Kontakt mit den Einheimischen
„Mutter!" Dracos nackte Füße schlitterten über den polierten Holzboden. „Mutter! Wo bist du?" „Draco?" Sein Vater saß in einem seiner guten Anzüge auf der Treppe zur Eingangshalle und bestickte einen langen schwarzen Umhang mit einem silbernen „V" – „V" wie Voldemort. Draco verdrehte die Augen, dann fragte er: „Wo ist Mutter? Ich muss sie sprechen." „Sie ist weggegangen", gab Lucius knapp zurück. „Aber sag, was gibt es?" „Eigentlich nichts Besonderes. Ich wollte mich nur verabschieden." „Ach, willst du auch ausgehen?" „Nein, ich verlasse diese Welt." „Autsch!" Mr. Malfoy hatte sich bei diesen Worten vor Schreck in den Finger gestochen. „Was hast du vor?" Er machte eine Pause, um bekümmert den kleinen Blutstropfen an seinem Zeigefinger zu betrachten. „Doch nichts Unüberlegtes?" „Nein, Vater, ich habe nur vor nach Mittelerde zu gehen", beruhigte ihn sein Sohn. Lucius schien erleichtert: „Du willst Ferien machen, jetzt verstehe ich. Wie lange denn? Zwei Wochen oder drei?" „Du verstehst überhaupt nichts, Vater", erwiderte Draco kühl, „ich gehe nach Mordor, um dort zu arbeiten." „Ist dir denn schon eine Stelle zugesichert worden?" „Ja", antwortete der junge Mann ohne zu zögern oder rot zu werden. „Ich werde Tyrann und Kriegstreiber. Wenn du gestattest, ich muss mich auf einen Dimensionssprung vorbereiten."
Und er rauschte vorbei ohne seinen Vater eines weiteren Blickes zu würdigen. Vor seiner Zimmertür zog er seinen Zauberstab und schrieb mit brennenden Buchstaben in die Luft: „Nicht stören! Wer meine Karriere gefährdet, gefährdet sich selbst!" In seinem Zimmer überflog er hektisch die Buchrücken seiner gesamten Literatur. Wo stand doch gleich dieser verdammte Zauberspruch? Natürlich, da war es, „Entmaterialisierung für Fortgeschrittene". Er legte das aufgeschlagene Buch auf den Schreibtisch und las sich die Anweisungen Schritt für Schritt durch. Es würde nicht einfach werden, sogar für so einen begabten Magier wie ihn. Dazu war er sich nicht sicher, ob sie noch Greifenkrallen im Vorratsschrank hatten, denn eine davon würde nötig sein, ebenso wie Harpyienblut und ähnlich Extravagantes. Bevor er sich jedoch ans Zaubern machte, ging er auf den Sekretär zu und strich der Schlangenfigur liebevoll über den Kopf. „Mach's gut, mein Kleiner!" Es klopfte. „Ich hab mich wohl nicht deutlich genug ausgedrückt", knurrte Draco. Er holte gerade Luft, um dem Störenfried ein paar Beleidigungen an den Kopf zu werfen, als er die Stimme seines Vaters hörte: „Draco, kann ich reinkommen? Ich muss dich etwas fragen!"
Noch ehe er antworten konnte, stand Lucius schon vor ihm, besser gesagt, er hielt ihm den schwarzen Umhang vor die Nase. „Glaubst du, dass Voldemort sich darüber freuen wird?" „Sicher", murmelte Draco desinteressiert. „Meinst du wirklich?", wollte Mr. Malfoy zweifelnd wissen. „Ich hätte doch lieber scharlachrotes anstatt silbernes Garn nehmen sollen!" „Wie wäre es, wenn du einen zweiten Umhang mit rotem Garn bestickst? Dann hat er einen zum Wechseln", schlug Draco eilig vor. Lucius freute sich wie ein Kind an Weihnachten. „Das ist eine gute Idee, genau das werde ich tun!" Sein Sohn seufzte. Keine Arbeit konnte so anstrengend sein wie das hier. Er wollte sich wieder dem Zauberbuch zuwenden. Aber Mr. Malfoy stand immer noch mitten im Zimmer und lächelte ihn an. „Was ist denn nun noch?", fragte Draco ungeduldig. Lucius legte den Umhang beiseite, dann lief er mit weit ausgebreiteten Armen auf seinen Sprössling zu. Ehe sich dieser versah, wurde er auch schon innig umarmt. „Ich bin so stolz auf dich, mein Junge!" Es war wohl der glücklichste Moment in seinem Leben, Lucius Malfoy war den Freudentränen nahe, und konnte allerhöchstens von einem Autogramm des Dunklen Lords mit persönlicher Widmung übertroffen werden. „Danke, Vater", sagte Draco, wand sich aus der Umklammerung und las erneut den Spruch, den er verwenden musste.
Sein Vater las ebenfalls mit kritisch gerunzelter Stirn. „Du meine Güte, das ist ja schrecklich kompliziert!", stellte er fest. „Ich weiß", murrte Draco. „Das dauert eine Ewigkeit. Lass mich das mal machen, Draco!" Lachend zückte Lucius seinen Zauberstab. „Ich weiß da einen fabelhaften Spruch, der noch aus meiner Schulzeit stammt…" „Nein, das… das wird nicht nötig sein… nein", stammelte Draco und wich zurück. „Ach, was!", rief Malfoy senior fröhlich den Stab schwingend. „Das geht ganz schnell!" „Vater, nein!" Zu spät. Mit einem Aufschrei verschwand Draco. Er fühlte sich wie von einem Wirbelsturm erfasst. Mal ging es hoch, mal runter, mal im Kreis, mal über Kopf. Verschwommene Landschaften jagten an ihm vorbei. Er schloss die Augen und wünschte sich, nicht so reichlich gefrühstückt zu haben. Schließlich wurde der junge Malfoy unsanft abgesetzt. Das war der Nachteil bei diesen alten, unausgereiften Sprüchen: Sie hatten alle miteinander unangenehme Nebenwirkungen. Dieser brachte einen zwar schnell an den gewünschten Ort, ganz egal, wohin, jedoch wurde man an den unmöglichsten Plätzen abgesetzt. Draco befand sich beispielsweise auf den Schultern eines stämmigen Orks, der wiederum auf einem Wehrgang stand. Er öffnete die Augen und stellte mit Schrecken seine missliche Lage fest. Eisige Schauer liefen seinen Rücken hinunter, als kräftige Orkhände ihn packten und auf die Füße stellten. Er hielt so gut wie möglich die Luft an. Der Gestank, den der Ork, der ihn festhielt, ausströmte, war unerträglich.
Jetzt begann das Untier zu sprechen und Draco zog ängstlich den Kopf ein. Denn das Monster klang ziemlich wütend, jedoch nur deswegen, weil Orks nun einmal, welch Wunder, Orkisch sprechen und Orkisch eben immer nach Wut und Flüchen klingt. „Was bist du denn für ein magerer Wurm?", brummte der muskelbepackte, ganz und gar nicht nett aussehende Ork. „Siehst wie 'ne junge Halbbrut aus." Er hob Dracos Kinn und studierte sein Gesicht. „Ja, 'ne kleine Halbbrut. Lass mich raten, Vater Goblin, Mutter Elbin, richtig?" Der durchaus menschliche Zauberer sah ihn mit vor Schreck geweiteten Augen an. Da lachte der Ork, dass es Draco in den Ohren dröhnte. „Na, was denn? Nicht so ängstlich", meinte er gutmütig, was Draco leider nicht verstehen konnte. „Hab ja nichts gegen Goblins. Nette Burschen, wenn man sie mal kennt. Nur die Elben, das is' so 'ne Sache für sich. Aber mach dir nichts draus! Kannst ja nichts dafür, du armer Wurm." Er machte eine Pause, um in seinen Zähnen zu pulen und ein Stück Fleisch zutage zu befördern. Draco fühlte sich einer Ohnmacht nahe, wollte sich aber nicht einmal vor einem Ork diese Blöße geben. So hielt er tapfer dem fauligen Atem stand, während der Ork fortfuhr: „Bist ja nicht gerade gesprächig, was? Und wie du aussiehst, grässlich!" Er musterte missbilligend Dracos T-Shirt. „Schämst du dich nicht? Wo ist deine Rüstung? Und was steht da eigentlich drauf? Das ist doch Menschensprache! Bist wohl einer von diesen kleinen Aufständischen? Naja, musst du wissen, ich misch mich da nicht ein. Bin ja nicht deine Mutter, kleiner Halbling! Halbling, höhöhö, hast du gehört? Ich hab einen Witz gemacht." Weil selbst nach dieser „humorvollen" Bemerkung eine Reaktion ausblieb, wurde das große Ungetüm stutzig. „Bist du stumm?", fragte er mitleidig. „Oder taub? Ich sprech jetzt ganz laut, ja?", brüllte er in das Ohr des jungen Mannes, der zusammenzuckte. „Mugzdash, jetzt lass doch den Kleinen in Ruhe!", rief eine Stimme, die klang, als hätte ihr Besitzer an diesem Morgen mit Salzsäure gegurgelt. „Du siehst doch, dass er nicht reden will." „Schon gut, schon gut!", rief Mugzdash zurück. An Draco gewandt sagte er: „Schau mal wieder vorbei, kleine Halbbrut!" Er zauste ihm die Haare und drückte ihm etwas in die Hand, was vor langer Zeit ein Stück Brot gewesen sein konnte. Ob der Belag Käse oder Mettwurst war, ließ sich nicht mehr feststellen. „Damit du was auf die Rippen kriegst", erläuterte der Ork.
Dracos Gesicht wurde ebenso grün wie die Schimmelflecken auf dem… was auch immer es war. Er hielt es keine Sekunde länger bei dieser schrecklichen Kreatur aus. Geistesgegenwärtig zog er den Zauberstab aus der Hosentasche und verflüchtigte sich. Mehrere hundert Meter weiter weg tauchte er mitten in der Einöde, von der es in Mordor reichlich gab, wieder auf und musste sich erst einmal an einen Felsen lehnen. Nun bemerkte er, dass er noch das verrottete Etwas von diesem Ork in den Händen hielt. Einen Anfall von Übelkeit ignorierend warf er es, so weit er konnte. Anschließend wischte er sich die Hände an seiner Trainingshose ab. Das war so ekelhaft! Er musste sich schnell umziehen. Zumal es sich nicht schickte, in den Kleidern, in denen man geschlafen hatte, zu einem Vorstellungsgespräch zu gehen. Er überlegte kurz, nickte und tippte sich mit dem Zauberstab auf die linke Schulter, die ja bekanntermaßen empfänglicher für Magie ist. Sofort erinnerte er an seinen Vater, wie er an seinen besten Tagen ausgesehen hatte. Draco sah an sich herunter. Ein selbstzufriedenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Er wirkte so seriös, so gesittet, gleichzeitig aber so altmodisch, dass es schon wieder chic war. Nun ließ er noch einen Spiegel erscheinen, um sich besser bewundern zu können. Der ruppige Ork hatte ganze Arbeit geleistet. Sein Haar wirkte wie nach einem leichten Sturm. Doch er ließ es, wie es war. Schließlich verbrachte er sonst Stunden damit, es so wild und ungekämmt aussehen zu lassen. „Ob das wohl einen guten Eindruck machen wird?", fragte der Magier sein Spiegelbild. „Aber zweifellos wird es das!", beruhigte ihn dieses. „Und es sieht wirklich nicht so aus, als wäre ich ein Lumpensammler, der von einem Wirbelsturm geträumt hat?", forschte er nach. „Ich finde, du siehst wie der geborene Herrscher aus!", antwortete das Spiegelbild, bevor es sich auflöste. Draco war derselben Meinung, er wollte es nur noch einmal hören.
Wo sollte er sich vorstellen? Genau, in Minas Morgul. Schön… wo lag eigentlich Minas Morgul? In diesem Fall half wohl oder übel nur eines: Nachfragen. Aber wen? Ihm blieb nichts anderes übrig: „Accio Ork!", rief Draco. Mugzdash war verwirrt. Eben noch war er auf dem Wehrgang gestanden und plötzlich war ein kräftiger Windstoß gekommen und hatte ihn mir nichts, dir nichts weggeweht. Noch komischer war, dass er ausgerechnet neben dem mageren Wurm von vorhin, diesem Goblin-Elben gelandet war. Und seltsamerweise trug der nun auch ein schwarzes Gewand. Und jetzt… jetzt sprach er sogar! „Minas Morgul?", fragte er. Mugzdash war zu verblüfft, um etwas zu erwidern. Stattdessen deutete er auf die Gebirgskette im Westen Mordors. „Aha!", machte der andere und löste sich schon zum zweiten Mal an diesem Tag vor den Augen des Orks in Luft auf. „Sachen gibt's!", brummte Mugzdash. Dann musste er so schnell wie möglich wieder zurückfinden. Schließlich war bald Appell.
