12. Dracos Dank

"Ich will mich erkenntlich zeigen," schnarrte er plötzlich, während sie zusammen durch die feuchten, kalten Kräuterbeete wanderten.

Es war eiskalt im Park. Weihnachten näherte sich in raschen Schritten, und durch ihre durwachten Nächte verging die Zeit sogar noch schneller als sonst. Sie hatten sich ihre wärmsten Roben übergezogen - genaugenommen hatte Draco Hermione einen extradicken Umhang ausgeliehen, da ihr Kleiderschrank bei Weitem nicht mit seinem mithalten konnte - und hatten sich rausgeschlichen, um für ihre Versuche ein paar spezielle Wurzeln aus Hagrids Beet zu mopsen.

"Hm?" Hermione wandte sich zu Malfoy um.

Sie war in Gedanken noch vollauf mit dem Versuch beschäftigt gewesen, der nächste Nacht anstand. Hatten sie den Makembe-Trank korrekt zusammengemischt? Wenn nicht, passierte ihnen vielleicht nochmal so eine Panne wie mit dem Sandsturm letzten Mittwoch.... "Tut mir leid, was hast du gesagt?"

Er lächelte. Seltsam. Er lächelte sonst nie. Zumindest nicht mit Augen, Mund und Herzen gleichzeitig. So wie dieses Mal.

Und vor allem: Er lächelte sie an.

Hermione bekam trotz der Kälte heiße Füße. Sehr heiße Füße.

"Ich hab ein Geschenk für dich," meinte er. "Sozusagen vorgezogene Weihnachten. Ich hab ne Weile drüber nachgegrübelt, was das passende Geschenk sein könnte....aber ich denke, ich hab´s."

Er lächelte, offenbar sehr zufrieden mit sich selbst.

"Was ist es?" fragte Hermione mit zitternder Stimme.

Sie trat von einem Zeh auf den anderen. Hermione war überhaupt nicht scharf auf Weihnachtsgeschenke. Normalerweise. Aber der Gedanke, dass er sich die Zeit genommen hatte, IHR ein Geschenk zu besorgen, dass er darüber nachgedacht hatte, was IHR gefallen könnte...

Sie genoß die Situation. In Hagrids kleiner Hütte brannte kein Licht - wahrscheinlich war er auf ein paar Gläser Funkelwein runter nach Hogsmeade - weit und breit war kein Mensch außer ihnen beiden unterwegs, auf den Bäumen funkelten die ersten Eiskristalle, die Luft war klar und frisch und kalt, und sie hatte eine Robe an, die nach ihm roch. Sie erwiderte seinen ungewohnt milden Blick und dachte sich, dass, wenn etwas zwischen ihnen passieren würde, diese Nacht der ideale Zeitpunkt dafür war. Es war eine absolut perfekte Nacht.

Wenn nicht heute - wann sonst?

Und sie war froh, dass er den ersten Schritt machte. Ansonsten hätte sie sich sicherlich nicht getraut, ihm IHR Geschenk zu geben.

Sie hatte das kleine Buch in der Tasche, das sie ihm schenken wollte. Sie hatte es nicht als Geschenk verpackt, denn das war ihr dann doch zu lächerlich vorgekommen. Es war ein sehr kleines, in blaues Leder eingeschlagenes Buch, eine Rarität, wie ihr der Buchhändler versichert hatte.

Es hiess: "Die 400 faulsten Tricks beim Quidditch". Und sie fand, es war das ideale Geschenk für ihn.

Noch immer lächelnd, nahm er seinen Zauberstab in die Hand.

"Du hilfst mir wirklich sehr," sagte er, sein Lächeln flackerte etwas, und sie merkte, dass ihn dieser Satz einige Überwindung kostete.

"Und daher habe ich beschlossen, dir auch zu helfen. Und zwar hiermit."

Er tippte mit dem Zauberstab auf ihre Brust.

Hermione verstand nicht sofort, was er meinte. Dann folgte sie der Linie, die sein Zauberstab beschrieb, blickte auf ihren schmalen Busen herunter, und begriff. Und das Blut begann langsam und prickelnd in ihren Adern zu kochen.

"Sag. Das. Nochmal." keuchte sie.

Er schien ihre aufkeimende Wut überhaupt nicht zu bemerken.

"Ich hab´s nachgelesen, es ist wirklich sehr einfach," fuhr er unbekümmert fort. "Viele Hexen machen das. Was würdest du bevorzugen...eine Nummer größer oder zwei....?"

Seine Augen funkelten im Mondlich. "Ich wäre für zwei."

Hermione spürte, wie ihr Gesicht zu brennen begann und wandte sich ab, als habe er sie ins Gesicht geschlagen.

Er denkt, ich würde mich darüber freuen, dachte sie. Das denkt er wirklich.

"Setz es auf die Liste," fauchte sie.

Sie sah nicht hin, aber sie wusste, dass das Lächeln verschwunden war. "Welche Liste?"

"Setz es auf die Liste der Sachen, die man Frauen niemals sagen sollte," zischte sie mit mühsam kontrollierter Stimme. "Gleich hinter `Du erinnerst mich an meine Mutter´ und `Du erinnerst mich an DEINE Mutter´. Man stellt sich nicht vor eine Hexe hin und verkündet ihr, dass...dass sie gewisse Teile an ihr vergößern sollte. Man tut es einfach nicht."

Sie wandte sich abrupt ab und lief ein paar Schritte weiter über den Rasen. Sie wollte nicht, dass er ihre Augen sah.

"Lass uns weitersuchen. Wir sind spät dran. Ich will noch´n paar Stunden schlafen."

Sie riskierte einen vorsichtigen Blick nach hinten. Er machte ein verwirrtes Gesicht. Er schien ehrlich betroffen von ihrer Reaktion zu sein. Unter anderen Umständen hätte sie seine Miene sicher hinreissend gefunden. Aber eben unter anderen Umständen.

"Aber....aber....alle Mädchen....wollen....wollen doch ein größeres Paar", stammelte er.

Sie schloss die Augen. Wenn er nur den Mund halten würde...

"....und ich....also ich dachte....dass es an dir sehr nett aussehen würde, wenn du...."

Sie holte tief Luft und fuhr zu ihm herum.

"Du dachtest WAS?! Du...du...dachtest, es würde NETT aussehen?!" schnappte sie. "Was bin ich, ein Bausatz?!"

Er wollte etwas erwidern, erhaschte ihren mordlüsternen Blick und klappte den Mund zu.

"Malfoy....versuch nicht....nie mehr....versuch....nicht....mir....deine....Dankbarkeit....zu erweisen....nie mehr....hast...du ...verstanden...." keuchte Hermione mühsam, während ihr Gesicht in lebhaften Rottönen schillerte.

Er winkte ab und steckte rasch seinen Zauberstab weg. "Schon gut. Vergiss es. Ich dachte nur. Ich wollte dir nur einen Gefallen tun."

"Das....war....kein...Gefallen....das....war...widerlich....und schrecklich peinlich...das.... würdest du nun endlich...bitte....aufhören mit dem Kram?!"

Was für ein Scheißkerl, dachte sie. Was für ein kleiner Scheißkerl.

Aber er dachte überhaupt nicht daran. "Schau, ich will dir doch nur helfen," redete er auf sie ein. "Ich meine, du bist doch wirklich sehr schlau, und wenn du ein bißchen netter wärst...und...sagen wir...dich netter zurechtmachen würdest....Kontakte sind nicht zu verachten, weißt du...du siehst insgesamt nicht so übel aus, Hermione, ehrlich...."

Hermione schloss die Augen. Er hatte tatsächlich "insgesamt nicht so übel" gesagt... Wieso erschoss er sie nicht einfach gleich?

"....denk doch mal nach...du könntest viel beliebter sein, wenn du dich n bißchen mehr wie´n Mädchen aufführen würdest...-"

Nun wirbelte sie doch herum. Der Schmerz und die Scham standen ihr im Gesicht, aber es war ihr gleichgültig. "Meinst du dich? Malfoy? Meinst du DICH damit?"

Er blinzelte irritiert. "Was? WAS?!"

Warum? Warum mussten ihr JETZT Tränen in die Augen schiessen?

"Meinst du, DU würdest mich mehr mögen, wenn ich mich ein bißchen mehr wie ein Mädchen aufführen würde?" stiess sie so kühl wie möglich hervor.

Ein fassungsloser Ausdruck trat in seine Miene. Sie konnte ihm ansehen, dass er diesen Gedanken erst einmal auf sich wirken lassen musste. Diesen fremden, seltsamen Gedanken.

Als er wieder sprach, wählte er seine Worte sehr bedacht aus.

"Hermione.....es interessiert mich nicht, wie du aussiehst. Ich könnte niemals an einem Mädchen wie dir interessiert sein. Verstehst du? Du bist eine Muggelgeborene. Du stehst für mich überhaupt nicht zur Debatte. Ich wollte dir wirklich nur helfen. Alle Mädchen wollen hübscher sein, als sie sind. Das ist alles."

Sein Blick war offen, etwas überrascht, aber sehr offen. Da war dieses Mal kein Spott, keine Boshaftigkeit in seinem bleichen Gesicht. Es war alles sein voller Ernst. Jedes einzelne seiner Worte traf bleischwer in ihre Magengrube und preßte den Atem aus ihr heraus.

Hermione kämpfte mühsam die restlichen Tränen hinunter.

"Ich will deine Güte nicht, Malfoy," murmelte sie heiser. Die Kälte formte weiße Dunstwolken aus ihren Atemzügen. "U-und nun lass uns weitersuchen....w-wir erreichen vielleicht mehr, w-wenn wir uns aufteilen....ich such hier und du suchst da drüben...."

Sie bückte sich und tat so, als würde sie den Boden absuchen. Aber sie hatte bereits vergessen, wonach.

Er machte einen Schritt rückwärts. Er musterte sie noch immer mit diesem erstaunten Blick.

"Ok." murmelte er dann. Dann wandte er sich ab und kniete sich etwas weiter entfernt in das Beet. "Ich hab mir doch gleich gedacht, ich hätte lieber den Lockhart-Fotokalender kaufen sollen...." hörte sie ihn murmeln. "Mann, da will man EINMAL nett sein..."

Sie wühlten verbissen schweigend in der kühlen Erde herum.

Ab und zu fiel eine Träne auf die einzelnen Pflänzchen, an denen Hermione zupfte. Über ihnen blitzten die Sterne am eisklaren Himmel. Es war still. Nur ab und zu hallte der einsame Ruf eines Käuzchens über den ruhenden See.

Es wäre eine romantische Nacht gewesen. Unter anderen Umständen.