Motivation

„Mugzdash! Ich muss mit dir reden!" „Was gibt es, Herr?" Beide standen am Fenster und sahen auf die trüben Gassen und Häuserfassaden hinab. Es regnete. „Ich finde", begann Draco, „dass du dir eine Beförderung verdient hast." Mugzdash wirkte überrascht: „Beförderung? Ich? Aber ich habe die höchste Stelle, die ich mir wünschen kann." „Nein", Draco setzte sich unvornehm auf das Fenstersims, „denn ich ernenne dich hiermit zum Oberbefehlshaber über unser Heer." „Wirklich? Habt vielen Dank!", strahlte der Ork. „Es wird gleichzeitig ein Test für dich sein", fügte der Zauberer hinzu. „Ein Zeichen deiner Loyalität und ein Beweis deiner Fähigkeiten." Dem neuen Oberbefehlshaber schwoll die Brust: „Herr, wenn nötig, würde ich Euch bis in den Tod folgen!" Draco war erstaunt, über welches Vokabular sein Berater seit neuestem verfügte. Wenn er mal ein Buch in die Hand nahm, dann nur, um sich die hübschen bunten Bilder anzuschauen. Es schien, als hätte er einen guten Einfluss auf dieses barbarische Wesen. „Höre, Mugzdash! Du wirst dich so bald wie möglich mit deiner Armee aufmachen und die erste Schlacht für mich schlagen." „Sehr wohl, Herr. Sollen wir zuerst Rohan oder Gondor angreifen?" „Weder noch." Der gebürtige Malfoy hatte dem Ork den Rücken zugewandt. Der Wind peitschte ihm ins Gesicht und er nahm den fauligen Geruch des Regens wahr. „Dann vielleicht das Auenland?", riet Mugzdash. „Nein." „Vielleicht…" „Nein." Draco blickte ihn über die Schulter hinweg an. Seine Stimme unterschied sich kaum vom Prasseln des Regens: „Ihr geht nach Valinor." Der Windstoß, der plötzlich zum Fenster hereinfegte, unterstrich die Dramatik der Situation. Mugzdash wich mit angsterfüllten Augen zurück und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Du freust dich ja gar nicht", sagte sein Meister. „Herr, ich… ich… muss ich wirklich?" „Glaubst du wirklich, du hättest eine andere Wahl?" „Aber ich kann nicht nach Valinor, weil ich…", Mugzdashs kleines bisschen Verstand arbeitete auf Hochtouren, „…weil das gar nicht geht." „Ach…" „Ja, weil ich weiß ja gar nicht, wo das liegt und außerdem werde ich sowieso so leicht seekrank und…" „Das lass mal meine Sorge sein." Dem Ork wurde immer mulmiger zumute. Bildete er es sich nur ein oder war es plötzlich kälter geworden? Oder weshalb fröstelte er so? „Aber die Sonne!", fiel ihm ein. „Die grässliche Sonne wird mir die Haut versengen und die Augen verbrennen." „Dann werden wir nachts angreifen", beschloss Draco. Am Rande eines Nervenzusammenbruchs griff der unfreiwillige Heerführer zu einer weiteren Ausrede: „Ich hab aber Angst im Dunkeln." „Mann, du bist ein Ork!", schnaubte Draco und verdrehte die Augen. „Du lebst seit deiner Geburt in einem dunklen, miefigen Dreckloch." „Das schließt aber nicht aus, dass ich seit meiner Geburt in Angst lebe." „Deine billigen Ausflüchte gehen mir allmählich auf die Nerven", teilte ihm sein Herr und Gebieter mit. Eine schlanke weiße Hand glitt unter den Umhang und holte den Gegenstand hervor, der jedes Wesen im ganzen Land in Angst und Schrecken versetzte. Der schlichte, schlanke Zauberstab, von Orks und Trollen gern „Die Mini-Zauberkeule", von allen anderen „Das Ding, das deine Gedärme durch deinen Mund herauspresst, wenn du nicht die Klappe hältst" genannt.  Folglich rückte Mugzdash nun mit der Wahrheit raus.

„Es sind die Elben", knurrte er dumpf. „Sie sind garstig, sie sind grässlich…" „Sie machen euch jedes Mal platt", ergänzte Draco. „Es liegt nicht an uns", verteidigte der Ork seine Rasse. „Diese verdammten Elben haben einfach…" „Mehr Grips?" „Sie sind…" „Schlauer? Gewandter? Besser?" „Schöner!" Mugzdash versteckte das vor schmerzlicher Erinnerung verzerrte Gesicht in den Pranken. Die Schultern der gramgebeugten Gestalt bebten, sie atmete flach. „Und wo liegt das Problem?", wollte Draco wissen. Der Ork wankte zum Fenster und starrte gen Himmel. „Ihre Schönheit ist unser Tod!", flüsterte er. „Sehr dramatisch. Reicht mir ein Taschentuch!", giftete der verständnislose Zauberer. „Wenn sie vor uns stehen, in ihrer ganzen Pracht, dann merken wir, dass wir… ja, dass wir Orks sind. Wir bekommen Selbstzweifel und werden mutlos. Das nutzen sie zu ihrem Vorteil", erzählte der Berater. „Du meine Güte!", seufzte Draco. Orkpsychologie, Bestien mit Minderwertigkeitskomplexen, das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er wusste, dass er jetzt etwas Aufmunterndes sagen musste. Aber darin war er noch nie gut gewesen. „Du hast recht, Elben sind wirklich außergewöhnliche Geschöpfe", stimmte er Mugzdash deshalb zu. Der entwirrte deprimiert eine seiner fettigen Haarsträhnen. „Allerdings haben selbst Orks ihre Stärken. Man muss nur nach ihnen suchen." Draco merkte, wie abwegig das klang, dennoch fuhr er unbeirrt fort. Falls es das kleinste bisschen Geschick in diesem Ork gab, sollte es nicht ungenutzt bleiben. „Auch du kannst etwas, Mugzdash! Denk an irgendetwas, was du gut kannst!" Die hässliche Kreatur sah weiterhin apathisch aus dem Fenster.

Das klaffende Loch unterhalb der Nase, das den Mund darstellen sollte, formte das Wort: „Spucken." Freudestrahlend drehte sich Mugzdash zu seinem Herrn um. „Ich kann spucken." „Oh…" Mit dieser Aussage hatte Draco nicht gerechnet. „Wie originell." Dadurch ermutigt sammelte der Ork eine kleine Menge Speichel und spie sie im hohen Bogen aus dem Fenster. Beide sahen dem graugrünen Schleimklumpen hinterher, der wie ein grotesker Vogel über die Dächer hinweg flog, bis er nicht mehr zu sehen war. „Ha!", rief Mugzdash aus. „Dieser Nazgûl hat es auf die Schulter bekommen." „Was denn für ein Nazgûl?" Draco konnte weit und breit keines dieser hochnäsigen Handtücher entdecken. „Er fliegt gerade über die Totensümpfe", gab Mugzdash die genaue Position an. „Sein Flugtier schnappt nach Insekten." In der Ferne erblickte der Herrscher die Überreste des Schwarzen Tores. Er wusste, dass dahinter die Totensümpfe lagen, den Nazgûl aber sah er nicht einmal als Pünktchen am Horizont. Es traf ihn mit einem Schlag wie ein Blitz. „Mugzdash", keuchte er, „du besitzt die scharfen Augen eines Elben!" „Was?!" Erschrocken kniff der Ork die Augen zu und schlug sich wie von Sinnen ins Gesicht. "Stecht sie mir aus!", heulte er.  Draco fiel ihm in den Arm. „Das ist nichts Schlimmes", beruhigte er ihn. „Das heißt noch lange nicht, dass du ein Elb bist." Erleichtert leckte sich Mugzdash das Blut aus den Mundwinkeln. „Wie kann es dann sein?" „Was weiß ich? Ein Gendefekt, falsches Essen, irgendwas in der Art." „Jedenfalls", fuhr Draco nach einer Pause fort, in der er seine Krone zurechtgerückt hatte, „hast du eine besondere Gabe, die dir sagen will, dass du mindestens genauso gut bist wie ein Elb." Mugzdash schniefte gerührt und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Für einen Ork hatte er wirklich sehr, sehr nah am Wasser gebaut. „Meint Ihr wirklich?", fragte er. „Nei… ja." Draco fasste in seine Tasche und stopfte ihm eines der Hundeleckerlis in den Rachen, die er stets für solche Momente bereithielt. Mit Essen konnte man Orks immer noch am besten ablenken. „Und jetzt geh und versammle alle kampffähigen Männer des Landes vor den ehemaligen Toren Mordors! Du hast vier Tage Zeit!", befahl er. „Wir haben aber noch gar keine Rüstungen…", wand Mugzdash ein. „Hab ich gesagt, dass du dich darum kümmern sollst?" Die Stimme seines Herrn hatte einen drohenden Unterton. „Ich… ich geh dann mal, ja?", sprach der Ork und wäre vor lauter Eile fast die Treppen hinuntergefallen.

In den Totensümpfen holte der Nazgûl, es war der siebte, gerade seine selbstgebastelte Angelrute vom Rücken seines Reittieres, das träge im Morast lag und gedankenverloren an einem Farn kaute. Dieser Ringgeist war der schweigsamste von allen und Angeln war somit das perfekte Hobby für ihn. Nur war er gleichzeitig auch derjenige, der sich am schnellsten schämte, weshalb er keine belebten Stellen aufsuchte. Das allerdings beeinträchtigte wiederum sein Anglerglück. Die einzigen Fische, die er in den Sümpfen bisher gefangen hatte, waren Silberfische gewesen, die sich in seiner Kutte eingenistet hatten. Dennoch hegte er die leise Hoffnung, irgendwann einmal den Fang seines Lebens, oder besser seines Nachlebens zu machen. Er setzte sich neben einen bräunlichen Tümpel und warf die Angel aus. Im Wasser erblickte er die Leiche eines Menschenkriegers, die ihn höhnisch anlächelte: „Na, alter Bettnässerguhl?" „Klappe, du eitrige Madenwohnung!", fauchte der Nazgûl. „Hab gehört, dass man euch von euren hohen Rössern geholt hat. Dass ein Mensch euch regiert", stichelte der Tote. „Was weißt du denn schon, du Planschbeckendekoration?" Der Krieger spitzte genüsslich seine bläulichen Lippen: „Oh, ich weiß mehr, als du glaubst. Man braucht doch nur den Fledermäusen zuzuhören. Seit Wochen tuscheln sie über nichts anderes. Und die Stechmücken sind immer für ein Schwätzchen gut. Du weißt doch, was für Klatschbasen sie sind." Der Nazgûl tat diese Bemerkung mit einer schlaffen Handbewegung ab: „Gerüchte, das sind alles nur Gerüchte." Die Wasserleiche lachte ein blubberndes, glucksendes Lachen. Ein Wurm schlängelte sich durch das trübe Wasser und kroch ihr in die Nase. Die glasigen Augen nahmen einen wachen Blick an, die kalkweißen Wangen wurden vor Aufregung blassgelb. Ehe sich der Ringgeist versah, war der Wurm auch wieder zum Ohr herausgeflutscht und glitt davon. „Dann ist es also auch nur ein Gerücht", tat der Krieger scheinheilig, „dass du dich unverzüglich am Schwarzen Tor zu melden hast?" „Wieso sollte ich?", gab der Nazgûl schroff zurück. „'s ist Krieg, 's ist Krieg!", summte die Leiche. Der Ringgeist erhob sich blitzartig. „Krieg! Bei Saurons Auge!" „Tja, freu dich auf ein weiteres Mal stupides Gemetzel und…", fing der Tote hämisch an, brach dann aber ab. Mit offenem Mund beobachtete er, wie der Nazgûl ein Freudentänzchen aufführte. „Endlich! Es ist soweit!", jubelte er, sprang mit einem „Hurra!", auf die geflügelte Bestie und ritt davon. Die Leiche blubberte etwas Unverständliches, bevor sie ihr Strickzeug hervorholte, um sich aus Algen ein Nackenkissen zu stricken. Ihr standen langweilige Zeiten bevor.

Vier Tage nach dem Zwischenfall stand Draco auf einem Granitblock, der einmal zum rechten Torflügel gehört hatte und überblickte seine Streitmacht. Mugzdash hatte ganze Arbeit geleistet, vom kleinsten Goblin bis zum größten Berserker war jeder anwesend. Einige trugen Schwerter, Äxte, Knüppel oder Bögen bei sich, viele waren jedoch mit bloßen Händen erschienen. Aber das stellte kein Problem dar. Hoffentlich. „Hergehört und hergeschaut!", rief Draco. Er hob seinen Zauberstab in die Höhe, sodass ihn alle sehen konnten. „Heute ist der Tag der großen Schlacht gekommen. Mordor gegen Valinor!" „Och, nö!", jammerte die Armee. „Ruhe!", herrschte Draco sie an. „Ihr denkt jetzt sicher, dass es sich dabei um einen übermächtigen Gegner handelt. Aber hiermit", er deutete mit dem Kopf auf seinen Stab, „ist der Sieg unser! Werdet nun Zeuge eines Wunders!" Er vollführte einen wilden Hieb mit dem Zauberstab. „Sanguine draconis!", gellte sein Spruch über den Platz. Die versammelten Soldaten hielten den Atem an und warteten. Lange Zeit tat sich nichts. Draco blieb verbissen in seiner erhabenen Haltung. Es musste klappen. Er war einer der besten Zauberer der Gegenwart. Es musst einfach funktionieren. Unter den Kämpfern wurde gedämpftes Geflüster laut. „Ist jetzt schon was passiert?" „Vielleicht ist er versteinert." „Dummkopf! Nur Trolle versteinern!" „Haben wir schon gewonnen?" „Maul halten!" Einer der Dûnländer blickte sich achselzuckend um. Weit und breit war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Und so was schimpfte sich Wunder! Genervt verdrehte er die Augen zum Himmel. Die Kinnlade fiel ihm herunter. „Dort oben… der Himmel…", flüsterte er. Alle sahen zum Firmament hinauf und erbleichten.

Es hatte sich blutrot gefärbt. Und direkt über ihnen bildete sich eine Kugel aus schwarzen Flammen, die größer und größer wurde. Unheimliches Brüllen wie von einem Monster aus grauer Vorzeit, als Monster noch Monster waren, erfüllte die Luft. Mit einem Donnerschlag entschlüpfte der dunklen Feuerkugel der imposanteste Drache, den Mittelerde je gesehen hatte. Allein seine kleinste Kralle war so gigantisch, dass eine Hobbitfamilie darin hätte leben können. Er riss das grauenhafte Maul auf und senkte sein Haupt über die versammelte Menge. Viele stießen entsetzte Schreie aus, angesichts der Tatsache, gleich geröstet zu werden. Doch es war kein Feuer, das aus dem Maul des Drachen schoss. Es war Blut. Giftgrünes Blut ergoss sich wie ein Sturzbach auf Draco, Mugzdash, die Nazgûl, auf alle. Während sie von der heißen Flüssigkeit übergossen wurden, war es, als loderte in ihrem Innern das Feuer der Unterwelt auf. Unvorstellbare Kraft erfüllte ihre Körper, sie wanden sich, als sie in ihnen wuchs und in ihrem Kopf zu explodieren schien. Der Drache heulte ein letztes Mal klagend auf, bevor er zusammenschrumpfte und sich schließlich gänzlich verflüchtigte. Der Himmel war wieder grau, nichts deutete auf das soeben Geschehen hin. Oder etwa doch?

„Was ist das?", fragte ein Ork. Seinen Arm zierte ein grünlich schimmerndes Brandmal in Form eines Drachenkopfes. Auch die anderen Soldaten fanden das Zeichen, auf ihrer Brust, auf Armen und Beinen, überall. „Was hat das zu bedeuten?", fragte Mugzdash, indem er fasziniert über das Mal auf seiner Handfläche strich. „Das werden wir gleich sehen!", zischte Draco. Er riss das Schwert des Orks aus der Scheide und stieß es bis zum Heft in dessen Bauch. Mugzdash keuchte. Die Krieger holten scharf Luft. Draco zog es wieder heraus. Die Wunde schloss sich. Wie von Zauberhand. Er stach ihm in die Brust. Dasselbe Ergebnis. Er durchtrennte ihm die Kehle. „Es ist unglaublich!", staunte Mugzdash und rieb sich den unversehrten Hals. „Nein, es ist Magie!", berichtigte ihn Draco. Zu seinen Streitkräften sagte er: „Wie ihr seht, seid ihr nun unverwundbar. Leider kann ich nicht sagen, wie lang der Zauber anhält. Echtes Drachenblut wäre besser gewesen, aber ich musste nehmen, was ich kriegen konnte. Also lasst uns rasch handeln!" Er hob einen ramponierten Schild hoch. „Das hier ist ein Portschlüssel. Er wird euch nach Valinor bringen. Haltet euch alle aneinander fest." Die Soldaten murrten zwar ein wenig, weil ihnen das zu sehr das Gefühl von Zärtlichkeit vermittelte, gehorchten aber. Mugzdash ergriff die Hand des vordersten Goblins. Draco drückte ihm den Schild in die Hand. „Bis gleich!", verabschiedete er sich. Er trat einen Schritt zurück. „Eins, zwei, drei", zählte er. Wo eben noch ein ganzes Heer gestanden hatte, war nun nur noch nackter Fels. Zufrieden bestieg Draco seinen Besen, den sein Vater ihm freundlicherweise geschickt hatte. Er lächelte selbstgefällig. „Ich hab's geschafft!" „Danke, Vater", fügte er in Gedanken hinzu. Dann verschwand auch er. Was soll man dazu noch sagen? Nur eines: Auf in den Kampf!