36. Nachteule nach Askaban

Der Name fällte Dumbledore wie einen Baum.

Mit einem Keuchen sank er zurück in den Stuhl. Seine Hand wanderte an seine Brust. Einen Moment sah es fast so aus, als würde er sterben.

"Das werde ich Ihnen nie verzeihen, Severus," flüsterte er bitter. "Nie."

Das glitschige Teil, das wie Milz aussah, rutschte Lupin aus den Händen. Mit offenem Mund sank er gegen die Tür.

"Natürlich," hauchte er. "Das ist es! Wie konnte ich SIE nur vergessen?"

Er wandte sich mit fiebernden Augen zu Harry und Ron um. "Wir haben noch eine Chance!"

Kaum hatte Draco die letzten Worte von Lupin vernommen, näherte er sich zögerlich dem verbiestert aussehenden Dumbledore, wobei er ihn misstrauisch beäugte.

"Kann sie....kann diese Aura Dumbledore Hermione helfen?" fragte er unsicher.

"DU hältst die Klappe," schnauzte Dumbledore.

Draco klappte entrüstet seinen Mund zu. Harry und Ron staunten die beiden an.

Dumbledore hatte "Klappe" gesagt!

Mit hoffnungsvoll funkelnden Augen kniete sich McGonagall neben dem alten Mann nieder.

"Versteh doch, deine Tochter ist....."

"SIE - IST - NICHT - MEHR - MEINE - TOCHTER!" schrie Dumbledore und ließ seine Faust auf die Stuhllehne sausen. Seine Stimme überschlug sich.

Die Lehrerin verstummte erschrocken.

Snape hatte sich mit verschränkten Armen abgewendet und warf Dumbledore einen verächtlichen Blick über die Schulter zu.

Lupin musterte den alten Mann mit einem seltsamen, nachdenklichen Blick.

Harry wartete schweigend und hatte erneut das Gefühl, vergessen worden zu sein.

Dumbledore begrub sein Gesicht in seinen Händen.

"Außerdem ist sie in Askaban," stöhnte er. "Sie hat ohnehin längst ihren Verstand verloren."

DUMBLEDORE hatte also KLAPPE gesagt und hatte außerdem eine TOCHTER in ASKABAN. Unbemerkt nahm Harry wieder auf einem Stuhl Platz, um dem Gespräch besser lauschen zu können. Das waren wirklich viele Neuigkeiten auf einmal.

Lupin war an den Schulleiter herangetreten. "Albus, deine Tochter ist kein gewöhnlicher Mensch," sagte er sachte. "Du hättest..." er unterbrach sich und schluckte.

"Du hättest....Sirius hören sollen, als er von ihr sprach. Aura hat den Dementoren immer widerstanden, immer. Sie hat dem Gefängnisleiter das Nasenbein gebrochen, weißt du nicht mehr? Sie hat mehrmals versucht zu fliehen, und hätte es mehrmals fast geschafft. Weißt du nicht mehr, was für ein Mensch sie ist, Albus? Hast du alles vergessen?"

Dumbledore antwortete nicht. Er hob seinen weißen Kopf und starrte vor sich hin.

"Es wäre falsch," murmelte er heiser, aber da war Zweifel in seiner Stimme,

"es wäre trotzdem falsch."

Dann verstummte er. Snape, McGongall und Lupin standen um ihn herum und sahen ihn eindringlich an.

Schließlich erhob sich der alte Mann. Er sammelte sich einen Moment. Einen langen Moment. Dann richtete er seinen Blick erst auf Harry, dann auf Ron und schließlich auf Draco.

"Seid ihr," fragte er langsam, jedes einzelne Wort schien Tonnen auf seiner Zunge zu wiegen, "seid ihr bereit, jedes Mittel zu akzeptieren, das Hermione wieder ins Leben zurückbringt? Wirklich? Wärt ihr bereit, alles dafür zu tun, dass sie wiederkehrt? Selbst, wenn es allem widerspricht, was ihr über Gut und Böse wisst, allem, woran ihr glaubt, allem, wofür diese Schule steht?"

"Alles," sagte Draco sofort.

"Alles," sagte Ron mit fester Stimme.

"Alles," schloss sich Harry heiser an.

Dumbledore schloss die Augen; vielleicht hatte er auf eine andere Antwort gehofft. Als er die Augen wieder öffnete, hatte er aufgehört, mit sich zu kämpfen. Er war wieder der alte Dumbledore, nachdenklich und milde. Aber er sah sehr, sehr traurig aus.

"Ihr müßt nämlich wissen," sagte er leise, "daß nur ein Mittel existiert, einen Menschen zurückzuholen, den schwarze Zauberei das Leben gekostet hat."

Alle drei Jungen lehnten sich gespannt vor. Dumbledore sah sie alle nacheinander mit bedauerndem Blick an.

"Noch schwärzere Zauberei." sagte er dann. "Das ist der einzige Weg."

Er starrte einen Moment vor sich hin, als wolle er noch etwas zu ihnen sagen, überlegte es sich aber dann wohl anders.

"Nun denn," meinte er in offiziellem Ton. "Wir werden sehen. Ihr drei bleibt bitte hier. Severus, bitte belegen Sie Ihren Giftschrank mit einem Bannzauber, falls Mister Malfoy nochmal auf die Idee kommt, mit dem Tod zu experimentieren...Sie, Lupin und Minerva..." er seufzte schwer.

"Ich hasse diesen Knilch aus der Askaban-Direktion. Aber ich denke, wir haben eine Eule an ihn zu schicken. In der Sache Aura Dumbledore. Verlieren wir keine Zeit."

Er erhob sich und schlurfte zur Tür. Trotz seiner Worte schien er es nicht sehr eilig zu haben.

Ganz anders als McGonagall, Snape und Lupin.

Bevor er hinauseilte, drückte Lupin erst Harry, dann Ron die Schulter.

"Ihr werdet sehen. Alles wir gut," sagte er. Harry konnte ihm ansehen, dass er es wirklich glaubte.

Snape wandte sich Dumbledore zu und ging zur Seite, um ihm den Vortritt zu lassen.

"Danke, Albus." sagte er leise. "Ich weiss, wie..."

Der alte Mann winkte ungehalten ab. "Nicht auszuschliessen, dass wir es bereuen werden," knurrte er.

Snape war der Letzte, der den Raum verliess. Im Türrahmen hielt er plötzlich inne und kehrte abrupt um.

Energisch schritt er auf seinen Schreibtisch zu, schloss ein bestimmtes Fach auf und kramte eine gigantische braune Flasche heraus. Mit einem Schlenker seines Zauberstabes schickte er drei dicke Gläser auf den Beistelltisch neben dem Sessel, in dem Draco kauerte, und stellte die Flasche daneben. Die trübe bräunliche Flüssigkeit darin schwappte.

"Trink das," forderte er Draco barsch, aber nicht unfreundlich auf.

Dracos müde Augen wanderten zu der Flasche. "Ist das Gift?" fragte er mit aufkeimender Hoffnung.

"Nein." schnarrte Snape. "Es ist Old Ogdens Feuerwhisky."

"Ich dachte, Suff sei keine Lösung?" mischte sich Ron vorlaut ein.

Snape liess ein lautes Schnauben hören und sah Ron vernichtend an. "Wenn es einen Moment gibt, damit anzufangen, dann diesen. Ich denke, Sie können nun alle einen Schluck vertragen. Potter, Weasley, kommen Sie her."

Ron beschloss, den Mund zu halten. Von Severus Snape auf ein Glas eingeladen zu werden, war auch für ihn eine ziemlich neue Erfahrung.

"Ich möchte Gift," nörgelte Draco.

"Der Direktor hat Recht, Mister Malfoy," meinte Snape kurz angebunden. "Hin und wieder sollten Sie Ihre Klappe halten. Cheers."

"Bitte, können Sie uns nicht sagen, was hier los ist?" flehte Harry Snape an, als dieser wieder zur Tür ging.

"Nein." Die Tür fiel ins Schloss. Sie waren allein.