Kapitel 8: Lauf nie mehr vor mir weg
Als sich das riesige Tor öffnete, wurde Bulma als erstes gegen die Wand geworfen, weil eine Windbö sie von den Füßen riss. Sie kämpfte sich wieder auf die Füße und verließ dann den Palast. Mit einem leisen Summen schlossen sich die Türen hinter ihr und sie war fast überrascht. Sie hatte es geschafft, aus dem Palast zu entkommen!
Es war merkwürdig. Nachdem sie die oberste Etage überwunden hatte, die in der nur Vegeta und Kakarott wohnten, war sie auf fast keine Hindernisse mehr gestoßen. Nur noch ein paar elektronische Schlösser, aber die waren natürlich kein Problem für sie gewesen. Zum ersten Mal hatte sie festgestellt, wie merkwürdig der Palast war. Die oberste Etage wirkte wie aus einem mittelalterlichen Schloss von der Erde, düster, groß und furchteinflößend. Und dann wieder waren die Türen mit elektronischen Sensoren verschlossen. Widersprüchlich, aber das hatte ihr ermöglicht, dem Palast und damit Vegeta zu entkommen.
Wie sie schon von oben beobachtet hatte, war die Stadt wie ausgestorben. Kein Wunder. Es regnete wie aus Eimern, keine zwei Minuten nach ihrem erfolgreichen Entkommen aus ihrem riesigen Gefängnis war sie vollständig durchnässt. Außerdem zog der Wind ständig an ihrem Umhang und drohte, das Tuch um ihren Kopf fortzureißen. Sie war aber schon zufrieden damit, dass keine Blitze über den Himmel zuckten. Teilweise fegte der Sturm so stark über sie hinweg, dass sie glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Aber sie war frei! Sie brauchte diesen jähzornigen, gefährlichen Irren nie mehr wieder sehen! Mit dem Scouter würde sie Yamchu rufen, der würde kommen, sie und Chichi retten und dann wäre alles wie... früher...
Sie hielt inne. Unwillkürlich berührte sie mit den Fingerspitzen ihre Lippen. Könnte es überhaupt jemals wieder so wie früher werden? War das möglich?
Seine dunklen Augen kamen ihr in den Sinn, einfach so. Was war mit ihr los?
Sie schüttelte den Kopf, so als könnte sie damit auch den Gedanken abschütteln, und lief weiter. Die Gassen und kleinen Straßen der Stadt boten perfekte Möglichkeiten, sich zu verstecken. Er würde sie hier niemals finden. Sie würde sich in aller Ruhe ein Versteck suchen und an dem Scouter arbeiten.
Regen prasselte ihnen entgegen und die beiden Saiyajin machten gar nicht erst den Versuch, sich davor zu schützen. Das Wetter auf Vegeta-sei hatte seine ganz eigenen Gesetze. Wer bei so einem Unwetter nach draußen ging, war selber schuld.
Vegeta warf Kakarott einen ungeduldigen Blick zu. Sein Schwanz hatte sich von seiner Hüfte gelöst und schweifte jetzt unruhig hin und her. Kakarott musste bei dem Anblick unwillkürlich an ein Raubtier denken. Ein Raubtier auf der Jagd.
„Kakarott, am besten wir teilen uns auf. Wenn du sie findest, bring sie zu mir. Ich suche im östlichen Teil, du im Westen. Hier." Er warf seinem Kameraden einen Scouter zu. „Sag mir Bescheid, wenn du sie findest."
„Okay, Vejita. Dann los." Ohne Umschweife machten sie sich auf den Weg und Kakarott sah noch, wie Vegeta geschmeidig wie eine Katze hinter der ersten Hauswand verschwand. Manchmal gruselte es ihn, wenn er seinem langjährigen Freund zusah. Saiyajin waren generell gefährliche Geschöpfe, mit denen man sich besser nicht anlegte, aber Vegeta... er war das Raubtier unter den Saiyajin.
Kakarott schüttelte den Gedanken ab. Jetzt galt es, die Menschenfrau zu finden, bevor ihr noch etwas passierte.
Bulma warf einen Blick in den Himmel. Wenn das überhaupt möglich war, dann war es in den vergangenen Stunden noch dunkler geworden. Und kälter. Sie fror. Durch die nassen Sachen spürte sie jeden kalten Windstoß.
Sie hatte versucht, aus dieser endlosen Stadt herauszukommen, aber es war wie ein Labyrinth. Dieser verfluchte Ort schien kein Ende zu haben. Sie bog in eine kleine Seitenstraße ein und hatte irgendwie das Gefühl, hier schon mal vorbeigekommen zu sein.
Plötzlich ging eine Tür auf, blitzschnell, und leuchtende Augen starrten ihr entgegen. Entsetzt prallte Bulma zurück gegen die Wand und presste die Hand vor den Mund, um nicht zu schreien. Aus der Dunkelheit trat ein Saiyajin, aber die Erkenntnis brachte ihr keine Erleichterung. Seine Augen fixierten sie und dann sagte er etwas auf Saiyago. Sie musste überlegen, bis sie sich die Bedeutung seiner Worte zusammenreimen konnte: „Du riechst nach Angst." Er kam näher.
Instinktiv fuhr sie herum und fing an zu laufen, aber er war schneller. Sie spürte seinen heißen Atem im Nacken und dann wurde sie gegen die Wand geworfen. Von hinten flüsterte er ihr etwas ins Ohr. „Mensch."
„Ganz recht!", erklärte sie mit zittriger Stimme. „Ich bin ein Mensch und ich verlange, dass du mich loslässt!" Als keine Antwort kam, begriff sie, dass er wahrscheinlich ihre Sprache gar nicht verstand, also kratzte sie noch mal ihr ganzes Wissen zusammen und sagte auf Saiyago: „Loslassen!"
Als er nicht auf sie hörte, rammte sie ihm auf Gutglück den Ellbogen in den Magen und als er abgelenkt war, riss sie sich los und rannte einfach nur davon. Sie hatte fest damit gerechnet, verfolgt zu werden, aber sie hörte ihn nur laut lachen. Bulma rannte einfach weiter, ohne stehen zu bleiben und ohne sich umzuschauen.
Als sie zwei Blocks weiter war, passierte das Unausweichliche: sie rutschte aus und fiel der Länge nach hin. Mit einem wütenden Fluch setzte sie sich auf. Und jetzt entdeckte die wirkliche Katastrophe: der Scouter war kaputt. Beim Sturz war sie voll draufgefallen und hatte das empfindliche Stück Technik zerquetscht. „Oh nein!!!", murmelte sie. „Scheiße!!"
Ihre Flucht war von Anfang an ziemlich aussichtslos gewesen, aber dass sie so dumm sein und ihre Chance selbst zerstören würde... das hätte sie nicht gedacht. Tränen der Enttäuschung schwammen in ihren Augen.
Dann fegte ein unglaublich starker Windstoß über die Straße, der sie von den Füßen gerissen hätte, wäre sie aufrecht gestanden. Bulma kreischte, als ihr das Tuch vom Kopf gerissen wurde und ihre blauen Haare enthüllt wurden.
Sie hob den Kopf und ihr Blick fiel auf – ihn.
Der Wind schien stillzustehen, ebenso wie der Rest der Welt, der sich in einheitlichem Grau färbte. Dort, mitten auf der Straße, stand der Prinz der Saiyajin, ganz ruhig. Sein Blick war eisig, gleichgültig, undeutbar.
Sie musste ein furchtbares Bild bieten, durchnässt und schmutzig auf dem Boden, mit den wogenden blauen Haaren. Bisher hatte sie die Haare immer zusammengebunden in seiner Gegenwart. Schon seltsam, dass sie gerade jetzt an so was dachte.
Ihr Körper zitterte. Vielleicht wegen der Kälte. Der Saiyajin kam auf sie zu, mit langsamen Schritten. Sie wusste, dass es sinnlos gewesen wäre, wegzulaufen. Sie sagte keinen Ton, starrte nur hoch zu ihm, und wartete.
Er stoppte schließlich, direkt vor ihr. Seine dunklen Augen fixierten sie, und sie konnte nichts in ihnen lesen. Vielleicht würde er sie auf der Stelle töten. Oder wieder so anschreien wie am Morgen. Oder...
Sein Gesichtsausdruck wurde weicher und er sagte ernst: „Tu das nie wieder." Es wurde ganz still.
„Was?", fragte sie, mehr um ihre Überraschung über seine Reaktion auszudrücken.
Er kniete bei ihr nieder. Seine Hand legte sich auf ihre Wange, drückte ihren Kopf hoch. Sein Daumen streichelte über ihren Wangenknochen. Leise wiederholte er: „Lauf nie wieder vor mir weg."
Kakarott wartete bereits am Eingangstor, als sein Prinz zusammen mit der Frau zurückkehrte. Er hielt sie nicht fest. Sie ging neben ihm her, mit hoch aufgerichtetem Kopf, und auf einmal drängte sich Kakarott der Eindruck auf, dass diese Beiden Gleichgestellte sein könnten. Niemals hätte Vegeta jemandem nach einer Flucht so eine Rückkehr erlaubt. Er hätte diese Frau am Handgelenk gepackt und wie ein kleines Kind durch die Straßen gezerrt, oder sie an den Haaren herbeigeschleift, aber nicht.... so... Zum ersten Mal gewann der junge Saiyajin den Eindruck, dass Vegeta im Begriff war, sich zu verändern. Ob es wirklich mit der Frau zu tun hatte, und ob es von Dauer sein würde, das würde sich noch zeigen.
Die zwei kamen zu ihm, beide ebenso durchnässt wie er. Die Frau schaute an ihm vorbei. Vegeta warf ihm einen warmen Blick zu und bedankte sich mit einem Nicken für seine Hilfe. Kakarott lächelte ihn an, eine stumme Art, gern geschehen zu sagen.
Gemeinsam kehrten sie zurück in den Palast. Vegeta brachte die Frau ganz selbstverständlich zu seinem Zimmer. Kakarott verabschiedete sich von dem Prinzen und kehrte in sein eigenes Zimmer zurück.
Chichi hatte ihn bereits erwartet.
„Kakarott! Ist Bulma okay? Habt ihr sie gefunden?", fragte sie hastig.
„Mh.", er nickte. „Sie ist wieder bei ihm. Es geht ihr gut."
Einen Moment lang atmete die Frau auf, dann fragte sie: „Er wird ihr doch nichts tun, oder?"
Kakarott schüttelte den Kopf. „Nein. Vorläufig ist sie gut bei ihm aufgehoben."
Chichi fasste seinen Ärmel. „Danke..." Zu seiner Überraschung stellte Kakarott fest, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Sie verwirrte ihn irgendwie, diese Frau. Sie war es, die dann wieder das Wort ergriff. „Du bist ja ganz nass! Du musst sofort diese Sachen ausziehen!"
Er lächelte über ihre Besorgnis. Er war ein Saiyajin, und damit mehr als abgehärtet gegen Kälte. Trotzdem widersprach er ihr nicht sondern zog sich artig das Hemd über den Kopf. Während sie ins Bad rannte, um ein Handtuch zu holen, zog er die Hose aus und schlüpfte trotz seines klammen Körpers in ein trockenes Paar Shorts.
Sie kam zurück, musterte ihn nur ganz kurz, und sah ihm dann angestrengt in die Augen. Er musste grinsen. Diese Menschenfrauen waren sehr amüsant. Eine Saiyajin-Frau hätte ihn ganz unverwandt angestarrt. Chichi kam zu ihm und anstatt ihm das Handtuch zu geben, rubbelte sie damit geschäftig über seine Brust und seine Oberarme. „Du bist ja ganz kalt, du solltest ein Bad nehmen oder so was!", murmelte sie dabei. „Komm, ich trockne dir noch die Haare ab."
Er beugte sich etwas vor, damit sie an sein schwarzes Haar kam, und sie rubbelte an einer Haarsträhne herum. Und er machte den Fehler, ihr direkt in die Augen zu sehen. Sie schaute furchtlos zurück. Ihre Bewegungen wurden langsamer, schließlich ließ sie die Arme bis auf die Höhe seiner Brust sinken.
Der Moment war perfekt.
Kakarott beugte sich vor, nur ein kleines Stück, und küsste sie. Willig drängte sie sich ihm entgegen. Es war kein inniger Kuss, nur ein Ausdruck von etwas, von dem Kakarott geglaubt hatte, Saiyajin seien gar nicht dazu fähig... Zärtlichkeit. Er schloss ganz automatisch seine Augen und mit seinen feinen Sinnen nahm er ganz leise ihren Herzschlag wahr.
In dem Moment passierte etwas mit ihm.
Er begriff nicht, was es war. Er hatte so ein merkwürdiges Gefühl. Ihm wurde warm. Seine Hand legte sich auf ihre Wange, dann trennten sich ihre Lippen, beinah unwillig. Kakarott blinzelte. Was war da gerade passiert? Sie lächelte. Dann setzte sie ihre Arbeit fort, legte ihm das Handtuch um den Kopf und rubbelte seine Haare trocken. So als wäre nichts gewesen.
Schließlich drückte sie ihm das Handtuch in die Hand und sagte: „Ich geh und lass dir Wasser ein."
Er starrte ihr nach, starrte hinter ihr her auch nachdem sie das Bad verlassen hatte. In seinem Bauch schmerzte es. Es fühlte sich sehr merkwürdig an.
Ungeduldig tigerte Vegeta in seinem großen Zimmer hin und her. Die Frau war nebenan im Bad und wärmte sich in der Wanne wieder auf. Er konnte noch immer nicht glauben, wie er sich ihr gegenüber verhalten hatte. Bei ihrem fast armseligen Anblick war jeder Anflug von Wut verraucht gewesen. Er hatte das merkwürdige Bedürfnis gehabt, über ihr wehendes Haar zu streicheln und sie in seine Arme zu nehmen, zu... beschützen. Dabei war der einzige, vor dem sie wirklich Schutz brauchte, er selbst.
Er verstand sich selbst nicht mehr. Jede andere Frau hätte er eingesperrt, sie hungern und frieren lassen bis jeglicher Widerstand in ihr gebrochen wäre, aber bei ihr erschien ihm der Gedanke fast absurd. Sie war etwas Besonderes.
Wie sie ihn angeschaut hatte... überrascht, aber ohne eine Spur von Angst in ihren Augen. Dabei hatte sie nach seinem Wutausbruch am Morgen vermuten müssen, er würde sie schlagen oder gar töten.
Er hielt es nicht mehr aus, er musste wissen, was sie mit ihm machte. Ungeduldig schob er die Tür zum Bad auf und trat ein. Als sie ihn bemerkte, stieß sie einen erschreckten Schrei aus und zerrte sich das Handtuch vor die Brust. „Was fällt dir ein, hier so reinzuplatzen??"
Wie von selbst stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht. Sie hatte wirklich Mut.
Stumm sah sie ihm zu, wie er sich auf den Wannenrand setzte, wobei er nie den Augenkontakt zu ihr verlor. „Ich sollte dich wegsperren, in ein Gefängnis ohne Fenster und Türen! Ich sollte dich hungern lassen, für das was du getan hast! Ich sollte dir eine Tracht Prügel verpassen, dir Manieren beibringen! Hast du eine Ahnung, wie viele es gewagt haben, sich mir zu widersetzen?"
Sie verzog unwillig das Gesicht. „Wenn es welche gibt, wirst du mir jetzt sicher nicht von ihnen erzählen! Hat dir schon mal wer gesagt, dass Furcht und Respekt zwei verschiedene Dinge sind?!"
Er schüttelte seinen Kopf und knurrte: „Ich weiß nicht, ob du so mutig oder einfach nur dumm bist... Aber lass dir eines gesagt sein... Du kannst mir nicht entkommen. Merk dir, egal wo du hingehst, ich werde dir folgen, dich suchen und zurückbringen, hast du das verstanden?"
„Ja, schon klar! Aber das ist alles deine Schuld!"
„MEINE Schuld?? DU bist weggelaufen!"
„Du hättest mich eben nicht so erschrecken dürfen.", gab sie trotzig zurück.
„Du hättest nicht in meinen Sachen wühlen dürfen!"
„Und du hättest mich nicht einsperren dürfen!"
Vegeta gab es auf. Diese Frau war mindestens ebenso stur wie... er selbst. Aber er war auch sehr froh darüber, dass sie ihren Kampfgeist nicht verloren hatte. Er wollte gerade aufstehen, da murmelte sie: „Ach übrigens... danke, dass du da warst..."
Überrascht schaute er sie an. Und antwortete mit einem Nicken.
„Hör mal... warum lässt du mich nicht aus diesem Zimmer raus? Dass ich mich wenigstens in der obersten Etage bewegen kann. Dann könnte ich Chichi mal wieder sehen. Bitte."
Er sah sie kurz an, und dachte darüber nach. Letztendlich zuckte er die Schultern. „Okay."
Nächstes Kapitel: Vollmond und die Herzen der Saiyajin
