One Draco to rule them all
Der Rat (?)…nicht von Elrond, sondern von Krumdûl
Sein erhabenes Haupt wurde vom Licht der Morgensonne gewärmt, als er sein Reich überblickte. Mit einem Lächeln auf den Lippen sah König Aragorn auf das geschäftige Treiben der Menschen in Minas Tirith herab, seine Untertanen, die ihn liebten und verehrten. Denn er war Aragorn, Elessar, der König, der Mittelerde den Frieden gebracht hatte. Er wandte sein gekröntes Haupt noch einmal nach Osten, nach Mordor, bevor er sich ins Schlafgemach begab, um seine wunderschöne Gemahlin, die Elbin Arwen, zu wecken. Aus dem von Kriegen zerrütteten Land Mittelerde war ein Ort des Friedens und des Wohlstands geworden. Der Dunkle Herrscher war dahin und seine Heerscharen, Orks, Goblins und wilde Menschen, auf immer nach Mordor verbannt worden. Vom Auenland über Rohan bis nach Ithilien lebte man in Frieden und Harmonie. Und alle waren sie glücklich. Alle, bis auf die Bewohner Mordors. Die waren, gelinde gesagt, ernsthaft verstimmt über die neue Lage. Erstens ging es ihnen gehörig gegen den Strich, dass sie so zusammengepfercht worden waren. Am schlimmsten ging es am Nurnen-Meer zu, wo König Aragorn die Sklaven und Kriegsgefangenen hatte hinschaffen lassen. Dort trafen die Angehörigen von nicht weniger als zweiunddreißig Orkstämmen, dreizehn Goblin-Clans und siebzehn Dûnländer-Sippen aufeinander. Gerüchten zufolge war aus der wöchentlichen Mittwochnachmittag-Keilerei, einer guten alten Nurnen-Meer-Tradition, nun ein handfester Mittwochnachmittag-Krieg geworden, was selbst bei dem dümmsten Ork bedauerndes Kopfschütteln hervorrief. Zweitens hatten ausnahmslos alle das dringende Bedürfnis nach einem neuen Herrscher. Nicht nur, dass sie ohne die starke Hand Saurons nun ohne jegliche Bestimmung, ohne jegliches Ziel vor Augen in den Tag lebten, nein, auch Barad-dûr vermissten sie schrecklich. Es war für sie Wahrzeichen und Mahnmal, Treffpunkt und Zuflucht gewesen. Und jetzt lag es in Trümmern. Wie gesagt, falls es irgendwann einmal das kleinste bisschen Freude in Mordor gegeben hatte, war es auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Und es galt, etwas dagegen zu unternehmen. Eines Abends saßen ein paar Orks beisammen, es mochten um die zwanzig gewesen, und taten das, was Orks am besten können: Trinken und sich dabei unflätige Ausdrücke an den Kopf werfen. Es war ein bunt zusammengewürfelter Haufen und eigentlich war er nur des Alkohols wegen zusammengekommen, da sich die hässlichen Kreaturen untereinander nicht ausstehen konnten. Mitten im schönsten Grölen und Zanken wurde ein großer Uruk, Krumdûl mit Namen, plötzlich still. Er hielt sich für besonders schlau und ihm war ein, seiner Meinung nach, guter Gedanke gekommen. So erhob er sich schwankend, hob die Hände und rief: „Also, seid doch mal alle bitte ruhig!" Natürlich überhörten ihn die anderen Orks absichtlich. Wer eine höfliche Bitte formulierte, verdiente nicht, dass man ihm Gehör schenkte. Krumdûl fauchte zornig, packte den Kopf des nächsten Orks und hämmerte ihn mehrmals auf den Boden, was ein widerlich krachendes, knirschendes Geräusch verursachte. Die kleineren unter den Orks zuckten ängstlich zusammen und pieksten die größeren in die Rippen, um ihre Aufmerksamkeit auf Krumdûl zu lenken, der brüllte: „So, jetzt mal herhorchen, weil nämlich, ich hab nämlich was zu sagen, hab ich nämlich!" „Hört, hört!", knurrte ein anderer Uruk. Das hätte er lieber nicht tun sollen, denn dadurch vergaß Krumdûl was er Wichtiges sagen wollte und sah sich deshalb gezwungen, dem vorwitzigen Uruk die Kehle aufzuschlitzen. Nachdem er das Blut von seinem Dolch geleckt hatte, fiel es ihm wieder ein: „Wir wissen ja alle, wie grässlich unser Leben ist. Aber ohne Sauron ist es noch unerträglicher. Und warum? Weil es öde ist. Öde, öde, öde. Öde wie altes Abwaschwasser!" „Altes Abwaschwasser kann manchmal ganz lecker sein", meldete sich ein wendiger, kleiner Ork mit Knollnase zu Wort. „Kommt drauf an, was drin rumschwimmt." „Ich mein, was machen wir den ganzen Tag, mein ich?", fuhr Krumdûl fort. „Ich mein, es macht nicht mal mehr Spaß, die Goblins in den Schicksalsberg zu schmeißen!" Das wurde mit gegrunzter Zustimmung quittiert. Es war wirklich vergnüglich, das klägliche Geschrei der fallenden Goblins zu hören. Aber nach einem Dutzend Goblins wurde es schon fad. „Wir brauchen jemanden, der uns Aufgaben gibt!" Die Orks nickten einstimmig. „Ein neuer Herrscher muss her!" Krumdûl hielt theatralisch sein Schwert mit beiden Händen hoch. „Wir brauchen Krieg! Wir brauchen Blut!" Seine Zuhörer wiederholten lautstark seine Forderungen. „Aber", wandte ein junger Ork ein, der noch nicht so viel Erfahrung mit dem Ork-Dasein hatte, „hat Saurons Krieg nicht viel sinnloses Leiden und Sterben gebracht? Warum wollen wir weiter sinnlos töten?" Er wurde niedergebrüllt. Ein Klugschwätzer war das letzte, was Mordor nun brauchte. „Also ist das beschlossene Sache", stellte Krumdûl fest. „Wir werden uns auf die Suche nach jemandem machen, der das Privil… Priva… Prili… die Ehre verdient, unser Anführer zu sein!" Plötzlich erhob sich aus der Masse der ekstatischen Orks ein wahrer Koloss. Er baute sich mit spöttischem Lächeln vor Krumdûl auf und knurrte: „Glaubst du wirklich, du könntest so einfach einen neuen Herrscher einsetzen ohne die Nazgûl um Erlaubnis zu fragen? Wundert mich, dass ein einfacher Uruk wie du, noch dazu ein so schwächlicher, stärker sein soll als ein Nazgûl." Krumdûl starrte auf die breite Brust seines Gegenübers, die die Fellweste fast zu sprengen drohte, und überlegte, ob er ihm sein dämlich grinsendes Gesicht zerkratzen oder doch lieber die Nazgûl nach ihrer Meinung fragen sollte. Noch an diesem Abend suchte er die Nazgûl auf.
