Mit Sicherheit werde ich für dieses Kapitel von vielen mit faulem Obst beworfen.... Bitte seid nicht zu hart mit mir, es war für mich selbst schwer genug dieses Kapitel zu schreiben und vor allen Dingen fertigzustellen. Eigentlich gibt es hier keinen einzigen Inspirationssong, sondern ganz viele. Bei diesem Kapitel haben mich die Songs von Sophie Zelmani begleitet. Besonders herausragend ist dabei "My".

Kapitel 5
Der letzte Ausweg

Ein Fanfarenstoß erklang und eine bunt zusammengewürfelte Gauklertruppe trat ein... nein sie stürmte hinein, hinein in den großen Festsaal der festlich geschmückten Burg von Minas Tirith. Der Anführer der Truppe sprang in seinem enganliegenden Flickenkostüm aus dem Stand in die Luft, machte einen waghalsigen Salto, landete elegant und beugte ehrerbietig das Knie und den Kopf vor dem frisch vermählten Königspaar.

"Grüße überbringen wir dem Herrscherpaar von Gondor aus Lond Daer in Enedwaith. Eure Majestät, die Schönheit eurer Gemahlin wird schon heute von einem Ende Mittelerdes bis zum anderen besungen. Deshalb wollten wir euch unsere Aufwartung machen an diesem Freudentag. Irfan nennt man mich und ich habe meine talentierten Freunde mitgebracht, um Euch heute zu unterhalten."

Der Gaukler machte eine schnelle Handbewegung, der man kaum mit den Augen folgen konnte und plötzlich hielt er eine schneeweiße Rose in der Hand. Es schien fast so, als wäre sie aus seiner geschlossenen Faust gewachsen. Die Gäste ließen ein begeistertes 'Oh!' erklingen, doch Irfan, der Gaukler, winkte ab und wies auf eine schwarz verhüllte Gestalt, die hinter ihm theatralisch langsam hervortrat.

"Dies war nur ein kleiner, bescheidener Taschenzaubertrick, den ich Interessenten gerne beibringen werde, im Vergleich zu dem, was sie nun von Cairissa sehen werden."

Auf dieses Stichwort warf die Gestalt den Umhang von ihren Schultern. Die Person unter dem Umhang war ein zierliches, junges Mädchen mit gelocktem braunen Haar. Sie lächelte und warf dann schwungvoll eine Handvoll goldglitzernden Staub in die Luft, der sich augenblicklich in bunt flatternde Schmetterlinge verwandelte. Nun staunten die Hochzeitsgäste noch mehr.

Auch Aylena, die junge Frau aus Rohan, die von ihrem Vater nach Gondor als Hofdame der neuen Königin verbannt worden war, jauchzte entzückt auf und klatschte vergnügt in die Hände. Solche Feste hatte es in Rohan noch nie gegeben solange sie sich erinnern konnte. Sie empfand es inzwischen beinahe schon als großes Glück, dass ihr Vater sie nach Gondor geschickt hatte. Eine Bestrafung, so wie sie es befürchtet hatte, war es nicht. Die Aufgaben, die sie als Hofdame der Königin hatte, waren nicht besonders anstrengend. Eigentlich erwartete man von ihr nur, immer präsent zu sein und der Elbenkönigin den Aufenthalt in Gondor so angenehm wie möglich zu machen. Die ganze Angelegenheit hatte nur einen bitteren Beigeschmack: Ihr Vater erwartete, dass sie binnen zwei Jahren mit einem Ritter oder gar einem Adeligen am Hofe König Aragorns vermählt war. Bisher hatte ihr, obwohl sie schon seit zwei Wochen in Minas Tirith war, allerdings noch niemand auch nur höfliches Interesse gezeigt, was ihr sehr zupaß kam.

Im übrigen gab es nur ganz selten Tage, an denen sie, auf dem Rücken ihrer Stute Siminda hinausreiten und die Umgebung erkunden konnte. So zu reiten, wie Aylena es tat, nämlich nicht im Damensitz und in Männerhosen, schickte sich nach Ansicht der Hofdamen einfach nicht.

Sabra, die gestrenge Frau des Burgvogts, die für die vielen adeligen oder wohlhabenden Hofdamen zuständig war, hatte im übrigen einen langen Brief von ihrem Vater erhalten. Aylena kannte den Inhalt des Briefes nicht genau aber so hartnäckig, wie Sabra ein Treffen nach dem anderen für Aylena mit irgendwelchen Edelmännern arrangierte, deren Namen und Gesichter sie schnell wieder vergessen hatte, konnte sie sich gut vorstellen, was in diesem Brief gestanden hatte.

Aylena seufzte und blickte dann bewundernd auf die Königin. Sie sah einfach hinreißend aus in ihrem wertvollen Brautkleid, aus edelsten Stoffen und mit Gemmen bestickt, die die Farbe ihrer Augen hatten. Gemeinsam mit den anderen Hofdamen, die aus allen Ländern Mittelerdes kamen und ihr inzwischen zu Freundinnen geworden waren, hatte sie den seidig glänzenden Schleier der schönen, elbischen Königin Arwen Undomiel mit Gold- und Silberfäden bestickt. Erst ein einziges Mal in ihrem Leben hatte Aylena Elben gesehen, und zwar bei der Schlacht um die Hornburg. Seitdem wußte sie, dass Elben tatsächlich alterslos waren. Bis dahin hatte sie immer geglaubt, dass die Angehörigen des elbischen Volkes zwar unsterblich waren, jedoch mit der Zeit, genau wie Menschen, auch Anzeichen des Alters bekamen, so wie graue Haare oder Falten. Wenn man nun jedoch die Königin anschaute, dann konnte man kaum glauben, dass sie im Jahre 241 des dritten Zeitalters, das mit dem heutigen Tag der Krönung und der Hochzeit König Aragorns beendet war, geboren worden war. Aylena rechnete in Gedanken nach. Das würde also bedeuten, dass sie 2778 Jahre alt war. Was für eine unglaubliche Zahl! Dabei sah sie auf gar keinen Fall älter aus als Aylena und diese war schließlich erst 18 Jahre alt... und wie schön die Königin war. Es war einfach nicht gerecht. Kein Wunder, dass neben ihr alle anderen Frauen farblos und fad wirkten. Aylena hatte die jungen Männer bei Hofe darüber reden hören, dass sie es dem König gleichtun und Elbinnen zur Gemahlin nehmen wollten. Wie naiv sie doch waren. König Aragorn, der auch Estel oder Elessar genannt wurde, war selbst etwas besonderes. Er war, so erzählte man sich und Aylena ging davon aus, dass es die Wahrheit war und nicht aus dem Reich der Legenden stammte, bei Elben aufgewachsen, und zwar als Pflegesohn des Herrn Elrond von Bruchtal, dem Vater der Königin. Der König war also in der Nähe seiner jetzigen Gemahlin aufgewachsen und irgendwann hatten sie dann in Liebe zueinander gefunden, hatten verstanden, dass die Gefühle, die sie füreinander hegten mehr waren als die, die man für eine Schwester oder einen Bruder empfindet.

Wie romantisch diese Geschichte war. Aylena geriet ins Schwärmen. So etwas wünschte sie sich irgendwann einmal auch für sich.... irgendwann. Sie sah, wie die Königin ihre Hand auf die ihres Gemahls legte. Es war eine so liebevolle Geste voller Vertrauen und Zuneigung, das es auch Aylenas Herz erwärmte. Neid konnte man im Zusammenhang mit der Königin gar nicht empfinden.

"Aragorn, mein König Elessar, ich bin so froh, dass alle gekommen sind. Es ist ein so herrliches Fest. Auch in Imladris selbst hätte es nicht schöner sein können", hörte Aylena die Königin sagen.

Sie wollte das Königspaar wirklich nicht belauschen, doch sie stand so nahe bei ihm, dass sie jedes Wort verstehen konnte.

Der König beugte sich zu seiner Gemahlin und küßte sie sanft auf die Wange, dann sagte er:

"Liebste, man kann es nicht mit den Festen in Imladris vergleichen, glaube mir, wenn ich es dir sage, oft genug habe ich sie selbst erlebt. Aber ich will aus Minas Tirith einen Platz des Friedens und der Freude machen. Für mich, für dich und vor allem anderen für unser Volk", versprach der König.

Arwen seufzte und wies mit einer unauffälligen Handbewegung auf jemandem im Festsaal.

Sie senkte ihre Stimme und beugte sich zu ihrem Gemahl herüber, so das Aylena sie kaum noch verstehen konnte aber gerade dadurch wurde ihre Neugier nun geweckt.

"Für ihn ist es, wie es scheint, wohl kein Tag der Freude. Es tut mir leid, ihn so zu sehen."

Aylena folgte mit ihrem Blick der Handbewegung der Königin und erblickte am Ende des Festsaales, nahe bei der großen Tür an der Wand lehnend, jemanden, der ihr irgendwie bekannt vorkam.

Während sie noch nachdachte, sprach der König weiter:

"Ja, es ist eine Tragödie. Der Krieg war ja eigentlich schon beendet, als es geschah. Mein Herz ist jedoch voller Hoffnung, dass ich sein Kommen als gutes Zeichen werten kann. In unserer gemeinsamen Zeit habe ich ihn als unverzichtbaren, starken und loyalen Freund kennengelernt. Niemand hat diesen Schmerz weniger verdient als er."

'Was war denn geschehen?' fragte Aylena sich voller aufkeimender Neugier. Das Gesicht des jungen Mannes mit den langen blonden Haaren erinnerte sie an ihre Heimat Rohan und die Hornburg. Er war ein Elb, so viel konnte sie sagen. Dass er blond war, verriet ihr weiterhin, dass er ein Angehöriger des Waldvolkes sein mußte, das den Menschen von Rohan bei der Schlacht um Helm's Klamm zur Hilfe geeilt war. Es störte sie, dass ihr nicht einfallen wollte, woher sie gerade diesen Elben kannte. Auf jeden Fall mußte er einer von denen sein, die bei der Hornburg gekämpft haben, so viel war sicher. Aylena nahm sich vor, herauszufinden, was geschehen war. Allerdings mußte sie damit warten, bis der König und die Königin den Tanz eröffneten und sie sich von ihrem Platz entfernen durfte.

~*~

Legolas bemühte sich, Arwen und Aragorn zuliebe, Freude zu empfinden. Es wollte ihm allerdings nicht recht gelingen. Es schien ihm, als hätte er vergessen, wie sich Freude anfühlte. Gerade noch hatte eine Gauklertruppe einige Kunststücke vorgeführt. Sie bestand aus Akrobaten, einer Zauberin und einem Feuerschlucker. Das Programm, das sie dargeboten hatten, war eher zweitklassig obwohl die Künstler anscheinend schon alles gaben. Das schien die übrigen Hochzeitsgäste allerdings nicht zu stören. Alle waren glücklich, plapperten aufgeregt durcheinander. Sinnloses, gehaltloses Gerade über all die Dinge, die sie jetzt, da der Krieg beendet war tun würden. Mit Sicherheit schmiedeten die ersten der neu eingesetzten Adligen sogar schon ihre kleinen und größeren Intrigen untereinander und gegeneinander. Legolas schüttelte deprimiert den Kopf. Was hatte das alles für einen Sinn, wenn man sich nur noch danach sehnte, diese Welt zu verlassen. Er wollte diesen dumpfen, ständig präsenten Schmerz los werden, der an seinem Herz nagte, wie eine halb verhungerte Ratte im tiefsten Winter. Allerdings... er war ein Elb, gesegnet mit Unsterblichkeit wenn... ja wenn ihm sein Herz nicht brach, doch bisher schien sein gepeinigtes Herz keine Anstalten in dieser Richtung zu machen. Sein Vater war der Ansicht, dass er stark genug war, um diesen Sturm in seiner Seele und seinem Herzen zu überstehen. Dabei flehte er bei jedem Sonnenaufgang zu Iluvatar, ihn endlich zu erlösen. Nun lehnte er mit verschränkten Armen an der Wand und beobachtete mit einer gewissen Mißbilligung das fröhliche Treiben. Nach der festlichen Trauung, die zur einen Hälfte nach elbischen Bräuchen und zur anderen nach gondorianischer Tradition zelebriert worden war, hatte es zunächst ein ausgiebiges, feierliches Bankett gegeben. Anschließend hatte die Gauklertruppe den Festsaal betreten. Später, das wußte Legolas schon, würde eine Kapelle aufspielen und das Hochzeitspaar würde den Tanz eröffnen. Spätestens dann würde er den Saal verlassen und die Stille der Gärten aufsuchen. Was er nun am allerwenigsten ertragen konnte, waren glückliche Paare, die mit strahlenden Gesichtern in schwungvollem Reigen über das Parkett schwebten. Selbst sein Freund Gimli, der es letztendlich wohl leid gewesen war, seine düstere Laune zu ertragen, hatte eine goldgelockte Hobbitfrau an seiner Seite, mit der er sich angeregt unterhielt.

Ein Page in gondorianischer Livreé mit einem Tablett voll mit Rotwein gefüllter Pokale ging an ihm vorbei. Früher hatte er nur ganz selten Wein getrunken und wenn, dann nur mit viel Wasser verdünnt, nun hielt er den Pagen auf und griff sich einen der Pokale. Der samtig rote, schwere Wein schmeckte ausgezeichnet und machte zumindest seinen Kopf ein wenig leichter. Mit einem Zug leerte er den Pokal und stellte ihn zurück auf das Tablett. Der Page schaute ihn verblüfft an und wollte schnell weitergehen, doch Legolas sagte:

"Warte!"

Der Page tat, wie ihm geheißen und blieb stehen. Erneut griff Legolas nach einem bis zum Rand gefüllten Pokal.

Der Page blickte den Elbenfürsten besorgt an, denn es schien offensichtlich zu sein, dass er schon mehr getrunken hatte, als er vertrug und meinte:

"Herr, ihr solltet vorsichtiger...."

Doch Legolas unterbrach den Jungen mit verhaltener Wut in der Stimme:

"Laß das nur meine Sorge sein!"

Der Page schluckte, senkte den Blick und machte, das er wegkam.

Legolas lehnte sich wieder an die Wand und schaute in den Pokal mit der dunkelroten Flüssigkeit, als könne er darin den Sinn finden, warum er immer noch lebte. Aus diesem Grunde konnte er auch nicht sehen, dass Aragorn, entgegen der sonst so aufmerksamen Natur des jungen Königs niemanden der sich mit einem Anliegen an ihn wandte abzuweisen, zu welcher Zeit auch immer, die Leute ignorierte, die sich von beiden Seiten an ihn wandten um ihn zu seiner Vermählung und seiner Krönung zu gratulieren, um geradewegs mit besorgter Miene auf seinen Freund zuzugehen.

"Alae, mellon nîn! Ich hatte noch keine Gelegenheit, dich angemessen zu begrüßen", sagte der König von Gondor zu seinem elbischen Freund.

Legolas hob den Kopf, blickte Aragorn verstört an und erwiderte:

"Ich habe dir und Arwen bereits meine Aufwartung gemacht, gemeinsam mit meinem Vater und meinen Vettern."

Aragorn war sehr überrascht über die emotionslose Erwiderung. Er musterte seinen Freund aufmerksam. Er war blaß, seine Augen waren schwarz gerändert. Er war immer schon schlank gewesen, schlank und dennoch kräftig und ausdauernd. Jetzt war er abgemagert und seine Schultern hingen kraftlos herab.

Aragorn schenkte dem Elbenprinzen ein aufmunterndes Lächeln und bat ihn dann:

"Laß uns doch ein wenig nach draußen gehen. Ich muß unbedingt einmal unter vier Augen mit dir sprechen."

~*~

Aylena sah, dass der König und der Elb den Festsaal verließen, was ihre Neugier noch weiter anstachelte. Sie mußte unbedingt wissen, was da vor sich ging. Aber wie sollte sie von ihrem Platz bei der Königin fortkommen? In ihrer Kindheit hatte sie oft vorgegeben krank zu sein, wenn sie keine Lust auf etwas hatte. Sie hatte es sich nur lange genug einbilden müssen und schon sah sie elend genug aus, dass man ihr die Lüge abnahm. Also würde sie sich auch dieses Mal des bewährten Tricks bedienen.

~*~

Aragorn und Legolas erreichten die terrassenartig angelegten Gärten der Burg von Minas Tirith. Dort hielt sich zu diesem Zeitpunkt niemand auf und deshalb glaubte Aragorn, dass es genau der richtige Ort für ein Gespräch mit seinem Freund war.

"Legolas, es ist richtig, dass du und deine Familie uns schon begrüßt haben. Aber... wie soll ich sagen... das ist doch nicht die Art, wie sich zwei gute Freunde begrüßen sollten, vor allen Dingen, wenn es einem davon so schlecht geht wie dir. Ich würde gern wissen, wie ich dir ein wenig Trost spenden kann."

Legolas Augen versprühten wütende Blitze. Er verspürte immer noch keine Lust auf ein derartiges Gespräch.

"Wieso glaubst du, das du das vermagst? Du hast Mittelerde gerettet und bist als neuer König in Gondor aufgetaucht... aber auch du bist nicht allmächtig."

Die Reaktion des Elben machte den König noch trauriger. Obwohl er sich sicher war, nicht belauscht zu werden, fiel er nun ins Sindarin. Ein weiterer Grund war, das Legolas ihn besser verstehen würde, wenn er in seiner Sprache erklärte, was er dachte.

"Ai Legolas, man 'obennas lîn?[1] Man harnant i'ûr lîn annûr?[2]"

Legolas wich Aragorns Blick aus um sich zu sammeln, bevor er antwortete:

"Sag mir... 'Freund'... wie würdest du dich fühlen, wenn der Tod dir Arwen aus den Armen reißen würde? Boe ennin fired, gûr nîn breithannen[3]"

Er wollte noch etwas sagen, doch stattdessen senkte er den Kopf und starrte angestrengt auf den Kiesweg.

Aragorn seufzte tief. Es schien kein Herankommen an Legolas zu geben. Ein Schatten lag auf seinem Herzen und er schien selbst keine Interesse daran zu haben, ihn fortzuheben. Er war so verbittert, dass er sogar sein Herz gegen seine Freunde verhärtete. Er allerdings, der ja bei den Elben aus Bruchtal aufgewachsen war, wußte, dass auch ein solcher Verlust nicht den Tod für einen Elben bedeuten mußte.

Mit Liebeskummer verhielt es sich bei Elben ebenso wie bei den Menschen. Er 'konnte' einen umbringen, mußte es aber nicht zwangsläufig. Legolas schien im Moment allerdings den Tod vorzuziehen, was über alle Maße erschreckend war.

Immer noch nicht entmutigt fuhr Aragorn fort.

"Von Freund zu Freund: die Gedanken, die dir im Moment durch den Kopf gehen, finde ich beängstigend. Du solltest ein wenig hier in Gondor bleiben, bei mir und Arwen. Ein wenig Ablenkung kann nicht falsch sein. Ich glaube nicht, dass du an gebrochenem Herzen sterben wirst...."

Legolas' Kopf fuhr hoch und Aragorn erkannte sofort, dass er nahe daran war, die Beherrschung zu verlieren.

"Han ú-bulich istad? Han ú-cheniach![4]"

Er drehte sich um und machte sich auf den Weg, doch Aragorn rief ihm hinterher:

"Si dartho, Legolas. Unsere Unterhaltung ist noch nicht beendet. Komm her und schau mich an. Schau mich an, damit ich dir sagen kann, was ich sehe. Ich sehe einen Elben, einen stolzen Elbenprinzen. Ich sehe einen Krieger mit einem tapferen Herzen, der für den Frieden in Mittelerde an der Seite seiner Freunde gekämpft hat. Nichts hat dich jemals ins Wanken gebracht und immer standest du uns treu zur Seite. Jeder von uns hat Verluste erlitten und jeder von uns muß nun einen Weg finden, damit fertig zu werden. Iluvatar hat uns nicht den Sieg geschenkt, damit wir nun unser Leben gedankenlos wegwerfen. Was glaubst du, welche Verluste all die anderen Bewohner Mittelerdes erlitten. Wenn jeder von ihnen deshalb aufgeben würde, dann - vergib mir meinen Zynismus - hätten wir bald ein Bevölkerungsproblem. Verrate Arinwë nicht, indem du dich sinnlos betrinkst und darüber nachdenkst, freiwillig in den Tod zu gehen."

Legolas stand wie vom Blitz getroffen da. Seine Schultern waren angespannt und sein Rücken vollkommen gerade. Jedes Wort von Aragorn bohrte sich wie eine Pfeilspitze in sein ohnehin schon verletztes Herz. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten und wäre einfach fortgelaufen.

"Elessar! Gwanno o nîn, no meren na galu lîn![5]", sagte er ohne sich umzudrehen und seine Stimme klang schneidend und endgültig.

"Ja, ich denke, das wird das beste sein", sagte Aragorn, doch an dem Klang seiner Stimme verriet sich, das er nicht wirklich meinte, was er sagte. "Ich gehe aber ich bitte dich, über das nachzudenken, was ich gesagt habe."

Legolas hörte, wie sich Aragorns Schritte auf dem Kiesweg langsam entfernten. Er hatte geglaubt, der Freund würde vielleicht noch einmal stehenbleiben, um irgendetwas zu sagen. Vielleicht hatte er es sogar gehofft. Eigentlich wollte er nicht mit seinen düsteren Gedanken und Schuldgefühlen allein gelassen werden, doch er war zu stolz es zuzugeben.

Er schickte sich gerade an, in entgegengesetzter Richtung fortzugehen, als er ein leises, kaum vernehmbares Rascheln in den Hecken neben dem Kiesweg hörte. Blitzschnell drehte er sich um und suchte die Gebüsche mit seinen messerscharfen Blicken ab. Zwischen den dunkelgrünen Blättern einer Stechpalmenhecken, leuchtete elfenbeinfarbener Samt auf. Irgend jemand hatte ihn und Aragorn also belauscht. Legolas schalt sich selbst dafür, dass ihm das nicht früher aufgefallen war. Wäre er nicht so angetrunken gewesen, hätte er es gewiß früher bemerkt.

"Wer immer ihr seid. Wenn ihr jetzt genug gehört habt, würde ich euch bitten, doch endlich aus dem Gebüsch hervorzukommen."

Vorsichtshalber legte sich seine rechte Hand auf den Griff seines kleinen Dolches, den er ständig mit sich trug, selbst bei solchen offiziellen Anlässen.

Das Rascheln im Gebüsch wurde lauter und er konnte schließlich eine weibliche Stimme vor sich her fluchen hören. Offensichtlich stellte die Person gerade fest, dass es eine unglaublich schlechte Idee gewesen war, sich gerade in einem Stechpalmenbusch zu verstecken. Ein amüsiertes Zucken umspielte Legolas' Mundwinkel und überrascht stellte er selbst fest, dass es das erste Mal seit langer Zeit war, dass sein Gesicht ein Lächeln zierte.

Es war ein junges Mädchen, das nun aus dem Dickicht hervorgestapft kam und sich vor ihm sofort verneigte, als es den Kiesweg erreicht hatte.

"Verzeiht, Herr, ich hatte wirklich nicht die Absicht, euch und den König zu belauschen. Das müßt ihr mir einfach glauben. Ich kam nur ganz zufällig hier vorbei, weil mir nicht gut war und ich die Königin gebeten hatte, ein wenig an die frische Luft gehen zu dürfen", sagte die junge Frau im elfenbeinfarbenen Samtkleid.

"Und das soll ich euch jetzt glauben? Wieso habt ihr dann nicht, wie jeder normale Mensch, den Weg benutzt. Es sei denn, ihr findet Gefallen daran, eure Haut von Stechpalmen zerkratzen zu lassen, was ich kaum glaube.", meinte Legolas und entkräftete damit jegliche weitere Ausrede, die das Mädchen sich womöglich hätte einfallen lassen.

"Bitte steht schon auf und kniet nicht vor mir, als sei ich Iluvatar persönlich!", forderte er sie auf.

Sie kam dieser Aufforderung nach.

Als sie sich erhob und ihm direkt und ein wenig trotzig ins Gesicht schaute, erkannte Legolas sie.

"Ihr seid doch Aylena aus Rohan, nicht wahr? Es ist noch nicht lange her, das sich unsere Wege schon einmal kreuzten."

~*~

Niemals zuvor hatte Aylena in so traurige Augen geblickt. In vielen Dingen waren die Angehörigen des elbischen Volkes den Menschen voraus. Konnten sie auch mehr Trauer empfinden als ein Mensch, fragte sie sich.

Schon als sie den König und den Elben aus dem Gebüsch heraus beobachtet hatte, war ihr klargeworden, woher sie den Elben kannte. Es war der Prinz aus dem Düsterwald, der bei der Schlacht um Helm's Klamm einer der Hauptmänner des jetzigen Königs von Gondor gewesen war. Doch als sie damals auf ihn getroffen war, war er noch voller Hoffnung gewesen und das Blau seiner Augen war noch nicht von so viel Kummer überschattet.

Der Krieg war vorbei, die Menschen waren immer noch frei, Gondor hatte einen neuen König. Es war einfach nicht gerecht, das einer der Männer, die Mittelerde vor dem sicheren Untergang bewahrt hatte, so sehr leiden mußte.

Beinahe hätte sie vergessen, ihm zu antworten.

"Ja," sagte sie, "ich bin Aylena, Tochter Irograns, aus Rohan. Ich freue mich euch wiederzusehen, Prinz, wenn auch die Umstände besser sein könnten. Verzeiht, ich wollte nicht lauschen aber ich habe ein wenig von dem Gespräch zwischen euch und dem König mitbekommen und auch die Königin hat im Festsaal über euer Leid gesprochen. Ich möchte euch sagen, das es mir unglaublich leid, was immer euch geschehen ist."

Sie traute sich nicht, noch direkter zu werden. Aus dem, was der König mit seiner Königin besprochen hatte und dem, was sie von dem Gespräch zwischen dem König und dem Elben mitbekommen hatte, hatte sie sich zusammengereimt, das wohl etwas mit der Gemahlin oder einer engen Verwandten des Elbenprinzen passiert sein mußte.

Eine seiner geraden, dunkeln Augenbrauen fuhr in die Höhe. Aylena konnte diesen Blick, mit dem er sie jetzt musterte, nicht einordnen. Dann drehte er sich um und ging ein Stück den Weg hinunter zu einer Bank aus weißem Marmor. Dort ließ er sich nieder. Er lehnte sich zurück, legte den Kopf in den Nacken und schaute hinauf zu den Sternen. Aylena konnte nicht sagen, warum sie es tat, doch sie folgte ihm. Niemand, nicht einmal ein Elbenprinz, sollte in einer solchen Nacht alleine sein. Sie kniete sich ihm zu Füßen und ergriff nach kurzem Zögern seine rechte Hand.

"Ich verstehe nichts von Elben. Ihr seid der erste Elb, der das Wort an mich gerichtet hat, damals in Helm's Klamm. Ich weiß nur, dass ich niemals allein sein wollte, wenn ich großen Kummer hatte. Ihr braucht nichts zu sagen aber laßt mich einfach bei euch bleiben."

Legolas war überrascht. Sie war nur ein junges Mädchen aus Rohan aber sie war die erste, die von ihm nicht verlangte, sein Herz zu öffnen und über seinen Schmerz zu reden.

Er riß seinen Blick von den Sternen und blickte stattdessen Aylena an. Für einen kurzen Moment schwindelte ihm und er faßte sich stöhnend an den Kopf. Ob er vielleicht doch zu viel von dem Wein getrunken hatte? Als das Schwindelgefühl nachgelassen hatte, bemerkte er den besorgten und gleichzeitig erwartungsvollen Blick des Mädchens.

"Geht es euch gut, Herr?", fragte sie.

Legolas kniff die Augen zusammen, als er merkte, dass ihn abermals ein Schwindel ergriff. Wie viel Wein hatte er eigentlich getrunken? Er konnte sich nicht erinnern.

"So gut es einem betrunkenen Elben nur gehen kann.", erwiderte er zynisch.

Aylena stand auf, ohne seine Hand loszulassen und sagte leise:

"Vielleicht sollte ich euch zu euren Gemächern begleiten, Herr. Es ist offensichtlich, das es euch gar nicht gut geht und ich lasse euch wirklich nur ungern allein."

Legolas lachte heiser:

"Bei Iluvatar, ich bin ein Elb und für gewöhnlich bin ich derjenige, der dafür sorgt, das jungen Mädchen wie euch nichts geschieht."

Aylena schüttelte den Kopf und sagte:

"Im Moment seid ihr nichts weiter als betrunken. Kommt schon!"

Langsam und leicht taumelnd erhob sich der Elbenprinz.

Während sie sich langsam auf den Weg zu einem Bereich der Burg aufmachten, der für die elbischen Gäste des Königs reserviert war, hoffte Aylena inständig, dass sich außer ihnen niemand zu dieser Stunde in den Gärsten aufhielt. Nicht auszudenken, was das wieder für ein Gerede geben würde... der betrunkene Elbenprinz und die neue Hofdame der Königin. Sie konnte sich vorstellen, das die Plappermäuler der anderen Hofdamen wochenlang nicht stillstehen würden.

Allerdings konnte sie auch nicht leugnen, das sie sich in seiner Gesellschaft wohl fühlte. Sie schalt sich selbst für ihre Einfältigkeit. Natürlich fühlte sie sich wohl in seiner Gesellschaft. Er war ein Elb und als solcher umgab ihn eine magische Aura. Seine Hand lag warm und weich in ihrer. Wie ungewöhnlich für einen so großartigen Krieger. Immerhin, so erzählte die Geschichte der Ringgemeinschaft die bei Hofe erzählt wurde, hatte er viele harte Kämpfe durchlitten. Die Schlacht bei Helm's Klamm war nur einer davon. Die Gewandtheit des hochgewachsenen Elben mit seinem Langbogen, seine Reitkünste, die Art, wie er mit schwindelerregender Geschwindigkeit seine Schwerter schwang. Selbst jetzt, unter der Last unerträglichen Leids waren seine Bewegungen graziös und geschmeidig. Sie hatte jedoch erwartet, das seine Hände rauh und schwielig waren.

Vor einer Tür aus dunkelstem Ebenholz, die ganz offensichtlich von elbischen Handwerkern gefertigt worden war, blieben sie stehen.

"Hier sind meine Gemächer. Ich danke euch für eure Gesellschaft, meine Dame und dafür, das ihr mich vor weiteren Peinlichkeiten bewahrt habt.", sagte Legolas leise.

"Ich sorgte mich einfach um euch, nachdem ich erfahren hatte, was euch geschehen ist und ich wollte euch nicht allein zurücklassen. Der König hat harte Worte an euch gerichtet.", erwiderte Aylena.

Legolas lächelte leicht. Dann beugte er sich vor und küßte sie flüchtig auf den Mund. Er konnte nicht einmal sagen, warum er das tat aber es schien ihr zu gefallen, denn sie schloß die Augen und atmete anschließend zitternd aus. War sie letzten Endes doch nur eine Träumerin, wie alle anderen menschlichen Mädchen?

"Süße Lügen von noch süßeren Lippen. Macht euch nicht lustig über meinen Schmerz. Das tun schon alle anderen. Ihr seht in mir nur einen Elben, ein magisches Wesen in euren Augen mit dem ihr das Lager teilen wollt. Geht und erzählt euren Freundinnen von dem Abend, den ihr mit Legolas Thranduilien, dem Prinzen des Düsterwaldes verbracht habt."

Schlagartig öffnete Aylena die Augen. Sie glaubte sich verhört zu haben. Von dem sagenumwobenen Feingefühl der Elben schien dieser hier keine Spur zu besitzen. Sie hoffte für ihn, dass das nur an dem übermäßigen Alkoholgenuß lag.

Von jetzt auf gleich wandelte sich ihr Mitgefuehl in Entruestung ueber eine solche Anschuldigung und mit kaum verhaltenem Zorn erwiwderte sie:

"Ich bin zwar 'nur' ein Mensch aber das gibt euch noch lange nicht das Recht, das ihr an meiner Aufrichtigkeit zweifelt. Nicht eine Sekunde habe ich daran gedacht, diese Nacht auf welche Art auch immer mit euch zu verbringen. Meine Sorge ist... war ehrlicher Natur, doch anscheinend seid ihr an 'dieser' Art Aufmerksamkeit gar nicht interessiert. Ich wünsche euch eine gute Nacht."

Sie wandte sich zum Gehen, blieb jedoch stehen, als sie seine gemurmelte Entschuldigung vernahm.

"Verzeiht, es ist wohl der Alkohol der aus mir spricht."

Kurz darauf hörte sie nur noch das Geräusch einer sich schließenden Tür.

Aylena schüttelte den Kopf. Sie hatte immer geglaubt, Elben seinen würdevoll und stünden in allem, was sie taten über den Dingen. Dieser hier, dieser edle Prinz, hatte anscheinend nur allzu menschliche Probleme und von dieser würdevollen Aura, die für gewöhnlich Elben zu umgeben schien, war bei ihm nicht mehr viel vorhanden.

~*~

Was war nur in ihn gefahren? Er erkannte sich selbst nicht wieder. Schwankend und mit vom Alkohol umnebelten Kopf stand Legolas verloren in seinen Gemächern. Er ging umher und beleidigte jeden, der sich um ihn sorgte, schlug die Hilfe alter Freunde aus und verspottete diejenigen, die ehrliches Mitgefühl mit ihm hatten. Wertlos, nutzlos war er. Er war eine Zumutung für alle in seinem Umfeld. Die, die früher seine Gesellschaft gesucht hatten, konnten ihn nun kaum noch ertragen, doch keiner wagte es sich, ihm dies ins Gesicht zu sagen.

Er taumelte zu dem großen Spiegel, der auf einer Kommode stand, um diesen mit seinem Reisemantel zu verhängen, damit er sein eigenes Gesicht nicht mehr ertragen mußte. Als er die Kommode erreichte, fiel sein Blick auf das Spiegelbild des Dolches an seinem Gürtel. Das Gold am Griff glitzerte verführerisch. Vielleicht war es ja an der Zeit, sein langes Sterben zu beenden. Warum sollte er noch Jahre in Trauer um Arinwë verbringen, wenn er selbst es in der Hand hatte, alles zu beschleunigen?

Er nahm den Dolch aus seiner Scheide und berührte mit dem Zeigefinger zaghaft das kühle, glatte Metall der Klinge... es war ein beruhigendes Gefühl. Er schloß die Augen und atmete tief ein und wieder aus. Sein ganzer Körper zitterte, aber es war nicht die Angst vor dem, was er vorhatte, sondern ein niemals gekanntes Gefühl freudiger Erwartung.

Er öffnete die Augen. Das Licht des Mondes, der durch das Fenster des Gemachs schien, reflektierte auf der Klinge, als er sie langsam herumdrehte und über sein linkes Handgelenk legte. Ein kurzer, tiefer Schnitt... kein Schmerz, nur warmes Blut, das zunächst langsam und dann unaufhaltsam aus der Wunde lief. Fasziniert schaute er zu, wie das dunkelrote Lebenselixier zu Boden tropfte. Die Welt um ihn herum, begann sich langsam zu drehen. Seine Beine trugen sein Gewicht nicht mehr und er fiel auf die Knie. Mit einem entrückten Lächeln stellte er fest, das der dumpfe Schmerz, der sein Herz so gequält hatte, wie fortgeblasen war. 'Arinwë, erwarte mich. Ich komme zu dir!' war sein letzter Gedanke und dann wurde es dunkel....

... to be continued. Ich hab' ja gesagt, ihr werdet mir böse sein! Aber um eines klarzustellen: Ich will auf gar keinen Fall Selbstmord verherrlichen es geht hier wirklich nur um die Dramaturgie einer Geschichte. Natürlich ist der Freitod NICHT DER LETZTE AUSWEG! ----------------------- [1] Ai Legolas, man 'obennas lîn? = Oh Legolas, was ist mit dir geschehen? [2] Man harnant i'ûr lîn annûr? = Was hat deine Seele so tief verletzt? [3] Boe ennin fired, gûr nîn breithannen = Ich sollte sterben, denn mein Herz ist gebrochen. [4] Han ú-bulich istad? Han ú-cheniach! = Woher willst du das wissen? Du verstehst nichts davon! [5] Elessar! Gwanno o nîn, no meren na galu lîn! = Elessar! Laß mich in Frieden, feiere du nur dein Glück!