10. Von Dates und Flüchen
"So."
Sachte setzte Hermione den letzten feuchten Tintenpunkt hinter das letzte Wort auf der Liste.
Hermione hätte niemals geglaubt, dass es einen solchen Spass machen konnte, von Draco Malfoy zu strafbaren Handlungen erpresst zu werden. Die von ihnen begonnene Saalschlacht hatte zwar nicht gerade das Verhältnis zwischen Gryffindor und Slytherin - oder, wie Hermione dachte, das Verhältnis zwischen Slytherin und dem ganzen Rest - verbessert, hatte aber innerhalb kürzester Zeit Legendenstatus erreicht, nicht unähnlich der berühmten Weasley-Flucht vom vergangenen Schulsemester.
Sie hatte es nochmal in Geschichte von Hogwarts nachgelesen, und es war tatsächlich so, dass sie und Malfoy den dicksten Tumult losgetreten hatten, seit ein gewisser Hugo O´Donnell 1927 beim Frühstück aus Versehen sämtliche Hufflepuffs in eine Horde brünftiger Bullen verwandelt hatte.
Mit einer Spur Scham hatte sie festgestellt, dass sie das etwas stolz machte. Und nach dieser Episode kam unter Garantie niemand mehr auf die Idee, dass Hermione Granger und Draco Malfoy gemeinsame Sache machten.
Aber was danach kam, war noch besser, wie sie fand.
Sie wusste nicht, wie er es angestellt hatte, aber Malfoy hatte mit den Kobolden einen erstklassigen Deal ausgehandelt, und in den letzten Nächten waren sie im verbotenen Teil der Bibliothek ein- und ausgegangen wie in Madam Margauses Magischem Eiscremeshop.
Sie war in den letzten Nächten in eine Welt dunklen, verbotenen Wissens eingetaucht, deren Existenz sie niemals erahnt hätte. Sie erinnerte sich daran, wie Harry ihr mal davon erzählt hatte, dass ihn die verbotenen Bücher erschreckt hätten, als er damals auf der Suche nach Nicolas Flamel mit dem Tarnumhang dort gewesen war. Sie verstand Harry nicht. Wie konnten diese faszinierenden, fremden Eindrücke ihn erschrecken? Ihr Interesse war natürlich rein wissenschaftlich. Die schwarzen Zauberer gingen viel weiter in ihrem Können, sie nutzten ihre Macht viel ausgiebiger, weil skrupelloser aus, und erreichten eine Meisteschaft in ihrer Kunst, von denen andere nur träumen konnten. Hermione schämte sich etwas dafür, aber sie war inzwischen sicher, dass Albus Dumbledore früher einmal die dunklen Künste studiert hatte. Man konnte kein wirklich starker Zauberer werden, wenn man nicht beide Seiten kannte...
Und außerdem stellte sie fest, dass sie Dracos Gesellschaft interessant fand. Sie dachte an ihre besten Freunde Harry und Ron.
Zugegeben, in letzter Zeit war sie meistens viel zu müde, um mit ihnen bis spät in die Nacht im Gemeinschaftsraum zu sitzen oder durch die Parks zu streichen. Aber mit den beiden war es immer schön, sie konnten streiten und diskutieren und lachen und sich Unsinn ausdenken, und vor allem, sie hätten einander ohne Weiteres ihr Leben anvertraut.
Trotzdem, es war ein bißchen, als wenn sie zwei Schatten hätte, und gleichzeitig selbst ein Schatten war. Sie nahmen einander als selbstverständlich hin. Sie kannten einander mit allen Macken und Fehlern, die sie hatten.
Mit Malfoy war das was anderes.
Malfoy war nicht ihr Freund. Wenn sie diskutierten, gingen sie sich fast an die Kehle, wenn sie lachten, dann für Gewöhnlich nicht miteinander, sondern über einander, und niemals, NIEMALS hätte sie ihm ihr Leben anvertraut oder auch nur ihr Pausensandwich. Sie kannte ihn nicht, nicht wirklich.
Aber wenn sie zusammen waren, beobachteten sie einander ununterbrochen, taxierten sich, schätzten sich ab und maßen ihre Kräfte, und das war spannend.
Spannender, als mit Ron aufs Schuldach zu klettern und spannender, als zuzusehen, wie Harry beim Quidditch-Training Loopings drehte.
Wenn sie mit Malfoy zusammen war, war nichts selbstverständlich. Ihr Puls war immer auf mindestens 200, und seiner, so wie es aussah, auch. Er brachte sie auf die Palme, wie kein anderer es konnte. Und obwohl er versuchte, es zu vertuschen, brachte auch sie ihn auf die Palme, wie kein anderer es konnte.
Und das war etwas Besonderes, wie sie fand.
"Bist du endlich soweit?!"
Hermione sah auf und unterdrückte ein Kichern.
Zwischen zwei Riesenstapeln alter Wälzer - "Die schwarze Bruderschaft von Salem, Band I-XIII" - blickte ihr Draco Malfoys blasses, spitzes Gesicht entgegen. Er hatte den skeptischen, entnervten Blick aufgesetzt, den er immer bekam, wenn sie länger als drei Minuten regungslos in ein Buch oder auf ein Pergament starrte.
Ihre Haut prickelte etwas, dort, wo er sie ansah.
Die feinen blassen Finger seiner rechten Hand trommelten ungeduldig auf den Einband von "Der schwarze Zauberer und der Volkstanz" ein. Die bläulichen Schatten unter seinen Augen sprachen Bände.
Sie sprachen nicht viel, während sie ihren Recherchen nachgingen, eigentlich überhaupt nicht. Sie sassen nur schweigend nebeneinander und steckten ihre Nasen in die unterschiedlichsten Bücher.
Aber sie spürte etwas an ihm. Anders als sie beging er diese Nachforschungen mit einer fiebernden Unruhe und Nervosität, die sich von mal zu mal zu steigern schien. Auf seinem kalten Gesicht war nichts abzulesen, aber manchmal, wenn er das zehnte oder elfte Buch erfolglos durchforstet hatte, trat ein gehetzter Ausdruck in seine Augen, der überhaupt nichts mit seiner sonstigen tiefgekühlten Nonchalance gemeinsam hatte.
Dass er das Rätsel nicht lösen konnte, dass sein Vater ihm aufgegeben hatte, schien ihn auf eine Weise zu quälen, die niemand nachvollziehen konnte.
"Das war´s". Hermione tippte die Liste mit ihrem Zauberstab an und murmelte
"Duplicatio."
Die Liste verdoppelte sich. Sie schob das zweite Exemplar Malfoy hinüber, der es teilnahmslos entgegennahm. In ihrer sauberen Handschrift hatte sie penibel aufgelistet:
Versuchsreihe 1. Tränkeprobe I (syrisches Sumpfgras, ägyptisches Blutwasser) 2. Tränkeprobe II (römisches Dornenharz, Drachenherz) 3. Altteutonische Druidenzauber 4. Wolfsmilch-Test 5. Profondo Rosso-Flüche I-V 6. Profondo Rosso-Flüche VI-X 7. Schmanenkünste 8. Lernen
"Gute Arbeit, Hermione," schnarrte er mit der Andeutung eines Lächelns.
"Danke. Nach allem, was wir, äh..." sie hustete.
Er hatte Hermione gesagt. Er hatte noch nie zuvor Hermione zu ihr gesagt! Sie hörte diesen Namen etwa tausendmal am Tag, von Harry, Ron, von anderen Freunden und Mitschülern, aber ihn aus seinem Mund zu hören, war anders.
Er prüfte ihren Namen mit dem Mund, als sei er etwas sehr, sehr Seltenes.
Sie hatte hoffnungslos den Faden verloren. Er lauschte ihr aufmerksam und sah sie anerkennend und sehr direkt aus seinen grauen Augen an. Das funzlige Licht der Kerzen zeichnete Schatten in sein feingeschnittenes Gesicht. Hermione wurde selten so angesehen.
So, als sei sie das einzig Interessante auf der Welt. Und aus irgendeinem Grund war dieser Blick zuviel für sie.
Sie startete einen neuen Anlauf.
"Nach allem, was wir wissen," würgte sie heraus, "handelt es sich bei dieser Pflanze entweder um eine Blüte des babylonischen Shirav-Strauches, ein Hexenblutlein aus dem alten Germanien oder um afrikanischen Ctulhu- Dorn. Alles andere können wir ausschliessen. Nachdem wir diese Tests beendet haben, werden wir wissen, welche Möglichkeit zutrifft."
Ein Hauch Leben kehrte in seinen Blick zurück, während er die Liste musterte. Er schöpfte wieder Mut. Der Anblick erfüllte sie mit Stolz. Und mit einer leisen Freude.
Als er den letzten Punkt las, kniff Malfoy zweifelnd die Augen zusammen. "Lernen?!" fragte er mit einem drohenden Unterton in der schleppenden Stimme.
Hermione nickte bestätigend. "Ich habe die letzte Woche kaum geschlafen, ich nehme an, du auch nicht, und wir werden die nächsten Nächte für unsere Tests brauchen," fasste sie sachlich zusammen. "Da besteht das Risiko, dass wir die Schule vernachlässigen, und dass darf nicht passieren. Schließlich stehen die Klausuren in Zaubertränke, Geschichte der Zauberei und Verteidigung gegen die dunklen Künste bevor. Damit das nicht zu kurz kommt, hab ich den Freitag als Lerntag veranschlagt, um den Stoff wieder aufzuholen, um den wir uns nicht kümmern konnten."
Er liess sich nicht weiter anmerken, wie er das fand. Er betrachtete nur noch einmal eingehend die Liste. "Eine Frage, Granger."
"Ja?"
Er musterte sie mit einem spöttischen Blick, den sie nicht verstand.
"Nicht, dass ich es nicht zu schätzen weiss, dass du deine Tage und Nächte für meine Sache aufwendest, aber du machst überhaupt nie irgendwas anderes als lernen, testen und lesen, stimmt´s?" Er wedelte mit dem Pergament. "Ich meine, sieh dir den Wisch hier mal an! Hast du eigentlich sowas wie Freunde, mit denen du deine Freizeit verbringst, oder sonstwas in der Art?" Er blickte sie lauernd an. "Hast du nicht mal so was wie ein....Date oder so?"
"Natürlich habe ich Dates," gab Hermione verblüfft zurück. "Sogar eine Menge! Montags und Donnerstags zum Beispiel, da gebe ich den Creeveys Nachhilfe, Dienstags helf ich Professor Sprout mit den Umphala-Bäumen aus, Mittwochs ist BELFER-Hauptsitzung und danach führe ich Hagrids Teufelsmolche Gassi, Freitags trifft sich der Hogwarts Hermes u-...."
Sie brach ab, als sie Malfoys höhnische Miene sah und ihr dämmerte, dass er eine vollkommen andere Sorte Dates gemeint hatte.
Und es tat weh. Sie wußte, dass sie in der Schule darüber tuschelten, dass Hermione noch nie mit einem Kerl in der Wäscherei erwischt worden war, dass sie noch nie mit einem bei Madam Morgause diesen doppelten Eisshake mit zwei Strohhalmen verdrückt hatte, dass sie, wenn die anderen Mädchen vor dem Wochenende kichernd darüber redeten, mit wem sie sich wo verabredet hatten, nur ernst ihre Sachen zusammenpackte und erhobenen Hauptes an ihnen vorbeiging. Sie kannte es, und es kümmerte sie nicht. Normalerweise nicht.
Aber er? Wieso er?! Schließlich hatte er auch kein Liebesleben! Gut, alle wussten, dass Pansy Parkinson in geregelten Abständen versuchte, einen Liebestrank in seinen Espresso zu schummeln. Ansonsten war Malfoy bekannt dafür, dass er lieber mit seinen zwei unterbelichteten Freunden in den dunklen Kellern Ränke schmiedete, anstatt auf den Gängen mit Mädchen rumzuschäkern.
"Ich habe eben andere Interessen." erwiderte sie kühl. Aber es fiel ihr schwer, sich zu beherrschen.
Malfoy stiess sein gehässiges, leises Lachen aus. "So nennst du es, wenn keiner auf dich steht?! Weißt du, Granger, es kursiert das Gerücht über dich, dass du Jungs nicht besonders magst....du bist nicht zufällig....du hast nicht zufällig mehr was für Mädchen über, oder?"
Mühsam riss sich Hermione zusammen. So erwies er ihr also seine Dankbarkeit?! Er machte sich lustig über sie?!
Andererseits, er war Draco Malfoy. Was hatte sie erwartet?
Sie schnaubte. "Nein. Und wie steht´s mit dir?!"
"Natürlich hab ich was für Mädchen über," versetzte er irritiert. Dann färbten sich seine Wangen rosa. "Du meinst, ob ich....ob ich....vom anderen Ufer...hör zu, wie oft soll ich´s noch sagen, das mit Marcus Flint ist nur EINMAL passiert, und wir haben NICHT unsere Zungen benutzt, und er hat mich betrunken gemacht und...."
Er verlor den Faden, als ihm anscheinend einfiel, dass Hermione diese Geschichte überhaupt nicht kennen konnte.
"Warum red ich eigentlich mit dir über sowas?!" fuhr er sie an.
Hermione stützte sich auf ihr Exemplar von "Fit in Flüchen in 3 Wochen" und grinste beglückt. "Keine Ahnung. Aber es ist sehr erfrischend. Bitte fahr fort."
Sie sahen einander über den Tisch an. Die nächtliche Bibliothek war still und tot um sie herum. Es musste inzwischen ungefähr vier Uhr nachts sein.
"Immerhin KÖNNTE ich, wenn ich WOLLTE." schnarrte er herablassend. "Ich denke nur, es gibt wichtigeres..."
"Du setzt Prioriäten," ergänzte Hermione.
"Genau."
"Eben," schloss sie. "Wie ich. Dann haben wir in dieser Sache wohl was gemeinsam, nicht wahr?!" fauchte sie, selbst für ihren Geschmack eine Spur zu zickig, und wandte sich wieder der Liste zu.
Ihr Gesicht prickelte, aber diesmal war das Prickeln heiß, unangenehm und beklemmend. Sie spürte seinen prüfenden Blick auf ihr, und weigerte sich, aufzusehen. Wenn ein anderer es gewagt hätte, diese Dinge über sie zu sagen....sie hätte ihn ausgelacht oder ihn allenfalls für einen halbe Stunde in einen Grottenolm verwandelt. Aber es aus seinem Mund zu hören, machte sie nicht wütend. Es beschämte sie. Sie konnte sich nur nicht erklären, warum.
Sie wünschte sich plötzlich, am nächsten Wochenende ein Date zu haben.
"So."
Sachte setzte Hermione den letzten feuchten Tintenpunkt hinter das letzte Wort auf der Liste.
Hermione hätte niemals geglaubt, dass es einen solchen Spass machen konnte, von Draco Malfoy zu strafbaren Handlungen erpresst zu werden. Die von ihnen begonnene Saalschlacht hatte zwar nicht gerade das Verhältnis zwischen Gryffindor und Slytherin - oder, wie Hermione dachte, das Verhältnis zwischen Slytherin und dem ganzen Rest - verbessert, hatte aber innerhalb kürzester Zeit Legendenstatus erreicht, nicht unähnlich der berühmten Weasley-Flucht vom vergangenen Schulsemester.
Sie hatte es nochmal in Geschichte von Hogwarts nachgelesen, und es war tatsächlich so, dass sie und Malfoy den dicksten Tumult losgetreten hatten, seit ein gewisser Hugo O´Donnell 1927 beim Frühstück aus Versehen sämtliche Hufflepuffs in eine Horde brünftiger Bullen verwandelt hatte.
Mit einer Spur Scham hatte sie festgestellt, dass sie das etwas stolz machte. Und nach dieser Episode kam unter Garantie niemand mehr auf die Idee, dass Hermione Granger und Draco Malfoy gemeinsame Sache machten.
Aber was danach kam, war noch besser, wie sie fand.
Sie wusste nicht, wie er es angestellt hatte, aber Malfoy hatte mit den Kobolden einen erstklassigen Deal ausgehandelt, und in den letzten Nächten waren sie im verbotenen Teil der Bibliothek ein- und ausgegangen wie in Madam Margauses Magischem Eiscremeshop.
Sie war in den letzten Nächten in eine Welt dunklen, verbotenen Wissens eingetaucht, deren Existenz sie niemals erahnt hätte. Sie erinnerte sich daran, wie Harry ihr mal davon erzählt hatte, dass ihn die verbotenen Bücher erschreckt hätten, als er damals auf der Suche nach Nicolas Flamel mit dem Tarnumhang dort gewesen war. Sie verstand Harry nicht. Wie konnten diese faszinierenden, fremden Eindrücke ihn erschrecken? Ihr Interesse war natürlich rein wissenschaftlich. Die schwarzen Zauberer gingen viel weiter in ihrem Können, sie nutzten ihre Macht viel ausgiebiger, weil skrupelloser aus, und erreichten eine Meisteschaft in ihrer Kunst, von denen andere nur träumen konnten. Hermione schämte sich etwas dafür, aber sie war inzwischen sicher, dass Albus Dumbledore früher einmal die dunklen Künste studiert hatte. Man konnte kein wirklich starker Zauberer werden, wenn man nicht beide Seiten kannte...
Und außerdem stellte sie fest, dass sie Dracos Gesellschaft interessant fand. Sie dachte an ihre besten Freunde Harry und Ron.
Zugegeben, in letzter Zeit war sie meistens viel zu müde, um mit ihnen bis spät in die Nacht im Gemeinschaftsraum zu sitzen oder durch die Parks zu streichen. Aber mit den beiden war es immer schön, sie konnten streiten und diskutieren und lachen und sich Unsinn ausdenken, und vor allem, sie hätten einander ohne Weiteres ihr Leben anvertraut.
Trotzdem, es war ein bißchen, als wenn sie zwei Schatten hätte, und gleichzeitig selbst ein Schatten war. Sie nahmen einander als selbstverständlich hin. Sie kannten einander mit allen Macken und Fehlern, die sie hatten.
Mit Malfoy war das was anderes.
Malfoy war nicht ihr Freund. Wenn sie diskutierten, gingen sie sich fast an die Kehle, wenn sie lachten, dann für Gewöhnlich nicht miteinander, sondern über einander, und niemals, NIEMALS hätte sie ihm ihr Leben anvertraut oder auch nur ihr Pausensandwich. Sie kannte ihn nicht, nicht wirklich.
Aber wenn sie zusammen waren, beobachteten sie einander ununterbrochen, taxierten sich, schätzten sich ab und maßen ihre Kräfte, und das war spannend.
Spannender, als mit Ron aufs Schuldach zu klettern und spannender, als zuzusehen, wie Harry beim Quidditch-Training Loopings drehte.
Wenn sie mit Malfoy zusammen war, war nichts selbstverständlich. Ihr Puls war immer auf mindestens 200, und seiner, so wie es aussah, auch. Er brachte sie auf die Palme, wie kein anderer es konnte. Und obwohl er versuchte, es zu vertuschen, brachte auch sie ihn auf die Palme, wie kein anderer es konnte.
Und das war etwas Besonderes, wie sie fand.
"Bist du endlich soweit?!"
Hermione sah auf und unterdrückte ein Kichern.
Zwischen zwei Riesenstapeln alter Wälzer - "Die schwarze Bruderschaft von Salem, Band I-XIII" - blickte ihr Draco Malfoys blasses, spitzes Gesicht entgegen. Er hatte den skeptischen, entnervten Blick aufgesetzt, den er immer bekam, wenn sie länger als drei Minuten regungslos in ein Buch oder auf ein Pergament starrte.
Ihre Haut prickelte etwas, dort, wo er sie ansah.
Die feinen blassen Finger seiner rechten Hand trommelten ungeduldig auf den Einband von "Der schwarze Zauberer und der Volkstanz" ein. Die bläulichen Schatten unter seinen Augen sprachen Bände.
Sie sprachen nicht viel, während sie ihren Recherchen nachgingen, eigentlich überhaupt nicht. Sie sassen nur schweigend nebeneinander und steckten ihre Nasen in die unterschiedlichsten Bücher.
Aber sie spürte etwas an ihm. Anders als sie beging er diese Nachforschungen mit einer fiebernden Unruhe und Nervosität, die sich von mal zu mal zu steigern schien. Auf seinem kalten Gesicht war nichts abzulesen, aber manchmal, wenn er das zehnte oder elfte Buch erfolglos durchforstet hatte, trat ein gehetzter Ausdruck in seine Augen, der überhaupt nichts mit seiner sonstigen tiefgekühlten Nonchalance gemeinsam hatte.
Dass er das Rätsel nicht lösen konnte, dass sein Vater ihm aufgegeben hatte, schien ihn auf eine Weise zu quälen, die niemand nachvollziehen konnte.
"Das war´s". Hermione tippte die Liste mit ihrem Zauberstab an und murmelte
"Duplicatio."
Die Liste verdoppelte sich. Sie schob das zweite Exemplar Malfoy hinüber, der es teilnahmslos entgegennahm. In ihrer sauberen Handschrift hatte sie penibel aufgelistet:
Versuchsreihe 1. Tränkeprobe I (syrisches Sumpfgras, ägyptisches Blutwasser) 2. Tränkeprobe II (römisches Dornenharz, Drachenherz) 3. Altteutonische Druidenzauber 4. Wolfsmilch-Test 5. Profondo Rosso-Flüche I-V 6. Profondo Rosso-Flüche VI-X 7. Schmanenkünste 8. Lernen
"Gute Arbeit, Hermione," schnarrte er mit der Andeutung eines Lächelns.
"Danke. Nach allem, was wir, äh..." sie hustete.
Er hatte Hermione gesagt. Er hatte noch nie zuvor Hermione zu ihr gesagt! Sie hörte diesen Namen etwa tausendmal am Tag, von Harry, Ron, von anderen Freunden und Mitschülern, aber ihn aus seinem Mund zu hören, war anders.
Er prüfte ihren Namen mit dem Mund, als sei er etwas sehr, sehr Seltenes.
Sie hatte hoffnungslos den Faden verloren. Er lauschte ihr aufmerksam und sah sie anerkennend und sehr direkt aus seinen grauen Augen an. Das funzlige Licht der Kerzen zeichnete Schatten in sein feingeschnittenes Gesicht. Hermione wurde selten so angesehen.
So, als sei sie das einzig Interessante auf der Welt. Und aus irgendeinem Grund war dieser Blick zuviel für sie.
Sie startete einen neuen Anlauf.
"Nach allem, was wir wissen," würgte sie heraus, "handelt es sich bei dieser Pflanze entweder um eine Blüte des babylonischen Shirav-Strauches, ein Hexenblutlein aus dem alten Germanien oder um afrikanischen Ctulhu- Dorn. Alles andere können wir ausschliessen. Nachdem wir diese Tests beendet haben, werden wir wissen, welche Möglichkeit zutrifft."
Ein Hauch Leben kehrte in seinen Blick zurück, während er die Liste musterte. Er schöpfte wieder Mut. Der Anblick erfüllte sie mit Stolz. Und mit einer leisen Freude.
Als er den letzten Punkt las, kniff Malfoy zweifelnd die Augen zusammen. "Lernen?!" fragte er mit einem drohenden Unterton in der schleppenden Stimme.
Hermione nickte bestätigend. "Ich habe die letzte Woche kaum geschlafen, ich nehme an, du auch nicht, und wir werden die nächsten Nächte für unsere Tests brauchen," fasste sie sachlich zusammen. "Da besteht das Risiko, dass wir die Schule vernachlässigen, und dass darf nicht passieren. Schließlich stehen die Klausuren in Zaubertränke, Geschichte der Zauberei und Verteidigung gegen die dunklen Künste bevor. Damit das nicht zu kurz kommt, hab ich den Freitag als Lerntag veranschlagt, um den Stoff wieder aufzuholen, um den wir uns nicht kümmern konnten."
Er liess sich nicht weiter anmerken, wie er das fand. Er betrachtete nur noch einmal eingehend die Liste. "Eine Frage, Granger."
"Ja?"
Er musterte sie mit einem spöttischen Blick, den sie nicht verstand.
"Nicht, dass ich es nicht zu schätzen weiss, dass du deine Tage und Nächte für meine Sache aufwendest, aber du machst überhaupt nie irgendwas anderes als lernen, testen und lesen, stimmt´s?" Er wedelte mit dem Pergament. "Ich meine, sieh dir den Wisch hier mal an! Hast du eigentlich sowas wie Freunde, mit denen du deine Freizeit verbringst, oder sonstwas in der Art?" Er blickte sie lauernd an. "Hast du nicht mal so was wie ein....Date oder so?"
"Natürlich habe ich Dates," gab Hermione verblüfft zurück. "Sogar eine Menge! Montags und Donnerstags zum Beispiel, da gebe ich den Creeveys Nachhilfe, Dienstags helf ich Professor Sprout mit den Umphala-Bäumen aus, Mittwochs ist BELFER-Hauptsitzung und danach führe ich Hagrids Teufelsmolche Gassi, Freitags trifft sich der Hogwarts Hermes u-...."
Sie brach ab, als sie Malfoys höhnische Miene sah und ihr dämmerte, dass er eine vollkommen andere Sorte Dates gemeint hatte.
Und es tat weh. Sie wußte, dass sie in der Schule darüber tuschelten, dass Hermione noch nie mit einem Kerl in der Wäscherei erwischt worden war, dass sie noch nie mit einem bei Madam Morgause diesen doppelten Eisshake mit zwei Strohhalmen verdrückt hatte, dass sie, wenn die anderen Mädchen vor dem Wochenende kichernd darüber redeten, mit wem sie sich wo verabredet hatten, nur ernst ihre Sachen zusammenpackte und erhobenen Hauptes an ihnen vorbeiging. Sie kannte es, und es kümmerte sie nicht. Normalerweise nicht.
Aber er? Wieso er?! Schließlich hatte er auch kein Liebesleben! Gut, alle wussten, dass Pansy Parkinson in geregelten Abständen versuchte, einen Liebestrank in seinen Espresso zu schummeln. Ansonsten war Malfoy bekannt dafür, dass er lieber mit seinen zwei unterbelichteten Freunden in den dunklen Kellern Ränke schmiedete, anstatt auf den Gängen mit Mädchen rumzuschäkern.
"Ich habe eben andere Interessen." erwiderte sie kühl. Aber es fiel ihr schwer, sich zu beherrschen.
Malfoy stiess sein gehässiges, leises Lachen aus. "So nennst du es, wenn keiner auf dich steht?! Weißt du, Granger, es kursiert das Gerücht über dich, dass du Jungs nicht besonders magst....du bist nicht zufällig....du hast nicht zufällig mehr was für Mädchen über, oder?"
Mühsam riss sich Hermione zusammen. So erwies er ihr also seine Dankbarkeit?! Er machte sich lustig über sie?!
Andererseits, er war Draco Malfoy. Was hatte sie erwartet?
Sie schnaubte. "Nein. Und wie steht´s mit dir?!"
"Natürlich hab ich was für Mädchen über," versetzte er irritiert. Dann färbten sich seine Wangen rosa. "Du meinst, ob ich....ob ich....vom anderen Ufer...hör zu, wie oft soll ich´s noch sagen, das mit Marcus Flint ist nur EINMAL passiert, und wir haben NICHT unsere Zungen benutzt, und er hat mich betrunken gemacht und...."
Er verlor den Faden, als ihm anscheinend einfiel, dass Hermione diese Geschichte überhaupt nicht kennen konnte.
"Warum red ich eigentlich mit dir über sowas?!" fuhr er sie an.
Hermione stützte sich auf ihr Exemplar von "Fit in Flüchen in 3 Wochen" und grinste beglückt. "Keine Ahnung. Aber es ist sehr erfrischend. Bitte fahr fort."
Sie sahen einander über den Tisch an. Die nächtliche Bibliothek war still und tot um sie herum. Es musste inzwischen ungefähr vier Uhr nachts sein.
"Immerhin KÖNNTE ich, wenn ich WOLLTE." schnarrte er herablassend. "Ich denke nur, es gibt wichtigeres..."
"Du setzt Prioriäten," ergänzte Hermione.
"Genau."
"Eben," schloss sie. "Wie ich. Dann haben wir in dieser Sache wohl was gemeinsam, nicht wahr?!" fauchte sie, selbst für ihren Geschmack eine Spur zu zickig, und wandte sich wieder der Liste zu.
Ihr Gesicht prickelte, aber diesmal war das Prickeln heiß, unangenehm und beklemmend. Sie spürte seinen prüfenden Blick auf ihr, und weigerte sich, aufzusehen. Wenn ein anderer es gewagt hätte, diese Dinge über sie zu sagen....sie hätte ihn ausgelacht oder ihn allenfalls für einen halbe Stunde in einen Grottenolm verwandelt. Aber es aus seinem Mund zu hören, machte sie nicht wütend. Es beschämte sie. Sie konnte sich nur nicht erklären, warum.
Sie wünschte sich plötzlich, am nächsten Wochenende ein Date zu haben.
