Ich habe mein Beta wiedergefunden! Was würde ich nur ohne Gabi machen, die mir hier und da immer wieder auf die Füße tritt, was ich eigentlich für einen Quatsch schreibe. Dennoch... nicht ihretwegen, denn sie hat wieder ihr bestes gegeben... aber meinetwegen ist dieses Kapitel eher ein Verlegenheitskapitel. Ich glaube, dass die Story schon zu lang ist aber entscheidet selbst...

Kapitel 7
...und euch neuen Mut zu geben

Aylena gähnte. Für sie war es eine unglaublich lange Nacht gewesen. Und das war nicht einmal übertrieben, denn anders als ein Elb hätte sie erholsamen Schlaf eigentlich dringend nötig gehabt. Doch das warme Lächeln, dass der Patient, der sich in ihrer Obhut befand, ihr dafür schenkte, entlohnte sie um ein vielfaches für die rotgeränderten Augen, die sie nur noch mit einiger Mühe offen halten konnte.

"Es tut mir leid, dass ich euch mit meiner unglaublichen Dummheit um den Schlaf gebracht habe. Ich fühle mich sehr unwohl und frage mich, warum ihr mich gerettet habt. Mein Wunsch zu sterben war doch offensichtlich."

Aylena blickte ihn überrascht an. Er hatte doch wohl nicht wirklich angenommen, dass sie ihn seinem Schicksal überlassen hätte, nachdem sie ihn... so aufgefunden hatte. Sie hatte einfach nicht gewollt, dass er...

"Das kann einfach nicht euer Ernst sein. Nun, ob es euer Wunsch war oder nicht. Es war eine Pflicht, euch zu helfen. Es ist nicht richtig, so aus dem Leben zu treten, egal aus welchen Gründen."

Zwischen einem weiteren Gähnen und einem ausgedehnten Recken ihrer verkrampften Glieder brachte Aylena hervor:

"Hoffentlicht versteht ihr jetzt selbst auch, dass es eine falsche Entscheidung war. Nichts ist jemals leicht. Es gibt da ein altes Sprichwort bei uns in Rohan. Es lautet: Es gibt auf dieser Welt für alles eine Zeit. Eine Zeit zum Weinen, eine Zeit zum Trauern, eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum Glücklichsein und eine Zeit um zu Lachen. Ich hoffe, dass eure Wunden bald heilen und dass ihr bald euer Lächeln wiederfindet. Mein... Vater hat sicherlich ebenso gelitten, als er meine Mutter verloren hat aber... schaut, er hat es auch niemals aufgegeben. Er hat mir erzählt, als ich noch ganz klein war, dass er manchmal das Gefühl hätte, sie wäre immer noch bei uns und gäbe auf uns alle Acht."

Die ganze Nacht hatte das junge Mädchen aus Rohan die Hand des Prinzen gehalten und ihm aufmerksam zugehört während er von seiner verstorbenen Gemahlin erzählt hatte. Nun stand sie auf um die Vorhänge an allen Fenstern des Gemachs zur Seite zu ziehen und die Sonne des neuen Tages und die frische Luft hereinzulassen.

"Seht ihr, ein neuer Tag hat begonnen, Prinz", sagte sie beiläufig doch sie hatte dies durchaus doppeldeutig gemeint.

Ein neugieriger Blick über ihre Schulter verriet ihr, dass Legolas dies sehr wohl verstanden hatte. Er saß grübelnd auf der Kante des Bettes und murmelte:

"Ein neuer Tag!"

'Eine Kupfermünze für eure Gedanken', dachte Aylena. Der abwesende Blick seiner Augen verriet ihr, dass er sich anscheinend fragte, was dieser neue Tag wohl für ihn bringen würde. Sie konnte es zwar nicht mit Sicherheit wissen aber das wären zumindest auch die Gedanken, die ihr durch den Kopf gehen würden. Es wäre auch ein gutes Zeichen, denn das würde bedeuten, dass der Lebensmut doch noch als kleine Flamme in ihm weiterflackerte. Dieser Flamme mußte nur Nahrung gegeben werden, damit sie wieder zu einem hell auflodernden Feuer wurde.

In der Ecke, in der der lederne Sessel stand, kündigten einige brummende Unmutsgeräusche an, dass auch der Zwerg langsam erwachte.

"...weshalb, bei den unerforschten Tiefen, liege ich hier eigentlich wie ein nasser Sack in diesem unbequemen Stuhl? Es ist tatsächlich entwürdigend!" knurrte Gimli.

Dann, als er Legolas erblickte, kam anscheinend seine Erinnerung wieder.

"Ja natürlich! Du! Na, mit dir habe ich vielleicht noch ein Hühnchen zu rupfen. Ach, was sag ich, einen ganzen Hühnerstall. Du dummer Junge, wie kannst du mir so was nur antun? Du hast mich... na sagen wir mal, zumindest beinahe zu Tode erschreckt. Ich glaubte doch bisher, du hast mehr Verstand in deinem Elbenhirn...." schimpfte er dann drauflos und seine Tirade wollte lange kein Ende nehmen.

Aylena konnte nicht umhin, über die Besorgnis des Zwergen zu schmunzeln. Vor allen Dingen, dass er den Prinzen aus Eryn Lasgalen einen 'dummen Jungen' nannte, fand sie höchst amüsant.

"Gimli, bitte gib' doch endlich Ruhe. Ich sehe es ja ein... und ich denke", er warf Aylena einen vielsagenden Blick zu, der diese bis in die Haarspitzen erröten ließ, "dank ihr bin ich wohl auf dem besten Weg meinen Schmerz zu bewältigen. Es wird ein langer und auf keinen Fall leichter Weg und dazu gehört, dass ich jetzt mit meinem Vater sprechen muß. Wo ist er?"

Aylena und Gimli blickten sich unschlüssig an. Aylena fand, dass Gimli, der als sein bester Freund galt, ihm erzählen sollte, was in der Nacht zuvor, als er ohne Bewußtsein war, an seinem Bett geschehen war. Sie machte einen höflichen Knicks und sagte:

"Ich denke, ich werde euch für einen Moment allein lassen."

Gimli räusperte sich und nickte.

Aylena verließ das Zimmer und schloß leise die Tür hinter sich.

~*~

Gimli stand auf und ergriff seine große Axt, die er selbst auf dem Fest bei sich getragen hatte. Sie war für ihn nicht nur eine Waffe, sondern auch ein Symbol seines Standes unter den Zwergen. Nervös ließ er seine Finger immer wieder über die kantigen, zwergischen Runen auf der Klinge gleiten und er wagte es nicht, seinen Elbenfreund anzuschauen. Bei den unerforschten Stollen und all ihren verborgenen Schätzen, warum mußte auch ausgerechnet er dem Elben erklären, dass sein Vater sehr, sehr wütend auf ihn war, obwohl er, als Zwerg, nicht einmal den Grund wirklich verstand. Gimli korrigierte sich in Gedanken. Sehr wütend war tatsächlich noch untertrieben.

"Legolas, ich muß dir leider sagen... nun, dein Vater ist nicht mehr hier. Er ist nach all den Ereignissen gestern Abend mit seiner gesamten Gefolgschaft abgereist. Nein, warte... dein Bruder ist wohl noch hier..."

Legolas unterbrach Gimli. Er glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. Sein Vater konnte ihn nicht verlassen haben, jetzt wo er am dringendsten seine Nähe gebraucht hätte, ein Gespräch von Vater zu Sohn gebraucht hätte. Aber auch Thranduil war ein sehr stolzer Mann. Er hatte mit Sicherheit noch immer in Erinnerung, wie Legolas mit ihm gesprochen hatte. Auch aus diesem Grunde hatte er mit seinem Vater sprechen wollen. Dies durfte nicht mehr zwischen ihnen stehen. Und nun war er einfach ohne ein Wort aufgebrochen.

"Was hast du gesagt?" fragte er ungläubig.

Zögernd fuhr Gimli fort:

"Also, er hat irgend etwas erzählt von den Sitten bei den Elben aus Eryn Lasgalen und noch weitere solcher Sachen. Ich habe das nicht ganz verstanden. Vielleicht solltest du besser mit deinem Bruder darüber sprechen. Ich könnte ihn für dich holen."

Diesen Vorschlag hatte Gimli selbstverständlich nur gemacht, um sich selbst aus dieser unangenehmen Lage zu bringen. Sein Freund hatte wirklich schon genug gelitten. Warum mußte ausgerechnet ihm die Aufgabe zufallen, ihm davon zu erzählen, dass sein Vater sich von ihm losgesagt hatte? So viel Enttäuschung war in der unergründlichen Tiefe von Legolas' Augen, dass Gimli diesem Blick unmöglich standhalten konnte.

Legolas gab Gimli keine Antwort. Mit einem Schrei, voller verzweifelter Wut sprang er auf, so hastig, dass er den Stuhl, auf dem Aylena die ganze Nacht gesessen hatte, mit lautem Gepolter umfiel. Es gab Gesetze und Regeln in Eryn Lasgalen. Eines davon war, dass es ein nicht wiedergutzumachender Frevel war, wenn ein Elb versuchte, sich das Leben zu nehmen. Selbstverständlich hatte er an dieses Gesetz nicht gedacht, als er nach dem Messer gegriffen hatte. Er hatte genau genommen an nichts außer den unerträglichen Schmerz in seinem Herzen gedacht. Nun mußte er die Konsequenzen für sein unüberlegtes Handeln tragen.

'Das war nun wirklich zuviel für ihn', dachte Gimli.

Er machte Anstalten, sich ihm zu nähern, doch Legolas Blick, welchen er ihm zuwarf, hielt ihn augenblicklich davon ab. Er schob den Zwergen ungestüm beiseite und rannte aus dem Zimmer.

~*~

Aylena, die auf dem Weg zu ihrem eigenen Zimmer war, um endlich die Ruhe zu bekommen, die sie dringend nötig hatte, war sehr überrascht, als sie Legolas plötzlich an sich vorbeihasten sah. Sie vermutete, dass der Zwerg wohl nicht sehr sensibel mit ihm umgesprungen, und direkt mit der Tür ins Haus gefallen war.

"Prinz, nicht doch!", ihre Worte überschlugen sich fast, "Ich... ach... Herr Elrond ist doch noch nicht bei euch gewesen", rief sie hinter ihm her, doch entweder hörte er sie tatsächlich nicht oder er wollte sie nicht hören.

Sie ging eher von letzterem aus. Er lief in Richtung der Stallungen. Sie glaubte nicht, dass sie ihn zu Fuß einholen würde, doch in dem selben Stall, zu dem ihn offensichtlich sein Weg führte, war auch Siminda untergestellt, Aylenas Falbstute, auf die sie unter gar keinen Umständen hatte verzichten wollen. Wenn Legolas also vorhatte, irgendwo hin zu reiten, dann würde sie zumindest auf Simindas Rücken eine Chance haben, ihn einzuholen. Jedenfalls würde sie ihn nicht aus den Augen lassen, damit er womöglich ein weiteres Mal auf dumme Gedanken kam. Sie lief also los, zu den Ställen. Als sie feststellte, dass ihr langes Kleid, sie daran hinderte, wirklich schnell zu sein, blieb sie fluchend stehen hob das Kleid hoch und steckte den Saum in den Gürtel, so dass es ihr nur noch bis zu den Knien ging. Dann lief sie zu den Ställen, die verwunderten Blicke all derer ignorierend, die sie so sahen. Als sie diese erreichte, ritt Legolas schon auf seinem grauen Pferd aus dem großen zweiflügeligen Stalltor heraus.

"Wartet! Legolas wartet! Ich muß mit euch reden!" rief sie hinter ihm her, doch zog es anscheinend vor, sie nicht zu beachten.

Aylena lief zum Stall, wo sie von Siminda schon mit einem freudigen, erwartungsvollen Wiehern begrüßt wurde. Aylena nahm sich gerade Zeit, um der Stute eine Satteldecke über den Rücken zu werfen.

"Tut mir leid, Liebes, keine Zeit für lange Begrüßungsszenen. Wir müssen einen Elbenprinzen davon abhalten, unbedachte Dinge zu tun."

Hastig erklomm sie Simindas Rücken, dann preßte sie ihr die Schenkel in die Flanken und schon ging der wilde Ritt los. Zunächst befürchtete sie, Legolas nicht mehr einzuholen, da sie ihn nicht mehr sehen konnte, als sie die Reitertreppe erreichte, die von der Burg Minas Tirith hinab in die Stadt selbigen Namens führte. Normalerweise galoppierte man eine solche Reitertreppe nicht hinunter, schon gar nicht in einem solchen halsbrecherischen Tempo, allerdings wollte sie Legolas unbedingt einholen. Sie sorgte sich wirklich um ihn, nicht nur, weil die Königin ihr aufgetragen hatte, nach ihm zu sehen. Sein Leben brach gerade zusammen wie ein Kartenhaus und Aylena war sich sicher, dass das für einen Unsterblichen eine ganz besondere Härte darstellte. Aus allen Geschichten über Elben und von den Erzählungen derer, die mit Elben zu tun hatten, wußte sie, dass sie aufgrund ihrer Unsterblichkeit besonders unter solchen Veränderungen litten, wie Legolas sie gerade durchmachte.

Als sie in die Stadt hinunter kam, mußte sie ihre Geschwindigkeit zu einem gemächlichen Trab drosseln, den sie in dieser Situation als nervenaufreibend empfand. Aber sie konnte auch nicht einfach die Leute über den Haufen reiten, die trotz der frühen Stunde schon die Straßen bevölkerten. Einige der Passanten warfen ihr aber dennoch empörte Blicke hinterher. Denen, die ihr etwas erbost hinterherschrien, konnte sie im Vorbeireiten nur ein verlegenes "'Tschuldigung" zurufen. Sie war heilfroh, als sie endlich das Stadttor erreichte.

Nachdem sie es passiert hatte, konnte sie Siminda endlich wieder galoppieren lassen. Das Pferd des Prinzen hatte im taufeuchten Gras eine deutlich sichtbare Spur hinterlassen, die auch sie als ungeübte Fährtenleserin erkennen konnte. Sie führte hinunter, südöstlich zum Anduin, der nahe der Stadt dahin floß. Aus Gesprächen mit den anderen Zofen der Königin, die aus Gondor stammten, wußte sie, dass es weiter im Süden keine befestigte Brücke mehr über den Anduin gab. Aylena stockte für eine Sekunde der Atem. Er würde doch nicht...?

Als spürte Siminda die Unruhe ihrer Herrin, beschleunigte die Stute abermals ihren Lauf und preschte nun in gestrecktem Galopp über die Ebene. Jene, die nicht die edlen Pferde aus Rohan kannten, hätten nicht geglaubt, dass das überhaupt noch möglich wäre, da der schnelle Schritt der Stute bei anderen Pferden schon fast als Galopp galt, doch die langbeinige Falbstute meisterte diese Geschwindigkeit ohne größere Probleme. Mit dem grauen Hengst, den Legolas ritt und der - so hatte Aylena es zumindest gehört - ebenfalls aus Rohan stammte, konnte sie allemal mithalten.

Aylena atmete erleichtert auf, als sie die einsame Gestalt des Elbenprinzen bei dem blauglitzernden Band des Flusses stehen sah, das sich sanft durch die Landschaft schlängelte. Langsam ritt sie zu ihm heran.

Ohne sich umzudrehen sagte er leise:

"Aylena, warum seid ihr mir bloß gefolgt? Ich habe euch beschimpft, euch einen Schrecken eingejagt und euch um den Schlaf gebracht. Habe ich euch wirklich noch nicht genug Unannehmlichkeiten bereitet? Ich bin wirklich niemand, der so viel Aufmerksamkeit verdient.... Ich will euch nicht schon wieder verletzen aber ich bin eigentlich nicht in der Stimmung für ein weiteres Gespräch."

Der frische Wind, der ihm während des Rittes hierher ins Gesicht geweht hatte, hatte seine Gedanken geklärt und seine Wut ein wenig verrauchen lassen. Warum sollte er auch wütend sein. Letztendlich hatte er sich das alles ja selbst zuzuschreiben.

Aylenas Augenbrauen zogen sich verärgert zusammen, was ihn eigenartigerweise zum Schweigen brachte. Während sie sich behende von Simindas Rücken schwang sagte sie:

"Ach, seid doch still. Ich weiß nicht, ob es eine Eigenart der Elben ist aber euer ewiges Selbstmitleid ist unerträglich. Hört ihr euch eigentlich selbst reden? Vielleicht liegt es ja an der langen Zeit, die ihr schon auf der Erde wandelt aber meine Guete redet ihr einen s Unsinn!"

Vollkommen verblüfft über Aylenas Worte, blinzelte er sie sekundenlang sprachlos an. Dann drehte er sich langsam um und ging einige Schritte näher zum Ufer, ließ die verärgerte Aylena einfach stehen.

Er setzte sich in das Gras am Ufer und begann leise zu sprechen:

"Ihr wißt offensichtlich wirklich nicht sehr viel von meinem Volk, nicht wahr? Ihr habt ein paar Elben in der Schlacht um Helm's Klamm gesehen, ihr seid eine Zofe der Königin und aus irgendeinem Grund hat Elrond euch aufgetragen, für mich zu sorgen. Aber von unseren Sitten und Gebräuchen wißt ihr eigentlich nichts. Ihr habt mir die Augen dafür geöffnet, dass dieser... das diese Dummheit.... nun, eben genau das war - eine Dummheit. Ich lebe noch aber ich kann nicht umhin mir immer noch zu wünschen, dass es nicht so wäre. Meine Gemahlin ist tot, meine Schwester wurde verschleppt und der Rest meiner Familie hat sich von mir abgewandt. Was bleibt mir denn noch außer Einsamkeit? Es ist ja meine eigene Schuld aber eigentlich hatte ich gehofft, mein Vater würde sich nicht an die Regeln unseres Volkes halten... offensichtlich vergebens."

Aylena stemmte die Hände in die Hüften. Dieser Elb - Prinz hin oder her - mit seinem melancholischen Gejammer machte sie langsam wirklich wütend.

"Hört auf! Höft auf mit diesem unerträglichen Gerede! Von euch hätte ich mehr Rückgrat erwartet. Ich glaube auch eure Gemahlin würde das von euch erwarten und ihr hattet doch schon den ersten Schritt getan, um eure Trauer zu verarbeiten. Die ganze Zeit redet ihr von Einsamkeit und wie schlimm das für euch doch ist. Ihr seid jedoch nicht der einzige, der geliebte Menschen in diesem unseligen Krieg verloren hat, denkt daran. Denkt an die vielen Menschen in Gondor und Rohan, die vor einem Haufen Nichts stehen und daraus ein neues Leben formen müssen. Sie geben auch nicht einfach auf, sondern beginnen von Neuem. Ich bin in dem Glauben aufgewachsen, dass die Elben die Menschen dies gelehrt hätten. Und im übrigen seid ihr doch gar nicht allein. Was kümmert euch euer Vater, wenn er doch so engstirnig ist? Ihr habt viele Freunde, denen ihr wichtig seid und alle Bewohner Mittelerdes verehren euch wegen dem, was ihr für sie getan habt. Hier...", sie stockte und sprach dann leiser weiter, "hier steht ebenfalls eine Seele, die euch bewundert."

Eigentlich hatte sie das gar nicht sagen wollen. Hoffentlich glaubte er jetzt nicht, sie sei in ihn verliebt. Oh nein, niemals würde sie sich in einen Menschen... Elben mit einem so schwierigen Charakter verlieben.

Über die Schulter warf Legolas ihr einen verwunderten Blick zu.

"Mädchen, ihr erstaunt mich immer wieder und gebt mir Rätsel auf. Warum liegt euch nur so viel an mir?"

Aylena verdrehte die Augen gen Himmel und seufzte:

"Bildet euch bloß nicht zu viel darauf ein. Ich glaubte immer, das Volk der Elben sei bekannt für seine Weisheit... wohl doch nicht. Zunächst einmal kümmere ich mich um euch, weil es mir aufgetragen wurde und ein... ein weiterer Grund ist... denke ich - anders kann ich es mir nicht erklären - ... das ich glaube, euch auf diese Art danken zu können, was ihr für mein Land getan habt. Selbstverständlich gilt dieser Dank natürlich dem ganzen Volk der Elben aber die meisten von ihnen haben Mittelerde ja inzwischen verlassen und ich hatte bisher noch keine Gelegenheit mich so lange mit einem aus eurem Volk zu unterhalten."

Legolas nickte langsam. Offensichtlich war diese Erklärung für ihn ausreichend. Dann wies er auf den Platz neben sich und bat:

"Bitte setzt euch doch einen Moment zu mir und genießt den Morgen. Lauscht dem rauschenden Lied des Flusses und zürnt mir nicht mehr."

Aylena kam seiner Aufforderung nur sehr zögerlich nach. Minutenlang saßen sie schweigend nebeneinander. Schließlich blickte Aylena ihn neugierig von der Seite an. Sein Gesicht wirkte sehr ruhig, wenn es auch noch weit davon entfernt war, entspannt auszusehen. Es zeigte sich keine Regung auf seinem Gesicht. Nur seine Augen, in denen sich sein wahres Alter spiegelte, blickten wie abwesend und voller Trauer auf den an dieser Stelle träge dahinfließenden Anduin. Wenn er sie mit diesen traurigen Augen anschaute, würde sie gewiß weinen müßte, also nahm sie sich vor, seinem Blick in jedem Fall auszuweichen.

Ehe sie darüber nachdenken konnte, legte sich ihre Hand auf seine.

"Ihr habt recht. Ich verstehe wirklich nicht viel von der elbischen Kultur aber wenn solche Regeln wie das Verstoßen von Verwandten aus solchen Gründen üblich sind, dann bin ich auch froh, eure Sitten nicht genau zu kennen. Viele werden ein falsches Bild von den Elben haben." erklärte sie.

Überraschend schloß sich Legolas Hand um ihre und übte leichten Druck aus. Dies war eine Geste voller Vertrauen, die Aylena das Herz erwärmte.

Er erwiderte:

"Es ist wahrlich nicht alles schlecht bei den Elben, auch wenn euch das jetzt vielleicht so erscheint, den in euren Augen hat mein Vater mich ungerecht behandelt. Es gibt aber Gründe für diese Art von Regeln. Vielleicht gibt es Rechtfertigungen für Ausnahmen aber nicht für den König und seinen Sohn. Wenn er sich nicht mehr an die Gebote seines Volkes hält, wer soll es dann tun?"

Nun blickte Aylena ihn doch an und ihr Blick war absolut eindringlich und energisch. Sie wollte etwas von ihm und das wollte sie auch vollkommen deutlich machen.

"Dann laßt das alles hinter euch. Wenn ihr euch anscheinend so gut mit der Entscheidung eures Vaters abfinden könnt, dann denkt nicht mehr darüber nach und hört auf zu grübeln. Schließlich hat er sich von euch abgewandt. Was geschehen ist, könnt ihr nicht mehr rückgängig machen. Stattdessen solltet ihr nach vorn schauen. Eure Freunde brauchen euch und ihr könnt euch immer auf sie verlassen. Sorgt dafür, dass sie sich auch weiterhin auf euch verlassen können. Ihr müßt doch noch Ziele in eurem Leben haben!"

Legolas holte tief Luft, weil er etwas erwidern wollte, doch dann schloß er den Mund wieder und dachte über das nach, was Aylena gesagt hatte. Er war überrascht, dass es diesem jungen Mädchen abermals gelungen war, ihn zum Nachdenken zu bringen. Aber sie hatte tatsächlich recht.

Aylena bemerkte, dass der finstere Schatten, der in seinen Augen gelegen hatte, langsam verschwand. Sie fragte sich, was nun wieder in seinem Kopf vorging. Sie hätte es wirklich nur allzu gerne gewußt, wenn auch nur um sicherzugehen, ob er sich wieder gefangen hatte und nicht mehr so melancholisch gestimmt war.

"Es gibt tatsächlich eine Sache, die unerledigt ist. Ich denke, es ist Zeit, dass ich mich darum kümmere."

Sie hätte gerne gewußt, was er meinte. Sie hätte so vieles gerne gewußt, sie hatte so viele Fragen, die sie ihm stellen wollte, es gab Dinge, die er ihr erklären mußte. Alles, was ihn betraf war so geheimnisvoll und wollte sich ihr einfach nicht erschließen. So vieles trennte sie von diesem unnahbaren Elbenprinzen aus dem Düsterwald und dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie seit letzter Nacht etwas mit ihm verband. Es war ein unbestimmtes Gefühl, was sich am besten mit der Zerbrechlichkeit von feinstem Glas beschreiben ließ und das sie verwirrte. Aber sie glaubte dennoch nicht, das Recht zu haben, ihm all die Fragen zu stellen, die ihr auf dem Herzen brannten. Stattdessen sagte sie leise:

"Es freut mich, dass ich euch ein wenig Mut machen konnte. Bleibt euch selbst treu und laßt eure Freunde nicht im Stich."

Legolas beugte sich leicht zu ihr. Sanft strich er ihr über das Haar und sagte:

"Das werde ich nicht. Bestimmt nicht. Aber ihr, Aylena, müßt ebenfalls euer eigenes Leben führen. Ihr seid ein Mensch und - vergebt mir - es ist kurz genug. Ihr könnt nicht ewig wie eine Amme auf mich aufpassen. Ich fühle mich geschmeichelt aber ihr habt auch noch ein eigenes Leben zu führen. Ihr seid eine junge Frau und euer Vater hat gewiß andere Pläne für euch, als dass ihr die Pflegerin eines dummen Elben werdet."

Aylena zog seufzend die Knie zum Kinn und schlang die Arme darum.

"Ach, mein Vater... er war doch derjenige, der mich hergeschickt hat. Ich soll einen Mann finden, einen standesgemäßen, der Geld in unsere verarmte Familie bringt."

Legolas lächelte säuerlich und meinte:

"Die Art, wie ihr davon sprecht, sagt mir, das euer Problem, gemessen an den verschiedenen Verhältnissen, für euch genauso schlimm ist, wie das meine für mich. Wenn ihr mehr davon erzählt, dann werde ich es vielleicht noch besser verstehen. Schließlich habt auch ihr euch meine Probleme angehört, obwohl gar kein Grund für euch dazu bestand. Macht uns das nicht genaugenommen schon zu Freunden?"

Aylena nickte aber sie sagte nichts mehr. Vielleicht würde sie ihm irgendwann einmal mehr davon erzählen aber noch nicht heute. Legolas stand auf und ging zu seinem Pferd. Aylenas fachmännischer Blick erkannte, dass der Apfelschimmel eines der Mearas war. Sie hatte gehört, dass er das schöne Tier von König Éomer geschenkt bekommen hatte. Deshalb war ihr weiterhin klar, dass er ein sehr guter Reiter sein mußte, wenn er diesen Hengst ohne Sattel ritt. Elegant sprang er auf den Rücken des Pferdes.

"Haltet euch selbst an das, was ihr mir predigt. Macht etwas aus eurem Leben, verfolgt eure eigenen Ziele. Ich glaube ihr seid mir gefolgt, um mir Mut zu machen. Ich muß noch nachdenken aber bis zu einem gewissen Punkt ist euch das wohl gelungen. Nun, inzwischen müßte euch bekannt sein, dass wir Elben einfach nur länger Zeit brauchen, um manche Dinge zu überdenken. Ich denke, ich brauche nun ein wenig Zeit für mich allein. Auf ein Wiedersehen, gwenn o rochand[1]"

Mit leichtem Schenkeldruck setzte Legolas den Hengst in Bewegung. Er wendete das Pferd und ritt davon. Aylena blickte ihm nachdenklich hinterher. Er war ein Elb, sie ein Mensch aber sie hatten beide Probleme, die für sie beide sehr schwer zu bewältigen waren. Fühlte sie sich deshalb so sehr mit ihm verbunden? Zumindest hatte sie es wohl irgendwie zuwege gebracht, ihm neuen Mut zu machen.

~*~

Ungefähr zur selben Zeit, kurz nachdem sich Aragorn und Arwen von Elrond, Elladan und Elrohir verabschiedet hatten, die sich mit ihrem Gefolge zurück auf den Weg nach Imladris machten, sprach Aragorn mit Caranlas, dem jüngeren der beiden Prinzen aus Eryn Lasgalen.

"Caranlas, was ist nur in euren Vater gefahren? Ich kenne ihn lange nicht so gut, wie Elrond und ich habe schon oft gehört, dass er selbst unter Elben als schwierig gilt, aber so habe ich ihn noch nie erlebt."

Caranlas, der sich mit vorgetäuschtem Interesse die deckenhohen Gemälde der früheren Herren von Gondor angesehen hatte, drehte sich langsam um. Mit einer seltsam fahrigen Geste strich er einige Falten in seinem dunkelgrünen Samtgewand glatt, dessen Farbe den rötlichen Ton in seinem Haar noch intensiver wirken ließ, als er eigentlich war. Hinzu kam das helle Licht, das fast senkrecht durch die kreisrunden Oberlichter auf der linken Seite der Galerie fiel. Caranlas kniff die Augen gegen das Licht zusammen und verschränkte dann die Arme vor der Brust. Die weiten Ärmel des Gewandes, die mit silbernem Brokat gesäumt waren, fielen zurück und gaben den Blick auf die Ärmel einer blausilbern schimmernden Tunika frei, die auch Legolas bei ihren gemeinsamen Reisen getragen hatte. Aragorn hatte Caranlas vorher nicht gekannt und er war überrascht einen Mann kennenzulernen, der Legolas in Gestik, Mimik und offensichtlich auch Geschmack so ähnlich war.

"Nun, seht... der Verlust Arinwë's war für uns alle ein großer Schock. Ebenso das Verschwinden von Elenim. In unserer Familie macht sich jeder auf seine Art Vorwürfe wegen dieser Ereignisse. Vater ist, für einen Elben, sehr impulsiv und überzeugt von der Richtigkeit seines Handelns. Für ihn kommt Schwäche nicht in Frage. Das wäre gleichbedeutend mit Versagen. Wir, Legolas, Elenim und ich, ähneln eher unserer Mutter. Sie war sensibler und bedächtiger."

Aragorn nickte. Aus Elronds Erzählungen wußte er, das eine übereilte Kriegsentscheidung von Oropher, Thranduils Vater, schon einmal viel Leid über die Düsterwald-Elben gebracht hatte. Damals hatten sie mehr als ein Drittel aller Krieger aus dem Düsterwald verloren, weil Oropher nicht auf das Kommando Gilgalads warten wollte. Aber es gab noch etwas, was Aragorn unbedingt wissen wollte.

"Ihr habt in Kauf genommen, selber in Streit mit eurem Vater zu geraten, als ihr euch dazu entschlossen habt, ihm nicht nach Eryn Lasgalen zu folgen. Warum?"

Caranlas dachte lange über seine Antwort nach. Wie sollte er eine zufriedenstellende Antwort auf eine Frage geben, die er sich selbst noch nicht gestellt hatte? Aragorn wartete geduldig. Er, der bei den Elben von Imladris aufgewachsen war, wußte das Elben nur dann sprachen, wenn sie selbst davon überzeugt waren, dass das, was sie sagen wollten auch wirklich Sinn machte.

Schließlich sagte er:

"Wißt ihr, ich liebe meinen Bruder genau so sehr, wie meinen Vater und ich möchte mir keine Vorwürfe machen müssen, wenn ihm etwas zustößt. In unserer Familie hat es schon zu viele Unglücke gegeben. Aber es gibt noch einen weiteren Grund. Vater wollte mich zu seinem Nachfolger ernennen, Legolas durch mich ersetzen. Ich kann das nicht. Ich bin nicht dazu erzogen worden, König zu sein. Zwar rechne ich nicht damit, dass Vater in nächster Zeit gen Valinor aufbricht und uns hier zurückläßt aber dennoch. Ich hoffe, dass Vater Legolas irgendwann vergeben kann und dann weiß ich, dass ich richtig gehandelt habe."

Aragorn legte im Gehen einen Arm um Caranlas Schultern. Er kannte Caranlas noch nicht lange aber er mochte seine Einstellung. Er war offensichtlich ein feiner Mann, der sehr hohe Moralvorstellungen hatte.

"Ich kann eure Einstellung gut verstehen. Er braucht im Moment tatsächlich jemanden, der auf seine Schritte achtet."

Sie erreichten die sogenannte Glasgalerie, einen lichtdurchfluteten Verbindungsgang zwischen den offiziellen Räumlichkeiten für Staatsangelegenheiten und den Wohnräumen der königlichen Familie und deren Gäste.

Caranlas' Blick schweifte ab und fiel auf den unterhalb der Burg liegenden, vorgelagerten, großen Innenhof. Genau in diesem Moment erreichte Aylena den Burghof. Der jüngere Bruder des Prinzen lächelte leicht und sagte:

"Ich denke, er hat schon jemanden gefunden, der auf ihn Acht gibt. Er weiß es vielleicht noch nicht aber sie wird ihn nicht mehr aus den Augen lassen."

Aragorn folgte dem Blick des Elben und auch auf seinem Gesicht breitete sich ein leichtes Lächeln aus. ----------------------- [1] Gwenn o rochand = Maid aus Rohan