Sita/T'eyla

Helden wie wir

Habt ihr schon mal eine so verplante und chaotische Crew wie Archer, Tucker & Co gesehen?

Ich meine, haben Captain Picard und Commander Riker jemals mitten in einer Schießerei angefangen zu diskutieren, wo sie denn nun ihr Shuttle geparkt hatten? Hat Lieutenant Sulu jemals seinen Kommunikator auf einer Aussenmission verloren und ihn später im Abfalleimer (!) gesucht? Hat Geordi LaForge es jemals fertiggebracht, seinen eigenen Arm zu tarnen? Hat Captain Janeway Tuvoks Eltern angerufen, um sich nach seiner Lieblingsspeise zu erkundigen? Und ist Lieutenant Worf jemals schwanger von einer Aussenmission zurückgekommen??

Wohl kaum. Irgendwie scheinen solche Sachen immer nur auf der Enterprise NX-01 zu passieren. Wir haben uns gefragt, woran das liegen könnte, und sind schließlich auf die Lösung gekommen: Das Ganze muss mit ihrer Vergangenheit zusammenhängen. Schließlich weiß man seit Freud, dass sämtliche Charaktermängel und sonstigen kleinen Schönheitsfehler etwas mit der Kindheit des Betroffenen zu tun haben. Na gut - let's have a look...

Hundstage

Ungeduldig blickte Jonny die Straße hinunter, Ausschau haltend nach dem Bus, der jeden Moment um die Ecke biegen musste. Meistens machte ihm das Warten ja nichts aus, denn für gewöhnlich leistete ihm Steve Turner an der Bushaltestelle Gesellschaft und sie verbrachten die Zeit damit, Baseballkarten zu tauschen, doch heute war Steve nicht in der Schule gewesen.

Endlich sah er den Bus am Ende der Straße auftauchen und seufzte erleichtert. Heute musste er schnell nach Hause, da er in der Früh verschlafen und es in der Hektik nicht mehr geschafft hatte, sich in den Keller zu schleichen, um Carlos sein Frühstück zu geben. Er hoffte nur, dass Carlos keinen allzu großen Lärm veranstaltet hatte. Wenn Dad in den Keller gegangen war, um zu sehen, was es mit dem Krach auf sich hatte, würde später die Hölle los sein.

Der Bus hielt an. Jonny stieg ein und setzte sich wie immer auf einen der hinteren Sitze. Mit einem schnellen Blick versicherte er sich, dass ihn niemand beobachtete und öffnete dann vorsichtig seine Lunchbox. Kritisch betrachtete er den etwas zerdrückten Inhalt und runzelte die Stirn. Heute beim Mittagessen in der Schule hatte er es geschafft, sich fast den gesamten übriggebliebenen Hackfleischauflauf unter den Nagel zu reißen und ihn in seine Schultasche zu stopfen, als gerade niemand hersah, doch er war sich nicht sicher, ob es reichen würde. Carlos wurde mit jeden Tag größer, und er fraß inzwischen dreimal so viel wie noch vor zwei Wochen. Jonny wusste gar nicht mehr, wo er das ganze Zeug herbekommen sollte, da sein Vater ständig vergaß, einkaufen zu gehen und sowieso fast nie Fleisch kaufte. Und jedes Mal, wenn Jonny in den Keller ging, hatte Carlos wieder etwas anderes kaputtgemacht. Letztens hatte er es sogar geschafft, das Gehäuse des alten Rasenmähers völlig zu zerlegen, ebenso wie er alle Kissen und Decken, die Jonny für ihn in den Keller geschleppt hatte, gänzlich zerkaut und zerfetzt hatte. Einen Bernhardiner im Keller versteckt zu halten war eben doch nicht ganz so einfach, wie Jonny sich das vorgestellt hatte.

Vor drei Wochen hatte Steve ihn nach der Schule zu sich eingeladen, sehr geheimnisvoll getan und gesagt, dass er ihm etwas zeigen wollte. Natürlich war Jonny neugierig gewesen, und als er das Wohnzimmer der Turners betrat und sechs kleine Bernhardinerwelpen auf dem Teppich herumtoben sah, hatte er gewusst, dass es um ihn geschehen war. Seitdem Steve ihm erzählt hatte, dass seine Bernhardinerhündin Lady schwanger sei, hatte Jonny sich den Kopf zerbrochen, wie er seinem Vater die Erlaubnis abringen konnte, einen der Welpen behalten zu dürfen. Nachdem Jackie vor drei Monaten gestorben war, hatte Dad ausdrücklich gesagt, er wolle keinen neuen Hund mehr im Haus. Schließlich sei Jonny erst neun, viel zu klein, um sich allein um einen Hund zu kümmern, und er selbst habe nicht die Zeit dazu. Diesmal hatte es zur Abwechslung nichts gebracht, mit Dad herumzudiskutieren, doch Jonny hatte nie vorgehabt, so schnell aufzugeben. Er hatte Steves Eltern einfach erzählt, sein Vater sei damit einverstanden, dass er einen der Welpen mitnahm; er wusste, sie waren froh, die Hunde loszuwerden und würden nicht weiter nachfragen. Carlos war Jonny gleich aufgefallen, als er die Welpen zum ersten Mal gesehen hatte. Er hatte diesen lustigen Gesichtsausdruck, schönes hellbraunes Fell und riesige Pfoten. Jonny wusste, dass Welpen mit riesigen Pfoten eines Tages ziemlich große Hunde wurden, und er hatte sich schon immer einen großen Hund gewünscht.

Obwohl es ziemlich schwierig gewesen war, den quirligen Welpen in der Tragetasche ruhig zu halten, hatte Jonny es schließlich doch geschafft, Carlos nach Hause zu bringen und ihn in der Abstellkammer im Keller zu verstecken. Zum Glück hatte Dad bis jetzt nichts gemerkt... aber um ganz ehrlich zu sein, Jonny hatte auch nicht wirklich damit gerechnet. Ein Mann, der einmal vergessen hatte, seinen Schlafanzug auszuziehen, bevor er das Haus verließ, bemerkte auch nicht, dass sein Sohn seit mehreren Wochen einen jungen Bernhardiner im Keller versteckt hielt. Vor drei Tagen hatte Carlos einen Karton mit leeren Flaschen umgeworfen, dabei einen Höllenlärm veranstaltet und Jonny war sich sicher gewesen, dass sein Vater jeden Moment hinuntergehen und nachsehen würde, wo der Krach herkam. Doch gerade an dem Tag hatte sein Vater die neuen Testergebnisse des Warp-fünf-Projekts erhalten, und hätte das Labor nicht einmal verlassen, wenn das Haus über ihm zusammengefallen wäre. Aber Jonny wusste, dass er Carlos trotz allem nicht auf längere Zeit im Keller lassen konnte. In der Abstell kammer hatte der Hund einfach nicht genug Platz, sich auszutoben, und langsam fing es da unten auch an zu stinken. Es sah ganz danach aus, als würde Jonny doch mit seinem Vater reden müssen.

Der Bus hielt an der Auffahrt, und Jonny stieg aus, ein nervöses Flattern im Bauch, als er auf das Haus zuging. Er öffnete die Vordertür - und runzelte die Stirn. Irgendetwas roch brenzlig und im Flur kamen ihm Rauchschwaden entgegen.

Nicht schon wieder, dachte Jonny, ließ seine Schultasche fallen und sauste in die Küche. Auf dem Herd stand ein Topf mit überkochendem Wasser, das zischend auf der Herdplatte verdampfte, daneben eine glühendheiße Pfanne, in der zwei schwarze, verschrumpelte Bratwürstchen rauchend und stinkend vor sich hin schmorten. Mit einem entnervten Seufzer machte Jonny den Herd aus, schnappte sich die Topflappen, nahm erst den Topf, dann die Pfanne vom Feuer und ließ beides ins Spülbecken krachen. Er drehte den Wasserhahn auf und verzog angeekelt das Gesicht, als das Wasser in die Pfanne lief und die beiden verbrannten Würste in schwarze Matschklumpen verwandelte.

Abendessen bei Archers, dachte Jonny. Na Mahlzeit.

Er machte das Fenster auf und sah zu, wie sich die Rauchschwaden langsam nach draußen verzogen. Sein Magen knurrte hungrig und er seufzte. Anscheinend musste er sich den Rest des Hackfleischauflaufs mit Carlos teilen, wenn er heute überhaupt zu Abend essen wollte. Jonny verließ die Küche, hob im Vorbeigehen seine Schultasche auf und stapfte die Treppe hinauf. Nachdem er die Tasche in seinem Zimmer verstaut hatte, machte er sich auf den Weg zum Arbeitszimmer seines Vaters und öffnete die Tür. Henry Archer saß an seinem Schreibtisch, kaum zu sehen hinter Bergen von Papieren, Notepadds und Büchern.

"Hi, Dad," sagte Jonny. "Bin wieder da."

Sein Vater reagierte nicht, was Jonny nicht überraschte. Er räusperte sich vernehmlich.

"Hallo, Daddy!" wiederholte er ein wenig lauter. Überrascht sah Henry Archer auf, dann lächelte er ihn an.

"Hey Jonny, ich hab gar nicht gehört, wie du gekommen bist." Er schnüffelte. "Was riecht denn da so komisch?"

"Unser Abendessen," meinte Jonny trocken. Henrys Augen weiteten sich entsetzt.

"Oh verdammt!" Er sprang auf, brachte dabei einige Bücherstapel gefährlich ins Wanken und sauste zur Tür. Jonny brachte sich schnellstens in Sicherheit.

"Dad! Ich hab mich schon drum gekümmert!"

"Oh." Sein Vater, der schon fast am Fuß der Treppe angelangt war, blieb stehen. "Was wollte ich da eigentlich kochen, das riecht ja wie ein Gewächshaus voller Leichen!"

Jonny verdrehte die Augen. "Waren aber bloß Würstchen, glaub ich."

Henry strich sich übers Kinn und sah ein wenig kleinlaut zu Jonny hoch. "Tut mir Leid. Ich wollte eh in der Küche bleiben, aber dann ist mir eingefallen, dass ich Morris noch nicht wegen der letzten Testergebnisse angerufen hatte, also bin ich raufgegangen und... dann hat mich irgendwas abgelenkt, glaube ich."

"Ach was."

"Tut mir echt Leid." Henry hockte sich auf die unterste Treppenstufe.

"Bist du sehr hungrig?" fragte er und sah zu seinem Sohn auf. Jonny zuckte mit den Schultern.

"Naja, schon." Er stieg die Stufen hinunter und setzte sich neben seinen Vater.

"Hast du heute daran gedacht, einkaufen zu gehen?" fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte. Wie er erwartet hatte, schüttelte Henry den Kopf.

"Das hab ich total vergessen. Heute Morgen hat mich Morris angerufen und sich ewig über die neue Laborzeitkürzung ausgelassen, ich bin stundenlang am Telefon gehangen. Er hat aber Recht, wir haben schon so nicht genug Zeit für unsere Experimente und jetzt kommen diese hirnlosen Schreibtischpiloten daher-"

"Dad, du bist nicht einkaufen gegangen, was bedeutet, dass wir im Moment nichts im Haus haben. Was sollen wir zu Abend essen?"

Es trat eine kurze Pause ein. "Tja, hm... weiß auch nicht. Haben wir noch diesen Tiefkühlspinat im Gefrierschrank?"

Jonny seufzte. "Wir haben die letzte Packung vor zwei Wochen aufgebraucht, Dad."

"Oh." Henry runzelte die Stirn. "Aber es muss doch noch irgendwas zu essen im Haus sein. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich vor ein paar Tagen ein Pfund Corned Beef gekauft habe, das kann doch nicht schon alles weg sein. Schauen wir mal nach, ob noch was übrig ist."

Er stand auf und machte sich auf den Weg in die Küche. Jonny folgte ihm, die Stirn in besorgte Falten gelegt. Er erinnerte sich ebenfalls an das Corned Beef; Carlos hatte es gestern innerhalb von zwei Minuten bis auf den letzten Krümel vertilgt.

Als Jonny die Küche betrat, schloß sein Vater gerade mit einem verwirrten Gesichtsausdruck die Kühlschranktür.

"Komisch. Ich weiß genau, dass ich das Corned Beef erst vor zwei Tagen gekauft habe. Hast du es gegessen?"

Jonny bemühte sich um einen unschuldigen Gesichtsausdruck. "Dad, du weißt doch, dass ich kein Corned Beef mag. Vielleicht hast du es im Laden liegen lassen."

"Haha." Henry öffnete einen der Küchenschränke und begann, darin herumzuwühlen. "Müsli haben wir auch fast keines mehr."

Jonny warf einen Blick in den Kühlschrank. Bis auf eine Packung Scheibenschinken und eine große Flasche Ketchup herrschte gähnende Leere. Er bückte sich, um den Gefrierschrank zu öffnen, und seufzte, als er sah, was darin war.

"Dad, du hast schon wieder die Marmelade ins Eisfach getan!"

"Oh nein!" Henry kam zu ihm herüber, warf einen Blick in den Gefrierschrank und verzog das Gesicht. "Pfui Teufel." Er ließ sich auf einen der Küchenstühle fallen und sah Jonny an. "Tja, mein Junge, entweder gibt es gefrorene Erdbeermarmelade mit Müslistaub zum Abendessen, oder wir lassen uns 'ne Pizza kommen."

"Pizza," meinte Jonny mit Nachdruck. "Für mich Käse und Salami, ohne Pilze."

"Kommt sofort, Sir." Henry stand auf. Er nahm die Karte vom Pizzaservice von der Ablage und ging hinüber zum Telefon.

"Wenn das so weitergeht, wird das ganz schön teuer," murmelte er stirnrunzelnd und ließ seinen Blick über die Bestellliste wandern. Genau in diesem Moment läutete das Telefon. Henry nahm ab.

"Archer." Sein Gesicht leuchtete auf. "Ah, Morris! Hast du schon die Testergebnisse?"

Jonny seufzte. Abendessen ist also gestrichen, dachte er, drehte sich um und machte sich auf den Weg nach oben. Wenigstens Carlos sollte etwas zu essen bekommen. Er holte die Lunchbox aus seinem Zimmer, und mit einem kurzen Blick auf seinen Vater, der angeregt in den Hörer sprach und gleichzeitig eifrig Notizen auf einem Notepadd machte, öffnete er leise die Kellertür und ging die Treppe hinunter.

Als er sich der Abstellkammer näherte, hörte er bereits lautes Scharren und Kratzen hinter der Tür. Als er die Tür öffnete, warf Carlos ihn beinahe um, sprang an ihm hoch und leckte mit seiner rauen Zunge über Jonnys Gesicht. Seine großen Pfoten lagen schwer auf Jonnys Schultern.

"Pscht, Carlos, sei leise!" Er schob den Hund zurück ins Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Carlos hatte inzwischen die Lunchbox in Jonnys Hand entdeckt und schnüffelte gierig, während sein Schwanz wie wild hin- und herfuhr.

"Ist ja gut, ist ja gut. Bitte sehr, alter Junge." Jonny kippte den Hackfleischauflauf auf den Boden, setzte sich auf eine der Decken und sah Carlos zu, wie er hungrig sein Abendessen hinunterschlang.

Er ist wirklich schon ziemlich groß, überlegte er. Und er ist ja noch nicht einmal erwachsen.

Steve hatte gesagt, dass Bernhardiner erst mit eineinhalb Jahren vollständig ausgewachsen waren. Und je größer sie wurden, desto mehr fraßen sie. Jonny sah Carlos zu, wie er die letzten Auflaufkrümel vom Boden schleckte und schnüffelnd nach mehr suchte. Er spürte einen Anflug von schlechtem Gewissen.

Ich muss ihn hier rausbringen, dachte er. Ich muss es Dad eben sagen.

Er hob die Lunchbox vom Boden auf, kratzte die letzten Hackfleischreste zusammen und streckte die Hand aus.

"Da, ich hab noch bißchen was gefunden."

Schwanzwedelnd kam Carlos zu ihm herüber, und die traurigen Reste von Jonnys Schulessen waren in Nullkommanichts verschwunden. Gedankenverloren kraulte Jonny den Hund hinter den Ohren und Carlos vergrub seinen großen Kopf in Jonnys Armbeuge.

"Glaubst du, Dad würde es merken, wenn ich dich einfach mit nach oben nehme?"

Mit runden braunen Hundebaby-Augen sah Carlos zu ihm auf und wedelte mit dem Schwanz. Jonny seufzte.

"Wahrscheinlich schon, oder? Wenigstens nach ein paar Tagen."

Carlos kuschelte sich dichter an ihn und Jonny streichelte das weiche zottelige Fell, tief in Gedanken versunken. Carlos konnte einfach nicht mehr länger im Keller bleiben. Er biß sich auf die Lippen. Dad würde ihn umbringen, wenn er von der Sache Wind bekam. Nachdem Jackie gestorben war, hatte er gesagt, sie würden erst wieder einen Hund holen, wenn Jonny alt genug war, sich allein um ihn zu kümmern, und keinen Tag früher. Jonny glaubte nicht, dass das der einzige Grund war; um Jackie hatte er sich schließlich auch praktisch alleine kümmern müssen und das hatte immer gut funktioniert. Aber er würde es auf keinen Fall zulassen, dass Dad ihm Carlos wieder wegnahm. Dad hatte sein Warp-Fünf-Projekt, und er hatte seinen Hund; so war es schon immer gewesen. Er sah wieder hinunter auf Carlos, der inzwischen eingeschlafen war.

"Naja, mir wird schon was einfallen," sagte er. Er klopfte Carlos ein letztes Mal auf den Rücken, dann stand er auf und ging zur Tür.

Als er die Kellertür öffnete, war seine Vater nirgendwo in Sicht. Das Telefon war ebenfalls verschwunden und Jonny wusste, dass sein Vater oben in seinem Arbeitszimmer war und sich mit Morris über die letzten Testergebnisse unterhielt. Den Pizzaservice würde Henry Archer heute ganz bestimmt nicht mehr anrufen.

Jonny ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Er durchsuchte jedes Fach und jeden Winkel und fand schließlich noch drei Scheiben Käse, eine halbe Zwiebel und eine seltsames braunes Etwas, das vielleicht einmal eine Zitrone gewesen war. Nachdem er die Zitronenmumie im Müll versenkt hatte, stellte Jonny Käse, Schinken, Ketchup und Zwiebel nebeneinander auf dem Küchentisch auf und betrachtete sie stirnrunzelnd. Irgendwie sah das Ganze noch nicht nach einem richtigen Abendessen aus. Er durchwühlte sämtliche Küchenschranke und Schubladen und fand schließlich ganz hinten zwischen den Tellern eine Tüte Semmeln. Jonny fand, dass sie noch ganz gut aussahen, obwohl sie an den Rändern schon ein wenig grau wurden und bröselten. Immerhin waren sie essbar.

Er legte sie zu den anderen Sachen auf den Küchentisch, holte ein Messer aus der Besteckschublade und begann, die Semmeln zu belegen. Sie waren wirklich ziemlich trocken, also weichte Jonny sie großzügig in Ketchup ein, damit man es nicht so schmeckte. Nachdem er jedes Sandwich noch mit einem Zwiebelring garniert hatte, legte er er sie auf einen Teller und machte sich damit auf den Weg in den ersten Stock. Als er die Tür zum Arbeitszimmer öffnete, legte sein Vater gerade den Telefonhörer auf den Schreibtisch. Henrys Augen klebten am Computerbildschirm, und er merkte nicht einmal, als Jonny hereinkam und neben ihm stehenblieb.

Jonny räusperte sich. "Hey, Dad, ich hab uns Sandwiches gemacht. Willst du eins?"

"Was?" Henry Archer drehte den Kopf und warf ihm einen geistesabwesenden Blick zu. "Oh, danke, Jonny."

Ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden, nahm er sich eines der Sandwiches, biß hinein und wischte das Ketchup ab, das ihm übers Kinn lief. Jonny setzte sich auf den Boden neben den Schreibtisch, nahm ebenfalls ein Sandwich und begann zu essen.

Hätte wohl besser eine Serviette mitnehmen sollen, dachte er, als er sah, wie das Ketchup auf den Teppich tropfte. Er betrachtete seinen Vater, der völlig in seiner Arbeit versunken war. Nach einer Weile öffnete Jonny wieder den Mund.

"Weißt du was, wir haben heute einen Mathetest geschrieben."

Sein Vater brummte unverbindlich, während er einen Stapel Notepadds durchsah.

"Ich glaub, ich hab alles richtig bis auf die letzte Aufgabe. Die war voll schwer."

"Mhm." Eines der Padds fiel zu Boden und rutschte unter den Schreibtisch. Sein Vater bückte sich und tastete unter seinem Stuhl herum.

"Man musste drei Brüche mit echt hohen Zahlen multiplizieren. Ich hasse Brüche."

"Sehr schön, Jonny." Henry hatte das Padd gefunden und legte es wieder zu den übrigen auf den Schreibtisch. Jonny betrachtete ihn nachdenklich.

"Ich brauch ganz viel Geld. Gibst du's mir?"

Sein Vater starrte auf den Computerbildschirm und runzelte die Stirn. "Sicher, Jonny."

"Ich glaub, ich werd morgen den Supermarkt überfallen und die Bank ausrauben."

Henry blätterte in seinen Notizen. "Prima."

Jonny holte tief Luft. "Ich hab einen Bernhardiner im Keller. Darf ich ihn behalten?"

Sein Vater nickte geistesabwesend. "Jaja."

"Danke, Dad." Jonny nahm den Teller mit den übriggebliebenen Sandwiches vom Boden und stand auf. Er konnte nicht glauben , dass es tatsächlich funktioniert hatte. Leise schloß er die Tür des Arbeitszimmers hinter sich.

Zeit, dass du da unten rauskommst, Carlos, dachte er, während er die Treppen hinunterlief und ein Grinsen breitete sich auf auf seinem Gesicht aus, als er die Kellertür öffnete.

Merke: Strategie ist alles.

Teil 2 in Arbeit