"... ganz zu schweigen von den jüngsten Exportbeschränkungen, die der Hohe Rat eingeführt hat. Obwohl die Erfolge der terranischen Handelspolitik in Anbetracht des Führungswechsels im Wirtschaftsministerium umso bemerkenswerter sind, dürfen wir nicht zulassen, dass gewisse Fraktionen ihre Pläne in die Tat umsetzen und die Budgetmittel allein für neue Technologien verwenden. Die Tendenz der terranischen Regierung, ihre politischen Energien bedingt durch die kaum als objektiv zu bezeichnende Berichterstattung der Medien auf ein ökonomisches Feld zu beschränken, wird sich eines Tages als fatal erweisen, wenn die Menschen sich dazu entschließen, mit anderen Welten und Völkern Handelsverträge abzuschließen. Nichtsdestotrotz hat die vulkanische Regierung eine Kampagne gestartet, die..."
T'Pol rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Das ging nun schon seit Stunden so, und ihr war langweilig. Da es auf der Raumstation keine Kinderbetreuung gab, musste sie ihren Vater zu jedem einzelnen Meeting begleiten und endlose Verhandlungsgespräche über sich ergehen lassen, die sich manchmal auf halbe Tage ausdehnen konnten. Und das sieben Tage die Woche. Ihr Vater hatte ihr einige Mathematikaufgaben gegeben, die sie während seiner Verhandlung mit dem menschlichen Botschafter lösen sollte, doch damit sie war schon nach einer halben Stunde fertig gewesen und hatte nun nichts weiter zu tun, als dem monotonen Vortrag ihres Vaters zu lauschen. Nicht zum ersten Mal wünschte sie, sie hätte zu Hause bei ihrer Mutter bleiben können, aber ihre Mutter war zur Zeit auf Geschäftsreise in ShanaiKahr und dabei konnte sie ihre fünf Jahre alte Tochter schlecht mitnehmen. Nun, eigentlich war T'Pol auf der Raumstation auch ziemlich fehl am Platze, aber bei irgendjemandem musste sie schließlich bleiben und wie immer hatte ihr Vater nachgegeben.
"... und da der sekundäre Sektor in den letzten Jahren stark expandiert ist, rate ich dringend, die letzten Zusatzartikel der Internationalen Handelsübereinkommen noch einmal zu revidieren."
T'Pol sah, wie ihr Vater eine Pause einlegte, um Luft zu holen und ergriff die Gelegenheit beim Schopf.
"Vater, ich muss zur Toilette."
Solkar warf ihr einen kurzen Blick zu. "Du kannst gehen, Tochter."
T'Pol sah, wie sich Botschafter Harris das Grinsen verbiss und runzelte die Stirn. "Aber ich weiß nicht, wo sich die Toilette befindet."
Irritiert hob Solkar eine Augenbraue. "Dann folg den Schildern."
T'Pol verschränkte die Arme vor der Brust. "Aber ich bin auch hungrig."
Harris kicherte verhalten und Solkar warf ihm einen bösen Blick zu. "Tochter, ich muss dich jetzt bitten, zu gehen."
T'Pol öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, schloss ihn aber schnell wieder, als ihr Vater sie streng ansah. Sie wusste, dass es jetzt besser war, zu gehen. Als sie den Raum verließ, hörte sie den menschlichen Botschafter leise lachen.
"Wirklich süß, die kleine Missy, Solkar."
T'Pol war sich nicht sicher, was eine "Missy" sein sollte, aber sie wusste genau, dass sie weder süß noch klein war. Sie hatte in ihrem Leben noch nicht viele Menschen kennengelernt, doch sie hatte den Eindruck, dass sie einem recht lästig fallen konnten. Was war denn so lustig daran, wenn jemand nicht wusste, wo sich die Toilette befand? Während sie die Korridore hinunterlief, hielt sie nach den Schildern Ausschau, die ihr Vater erwähnt hatte. Es gab keine. In diesem Teil der Raumstation war T'Pol noch nie gewesen, und da die Korridore einer wie der andere aussahen, wusste sie nicht genau, welchen Weg sie nehmen sollte. Nach ein paar Abzweigungen jedoch stand sie plötzlich vor einer Tür mit dem Zeichen für 'Toilette' und seufzte erleichtert.
Als sie nach wenigen Minuten wieder in den Korridor trat, fühlte sie sich viel besser. Das war ziemlich dringend gewesen, und außerdem hatte sie es geschafft, dem Meeting zu entkommen. Einen Moment lang stand T'Pol im Gang, unschlüssig, was sie als Nächstes tun sollte. Es waren nicht viele Leute auf der Raumstation, und die Korridore in dieser Sektionen schienen völlig verlassen zu sein. Schließlich gab sich T'Pol einen Ruck, wandte sich nach links und lief den Gang hinunter. Vielleicht gab es hier irgendwo eine Art Aufenthaltsraum, wo sie bleiben konnte, bis ihr Vater aus dem Meeting kam. Am Ende des Korridors befand sich auf der rechten Seite eine große Tür. T'Pol öffnete sie und fand sich in einem leeren Konferenzraum wieder, ähnlich jenem, in dem das Treffen zwischen ihrem Vater und Botschafter Harris stattfand. Einen Moment später ertönte ein lauter Krach und T'Pol merkte, dass der Konferenzraum doch nicht so verlassen war, wie es den Anschein gehabt hatte. Sie blickte nach rechts, wo das Geräusch hergekommen war und sah einen menschlichen Jungen, etwa acht Jahre alt, der eine Art Keule in der Hand hielt. Anscheinend hatte er die Keule benutzt, um einen Ball durch den Raum zu schlagen, und dabei eine der Topfpflanzen getroffen. Mit einem überraschten Ausdruck auf dem Gesicht sah er sie an.
"Wer bist'n du?" fragte er. T'Pol hob eine Augenbraue.
"Ich bin T'Pol. Du hast die Einrichtung beschädigt."
Der Junge warf einen nervösen Blick auf die Überreste der Topfpflanze. "Du verpetzt mich doch nicht, oder?"
T'Pol zog die andere Augenbraue hoch. "Was hast du denn gemacht?"
Er grinste. "Nach was schaut's denn aus? Zielschießen auf Topfpflanzen, natürlich."
T'Pol starrte ihn an. Er verdrehte die Augen. "Also, ich hab hier einen Baseballschläger, einen Baseballhandschuh und einen Ball. Sieht doch ganz so aus, als ob ich Baseball spiele."
Verwirrt runzelte sie die Stirn. "Was ist Baseball?"
Er sah sie ungläubig an. "Du weißt nicht, was Baseball ist?"
"Nein."
Er schüttelte den Kopf. "Baseball ist'n Sport. Ein Ballspiel."
"Gehört es zu dem Spiel, seine Umgebung zu verwüsten?"
Er verzog das Gesicht. "Hab ich ja nicht extra gemacht."
"Wenn man in geschlossenen Räumen mit Gegenständen um sich wirft, führt das in den meisten Fällen zu Schaden," sagte T'Pol. Sie wusste nicht genau, was sie von dieser seltsamen Begegnung halten sollte, aber irgendwie machte sie dieser Junge ungeduldig. Das Gefühl schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen; seine Stimme klang gereizt, als er antwortete.
"Du glaubst wohl, dass dir vor lauter Intelligenz gleich das Hirn zu den Ohren rauskommt. Hör zu, Miss Superschlau, ich brauch mir nicht von irgendwelchen kleinen Mädchen erzählen lassen, wie ich Baseball spielen soll. Und schon gar nicht von vulkanischen kleinen Mädchen!"
T'Pol verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich bin nicht klein. Und aus meinen Ohren kommt gar nichts heraus."
Er ging hinüber zu der Topfpflanze und hob seinen Ball auf. "Warst du schon immer so oder hast du Unterricht genommen?"
T'Pol warf ihm einen verächtlichen Blick zu, als er den Baseball an seinem Hemd polierte.
"Wovon sprichst du?"
"Davon, dass du eine echte Nervensäge bist!"
"Wenn dir dein Nervensystem Probleme bereitet, solltest du einen Arzt aufsuchen."
Der Junge wurde rot vor Ärger. "Soll das heißen, ich bin verrückt? Vielleicht solltest du auch mal zum Doktor gehen, Lady!"
T'Pol gewann allmählich den Eindruck, als sprächen sie zwei völlig verschiedene Sprachen. "Was meinst du damit?"
Der Junge legte seinen Schläger und den Ball auf den Tisch und stemmte die Hände in die Hüften. "Ich weiß echt nicht, was mit euch Vulkaniern los ist. Red ich Chinesisch oder was?"
T'Pol wusste noch immer nicht, wovon er eigentlich sprach. Sie versuchte es anders. "Wie heißt du?"
Der Junge zuckte mit den Schultern, ganz offensichtlich verärgert. "Was geht dich das an, Klugscheißer?"
"Ich habe dir meinen Namen gesagt, also kannst du mir deinen ebenfalls nennen."
Er verdrehte die Augen. "Okay, okay. Ich bin Dave Harris."
"Botschafter Harris' Sohn?"
"Genau der. Hast du'n Problem damit?"
Sie runzelte die Stirn. "Warum sollte ich?"
"Weil du aussiehst, als hätte dir jemand eine Zitrone in den Hintern geschoben. Aber das heißt ja nichts, ihr Vulkanier seht alle so aus. Woher kennst du überhaupt meinen Dad?"
T'Pol wusste nicht recht, was sie mit dieser seltsamen Bemerkung anfangen sollte, doch sie verstand sehr wohl, dass sie keineswegs freundlich gemeint war. Allmählich begann sie sich zu ärgern. Sie hatte nichts getan, um eine solche Behandlung zu verdienen.
"Ich bin die Tochter von Solkar."
"Und wer zum Teufel ist Solkar?"
Sie sah ihn herablassend an. "Mein Vater und dein Vater besprechen im Moment das neue Handelsabkommen, das die Menschen eingeführt haben. Bist du über die beruflichen Aktivitäten deines Vaters nicht informiert?"
"Nein, und es interessiert mich auch einen Scheißdreck. Mein Dad schleift mich ständig mit auf diese diplomatischen Missionen, und ich kann das nicht leiden! Ich hasse es, auf diesen vergammelten Raumstationen mit lauter stinkenden Aliens herumzuhängen - "
T'Pol holte tief Luft. "An deiner Stelle würde ich niemanden beschuldigen, unangenehme Gerüche zu verbreiten."
Dave starrte sie an, die Fäuste geballt. "Soll das heißen, ich stinke?!"
"Ja."
Mit einem Wutschrei stürzte er auf sie los. T'Pols Kampfsportreflexe setzten ein, und eine Sekunde später lag Dave auf dem Rücken und sah mit einem entgeisterten Gesichtsausdruck zu ihr auf. Dann rappelte er sich wieder hoch und seine Augen blitzten vor Zorn.
"Du kleine-" Er kam auf sie zu und T'Pol trat einen Schritt zurück, wobei sie gegen den Tisch stieß.
"Ich bin nicht klein," sagte sie wütend und wieder stürzte er sich auf sie. Sie versuchte, ihn wie zuvor zu Boden zu werfen, doch diesmal packte er sie an den Armen und sie fielen hin, wobei sie einige Stühle mit umrissen.
"Ich bring dich um," japste er und versuchte, ihre Haare zu erwischen. T'Pol krallte sich in seinem Arm und verdrehte sein Handgelenk.
"Wohl kaum," schnaufte sie und heulte gleich darauf vor Schmerz, als er sie in die Schulter biss.
"Dafür wirst du bezahlen, Mensch," fauchte sie außer sich vor Wut und stieß ihm ihr Knie in den Magen. Er wurde ziemlich grün im Gesicht, doch das hinderte ihn nicht daran, ihre Haare zu packen und ein Büschel davon auszureißen. Der Schmerz spülte die letzten Reste ihrer Selbstbeherrschung fort, und einen Moment später rollten sie ineinander verkrallt über den Boden, traten, spuckten und bissen.
"T'POL!"
"DAVID!"
T'Pol, die gerade ihre Faust gehoben hatte, um David in den Magen boxen, erstarrte und sah auf Dave herab, der ebenso überrascht dreinsah wie sie selbst. Sie spürte, wie eine Hand sie an der Schulter packte und sie von dem menschlichen Jungen herunterzog, den sie auf den Boden gedrückt hatte.
"Was tust du da, Tochter?" Ihr Vater klang schockiert, und sein Gesichtsausdruck verriet kaum kontrolliertes Entsetzen. T'Pol schluckte.
"Er hat angefangen," sagte sie und deutete auf Dave. Inzwischen hatte Botschafter Harris seinem Sohn auf die Füße geholfen und redete nun mit sehr ernstem Gesicht auf ihm ein.
"... was zum Teufel hast du dir dabei gedacht, dich mit einem kleinen Mädchen zu prügeln?"
T'Pol wandte den Kopf. "Ich bin nicht klein," sagte sie und spürte, wie sich die Hand ihres Vaters fester um ihren Arm schloss.
"T'Pol! Du wirst für dieses Benehmen um Verzeihung bitten!"
"Sie hat mich in den Bauch getreten!" heulte Dave. "Zweimal!"
"Du warst sicher auch kein Unschuldsengel," meinte Harris und T'Pol sah erstaunt, dass seine Lippen zuckten, als müsse er sich ein Lächeln verkneifen. Er bemühte sich um einen strengen Gesichtsausdruck, als er seinen Sohn ansah.
"Los, entschuldige dich bei T'Pol."
"Das tu ich nicht! Sie-"
Botschafter Harris nahm Dave am Arm. "Oh doch, das tust du."
Dave funkelte sie an, wagte es jedoch nicht, weiterhin zu widersprechen. "Tut mir Leid," brummte er missmutig.
T'Pol spürte, wie Solkar ihr seine Hand zwischen die Schulterblätter legte und sie nach vorne schob.
"Ich bitte um Verzeihung," sagte sie so würdevoll, wie es unter den Umständen möglich war. Solkat trat vor. "Ich muss mich für das Verhalten meiner Tochter entschuldigen, Botschafter Harris. Ich versichere Ihnen, sie wird eine angemessene Strafe erhalten."
T'Pol spürte Unbehagen in sich aufsteigen und sah, wie Dave ihr die Zunge herausstreckte. Botschafter Harris räusperte sich. "Ich bin sicher, das Ganze war nicht T'Pols Schuld, Solkar. Ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss und Sie haben mein Wort darauf, dass Dave und ich uns hierüber GRÜNDLICH unterhalten werden."
Dave schluckte und T'Pol hob eine Augenbraue.
Nachdem sich Botschafter Harris nochmals ausführlichst entschuldigt hatte, nahm er seinen Sohn am Arm und verließ mit ihm den Konferenzraum. Als sich die Tür hinter ihnen schloss, hörte T'Pol seine Stimme.
"... ich hab dir doch gesagt, du sollst dich benehmen! Was hast du überhaupt da drin gemacht? Und was ist mit der Topfpflanze passiert?"
Nervös sah T'Pol zu ihrem Vater auf. Sein Gesicht so ausdruckslos war wie immer, doch in seinen Augen glitzerte Zorn.
"Ich bin sehr enttäuscht von dir, T'Pol," sagte er und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. "Dein Benehmen war eines Vulkaniers unwürdig. Wir werden uns nun in unser Quartier zurückziehen, wo wir ausführlicher über diese Angelegenheit sprechen können."
Er drehte sich um und ging zur Tür. T'Pol folgte ihm langsam. Sie fühlte sich elend. Sie wusste genau, jetzt folgte erst ein langer Vortrag über die Pflicht eines Vulkaniers, in allen Situationen beherrscht und logisch zu reagieren und danach bekam sie für mindestens drei Wochen zusätzliche Meditationsstunden aufgebrummt. Als sie daran dachte, wie Dave ihr die Zunge herausgestreckte hatte, stieg erneut Wut in ihr auf. Sie konnte wirklich nicht verstehen, warum ihr Vater einen Beruf gewählt hatte, bei dem er regelmäßig mit Menschen zu tun hatte. Mit dem festen Entschluss, dass sie diesen Fehler nie begehen würde, folgte T'Pol ihrem Vater aus dem Konferenzraum.
Merke: Never mess with a Vulcan lady.
