Offiziell und formell
„Nun?" Draco tippte ungeduldig mit der Schuhspitze auf den Boden. Acht unglückliche Ringgeister starrten ihn an. Sieben wandten sich zu dem einen in der Mitte um und zischten. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie sehr ungehalten waren. „Nun?", fragte Draco zum wiederholten Mal. „Ich tat, was ihr von mir verlangtet. Gebührt mir nun nicht etwas… ganz Bestimmtes? Etwas, das mit einem hohen Rang zu tun hat? Etwas, das mich zu eurem Herrn und Gebieter macht?" Seine Stimme war schneidend wie ein frisch geschärftes Schwert. Der rasselnde Atem des Ober-Nazgûl ging schneller. Fieberhaft suchte er seinen Verstand nach einem rettenden Hintertürchen ab, aber dieses war verschlossen und an der Klinke hing ein Zettel: „Wenn man Mist gebaut hat, muss man dazu stehen!" Er räusperte sich schleimig und zischte zerknirscht: „Heil Draco Malfoy, unser Herr und Meister!" Gramgebeugt stimmten die übrigen sieben mit ein. Nun war alles vorbei, wahrscheinlich würden sie diesen seltsamen Jungen nie mehr loswerden. „Vortrefflich!" Draco ließ sich schwer auf den Thron fallen, auf dem sich einst, es war höchstens einen Tag her, ein Nazgûl-Hinterteil platziert hatte. „Na, los! Beginnt mit der Zeremonie!", verlangte der frischgebackene Herrscher. „Was für eine Zeremonie?", fragt ein Ringgeist müde. „Woher soll ich das wissen? Krönt mich, salbt mich, gebt mir die Reichsinsignien oder tut, was auch immer ihr mit einem Imperator tut!" Zur Sicherheit fügte er hinzu: „Das ist ein Befehl!" Als Antwort kam zunächst ein Geräusch, als würden acht Fahrradreifen die Luft verlieren. Die Nazgûl seufzten. „Es wird aber ein wenig dauern, vermutlich bis in die Nacht hinein…", flüsterte einer. „Dann will ich an meinem ersten Tag mal gnädig sein und euch Zeit lassen. Außerdem ist es nachts, wenn alles mit Fackeln erleuchtet ist, viel eindrucksvoller", „Verkündet es im ganzen Land, berichtet von Meister Draco und bereitet die Feierlichkeiten vor!", wies das Oberhaupt an. Sämtliche Ringgeister strebten dem Ausgang zu und schwangen sich auf ihre Reittiere, nicht unbedingt, weil sie darauf erpicht waren, die Kunde von Lord Draco zu verbreiten, sie waren einfach nur froh, von ihm wegzukommen.
Nachdem eine halbe Stunde vergangen war, wurde es Draco zu langweilig, in der düsteren Halle zu sitzen und erhaben auszusehen. Das war mit knurrendem Magen auch ziemlich schwer. Er brauchte dringend etwas zu essen, etwas, das nicht zum Club der untoten Schimmelpilze zählte. Aber das war ja kein Problem. Ein Wink mit dem Zauberstab, der an diesem Tag schon heißgelaufen sein musste, genügte.
Die Nazgûl trieben unterdessen eine Vielzahl Orks aus der Umgebung zusammen, von denen einige beauftragt wurden, Banner und Fahnen herzustellen. Einem Orkschmied wurde aufgetragen, eine Krone anzufertigen und sich dabei gefälligst Mühe zu geben, indes den übrigen beigebracht wurde, einstimmig „Hoch, Draco! Es lebe Draco!" zu singen. Am Himmel standen schon die Sterne hinter den Wolken, die zu Mordor gehörten wie Schizophrenie zu Gollum, als Draco die letzte Schüssel Erdbeereis auskratzte und überlegte, ob er noch Platz für einen weiteren Nachtisch hatte, traten die Nazgûl ein und baten ihn, nach draußen zu kommen und das Volk zu begrüßen. Während sie auf die Tür zuschritten, fragte Draco: „Was soll ich eigentlich tun?" „Nun, Ihr braucht lediglich huldvoll zu winken und vielleicht irgendwas über die politische Lage und Eure Pläne für die Zukunft zu erzählen. Es ist egal, was Ihr von Euch gebt, das Volk wird es nicht begreifen." Draco hob selbstbewusst den Kopf. Dann schritt er würdevoll vor die Menge.
Kaum hatte er einen Fuß vor die Tür gesetzt, als die Menge in tosenden Jubel ausbrach. Banner mit Strichmännchen mit blondem Schopf wurden geschwenkt, Hochrufe erfüllten die Luft, wobei die einen „Hoch, Draco!", die anderen „Der ist aber klein!" grölten. Der Herrscher winkte einmal schlaff und die Orks gerieten fast aus dem Häuschen: „Der Herrscher, der Herrscher hat mir zugewinkt! Er scheint mich zu kennen! Hörst du, ich kenne den Herrn! Ein winkender Herrscher ist viel besser als ein flammendes Auge!" Wie leicht man die Orks doch glücklich machen kann! Nur ein Ork in der fünften Reihe stand ganz still und traute seinen Augen nicht. Es war kein anderer als Mugzdash. Sein Ausruf ging ihm Geschrei der anderen unter: „Die kleine Halbbrut!" Die Nazgûl hatten ein paar besonders kräftige Orks engagiert, die nach den ersten Jubelrufen Ruhe herstellten sollten. Brüllend und peitschenknallend erfüllten sie ihre Pflicht und schubsten und zerrten einige ihrer Brüder zur Seite, um eine Gasse für den Schmied zu schaffen. Der trug die Krone herbei, mit der er soeben fertig geworden war.
Es war weniger ein silbernes, mit Juwelen besetztes Schmuckstück aus Meisterhand, als vielmehr ein ausrangierter Orkhelm ohne Visier, in den man rostige Hufnägel geschlagen und diese dann bunt angemalt hatte. Die Wirkung war verblüffend. In einem abgedunkelten Zimmer und mit geschlossenen Augen hätte man die Nägel sogar für falsche Edelsteine halten können. Das Oberhaupt der Ringgeister nahm sie entgegen und platzierte sie auf Dracos Kopf. Dieser gab zwar einen Laut von sich, der nach einem missbilligenden „Hmpf!" klang, aber er lächelte. „Eine Rede! Eine Rede!", riefen einige Orks pflichtbewusst, nachdem sie einen Peitschenhieb erhalten hatten. Draco trat einen Schritt vor. „Meine Untertanen", hallte seine Stimme über den Platz, „eine neue Ära bricht an! Ich, Draco Malfoy, werde Mordor zu neuem Ruhm und neuer Macht führen!" Stürmischer Beifall folgte, der nur langsam abebbte. „Eines vorweg: Glaubt ja nicht, ihr wärt mir etwas wert oder ich würde euch in irgendeiner Weise gern haben. Es steht nämlich fest, dass ihr lediglich ein stinkender Haufen hirnloser Primitivlinge seid. Danke." Das lauteste Schweigen in der Geschichte des Landes folgte.
„Herr, Herr!", wisperte ein Nazgûl. „Was ist? Womit belastest du das gekrönte Haupt deines Gebieters?", knurrte Draco. „Man erwartet von Euch, dass Ihr einem der Anwesenden das ehrenvolle Amt Eures Beraters zuteilt." „… Du beliebst zu scherzen." „Keineswegs, oh, Herr und Meister! Sauron, der letzte Herrscher, hatte einen Menschen als Vertrauten erwählt. Nun muss der Auserwählte einer anderen Rasse angehören." Draco ließ sich nichts anmerken, doch er sah aus den Augenwinkeln, wie die Nazgûl aufgeregt mit den Fingerknöcheln knackten. Es war offensichtlich, wer sich hier schon als die Auserwählten betrachtete. Aber das würde er diesen hinterhältigen Biestern nicht gönnen. Ein Raunen ging durch die anwesenden Orks, da ihr Herr und Gebieter die Reihen abschritt und unter schärfsten Kriterien aussortierte: „Zu groß!" „Zu hässlich!" „Du stinkst!" „Blöd!" „Hässliche Klamotten!" In der fünften Reihe wollte er dem zwölften Ork von links mitteilen, dass er sich die Haare waschen sollte, als er in ein kantiges, verunstaltetes Gesicht mit breiter, flacher Nase und granitfarbener Haut blickte.
Nein, in dieser Hinsicht unterschied sich das Ungetüm nicht von den anderen, aber diese glutroten Augen, dieser treudoofe, aufrichtig dusslige Blick…
Dracos Zeigefinger schoss nach vorne: „Dich… kenne ich!" Der Ork beeilte sich auf die Knie zu fallen und möglichst demütig auszusehen. „Du bist das Drecksvieh vom Wehrgang, du warst es, der mich fast skalpiert und vergiftet hätte!" „Vergebt mir, Eure Majestäts-Halbbrut… Eure halbbrütige Herrschaftlichkeit!", flehte Mugzdash. „Ich konnte doch nicht wissen… vergebt mir!" Er beherrschte die Gemeinsame Sprache recht fließend, allerdings mit einem gutturalen Akzent. Draco sah eine Weile zu, wie der massige Körper sich immer kleiner machte und heftig zitterte. So ein eingeschüchtertes Wesen, dachte er, so eine Kampfmaschine und so leicht zu manipulieren. Er schnaubte: „Steh auf und folge mir!" Mugzdash gehorchte und trottete folgsam hinter dem blonden Mann her. Er wandte sich an die Menge: „Untertanen, hört her! Vor euch steht der neue Berater des Großen Draco!" Die Orks klatschten lustlos und die Nazgûl warfen eingeschnappt die Köpfe in den Nacken. „Nenn uns deinen Namen!", forderte Draco seinen Berater auf. Der stämmige Ork errötete leicht und grunzte etwas mit gesenktem Haupt. „Was? Mucks-was? Ich befehle dir lauter zu sprechen!" Der Ork kaute an seinen schmutzigen Fingernägeln, bis er sich schließlich überwand und sagte: „Ich heiße Mugzdash!" Eigentlich hätte man Gähnen oder Stillschweigen der Menge erwartet, vielleicht ein paar freche Kommentare. Diese Reaktion blieb aus, dafür gab es zuerst vereinzelt heisere Lacher, dann immer mehr raues Gelächter bis die Versammlung grunzte und johlte wie ein Becken Seelöwen. Selbst die acht Ringgeister kicherten hämisch. Mugzdash wollte vor Scham im Boden versinken. Draco sah ihn fragend an. „Was ist denn daran bitte so komisch?" Mugzdash wand sich verlegen: „Nun ja, wisst Ihr, es ist so… meine Mutter war fest davon überzeugt, ein Mädchen zu bekommen…" Die Orks hielten sich aneinander fest, um nicht vor lachen umzukippen. Draco presste die Lippen aufeinander. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Komm!"
Er winkte seinem Vertrauten und rauschte mit wehendem Umhang auf die Zitadelle zu. Im Vorbeigehen packte er einen Ringgeist am Kragen und beutelte ihn: „Sorg dafür, dass diese Vollidioten, die sich mein Volk nennen, wieder in ihre Rattenlöcher verkriechen!" Krachend fiel die schwere Tür ins Schloss. Draco stützte sich auf die Armlehnen des Throns. „Toll, wirklich toll!", murmelte er sarkastisch. „Euer Gnaden…", begann Mugzdash fast flüsternd. Draco hörte ihn gar nicht. „Ich komme hierher, um meinen Traumjob zu finden, mir wird auf der Reise hierher fast mein Innerstes nach außen gekehrt, dann werde ich fast von einer stinkenden Kreatur umgebracht, nein, zwei, wenn man den Troll mitrechnet, dann treffe ich diese blöden, eingebildeten schwarzen Flatterfetzen, die mich nur loswerden wollen und mich nach Zuckersüß-Fröhlich-Glücklichhausen verfrachten, nur damit ich ein bisschen Vandalismus anstelle. Und als ich endlich geglaubt habe, dass ich es nun endlich geschafft habe und alles perfekt läuft, stellt sich heraus, dass ich Herr vom Land der Volltrottel geworden bin und mein einziger Ansprechpartner ein Ork mit einem Mädchennamen ist!" zeterte er weiter. „Herr?", fragte Mugzdash mit unglaublich gepresst klingender Stimme. Der junge Malfoy trat trotzig gegen die Wand: „Ein toller Karrierestart! Falls das ein Witz irgendeiner Gottheit sein soll, dann: Hahaha, vielen Dank! Ab jetzt bitte keine Witze mehr! Ich reise morgen ab!" Er kickte gegen den Thron, der daraufhin einen kleinen Hüpfer machte. Die Krone landete im dunkelsten Winkel der großen Halle. Er überlegte, was es noch zu demolieren gab, da fiel Mugzdash abermals auf die Knie und gab merkwürdige Grunzlaute von sich.
„Was soll das nun wieder? Sei still!", schimpfte Draco. „Ich versuche zu weinen", erklärte der Ork, zog einen Schmollmund und gab ein paar recht glaubwürdige Schluchzer zum Besten. „Ach, hör doch auf!", befahl Draco mit etwas weniger Schärfe in der Stimme. „Es ist nur", sagte Mugzdash und lächelte matt, „bevor Ihr kamt, war ich nur ein gedemütigter, bedeutungsloser Ork." Als ob du jetzt etwas anderes wärst, dachte der Magier, behielt es aber für sich. Mugzdash fuhr fort: „Und dann kamt Ihr und machtet mich zu Eurer rechten Hand. Und das machte mich zum ersten Mal in meinem Leben glücklich. Und jetzt", der enthusiastische Klang verschwand aus seiner Stimme, „jetzt wollt Ihr wieder gehen und aus mir wird… aus mir wird…" Weiter kam er nicht, denn heiße Tränen rollten seine Wangen hinab. „Stell dich nicht so an!", meinte Draco, doch es klang nicht so kalt, wie er es eigentlich wollte. Prinzipiell konnte es ihm egal sein, was aus dem Ork wurde. Mal ehrlich, wer brauchte ihn schon? Er war ein Ork! Allerdings zwickte und zwackte es in seiner Magengegend. Sein schlechtes Gewissen schalt ihn aus. Seufzend zog Draco ein Paar Drachenlederhandschuhe aus der Jackentasche und streifte sie sich über. Dann ging er zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Hör auf zu weinen, Ork!" Der Ork schluchzte herzzerreißend und hickste einige Male. Zu allem Elend bekam er jetzt noch einen Schluckauf. „Hör auf zu weinen!", wiederholte Draco. Mugzdash lehnte sich an seinen Meister. So heulte es sich irgendwie… befreiter. Man muss wissen, dass viele Orks durchaus imstande sind, andere Gefühle als Wut oder Schadenfreude zu entwickeln. Nur zeigen sie es ungern vor anderen, vergraben es immer tiefer unter Mordgier und Blutrausch. Um diese Gefühle zu wecken, muss etwas wirklich Schlimmes passieren, zum Beispiel muss eine übermächtige Elbenstreitmacht erscheinen oder der Ork muss in ein Zimmer gesperrt werden, aus dem er erst wieder entkommen kann, wenn er eine Denkaufgabe gelöst hat. Oder es muss etwas geschehen wie das, was Mugzdash widerfuhr. Draco war nicht unbedingt begierig auf Körperkontakt mit einem Bewohner Mordors, ließ ihn aber, ausnahmsweise, gewähren. Heute war schließlich ihr erster Tag.
Es war ein rührendes Bild. Die riesige weinende Bestie und der grazile junge Mann, der tröstend einen Arm um sie gelegt hatte. „Jetzt ist aber wieder gut!", sagte Draco bestimmt und schob den Ork von sich. „Wir können nicht den ganzen Tag herumstehen und jammern, wir haben schließlich ein Land zu regieren!" Mugzdash zog geräuschvoll die Nase hoch. „Sol das heißen, dass Ihr bleibt?" „Wer sagt denn, dass ich gehe?", fragte Draco, während er seine Jacke gründlich mit einem Taschentuch abwischte. „Ihr sagtet das!" „Red keinen Unsinn!" „Ja, aber…" „Sei einfach still!" Er strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Ich werde nun geruhen ein wenig zu ruhen! Das war ein harter Tag für mich!" Er öffnete eine Seitentür, nicht ohne vorher seine Krone aufgehoben und unter den Arm geklemmt zu haben. Dabei rang er sich sogar ein kleines Lächeln ab, das besonders dem Ork galt. „Ach, Mugzdash?" „Ja, Herr?" „Das hier hat nie stattgefunden!" „Nie, Herr, nie!"
