Kindersegen
„… und wenn das so weitergeht, sehe ich mich gezwungen, euch die Konsequenzen spüren zu lassen, haben wir uns verstanden?" „Ja, Herr, Euer Majestät, gewiss!" „Gut!" Draco setzte für einen Moment die Krone ab und massierte sich die Schläfen. Das Ding verursachte bei ihm heftige Kopfschmerzen und erzeugte bisweilen sogar Druckstellen. Es war schon fünf Tage her, seit er seinen mehr oder weniger rechtmäßigen Platz eingenommen hatte. Und langsam, aber sich bekam er das mit dem Regieren richtig gut hin. Soeben hatte er eine Bande Dûnländer gerügt, die es nicht lassen konnten, die Orks zu necken, indem sie ihnen Blumen ins Haar flochten, wenn sie schliefen. Sicherlich, es war kein weltbewegendes, denkwürdiges Ereignis, die Übeltäter in ihre Schranken zu weisen, aber Draco fand es für den Einstieg gar nicht so übel, auch wenn er sich dabei vorkam wie ein Grundschullehrer. Heute war ein besonders geschäftiger Tag. Kaum waren die Dûnländer hinausgeschlichen, als auch schon der nächste Besucher angekündigt wurde. Mugzdash, der neben dem Thron stand, brummte missmutig. Er hatte genug davon, den lieben langen Tag den Rücken durchzudrücken und von Zeit zu Zeit ein zustimmendes „Ja, Herr!" verlauten zu lassen.
Ein älterer Ork mit verkniffenem Gesicht trat ein. Draco schätzte, dass es sich wieder um eine Prügelei handelte. Der Ork war übel zu gerichtet worden: Sein Körper war übersät mit Blutergüssen und tiefen Kratzern, an einer Hand fehlten drei Finger, er hinkte. Er machte sich auch nicht die Mühe sich zu verbeugen, was Draco ziemlich missfiel. „Er ist ein Stallmeister", teilte ihm Mugzdash flüsternd mit, als er schon den Zauberstab für einen Fluch bereithielt. „Die brauchen sich nicht zu verbeugen, die sind ganz eli… eli…" „Elitär?" „Ähm, ich glaube schon." „Nun, so trage deine Bitte vor, Stallknecht!", sagte Draco großmütig. Der Ork sah sich missmutig in dem großen Saal um, den seit neuestem Banner mit einem schwarzen Zauberstab, aus dem rote Funken stoben, zierten. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er sich noch nicht mit dem neuen Regime abgefunden hatte. „Haben Probleme", knurrte er knapp. „Weshalb?" „Die Warge." „Warge?" „Warge. Machen nur noch Ärger, spinnen rum. Haben keine Ahnung, was wir tun sollen." Draco ging es genauso. „Was sind Warge?", fragte er Mugzdash. „Unsere Reittiere. Sie sind ein bisschen wie…" „Was ist? Tut Ihr nun was dagegen, hä?", fragte der Stallmeister schroff. Sein Herrscher setzte entschlossen die Krone auf: „Natürlich, für wen hältst du mich, Nichtswürdiger? Sattelt mir ein Pferd, ich werde mir die Sache vor Ort ansehen!" Innerlich quälte ihn immer noch die Frage: Was sind eigentlich Warge?
Er erfuhr es, als er nach einem kurzen Ritt in eine Grube voller pelziger, geifernder, riesiger Ungeheuer mit scharfen gelben Zähnen blickte. Der Ork mit den fehlenden Fingern deutete auf eines der Tiere, welches unruhig im Kreis herum lief. „Da! Hremog macht uns Sorgen, benimmt sich komisch!" Mugzdash schüttelte den Kopf. „Hremog… ihr Stallmeister habt wirklich eine merkwürdige Beziehung zu den Viechern!", sagte er. Draco sah ihn fragend an. „Hremog, das heißt soviel wie ‚Stupsnäschen'", erklärte ihm der Ork. „Stupsnäschen?!" Draco fand die riesige Schnauze mit den messerscharfen Zähnen kein bisschen stupsnäschenhaft. „Ich geh mal runter!", beschloss der Stallmeister. Er rutschte vorsichtig den steilen Abhang hinunter. „Gleich werdet Ihr Zeuge, der wundersamen Kunst eines Wargkundigen, Herr!", verkündete Mugzdash. Die Warge empfingen den Ork knurrend und gingen in Angriffsposition. Einer schnappte nach seinem Arm. Dennoch lief er fröhlich auf den nervösen Warg zu. „Hremog! Hremoglein, komm, mein Herzchen, komm zu deinem Freund!" Hremoglein warf wild den Kopf hin und her. „Was ist denn, Hremogleinchen? Gib Küsschen, komm schon!" Hremogleinchen war wohl gerade nicht in Küsschen-Laune. Das riesenhafte Tier, das massigste der ganzen Herde, wie Draco feststellte, fletschte die Zähne und schlug mit seiner Pranke nach dem Stallmeister. Der lachte nur herzlich. Dracos Meinung nach, waren diese Wargkundigen nicht besonders kundig, sondern schlichtweg verrückt. „Was habe ich gesagt?", rief ihm der Ork in der Grube zu, während er beiläufig einem heranpreschenden Warg auswich. „Sie spinnt." „Sie?!" „Natürlich. Hremog ist ein Weibchen, das sieht man doch an den zarten Pfötchen."
Das Gesicht des jungen Zauberers verzog sich zu einer Grimasse. Dieses bullige, aggressive, gemeine Biest, ein Weibchen… da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Ich habe die Lösung, ich weiß weshalb sie so nervös ist." „Wirklich?", fragten Mugzdash und der andere gleichzeitig. Draco verschränkte die Arme vor der Brust, wie es der gute Professor Snape manchmal getan hatte, wenn er einem besonders begriffsstutzigen Schüler, Potter zum Beispiel, einen Vortrag gehalten hatte. „Man sieht ja, wie dick dieser Warg… diese Wargin… dieses Tier ist. Nun, daraus lässt sich schließen, dass sie vermutlich trächtig ist und gleich ein oder mehrere Junge zur Welt bringen wird." Die beiden anwesenden Orks starrten ihn stumm wie tote Goldfische an. Man konnte richtig die rostigen Getriebe im Innern ihrer Köpfe knirschen hören. „Ach…", brach der Stallmeister das Schweigen, „meint Ihr wirklich?" Draco war leicht entrüstet: „Na, hör mal, du müsstest das doch wissen, sind schließlich deine Viecher." „Es stimmt, das sind meine. Aber deswegen muss ich noch lange nicht wissen, wie sie ihre Kinder kriegen." Draco vergrub das Gesicht in den Händen. „Ich geb's auf!", murmelte er dumpf. „Sie legt sich hin! Sie legt sich hin!", rief Mugzdash aufgeregt. „Herr, seht doch!" „Los, meine Süße, du kannst das!", spornte der andere den Warg an. „Herr und Meister, schaut, schaut doch!" Dem Getrampel nach zu urteilen, hüpfte sein Berater von einem Bein aufs andere. Vorsichtig riskierte Draco einen Blick, der von den aufgeregten Rufen der Orks begleitet wurde: „Da, das Erste kommt!" Es kam tatsächlich. Und auch das Zweite. Beim Dritten musste Draco sich wegdrehen. Diese Warggeburt war nichts für ein eher menschlich ausgeprägtes Gemüt. „Oh, Hremoglein, ich bin so stolz auf dich! Jetzt bist du Mutter von fünf Kindern!" „Vier. Das fünfte wurde eben zertrampelt." „Hoppla, na, so was!"
Draco hielt es nicht länger aus. Er rannte zu seinem Pferd und sprang so behände auf, wie er es sich selbst nicht zugetraut hätte. Nach einem mehrstündigen Ritt in vollem Galopp stakste er steifbeinig und sich das wunde Gesäß reibend in den Thronsaal. Er setzte sich auf den Thron, nachdem er sich ein extradickes, extraweiches Kissen in Luxusausführung hergezaubert hatte. Aber auch das linderte die Schmerzen kaum. Da wir gerade vom Thron sprechen: Es war ein sehr imposantes Stück, mit Zacken, Spitzen und Dornen an den Armlehnen und sowohl schnörkelige, als auch eckige Muster, die vermutlich Rauchschwaden und Gebirge oder sonst was darstellen sollten, rankten sich die Rückenlehne empor. Eine eindrucksvolle, wenn auch sehr unbequeme Sitzgelegenheit. Man musste höllisch aufpassen, um seine Arme nicht in die Stacheln zu legen und wenn man lange darauf saß und ein dünnes Gewand anhatte, hatte man abends sicherlich ein Schnörkel- und Eckenmuster auf dem Rücken. Zwei Stunden lang tat sich Draco schrecklich leid und jammerte ein wenig vor sich hin, bis Mugzdash eintraf, lächelnd wie eine orkische Ausgabe der Mona Lisa.
„Dass ich eine Warggeburt miterleben durfte", sagte er, während er sich neben seinem Meister auf dem Boden niederließ, „ich liebe meine Arbeit!" „Dann muss ich dir wohl eine schlechte Nachricht überbringen", meinte Draco, „jetzt haben wir anscheinend unseren wohlverdienten Feierabend." „Feierabend?" „Oder wie der Tod sagen würde: Jetzt ist Sense, mein Lieber!" Er kicherte vergnügt. Der Ork stütze das Kinn in die Hände. „Der Tod und Sense?", fragte er nach einigen Minuten. „Was ist denn daran so witzig?" Draco machte sich erst gar nicht die Mühe, ihm den kleinen Wortwitz zu erklären. Er sah allmählich ein, dass Orks etwas Geistreicheres als unfeine Witze, bei denen man widerwärtige Geräusche von sich gab, anscheinend nicht verstanden. Es klopfte, schon das siebzehnte Mal an diesem Tag. „Tritt ein!", rief Draco und setzte sich ein wenig aufrechter hin. Wieder einmal betrat ein Ork die Halle, doch im Gegensatz zu seinem Vorgänger wirkte er demütig und auch ein wenig durcheinander. „Was ist dein Anliegen?", wolle Draco mit hoheitsvoller Miene wissen. Der Ork sah ihn unsicher an, dann wandte er sich an Mugzdash und sagte etwas auf Orkisch. Mugzdash antwortete mit einem kehligen Knurren. Zu seinem Meister sagte er: „Ein neuer Wurf ist eingetroffen." „Schon wieder Warge?! Das überleb ich nie und nimmer!" „Nein, keine Warge, Herr. Orks, junge Orks. Und drei davon tragen den Namen ‚Draco', Euch zu Ehren." „Na, super!", murmelte Draco. Mugzdash entging mal wieder die Ironie und er fuhr hocherfreut fort: „Nicht wahr?" Deshalb würde es ihn", er deutete auf den demütigem Ork, „sehr freuen, wenn Ihr den Kleinen einen Besuch abstattet und vielleicht noch ein paar nette Worte sagt. Und, mit Verlaub, das würde Eure Beliebtheit beim Volk erheblich steigern." „Nicht, dass sie jetzt noch nicht groß wäre", fügte er hinzu, als Draco seinen bewährten Mörderblick, den er normalerweise nur für Potter reserviert hatte, aufsetzte. Er hatte, verdammt noch eins, keine Lust, sich die schmierige Brut der Orks anzusehen. Die Warge reichten für die nächsten zehn Jahre. „Sag ihm, dass ich nicht kommen werde", befahl er deshalb seinem Berater, der daraufhin prompt die Unterlippe vorschob. „Und mach nicht so ein Gesicht! Das wirkt bei mir nämlich kein bisschen!" Tatsächlich bewirkte es eine Menge in Dracos Innern, zum Beispiel, dass sich seine Schuldgefühle ächzend aus ihren Särgen erhoben, ihre Zähne feilten und an ihm nagten. „Das ist so fies!", schmollte Mugzdash, „Ihr habt uns überhaupt nicht lieb." „Das habe ich doch schon bei meiner Krönung geklärt." „Ihr seid schuld, wenn alle Orks weinen." „Mach dich nicht lächerlich!" „Ihr werdet heute Nacht bestimmt nicht gut schlafen können! Ihr…" „Schon gut! Schon gut! Ich gehe ja schon, aber bitte, lass dieses kindische Getue!" Mugzdash grinste über das ganze narbige Gesicht. „Ihr seid der beste Herrscher, den man sich wünschen kann!" „Ich weiß", seufzte Draco schicksalergeben.
Auf dem Ritt überlegte er sich, wie er vorgehen würde: Zuerst würde er sich die Bälger ansehen, der Mutter zunicken, und dann mit einer winzigen Rede beginnen. Fühle mich sehr geehrt, hoffe auf das Wohl der Kinder, reizende Geschöpfe, blablabla. Vor einem laienhaft zusammengeschusterten Bretterverschlag machten sie Halt. Mugzdash erkundigte sich auf Drängen seines Herrn, ob es sich hierbei um die richtige Adresse handele, was der Ork bejahte. Zähneknirschend stieg Draco ab und marschierte auf die baufällige Hütte zu. Davor saßen auf alten Kisten und Fässern mehrere Orkmänner. Bei allen hatte sich Nachwuchs eingestellt und nun brummten sie sich etwas vom Vaterglück vor, obwohl keiner genau wusste, welche Kinder die seinen waren. Sie nahmen nicht einmal die geringste Notiz von Draco, der vornehm dreimal anklopfte. Von drinnen schlug ihm der Lärm neugeborner Orks, bestehend aus lang gezogenem Fauchen und schrillen Versuchen zu brüllen, mit dem dazugehörigem Geruch entgegen. „Es sind nur kleine Orks", sagte er zu sich selbst, um sich Mut zu machen, „und du musst es höchstens fünf Minuten aushalten." Damit stieß er die Tür auf und wurde von der innen herrschenden Dunkelheit verschluckt. Später am Abend stand Mugzdash vor der verriegelten Tür des königlichen Privatgemachs. „Herr, wir konnten, doch nicht ahnen, dass…" „Lass mich!" „Ich bin sicher, dass es der Mutter sehr leid tut." Eisiges Schweigen. „Woher sollten wir denn wissen, dass der Kleine schon so scharfe Krallen hat…" „Sei still!" Die Stimme aus dem Gemach klang noch eine Spur hysterischer. „Ich hasse euch, ich hasse euch alle!", heulte sie, „Ihr macht mich alle krank!" Mugzdash gab auf. Sein Instinkt verriet ihm, dass es besser war, Draco mit seinen postpubertären Wutanfällen alleine zu lassen. Er stapfte die Treppe hinunter, wobei er grunzte: „Also, wirklich! So etwas Launisches! So eine verzogene Halbbrut…"
