Disclaimer: Nichts hiervon gehört mir, und Geld verdiene ich (leider) auch nicht damit. Alle Rechte liegen bei Tolkien und Altariel, die die Geschichte geschrieben hat (und T.S. Eliot für Überschriften und Gedichtsauszüge). Dies ist nur eine Übersetzung (natürlich mit Erlaubnis der Autorin)!!! Das englische Original und noch viele andere tolle Tolkien fanfics gibt es beim www.henneth-annun.net oder auch hier bei fanfiction.net (unter Altariel). Eine überarbeitete Fassung meiner Übersetzung und noch weitere Übersetzungen von Tolkien fanfics stehen bei www.cuthalion.gmxhome.de . Ein Besuch lohnt sich!

Kapitel 2: Was der Donner sprach (What the Thunder said)

In jenem Traum schien sich der östliche Himmel zu verdunkeln und ein Gewitter zog herauf, aber im Westen hielt sich ein fahles Licht, und daraus hörte ich eine Stimme rufen, wie von Ferne, aber klar...

„Isildurs Fluch wird erwachen und der Halbling hervortreten."

In Ithilien, so dachte ich, würde ich, wenigstens für eine kurze Zeit, etwas Trost finden. Ich verließ Osgiliath, überquerte den Anduin und erreichte unsere Zuflucht in Henneth Annûn gerade vor Sonnenuntergang, wie ich gehofft hatte. Als ich in die Höhle trat, verwandelten die letzten Sonnenstrahlen den Vorhang aus Wasser in funkelnde Edelsteine. Warm empfing mich meine Kompanie, so als ob ich von einer langen Reise nach Hause käme; und wir aßen zusammen, als wäre der Schatten schließlich verschwunden. Ich war froh zu hören, daß die Valar sie alle in den Wochen, die ich fort gewesen war, beschützt hatten; denn in Wirklichkeit nahm der Schatten in Ithilien ständig zu. Meine Aufgabe war jetzt der sichere Rückzug meiner Männer auf die Westseite des Anduin; doch vorher mußten wir noch mehr Blut vergießen.

Und dann kam sogar in diesen kleinen Frieden ein doppeltes Leid. Denn jenseits aller Wahrscheinlichkeit und aus meinen Träumen heraus erschien der Halbling. Als ich ihn sah, fühlte ich große Angst, denn wenn nun dieser Traum wahr geworden war, was war dann mit den Träumen, die den Untergang von Gondor verhießen? Und schließlich erfuhr ich die Bedeutung des Rätsels von Isildurs Fluch.

Was wurde mir in diesem kurzen, aber scheinbar endlosen Moment der Versuchung dargeboten? Ein Beben ging durch meine Gedanken, und dann sah ich eine Vision von Ithilien, nicht mehr verwildert, sondern wieder ein Garten mit wunderschönen Blumen in allen Farben, erneut die Heimat all jener, die aus ihrem Land vertrieben worden waren. Die Straße zum Fluß hinunter gehend, sah ich hohe Türme sich vor mir erheben, und dann ritt ich auf einer breiten Straße, die von schönen Gebäuden aus weißem Stein und Silber gesäumt war. So kam ich zum Anduin und überquerte eine mächtige Brücke, ein passendes Monument für meinen Bruder. Dies war das neu erbaute Osgiliath, eine Stadt von Anmut und Weisheit. Hier war die ganze Majestät von Númenor wieder erstanden, aber jetzt noch bereichert durch die Weisheit vom Gondor dieser letzten Jahre der alten Rasse von Westerness. In langsamer Parade kam ich über den Pelennor geritten, und alle Menschen von Gondor, von Minas Tirith bis Dol Amroth, von Anórien bis nach Poros, hatten sich versammelt, um mich zu empfangen. Ich ritt zu den Toren der Stadt – endlich wieder Minas Anor, der Turm der Sonne – und dort stand mein Vater; und in seinem Gesicht – welch ein Ausdruck! Voll Stolz, Ehre und Liebe. Ein Blick, den ich schon oft gesehen hatte, aber nur von der Seite, denn er war stets an mir vorbei auf meinen Bruder gerichtet gewesen.

Solch wundervolle Bilder waren dies, Visionen von allem, was ich je begehrt hatte. Doch habe ich in meinem Leben schon viele Träume gehabt, und diesen bestaunend, schien es mir, daß er von anderer Qualität war, klarer, aber harscher, so als ob ein kaltes Licht auf darauf schiene. Ithilien war seltsam bleich, Osgiliath kälter als seine Ruinen, und meines Vaters lächelndes Gesicht war von einer kränklichen Fahlheit. Wie verschieden dies sogar von meinen schrecklichsten Träumen von Númenor war, oder von diesem letzten süßen Traum von meinem Bruder nach seinem Tod. Und dann konnte ich das scharfe Salz des Meeres von Dol Amroth schmecken, und dies vertrieb den ungesunden Geschmack dieser Täuschungen. Denn ich dachte an meinen Onkel, den ich immer geliebt und als mild und ritterlich bewundert hatte. Ich erinnerte mich an die langen Spaziergänge entlang der hohen Küstenpfade, die wir zusammen unternommen hatten, er und ich; und ich sprach davon, was ich gelesen hatte und was ich dachte; und er erzählte von seinen Erinnerungen an seine geliebte Schwester, meine Mutter, und wie sehr sie ihren jüngeren Sohn geliebt hatte.

Und so fand ich zu mir selbst zurück; aber nicht als der Bruder des Boromir, der immer ängstlich bestrebt war, sich im Kampf als gleichwertig zu erweisen; auch nicht als der Sohn des Denethor, der immer darum kämpfte, jenseits jeden Zweifels seine Treue zu beweisen – sondern als Faramir von Gondor, der sein ganzes Leben lang hart, aber immer unsicher danach gestrebt hatte, sich weise zu verhalten, und der nun herausfand, daß die Wahl weder auf Ruhm im Krieg noch auf Gehorsam gegenüber einem stolzen Herrn fallen konnte, sondern auf das, was die Wahl des Narren zu sein schien. Und ich erkannte, daß, auch wenn sie sich als solche erweisen sollte, ich dennoch meinem Tod mit Ehre ins Gesicht blicken konnte, wissend, daß ich wahrhaftig geblieben war und mich nicht durch Falschheit selbst verhöhnt hatte.

Aber wie war ich betrübt, denn ich konnte erraten, was Boromir gesehen hatte: Waffen und Schlachten und Armeen und Bündnisse und seinen eigenen Siegeszug in Mordor. Und ich wußte, er hatte sich selbst als König von Gondor erblickt. Mein armer Bruder.

Und was war mein zweiter Kummer? Ich erkannte, daß es schließlich so weit war wie ich mein ganzes Leben lang befürchtet hatte: die Wahl zwischen Pflicht und Integrität. Ich bin euch zu Befehl, Vater. Wie oft hatte ich dies zu ihm gesagt. Immer hatte ich geglaubt, ich spräche die Wahrheit; doch jetzt erkannte ich, daß dies nicht der Fall war. In dieser Sache war ich ihm nicht gehorsam, und er hatte es längst gewußt und mich dafür verachtet, daß ich es anders gesagt hatte. Ich hätte dieses Versprechen nie so leichtfertig geben sollen. Denn ich hatte aus mir einen Lügner gemacht, meinem Vater und Herrn gegenüber. Dies waren die Gedanken, die mich aufwühlten, lange bevor ich über den Pelennor zurück ritt und das geflügelte Grauen die Grundfesten meines Verstands erschütterte.

* * * * * * * * * * * * * *

Er, der gelebt hatte, war nun tot

Wir, die wir leben, sterben jetzt

mit ein wenig Geduld

Einige sagen, Mithrandir brächte nur schlechte Kunde. Nicht ich. Meine Gefährten und ich hätten es ohne ihn nie bis zur Stadt geschafft. Denn unweit der Tore kam der geflügelte Schrecken über uns. Die Angst, der Boromir und ich in Osgiliath widerstanden hatten, war um das zehnfache verstärkt, und dieses Mal war mein Bruder nicht da, um mir beizustehen. Dieses Mal war es, als ob ein Blitzstrahl durch meine Schläfen führe; und dann begann das Geschrei, das sich in meine Gedanken hineinfraß. Die letzten Reste meines Willens aufbietend, zwang ich mich, Aryn umzuwenden und zurück zu meinen Gefährten zu reiten, die abgeworfen worden waren. Und dann schoß wie ein Blitz von Licht Mithrandir über die Ebene auf uns zu, und der donnernde Angriff des Schreckens schrumpfte vor seinem weißen Zorn zusammen.

Aber das Empfinden der Unwirklichkeit war nicht verschwunden, als ich mich auf den Weg hoch zur Zitadelle machte. Erst sah ich einen weiteren Halbling aus meinen Träumen – das Silber und Schwarz des Turms tragend. Und dann mußte ich meinem Vater gegenübertreten. Wie anders war seine Miene, als der Gesichtsausdruck, den ich in meiner Vision gesehen hatte! Kalt und streng war er, und das Kerzenlicht warf grausame Schatten entlang der scharfen Linien seiner Züge. Das Flackern der Flammen auf seinem Gesicht verunsicherte mich noch mehr. Wieder war ich froh, daß Mithrandir an meiner Seite war, denn auf die Dauer konnte ich dem Zorn meines Herrn nicht standhalten, und Mithrandir sprach statt meiner. Wäre er nicht dort gewesen, ich glaube, ich wäre vor meinem Vater auf die Knie gefallen und hätte um Verzeihung gefleht – und zweifelsohne hätte ich sie nicht bekommen. Doch so konnte ich mich gerade noch zusammenreißen.

Schließlich ließ mich mein Herr gehen, und ich zog mich in mein Zimmer zurück. Es wurde mir schwerer und schwerer, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Als ich endlich in meinem Zimmer angelangt war, setzte ich mich müde in meinen Stuhl. Nachbeben des schrecklichen Angriffs durchschauderten noch immer meine Gedanken, und meine Augen schienen ab und an ihren Fokus zu verlieren, so als ob das Licht um mich plötzlich verdunkelt würde. Zuerst hörte ich das sanfte Klopfen an meiner Tür nicht, aber es wurde immer eindringlicher.

„Herein!" sagte ich müde, meinen Kopf in eine Hand stützend, denn ich hatte wenig Kraft zum Sprechen übrig und fürchtete eine weitere so fordernde Begegnung wie vorhin.

„Du bist müde, Faramir. Ich werde dich nicht lange aufhalten."

Es war Mithrandir. Wortlos wies ich auf den gegenüber stehenden Stuhl, und er setzte sich. Wir schauten uns an. Ich hatte nur eine einzige Kerze entzündet, und sein Gesicht war in der Dunkelheit halb verborgen. Und als ich ihn anschaute, fragte ich mich, was er für heimliche Kräfte besaß, die in mir eine größere Liebe entfacht hatten als selbst für meinen Vater.

„Es war die richtige Wahl", sagte er schließlich.

„Tatsächlich?"

„Und ich weiß, was es dich gekostet hat, sie zu treffen." Ich lachte hart auf.

„Kennst du die letzten Instruktionen meines Vaters, bevor ich nach Ithilien aufbrach? Mach mich stolz, sagte er." Ich schüttelte meinen Kopf. „Es scheint, als ob ich nicht wüßte, wie man das macht, nicht einmal, wenn sich mir eine solche Chance bietet, wie ich sie nie zuvor gehabt habe. Wenn nur mein Bruder dort für ihn da gewesen und ich in Rauros gefallen wäre", schloß ich bitter.

„Aber wenigstens ich bin dankbar dafür, daß du in Ithilien warst und nicht Boromir", entgegnete Mithrandir ruhig. „Denn wenn eure Plätze vertauscht gewesen wären, hätte dein Bruder Verderben über uns alle gebracht. Du weißt das in deinem Herzen, Faramir."

Ich legte den Kopf in meine Hände, und dann fühlte ich den Druck seiner gegen meine. „Versuch zu schlafen", sagte er. „Deines Vaters Stimmung wird am Morgen wenig besser sein, und du mußt schon gegen genug Feinde kämpfen, ohne deine Kräfte im Gefecht mit ihm zu vergeuden."

Er verließ mich, und ich blies die Kerze aus und versuchte zu tun, wie er mir gesagt hatte; aber auf dem Bett liegend konnte ich das Echo dieser fürchterlichen Schreie hören und zitterte im Dunkeln. Nach einer Weile gab ich den Gedanken an Schlaf auf, wickelte eine Decke um mich, zündete die Kerze wieder an, lehnte mich in meinen Stuhl zurück und nahm ein Buch zur Hand. Aber mein Geist war zu müde, um den Worten zu folgen, und schließlich saß ich einfach da und döste und wartete darauf, daß das erste fahle Licht der Morgendämmerung durch mein Fenster herein schiene. Dann erhob ich mich und machte mich fertig für die Ratsversammlung.

Vor dem Ratszimmer sitzend und darauf wartend, vom Herrn der Stadt herein gerufen zu werden, legte ich meinen Kopf in meine Hände und rieb den Schlaf aus meinen Augen. Eine ganze Weile merkte ich nicht, daß jemand vor mir stand.

„Hat der Herr Faramir nichts zur Begrüßung seines Verwandten zu sagen?" fragte eine geliebte Stimme.

„Onkel!" rief ich in Freude aus und stand auf und umarmte ihn. Fast zwei Jahre war es nun schon her, seit er das letzte Mal nach Minas Tirith gekommen war, und ich hatte keine Zeit gehabt, an die Küste zu reisen. Ihn endlich wiederzusehen machte mir bewußt, wie sehr ich ihn vermißt hatte. Er sprach leise ein paar Worte über meinen Bruder, um uns beide in unserer Trauer zu trösten; dann nahm er für einen Augenblick mein Gesicht in seine Hände, und ein Ausdruck von Sorge trat in seine Züge.

„Du siehst aus, als würdest du gleich zusammenbrechen", sagte er. „Wann bist du zurück in die Stadt gekommen?"

„Gestern abend, und unter dunklen Schatten", sagte ich. „Aber", und ich blickte an ihm vorbei zu der noch immer verschlossenen Tür, „die Dinge stehen nicht gut zwischen uns."

Er murmelte leise eine Verwünschung, ganz entgegen seiner sonstigen Höflichkeit.

„Nichts hat sich also mit dem Herrn Denethor geändert. Was war diesmal dein Vergehen?"

Obwohl ich meinem Onkel von ganzer Seele vertraute, hatte Mithrandir mir doch nicht gestattet, von der Mission des Ringträgers zu erzählen, und ich wollte das Thema auch nicht an diesem öffentlichen Ort anschneiden. Aber ich konnte ihm genug sagen, um ihm eine Erklärung zu liefern.

„Was war schon immer mein Vergehen, Onkel?" sagte ich gedrückt. „Ich bin nicht Boromir, und das reicht schon. Und jetzt bin ich am Leben, während er es nicht mehr ist. Das kann, denke ich, nie verziehen werden." Als ich fertig gesprochen hatte, wurden wir hinein gerufen, und er hatte nur Zeit, schnell meine Hand zu drücken.

Vielleicht hätte mein Vater anders entschieden, wenn ich dafür gewesen wäre, die Forts und den Pelennor zu verteidigen, koste es was es wolle. Aber ihre Verteidigung schien mir vergeblich; und schlimmer noch, denn sie würde sinnlos das Leben vieler tapferer Männer kosten. Doch so gehorchte ich ihm wenigstens, eine Richtung wählend, deren Verweigerung seinem Zorn mir gegenüber besser gedient hätte. Dies sollte meine Strafe sein, überlegte ich, als ich das Ratszimmer verließ; und er hätte kein sichereres Verhängnis für mich wählen können, selbst wenn er mich direkt zur Hinrichtung geschickt hätte. Und dann verließ mich mein Mut, und ich mußte auf dem Weg durch den Gang stehen bleiben, um meine Fassung wiederzugewinnen. Ich stützte mich mit einem Unterarm an der Wand ab, um nicht zu taumeln, und lehnte den Kopf dagegen. Meine linke Hand tastete müde nach dem Schwertgriff. Dann spürte ich eine Hand auf meinem Rücken. Ich drehte mich um und sah meinen Onkel. Er schien wie geschockt zu sein, sein Gesicht war grau. Wir faßten uns bei den Armen, und für einen Augenblick schien es, als würde ich ihn trösten.

„In der Valar Namen, reite sicher, Sohn", bat er mich eindringlich. Ich schaute ihm fest in die Augen.

„Dies ist ein bitterer Abschied, aber laß uns nicht uns selbst täuschen", sagte ich leise. „Denn wir beide wissen, daß es der ganzen Gnade der Valar bedürfte, mich lebend zurückkehren zu lassen. Und es geschähe nicht in Übereinstimmung mit dem Willen des Truchseß." Wir umarmten uns, und ich beugte meinen Kopf und lehnte ihn einen Moment an seine Schulter. Dann verließ ich die Zitadelle mit Ziel Osgiliath und ritt dem Schicksal entgegen, von dem mein Vater urteilte, daß ich es verdiente.

* * * * * * * * * * * * * *

Viel Schönheit erkannte ich

In den heiseren Schwüren, die unseren Mut aufrecht hielten

Hörte Musik in der Stille der Pflicht;

Und fand Frieden, wo Granatenstürme rote Fluten ausspien.

Nicht lange nachdem wir dem Feind die Forts am Damm überlassen hatten, spürte ich das letzte Stadium der Auflösung meines Bewußtseins. Aus dem, was um mich herum geschah, konnte ich nur schließen, daß ich tatsächlich zuletzt die wache Welt verlassen und gänzlich das Land meiner Alpträume betreten hatte. Alles um mich herum war auf den Kopf gestellt. Denn obwohl wir hart und mit aller Kraft kämpften, fielen wir dennoch zurück und starben. Und am Ende davon, das wußte ich, würde es keinen Sieg geben, der eines Liedes würdig wäre; alles, was wir erhofften, war eine weniger vernichtende Niederlage.

Die Welt um mich wurde absurd; alles schöne verloren im Terror. Ich sah Männer, von denen ich wußte, daß sie mild waren, die Körper und Knochen der Feinde zerstückeln, und sie lachten als sie dies taten; und dies, so schien mir, war der eigentliche Sieg des Feindes: uns in unserer Verzweiflung in das Abbild seiner Grausamkeit und Gnadenlosigkeit zu verwandeln. Nichts, was von Wert war, zählte mehr. Ich sah Mut und Tapferkeit belohnt mit Vernichtung; den jungen Mann, nicht älter als zwanzig Jahre, der zurück rannte, immer wieder anhaltend und kämpfend, die ganze Zeit seinen Freund mit sich schleppend, der von einem Pfeil getroffen worden war als der Rückzug begann. Ich hätte mich tief vor ihm verbeugt, um ihn in der großen Halle des Weißen Turms selbst zu ehren, aber sie wurden kaum eine Meile von der Stadt niedergemetzelt.

Wieder und wieder meinte ich in den Gesichtern derer, die ich erschlug, die Gesichtszüge des ersten Mannes zu erkennen, den ich je getötet hatte. Ich war siebzehn Jahre alt und nahe Poros stationiert, als wir bei Nacht von Haradrim angegriffen wurden. Ich hatte nur einen Augenblick in seine fremdartigen Züge geblickt, bevor ich mich umdrehte und mich gegen einen anderen verteidigte, aber ich habe oft über ihn nachgesonnen, und darüber, wer um seinen Tod getrauert hatte, so wie ich nun um Boromir trauerte. Und diese Parade von Gesichtern, alte und neue, flackerte an mir vorbei in Schattierungen von rot und schwarz, in der Dunkelheit, die über uns lag, von den feurigen Blitzen der Fackeln beleuchtet, die unsere Feinde trugen, und von den Flammen, die die Gehöfte des Pelennor zu schwarzer Asche verbrannten. Ich sehnte mich nach dem Anblick reinen weißen Lichts und nach einem Schluck sauberen, klaren Wassers. Doch am schlimmsten war der Lärm, Stunde um Stunde, und nirgendwo ein wenig Stille.

Ich konnte aus dieser Kakophonie keinen Sinn heraus hören, es war, als ob es der Lärm von Morgoth selbst wäre, der Samen von Mißklang in die Musik der Schöpfung säte. Mitunter hörte ich die Stimme von jemandem, den ich kannte, vor Schmerz aufschreien, und noch einer meiner Freunde fiel; und ich hörte den Triumph in den Schreien und Rufen der Südländer in ihrer harschen und schnarrenden Sprache. Ab und an hörte ich meine eigene Stimme, die darum kämpfte, in der wilden Flucht gehört zu werden, und, immer heiserer werdend, je mehr es dem Abend zuging, Kommandos brüllte und Ermutigungen, so gut ich eben konnte. Aber alles begleitend, eine schreckliche Disharmonie, war das ständige schlagen der Schwingen des Grauens über uns, und ihr plötzliches, schrill durchdringendes Schreien. Und wie die Stunden verstrichen, war es dies, was mir am wirklichsten erschien, während alles andere nur gedämpft zu mir drang.

Es kam ein Punkt, an dem meine Stimme versagte, denn ich hatte schließlich begriffen, daß, trotz all unserer Bemühungen und obwohl wir schon so nahe waren, wir die Stadt nicht erreichen würden. Sprechen hatte daher keinen Sinn mehr, alles was übrig blieb war der brutale Akt, meinen Arm zu heben, um zu töten bis ich selbst getötet werden würde.

Und dann, eine halbe Meile und ein Zeitalter von der Stadt entfernt, hörte ich etwas anderes sich über den Schlachtenlärm erheben. Eine Stimme sang, leise und verloren zuerst; und dann wurde die Melodie von all denen aus den Außenkompanien aufgegriffen, die noch ihren Willen zusammenreißen konnten, und während ich kämpfte, merkte ich, daß auch ich singen konnte, durch meine Tränen hindurch. Und dann wurde das Lied von den Männern aufgenommen, die von den Mauern zusahen, so als ob sie uns auf dem Klang ihrer starken Stimmen sicher nach Hause tragen könnten. Die Worte waren einfach, aber sie sprachen von unserer Liebe für Gondor, vom Mut und der Beharrlichkeit unseres Volkes, von unserer festen Ablehnung des Feindes.

Gebracht aus dem Westen scheint durch dunkelste Nacht

unerschrocken noch immer ein Stern

Von Schatten belagert und von feindlicher Macht

- doch Gondor bleibt treu.

Von Belfalas bis Rauros schaumweißer Gischt,

Gondors Anmut beschenkte uns alle.

Mit Kraft widerstehen, wir wanken nicht

- und Gondor bleibt treu.

Auch wenn Schatten und Dunkel uns allseits umringen,

nie wird Sauron es jemals gelingen,

die Männer des Westens zu Fall zu bringen

- und Gondor bleibt treu.

Wir sind furchtlos und tapfer zum Kampfe bereit.

Hell erstrahlt noch immer der Stern

triumphierend in dieser unruhigen Zeit

- denn Gondor bleibt treu.

Erst viele Wochen später, als ich mit Freunden in Frieden zusammen saß und schließlich fähig war, über diesen Tag zu sprechen, erfuhr ich, daß diese erste Stimme meine eigene gewesen war. Ich habe keinerlei Erinnerung daran.

Als das Lied endete, hörte ich am Rande meines Bewußtseins etwas, das der silberne Klang einer Trompete zu sein schien, und ich glaube, ich hörte einen Ruf erklingen: „Amroth für Gondor! Amroth zu Faramir!" Aber in Wahrheit hörte ich nicht mehr zu, denn bevor wir den letzten Vers erreicht hatten, hatte mich erneut ein Blitzstrahl getroffen, und ich hatte ihn willkommen geheißen, denn er bedeutete das Ende. Alles wurde still, abgesehen von einem dünnen Geflüster, das mir versprach, was ich mir am sehnlichsten wünschte. Ruhe.