ZWEITES KAPITEL ~ SCHATTEN DER VERGANGENHEIT
Als Aragorn im Turmsaal mit Arwen an seiner Seite den König der Mark empfing, war sein erster Gedanke Dankbarkeit darüber, dass die Vorboten Rohans ihm die Ankunft Éomers angekündigt hatten. Denn ohne diese Kunde hätte er den wackeren Kampfgefährten aus ferner Zeit schwerlich wiedererkannt.
Von dem einst kraftstrotzenden Éomer war kaum mehr etwas übrig - die früher blitzenden Augen trübe und gerötet, der geschmeidige Körper nunmehr gebeugt und geschwächt, das üppige lange Blondhaar nur noch ein dünner grauer Schopf.
In diesem Moment beneidete Aragorn seine Gemahlin. Nicht um ihre scheinbar unvergängliche Jugend, sondern um die tiefe Weisheit ihres langen Lebens. Sie hatte den immer gleich schnellen Verfall so vieler Menschen erfahren, so dass sie unbeeindruckt von der äußeren Hülle nur noch die unveränderliche Seele tief im Innern eines jeden Lebewesens erblickte.
Er jedoch sah Éomers verwitterte Züge und seinen gebrechlichen Körper, und erschauerte. Dabei hatte der König der Mark noch nicht einmal das siebzigste Lebensjahr erreicht. Doch Gram und Kummer hatten ihn vorzeitig altern lassen. Die lange Reise von Edoras nach Minas Tirith musste ihn zusätzlich erschöpft haben, denn er mühte sich sichtlich, dem König Gondors aufrecht gegenüber zu treten.
Aragorn erhob sich und ging Éomer entgegen. Er kannte Arwen gut genug, um zu wissen, dass sie zurück blieb, um sein Wiedersehen mit Éomer nicht zu stören. Ihr Feingefühl und hohes Maß an Takt waren so liebenswert wie alles ihrer bemerkenswerten Art.
Schnell erreichte er den Greis und blieb stehen. Auch Éomer verhielt seinen müden Schritt. Keiner sprach, und die Stille senkte sich wie Blei herab.
Lange musterte Aragorn den alten Freund und viele traurige Erinnerungen wurden wach. Anderthalb Jahrzehnte war es her, seit sie sich zuletzt gesehen hatten, und der Anlass bitter genug: eine dreifache Totenfeier. In einem kurzen, unglückseligen Augenblick hatte Éomer seine Gemahlin Lothíriel verloren, dazu seinen einzigen Sohn, sowie dessen Frau. Unnahbar und keinem Trost zugänglich hatte Éomer die Beisetzung über sich ergehen lassen, das Gesicht versteinert, hart und stolz der Blick. Wie sehr er gelitten haben musste, damals und all die Zeit danach, einsam und verlassen ohne die geliebte Frau. Die sagenhafte Treue der Rohirrim, über den Tod hinaus ...
Endlich ergriff Aragorn das Wort. "Lang ist's her, mein Freund, sehr lang ..."
" ... und ich bin alt geworden", murmelte Éomer, "du dagegen hast dich kaum verändert ..."
Éomer hatte Recht. Aragorn fühlte sich noch immer im Vollbesitz seiner Kräfte. Die Jahre waren fast unmerklich an ihm vorbeigegangen - das Erbe seines Volkes, der unvermischten Rasse des Westens.
Éomer blickte sich suchend um, seine Miene zeigte Befremden. "Bist du denn allein, König?" fragte er. "Wo sind dein Hofstaat und deine Musikanten, wo deine Berater und Heerführer, wo deine Krieger? Seltsam leer ist's hier ..."
"Allzu viele Menschen trüben den Blick ins Herz, und die Wahrheit schweigt gern bei lauter Musik", gab Aragorn ruhig zur Antwort. Éomer sah ihn nachdenklich an, dann nickte er bedächtig. Und Aragorn fuhr fort und sprach: "Nur die Königin ist immer dabei, denn ihr Blick geht tief, und sie ist sehr weise."
Er gab Arwen ein verstohlenes Zeichen, denn Éomers müde Augen schienen sie nicht bemerkt zu haben. In einer anmutigen Bewegung erhob sie sich und kam gemessenen Schrittes näher. Wie schon so oft dachte Aragorn, welch passenden Rahmen das alte erhabene Gemäuer für Arwens wundervolle Erscheinung bot. Er konnte den Blick nicht von ihr lassen; sie war vollendete Harmonie. Aus ihren klaren Augen leuchtete ihm reinste Liebe entgegen, und die ihr eigene Schwermut umgab sie wie ein silbernes Gespinst und ließ ihr zeitlos elbisches Wesen erahnen.
Da erkannte Éomer die Königin Gondors und verneigte sich so tief sein erschöpfter Körper es zuließ.
Arwen lächelte, wie nur sie es vermochte: hoheitsvoll und wehmütig zugleich. "Sei willkommen, Éomer aus dem Hause Eorl, König der Mark, sei willkommen in Gondor und in unserem Heim." Artig dankte Éomer der Königin, und sie fuhr mit silberheller Stimme fort: "Viele Jahre sind vergangen, seit wir uns zuletzt begegneten. Und doch ist das Schicksal der Völker von Gondor und Rohan seit dem gemeinsamen Kampf gegen die Schatten auf ewig miteinander verflochten. Meine Träume sagten mir heute Nacht, dass du nicht ohne Grund nach Minas Tirith kommst, und ich spüre deine Unruhe. So sprich, guter Éomer, was führt dich zu uns?"
"Jedes deiner Worte ist weise und wahr, edle Königin", antwortete Éomer ernst, "aus wichtigem Anlass komme ich nach Gondor. Und es wird dir nicht verborgen geblieben sein, dass dies meine letzte Reise auf dieser Welt sein wird. Bald, sehr bald, werd ich einen anderen Weg beschreiten ..." Schweren Herzens vernahm Aragorn diese Worte, doch er sah, wie es um Éomer stand, und wagte keinen Einwand, um die Ehre des Kriegers nicht zu verletzen. Éomer sprach unterdessen weiter: "Ohne Bedauern werd ich gehen, denn einsam war mein Leben ohne Lothíriel, und mein Königreich weiß ich nun endlich in guten Händen. Éodor, mein Enkelsohn, hat seine künftige Gemahlin gewählt, und nach meinem Tode wird er König der Mark sein. - Aber vorher, noch ein letztes Mal, möchte ich an das Grab meiner Schwester treten." Er seufzte tief. "All die Jahre war ihr früher Tod ein bitterer Stachel in meinem Herzen. Wie grausam und hinterhältig sich das Böse doch an ihr rächte ..."
Aragorn presste die Lippen zusammen. Dem bedauernswerten Faramir waren nur wenige Jahre an der Seite seiner Frau vergönnt gewesen, dann erkrankte Éowyn erneut; der schwere Schaden, den sie von ihrem Kampf auf dem Pelennor davongetragen hatte, kehrte wieder und raffte sie dahin. Nie würde er vergessen können, was damals geschah. Nichts half, kläglich versagten seine Heilkünste, und sie schien es auch gar nicht zu wollen ... sie ging dahin wie eine, der nichts mehr am Leben lag. Denn die Medizin, die sie vielleicht hätte retten können, durfte er ihr nicht geben. Seitdem fühlte er sich schuldig, auch wenn er sich immer wieder einzureden versucht hatte, dass es nicht in seiner Macht lag, Éowyn das zu gewähren, wonach sie so sehr verlangte. "So liegt sie nun für immer auf den Hügeln der Emyn Arnen, die Tochter Éomunds", murmelte er niedergeschlagen. "Und Farohir, ihr Enkelsohn, behütet einsam ihr und seiner Mutter Grab ..."
"So wurden Faramir und sein Sohn also nie gefunden ...", nickte Éomer grimmig.
"Oft in den letzten drei Jahren haben wir nach ihnen gesucht, sehr oft. Tief im Innern Mordors entdeckten wir ihre Spuren. Sie verloren sich im Nichts, in den heißen, rotglühenden Bergen." Aragorn schloss für einen Moment gequält die Augen. "Da wussten wir, dass alle Suche vergebens war und kehrten um." In dieser Zeit war er Farohir sehr nahe gekommen, denn der arme Junge hatte seine ganze Familie verloren und sah in ihm anscheinend eine Art Vaterersatz. Was lag näher, als ihm - trotz seiner Jugend - das Fürstentum Ithilien zu übergeben? Und es war die richtige Entscheidung gewesen, trotz so mancherorts geäußerter Bedenken. Denn Farohir war er ein kluger Kopf, sehr belesen und geschickt auf vielen Gebieten. Er hatte sich als äußerst zuverlässig und loyal erwiesen. Aragorn wünschte nur, sein königliches Amt ließe ihm hin und wieder Zeit, sich etwas mehr um Éowyns einzigen Enkelsohn zu kümmern ... - welch gute Gelegenheit bot da Éomers Besuch! Ja, er würde ihn zu den Emyn Arnen begleiten ...
"Und so bleibt Éowyn auch das verwehrt", unterbrach Éomer seine Gedanken mit düsterem Blick. "Allein liegt sie in ihrer kalten Gruft, auf alle Zeit ohne Gemahl, ohne Sohn. Allein ist sie in der Fremde, vergessen von den Menschen ..."
"Niemals!" rief Aragorn leidenschaftlich. Er würde sie bestimmt nicht vergessen, und auch sonst keine Menschenseele. "Überall in Gondor singt man Lieder zu Ehren Éowyns, der todeskühnen Jungfer Rohans!" erklärte er. Und dann fiel ihm noch etwas ein, und er lächelte; doch er sagte nichts, denn es sollte eine Überraschung für Éomer werden.
Da erklang Arwens Stimme, und sie war Balsam für ihre aufgebrachten Gemüter: "So ist es, Éomer. Jedes Kind Gondors weiß, was einst geschah: Es war Éowyn aus Rohan, die sich kühn und furchtlos dem Schrecken der Luft entgegen stellte. Mit einem Hieb streckte sie den Nazgûl nieder und besiegte den schwarzen Fürst. Sie war bereit, ihr Leben zu geben, und die Zeit kam, das Opfer darzubringen. - Für immer wird dies in den Herzen und Erinnerungen der Menschen Gondors bleiben, dessen kannst du gewiss sein."
Aragorn sah, dass der Schatten nicht so recht aus Éomers Gesicht weichen wollte und sagte freundlich: "Nun lasst die dunkle Vergangenheit ruhen. Éomer, du wirst hungrig und durstig sein nach dem beschwerlichen Ritt. Komm also, sei unser Gast, iss und trink mit uns, und die Müdigkeit wird von dir abfallen. Und morgen werden zu den Emyn Arnen reiten und gemeinsam deine Schwester ehren. Der gute Farohir wird über den Besuch seines berühmten Großonkels aus Rohan mehr als erfreut sein ..." Und er deutete auf den reich gedeckten Tisch an der Seite, den die Königin in weiser Voraussicht hatte vorbereiten lassen.
Éomer aber schüttelte den Kopf, und Aragorn gewahrte plötzlich ein winziges Funkeln in seinen alten Augen. "Gerne nähme ich deine Einladung an, lieber Freund, und stärkte mich jetzt gleich an deiner verlockenden Tafel", sagte der König der Mark. "Doch dazu wird später noch Zeit sein. Denn erst muss ich ein Versprechen einlösen, welches ich Gandalf dem Weißen in Edoras gab, als er uns für immer verließ. Bitte kommt mit nach draußen ..."
~ ~ ~ ~
Warnung: Bei dieser Geschichte ist Durchhaltevermögen gefragt ... sie wird noch sehr lang ...
Bitte schreibt mir eure Meinung, ehrlich, hart und schonungslos - per Mail oder als review
Als Aragorn im Turmsaal mit Arwen an seiner Seite den König der Mark empfing, war sein erster Gedanke Dankbarkeit darüber, dass die Vorboten Rohans ihm die Ankunft Éomers angekündigt hatten. Denn ohne diese Kunde hätte er den wackeren Kampfgefährten aus ferner Zeit schwerlich wiedererkannt.
Von dem einst kraftstrotzenden Éomer war kaum mehr etwas übrig - die früher blitzenden Augen trübe und gerötet, der geschmeidige Körper nunmehr gebeugt und geschwächt, das üppige lange Blondhaar nur noch ein dünner grauer Schopf.
In diesem Moment beneidete Aragorn seine Gemahlin. Nicht um ihre scheinbar unvergängliche Jugend, sondern um die tiefe Weisheit ihres langen Lebens. Sie hatte den immer gleich schnellen Verfall so vieler Menschen erfahren, so dass sie unbeeindruckt von der äußeren Hülle nur noch die unveränderliche Seele tief im Innern eines jeden Lebewesens erblickte.
Er jedoch sah Éomers verwitterte Züge und seinen gebrechlichen Körper, und erschauerte. Dabei hatte der König der Mark noch nicht einmal das siebzigste Lebensjahr erreicht. Doch Gram und Kummer hatten ihn vorzeitig altern lassen. Die lange Reise von Edoras nach Minas Tirith musste ihn zusätzlich erschöpft haben, denn er mühte sich sichtlich, dem König Gondors aufrecht gegenüber zu treten.
Aragorn erhob sich und ging Éomer entgegen. Er kannte Arwen gut genug, um zu wissen, dass sie zurück blieb, um sein Wiedersehen mit Éomer nicht zu stören. Ihr Feingefühl und hohes Maß an Takt waren so liebenswert wie alles ihrer bemerkenswerten Art.
Schnell erreichte er den Greis und blieb stehen. Auch Éomer verhielt seinen müden Schritt. Keiner sprach, und die Stille senkte sich wie Blei herab.
Lange musterte Aragorn den alten Freund und viele traurige Erinnerungen wurden wach. Anderthalb Jahrzehnte war es her, seit sie sich zuletzt gesehen hatten, und der Anlass bitter genug: eine dreifache Totenfeier. In einem kurzen, unglückseligen Augenblick hatte Éomer seine Gemahlin Lothíriel verloren, dazu seinen einzigen Sohn, sowie dessen Frau. Unnahbar und keinem Trost zugänglich hatte Éomer die Beisetzung über sich ergehen lassen, das Gesicht versteinert, hart und stolz der Blick. Wie sehr er gelitten haben musste, damals und all die Zeit danach, einsam und verlassen ohne die geliebte Frau. Die sagenhafte Treue der Rohirrim, über den Tod hinaus ...
Endlich ergriff Aragorn das Wort. "Lang ist's her, mein Freund, sehr lang ..."
" ... und ich bin alt geworden", murmelte Éomer, "du dagegen hast dich kaum verändert ..."
Éomer hatte Recht. Aragorn fühlte sich noch immer im Vollbesitz seiner Kräfte. Die Jahre waren fast unmerklich an ihm vorbeigegangen - das Erbe seines Volkes, der unvermischten Rasse des Westens.
Éomer blickte sich suchend um, seine Miene zeigte Befremden. "Bist du denn allein, König?" fragte er. "Wo sind dein Hofstaat und deine Musikanten, wo deine Berater und Heerführer, wo deine Krieger? Seltsam leer ist's hier ..."
"Allzu viele Menschen trüben den Blick ins Herz, und die Wahrheit schweigt gern bei lauter Musik", gab Aragorn ruhig zur Antwort. Éomer sah ihn nachdenklich an, dann nickte er bedächtig. Und Aragorn fuhr fort und sprach: "Nur die Königin ist immer dabei, denn ihr Blick geht tief, und sie ist sehr weise."
Er gab Arwen ein verstohlenes Zeichen, denn Éomers müde Augen schienen sie nicht bemerkt zu haben. In einer anmutigen Bewegung erhob sie sich und kam gemessenen Schrittes näher. Wie schon so oft dachte Aragorn, welch passenden Rahmen das alte erhabene Gemäuer für Arwens wundervolle Erscheinung bot. Er konnte den Blick nicht von ihr lassen; sie war vollendete Harmonie. Aus ihren klaren Augen leuchtete ihm reinste Liebe entgegen, und die ihr eigene Schwermut umgab sie wie ein silbernes Gespinst und ließ ihr zeitlos elbisches Wesen erahnen.
Da erkannte Éomer die Königin Gondors und verneigte sich so tief sein erschöpfter Körper es zuließ.
Arwen lächelte, wie nur sie es vermochte: hoheitsvoll und wehmütig zugleich. "Sei willkommen, Éomer aus dem Hause Eorl, König der Mark, sei willkommen in Gondor und in unserem Heim." Artig dankte Éomer der Königin, und sie fuhr mit silberheller Stimme fort: "Viele Jahre sind vergangen, seit wir uns zuletzt begegneten. Und doch ist das Schicksal der Völker von Gondor und Rohan seit dem gemeinsamen Kampf gegen die Schatten auf ewig miteinander verflochten. Meine Träume sagten mir heute Nacht, dass du nicht ohne Grund nach Minas Tirith kommst, und ich spüre deine Unruhe. So sprich, guter Éomer, was führt dich zu uns?"
"Jedes deiner Worte ist weise und wahr, edle Königin", antwortete Éomer ernst, "aus wichtigem Anlass komme ich nach Gondor. Und es wird dir nicht verborgen geblieben sein, dass dies meine letzte Reise auf dieser Welt sein wird. Bald, sehr bald, werd ich einen anderen Weg beschreiten ..." Schweren Herzens vernahm Aragorn diese Worte, doch er sah, wie es um Éomer stand, und wagte keinen Einwand, um die Ehre des Kriegers nicht zu verletzen. Éomer sprach unterdessen weiter: "Ohne Bedauern werd ich gehen, denn einsam war mein Leben ohne Lothíriel, und mein Königreich weiß ich nun endlich in guten Händen. Éodor, mein Enkelsohn, hat seine künftige Gemahlin gewählt, und nach meinem Tode wird er König der Mark sein. - Aber vorher, noch ein letztes Mal, möchte ich an das Grab meiner Schwester treten." Er seufzte tief. "All die Jahre war ihr früher Tod ein bitterer Stachel in meinem Herzen. Wie grausam und hinterhältig sich das Böse doch an ihr rächte ..."
Aragorn presste die Lippen zusammen. Dem bedauernswerten Faramir waren nur wenige Jahre an der Seite seiner Frau vergönnt gewesen, dann erkrankte Éowyn erneut; der schwere Schaden, den sie von ihrem Kampf auf dem Pelennor davongetragen hatte, kehrte wieder und raffte sie dahin. Nie würde er vergessen können, was damals geschah. Nichts half, kläglich versagten seine Heilkünste, und sie schien es auch gar nicht zu wollen ... sie ging dahin wie eine, der nichts mehr am Leben lag. Denn die Medizin, die sie vielleicht hätte retten können, durfte er ihr nicht geben. Seitdem fühlte er sich schuldig, auch wenn er sich immer wieder einzureden versucht hatte, dass es nicht in seiner Macht lag, Éowyn das zu gewähren, wonach sie so sehr verlangte. "So liegt sie nun für immer auf den Hügeln der Emyn Arnen, die Tochter Éomunds", murmelte er niedergeschlagen. "Und Farohir, ihr Enkelsohn, behütet einsam ihr und seiner Mutter Grab ..."
"So wurden Faramir und sein Sohn also nie gefunden ...", nickte Éomer grimmig.
"Oft in den letzten drei Jahren haben wir nach ihnen gesucht, sehr oft. Tief im Innern Mordors entdeckten wir ihre Spuren. Sie verloren sich im Nichts, in den heißen, rotglühenden Bergen." Aragorn schloss für einen Moment gequält die Augen. "Da wussten wir, dass alle Suche vergebens war und kehrten um." In dieser Zeit war er Farohir sehr nahe gekommen, denn der arme Junge hatte seine ganze Familie verloren und sah in ihm anscheinend eine Art Vaterersatz. Was lag näher, als ihm - trotz seiner Jugend - das Fürstentum Ithilien zu übergeben? Und es war die richtige Entscheidung gewesen, trotz so mancherorts geäußerter Bedenken. Denn Farohir war er ein kluger Kopf, sehr belesen und geschickt auf vielen Gebieten. Er hatte sich als äußerst zuverlässig und loyal erwiesen. Aragorn wünschte nur, sein königliches Amt ließe ihm hin und wieder Zeit, sich etwas mehr um Éowyns einzigen Enkelsohn zu kümmern ... - welch gute Gelegenheit bot da Éomers Besuch! Ja, er würde ihn zu den Emyn Arnen begleiten ...
"Und so bleibt Éowyn auch das verwehrt", unterbrach Éomer seine Gedanken mit düsterem Blick. "Allein liegt sie in ihrer kalten Gruft, auf alle Zeit ohne Gemahl, ohne Sohn. Allein ist sie in der Fremde, vergessen von den Menschen ..."
"Niemals!" rief Aragorn leidenschaftlich. Er würde sie bestimmt nicht vergessen, und auch sonst keine Menschenseele. "Überall in Gondor singt man Lieder zu Ehren Éowyns, der todeskühnen Jungfer Rohans!" erklärte er. Und dann fiel ihm noch etwas ein, und er lächelte; doch er sagte nichts, denn es sollte eine Überraschung für Éomer werden.
Da erklang Arwens Stimme, und sie war Balsam für ihre aufgebrachten Gemüter: "So ist es, Éomer. Jedes Kind Gondors weiß, was einst geschah: Es war Éowyn aus Rohan, die sich kühn und furchtlos dem Schrecken der Luft entgegen stellte. Mit einem Hieb streckte sie den Nazgûl nieder und besiegte den schwarzen Fürst. Sie war bereit, ihr Leben zu geben, und die Zeit kam, das Opfer darzubringen. - Für immer wird dies in den Herzen und Erinnerungen der Menschen Gondors bleiben, dessen kannst du gewiss sein."
Aragorn sah, dass der Schatten nicht so recht aus Éomers Gesicht weichen wollte und sagte freundlich: "Nun lasst die dunkle Vergangenheit ruhen. Éomer, du wirst hungrig und durstig sein nach dem beschwerlichen Ritt. Komm also, sei unser Gast, iss und trink mit uns, und die Müdigkeit wird von dir abfallen. Und morgen werden zu den Emyn Arnen reiten und gemeinsam deine Schwester ehren. Der gute Farohir wird über den Besuch seines berühmten Großonkels aus Rohan mehr als erfreut sein ..." Und er deutete auf den reich gedeckten Tisch an der Seite, den die Königin in weiser Voraussicht hatte vorbereiten lassen.
Éomer aber schüttelte den Kopf, und Aragorn gewahrte plötzlich ein winziges Funkeln in seinen alten Augen. "Gerne nähme ich deine Einladung an, lieber Freund, und stärkte mich jetzt gleich an deiner verlockenden Tafel", sagte der König der Mark. "Doch dazu wird später noch Zeit sein. Denn erst muss ich ein Versprechen einlösen, welches ich Gandalf dem Weißen in Edoras gab, als er uns für immer verließ. Bitte kommt mit nach draußen ..."
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Warnung: Bei dieser Geschichte ist Durchhaltevermögen gefragt ... sie wird noch sehr lang ...
Bitte schreibt mir eure Meinung, ehrlich, hart und schonungslos - per Mail oder als review
