16. Die unsichtbare Dritte

"Lavender," wandte sich Harry über den Tisch hinweg an Lavender Brown, die gerade Rons Eule Pigwidgeon abwehrte, die sich offensichtlich zu den Klunkern in ihrem aufgetürmten Haar hingezogen fühlte, "weißt du irgendwas von Hermione? Ist sie krank?"

"Ich - verdammt - Ron - nimm ihn weg - ich sagte, NIMM IHN WEG! Ich - autsch! Was hast du gesagt, Harry?"

"Hermione. Ob sie vielleicht krank ist oder so. Wieso ist sie nicht da?"

"Au! Vielen Dank, Ron, an dieser Frisur hab ich ne halbe Stunde gefeilt!" Sie tastete nach den letzten verbliebenden Resten von Glitzerspangen auf ihrem Kopf und blinzelte Harry ungehalten an.

"Granger? Keine Ahnung. Sie war überhaupt nicht im Schlafsaal letzte Nacht."

Harry stutzte. "Überhaupt nicht? Bist du sicher?"

Lavender zupfte ein paar verendete Haare aus ihrer hochtoupierten Mähne und zuckte mit den Schultern. "Frag mich nicht. Gestern abend waren Parvati und ich die letzten im Schlafsaal." Sie kicherte. "Wir hatten uns...festgequatscht...im Flur...mit den Jungs von Ravenclaw-Team... jedenfalls war Granger nicht da, als wir kamen. Und heute morgen war sie auch nicht da. Ihr Bett war unberührt."

"Wir kennen das schon von Hermione." mischte sich Parvati Patil ein, die trotz der dampfenden Puddings und Kuchen auf dem Tisch hartnäckig auf drei Blättern Salat rumkaute.

"Sie geht manchmal noch spätabends in die Bibliothek, um zu lesen." Sie lachte. "Aber in letzter Zeit übertreibt sie ziemlich. Inzwischen muss sie jedes Buch in der Bibliothek dreimal vorwärts und dreimal rückwärts durchgelesen haben."

Plötzlich beschlich Harry ein seltsames Gefühl. Ein sehr seltsames Gefühl.

"Du meinst, sie ist in letzter Zeit öfter abends einfach weggeblieben?" forschte er so harmlos wie möglich nach.

"Andauernd," bestätigte Parvati unbekümmert.

"Wir dachten schon, sie hätte einen heimlichen Liebhaber oder so."

Sie wechselte einen Blick mit Lavender, und beide ließen ein spöttisches Kichern hören. Der Gedanke schien für sie etwas unwiderstehlich komisches zu haben. Sie giggelten und warfen Seitenblicke auf Ron und Harry. Ron rollte entnervt mit den Augen.

"Wer hat einen heimlichen Liebhaber?" fragte eine müde Stimme hinter ihnen.

Hermione war eingetroffen.

Mit abwesendem Blick liess sie sich auf einen Stuhl neben Ron sinken und begann damit, mechanisch einen Toast zu bestreichen, als sei dies ein stinknormaler Morgen wie alle anderen, und keineswegs Weihnachten, das erste Weihnachten, daß sie mit ihren beiden besten Freunden in Hogwarts verbrachte.

Harry und Ron musterten Hermione erwartungsvoll.

Harry fand, dass Hermione unausgeschlafen und mitgenommen aussah. Um genau zu sein, sie sah sogar verheult aus. Aber das war unmöglich.

Innerlich schüttelte Harry den Kopf. Hermione weinte nie. So gut wie zumindest.

"Frohe Weihnachten, Hermione," meinte Ron schliesslich kühl.

Sie wandte ihren Blick kaum eine Viertelsekunde von ihrem Toast ab. "Hm? Ach so. Danke, euch auch." Mit einem müden Lächeln schien das Thema für sie beendet.

"Hermione, bist du Ok?" wollte Harry misstrauisch wissen.

Hermione sah ihn milde überrascht an. "Was, ich? Wieso? Ich meine...ich fühl mich bestens, Harry, vielen Dank..."

Das Gespräch erstarb, während Hermione mit verträumtem Blick Sirup auf ihrem Rührei verteilte.

"Sieh dir das mal an", höhnte Ron neben ihm. "Malfoy hat doch tatsächlich den neuen Dustbuster 3000 bekommen, diesen Protzbesen, dabei weiss doch der letzte Trottel, dass das Teil nur pompös aussieht und überhaupt kein Feuer im Arsch hat, das ist wieder mal typisch er. Wahrscheinlich hat er nur irgendwo das Plakat gesehen und...."

Lustlos begannen Harry und Ron ein Geplänkel über die besten Quidditch- Besen. Das Thema ging immer. Aber beide waren sie nur halb bei der Sache und liessen Hermione nicht aus den Augen. Sie stocherte in ihrem Essen herum und schien nicht ansprechbar.

Um sie herum lärmten die Schüler beim Weihnachtsfrühstück.