*** Stella: Bitte sei so lieb und schreib mir eine e-mail, mein PC ist kaputt gegangen und ich habe jetzt einen neuen, d.h. alle meine gespeicherten Mails sind futsch und ich habe deine e-mail Adresse nicht mehr! *verzweifeltbin*
So, und nun geht es ohne großes Gerede weiter mit der Geschichte… Viel Spaß mit Kapitel 16! ***
Es waren erst zwei Tage vergangen seit Aerilyn das Bewusstsein wiedererlangt hatte, aber sie war bereits jetzt zu Tode gelangweilt. Nur wenige Stunden nachdem sie aufgewacht war, war sie von den Häusern der Heilung in ihr Gemach verlegt worden, da ihr Vater sie so nah wie möglich an seinen eigenen Zimmern haben wollte, und seitdem war sie nirgendwo anders hingegangen. Es war ihr nicht gestattet herumzulaufen wo sie wollte. Stattdessen musste sie hier verweilen, eingesperrt zusammen mit einem der persönlichen Leibwächter ihres Vaters. Denethor hatte angeboten einige seiner eigenen Wachen zu Aerilyns Schutz zur Verfügung zu stellen, aber Ribensis hatte verweigert. Nicht, dass er Denethor oder seine Söhne für das was seiner Tochter zugestoßen war verantwortlich machte, aber solange er nicht wusste was genau geschehen war verließ er sich auf niemandem außer auf seine eigene Leibgarde, die seit Ewigkeiten das uneingeschränkte Vertrauen des Truchsess genoss.
Aerilyn hatte ihrem Vater, oder sonst jemanden, nicht von ihrer Vermutung erzählt, dass es Faramir gewesen war, der neulich versucht hatte sie umzubringen. Bevor sie die Möglichkeit dazu gehabt hatte, hatte sie erfahren, dass es tatsächlich Faramir gewesen war, der sie gerettet hatte. Ihr Vater hatte ihr geschildert, wie Faramir sie in den Gärten gefunden hatte, bewusstlos und blutend, und wie er sie zu den Häusern der Heilung getragen hatte. Es machte keinen Sinn, dass er das getan hatte wenn er ihr doch eigentlich das Leben hatte nehmen wollen. Es war die perfekte Gelegenheit für ihn - oder jemand anderen – gewesen, sie zu töten als sie hilflos und verletzt am Boden lag. Aber stattdessen hatte er sie gerettet und das musste bedeuten, dass sie sich schrecklich getäuscht hatte als sie ihn beschuldigt hatte, ihr Angreifer zu sein. Je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer war sie sich, dass er hinsichtlich dieser Sache unschuldig war, und sie schämte sich, dass sie einmal anders gedacht hatte. Unglücklicherweise gab es für sie keine Möglichkeit, mit Faramir in Kontakt zu treten und sich bei ihm zu entschuldigen, oder ihm für die Rettung zu danken, da es niemandem erlaubt war ihr einen Besuch abzustatten. Sie fühlte sich wie eine Gefangene und ihr Zimmer schien mit jeder verstreichenden Stunde zu schrumpfen. Langsam trieb es sie in den Wahnsinn. Sie musste sich irgendwie ablenken, aber es gab nicht viel was sie hier tun konnte. Ihr Blick wanderte durch den Raum und fiel auf ihre Wache, die eine ihrer Waffen polierte.
„Wie geht es deiner Frau, Torgen?" fragte sie und durchquerte das Zimmer um sich auf ihrem Bett niederzulassen. Der Kopf des Mannes hob sich abrupt, er war offensichtlich überrascht, dass sie versuchte eine Unterhaltung mit ihm zu starten.
„Gut, danke," sagte er und fuhr dann mit seiner eintönigen Beschäftigung fort.
„Und deine Kinder? Wie geht es deinen Kindern?" fragte Aerilyn, rollte sich auf ihren Bauch und legte das Kinn auf ihre Arme, die sie vor sich gekreuzt hatte.
„Gut," antwortete Torgen.
„Ich bin mir sicher, dass sie dich sehr vermissen," sagte sie mit einem Seufzen.
„Ich vermisse sie auch," gab der stämmige Wächter zu und Aerilyn lächelte schwach. Sie hatte Torgen schon immer gemocht, obwohl sie große Angst vor ihm gehabt hatte als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Sie war froh, dass er es war den ihr Vater ausgesucht hatte ihr 24 Stunden am Tag Gesellschaft zu leisten, und nicht einer der unhöflichen, groben Wächter. Torgen mochte nicht besonders redselig und unterhaltsam sein, aber wenigstens war er freundlich und hatte Manieren.
„Du wirst bald schon wieder zuhause sein," sagte Aerilyn, nicht wissend, wie viel Wahrheit in ihren Worten lag.
Nur Minuten später hörten sie jemanden an die Tür klopfen und Aerilyn wusste sofort, dass es ihr Vater war, nur von seiner Art und Weise anzuklopfen. Torgen erhob sich von seinem Stuhl, entriegelte die Tür und öffnete sie nur einen Spalt weit um nachzusehen wer Einlass verlangte, seine Hand auf dem Griff seines Schwertes. Als er sah, dass es tatsächlich Aerilyns Vater war, zog er die Tür komplett auf und ließ seinen Herrn eintreten. Aerilyn setzte sich verwundert auf dem Bett auf als sie entdeckte, dass ihrem Vater mehrere Diener folgten, die sobald sie das Zimmer betreten hatten sofort begannen, Aerilyns Habseligkeiten zusammenzutragen.
„Vater... Was hat das zu bedeuten?" fragte sie verwirrt während sie beobachtete, wie einer der Bediensteten ihre Kleider aus dem Schrank holte und vorsichtig zusammenlegte.
„Wir werden Gondor verlassen. Bis zu unserer Abreise wirst du zusammen mit Torgen hier warten," informierte Ribensis sie und schritt näher an das Bett, auf dem seine Tochter saß. Sie hob den Kopf und starrte ihn wie vom Blitz getroffen an.
„Wir werden abreisen? Wann?" fragte sie, ihre dunklen Augenbrauen ungläubig zusammengezogen.
„So schnell wie möglich, sobald alles gepackt ist."
„Aber was ist mit Atalar?!" fragte Aerilyn erschrocken und erhob sich abrupt zum Stehen. „Wir können doch nicht ohne ihn abreisen!"
„Aber wir können auch nicht auf ihn warten. Ich bin nicht gewillt in einem Land zu verweilen, in dem das Leben meiner Tochter bedroht ist. Zwei Attentate nacheinander sind für meinen Geschmack mehr als genug. Ich werde nicht auf einen dritten und vielleicht tödlichen warten. Außerdem wissen wir nicht, ob Atalar überhaupt noch am Leben ist und jemals zurückkehren wird. Sobald wir wieder zuhause sind werde ich Kundschafter aussenden um ihn finden zu lassen, sei es tot oder lebendig. Aber wir werden Minas Tirith morgen früh verlassen, und ich bin nicht bereit Diskussionen über meinen Entschluss zu führen."
„Aber die Wetterkonditionen sind zu schlecht um so eine lange Reise anzutreten! Ein Unwetter steht unmittelbar bevor, es gießt ja schon draußen!" versuchte Aerilyn ihren Vater davon zu überzeugen, wenigstens noch zwei oder sogar drei Tage zu warten ehe sie aufbrachen.
„Erwarte unsere Abreise nach Morgengrauen," sagte ihr Vater, nicht auch nur ein kleines bisschen von ihren Argumenten beeindruckt.
„Und was ist mit der Hochzeit?" fragte Aerilyn, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Es war nur ein Wort, das ihr Vater zum antworten benötigte, aber es ließ ihr Herz in tausend Stücke splittern.
„Abgesagt."
Sie saß auf der Fensterbank genauso wie an dem Tag vor ihrem emotionalen Ausbruch beim Essen, nur die Sonne schien nicht, streichelte und wärmte nicht ihre Haut. Draußen war es dunkel obwohl es früher Nachmittag war, schwere Wolken zogen in dem grauen Himmel zusammen und es schüttete als ob der Regen die Stadt davonspülen wollte. Wenigstens passte das Wetter zu ihrer Stimmung. Sie könnte im Moment sowieso keinen hellen Sonnenschein und singende Vögel ertragen. Sie zog ihre Beine näher an den Körper, legte das Kinn auf die Knie und seufzte niedergeschlagen.
„Lady Aerilyn?" ertönte eine dunkle, männliche Stimme etwas besorgt von der anderen Seite des Raumes.
„Mir geht es gut, Torgen," murmelte sie ohne sich die Mühe zu machen ihren Kopf zu drehen um ihre Garde anzusehen. Stattdessen ließ sie ihren Blick nach unten zur Strasse, die mehrere Meter unter ihrem Fenster war, schweifen und bemitleidete die zweite Wache, die dort unten im Regen stand. Er war völlig durchnässt und obwohl es so dunkel war konnte sie sehen, dass er sehr fror. Mit einem weiteren Seufzen richtete sie ihren Blick wieder zurück in die Richtung aus der der Suchtrupp kommen musste, wenn er zurückkehren würde. Falls er jemals zurückkehrte...
So saß sie für Stunden und rührte sich nicht. Ein Diener brachte ihr Essen und Trinken, aber sie weigerte sich irgendetwas zu essen und starrte weiterhin unbeweglich auf die nasse, matschige Straße, dem Regen und Donner lauschend, während Torgen seine Mahlzeit zu sich nahm und sie mit großer Besorgnis im Auge behielt.
„Seid Ihr sicher, dass Ihr nichts essen wollt?" fragte er schließlich.
„Ja," erwiderte sie, und die Unterhaltung war wieder beendet.
Mit der verstreichenden Zeit wurde sie immer müder und hin und wieder fielen ihre Augenlider zu. Torgen musste bemerkt haben, dass sie beinahe schon schlief und nicht weit davon entfernt war, von der Fensterbank zu fallen, denn plötzlich erhob er sich und näherte sich ihr um sie in ihr Bett zu tragen. Seine schweren Schritte ließen sie ihre Augen wieder aufschlagen, und da sah sie es...
Innerhalb eines Sekundenbruchteils war sie wieder hellwach, setzte sich mit einem hörbaren Einatmen auf und legte ihre Hände flach gegen die Fensterscheibe. Den Atem anhaltend verengte sie die Augen. Die Sichtverhältnisse waren mehr als schlecht, aber es konnte keinen Zweifel geben. Ein paar Pferde näherten sich, eine kleine Gruppe von Reitern. Die waren zurück.
Sie versuchte zu erkennen, wer genau auf welchem Pferd saß, wer aufrecht saß und wer schlaff in den Armen eines anderen hing, und wer überhaupt nicht zurückgekehrt war... Aber von ihrem Fenster aus war das unmöglich. Aerilyn sprang von der Fensterbank und stürmte auf die Tür zu um der Gruppe nachzulaufen, aber Torgen war mit einem Satz vor ihr wodurch sie gegen ihn stieß.
„Wo wollt Ihr hin?" fragte er und schloss eine große Hand um ihren Oberarm. Sein Griff war sanft, aber trotzdem ziemlich fest.
„Der Suchtrupp ist gerade angekommen! Bitte, ich muss sie sehen!" bettelte Aerilyn und hob den Kopf damit sie ihrem Wächter, der sie um einiges überragte, in die Augen blicken konnte. Er seufzte und seine Augen verrieten, dass er ihre Gefühle verstand, dennoch schüttelte er den Kopf.
„Euer Vater möchte, dass Ihr hier in Eurem Gemach verweilt. Es tut mir leid, aber ich habe meine Befehle."
„Bitte, Torgen!" sagte sie verzweifelt und ergriff seinen kräftigen Unterarm. „Ich möchte doch nur wissen, ob Atalar dabei ist! Ich muss wissen, ob mein Bruder am Leben ist! Bitte!"
Er sah erneut zu ihr herab und zögerte für ein paar Sekunden bevor er sagte: „Na schön, aber ich werde mit Euch gehen."
„Danke," sagte sie und versuchte ihn zur Seite zu schieben um die Tür zu öffnen.
„Wollt Ihr denn nicht Euren Umhang mitnehmen? Draußen stürmt es," gab die stämmige Wache zu bedenken.
„Nein, lass uns einfach gehen," erwiderte sie entschlossen. Es hätte sie nicht gekümmert wenn sie barfuss und nur mit Unterwäsche bekleidet gewesen wäre, sie wollte nur noch die Menschen sehen, auf die sie so lange gewartet hatte.
Sie stieß die schweren Türen auf, verließ das warme Gebäude und trat hinaus in die Kälte des Unwetters. Starker Regen peitschte in ihr Gesicht und nach nur wenigen Sekunden waren ihre Kleider durchnässt, aber das letzte was sie wollte war sich wieder in ihr gemütliches Gemach zurückzuziehen. Die Truppe war natürlich schon wieder weg. Sie musste so schnell wie möglich zu den Häusern der Heilung gelangen, und so fing sie an zu rennen obwohl der Boden so matschig und rutschig war. Torgen war die ganze Zeit über hinter ihr, und wenn sie nicht so sehr darauf konzentriert gewesen wäre die Menschen zu finden die zurückgekehrt waren, hätte sie gemerkt wie angespannt er war.
Sie kamen relativ schnell bei den Häusern der Heilung an und fanden die Reitergruppe immer noch draußen im Regen vor. Das erste, was Aerilyn ins Auge sprang, war ein Mann mit dunklem Haar und dunkler Kleidung, den sie nicht kannte. Er war der einzige, der noch auf seinem Pferd saß, und er war gerade dabei den leblosen Körper eines anderen Mannes in die Arme von Faramir hinunterzulassen, der vor ihr hier eingetroffen sein musste. Aerilyn glaubte ihr Herz würde aufhören zu schlagen als sie realisierte, dass es Boromirs Körper sein musste. Wegen der schlechten Wetterverhältnisse konnte sie keine Details wie Gesichtsausdrücke erkennen oder hören was Faramir und der dunkle Mann miteinander sprachen, aber es genügte mit anzusehen, wie Boromirs erschlaffter Körper von seinem Bruder und einem blonden, recht jung aussehendem Mann in die Häuser der Heilung getragen wurde. Sie war so sehr von dem Anblick gefangen, dass sie noch nicht einmal registrierte, wie Torgen ihr seinen eigenen Umhang um ihre zitternden Schultern legte.
Sobald Aerilyn den Schock überwunden hatte wollte sie ihnen hinterherlaufen, doch plötzlich hörte sie jemanden ihren Namen rufen und drehte sich in die Richtung der ihr so bekannten Stimme. Ein winziges Wimpern entfuhr ihr als sie sah, dass ihr Bruder auf sie zu lief und die überwältigende Erleichterung über sein Wohlbefinden ließ sie für ein paar Sekunden Boromir vergessen. Sie warf sich in Atalars geöffneten Arme und klammerte sich fest an ihn während Tränen begannen, aus ihren Augen zu strömen und sich mit dem Regen vermischten, der ihr Gesicht hinablief. Er hielt sie so eng an sich gedrückt, dass sie Schwierigkeiten hatte mühelos zu atmen, aber sie hätte es gar nicht anders gewollt.
„Ich bin so froh, dass du am Leben bist, ich dachte du wärest tot," schluchzte sie und presste ihr Gesicht noch fester gegen seinen zitternden Körper.
„Ich dachte auch, dass du tot bist," erwiderte er und sie hörte, dass auch er weinte. Seine Hände schlossen sich fest um ihre Oberarme und er schob sie ein Stückchen von sich, damit sie sich in die Augen sehen konnten. Sie beide waren bis auf die Knochen durchnässt, ihr schwarzes Haar klebte an ihrer Haut die bereits eiskalt war, aber sie merkten noch nicht einmal, dass sie beide vor Kälte zitterten.
„Ich dachte auch, dass du tot bist," wiederholte er flüsternd und gab ihr einen schnellen, brüderlichen Kuss auf den Mund. Dann zog er sie wieder an sich, umarmte heftig ihren kleinen, schmalen Körper und grub sein Gesicht in ihr nasses Haar.
„Was ist mit Boromir? Geht es ihm gut?" fragte Aerilyn plötzlich gegen Atalars Brust, ihre Hände an seine dreckige, vom Regen durchtränkte und teilweise zerrissene Kleidung geklammert. Als Atalar nicht antwortete befreite sie sich aus seiner festen Umarmung um ihm ins Gesicht sehen zu können.
„Atalar… Was ist mit Boromir?" fragte sie noch einmal und spürte, wie ihr noch mehr Tränen in die Augen stiegen.
„Wir haben ihn zurückgebracht, aber es sieht nicht gut für ihn aus," sagte Atalar ruhig und spürte wie sein eigenes Herz vom bloßen Anblick der Verzweiflung in dem Gesicht seiner Schwester brach.
„Ich muss ihn sehen," sagte sie und wandte sich von ihm ab um zu den Häusern der Heilung zu eilen. Torgen, der schweigend darauf gewartet hatte, dass die Geschwister sich wieder voneinander trennten, wollte hinterherlaufen, aber Atalar packte ihn fest am Arm; eine Bitte, seine Schwester gehen zu lassen. Torgen hätte sich problemlos der Hand des jungen Mannes entreißen können, aber er blieb stehen und sah Atalar fragend an.
„Gib ihr die Möglichkeit ihn zu sehen. Bitte, Torgen… Ich werde die volle Verantwortung dafür übernehmen, für den Fall dass mein Vater es herausfindet. Gib Aerilyn die Möglichkeit, ihm Lebewohl zu sagen," bat Atalar, seine Hand immer noch an den Ärmel des stämmigen Leibwächters geklammert. Er wollte, dass seine Schwester die Gelegenheit hatte, die er unglücklicherweise nicht gehabt hatte. Er hatte es nicht geschafft für Inunyen da zu sein während sie einen schmerzvollen Tod gestorben war, er hatte es nicht geschafft ihr all die Dinge zu sagen, die er ihr hatte sagen wollen, und nun war sie tot und die Gelegenheit war fort. Für immer. Er wollte nicht, dass seiner Schwester dasselbe passierte, denn er wusste wie sehr es schmerzte nicht in der Lage gewesen zu sein von einem geliebten Menschen Abschied zu nehmen.
Im Innern der Häuser der Heilung herrschte schiere Aufruhr. Es war überfüllt mit Menschen die alle wissen wollten, in welcher Verfassung ihr zukünftiger Stadthalter war, ob er tot oder lebendig war, und eine große Anzahl an Heilern und Helferinnen eilte die Korridore hinauf und hinab und ein gewisses Zimmer hinein und hinaus. Aerilyn spürte, wie sich ein Knoten in ihrem Bauch bildete, als sie anfing sich einen Weg zu diesem bestimmten Raum zu bahnen, bis plötzlich jemand sie am Arm festhielt als sie schon fast die Tür erreicht hatte, die immer wieder auf und zu schwang.
„Aerilyn, was tut Ihr denn hier? Ich dachte, Ihr müsst in Eurem Gemach verweilen?" wollte eine männliche Stimme wissen. Aerilyn blickte auf und traf den besorgten Blick von Faramir. Sie wusste, dass sie ihm eine Entschuldigung schuldete, aber im Moment beschäftigten sie ganz andere Dinge.
„Ich muss ihn sehen," sagte sie, wieder den Tränen nahe.
„Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist," erwiderte er, doch nährte er ihre Sorge dadurch nur.
„Bitte…" flüsterte sie, stark bemüht nicht zu weinen, aber seine Hand ließ nicht los.
„Lord Faramir!" rief plötzlich eine Stimme von weiter hinten. „Wir müssen die Menschen herausschaffen!"
Aerilyn fühlte, dass Faramirs Griff etwas an Intensität verlor als er von einer der Wachen abgelenkt wurde und ergriff ihre Chance. Sie befreite sich mit einer abrupten, kraftvollen Bewegung und schlüpfte an ein paar weiteren neugierigen Leuten vorbei, die versuchten einen Blick auf Denethors ältesten Sohn zu erhaschen. Sie betrat den Raum, wobei sie beinahe mit einer der Schwestern zusammenstieß, die sie zurückhalten wollte, aber ihre Angst und Besorgnis entfesselten ungeahnte Kraft in ihr und sie drängelte sich fast mühelos an der größeren Frau vorbei.
Es waren relativ viele Menschen in dem Zimmer, aber sie hatte nur Augen für Boromir. In der Sekunde, in der sie ihn erblickte, blieb sie wie angewurzelt stehen, zu groß war ihre Angst davor, was sie entdecken mochte wenn sie sich weiter näherte und genauer hinsah. Sie spürte, wie ihre Beine nachzugeben drohten und ihr Herz zu rasen begann, aber sie musste es sehen. Sie musste es wissen. Sich langsam schwindelig fühlend trat sie näher, und als eine der Schwestern sich abwandte um ein von Blut getränktes Tuch abzulegen und ein frisches zur Hand zu nehmen, hatte sie beinahe freie Sicht auf ihn, wie er dalag, blutend, verletzt, leblos.
Aerilyns Gesicht wurde weiß wie Schnee, ein heftiges Geräusch der Verzweiflung und des Schreckens entfuhr ihr und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Dann wandte sie sich von dem furchtbaren Anblick Boromirs geschundenen Körpers ab und stieß beinahe mit jemandem zusammen, der gerade hinter sie getreten war um sie wieder aus dem Raum zu geleiten. Sie blickte noch nicht einmal auf um zu sehen, um wen es sich handelte, sondern sank gegen die breite Brust ihres Gegenübers während heftige Schluchzer ihren gesamten Körper beben ließen. Aragorn war im ersten Moment etwas verkrampft, doch umschloss sie dann schnell aber behutsam mit seinen Armen, um ihr etwas Trost zu spenden. Plötzlich gaben ihre Beine nach und ließen sie beinahe aus seiner vorsichtigen Umarmung rutschen. Aragorn hielt sie gerade noch rechtzeitig fest um zu verhindern, dass sie fiel. Vorsichtig und mit einer Hand ihren Kopf abstützend ließ er sie auf den Boden nieder.
„Was ist geschehen?" fragte Atalar, der sich gerade einen Weg durch die Menschenmenge gekämpft hatte um zu seiner Schwester zu gelangen, aber auch um seine eigenen Wunden versorgen zu lassen. Verglichen mit den Verletzungen die Boromir erlitten hatte waren seine ziemlich harmlos, aber trotzdem schmerzten sie und mussten gereinigt werden.
„Ich glaube sie ist in Ohnmacht gefallen," sagte Aragorn während Atalar sich hinkniete und sich über seine Schwester beugte.
„Lyn, kannst du mich hören?" fragte er besorgt und umschloss ihr Gesicht zärtlich mit seinen Händen.
„Ist er tot?" fragte sie flüsternd, ohne ihre Augen zu öffnen.
„Nein," sagte Aragorn tröstend, „Boromir ist nur bewusstlos. Ich bin sicher, Ihr könnt schon morgen mit ihm reden."
„Bitte sagt mir die Wahrheit," bat sie verzweifelt und blinzelte ihre Augen auf um Aragorn mit dem traurigsten Ausdruck anzublicken, den er jemals in den Augen eines Menschen gesehen hatte.
„Das ist die Wahrheit, Lady Aerilyn. Boromir ist nicht tot."
„Ich danke Euch," wisperte sie und schloss wieder die Augen. Dann hörte sie harsche Stimmen von Wachen und auch ein paar Schwestern, die den gesunden Leuten befahlen sofort das Gebäude zu verlassen, während die Verletzten und Kranken zurück in ihre eigenen Räume gebracht wurden. Atalar hob sie auf seine Arme und trug sie in ein anderes Zimmer wo er sie auf ein Bett legte, das eigentlich für einen Verletzten vorgesehen aber im Moment nicht belegt war.
„Ich werde dir etwas Trockenes zum Anziehen holen, dann kannst du hier bleiben und darauf warten, dass Boromir wieder aufwacht," sagte er und streichelte ihr feuchtes, kaltes Gesicht während sie dankbar nickte. Als er wieder zurückkam, war sie in einen leichten, unruhigen Schlaf gefallen.
„Lord Faramir, Ihr solltet Euch in Eure Gemächer zurückziehen und Euch ausruhen," sagte eine brünette Schwester sanft als sie entdeckte, dass er noch immer auf einer der Bänke in dem inzwischen leeren Korridor saß. Seit der Rückkehr des Suchtrupps waren Stunden verstrichen und es gab noch immer keine Neuigkeiten über Boromirs Zustand.
„Nein, ich werde bleiben. Ich will hier sein, wenn mein Bruder zu sich kommt."
„Ich werde Euch eine Decke holen."
„Nein, aber vielen Dank," erwiderte Faramir und beobachtete dann, wie die Schwester in dem Raum verschwand, in dem auch Boromir war. Die quälende Stille machte ihn wahnsinnig und es erschien ihm wie eine Ewigkeit bis sie von leisen, schmerzerfüllten Geräuschen die direkt durch Faramir fuhren gestört wurde. Er konnte nicht einfach sitzen bleiben und dem herzzerreißenden Wimmern zuhören, aber er wusste auch nicht, was er stattdessen tun konnte. Unruhig lief Faramir vor der Tür die ihn von Boromir trennte, der anscheinend in genau diesem Moment unvorstellbare Schmerzen erlitt, auf und ab. Faramir kannte seinen Bruder mehr als genau, er wusste, dass er alles daran setzen würde jeden Beweis seiner Schmerzen zu unterdrücken und niemals sein Leiden öffentlich zur Schau tragen würde wenn er es umgehen konnte. Faramir wagte nicht sich vorzustellen, welch immense Qual es brauchte um Boromir dazu zu bringen zu klagen und zu weinen obwohl er von mehreren Menschen umringt war. Es riss sein Herz in Stücke seinen Bruder so zu hören, wie seine normalerweise starke und feste Stimme die Nacht mit leisem Schluchzen und schwachen Schmerzenschreien füllte. Wenigstens waren diese Geräusche Beweis dafür, dass Boromir lebte, aber obwohl Faramir froh über diesen Umstand war fühlte er sich mit jedem einzelnen kraftlosen Geräusch das sein Bruder von sich gab elender.
„Faramir…" ertönte plötzlich eine leise, weibliche Stimme hinter ihm und er drehte sich abrupt um. Er entdeckte Aerilyn im Türrahmen eines der anderen Zimmer stehend. Beinahe musste er lächeln als er sah, dass sie die Kleidung trug, die eigentlich für die Kranken und Verletzten bestimmt und auch viel zu groß für ihre zierliche Gestalt war. Bevor er etwas erwidern konnte, echote ein sehr leiser aber herzzerreißender Schrei durch den Korridor, gefolgt von wenigen unstetigen Schluchzern und einem schmerzerfüllten Aufstöhnen, das langsam wieder verebbte. Aerilyn hob eine Hand zu ihrem Gesicht um entsetzt ihren Mund zu bedecken und bemühte sich verzweifelt, gegen die Tränen anzukämpfen, aber als Faramir sich ihr eilig näherte und sie tröstend umarmte, ließ sie sie hervorbrechen und weinte gegen seine Brust gelehnt, ihre Hände in sein Hemd geklammert.
Einige Momente später warteten sie gemeinsam auf der Bank, Faramir in seiner früheren Position sitzend, während Aerilyn auf der Seite lag, die Beine an den Körper gezogen und den Kopf auf Faramirs Schoß gelegt. Er hielt ihre Hand und spürte, wie sie abwesend mit seinen Fingern spielte, bis sie wieder eingeschlafen zu sein schien. Er wusste nicht, wie lange sie so dasaßen, aber schließlich wurde auch er von seiner Erschöpfung überwältigt und er konnte nichts mehr dagegen tun, Aerilyn in das Land der Träume zu folgen.
Boromir öffnete sehr langsam seine Augen und der erste Laut, den er von sich gab, war ein schmerzerfülltes Stöhnen. Er fühlte sich, als ob jeder einzelne Knochen in seinem Körper gebrochen war und der größte Teil seiner Haut brannte wie Feuer, während seine Hände kalt wie Eis waren. Der pulsierende Schmerz in seinem Kopf war so heftig, dass ihm davon übel wurde und er konnte sich kaum bewegen oder auch nur klar sehen. Er blinzelte ein paar mal und mit großer Anstrengung als er spürte, dass jemand seinen Unterarm berührte. Allmählich konnte er etwas erkennen, und er konnte nicht glauben was er sah. Sein Verstand spielte ihm offensichtlich einen grausamen Streich, aber sie wirkte so real…
„Aerilyn?" flüsterte Boromir ungläubig, sein Blick über ihr Gesicht fahrend.
„Ja, ich bin es," flüsterte sie zurück und ergriff seine Hand.
„Aber warum… Wie… Bin ich tot?" fragte er verwirrt, seine Stimme heiser und schwach. Ein Lächeln entfaltete sich auf ihrem Gesicht und sie schüttelte zaghaft den Kopf.
„Nein, du bist zuhause. In Minas Tirith."
„Minas Tirith?" echote Boromir kraftlos, die Stirn in Falten legend.
„Ja. In den Häusern der Heilung," erklärte Aerilyn langsam. Sie betonte jedes Wort, so als ob sie mit einem kleinen Kind reden würde, das sie anders nicht verstehen würde.
„Aber wie kommt es, dass du hier bist?" fragte er beinahe unhörbar und schluckte mühsam.
„Naja, ich werde deine Gemahlin werden, daher lebe ich auch hier," sagte sie mit einem Lächeln.
„Nein, ich meinte… Du bist nicht tot?"
„Ich bin nicht tot," sagte sie und drückte vorsichtig seine Hand, „Und ich bin so glücklich, dass du es auch nicht bist."
„Aerilyn," flüsterte Boromir noch einmal und wollte seine Hand heben um ihre Wange zu streicheln, aber er konnte nicht die dazu erforderliche Kraft aufbringen. Er seufzte frustriert und blickte ihr wieder in die Augen. „Was passiert ist tut mir leid."
„Es war doch nicht deine Schuld, und du musstest weitaus mehr erleiden als ich," erwiderte sie, hob seine Hand und lehnte ihren Kopf gegen sie, ihr Gesicht in seine Handfläche schmiegend.
„Ich habe sie doch auch nicht bemerkt," sagte sie.
„Ich hätte sie aber bemerken müssen. Ich hätte dich beschützen müssen."
„Es ist nicht deine Schuld," wiederholte sie im Flüsterton, drehte ihren Kopf und küsste ihn auf die Handfläche. Dann nahm sie seine Hand wieder in ihre und fuhr fort, seinen Handrücken mit den Fingerspitzen zu streicheln. Für einige stille Augenblicke sahen sie sich bloß in die Augen und genossen es, dem anderen wieder nahe zu sein.
„Wie geht es Faramir?" wollte Boromir plötzlich wissen, seine Stimme kaum mehr als ein raspelndes Wispern.
„Es geht ihm gut. Er schläft im Raum gleich nebenan," erzählte Aerilyn ihm. Als sie sah, dass seine Augen kurz aufleuchteten, fuhr sie fort: „Faramir hat für Stunden an deiner Seite gesessen und darauf gewartet, dass du aufwachst. Er wollte nicht gehen, bevor du nicht deine Augen geöffnet hast, obwohl er vor Müdigkeit kaum noch seine eigenen aufhalten konnte. Ich musste ihn beinahe ins Bett prügeln."
„Tatsächlich?" fragte Boromir und ein erschöpftes Lächeln flackerte in seinem geschundenen Gesicht auf.
„Ja, Faramir liebt dich über alles," versicherte Aerilyn ihm. „Möchtest du, dass ich ihn hole?"
„Nein," sagte Boromir und schluckte schwerfällig. „Lass ihn schlafen."
„Er wird kommen und dich besuchen sobald er wieder aufgewacht ist," sagte Aerilyn mit einem Lächeln, das schnell wieder verflog als Boromir keine Reaktion zeigte. Seine Augen waren wieder zugefallen und seine Finger hatten auch die erschöpfte Kraft verloren, mit der er ihre Hand gehalten hatte.
„Boromir?" fragte sie ängstlich und beugte sich tiefer hinab um hören zu können, ob er atmete. Er tat es, aber sehr langsam und flach.
„Verlass mich nicht, Boromir," bat sie verzweifelt und beugte ihren Kopf um ihn zu küssen. Tränen sammelten sich in ihren Augen als sie seine kalten, bewegungslosen Lippen unter ihren spürte. Natürlich war er zu schwach ihren Kuss zu erwidern. Es war beinahe, als ob sie eine Leiche küssen würde.
„Bitte, nicht…" wisperte sie und streichelte seine Wange. „Ich liebe dich. Bitte lass mich nicht alleine."
Nach einer kurzen, angespannten Pause fügte sie mit einer sehr leisen Stimme hinzu: „Wir brauchen dich doch."
Sehr langsam öffnete Boromir einen winzigen Spalt weit seine Augen und sah ihn Aerilyns nasses und errötetes Gesicht.
„Wir?" wiederholte er verwundert, mit einer mehr als leisen Stimme und mit großer Anstrengung.
Aerilyn nickte zaghaft während noch mehr Tränen von ihren blutunterlaufenen Augen strömten, und sie schluckte schwer bevor sie ihm von ihrem Verdacht erzählte, der nun seit einigen Tagen in ihren Gedanken reifte.
„Ich glaube, ich erwarte ein Kind von dir."
~ to be continued ~
