*** Na, es hat wohl keiner von euch damit gerechnet, dass es überhaupt jemals weitergeht mit dieser Geschichte, oder? Es tut mir wirklich leid, aber ich habe irgendwie immer so viel vor, dass ich gar nicht weiß, was ich als erstes machen soll. Aber hier ist nun endlich das nächste Kapitel, und ich werde mich bemühen, für das nächste nicht wieder beinahe acht Monate zu brauchen.
Dieses Kapitel bekommt eine Warnung verpasst: Wer empfindlich gegen graphische Gewalt ist, sollte es vielleicht lieber nicht lesen, oder zumindest die Folter-Sequenz überspringen.
Ein besonderer Dank gilt Stella und Alanya für ihre ermutigenden e-mails, und natürlich allen, die bis jetzt so liebe Reviews geschrieben haben. Vielen Dank!! ***
Boromir wartete für Stunden, aber nichts geschah. Schließlich kam der Schlaf über ihn und er erwachte erst wieder, als er hörte, wie die Tür zu seiner Zelle aufgeschlossen wurde. Er beeilte sich auf die Beine zu kommen und näherte sich rasch der Quelle des Geräusches, wofür er seinen Körper zwingen musste die überwältigende Müdigkeit und unerträglichen Schmerzen zu ignorieren. Aber bevor er die Tür erreichte, blieb er die Zähne aus Verzweiflung zusammenbeißend wie erstarrt stehen. Keine Worte konnten die Enttäuschung ausdrücken, die er in dem Moment empfand, als er entdeckte, dass es nicht sein junger Helfer war, der gekommen war um seine Zelle zu öffnen.
"So begierig darauf, mit uns zu kommen?" fragte einer der zwei Männer, sich mit einem boshaften Grinsen auf Boromirs rasche Bewegung beziehend. Der Mann aus Gondor erwiderte nichts sondern wich schweigend zurück als seine Entführer näher kamen, aber natürlich gab es keine Möglichkeit ihnen zu entkommen und nur Minuten später befand er sich in einem anderen Raum. Er lag auf einem Tisch, Vorderseite unten, Handgelenke auf seinem Rücken gefesselt. Je zwei Männer zu seinen Seiten sorgten dafür, daß er an seinem Platz blieb und nicht versuchte aufzustehen oder gar zu fliehen.
"Ich werde dich ein letztes Mal fragen," erklärte der Anführer seinem mißhandelten Opfer. "Beantworte die Fragen oder jemand wird einen äußerst schmerzvollen Tod sterben."
Boromir konnte nicht anders als schwach zu grinsen, was seinen Feind dazu verleitete, ihm einen Schlag quer über das Gesicht zu verpassen.
"Grins mich nicht so an! Denkst du etwa, es ist lustig zu sterben?"
"Denkst du etwa, dass deine Drohungen auch nur ein kleines bisschen Einfluss auf mich haben?" fragte Boromir mit einer leisen, heiseren Stimme zurück. "Du hast mir schon zweimal angedroht, mich zu töten, aber ich bin immer noch am Leben. Denkst du tatsächlich, dass ich befürchte, du würdest ausgerechnet jetzt deine Drohungen wahr machen? Nein, ich habe keine Angst vor deinen Worten. Du hast schon lange deine Glaubwürdigkeit verloren."
"Boromir, Boromir," sagte der Anführer mit einem sanften Seufzen und schüttelte seinen Kopf. "Du musst lernen, nicht immer so ichbezogen zu sein. Die Welt dreht sich nicht nur um dich."
Boromir hob seinen Kopf ein bisschen an, um in das Gesicht des Entführers sehen zu können. Er runzelte die Stirn als er das kalte, nichts Gutes verheißende Lächeln auf dem Gesicht des Mannes sah.
"Wer hat denn gesagt, dass du es sein wirst, der getötet wird?" Der Anführer straffte seine Haltung und gab einem seiner Männer ein Zeichen. "Bringt ihn raus!"
Das letzte Fünkchen an Hoffnung das in Boromirs Herzen gewesen war erstarb, als er sah wie zwei Männer Ralvan in den Raum zerrten und ihn nur wenige Schritte vor dem Tisch auf dem Boromir lag plazierten. Der Jugendliche war ebenfalls gefesselt und pure Furcht war ihm ins Gesicht geschrieben.
"Wenn du sprichst lassen wir ihn am Leben," sagte der Anführer ruhig. "Aber wenn du dich weiterhin weigerst auszuspucken, was wir wissen wollen, wirst du deinem kleinen Freund beim Sterben zusehen."
Er gab einem der Männer die Ralvan festhielten ein Zeichen, woraufhin dieser einen Dolch gegen den jungen Hals presste. Die Klinge stach gerade stark genug in die Haut, dass ein paar Tropfen Blut Ralvans Kehle hinabliefen. Boromir sah die Panik in den Augen des jungen Mannes, den Angstschweiß, der sich auf seinem Gesicht bildete.
"Er ist nicht mein Freund," erwiderte Boromir, seine Stimme emotionslos und monoton.
"Ist er nicht?" fragte der Anführer und hob eine Augenbraue. "Denkst du, wir sind dumm genug diesen unberechenbaren, närrischen Jungen in diesem Kerker herumlaufen zu lassen, ohne ihn ununterbrochen im Auge zu behalten? Und ich meine ununterbrochen."
Als Boromir nichts erwiderte fuhr sein Gegner fort, Boromirs Tonfall imitierend.
"Wir können gemeinsam fliehen... Ich werde dich beschützen... Ich verspreche, ich werde dich mit mir nach Gondor nehmen..." Seine dunklen Augen verengten sich und er hockte sich wieder hin um seinem Gefangenen direkt ins Gesicht sehen zu können. "Kommt dir das nicht irgendwie bekannt vor?"
"Ich weiß nicht, wovon du sprichst," sagte Boromir stur.
"Lügner!" Ein zweiter Schlag traf Boromirs Gesicht, härter diesmal. "Warum gibst du es nicht zu? Wir wissen, daß du geplant hast mit der Hilfe dieser dreckigen Göre zu fliehen, also tu nicht so als würde er dir überhaupt nichts bedeuten! Sag uns was wir wissen wollen und er wird leben..."
"Ich werde euch überhaupt nichts sagen, ganz gleich wie grausam eure Drohungen sind," sagte Boromir und lenkte seinen Blick zu Ralvan, eine stille und verzweifelte Entschuldigung in den Augen.
"Bist du dir darüber im Klaren, dass es deine Schuld sein wird, wenn es in einigen Sekunden mit einem jungen Leben zu Ende gehen wird?"
"Ich werde euch nichts sagen," wiederholte Boromir fest entschlossen und senkte die Augen wieder zu Boden. Er konnte Ralvans flehenden Blick nicht länger ertragen. Der Anführer der Gruppe sah zu seinen Kammeraden und nickte kurz. Boromir zuckte ein wenig zusammen und schloß die Augen als er einen Schrei voller Schmerz hörte, der laut durch die Verliese echote.
"Sieh ihn an!" rief der Anführer, packte fest Boromirs Kopf und drehte sein Gesicht zu Ralvan, dessen eigenes Gesicht vollkommen blass geworden war, während grelles, rotes Blut aus einer Wunde an der linken Seite seines Halses strömte. Die Klinge, die immer noch in dem jungen Fleisch steckte, war nur wenige Zentimeter eingedrungen.
"Noch ist er nicht tot, Boromir. Willst du ihn denn nicht retten? Sieh genau hin! Sieh ihn dir gut an und dann sag mir, ob du ihn wirklich umbringen willst!"
"Ihr bringt ihn um, nicht ich!" schrie Boromir zurück, fühlte aber die gnadenlosen Schuldgefühle in seinem Herzen aufsteigen.
"Aber du könntest leicht sein Leben retten! Es ist doch bloß ein Wort, Boromir. Ein Wort oder eine Zahl die du aussprechen mußt. Tausch dein militärisches Wissen gegen das Leben eines unschuldigen Jungen. Das ist ein faires Geschäft, findest du nicht?"
"Nein..." keuchte Boromir, seine Stimme schwächer werdend. Er spürte den entsetzten Ausdruck in Ralvans Blick direkt in sein Herz und seine Seele stechen. Die Verzweiflung in seinen Augen war schwer zu ertragen, aber Boromir wußte, dass er nicht nachgeben durfte. Er wünschte er könnte Ralvan retten, aber es war nicht möglich. Das Wohl seines Volkes war von höchster Priorität. Er konnte es nicht aufs Spiel setzen, nur um das Leben eines einzelnen Jungen zu retten. Oder sein eigenes Leben.
"Sag es, Boromir!"
"Nein! Halt den Mund!"
"Sag es oder wir werden den Jungen genauso abschlachten wie wir es mit dem Mädchen getan haben, das neulich mit dir in den Wäldern war!"
Die Worte trafen Boromir härter als jeder Schlag es jemals könnte. Das Grauen musste über sein gesamtes Gesicht geschrieben sein und den Schmerz offenbaren, den er spürte, denn auf dem Gesicht des Anführers breitete sich ein gehässiges, zufriedenes Grinsen aus.
"Es war wirklich ein Jammer. Sie war so lieblich, jung und wunderschön," fuhr er fort, das Grinsen immer breiter werdend.
"Du Bastard! Was hast du ihr angetan?!" schrie Boromir völlig von Sinnen. Er versuchte von dem Tisch zu kommen um sich auf seinen Gegner zu stürzen, aber starke Hände packten ihn und zwangen ihn brutal zurück in seine ursprüngliche, unterwürfige Position. Boromir biss vor Wut stark und schwer atmend die Zähne zusammen.
"Sie versuchte davonzulaufen, aber natürlich hatte sie keine Chance. Sie bettelte um ihr Leben. Bitte, winselte sie, bitte lasst mich gehen. Aber das tat ich nicht. Ich tötete das süße, kleine Ding mit deinem Dolch, Boromir. Und glaube mir, es war ein höchst schmerzvoller und sehr langsamer Tod."
"Nein!" schrie Boromir während ihm Tränen in die Augen stiegen.
"Oh doch, und sie hat es nicht anders verdient! Sie war nicht nur eine verzogene, weinerliche Göre, sondern auch eine verdorbene Hure, die nicht fähig war, ihre unsittliche Lust zu bändigen!"
"Wage es nicht, so über sie zu reden!" rief Boromir wutentbrannt.
"Aber ich sage doch bloß die Wahrheit. Wir haben euch gesehen, Boromir. Wir haben gesehen, wie sie ihre Beine für dich geöffnet hat, und während wir unseren Anschlag vorbereiteten, hast du sie bestiegen... Wir waren die ganze Zeit über da. Wir haben alles mit angesehen."
"Ich werde dich töten," presste Boromir zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, seine Augen nichts als puren Hass reflektierend. Er konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte. Wie konnte das sein? Wie hatte er nicht bemerken können, dass sie die ganze Zeit beobachtet worden waren? War er so sehr in ihrem Liebesakt gefangen gewesen, dass seine Kriegerinstinkte und Sinne versagt hatten? Was für ein Fall, was für eine Schande...
"Ich werde dich töten, da kannst du dir sicher sein," wiederholte Boromir, seine Stimme leise aber bedrohlich. Der Anführer lachte sanft.
"Ja, natürlich wirst du das," sagte er sarkastisch und erhob sich. "Aber zuerst bin ich an der Reihe Blut zu vergießen," erwiderte er und gab seinem Komplizen ein weiteres Zeichen.
"Bitte, nicht..." schluchzte Ralvan, seine Stimme rauh und heiser da sein Hals verletzt war, "Ich habe doch nichts getan... Bitte."
Aber es gab keine Gnade. Boromir sah mit Grauen zu, wie der Dolch, der in der Seite von Ralvans Hals steckte, durch das zarte Fleisch gezwungen wurde, die komplette Kehle des Jungens aufschlitzend. Ralvans Augen weiteten sich vor Schmerz und er versuchte nach Luft zu schnappen, konnte es aber nicht. Das Blut war überall, erstickte ihn und ließ ein makabres, rotes Muster auf seinen Kleidern und dem Boden entstehen. Boromir schloss die Augen und hörte nur eine Sekunde später, wie der leblose Körper des Jungen zu Boden fiel.
"Ich schätze ich habe meine Glaubhaftigkeit zurück erlangt, oder?" fragte der Anführer kalt und trat dann näher an den Tisch, seine Hände Boromirs dreckiges, durchweichtes Hemd ergreifend.
"Reicht mir das Messer!" kommandierte er und riss mit einer einzelnen, starken Bewegung den wertvollen Stoff entzwei, Boromirs nackten und blaugeschlagenen Rücken entblößend.
"Ich frage dich jetzt ein letztes mal: Wie viele Soldaten stehen für Gondors Verteidigung zur Verfügung?!"
Boromir antwortet nicht.
"Wie viele?!" rief die Stimme zornig. Als Boromir immer noch nichts erwiderte, begann kaltes Metall auf seinem bloßen Rücken zu kratzen.
"Dieses Mal werden wir nicht so sanft zu dir sein wie beim letzten Mal, verstehst du?"
Die scharfe Klinge schnitt tief in sein Fleisch, teilte es als wäre es weicher als warme Butter. Boromir biss die Zähne zusammen um ein Geräusch des Schmerzes zu unterdrücken. Sein Kiefer tat bereits so sehr weh, es fühlte sich an, als würden jede Sekunde seine Zähne zerbrechen. Heißes Blut floss langsam und in dicken Strömen seine Seiten hinab.
"Wie viele?!"
Boromir wusste nicht, wie oft sie ihn bereits gefragt hatten. Er hatte aufgehört zu zählen, genauso wie er aufgehört hatte die Schläge und Tritte zu zählen. Ein zweiter langer Schnitt wurde von seinem linken Schulterblatt aus seinen kompletten Rücken hinuntergezogen, direkt neben seiner schmerzenden Wirbelsäule. Ein zitterndes Wimmern erfüllte den Raum und Boromir brauchte etwas Zeit bis er realisierte, dass dieses weinerliche Geräusch aus seiner eigenen Kehle gekommen war.
"Gebt mir das Salz," hörte er seinen Peiniger kalt sagen. Boromir spürte Panik in sich aufsteigen und er versuchte, sich aus den Händen seiner Entführer zu winden, aber es bestand noch nicht einmal eine winzige Möglichkeit, der Folter zu entfliehen. Und dann erfuhr er so extreme Schmerzen, von denen er nicht gewußt hatte, dass ein menschlicher Körper sie überhaupt ertragen konnte. Zuerst dachte er, er würde ohnmächtig werden oder vielleicht sogar sterben, der überwältigende Schmerz ließ alles in ihm erstarren und erlöschen. Er konnte nicht sehen, riechen, schmecken, hören, atmen, sprechen, denken. Nichts. Da war nur der Schmerz, sonst nichts. Er kämpfte gegen die Dunkelheit an, die ihn umgab und seine Sinne betäubte, aber als er erfolgreich seiner Benommenheit entfloh und alles wieder zurückkehrte, wünschte er sich plötzlich, dass er tatsächlich bewusstlos geworden wäre. Ein Geräusch brach aus ihm heraus, von so gewaltiger Natur, dass es nicht als einfacher Schrei bezeichnet werden konnte. Instinktiv versuchte er sich davon zu bewegen, aber kräftige Hände hinderten ihn daran und die Folter hielt an. Bald schon war er zu schwach um irgendwelche Versuche zu unternehmen sich zu verteidigen. Er lag einfach nur da, auf dem Tisch, gelähmt, sein gesamter Körper taub vor Schmerzen. Er konnte sich nicht bewegen, nicht einmal seine Lippen, und er fühlte wie das klebrige Gemisch aus Blut und Speichel von seinem Mundwinkel auf die harte Tischplatte tröpfelte und sich dort mit salzigen Tränen die aus seinen Augen rannen vereinte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal in seinem Leben geweint hatte, und er schämte sich dafür, dass diese grausamen, kaltherzigen Menschen es geschafft hatten, Tränen aus ihm - einem zähen, starken und stolzen Krieger - zu zwingen. Letztendlich musste er sich eingestehen, dass der Anführer recht gehabt hatte. Er hatte tatsächlich Boromirs Stärke zunichte gemacht.
Boromir keuchte auf, als er von dem Tisch gezerrt und auf den kalten, harten Boden geschleudert wurde. Verzweifelt bemühte er sich, die Kontrolle über seinen Körper zurück zu erlangen, und schaffte es schließlich, sich in eine kniende Position zu manövrieren. Wenn er schon sterben musste, dann würde er dabei nicht mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegen.
"Hast du einen letzten Wunsch, Boromir von Gondor?" fragte der Anführer und richtete die Klinge seines Schwertes auf Boromir, bis sich die Spitze in die zerrissenen Überreste von Boromirs Hemd bohrte.
"Dann sprich jetzt, denn in nur wenigen Augenblicken wirst du für immer zum Schweigen gebracht werden!" Mit diesen Worten zog er sein Schwert zurück wodurch die Stofffetzen von Boromirs Hemd von seinem geschundenen Körper gezerrt wurden. Die Augen des Entführers verengten sich zu schmalen Schlitzen als sein Blick die Kette einfing, die um Boromirs Hals hing. Er näherte sich und hockte sich hin, um einen genaueren Blick darauf zu werfen. Ein Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus als er die vielen winzigen Juwelen und Edelsteinen beäugte, die im Licht der Fackeln, die den Raum erleuchteten, funkelten. Sein Grinsen wurde sogar noch breiter, als er das Amulett herumdrehte und die feine Gravur auf der Rückseite sah.
„Ach wie niedlich!" sagte er laut. Die anderen Männer stimmten in sein Gelächter ein. „Es ist eine Halskette die einst seiner Mutter Finduilas gehörte... Wie herzzerreißend."
„Du überrascht mich," wisperte Boromir erschöpft, „Ich hätte nicht gedacht, dass du lesen kannst."
Boromir fühlte Genugtuung in sich aufsteigen als er den verblüfften und verärgerten Ausdruck in den Augen des Anführers sah. Er hatte es geschafft, ihn für eine Sekunde lang sprachlos zu machen, ihn vielleicht sogar ein wenig verletzt. Es war bloß ein kleiner Triumph, aber es tat gut. Boromir lächelte zynisch. Der Handrücken des Anführers traf sein Gesicht so hart, dass sein Kopf zur Seite flog und das Blut, das sich inzwischen in seinem Mund angesammelt hatte, zwischen seinen Lippen hervorplatzte und gegen die naheliegende Wand geschleudert wurde. Aber das schwache, selbstzufriedene Lächeln war immer noch da, als Boromir sein Gesicht wieder seinem Entführer zuwandte.
„Das wirst du noch bereuen!" schrie ihn der Anführer an als er seine Sprache wiedergefunden hatte und riss abrupt die Kette von Boromirs Hals.
„Gib das zurück!" sagte Boromor aggressiv, die Augen des anderen Mannes mit einem stechenden Blick durchbohrend. Sein Gegner stopfte die Halskette in eine Tasche seiner Kleidung und erwiderte Boromirs eisiges Starren.
„Deine Mutter hat Glück gehabt, dass sie gestorben ist als du noch ein kleiner Junge warst," sagte er, „So musste sie nicht mit ansehen, wie ihr erstgeborener Sohn zu dem feigen Schwächling herangewachsen ist, der er heute ist."
Boromir hätte alles dafür gegeben, das Leben aus diesem Mann zu prügeln, aber seine Fesseln machten es ihm unmöglich, physische Gewalt auszuüben. Und so tat er das einzige, was er in seiner momentanen Lage zu tun fähig war. Er spuckte seinem Gegner ein dickes Gemisch aus Blut und Speichel direkt ins Gesicht.
„Ich hätte dich schon viel früher töten sollen!" presste der Anführer zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor während er mit seinem Hemdsärmel über sein rechtes Auge wischte, um es von der brennenden Mischung zu befreien. Boromir senkte den Blick nicht zu Boden, als er sah wie das Schwert des Entführers über seinen Kopf geführt wurde. Ja, er würde getötet werden... Aber er würde erhobenen Hauptes getötet werden, mit offenen Augen und mit dem Wissen, dass er bis zum bitteren Ende versucht hatte, gegen sie anzukämpfen. Er war vieles, aber kein feiger Schwächling.
Das Schwert kam schnell und kraftvoll nieder und ein schmerzerfülltes Aufstöhnen echote in Boromirs Ohren. Zu seiner großen Verwirrung kam das gequälte Geräusch aber nicht aus seiner eigenen Kehle und mit Erstaunen realisierte er, dass der brennende Schmerz, der durch die Klinge verursacht worden war, nur in seinem linken Oberarm pulsierte. Er war noch immer am Leben...
Er fuhr zusammen, als der Anführer der Truppe direkt vor ihm auf die Knie fiel, in seinen Augen Entsetzen und Schmerz. Boromirs Augen verengten sich als er sah, dass ein Pfeil den Hals seines Gegners durchbohrt hatte. Was geschah hier? Warum sollte einer der anderen seinen eigenen Anführer umbringen?
Im selben Moment, in dem der nun leblose Körper des Anführers komplett zu Boden ging, berührte eine behutsame Hand Boromirs Schulter. Boromir keuchte auf und fiel beinahe, aber ein Mann packte ihn vorsichtig und hielt ihn vor dem Sturz rettend fest.
„Aragorn?" fragte Boromir ungläubig und blinzelte ein paar mal um besser durch die verschwommene Unklarheit vor seinen Augen sehen zu können.
„Ja, ich bin es. Sei unbesorgt, wir werden dich hier herausholen," flüsterte Aragorn und legte beide Hände an die Seiten von Boromirs Kopf als dieser sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte.
„Legolas, Lord Atalar und dein Cousin sind auch hier. Wir werden dich zurück nach Minas Tirith bringen."
Boromir öffnete den Mund um etwas zu sagen, aber Aragorn unterbrach ihn hastig.
„Shhh," flüsterte er und strich sanft ein paar blutgetränkte Haarsträhnen aus Boromirs verletztem und geschwollenem Gesicht. „Sprich nicht. Wir müssen uns beeilen. Wir haben es geschafft die Männer, die sich in diesem Raum befanden, schnell und leise loszuwerden, aber es ist bloß eine Frage der Zeit bis andere kommen werden und bemerken, dass wir hier sind um dich zu befreien." Aragorn schluckte schwer und sah dann tief in Boromirs Augen. Er spürte sein eigenes Herz schmerzen, als er den gebrochenen Ausdruck in des anderen Mannes Blick sah.
„Dir wird es bald schon besser gehen," versprach Aragorn während er begann, Boromirs Handgelenke zu befreien. „Ich werde dich hier herausholen, und wenn es das letzte ist, was ich tun werde. Ich werde dich hier herausholen."
Aerilyn lag wach in ihrem Bett und wälzte sich in dem verzweifelten Versuch eine bessere Schlafposition zu finden hin und her, von einer Seite auf die andere, immer wieder. Aber egal wie sehr sie sich bemühte, sie kam einfach nicht zur Ruhe. Ihre Gedanken kreisten um nichts außer um Boromir und Atalar und hielten sie davon ab, Schlaf zu finden. Die Möglichkeit, dass sie womöglich keinen von beiden jemals wiedersehen würde flößte ihr mehr Angst ein als alles andere. Atalar hatte sie beinahe jeden Tag ihres gesamten Lebens um sich gehabt, sie waren fast nie länger als ein oder zwei Tage voneinander getrennt gewesen. Es wäre hart für sie gewesen in Gondor zu bleiben, während ihr Bruder nach Katalla zurückkehrte, aber noch nicht einmal die Chance zu haben ab und zu mit einem seiner Besuche beschenkt zu werden riss ihr Herz in Stücke. In dem Augenblick, in dem sie von seinem Tod erfuhr, falls er tot war, würde auch ein Teil von ihr sterben und nichts und niemand könnte es jemals wiederbeleben, da war sie sich sicher. Sie bezweifelte, dass sie jemals wieder unbeschwert lachen konnte, wenn er tatsächlich umgebracht worden war. Niemand würde jemals dazu fähig sein ihr genügend Trost zu spenden und den überwältigenden Schmerz des Verlustes zu vertreiben. Atalar war nicht nur ihr Bruder, er war ihr bester, vertrautester Freund, ihr Beschützer, Lehrer, Ratgeber, Seelenverwandter... Er war ihr ein und alles. Niemand könnte ihn jemals ersetzen. Niemand. Noch nicht einmal Boromir.
Boromir... Sie liebte ihn sehr, aber es war so anders als das, was sie für Atalar empfand. Sie kannte diesen Mann aus Gondor noch nicht einmal besonders gut, und auch er kannte sie nicht wirklich. Sicher, sie hatten Zeit zusammen verbracht und sie hatten stundenlang geredet, aber es brauchte mehr als das um sich richtig kennen zu lernen. Ihre heftigen Gefühle für ihn waren beinahe aus dem Nichts entstanden. Sie waren einfach da, tief in ihrem Herzen, und sie konnte nicht erklären wieso. Ihre Zuneigung für ihn war in nur wenigen Tagen entflammt, während ihre Hingabe ihrem Bruder gegenüber über viele, viele Jahre gewachsen und tiefer geworden war. Doch liebte sie beide mit Emotionen, deren Reinheit und Eifer sich gleichkamen, und sie hatte das Gefühl verrückt zu werden, wenn sie noch einen Tag länger ohne einen von ihnen sein musste.
Mit einem langsamen Seufzer voller Traurigkeit stieg Aerilyn schließlich aus ihrem Bett, zog sich schnell an und verließ leise ihr Gemach. Vielleicht würde sie müde werden und später schlafen können wenn sie einen Spaziergang machte anstatt sich ewig auf der Matratze herumzurollen. Sie verließ das Gebäude und atmete tief ein, die frische und kalte Luft der kühlen Nacht inhalierend. Die Straßen waren dunkel, still und leer. Beinahe gespenstisch. Für eine Sekunde zögerte Aerilyn und erwog, in ihr Schlafzimmer zurückzukehren, setzte sich dann aber in Bewegung und bahnte sich eilig einen Weg durch die schlafende Stadt. Es dauerte nicht lange, bis sie sich in den Schatten eines Torbogens verstecken musste, um den aufmerksamen Augen einer kleinen Gruppe Wachen zu entgehen, die durch die privilegierten Viertel Minas Tiriths Patrouille lief. Sie wollte nicht unbedingt jemandem in die Arme laufen, der sie zurück zu ihren sicheren Gemächern bringen und ihrem Vater berichten würde, dass sie sich davongeschlichen hatte, und so wartete sie, bis die Garde außer Hörreichweite war und eilte schnell zu den großen Gärten. Jetzt wo sie dunkel und verlassen waren wirkten die Gärten noch größer als sie sowieso schon waren, aber Aerilyn drang noch weiter in das Zentrum der Parkanlagen vor um so weit wie möglich von den Straßen und Wachen entfernt zu sein. Sie ließ sich auf einer Holzbank nieder und zog ihren Umhang fester um sich als sie leicht zu zittern begann. Sie saß für eine lange Zeit und dachte nach, wobei ihre Augenlider immer wieder gegen ihren Willen zufielen. Vielleicht wäre sie hier auf der ungemütlichen Bank in der Kälte eingenickt, doch bevor sie in tiefen Schlaf verfallen konnte, ließ ein plötzliches Geräusch sie wieder aufschrecken. Sie setzte sich auf, hielt den Atem an und wartete. Gerade als sie dachte, sie hätte bloß geträumt, ertönte es noch einmal. Ein Geräusch, als wenn Zweige unter schweren Schritten knickten und brachen. Aerilyn sprang auf und wandte sich schnell zu der Richtung, aus der die Geräusche gekommen waren.
„Hallo?" fragte sie mit einer leisen Stimme, die ihre Furcht offenbarte. Plötzlich wünschte sie, dass sie tatsächlich den Wachen in die Arme gelaufen wäre anstatt in die verlassenen Gärten zu schleichen.
„Ist da jemand?" fügte sie hinzu und schluckte. Vielleicht ist es nur ein Hase oder ein Eichhörnchen, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Das wird es sein, und morgen wirst du über deine Feigheit lachen...
Das dritte Geräusch war schon viel näher, und Aerilyn begann aus Reflex zu rennen obwohl sie immer noch an der Idee festhielt, dass es bloß ein kleines Tier war, das es verursacht hatte. Dieser Gedanke wurde endgültig zunichte gemacht als sie realisierte, dass sie nicht nur ihre eigenen laufenden Füße auf den Boden aufprallen hörte, sondern auch die schweren, raschen Schritte einer weiteren Person. Aerilyn wagte nicht sich umzudrehen, aber sie konnte mit Leichtigkeit ausmachen, dass diese Schritte schnell näher kamen. Sie wurde verfolgt. Mit einem Geräusch voller Furcht und Verzweiflung ließ sie ihren Umhang zu Boden fallen und steigerte ihre Geschwindigkeit zum Äußersten. Ohne darüber nachzudenken wechselte sie abrupt die Richtung, durchquerte ein kleines Blumenbeet und zwang ihren Körper durch ein paar Büsche bis sie sich von nichts außer Bäumen umgeben wiederfand. Zweige schnitten in ihre Haut als sie durch das Gestrüpp und Gehölz hindurchbrach, sich selbst durch die engen Lücken und Öffnungen zwischen den Bäumen und Büschen treibend. Aber es hatte den Effekt, auf den sie gehofft hatte, denn da er zu groß war, ihr hierher zu folgen, wurde ihr Jäger zurückgelassen. Als sie bemerkte, dass ihr Verfolger nicht mehr hinter ihr her war, fiel sie erschöpft zu Boden und blieb schwer um Atem ringend für einen Moment liegen. Sie konnte nicht fassen, was gerade geschehen war und kämpfte heftig mit den Tränen. Würde dieser Alptraum denn niemals enden? Es schien, als wolle jeder ihren Tod, um jeden Preis, und sie hatte keine Ahnung wieso. Aber vielleicht würde es gar nicht so schlecht sein, umgebracht zu werden. Denn wenn sie tatsächlich sowohl den geliebten Bruder als auch Verlobten verloren hatte, wollte sie sowieso nicht weiterleben...
Wein jetzt nicht los, befahl sie sich selbst. Reiß dich zusammen, du musst irgendwie zurück zu deinem Gemach kommen, oder wenigstens eine Garde finden.
Den Weg durch die Bäume und das Buschwerk bahnte sie sich langsam und vorsichtig, um nicht noch mehr Schnitte und Kratzer zu erleiden. Sie fragte sich gerade, wie sie am nächsten Morgen das völlig ruinierte Kleid ihrem Vater erklären sollte, als sie aus der Baumgruppe heraustaumelte und einen der vielen Pfade erreichte, die durch die Gärten führten. Sie hatte die Orientierung verloren und wusste nicht, in welche Richtung sie gehen sollte um so schnell wie möglich hier herauszukommen, aber sie war erleichtert wieder auf einem Weg zu sein und raffte hastig ihr Kleid etwas hoch, um sich flinker bewegen zu können. Sie war noch nicht weit gekommen, als etwas sehr Großes in ihre Seite stieß und sie zu Boden geschleudert wurde.
Von purer Angst angetrieben war sie im Bruchteil einer Sekunde wieder auf den Beinen und fing an zu laufen, obwohl ihr Knöchel durch den Sturz gestaucht war und wie verrückt weh tat. Die Schmerzen verlangsamten sie sehr und nur einen kurzen Moment später wurde sie von hinten gepackt und ihr verzweifelter Versuch zu fliehen erwies sich als zwecklos. Sie wollte schreien, aber eine behandschuhte Hand bedeckte schnell ihren Mund, während ein starker Arm sich grob um ihre Taille legte. Sie wurde mit einer raschen und gewaltsamen Bewegung hochgehoben, ihre Füße verloren den Kontakt zum Boden und sie bekam keine Luft mehr. Panisch um sich schlagend versuchte sie, sich zu befreien, aber egal wie heftig sie strampelte, schlug and trat, der Griff ihres Angreifers blieb kraftvoll und fest. Er trug sie weg von dem Pfad, zurück zu den tieferen und versteckten Plätzen der Gärten. Aerilyn versuchte, in seine Hand zu beißen, aber die Handschuhe waren aus dickem Leder gefertigt und ihre Bemühungen beeindruckten ihn nicht im geringsten. Sie spürte Tränen in ihre Augen steigen. Das alles musste ein furchtbarer Alptraum sein. Sie musste nur aufwachen und alles würde gut werden. Es konnte doch nicht sein, dass so etwas zweimal hintereinander geschah... oder doch?
Plötzlich ließ der Arm von ihrer Taille ab und Aerilyn versuchte sofort davonzulaufen, aber die Hand auf ihrem Gesicht riss sie so grob zurück gegen die Schulter des Mannes, dass sie glaubte ihr Genick würde brechen. Ihr Kiefer schmerzte von dem festen Griff seiner starken Finger, und das Fleisch der Innenseiten ihres Mundes begann bereits zu bluten, da es so brutal gegen ihre Zähne gepresst und gerieben wurde. Aber alle Schmerzen waren vergessen, als sie sah wie der andere Arm des Verfolgers vor ihren Augen, die sich aus Entsetzen weiteten, erhoben wurde. Sie sah den dunklen, smaragdgrünen Hemdsärmel des Mannes, den schwarzen Handschuh den er trug, und den großen Dolch den er in der Hand hielt. Aerilyn fühlte sich, als wenn die Zeit zurückgedreht worden war, sie durchlebte dieselben furchtbaren Emotionen, dieselben Todesängste, die sie gefühlt hatte als sie erst vor kurzem in den Wäldern angegriffen worden waren.
Sie hielt den Atem an und schloss die Augen, als die funkelnde Klinge zu ihrer Brust niederfuhr. Ohne darüber Nachzudenken riss sie ihre Hände hoch, um sich zu schützen und den Stoß abzufangen, der auf ihr Herz gezielt war. Heißer Schmerz durchflutete sie als sie die Waffe in ihr Fleisch schneiden spürte, während sie versuchte die Hand oder den Arm des Angreifers zu packen. Sich bemühend, den brennenden Schmerz in ihrem zerschnittenen Arm zu ignorieren, schaffte sie es irgendwie den Angreifer dazu zu bringen, die Waffe fallen zu lassen. Als er sich rasch bückte um sie wieder aufzuheben, zerrte sie mit all ihrer Kraft und entfloh endlich dem Griff seiner Hand. Sie blickte nicht zurück, sah sich nicht ihre Verletzungen an, kümmerte sich nicht um die furchtbaren Schmerzen in ihrem Arm und Knöchel. Sie rannte nur so schnell sie konnte. Rannte, rannte, rannte... bis sie mit jemandem zusammenstieß. Sie schrie auf und erhob die Fäuste, bereit zu kämpfen, aber als sie mit panischen Augen aufblickte erkannte sie ein vertrautes Gesicht.
„Was ist passiert, Aerilyn?" fragte Faramir und schloss sanft seine Hände um ihre Oberarme.
„Oh Faramir!" schluchzte sie und drückte sich nach Schutz und Geborgenheit suchend an ihn.
„Du bist ja verletzt," sagte er als er ihren blutenden Unterarm entdeckte.
„Was ist Euch zugestoßen?" fügte er hinzu als er bemerkte, dass sie schrecklich aussah. Überall Schnitte und Kratzer, das Kleid zum größten Teil zerrissen, vor Dreck starrende Haut und Kleidung, durchnässt von Schweiß.
„Da war ein Mann..." erzählte sie ihm mit leiser Stimme, die etwas erstickt war da ihr Gesicht so fest gegen seine Brust gepresst war.
„Ein Mann?" fragte Faramir und legte beschützerisch eine Hand auf ihren Hinterkopf.
„Ja, er hat mich angegriffen," fuhr Aerilyn fort, ihre Stimme voller Furcht. Es war so gut, seine starke Hand zärtlich auf ihrem Kopf zu spüren. Seine Berührung war wie ein Versprechen sie zu schützen, sie vor jedem zu bewahren, der ihr etwas antun wollte.
„Ihr seid jetzt sicher. Ich werde nicht von Eurer Seite weichen," garantierte Faramir und streichelte über ihr Haar während er die Umgebung mit verengten, aufmerksamen Augen absuchte.
„Ich hatte solche Angst, ich dachte er würde mich töten."
„Wie sah er aus?" wollte Faramir wissen.
„Ich weiß es nicht. Ich habe sein Gesicht nicht gesehen," sagte Aerilyn und wich etwas zurück um Faramir, der sie mit einem mehr als besorgten Ausdruck in den Augen musterte, ansehen zu können.
„Ich weiß nur, dass er –" Sie beendete ihren Satz abrupt und starrte Faramir auf eine Art an, die ihm unangenehm war, ihm beinahe Angst machte.
„Dass er was?" fragte Faramir und folgte ihrem Blick, der auf ihre eigenen, blutverschmierten Hände gerichtet war, die sich an sein Hemd klammerten.
„Dass er ein smaragdgrünes Hemd mit braunen Ornamenten getragen hat... genauso eines wie dieses..." flüsterte Aerilyn und hob ihren Blick, der so voll von purem Entsetzen war, zurück zu seinem Gesicht. Sie hatte das Gefühl, Ohnmächtig zu werden, sie konnte kaum atmen und ihre Beine gaben nach.
Das kann nicht sein, das kann einfach nicht sein..., versuchte sie, sich von Faramirs Unschuld zu überzeugen, aber sie wusste, was sie gesehen hatte.
„Nein, Aerilyn... bitte..." sagte Faramir verzweifelt als er verstand, was sie dachte. Er wollte wieder ihre Arme ergreifen und ihr versichern, dass er nichts mit diesem Angriff zu tun hatte, aber sobald er seine Hände bewegte, wich sie in Panik vor ihm zurück.
„Bleibt mir vom Leib!" schrie sie und wollte vor ihm fliehen, aber er packte sie beim Arm und zwang sie zu bleiben.
„Ich schwöre, ich war es nicht," sagte er, aber sie hörte gar nicht zu. Bevor er überhaupt merkte, dass sie sich bewegte, trat sie ihn in einer für ihn sehr unglücklichen Art und rannte dann davon, während er beinahe mit einem schmerzerfüllten Aufstöhnen zu Boden ging.
„Aerilyn, wartet!" rief er ihr nach als er wieder zu Atem kam, aber es war zu spät. Sie war fort.
Tränen strömten über ihr Gesicht während sie in keine bestimmte Richtung rannte. Sie lief einfach nur. Sie wollte vor allem und jedem davonlaufen. Sie wusste nicht, was sie denken oder glauben sollte. Konnte es wirklich Zufall sein, dass ihr Angreifer und Faramir dieselbe Kleidung trugen? Oder konnte es sein, dass Faramir in einer Art Verschwörung gegen seinen eigenen Bruder verwickelt war? Konnte es vielleicht sogar sein, dass Faramir und Boromir beide an einem grausamen Plan teilnahmen und die Entführung des älteren Bruders nur eine Täuschung gewesen war? Sie hatte geglaubt, dass Boromir sie wahrlich liebte, aber konnte sie sich sicher sein? Natürlich nicht. Sie war jung und unerfahren. Für einen Mann wie Boromir wäre es ein Leichtes, sie mit gespielter Zuneigung zum Narren zu halten. Sie fühlte sich so dumm... Wie hatte sie nur auf so eine starke Art und Weise auf seine verlogenen Liebesschwüre hereinfallen können, dass sie bereit gewesen war, ihm bereits nach so kurzer Zeit ihren Körper und ihre Unschuld zu schenken? Plötzlich ekelten sie die Erinnerungen an die intimen Momente die sie neulich mit Boromir geteilt hatte an, aber auf der anderen Seite konnte sie nicht leugnen, dass sie es eigentlich genossen hatte. Wahrscheinlich nicht so sehr wie er, aber trotzdem war es eine wunderschöne und sehr besondere Erfahrung gewesen.
Nein, nein, das kann doch alles nicht wahr sein! sagte sie sich immer wieder, aber große Zweifel wuchsen in ihr und sie konnte sie nicht wegargumentieren. Mehr und mehr Fragen stellten sich ihr... Was hatte Faramir mitten in der Nacht in die Gärten getrieben, wenn nicht die Absicht sie zu jagen und umzubringen? Aber andererseits konnte er ja auch aus den gleichen Gründen dorthin gegangen sein wie sie selbst. Schließlich vermisste auch er seinen Bruder und musste sich mit dem großen Schmerz des Verlustes auseinandersetzen...
Sie dachte über Millionen von Möglichkeiten, Alternativen und Gründen bezüglich dieser ganzen Sache nach, bis ihr ganz schwindelig wurde. Ihre Geschwindigkeit nahm ab, ihr Atem ging hastig, laut und keuchend, und sie spürte ein plötzliches, schmerzendes Stechen in ihrer Brust. Sie hob eine Hand an die Stelle, die so sehr weh tat, und spürte warme Feuchtigkeit an Handfläche und Fingern. Abrupt blieb sie stehen und sah hinunter. Ihre Hand war mit frischem Blut bedeckt, das aus der alten Wunde in ihrem Brustkorb kam. Die Front ihres Kleides war bereits getränkt von der roten Flüssigkeit, die aus der Wunde quoll, die durch die Anstrengungen des ganzen Laufens wieder aufgebrochen war. Aerilyn drückte eine Hand auf die Wunde und setzte sich wieder in Bewegung, sehr langsam diesmal. Sie wusste, dass sie rasch zu den Häusern der Heilung gelangen musste, aber sie hatte komplett die Orientierung verloren und wusste nicht, welchen Weg sie nehmen musste. Die überwältigende Verzweiflung trieb ihr Tränen in die Augen und jedes Schluchzen jagte unerträgliche Schmerzen durch ihren Oberkörper. Sie wanderte durch die dunklen Gärten, durch die Flut der Tränen alles nur noch verschwommen sehend, und irrte umher bis ihre Beine sie nicht mehr tragen konnten. Sie brach erschöpft zusammen, und dann war alles schwarz.
~ to be continued ~
