Ein Missgeschick mit Folgen - zweiter Teil

Als Snape langsam die Augen wieder öffnete und hoffte, es wäre alles nur ein böser Traum gewesen, machte ihm Madame Hooch einen Strich durch die Rechnung, deren Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war und deren laute, unangenehme Stimme das erste war, was er nach etwa 2 Minuten der Besinnungslosigkeit wieder hörte.

"Er ist doch nicht tot!"

Snape fuhr mit einem Aufschrei in die Höhe, aber Lupin stieß Hooch beiseite und drückte ihn wieder in den Sessel.

"Natürlich ist er nicht tot", sagte er leicht verärgert und tupfte Snapes Stirn mit einem feuchten Lappen ab. "Legen Sie die Füße hoch", riet er Snape, was dieser folgsam tat, sich immer noch ziemlich unwohl fühlend. Er musste jedoch zugeben, dass Lupins Fürsorge ihn irgendwie beruhigte.

"Geht es Ihnen etwas besser? Wollen Sie vielleicht einen Tee?"

"Äh, ja. Das wäre sehr nett", murmelte Snape unsicher. Lupin drehte sich zu Minerva um, die zu ihnen getreten war, und sagte "Bring ihm bitte einen starken Tee! Und beeil dich!"

"Kannst du das nicht selber machen?", maulte Minerva, aber ein Blick von Lupin brachte sie zum Schweigen und sie verließ gehorsam den Raum.

Snape beschloss, dass es jetzt an der Zeit wäre, herauszufinden, was eigentlich geschehen war. Es musste ja einen Grund geben, warum die anderen Lehrer sich plötzlich für die Figuren aus seinen (heimlichen) Lieblingsbüchern hielten.

"Was habt ihr denn gestern noch gemacht, nachdem ich gegangen bin? War irgendwas - Besonderes?", fragte er und sah, wie Lupin überlegte. Dann antwortete er als könne er sich nur schwer erinnern. "Nun jaaa... hmm... soweit ich mich erinnere waren wir alle noch so wach, dass wir einen Spaziergang unternehmen wollten. Uns war auch so heiß, und die Nachtluft hätte uns etwas abgekühlt, dachten wir."

"Aber wir kamen gar nicht nach draußen!" platzte Hooch heraus.

"Man unterbricht andere nicht während sie reden, merk dir das endlich!" fuhr Lupin sie an und erzählte dann zögernd weiter, als wären die Geschehnisse der letzten Nacht schon mindestens eine Woche her. "Es stimmt, wir kamen nicht nach draußen... Wir müssen wohl eine Treppe zu weit hinuntergestiegen sein, denn sie führte in den Kerker. Während wir sie hinabstiegen änderte sie aber plötzlich die Richtung und drehte sich, bis sie sich an einem dunklen Gang wieder einfügte. Den sind wir dann entlang gegangen, und selbst - Albus - war sich mit uns einig, dass wir den Gang noch nie gesehen hatten. Aber wir kennen uns dort auch nicht so gut aus wie Sie, ääh... Severus! Wir dachten wir kommen schon irgendwo wieder hinaus. Aber es war eine Sackgasse. Am Ende fanden wir jedoch merkwürdigerweise ein Bücherregal mit vier Büchern darin... Es war sehr seltsam, denn bevor wir es noch genauer untersuchen konnten, schob sich eine Wand davor und es ging nirgends weiter. Also mussten wir umkehren. Wir waren dann so verwirrt und inzwischen auch müde, dass wir gar nicht mehr nach draußen gingen." Er hielt inne und überlegte. "Das war schon komisch, aber ... Albus... meinte, dass dieser Gang wahrscheinlich bloß jeden 2. Freitag im Monat oder nur bei einer bestimmten Sternenkonstellation erscheint - oder wenn die Leute, die dort hinkommen, genug Promille haben..."

Snapes Augen waren während Lupins Schilderung immer größer geworden. Das klang verdächtig nach - nach seinem geheimen Bücherregal! Es konnte gar nicht anders sein! Das erklärte immerhin wie sie an seine Bücher gekommen waren, aber wie kam es, dass sie sich für die Figuren hielten? Ein leiser Verdacht überkam ihn.

Zu den Ampullen, die er immer mit sich herumtrug, zählte auch ein Elixier, das dem Trinkenden die Fähigkeit verleiht, Romanfiguren sozusagen aus erster Hand zu erleben - sprich, sich mit ihnen zu identifizieren. Er hatte es selbst erfunden, und der Grund, warum er es immer mit sich herumtrug, war, dass keiner es in die Hände bekommen sollte, damit er nicht gefragt werden konnte, wozu er es erfunden hatte. Dann nämlich hätte er erklären müssen, dass er es nur gebraut hatte, um sich den Figuren seiner Bücher näher zu fühlen. Wie hätte er ihnen begreiflich machen können, was für ein Gefühl es war, Lillebror zu sein und aus dem Fenster nach Karlsson mit seinem Propeller Ausschau zu halten (die Tatsache, dass er im Kerker wohnte, tat seiner Freude daran keinen Abbruch), oder sich so stark wie Pippi Langstrumpf zu fühlen, dass man ein ganzes Haus hochheben konnte - oder natürlich Bert, der Streichholzverkäufer, zu sein, der mit Mary Poppins verlobt war... Er wäre lieber gestorben als das jemandem zu verraten.

Und nun war seine Überlegung folgende: Alle Ampullen die er bei sich trug, sahen gleich aus. Sie unterschieden sich nur an der Farbe des Inhalts, und das Anti-Kater-Elixier und der Bert-Trank (wie er ihn genannt hatte) waren farblich fast identisch. Konnte es also sein, dass er die beiden Tränke gestern Abend verwechselt hatte? Es konnte nicht nur, es musste!

Der Bert-Trank wirkte folgendermaßen: Man gab einen Tropfen davon in ein Getränk oder auf die blanke Zunge, und die erste Buchfigur, deren Namen man danach las, wurde zur Identifikationsperson. Es gab auch ein ganz einfaches Gegenmittel, das er allerdings nicht mit sich führte sondern in seinem Labor verwahrte, da es auch die Wirkung anderer ähnlicher Tränke aufhob. Man musste es jedoch vorsichtshalber spätestens nach 2 Stunden anwenden, da der Bert-Trank gewisse Nebenwirkungen besaß. Dazu zählten schleichender Verlust der eigenen Identität und direkt proportional dazu Identifikation von Fremdpersonen mit Buchfiguren. Diese Nebenwirkungen wurden immer schlimmer je länger man unter der Wirkung des Bert-Tranks stand, und wie lange war das schon bei Hooch, Minerva, Albus und Lupin der Fall? 10 Stunden? 11? 12? Er wagte gar nicht daran zu denken, aber wenigstens hatte er jetzt eine Erklärung für diesen Vorfall, und alles was er jetzt noch tun musste, war, Albus zu suchen und ihnen dann allen das Gegenmittel zu verabreichen. Nichts leichter als das - oder?

Er durfte allerdings nicht allzuviel Zeit verlieren, denn Lupin hatte offenbar schon Schwierigkeiten gehabt, sich an die echten Namen seiner Kollegen zu erinnern. Nun ja, der Gegentrank würde das alles wieder aufheben.

Snape sah Lupin an, der ihn mit einem seltsamen Blick bedachte, einer Mischung aus Fürsorge und Zuversicht, und es ging ihm ungewollt durch und durch, so dass er wegsah. 'Er - ist - nicht - Mary Poppins!', dachte er verbissen und räusperte sich laut.

Minerva kam mit dem Tee wieder herein und knallte ihn unfein auf das Tischchen neben dem Sessel in dem Snape saß. "Vielen Dank", sagte der automatisch, als würde Lupin auch ihn rügen wenn er sich nicht bedanken würde - und diese Idee war gar nicht mal so abwegig.

In Gedanken versunken schlürfte er seinen Tee, während Hooch lautstark auch nach etwas zu Trinken verlangte, von Lupin aber zurechtgewiesen wurde, dass man nicht schreien würde wenn man etwas will. Was für eine Entlastung, nicht allein auf diesen Haufen aufpassen zu müssen, dachte sich Snape und stellte die leere Tasse wieder auf den Untersetzer. Dann stand er widerstrebend auf und Lupin eilte sofort herbei, um ihn zu stützen. "Lassen Sie das!", sagte Snape mit unangenehmem Gesichtsausdruck, aber Lupin lächelte nur nachsichtig und ließ sich nicht verscheuchen. Snape musste sich bei ihm einhaken, und leicht verwirrt wandte er sich jetzt an die restlichen beiden.

"Was wir nun tun müssen, ist, den Albus zu suchen. Wir werden alle gemeinsam gehen, aber wir bleiben zusammen! Keiner geht allein auf Wanderschaft oder trödelt hinterher so dass wir ihn aus den Augen verlieren! Alles klar?" Unter dem strengen Blick von Lupin stimmten Hooch und Minerva widerwillig zu, und so gingen sie aus dem Lehrerzimmer, um sich auf die Suche nach dem Schuldirektor zu machen.

Snape war wirklich sehr, sehr, sehr froh dass es ein Hogsmeade-Wochenende war und die Gänge damit wie leergefegt waren. Er wäre auf der Stelle im Boden versunken, wenn jemand ihn Arm in Arm mit Lupin durchs Schloss wandeln hätte sehen, noch dazu gefolgt von Hooch und Minerva, die sich benahmen als wären sie zehn und die sich auch nicht die Mühe machten, leise zu sein.

Um das alles noch schlimmer zu machen, fing Lupin wieder mit seinem Albus- Find-Lied an, welches folgendermaßen ging:

Willst du einen Albus finden, wo könnt er nur stecken?

Such ihn in allen Schränken, unterm Bett und in den Ecken!

Kehr das unterste zuoberst, such ihn vorn und hinten!

So, nur so, wirst du den Albus finden!

Da es so ein simples Lied war fielen bald Minerva und Hooch mit ein, und Snape hätte etwas darum gegeben, einen Tarnumhang zu besitzen. Das Ganze war doppelt peinlich, da es nicht nur so ein albernes Lied war sondern Minerva auch noch versuchte, wie Britney Spears zu singen und ab und zu ein "yey yey yeah" oder ein "oh baby baby" einwarf.

Als sie das Lied zum hundertsten Mal wiederholt hatten und Snape schon kurz davor war, auch mitzusingen, hörten sie ein Geräusch, das aus dem Gang rechts vor ihnen kam und das Snape dazu bewog, Lupin reflexartig den Mund zuzuhalten. Der schaute ihn sehr empört an, begriff dann aber und machte ein ungeduldiges "Psssst!" nach hinten zu Hooch und Minerva. Die waren zu überrascht um zu meckern und so konnte Snape eindeutig Mister Filchs Stimme identifizieren, die auf jemanden einredete.

"... die ganze Wand im 2. Stock vollgeschmiert, eindeutig das Werk jugendlichen Vandalismus'! Ich hoffe das werden Sie ihnen nicht durchgehen lassen, Direktor, das macht 2 Stunden Putzen für mich!"

'Oh nein!' dachte Snape, 'er redet mit dem Albus! Ich muss ihn schnell von da wegholen bevor ein Unglück geschieht...' Doch ehe er sich auch nur bewegt hatte, rannte Madame Hooch schon in den Gang hinein, was wiederum Lupin dazu veranlasste, Snape abrupt loszulassen und ihr hinterherzulaufen. Minerva ließ die Schultern hängen und sagte beleidigt "Ich brauch euch gar nicht! Geht doch!" Dann überlegte sie es sich aber anders und rannte ebenfalls in den Gang, "He! Wartet doch mal! Mannoo!" rufend, was Snape als einzigen zurückbleiben ließ. Seufzend fügte er sich und ging als letzter in den Gang hinein, in dem er seiner Meinung nach eigentlich der erste hätte sein sollen.

Als er allerdings um die Ecke bog, wünschte er sich, er wäre stehen geblieben wo er gewesen war. Lupin versuchte vergeblich, Hooch, Minerva und Albus unter Kontrolle zu bringen, die untereinander in bester Gesellschaft waren (bis auf dass Minerva immer eine Extrawurst haben und sich in den Vordergrund spielen wollte, aber die anderen ignorierten das einfach) und den armen Mister Filch völlig niederquatschten.

"Huiiii Vandalismus!" quietschte Albus fröhlich. "Habt ihr das gehört?"

"Die Wände im 2. Stock sind beschmiert? Warum sind sie dann hier noch sauber?" fragte Hooch, kramte ein Stück Kreide aus ihrem Umhang hervor und fing sofort an zu malen.

"Ich will auch!" sagte Minerva fordernd und Albus warf ihr ein Stück Kreide zu.

"M-meine Damen - und der Herr...!" stotterte Filch und sah Lupin fassungslos an.

Snape schloss kurz die Augen, atmete tief durch und ging dann zu ihnen. "Bitte entschuldigen Sie, Mister Filch", sagte er zu dem verstörten Hausmeister. "Sie sind heute nicht sie selbst. Es liegt an, äääh... einem überfälligen Zaubertrank! Ja! Das beste ist, man lässt sie in Ruhe, ich bin sicher ich kriege das bald wieder hin!" Er führte Filch an einem Arm mit leichter Gewalt von der Gruppe weg, bevor der irgendwie mitkriegen konnte, was wirklich mit den Leuten los war und unangenehme Fragen stellte. "Ich kümmere mich darum! Meiden Sie sie für den Rest des Tages!" riet er ihm noch, dann schickte er ihn weg und widmete sich wieder seinen 'Kollegen'.

"So geht das aber nicht!" rief Lupin ärgerlich, als die anderen ihn immer noch völlig ignorierten. "Wer nicht hören will muss fühlen!"

Und plötzlich formatierten sich die Kreidestriche an der Wand völlig neu, ordneten sich zu einem Gebilde, das nur langsam Form annahm. Überrascht ließen Hooch, Minerva und Albus ihre Kreiden sinken und beobachteten die Verwandlung die da vor sich ging. Snape warf einen kurzen Blick auf Lupin und sah, dass in seinem Gesicht ein subtiles Lächeln leuchtete. Schnell schaute er wieder an die Wand, gerade noch rechtzeitig um zu sehen, dass das neue Bild, das entstanden war, ein riesiges Monster darstellte, das plötzlich zum Leben erwachte. Es riss sein Maul weit auf und schien fast aus dem Bild zu springen. Die drei schrien auf, ließen die Kreiden fallen und rannten sofort wie der Blitz auf und davon.

Snape war einerseits froh, sie erstmal los zu sein, aber andererseits beschlich ihn ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken, dass sie sich alleine im Schloss herumtrieben.

Als er jedoch Lupin ansah, beschlich ihn ein ganz anderes Gefühl. Dass Mary Poppins sein absolutes Lieblingsbuch (und die Hauptdarstellerin seine absolute Lieblingsfigur - in jeder Hinsicht) war, hing auch damit zusammen, dass Mary keine völlige Muggel war, sondern ein bißchen zaubern konnte. Er liebte es, davon zu lesen, wie sie die Kinder mit subtiler Zauberei in ihre Schranken wies. Und nun hatte er es sozusagen live erlebt und war ebenso verzaubert davon - obwohl es doch Lupin war, der vor ihm stand. Oder...? Wieviel von ihm war noch Lupin und wieviel schon Mary? Der Bert-Trank war schon eine ganze Weile in ihm am Wirken; und wann hatte Snape schon einmal die Gelegenheit, sich mit Mary Poppins zu unterhalten, ihr ein bisschen näher zu sein als wenn er nur von ihr las oder sich in Bert verwandelte? Wahrscheinlich nie wieder, nachdem das hier zuende war. Sollte er diese Chance ungenutzt verstreichen lassen? Es war Lupin, dessen Aussehen er vor sich hatte, aber es war Mary Poppins, die in ihm steckte...

Hin- und her überlegend stand er da und starrte Lupin an, bis er aufgab. 'Okay', dachte er. 'Du bekommst so eine Gelegenheit nie wieder. Und niemand wird es wissen. Vielleicht erinnert er sich nachher gar nicht mehr daran, wie ich zu ihm war. Ich habe den Trank noch nie so lange wirken lassen, also kann das durchaus sein.' Er beschloss, es drauf ankommen zu lassen. Ein Rendezvous mit Mary Poppins... das war einfach zu schön um es nicht zu versuchen.

Zwar etwas unsicher, aber innerlich doch entschlossen bat er Lupin, auf ihn zu warten und betrat eine Toilette. Dort besah er sich im Spiegel. Er wusste, dass Mary viel Wert auf ein adrettes Äußeres legte, nicht nur bei sich selbst. Seufzend kramte er seinen Zauberstab hervor und deutete damit auf seine Haare. 'Ich kann nicht glauben, dass ich das hier tue' dachte er noch, bevor er den Zauberspruch aussprach: "Herbalo Essencio!". Sofort verschwand der fettige Schein auf seinem Haar und wurde statt dessen von einem klaren, sauberen Glanz ersetzt. Es gab auch keine verfilzten, knotigen Stellen mehr, und Snape erkannte sich selbst kaum wieder als er sich jetzt so sah. "Hauptsache, ihr gefällt's", murmelte er, warf sich in die Brust und verließ die Toilette mit aufrechtem Gang.