15. Süßes Gift

Er war es, der ihren Kuß beendete.

Sacht stellte er sie auf den Boden zurück. Sie wäre beinahe umgekippt. Ihre Knie waren im Augenblick nicht sehr stabil.

"Vielen Dank," flüsterte er. Seine Stimme schwankte. "Das war süß."

Ihr war unerklärlich, wie er sprechen konnte, wie er überhaupt ATMEN konnte, sie konnte es nicht.

"Und nun," hauchte er, "sollten wir ins Bett gehen."

Sie starrte ihn aus riesengroßen Augen an. "Was? Wir zwei....?"

Draco lächelte, und sie erstarrte. Da war keine Milde in seinen Augen, keine Sanftheit, keine Zärtlichkeit, kein weiches Dahinschmelzen. Nur Triumph.

"Nein, ich dachte eigentlich, jeder für sich." sagte er trocken.

Ein bitterer Geschmack füllte Hermiones Mund. Und sie wußte, dass er nicht vorhatte, ihre Lippen ein zweites Mal in seine Nähe zu lassen. Er hatte von ihr, was er brauchte, die Wärme, die Süße, den Trost, und damit war die Sache für ihn erledigt.

Er setzte noch einen kleinen, nüchternen Kuß auf ihre Stirn und wandte sich um. "Träum schön, Hermione."

Sie sah ihm nach, unfähig, sich zu bewegen. Sie war reingefallen. Sie war schwach gewesen und reingefallen.

Es war gemein. So gemein.

Verletzter Stolz, Wut, Haß, fluteten in alle Fasern ihre Körpers. Sie stürmte ihm hinterher in den stockdunklen Korridor und schrie:

"Das kannst du nicht mit mir machen! Das kannst du nicht mit mir machen! Nicht mit mir, hörst du? HÖRST DU MICH?!"

Er drehte sich um. "Dafür, dass ich das nicht mit dir machen kann," sagte er kühl, "lief es ziemlich gut."

Sie stürzte sich auf ihn und versuchte, ihm ihre Fingernägel durch sein blasiertes Gesicht zu ziehen, aber er ergriff ihre Handgelenke und hielt sie fest.

"Ich bitte dich, Hermione," zischte er. "Langsam wird´s peinlich!"

Er stieß sie von sich. Schweratmend und schluchzend blieb sie stehen. Sie wußte, sie bot wahrscheinlich einen erbärmlichen Anblick, aber es spielte keine Rolle mehr.

"Es gibt eine Grenze, Draco," keuchte sie. "Es gibt eine Grenze, weißt du das?"

"Tut mir leid." sagte er, aber es hörte sich nicht sehr danach an. "Tut mir leid für dich." Er wandte sich zum Gehen.

"Ich könnte dich umbringen," fauchte sie, und ihre Stimme hallte schauerlich im Gewölbe nach, hohl und kalt und bitter, "Ich könnte dich wirklich umbringen, Draco."

Er blieb abrupt stehen. Ungläubig sah sie, wie er sich umwandte und zu ihr zurückkam. Sehr schnell. Hermione versteifte sich. Würde er sie schlagen? Würde er sich entschuldigen? Würde er....?

Aber er tat nichts dergleichen. Er murmelte nur immer wieder "Wie haben wir das gemacht? Wie haben wir das gemacht?" und hielt ihr etwas hin.

Widerstrebend trat sie näher. Es war die Blume. Und sie hatte begonnen, sich zu öffnen.

Sprachlos starrte sie sie an. Die Knospe war aufgegangen, und blutrote seidige Blätter quollen daraus hervor, die nur darauf warteten, aus ihrem dunklen Gefängnis auszubrechen. Es war das dunkelste und intensivste Rot, das Hermione in ihrem Leben bisher gesehen hatte. Es hatte genau die Farbe von frischem Blut. Und nun entströmte der halboffenen Blume auch ein leiser Duft. Er war weder angenehm noch unangenehm. Nur schwer und sinnlich und betäubend.

"Ich schätze," krächzte er, "wir sind nah dran."

"So ist es," hauchte sie. "Ganz nah."

Es war der 23. Dezember. Die letzte Nacht vor Weihnachten.