangenarmen eingeklemmt war zu konzentrieren. Aber ihr Bestes war nicht gut genug. Seine heiseren Schreie durchdrangen ihre Konzentration wie ein Skalpell Haut.

Am Ende konnte sie es nicht länger ertragen und gab dem Stein einen kräftigen, schnellen Ruck. Ein lauter Schrei, ein weicher Knall, nachdem sie rückwärts fiel. Als ihr Rücken auf den Boden schlug, löste sich der schmerzhafte Halt um die Zange und sie kullerte fort und hinterließ eine rote Spur auf den strahlendweißen Fliesen. Martha kroch ihr so schnell nach wie sie konnte, um sicher zu gehen, dass sie das Bruchstück erwischt hatte. Neben der Toilette glühte etwas kleines Blutiges, das sie aufhob. Sie nahm sich Zeit zu prüfen ob keine Stücke an den Ecken fehlten.

„Martha!", Jonathan schrie seine Frau an obwohl sie nur wenige Schritte entfernt war. Er konnte nicht anders. Er hatte Angst, denn genau wie sie es vorhergesagt hatte, begann die Wunde zu bluten nachdem die Scherbe entfernt worden war. Stark. Und ihm war als ob ein ganzer Fluss aus dem Bein seines Sohen schoss. „Martha komm sofort her!"

Martha vernahm die Panik in der Stimme ihres Mannes, aber sie musste sich vergewissern, dass der Splitter intakt war. „In einer Sekunde, Jonathan, ich muss dass überprüfen." Zu diesem Zweck rieb sie das blutverschmierte Stück an ihrem Shirt sauber und betrachtete es an den Kanten besonders gründlich. Der grässliche Stein war heil. Mit einem Schluchzer der Erleichterung, warf sie ihn in die Bleikiste, die sie für solche Notfälle zur Hand hatten und knallte den Deckel zu. Danach kroch sie zur Wanne hinüber.

„Oh Gott", keucht sie. Den Lebenssaft ihres Sohnes den Abfluss runter laufen zusehen ließ sie stutzen, mehr als sie erwartet hatten. „Kannst du sein Bein hochhalten?" Martha sah Jonathan an wie er so halb über Clark lag. „Hat er sich genug beruhigt, sodass du ihn loslassen kannst?!

Jonathan nickte und ließ Clarks Oberkörper los. Dieser stöhnte daraufhin und sein Kopf rollte am Badewannenrand hin und her. „Mama", wisperte er. „Mach, dass es aufhört, bitte mach, dass es aufhört."

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Er hörte wie seine Mutter seinen Namen rief.

„Amana!", jammerte er.

In der Tür erschien die gepflegte Gestalt seiner Mutter und er rann auf sie zu, seinen rechten Arm an seinen kleinen Körper gedrückt während Tränen sein Gesicht herunterströmten.

„Ashay, was ist passiert?"

Seine Mutter kniete sich neben ihn und nahm den am Teppich aufgeschürften Arm in ihre weichen Hände. Sie untersuchte ihn für einen Moment. „Wie hast du das denn wieder angestellt, Ashay? Bist du wieder die Geländer runtergerutscht?"

Clark nickte, Tränen füllten seinen grauen Augen bis zum Rand. „Es tut weh, Amana. Mach, dass es aufhört."

„Ich mache einfach das hier", sie lächelte als sie das Spray aus ihrer Tasche holte. Sie hatte ihn weinen gehört und irgendwie gedacht, dass sie es vielleicht brauchen könnte. Der Junge gab einen übertriebenen Seufzer der Erleichterung von sich als das kühle Spray die Schmerzen auf seiner rauen Haut verminderte. Er hatte das Krypton-Meerschweinchen gejagt, das ihm sein Vater zum Geburtstag geschenkt hatte und ist dabei über den Teppich am Geländer gestolpert. In der Hoffnung das Schlittern zu stoppen hatte er seine Arme nach vorne geworfen, aber nun war ein Arm von der Anstrengung ganz wund und rot.

„Ist es jetzt besser?" fragte ihn seine Mutter.

Clark grinste sie an und nickte. „Ja, Amana. Danke." Dann verbeugte er sich. Viele Male hatte er seinen Vater dabei gesehen und in seinem zwei Jahre alten Verstand kam es ihm sehr erwachsen vor.

Zu seinem Staunen und zur Freude seiner Mutter nahm sie ihn in ihre Arme und wirbelte ihn so schnell durch die Luft, bis der ganze Raum sich drehte. „Oh, Kal-El! Ich liebe dich!"

Nun lachte Clark ebenfalls und klammerte sich an ihr fest, indem er seine dicken Finger in den Haaren seiner Mutter vergrub. Es spielte für ihn keine Rolle, dass sie die falsche Haarfarbe hatte oder, dass der Ort in seinem Traum nicht sein Haus war. Er war noch nicht mal beunruhigt, dass sie ihn anders nannte. Alles was für ihn zählte war, dass er hier sicher war und es keine Schmerzen gab.

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Martha wickelte die langen Streifen, die sie aus alten Laken gemacht hatte sorgfältig um das T-Shirt, dass sie als Verband benutzt hatte. Dadurch dass Jonathan Clarks Bein hielt, konnte sie die Bandage gut abrollen und die Wunde fest verbinden, aber nicht so fest um das Blut am Fließen zu hindern. *Das wenige dass er noch hat* Der Gedanke kam ihr ungebeten und sie verbannte ihn durch einen mentalen Schrei, der ihrem Unterbewusstsein sagte die Klappe zu halten.

Clark stöhnte als sie die Stränge verknotete um so die Verbände festzumachen.

„Eb shayte, Amana. Dyun eb alte."

Marthas Hände hielten inne. Sie starrte ihren Sohn an. Sie war sich bewusst, dass auch Jonathan ihn fixierte und den geflüsterten Worten lauschte, die das Badezimmer erfüllten. Wörter wie diese hatten sie schon vorher gehört, aber vor sehr, sehr langer Zeit. Als er zu ihnen kam, hatte Clark fast für zwei Monate nicht gesprochen. Und als er dann anfing zu reden, sprach er Englisch. In seinen Träumen jedoch, murmelte er oft in fremden Sprachen, die von entfernten Galaxien und unerreichbaren Planeten stammten. Während vieler Nächte hatte Martha an seinem Bett gesessen und ihn aus Albträumen getröstet, die er mit Worten nicht erklären konnte. Diese Worte nach so vielen Jahren zu hören zerrte an ihrem Herz und sie fragte sich, wie weit weg ihr Sohn vielleicht schon war.

„Jonathan…"

„Es ist in Ordnung, Martha. Mach einfach weiter."

Marthas Blick bewegte sich von ihrem Sohn zu ihrem Mann. Die himmelblauen Augen waren ein ruhiger Hafen für ihre stürmischen Gefühle und letztlich versank sie für ein paar Sekunden in ihnen. Sie atmete tief und beendete ihre Arbeit. Während Jonathan weiterhin Clarks Bein hochhielt, spülte sie das Blut den Ausguss runter. Dann setzten sie ihn auf und hievten ihn aus der Badewanne.

Komischerweise stellte es sich als weitaus schwieriger heraus Clark den Flur runter zu tragen, als ihn zuvor die Treppen hoch zu schleppen. Jonathans Kraft verließ ihn schnell und er stolperte mehr als ein Mal auf dem kurzen Weg in Clarks Zimmer. Als sie endlich das Bett erreichten, setzte er seinen Sohn mit einem lauten Seufzen ab.

„Ich kann nicht mehr", sagte er mit offensichtlicher Erschöpfung in der Stimme. „Es tut mir leid, Martha."

Sie nahm ihren Mann in die Arme und hielt ihn fest. „Es ist OK. Wir sind fertig, ich kann hier weitermachen. Warum nimmst du nicht eine Dusche und ich seh' mir dann deinen Kopf an. Na, wie klingt das? Einverstanden?"

Jonathan blinzelte sie eine Weile an und seufzte dann. „ Eine Dusche hört sich gut an, ich bin dann unten." Er schleppte sich mühsam auf die Füße und steuerte auf die Tür zu.

„Unten? Schatz, meinst du, dass du es so weit schaffst?"

Er sah den Flur entlang zum blutigen Badezimmer und schauderte. „Das wird schon geh'n."

Martha sah zu wie er ging, ihre Augen hell, voller Mitgefühl. Sie glaubte auch nicht, dass sie dieses Bad je wieder so wie früher sehen konnte. Aber darüber würde sie später nachdenken, denn jetzt gab es Arbeit. Sie bedeckte die Schnittwunden auf Clarks Brust mit den großen Verbandspolstern, die sie im Medizinschrank gefunden hatte. Dann drückte sie die Enden fest. Sie wollte sichergehen an die Wunden ranzukommen, sodass sie Clarks Fortschritte prüfen konnte. Wenn die Schnitte verheilten, konnte sie sich ziemlich sicher sein, dass Clark sich erholen würde. Falls sie nicht heilten…nun, damit würde sie sich auseinandersetzen wenn es so weit war."

Als sie fertig war, setzte sich Martha neben ihren Sohn aufs Bett und strich ihm das ebenholzfarbene Haar aus dem blassen Gesicht. Er fühlte sich immer noch heiß an, aber wenigsten quälte ihn der Schüttelfrost nicht länger. Dafür war sie dankbar. Vielleicht bedeutete es, dass sich sein Zustand verbesserte. Ihre Finger folgten dem Gesicht, das sie so sehr liebte. „Du bist so hübsch", sagte sie leise. „Ich würde dir das nie sagen, aber ich denke, dass deine beiden Mädchen Narren sind. Eines Tages werden sie bemerken, was sie verpasst haben. Damit will ich nicht sagen, dass Aussehen alles ist, denn das ist es nicht. Ich sage nur, dass…du was Besonderes bist, Clark. Du bist klug und humorvoll und nett. Und wenn Chloe und Lana zu dumm sind, zu verstehen was für ein Fang du bist, haben sie dich nicht verdient. Ich weiß nicht, ob wir dich verdienen." Die Tränen, gegen die sie sich gewehrt hatte begannen schließlich zu fallen. „Oh Clark", schluchzte sie und ihre Brust hob sich mit der Wucht ihrer Emotionen, „Wir lieben dich so. Du musst zu uns zurückkommen. Du musst ganz einfach zu uns zurückkommen!"